E. R. Eddison

 

Styrbjörn der Starke

 

 

 

 

Roman

 

Apex Fantasy-Klassiker, Band 2

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

STYRBJÖRN DER STARKE 

 

Vorrede 

 

1. Auf König Olafs Grabhügel 

2. Thorgnyr der Rechtssprecher 

3. Königin Sigrid die Stolze 

4. Jomsburg 

5. Julfest in Dänemark 

6. Die Tochter des Dänenkönigs 

7. Erik und Styrbjörn 

8. Der König und die Königin 

9. Ein Gelage zu Uppsala 

10. Treuebruch in Uppsala 

11. See-Mauern von Jomsburg 

12. Die Zähmung des Dänenkönigs 

13. Die Ausfahrt der Flotte 

14. König Eriks Heerbann 

15. Fyrisfeld 

16. Walhall 

 

Nachbemerkung des Verfassers 

 

Nachwort von Helmut W. Pesch 

 

Anhang 

 

Das Buch

 

 

E. R. Eddisons klassischer Saga-Roman Styrbjörn der Starke, erstmals im Jahre 1926 erschienen, erzählt die großartige Geschichte von Styrbjörn Olafsson, dem Erben des schwedischen Throns:

Styrbjörn ist bekannt sowohl für seine beeindruckende Größe und Stärke als auch für seine widerspenstige, streitsüchtige Natur. Als ihm sein Geburtsrecht verweigert und er aus Schweden verbannt wird, wird Styrbjörn zum Anführer der Joms-Wikinger. In der epischen Schlacht von Fyrisfeld fordert er schließlich den schwedischen Thron für sich zurück...

 

Styrbjörn der Starke, verfasst in Anlehnung an die nordischen Sagas, ist ohne Zweifel eine der ganz großen Wiederentdeckungen der Fantasy-Literatur, meisterhaft ins Deutsche übersetzt von Helmut W. Pesch.

Der Apex-Verlag veröffentlicht den Roman ergänzt um einen umfangreichen Anhang sowie um Landkarten und ein Nachwort des Übersetzers Helmut W. Pesch.

 
 

STYRBJÖRN DER STARKE

 

 

  Vorrede

  Als aber Björn in See gestochen war, fuhr er südwärts nach Dänemark und von dort weiter nach der Jomsburg. Damals herrschte Palnatoki über die dortigen Wikinger. Björn trat daselbst in ihren Verband und erhielt den Titel »Käppi«, d. h. »Kämpe«. Es war zu Jomsburg in der Zeit, als Styrbjörn der Starke es erobert hatte. Björn zog auch mit nach Schweden, als die Seekrieger von Jomsburg den Styrbjörn unterstützten. Er nahm auch teil an der Schlacht auf der Niederung der Fyriså, wo Styrbjörn fiel, und konnte sich mit anderen Wikingern in einen Wald flüchten.

(Die Geschichte vom Goden Snorri [Eyrbyggja saga, dt.], übers. Felix Niedner, Kap. 29.) 

  Dann machte Harald Gormssohn Norwegen seinem Reiche untertan und abgabepflichtig, und doch hielten wir König Harald Gormssohn für weniger mächtig als die Uppsala-Könige, da ja unser Verwandter Styrbjörn ihn bezwang, sodass Harald Gormssohn sein Vasall wurde. Aber Erik der Siegreiche, mein Vater, schritt über Styrbjörns Haupt dahin, als sie sich miteinander maßen.

(Snorris Königsbuch [Heimskringla, dt.], 2. Band, übers. Felix Niedner, Kap. 72, Rede des Schwedenkönigs Olaf an Hjalti Skeggissohn.)  

    1. Auf König Olafs Grabhügel

  

 

  Erik der Siegreiche war zu jener Zeit König in Uppsala, Sohn Björns des Alten und Enkel Erik Emundssohns, und er herrschte über die Upland-Schweden und über das Volk des Niederlandes und des Südmannlandes und des westlichen und östlichen Gautlandes und über alle Länder und Reiche östlich von der Elf bis zum Meer. König Erik stand dazumal in hohen Jahren und galt als Mann von großer Kraft und Ehre, in jenem Stand und Ort, wo seine Väter vordem seit den Tagen von Ragnar Lodenhose gesessen; und in ihren Adern floss das Blut des Geschlechts der Ynglinge, wohl seit jenen alten Zeiten, da die Götter im Anfang von Asgard herkamen und Yngvi-Frey als König zu Uppsala unter den Menschen weilte.

Als nun König Björn der Alte zum Sterben kam, setzte er seine beiden Söhne Erik und Olaf als gemeinsame Könige in Schweden ein, und vierzig Jahre lang herrschten sie vereint in brüderlicher Liebe und Eintracht. König Olaf Björnssohn hatte Ingibjörg, die Tochter des Jarls Thrand von Sula, zur Frau. Ihre Kinder hießen Thora, Thurid, Asdis und Aud. Misslich erschien es König Olaf, dass er nichts als Mädchen zeugen sollte. Jedoch am Ende begab es sich, dass Königin Ingibjörg von einem Knaben entbunden wurde, und dieser wurde mit Wasser benetzt und Björn geheißen, nach seines Vaters Vater. Die Königin aber lebte hernach nicht lange, sondern starb drei Jahre später; und als der Knabe erst fünf Winter alt war, da fiel König Olaf, sein Vater, plötzlich tot nieder, als er in seiner Halle beim Umtrunk saß. Und es gab ein Gerede unter den Leuten, dass Gift in seinem Becher gewesen sei und dies sei König Olafs Verderben gewesen. So wurde er zu Uppsala im Grabhügel bestattet. Danach ward Erik als alleiniger König in Schweden angenommen, und er hatte die Vormundschaft über den Knaben inne und gab ihn dem Jarl Ulf, seiner Mutter Bruder, zum Ziehsohn. Zu jener Zeit gab es keine lebenden Kinder aus König Eriks Ehe, und sein Weib war bereits zehn Jahre tot. Von Herzen liebte er seines Bruders Sohn und hielt ihn wie sein eigen Kind. Und der Knabe wuchs zu einem prächtigen, starken und ansehnlichen Burschen auf, groß und kräftig über das Maß seiner Jahre. Und weil der Junge etwas grimmig und störrisch von Gemüt, ungestüm und jähzornig und sehr wild und stolz war, schon jetzt in seinen jungen Jahren, ließ König Erik seinen Namen längen und hieß ihn Styrbjörn.

Gegen Wintersanfang, als Styrbjörn nun fünfzehn Winter alt war, brachte König Erik ein großes Blutopfer im Tempel zu Uppsala dar, für den Ertrag des Jahres, wie es sein Brauch war und der Brauch seiner Väter vor ihm seit undenkbaren Zeiten. Dorthin waren Männer von Rang und Namen aus allen Teilen des Landes zusammengekommen, und es gab ein großes Gelage. Doch Styrbjörn kam an jenem Tage nicht zur Tafel und nicht zu des Königs Halle. Also sandte der König Leute aus, Styrbjörn zu suchen. Nach einer Weile kehrten sie zurück, und ein Mann von des Königs Leibwache sagte: »Herr, wir haben ihn auf dem Grabhügel seines Vaters, König Olaf Björnssohn, sitzen gefunden.«

Des Königs Miene verfinsterte sich. Er sprach zu Jarl Ulf: »Muss dies sein, bei jedem Herbstopferfest? Es ist nun das dritte Mal und das letzte; und doch beginnt es mich zu ergrimmen. Oder will er mein beschworenes Wort nicht glauben, dass ich ihm alles geben werde, so er erst sechzehn Jahre alt ist?«

»Ich hatte nicht damit gerechnet«, sagte der Jarl. »Und es tut mir gewiss leid.«

Der König schickte sie wieder hinaus, ihn zum Umtrunk herzubitten. Doch zurück kamen sie mit leeren Händen. »Hat er euch nichts erwidert?«, fragte der König.

Darauf sagten sie nichts, sondern blickten einander nur an. Dann antwortete einer für sie alle und sprach: »Nichts, Herr, außer dem: dass er an das Gesinde des Königs keinen Atem verschwende.«

»Nicht anders, als sein Vater war«, sprach der König, »ist dieser junge Welpe. Geh du, Jarl, wenn ihn das herbringt.«

Jarl Ulf stand auf und ging zwischen den Bänken und den Feuern hindurch und durch den Eingang der Halle hinaus in des Königs Hof und weiter, vorbei an den Häusern der Menschen, der Thingstätte und dem Tempel, bis er aufs offene Feld gekommen war. Es war trübes und wildes Wetter, und der Abend brach herein. Hoch wie ein Haus erhob sich Olafs Grabhügel gegen das schwindende Licht. Er war ganz mit dichtem Gras bewachsen, und die Büschel und Garben des Grases duckten sich erbleichend und hoben sich und duckten sich wieder, hierhin und dorthin gepeitscht von dem böigen Wind, der gegen den Hügel anstürmte und innehielt und wieder dagegentrieb, wie das unaufhörliche Gewühl der Wolken in den eisengrauen, windigen Höhen des Himmels.

Styrbjörn saß auf der Kuppe des Hügels, ebenso unbeweglich wie dieser, das Gesicht in den Wind gewandt. Der Jarl stieg zu ihm hinauf, wobei er sich bisweilen mit der Hand abstützte wegen der plötzlichen Böen und des schlüpfrigen Grases. Als er oben war, schrie er ihm ins Ohr: »Das ist nicht gut, was du tust!«

Styrbjörn rührte sich nicht. Er hatte einen dichtgewebten Umhang aus Wollstoff um sich geschlungen, purpurn gefärbt und an der Borte mit reichen Verzierungen aus schwarzem Garn bestickt. So eng der Mantel auch gezurrt war, blähte er sich doch und flappte wie ein Schiffssegel in einem Sturm, wenn das Ruder gebrochen ist. Styrbjörn war barhäuptig, und das dichte, kurze gelockte Blondhaar auf seinem Kopf tanzte zum Pfeifen des Windes wie das Gras auf dem Hügel. Er trug einen schweren, geschwungenen Halsreif aus reinem Gold, welcher sich eng an den Nacken anlegte, wo Hals und Schulter zusammenstießen, und der durch des Goldschmieds Kunst mit reichen Ziselierungen und je einem Drachenkopf an den Enden versehen war. Styrbjörn saß mit dem Kinn in den Händen und starrte in den Wind, dass seine Augen tränten.

Der Jarl setzte sich nieder und legte einen Arm um die Schulter des Jungen. »Der König enthält dir nicht dein Erbe vor, Styrbjörn. Er hat’s versprochen, und er wird es dir geben, wie du wohl weißt. Doch die Zeit ist noch nicht reif. Du bist erst fünfzehn Winter alt.«

Styrbjörn schüttelte ihn schroff ab. »Minderer Männer Rede, Ziehvater, steht mir nicht zu Gebote, ’s ist nicht in meinem Blut.« Er sprach, wie es stets seine Art war, mit einem kleinen Stammeln hier und da, als ob ein großer und eifriger Geist in ihm in seiner Hast über die Langsamkeit seiner Sprache stolperte.

»Kein Tropfen weniger von jenem Blut«, antwortete der Jarl, der ihm des Windes wegen ins Ohr schreien musste, »fließt in deines Oheims Adern. Er liebt dich. Willst du die Hand beißen, die dich ernährt? Geh mit mir ins Haus! Und sag, was tat es not, freie Männer zu beleidigen, dass du sie als Gesinde bezeichnetest?«

Styrbjörn sprang lachend auf. »Ist Aki darob die Nase geschwollen?« rief er. »Eine Sache des Alters, sagst du? Dann komm und steh mir bei!«

»Halt«, sagte der Jarl. Doch der Knabe war schon fort: in drei Sätzen den Hügel hinab und fort zu des Königs Halle. Jarl Ulf war ein rüstiger Mann, doch er holte ihn erst in der großen Tür zur Halle ein.

Lampen waren in der Halle entzündet worden, und der rötliche Feuerschein, der sich mit ihrem kälteren Licht mischte, pulsierte und flackerte zwischen dem mit Binsen bestreuten Boden und der rauchigen Dunkelheit der Dachbalken, tanzte auf Bänken und Tischen und der vielfarbigen Kleidung jener großen und ehrenwerten Gesellschaft, die dort saß. König Erik thronte auf seinem Hochsitz an der oberen Tafel. Der andere an der unteren Tafel ihm gegenüber war leer. Der König trug einen griechischen Mantel aus rotem Seidentaft und ein blaues Gewand, das mit Stickerei gesäumt war. Goldene Ringe, die zwölf Unzen wogen, umspannten seine Arme oberhalb der Ellbogen, und eine Krone aus reinem Gold saß auf seinem Kopf. König Erik war von allen Mannen der stattlichste weit und breit; und obgleich er bereits fast sechzig Winter alt war, war er weder gebeugt noch runzlig, sondern frisch und stark und kräftig wie ein Mann in seinem besten Alter. Sein Haar und Bart waren gepflegt und dicht, wenngleich mit Grau durchzogen, seine Stimme war tief und fest und angenehm zu hören, und seine Augen waren von grauer Farbe, gefleckt und sehr hell.

Styrbjörn kam und trat zwischen Feuer und Tafel vor den König. Der König deutete auf den Hochsitz ihm gegenüber und sprach: »Nimm Platz, Gesippe.«

Styrbjörn sah ihm direkt ins Gesicht, antwortete dann und sagte auf seine hastige, stammelnde Art: »Es stand mir im Sinn, König, dass ich Euch nicht mehr zur Last fallen sollte als eine ausgehaltene Person, jetzt, da ich ins Mannesalter gekommen bin. Als Zeichen davon wollte ich heute nicht zu Eurer Tafel kommen, sondern auf meines Vaters Grabhügel verweilen.«

»Es ist ermüdend«, sprach der König, »wenn dieser alte Mummenschanz jedes Jahr aufs neue aufgeführt werden muss. Betrachte meinen Teil als gesagt: so, ’s ist getan. Und jetzt genug davon.«

Styrbjörn sprach: »Wenn Ihr, König, mir nun Recht erweisen wollt. Händigt mir meines Vaters Erbe aus: jenen Teil der Herrschaft über die Schweden, der meinem Vater gehörte. Dann will ich auf jenem Sitz dort Platz nehmen. Sonst nicht. Nicht als Euer Gast, König.«

»Gesippe«, sprach der König, »du bist von allem Volk, das ich je gekannt, Mann oder Frau, der Widerspenstigste und Störrischste. Ich sage dir, wie ich dir letztes Jahr sagte und im Jahr zuvor: Wenn du sechzehn Winter alt bist, werde ich dir dein Erbe geben.«

»Gewachsen ist der Knabe, doch nicht die Hosen«, sprach Styrbjörn, und sein Gesicht war rot wie Blut.

»Wenn du sechzehn Winter alt bist«, sprach der König. »Bis dahin sei still! Denn bist du auch störrischen Sinnes, bin ich doch nicht minder störrisch; und ich, nicht du, werde in dieser Sache bestimmen, so wie es recht und billig ist.«

»Selten erlangen Könige ihre Besitztümer wieder«, sprach Styrbjörn, »außer mit Schwerterklang.« Doch als er diese Worte gesprochen, blickte er zu dem König, seinem Oheim, auf, und ihre Blicke trafen sich. Und da war etwas in des Königs Antlitz, was seine streitbare Stimmung dämpfte, wie ein Schluck kalten Wassers das Brennen eines allzu heißen Bissens Fleisch dämpft.

In der Halle war eine plötzliche Stille eingetreten, obgleich alle Männer wohl bewirtet waren und Scherz und Spiel die Runde machte. Und Styrbjörn, der rot vor Zorn gewesen, errötete noch tiefer bis zur Stirn und zum Hals; und er stand beschämt vor dem König. Mit leiser Stimme sagte er: »Irgendein Teufel hat die Zunge aus meinem Mund gezogen, ein übles Wort zu sprechen. Und jetzt werde ich an deinem Tische sitzen, wie es sich für mich geziemt. Doch wenn es dir beliebt, König, lass uns morgen weiter über diese Sache reden.«

»Eine kleine Ruhepause«, sprach der König, »für die ich wahrlich dankbar bin.«

Der Becher war inzwischen manches Mal umgegangen, und die Bäuche der Männer waren voll mit Äl, und ihre Vorsicht und Urteilskraft waren darob etwas benebelt. Und in solch einem Zustand wird ein Mann oft das sagen, was ihm am schnellsten über die Zunge geht, und so fasste Aki von des Königs Gefolge – ohne überhaupt daran zu denken, dass er jetzt ebensogut einen Wolf unter dem Kinn kraulen als Styrbjörn behelligen sollte – ihn am Rock, als er an der unteren Bank vorbei kam, und fragte, wann er eine Entschuldigung für die gemeinen Worte erhalten würde, mit denen Styrbjörn ihn zuvor bedacht hatte.

»Halt dein Maul, Königsknecht«, sprach Styrbjörn; und mit dem Wort zog er seinen Mantel von den Schultern und warf ihn über Akis Kopf. Nun hatte Aki ein großes silberbeschlagenes Trinkhorn in der Hand, randvoll mit Äl, und dies ergoss sich über seine Kleidung. Er sprang auf und warf den Mantel ab und hämmerte das Horn gegen Styrbjörns Nase, dass diesem das Blut aus der Nase spritzte und er zurücktaumelte und fast ins Feuer gefallen wäre. Aki stürzte hinaus, doch Styrbjörn holte ihn in der Tür ein, packte ihn am Kragen und riss ihn zurück. Trotz seiner Jugend besaß Styrbjörn bereits die Kraft eines erwachsenen Mannes. Er war wuterfüllt, und er zwang den Mann mit Faust und Knie zu Boden. Aki hatte indessen ein Sachsmesser hervorgezogen und wollte ihn damit stechen. Styrbjörn wand es ihm aus der Hand und trieb es in Akis Hals und hinunter in die Brust des Mannes, bis zum Heft. Aki brauchte keinen weiteren Hieb, sondern war sofort tot.

Aufruhr brach los in des Königs Halle, und es gab viel Geschrei, und heftige Worte flogen hin und her; denn Aki war ein weit versippter Mann unter den Gefolgsleuten, und viele waren da, die ohne Zögern Rache an Styrbjörn genommen hätten, hätten der Ort und des Königs Würde sie nicht davon abgehalten. Am Ende war alles wieder still, und der Leichnam wurde hinausgetragen, und die Männer wandten sich wieder dem Gelage zu, aber minder frohgemut als zuvor.

 

  Am nächsten Morgen war Styrbjörn beizeiten auf und begab sich wiederum zu seines Vaters Grabhügel. Denn obzwar er sich nach den Ereignissen der letzten Nacht in des Königs, seines Oheims, Bescheid fügte, ein weiteres Jahr zu warten, um danach in sein Königtum zu gelangen, schien es ihm doch keinen bessren Ort zu geben, wo er sich aufhalten solle, wenn es nichts zu tun gab, als droben auf dem Hügel.

Ein Schwung lag in seinem Schritt, als er ging. Er nahm nicht den geraden Weg zum Hügel, sondern machte einen Schwenk hinaus ins offene Land, wobei er hierhin und dorthin blickte, als suche er etwas. Er war auf etwa hundert Schritt an den Hügel herangekommen, als er das erspähte, wonach er suchte: ein dunkles, zottiges Getier, das ein Stückweit entfernt in den struppigen Weiden äste, die sich zur Fyrisach hinabzogen. Vierbeinig war es und stämmig, hochschultrig, schweiflos, mit einer selten langen und haarigen Decke, die ihm fast bis auf die großen gespaltenen Hufe hinabhing, und mit großen, gedrehten Hörnern wie denen eines Widders und behaartem Kopf.

Styrbjörn hielt inne und stieß einen leisen Ruf aus. Das Ding hörte auf zu äsen, hob den Kopf, blickte auf und sah ihn. Es stand still und starrte; er rief erneut. Es hob die Nase und stieß ein antwortendes Muhen aus; dann, wie eine verschämt verspielte Maid, die umworben werden will, doch reizen muss, wandte es sich um und ging von ihm fort, wobei es alle vier oder fünf Schritte einen Blick hinter sich warf, um sicherzugehen, dass man ihm auch folgte. Noch ehe das Tier zwanzig Längen zurückgelegt hatte, war Styrbjörn bei ihm und packte es bei den Hörnern. »Moldi«, sprach er, »wie wagst du’s, davonzulaufen, wenn ich mit dir spielen will?« Es war ein einjähriger Moschusochse, kleiner als gewöhnliche Ochsen, doch schwer und stark genug, um mit den meisten Männern nach Belieben zu verfahren; doch Styrbjörn, wie sich zeigte, als sie miteinander rangen, war ihm durchaus ebenbürtig. Um und um drehten sie sich, schwankten und taumelten vor und zurück, schnaufend und schnaubend, der eine wie der andere, bis Styrbjörn das Spiel abbrach und ein paar Schritte zurücksprang, um dort keuchend und lachend stehenzubleiben und seinem kleinen Ochsen die Stirn zu bieten. »Komm!«, rief er; und das Tier senkte den Kopf und griff an. Styrbjörn stemmte sich mit seinem ganzen Körper dem Anstürmenden entgegen, und aufgrund seiner schieren Stärke hielt er ihm stand.

Dieses Spiel trugen sie nicht zwei oder drei Mal, sondern ein Dutzend Mal aus; wobei Styrbjörn drei Mal umgeworfen wurde, doch alle anderen Male als Sieger hervorging. Immer wenn Styrbjörn zu Boden ging, war sein Spielgefährte allerdings bedacht, nicht auf ihm herumzutrampeln oder ihn zu verletzen, sondern fuhr ihm mit der Schnauze ins Gesicht und blies ihm seinen süßen Atem überallhin und trat dann zurück für einen neuen Angriff, sobald Styrbjörn wieder auf die Füße gekommen war. Schließlich hatten beide genug. Styrbjörn setzte sich schwer atmend auf den Boden, die Arme hinter sich aufgestützt. Moldi stand über ihm und wühlte seine haarige Schnauze in Styrbjörns Halsgrube zwischen Kiefer und Schlüsselbein. Styrbjörn rieb seine Wange an Moldis Nase wie eine Katze.

Nach einer Minute stand er auf. »Zum Hügel!«, rief er. Moldi wandte sich um und trabte in Gegenrichtung los. Styrbjörn fing ihn ein, und mit weniger heftigem Gerangel – denn sie waren jetzt beide abgekämpft und hatten kein Verlangen, sich ernsthaft zu messen, sondern taten nur so, wie um sich ihres Wettstreits zu erinnern – zog er ihn halb, halb lockte er ihn zum Grabhügel. Dort rasteten sie zusammen eine Stunde oder länger, derweil der eine seine Pfeilspitzen schäftete, der andere friedlich wiederkäute. Eine Meile oder mehr nach Osten, zu ihrer Linken, erhoben sich die Geröllhänge des Windbergriffs; südwärts wand sich zu ihren Füßen die Fyrisach durch die Auen unterhalb von Uppsala, wo das ausgedehnte Tiefland sich bis nach Sigtuna und zum Meer erstreckte; und im Westen lagen die fernen Berge von Upland schattengrau im Licht des Morgens.

Als Moldi genügend wiedergekäut hatte, stand er auf und stieß Styrbjörn sanft von hinten. Styrbjörn sprang auf und packte ihn bei den Hörnern, und wieder kämpften und rangen sie auf der Hügelkuppe, bis Styrbjörn Moldis Kopf seitwärts herumzwang und seinen Gegner niederwarf und ihn mit schierer Körperkraft am Boden hielt, den eignen Kopf fest gegen den des Tieres gepresst. Eine lange Zeit lagen sie so da, wobei Moldi dann und wann angestrengte Versuche machte, aufzustehen, Styrbjörn ihn mit aller Gewalt niederhielt und ihm die ganze Zeit in sein braunes, pelziges Ohr lachte.

Schließlich lag Moldi still, wie um einzugestehen, dass er für diesmal bezwungen war. Styrbjörn ließ los und rollte sich auf den Rücken. Seine Augen waren geschlossen, seine großen, muskulösen Arme nach beiden Seiten ausgebreitet, während seine rechte Hand in den warmen, weichen Tiefen wolligen Haares unter Moldis Wamme wühlte und seine linke sich öffnete und schloss, wie um die Steife in seinen Fingern zu lösen, die so lange die Hörner umklammert hatten. Seine Brust, breit und tief wie die weniger Männer vollen Alters, hob und senkte sich mit langen, tiefen Atemzügen. So lag er, mit geschlossenen Augen und halb offenem Mund, ein wenig wie ein Träumer, der im Schlaf lächelt; und wusste derweil doch nicht, wer sich hinter ihm leise den Hügel hinaufgestohlen und die ganze Zeit dort gestanden hatte, um auf das Treiben hinabzuschauen – das harte Keuchen von Junge und Stier, die Pracht von Styrbjörns starken Gliedern, jeder Muskel gespannt und hart im Kampf-, und immer noch dort stand und ihn schweigend beobachtete.

Eine hochgewachsene Maid war es, die da auf ihn herabsah. Sie hielt ihr dunkles Kleid in einer Hand gerefft, sodass die wohlgeformten Knöchel darunter zum Vorschein kamen. Ihr rotblondes Haar, mit goldenen Schnüren zu zwei dicken Zöpfen geflochten, reichte ihr zu beiden Seiten bis auf die Knie. Ihr Busen war fest, ihre Hüfte schmal, ihre Glieder waren rank und mit einer beinahe männlichen Ausstrahlung und Statur, doch anmutig über die Maßen. Ihre Haltung war wie das Drachenhaupt eines Kriegsschiffes, das sich durch aufgewühlte See kämpft, und ihr Antlitz – obzwar sie noch kaum zur Frau herangewachsen war – von jener Art und jenem Ausdruck, welche wohl der Königin Brynhild von alters her eigen gewesen und Gudrun vom Lachswassertal und anderer Frauen, die dazu geboren sind, Männer ins Verderben zu stürzen.

Doch war dies nicht Frau Gudrun, aus Island hergereist, noch Brynhild, Budlis Tochter, wiedergekehrt von ihrer einstigen Höllenfahrt und zurück von den Toten, die mit stolzem, ernstem Mund und unergründlichen dunkelbraunen Augen auf Styrbjörn blickte, während er mit Moldi auf seines Vaters Grabhügel rang; sondern Sigrid, Skögul-Tostis Tochter, des mächtigsten und angesehensten der Männer in Schweden, die keinen hohen Titel trugen, welche ein paar Tagesritte von zu Hause mit ihrem Vater als Festgast bei König Erik Björnssohn weilte.

Als Styrbjörn schließlich die Augen öffnete und sie sah, setzte er sich ein wenig unwirsch und verschämt auf und entbot ihr den Gruß. Er gab Moldi mit dem Handrücken einen Klaps auf die Nase, worauf dieser sich schwerfällig erhob und den Hügel hinuntertrottete.

»Welch seltsamer Sport«, sagte Sigrid. »Was für eine Art Kuh ist das?«

»Das ist keine Kuh«, sprach Styrbjörn, »es ist mein Stier. Er kommt aus dem Nordland, viele Tagesreisen jenseits von Helsingland. Sein Name ist Moldi.«

Er begann wieder an seinen Pfeilen herumzuschnitzen, um ihnen Spitzen anzupassen. Sigrid sah ihm zu, wobei sie sich von hinten über seine Schultern beugte. Styrbjörn nahm nicht mehr Notiz von ihr, als wäre sie sein Moschusochse gewesen. »Soll ich mich ein Weilchen zu dir setzen?«, fragte sie schließlich.

»Wie du willst«, antwortete er.

Sigrid setzte sich neben ihn nieder mit der Anmut eines Seevogels, der sich auf eine Welle niederlässt. Seine Schulter war ihr zugewandt. Er fuhr mit seiner Arbeit fort. Selbst unbeobachtet, saß sie still dort und sah zu, was er tat, doch am meisten sah sie ihn an.

»Pfeile sind Weiberwaffen«, sprach Styrbjörn nach einer Weile, während er am Schaft entlangblickte, um zu sehen, ob die Spitze gerade saß. »Ich weiß nicht, warum ich mich mit solchen Dingen abgebe.«

Sigrid sagte nichts, sondern beobachtete das Schwellen der Muskeln von Armen, Hals und Schultern, die großen, scharf gezeichneten Knie und das dichte und feste blonde Haar seines Hauptes.

»Mich wundert, dass du so allein an diesem Orte sitzt«, sagte sie.

Er gab keine Antwort. Sie war so nahe, dass sich ihr Atem, süß wie der Atem des Ochsen, mit dem seinen vermischte.

»Es gibt wenig Männer, die so stark sind, einen Stier niederzuringen«, sagte sie.

»Ab und an zwingt er mich auch in die Knie«, sprach Styrbjörn.

Sigrids Schulter berührte die seine, leicht wie der Flügelschlag einer Motte. Er wandte sich ein wenig zur Seite, indem er einen Pfeil niederlegte und einen andern aufnahm. Sie wandte sich auch, im Gegensinne. Ihr Gesicht flammte plötzlich rot auf und wurde so wild und hart, wie man es bei einem so zarten, jungen Mädchen kaum erwarten sollte. Eine lange Zeit schwiegen sie. Dann sprach Sigrid: »Ich habe nie gesehen, wie ein Mann erschlagen wurde, bis letzte Nacht.«

»Hat es dich erschreckt?«

»Nicht erschreckt«, sagte sie. »Du fängst jung damit an.« Sie sah ihn etwas seltsam an; ihre Augen glänzten.

»Ich habe ihn nicht grundlos getötet«, sprach Styrbjörn. »Er hätte mich erstochen. Du hast das gesehen?«

»Ja«, antwortete sie.

»Und ich werde keine Sühne für seinen Tod zahlen«, sprach Styrbjörn und wandte sich um, ihr ins Auge zu blicken. »Ich werde diese Bauernsöhne lehren, sich in Königshäusern besser zu betragen.«

Sie sagte nichts.

»Es ist gut, König zu sein«, meinte Styrbjörn nach einer Weile.

Sigrid schien ihn nicht gehört zu haben. Sie schaute mit verändertem Gesichtsausdruck südwärts über das Fyrisfeld. Styrbjörn blickte auf und sah sie so starren, weitäugig, wie in Furcht, als sähe sie in jenen schweigenden Auen ein seltsam Ding, welches bis jetzt verborgen gewesen.

»Würdest du nicht Königin sein wollen, Sigrid«, fragte er, »wenn man es dir anböte?«

Immer noch sprach sie kein Wort. In diesem Augenblick verbarg eine Wolke die Sonne. Das Mädchen zitterte.

»Würdest du’s nicht?«, sprach Styrbjörn.

»Was nicht?«, fragte sie, wieder schaudernd, und wandte sich um, ihn anzuschauen. »Ich habe nicht gehört, was du gesagt hast.«

»Königin sein wollen«, wiederholte Styrbjörn.

»Ja«, sprach sie.

»Warum schaust du dann so, als hättest du etwas gesehen?«

»Es ist nichts«, sprach sie. Doch sie sah in seinen Augen, dass ihr Blick ihre Worte Lügen strafte. »Nichts«, wiederholte sie. »Du bist nur ein Kind, Styrbjörn, auch wenn du gestern Abend einen Mann erschlagen hast.«

»Etwas zu kindisch«, meinte er stirnrunzelnd, »geht es mit meinen Belangen. Es tat nicht not, mir das in den Hals zu würgen.«

Sigrid schauderte und sprach: »Komm weg von diesem Ort. Ich bin drei Jahre älter als du und kann Dinge sehen, die du nicht sehen kannst. Die Toten sind an diesem Ort. Komm mit.«

Doch Styrbjörn rührte sich nicht von seinem Sitz. Er nahm einen andern Pfeil, dann meinte er mit abfälligem Lächeln zu ihr: »Du bist eine Frau, Sigrid. Frauen haben immer Angst vor Geistern und Unholden. Die Lebenden sind an diesem Ort: du und ich; nicht die Toten. Und lieb ist dieser Ort mir: ’s ist ein Ort von Königen. Und wenn es einen Toten hier gibt, ist es König Olaf, mein Vater.«

Er sah wieder zu ihr auf. Ihre Augen waren auf ihn gerichtet, doch war’s, als sähe sie ihn nicht. Sie sah gespenstisch aus. Er sprang auf und fasste sie am Arm, ein wenig erfüllt von Reue wegen seiner Grobheit und ein wenig berührt von der Gegenwart ihres seltsamen, sprachlosen Schreckens; so wie selbst ein selten kaltblütiger Mann, der allein mit seinem Hund bei Nacht in einem einsamen Hause sitzt, den Hund starren sieht und knurren hört, als ob ein unsichtbares Wesen im Raume stehe, in sich ein entsprechendes Beben verspüren wird. »Komm«, sagte er, »ich werde mit dir gehen. Es gibt nichts zu fürchten. Komm.«

  2. Thorgnyr der Rechtssprecher

 

  Nun gab es große Unzufriedenheit unter dem gemeinen Volk ob des Totschlags an Aki und viel Murren wider Styrbjörn und seine Gesetzwidrigkeit und Überhebung, dass er so den Mann erschlagen und kein Wergeid dafür zahlen sollte. Am Ende zahlte es der König selbst, und so verstummten diese Stimmen fürs erste.

Als es Frühling war, zog der König nordwärts in die Küstengebiete von Helsingland und nach Jarnbera-Land auf Gastreise, und es war Hochsommer, als er mit seiner Leibwache zu dem hohen Arm des Fjords gegenüber von Sigtuna hinabgeritten kam. Es war ein windiger Tag. Nebel machte die ganze Landschaft grau und gespenstisch, hüllte die Hügel und Wälder ein und tauchte Wasser und Luft in ein und dasselbe blasse, farblose Grau; nur dass das Wasser dunkler war von den unzähligen kleinen Schatten der eilenden Wellen, und hie und da zeigte sich schemenhaft ein Riff und dagegen das Aufblitzen der Brecher, die hochsprangen und in sich zusammenfielen. Schwarze Böen stießen wie Vögel herab und jagten einander, huschten im Zickzack weit umher, kreuzten und wendeten, immer mit kleinen glasglatten Streifen ruhigen Wassers an den Rändern. Und es gab schnell wechselnde Spuren von Wind und Strömung, als kreuzten ein weißes und ein schwarzes Schwert auf der rauhen Oberfläche des Fjords die Klingen.

Ein Mann auf einem dunklen Pferd kam vom Ufer herauf dem König entgegengeritten. Der König erkannte ihn als Jarl Ulf.

»Dein Gesicht verheißt Unheil«, sprach der König. »Was ist geschehen?«

Der Jarl sprach ihm ins Ohr, wie einer, der sich einer schweren und drückenden Last entledigt und derweil fürchtet, dass ihm Schlimmes widerfahre, wie es manchmal denen ergeht, die Königen schlechte Kunde bringen. Eine reizende Geschichte fürwahr hatte der Jarl zu erzählen: von einem Thing, das in Uppsala gegen alles Gesetz einberufen worden war, da der König nicht zugegen war; und auf dem Thing habe es Streit gegeben zwischen dem gemeinen Volk auf der einen Seite und Styrbjörn und seinen Freunden auf der andern, wobei der ganze Fall von Akis Totschlag neu ausgegraben worden sei und all ihre alten Rechnungen gegen Styrbjörn, bis schließlich Styrbjörn laut gesagt habe, dass er von seines Vaters Recht König des halben Schwedenreiches sei, und das sollten sie zu ihrem Leidwesen lernen. Worauf es großen Aufruhr unter den Gemeinen gegeben habe, die sich am Ende so erkühnten, dass sie sich nicht scheuten, an seiner Statt einem gewissen Lambi den Weißen, einem Mann vom Stocksund in Zehntland, den Königstitel jener Hälfte des Reiches beizulegen, die Styrbjörn beanspruchte; und damit endete das Thing im Aufruhr, sodass es nur wenig gefehlt hätte, und es wäre eine Schlacht zwischen des Königs Mannen und den Gemeinen ausgebrochen.

Der König hörte ihn an und war dann eine kleine Weile stumm; sein Gesicht war umwölkt. Schließlich sprach er: »Es stimmt im Großen und Ganzen mit dem überein, was ich davon bereits weiß.«

»Ihr wusstet es bereits?«, sprach der Jarl, höchst erstaunt.

»Der König hat viele Ohren. War Thorgnyr nicht da, um sie aufzuhalten, als sie diese Wahl abhielten?«, fragte der König.

»Er war dort, das ist wohl gewiss«, sprach Jarl Ulf. »Aber er tat wenig, sie aufzuhalten.«

»Ich traue Thorgnyr in allen anderen Dingen«, sprach der König, »doch nicht in irgend etwas, das Styrbjörn betrifft. Er ist immer gegen ihn gewesen.«

Der Jarl schwieg.

»War Thorgnyr dabei«, fragte der König, »als sie anfingen, mit Steinen und Dreck zu werfen, um euch von dem Thing zu vertreiben, dich und Styrbjörn?«

»Das wisst Ihr auch schon, Herr?«, sprach der Jarl. »Ich hatte gedacht. Euch das später zu erzählen, um nicht gleich ein zu heißes Feuer des Zornes in Euch zu entfachen. Und doch: ein schönes Treffen, eine schöne Beschämung. Es wäre gut, einigen von ihnen die Erinnerung an diese Steine ins Fell zu gerben.«

»Du hast mir nicht geantwortet«, sprach König Erik. »War Thorgnyr dabei, als sie euch mit Steinen vom Thing vertrieben?«

»Herr, ich will Euch nicht anlügen«, antwortete der Jarl; »er war es nicht. Im Gegenteil, mich dünkt, dass Thorgnyr inmitten dieses Aufruhrs nichts mehr glich als einem ungeschickten Koch, der sich einen Kessel voller Unheil bereitet und ihn auf den Herd gestellt hat, bis er brodelt, und zu spät erkennt, dass er nicht genug Kraft in seinen dünnen, schmächtigen Armen besitzt, um ihn wieder vom Feuer zu heben, ehe die Suppe überkocht.«

»Ich muss mit Thorgnyr sprechen«, sagte der König. »Hast du ein Boot hier, um nach Sigtuna überzusetzen?«

Der Jarl führte ihn hinab zum Wasser und zeigte ihm drei Schiffe, genug, um den König und sein ganzes Gefolge aufzunehmen. Die beiden blieben zusammen am Ufer stehen, während des Königs Mannen einstiegen. Jarl Ulf sah so zornig aus, wie ein Mann nur sein konnte, kaute an seinem Schnurrbart und spuckte die Haare aus. Der König ließ ihn in seinem Saft gären, solange es ihn gut dünkte; dann, als er der Unterhaltung müde wurde, sprach er: »Hab keine Angst, mir frei zu sagen, was dich recht dünkt. Wenn ich willens bin, Thorgnyr anzuhören, wieviel mehr dich, der du in dieser Sache schuldlos bist?«

»Habt meinen Dank dafür, Herr«, sprach der Jarl. »Er ist dein Hund, ich will’s nicht bestreiten. Doch hier, wo es Styrbjörn berührt, wollt Ihr Thorgnyr anhören? Wollt Euch das anhören? Wie? Dieser Lambi, dieser Mann von nichts, dieser Lumpensack, erwählt und ausgerufen – unzweifelhaft gegen das Gesetz – als Mitkönig an Eures edlen jungen Gesippen Statt? Und Ihr wollt Thorgnyr hören? Wollt mit ihm Worte wechseln?«

»Was machst du so ein Gesicht?«, fragte der König.

»’s war nicht so in Schweden vordem«, sprach Jarl Ulf in einem heißen Grimm, entfacht von dem Wind seiner eignen zornigen Rede. »Verbrannte nicht einst König Ingjald der Arglistige sechs Könige in Uppsala, weil er keinem Menschen Anteil an seinem Reiche geben wollte? Wollt Ihr die Schande ...«, doch hier hielt er inne in seiner Rede, da ihm die Aufwallung seine nüchternen Sinne nicht so völlig benebelt hatte, dass er nicht den Blick in des Königs Auge bemerkt hätte, der sich plötzlich gegen ihn gerichtet hatte, und dadurch zum Einlenken gezwungen worden wäre.

»Schande in etwas zu sehen, das nicht schändlich ist«, sprach der König nach einer Weile, sehr leise, »ist eines Narren, nicht eines Königs würdig. Und das von dir, der du den Ruf hast, ein großer Schiffslenker zu sein! Ja«, sagte der König, »das bringt mich auf einen Gedanken: Das kleine Ruderboot dort sollte uns genügen.« Da war ein kleines Boot, etwa fünfzehn Fuß lang, das zu einem der großen Schiffe gehörte, und der König ließ den Jarl einsteigen und ablegen, nur mit ihnen zweien. Der König hieß Jarl Ulf, im Heck Platz zu nehmen und zu steuern, und er gebot ihm, das Segel zu hissen und Kurs auf Sigtuna zu nehmen. »Jetzt will ich etwas von deiner Seemannskunst sehen«, sprach der König.

Der Jarl segelte mit viel Geschick und hielt seinen Kurs so genau, wie ein Mann es in jenem stürmischen Wetter nur konnte, doch dann und wann, wenn eine Bö ihn mittschiffs traf, musste er halsen oder vor dem Wind kreuzen

»Ist es so, wie ich denke«, sprach der König, »dass deine Taten nicht mit deinen lautstarken Worten mithalten? Zurr das Segel fest und halte das Boot auf einem geraden Kurs nach Sigtuna, oder es wird dir übel ergehn.« Noch wollte er auf die Einwände des Jarls hören, sondern drohte ihm mit einem großen Speer mit einer fußlangen eisernen Spitze; sodass der Jarl gehorchte, und im Nu kenterte das Boot, und König und Jarl wurden ins Wasser geschleudert.

Als die Leute bei den Schiffen dies sahen, erhoben sie ein großes Geschrei und ließen ein Ruderbot zu Wasser, doch der König und der Jarl waren beide gute Schwimmer und hatten bereits das Ufer erreicht, ehe die anderen mit ihrer Rettungsaktion recht begonnen hatten. Der König schüttelte sich wie ein Hund und begann zu lachen, ein lautes, dröhnendes Gelächter. Er schlug Jarl Ulf auf die Schulter, der dort stand wie einer, der nicht wusste, ob er lachen oder grollen sollte, und das Wasser aus seiner Hose und seinem Kittel wrang. »Lass mich allein über Schweden herrschen«, sprach der König; »und du tu deinen Teil, indem du deinen Ziehsohn mit gutem und heilsamem Rat anleitest. Und lehre ihn nicht deine Art der Seemannskunst, sondern meine. Denn eines ist sicher, es gibt kein Ufer, an das man sich retten kann, wie hier, wenn Königreiche ins Kentern geraten.«

 

Thorgnyr Thorgnyrssohn der Rechtssprecher kam am Abend desselben Tages, dem Geheiß des Königs folgend, um mit ihm in einem kleinen beheizten Gemach eine Unterredung zu führen, wo der König zu sitzen pflegte, wenn er für sich sein wollte. Der König ließ Thorgnyr auf einem Schemel zu seinen Füßen Platz nehmen. Alt an Jahren war Thorgnyr, und sein Haupt war lang und weiß, mit tief gefurchter Stirn und großen, buschigen Brauen, die seine Augen überschatteten, und seine Wangen waren hohl und faltig und seine Nase wie ein Adlerschnabel. Sein Kopf war kahl.

Der König sprach: »Gevögel und Getier, zu Schwärmen und Horden zusammengerottet: Ist es das, was du aus dem Schwedenreich machen willst, Thorgnyr?«