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Christian Günther | Werner Reichel (Hg.)

INFANTIL
ISMUS

Der Nanny-Staat
und seine Kinder

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Inhalt

Christian Günther

Vorwort – Reise ins Nimmerland

Birgit Kelle

Betreut statt regiert

René Zeyer

Die Kinder der Aufklärung

Eva-Maria Michels

Gesellschaftlicher Infantilismus und Gewalt, die siamesischen Zwillinge

Beatrix Pirchner

Utopie frisst Realität

Henning Lindhoff

Ein Rumpelstilzchen namens Staat Der Krieg gegen die Zukunft und die Rettung der Liebe

Martin Lichtmesz

Buntheit und Vielfalt

Michael Ley

Politischer Infantilismus: Die Achtundsechziger

Andreas Tögel

Der Wohlfahrtsstaat leistet ganze Arbeit

Werner Reichel

Ich mach‘ mir die Welt, wie sie mir gefällt

Autoren

Impressum

Christian Günther

Reise ins Nimmerland

Er war ein wundervoller Junge, gekleidet in den Skeletten von Blättern und den Säften, die aus den Bäumen sickern, aber das bezauberndste an ihm war, dass er immer noch seine ersten Zähne hatte.1 Peter Pan, der Inbegriff des „Nichterwachsenen“, dessen durchaus gefährliche Abenteuer und Eskapaden gerne mit einem Augenzwinkern als Feengeschichte oder Kindermärchen abgetan werden, hat es geschafft, über die Literaturgeschichte hinaus Synonym für einen Geisteszustand geworden zu sein, der unsere heutige Gesellschaft beherrscht. Die Infantilisierung sämtlicher Lebensbereiche von der Spaßpädagogik der Spätachtundsechziger über die Optimierung von „Blödmaschinen“2 bis hin zur ins Groteske übersteigerten „For Ever Young“-Kultur mit all ihren Nebenwirkungen wie der boomenden plastischen Chirurgie und dem in der Mittagspause verabreichten Nervengift Botox, erzeugt eine Geisteshaltung, in der Verantwortung, Ernsthaftigkeit, Disziplin, Authentizität und Wahrhaftigkeit verbotenes Terrain sind. Wer mit Verweigerung von Verantwortung, dem Negieren von Realität, dem egomanischen Ausleben von Phantasien und mit dem Vortäuschen von Kompetenz erfolgreich sein kann, will nichts anderes mehr unternehmen müssen, um erfolgreich zu sein. Das faltenfreie kindliche Gemüt und dessen Aufrechterhaltung um jeden Preis ist in den letzten fünfunddreißig Jahren offensichtlich zur wichtigsten Errungenschaft der so genannten modernen Gesellschaft geworden. Alles was an Erwachsensein diesem Credo entgegensteht, wurde und wird sukzessive ausgemerzt.

Die Nivellierung der Bildungsstandards nach unten, die darauf folgende ordnungspolitische Regulierungswut der Regierenden bei gleichzeitiger Aushebelung gesetzlich gültiger Bestimmungen unter dem Vorwand einer vermeintlich „höheren Verantwortungsethik“3, schaffte und schafft ein Klima kindlicher und kindischer Verhaltensweisen. Kindlich, weil unbelastet von Erfahrungswerten mit der Direktheit und Kompromisslosigkeit spielender Kinder auf höchster Ebene agiert wird, und kindisch, weil wenn etwas schief geht, immer andere schuld sind. Homo ludens und Homo faber, der „spielende“ und der „schaffende“ Mensch, begeben sich in immer gravierendere Opposition. Was die einen mühevoll erarbeiten, wird von den anderen leichtfertig verspielt. „Das Geld anderer für anderes ausgeben“ ist zur Maxime politischen Handelns geworden und wird ungeniert für rechtens erklärt. Analog zum Kinderauszählreim „Ich und du, Müllers Kuh, Müllers Esel, der bis du“ werden zuwider Argumentierende aussortiert und kurzer Hand in der Öffentlichkeit als asozial oder gar rechtsextrem diffamiert. Von der Diskussion um bedingungslose Grundeinkommen, Wertschöpfungsabgabe („Maschinensteuer“) über die „Umverteilung“ von Flüchtlingen aus muslimischen Ländern auf völlig andersgeartete europäische Kulturen bis hin zur Etablierung von „Gender Studies“4 (Geschlechterforschung) zu Lasten produktiver Wissenschaftszweige zieht sich ein roter Faden infantiler Vorgehensweisen.

Entschieden wird nicht an Hand von Daten und Fakten, sondern auf Grundlage ideologischer Ausrichtungen und zugunsten der Bedürfnisse der damit entsprechend verbundenen Klientel. Mit der Forderung nach dem bedingungslosen Grundeinkommen wird gleichzeitig die Frage der sozialen Kompetenz als Maß aller Menschlichkeit interpretiert, das Hinterfragen der Finanzierbarkeit und sozialen Auswirkungen (Einwanderung in den Sozialstaat) eines solchen Grundeinkommens wird indes als gestrig und nicht zukunftsorientiert verurteilt.

Der Weg, den die infantile Gesellschaft dermaßen gerüstet beschreitet, ist auch dementsprechend unbestimmt und vage, genau wie die große Reise Peter Pans und seiner Wendy. „So näherten sie sich, abgesehen von vereinzelten Streitereien, im Großen und Ganzen recht ausgelassen dem Nimmerland. Nach vielen Monden erreichten sie es endlich und das obwohl sie mehr oder weniger die ganze Zeit geradeaus geflogen waren. Sie verdankten es weniger Peters oder Tinks Führung als vielmehr der Insel, die nach ihnen suchte – denn nur dann wird man die magischen Küsten zu sehen bekommen.“5 Die magischen Küsten des Nimmerlandes sind allerdings ein trügerisches Bild, denn auf der Insel Nimmerland herrschen raue Sitten, Piraten jagen Kinder, Indianer jagen Piraten und wilde Tiere jagen Indianer. Tatsächlich herrscht Anarchie im Nimmerland, eine wie immer geartete Ordnung existiert nicht, jeder kämpft gegen jeden, de facto geht es ums pure Überleben. Die infantilen Heilsversprechungen der Regierenden vom sorgenfreien Sozialstaat „Nimmerland“ steuern in diese Richtung. Gespeist aus gierigem Drang zum Machterhalt, liegt das Heil dieser Versprechungen freilich nur im Moment des Vortrags, um vom so geblendeten Wähler die Berechtigung für Stimme, Sitz und reichliche Apanage zu erpressen. Das gepriesene Nimmerland ist dann alles andere als ein Paradies, nämlich grausam und groß, wo nur die Wirklichkeit herrscht, die außer Besitz und Macht nichts gelten lässt. Konsequenterweise wird daher die Herrschaft des Infantilen dann auch eine Schreckensherrschaft sein. Ein Terrorregime, das in der Abhaltung öffentlicher Massenveranstaltungen („Events“), mit dem herbeigeschriebenen Hype um die Role Models des verordneten Mainstreams und reichlich Subvention seine Legitimation finden will. Was freilich nur so lange funktionieren wird, so lange Geld von den Leistungswilligen zu den Leistungsunwilligen/-unfähigen transferiert werden kann. Reißt dieser Geldstrom aus welchen Gründen auch immer ab, dann stürzt das Regime ins Bodenlose. Die Protagonisten des Infantilismus werden daher alles unternehmen, um diesen Geldstrom aufrecht zu erhalten. Und wie wir aus der Geschichte wissen, steht für die Wahl der Mittel eine breite Palette zur Verfügung.

1 James M. Barrie „Peter Pan“

2 vgl. Markus Metz, Georg Seeßlen: „Blödmaschinen – Die Fabrikation der Stupidität“ (Suhrkamp 2001)

3 Zeitungskommentatoren hinterlegen den von der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel in Bezug auf die Flüchtlingskrise geäußerten Satz „Wir schaffen das“ u.a. mit einer „protestantisch-verantwortungsethischen Komponente“ (Die Welt vom 25.12.2015, Robin Alexander: „Merkel steht vor einer historisch paradoxen Situation“)

4 „Die meisten Leute, die nicht im Universitätsbetrieb stecken, können sich unter den Wörtern „Gender“, „Gender Mainstreaming“ und „Gender Studies“ nicht viel vorstellen. Letzteres ist wahrscheinlich der am schnellsten wachsende Wissenschaftszweig in Deutschland. 2011 gab es 173 Genderprofessuren an deutschen Unis und Fachhochschulen, die fast ausschließlich mit Frauen besetzt werden. Die Förderung dieses Faches gehört zu den erklärten bildungspolitischen Zielen der Bundesregierung, SPD und Grüne sind auch dafür. Die Slawisten zum Beispiel, mit etwa 100 Professoren, sind von den Genderstudies bereits locker überholt worden. Die Paläontologie, die für die Klimaforschung und die Erdölindustrie recht nützlich ist, hat seit 1997 bei uns 21 Lehrstühle verloren. In der gleichen Zeit wurden 30 neue Genderprofessuren eingerichtet.“ (Aus: Zeit-Online- 06. Juni 2013-Harald Martenstein: „Schlecht, schlechter, Geschlecht“)

5 James M. Barrie „Peter Pan“

Birgit Kelle

Betreut statt regiert

Im Frühjahr 2016 überraschte die Meldung in den Medien, Ausmalbücher für Erwachsene lägen voll im Trend. Weltweit gibt es tatsächlich Millionen-Bestseller, die deutschen Buntstift-Hersteller meldeten Lieferengpässe, denn große Kinder, die Bücher ausmalen, schienen neuerdings ganz verzückt angesichts von Mandala-Vorlagen, ausmalbaren Zauberwäldern oder auch Phantasiemustern. Buntstifte sind das neue Yoga in einer komplizierten, schnellen Welt, in der sich Erwachsene offenbar nach Einfachheit, Struktur und Schablonen sehnen. Kinder an die Macht, sang einst Herbert Grönemeyer seinen Erfolgshit, fast scheint es so, als wollten die Kinder aus besten Grönemeyer-Zeiten heute nicht mehr erwachsen werden. Auch damit sind sie voll im Trend. Während wir Kinder neuerdings wie kleine Erwachsene behandeln, benehmen sich Erwachsene stattdessen wie Kinder. Und es stört nicht einmal jemanden, es ist stattdessen hip. Mütter tragen die Klamotten ihrer Teenager-Töchter, flechten sich Zöpfchen und melden Instagram-Profile an. Männer hingegen verweilen immer länger im „Hotel Mama“, scheuen zunehmend Verantwortung für eine eigene Familie oder gar Kinder und bleiben lieber länger große Jungs. Sie wollen ja letztendlich auch nur spielen, und außerdem macht Mutti schließlich so schön die Wäsche, und bei ihr schmeckt es auch am besten.

Verlängerte Kindheit hat den Vorteil, dass sie bequem ist. Bevormundung hat den Vorteil, dass man nie Schuld trägt. Freiheit ist hingegen eine anstrengende Angelegenheit. Sie erfordert Entscheidungen. Ständig, immer wieder neu. Sie macht Irrtümer möglich und auch ein fatales Scheitern. Wer zwischen Optionen wählen kann – und diese werden in zahlreichen Lebensbereichen immer mehr – muss eine Wahl treffen und dann die Konsequenzen ausbaden. Gleichzeitig kann er die Schuld dessen, was er auslöst, was er nicht erreicht hat, die Schuld an allem, was schief geht, nicht mehr auf andere schieben. Er hat es ja selbst so gewollt. Wie angenehm und einfach ist es doch, wenn jemand einem die gute Entscheidung abnimmt, nicht wahr? Wenn man einfach auf die „Anderen“ schimpfen kann, auf „die da oben“ oder „die Politiker“, „die Parteien“ etc. Wie praktisch, wenn der Schuldige schon parat steht. Noch einfacher wird es, wenn die Frage, was denn gut für uns ist, nicht mehr mühsam und individuell, oder gar immer mal wieder neu reflektiert werden muss, sondern auch diese Antwort von der Gesellschaft und der Politik gleich mitgeliefert wird. Am besten in einer Gruppensitzung oder einem therapeutischen Stuhlkreis.

„Das Wir entscheidet“, mit diesem Wahlkampfslogan startete die SPD im Jahr 2013 in den deutschen Bundestagswahlkampf, und ja, es hörte sich spontan so sympathisch an. Wollen wir nicht alle immer zusammenstehen, Solidarität zeigen und gemeinsam in den sozialistischen Sonnenuntergang marschieren? Neuerdings schaffen „Wir“ das auch alles in Deutschland. Keiner weiß genau, was das sein wird, was wir da schaffen und was es uns abverlangt oder gar kosten wird oder wer „Wir“ überhaupt sind, aber hört es sich nicht großartig an, dieses „Wir“? Ein „Wir“ schafft Identifikation und Zugehörigkeit. Zumindest theoretisch, und wenn man schlau genug ist, mit der „richtigen“ Gesinnung zum „richtigen“ Wir zu gehören. Denn wenn das „Wir“ entscheidet, dann ist für das „Ich“ kein Platz mehr. Das „Wir“ weiß dann alles besser und definiert das Gute und Richtige.

Um der Bevölkerung die Vorteile eines kollektiven „Wir“ schmackhaft zu machen, braucht es im Sozialstaat nicht viel. Der bevormundende Nanny-Staat ist für viele seiner willigen Kinder keine Bedrohung mehr, sondern gern gesehener Service-Dienstleister zur Erfüllung von Ansprüchen. In Zeiten, in denen immer mehr Menschen direkt und indirekt für den Staatsapparat arbeiten und immer mehr Menschen finanziell durch Sozialleistungen vom Staat abhängig sind, wird der Boden bereitet für eine Denkweise, die die allgegenwärtige Zuständigkeit des Staates bis hin in die privatesten Angelegenheiten nicht mehr als rechtswidrigen Eingriff in das Privatleben betrachtet. Auch nicht als Einschränkung der Freiheit, sondern vielmehr als willkommene Anspruchshaltung gegen den Staat. So wie ein Kind die Autorität der Eltern akzeptiert, solange das neue iPhone und täglich drei Mahlzeiten inklusive sind – die Eltern werden schon wissen, was sie tun, schließlich sind sie diejenigen, die für mich sorgen und sich um mich kümmern – so wird das allgegenwärtige Kümmern des Staates als Ausdruck sozialer Hingabe dankbar angenommen. Verstärkt wird dieser Trend durch das Auseinanderbrechen von Familienverbänden, die früher in der Not das Individuum immer aufgefangen haben. Mit zunehmender Individualisierung vor allem im urbanen Bereich, geht der sichere Hafen der Großfamilie verloren, das Vakuum wird mit staatlicher Fürsorge gefüllt. Wir ziehen gerade eine Kinder-Generation groß, für die die Sorge durch Fremde bald größere Normalität besitzt als die Sorge durch ihre eigenen, biologischen Eltern. Die ältere Generation, die mit wachsender Zahl den Trend der sozialen Vereinsamung bereits in Altersheimen von innen begutachten kann, hat nicht mehr die Kraft, sich dagegen zu wehren. Und die Kinder von morgen werden gar nicht mehr wissen, dass es früher auch einmal möglich war, ohne den Staat groß zu werden. Wie praktisch.

Da wird auf den Staat vertraut, jedenfalls solange er uns hegt und pflegt. Es ist sicher kein Zufall, dass der Glaube an und der Ruf nach dem (Sozial-)Staat in Deutschland in den neuen Bundesländern besonders weit verbreitet ist. Zu kurz scheint dort noch die Erfahrung mit der Freiheit zu sein, als dass sie flächendeckend als Errungenschaft betrachtet wird. Wer in der DDR groß wurde, war Kind im Sozialismus. Man musste nicht denken und man sollte es auch nicht. Man bekam den Job zugeteilt und die Zwei-Raum-Wohnung zum neuen Eheglück. Es gab keine Arbeitslosigkeit, aber auch nichts zu kaufen, das aber für alle einheitlich. Der Staat plante die Bedürfnisse seiner Bevölkerung und steuerte sie durch richtige Erziehung der Kinder im Kollektiv von Kindesbeinen an in die richtige Richtung. Und so ist bis heute der Trend zu beobachten, dass die Fremdbetreuung von Kindern in den neuen Bundesländern der Bundesrepublik mit großer Selbstverständlichkeit angenommen und auch eingefordert wird. Während im alten Bundesgebiet in manchen Landstrichen kaum zehn Prozent der Kinder unter drei Jahren bereits den Tag in einer staatlichen Krippe verbringen, sind es im alten DDR-Staatsgebiet teilweise 80 bis 90 Prozent aller Kinder, die im Durchschnitt acht Stunden täglich unter staatlicher Aufsicht verbringen. Exot ist dort heute die Familie, die ihre Kinder noch selbst betreut.

Die deutsche Einheit, die Wende hin zur Freiheit, hat nicht allen Bewohnern der ehemaligen DDR die von Kohl versprochenen „blühenden Landschaften“ gebracht. Nicht wenige verloren ihre Arbeitsplätze, ihr Zuhause und die Sicherheit, dass der Staat es schon immer richten werde, so wie man es von früher gewohnt war. Selten zeigte sich so deutlich mitten im Europa des 20. Jahrhunderts, dass Freiheit, Demokratie und Eigenverantwortung Errungenschaften sind, die kultiviert werden müssen, damit sie als Bereicherung und nicht als Bedrohung betrachtet werden. Für diejenigen, die schon zu DDR-Zeiten den Bevormundungsstaat als ein ständiges Ärgernis betrachteten, stellt die Politik heute hingegen einiges an Déjà-vus bereit und die Erkenntnis, dass staatliche Allmachts-Phantasien viele Namen haben können zwischen Kommunismus und moderner Familienpolitik.

Und so werden wir nahezu schleichend nicht mehr regiert, wir werden betreut – und zwar vom Kreißsaal bis zur Bahre. Der Staat erstickt uns mit seiner Fürsorglichkeit und behandelt uns gleichzeitig wie unmündige Kinder. Natürlich immer nur zu unserem Besten. Wir schlittern in eine Gesellschaft, die sich im Kollektiv auflöst. „Das Wir entscheidet“, und das ist keine Verheißung, das ist eine neue Bedrohung.

Das erstaunlichste an dieser Entwicklung ist gar nicht, wie widerstandslos sich die Bevölkerung ihrer eigenen Entmündigung ergibt, sondern mit welcher Selbstverständlichkeit inzwischen eine Politikerklasse am Werke ist, die diese Entmündigung gar für legitim und geboten hält. Besonders apart ist dies bei der Partei der Grünen zu beobachten. Einst entstanden als Bürgerbegehren gegen die Autorität des Staates, sind sie heute zur größten autoritären, staatsgläubigen Kraft herangewachsen und inzwischen als „Verbotspartei“ verspottet. Dabei reicht es ihnen nicht, den Menschen Genussmittel wie das Rauchen zu verbieten, Autofahren, Flugreisen, zu große Portionen auf dem Restaurant-Teller, Cola oder Süßigkeiten für Kinder – alles steht aus grüner Weltsicht auf dem Index.

In Deutschland war es vermutlich der Vorschlag des „Veggie-Days“, der das Fass bei der Bevölkerung dann doch zum Überlaufen und die Grünen zum Zurückrudern brachte. In einem kurzen Anfall von Wahnsinn hatten sich die Grünen der Idee hingegeben, einen verpflichtenden vegetarischen Tag in Kantinen im gesamten Bundesgebiet einführen zu wollen, um die Bevölkerung zumindest an einem Tag der Woche zu gesundem, fleischlosem Essen zu zwingen. Längst reicht es ihnen nicht mehr, klimaneutrales Verhalten einzufordern und an die Einsicht der Bevölkerung zu appellieren, inzwischen glaubt man sich im Recht, wenn man das Volk zu seinem Besten notfalls zwingt. Deutschland ist so betrachtet ein großartiges Land, solange man seine Steuern zahlt, den Müll in die fünf verschiedenen Tonnen trennt, nicht raucht und auf keinen Fall versucht, einen Baum zu fällen, ohne vorher eine amtliche Genehmigung einzuholen, selbst dann, wenn dieser Baum auf dem eigenen Grundstück steht. Gerade diskutieren die Grünen in Deutschland allen Ernstes ein Gesetz, das Fleisch künstlich verteuern soll durch einen Mindestpreis, damit sich die Bürger täglichen Fleischgenuss nicht mehr leisten können und so faktisch endlich klimaneutral und vegan agieren. Tabaksteuer hoch, damit wir nicht rauchen. Benzinsteuer hoch, damit wir nicht Autofahren. Fleisch verteuern, vegetarisch gesetzlich verordnen. Renitente werden sozial geächtet, und jetzt müssen nur noch die Kinder auf Spur gebracht werden zur Schaffung einer neuen Gesellschaft, auch wenn die Eltern vereinzelt noch Widerstand zeigen.

Und auch genau hier zeigt sich der gesellschaftliche Wechsel gerade bei den Grünen am besten, die einst antraten, um Kinder aus der Autorität der Eltern zu befreien, jetzt aber in einem gemeinsamen Chor singen mit allen anderen Parteien, die Kinder am liebsten aus dem Kreißsaal direkt in die nächste staatliche Krippe schleppen wollen. Als die Linken, Alternativen mit ihrer 68er Bewegung einst starteten, waren die sogenannten „Kinderläden“ Teil des politischen Plans. Kinder sollten frei von Regeln spielen dürfen, ohne Anleitung, schon gar nicht durch Erwachsene. Jede Form von elterlicher oder gar staatlicher Autorität war verpönt, galt doch das Mantra, dass durch diesen Autoritätsglauben und „Muff“ der Elterngeneration die Gräueltaten des Nationalsozialismus erst möglich geworden waren. Heute marschieren die Grünen an vorderster Front, wenn es darum geht, zu argumentieren, wieso Kinder so früh wie möglich in die Obhut des Staates gelangen sollen.

Als in Deutschland die Debatte zu dem sogenannten „Betreuungsgeld“ die Gemüter erhitzte, 150 Euro, die monatlich denjenigen Eltern gezahlt werden sollte, die keinen staatlichen Krippenplatz in Anspruch nehmen, sondern stattdessen ihre Kinder noch selbst erziehen, entblödeten sich die Grünen nicht, eine Plakatkampagne zum Thema zu lancieren. Darauf zu sehen, dass die Kinder zu Haus vor Flachbildschirmen dahinvegetieren, während die Kinder in der Kita fröhlich spielten. Was wollte man so auch bildlich darstellen: Eltern können es nicht, sie lassen ihre Kinder intellektuell verwahrlosen. Die SPD nannte das „Betreuungsgeld“ adäquat eine „Fernhalteprämie“, weil es Kinder angeblich von wertvoller Bildung in der Krippe fernhält, wenn sie bei ihren Eltern verweilen. Willkommen im Wir, das besser weiß, was für die Kinder des Staates gut ist.

Und deswegen schreitet die Bevormundung des Staates am schnellsten und gefährlichsten im Bereich der Familienpolitik voran. Auch hier ist selbstverständlich niemals von Bevormundung die Rede, man will nur unser Bestes. Die Frau zum Beispiel wird nach dieser Logik emanzipiert und befreit. Sie muss sich nicht mehr um ihre eigenen Kinder kümmern, sie „darf“ sich stattdessen endlich auf dem Arbeitsmarkt aufreiben. Die Partnerschaften von Mann und Frau werden nicht mehr der individuellen Lebensgestaltung überlassen, wo kommen wir schließlich hin, wenn jedes Paar alleine entscheidet, wer die Kinder großzieht und wer das Geld verdient, stattdessen definiert das Familienministerium Partnerschaften einfach mal neu. „Partnerschaftlich“ ist also laut Regierungsdefinition eine Ehe erst dann, wenn jeder gleich viel von allem tut. Mann und Frau sich Haushalt, Kinder und Erwerbsleben 50:50 teilen. Die meisten Ehen müssten nach diesem Modell von Staats wegen zwangsweise aufgelöst werden, weil einfach nicht geschlechtssensibel genug. Dafür fehlt aber Familienministerin Schwesig noch die Rechtsgrundlage, einfacher ist es da, die staatliche Gesetzgebung so zu lenken, dass es den Menschen „vernünftig“ erscheint, sich staatskonform zu verhalten. Im Familienrecht hat man dies seit langem eingeläutet. Zum Beispiel mit dem Unterhaltsrecht für geschiedene Frauen. Seit 2010 stehen die verlassenen Frauen in Deutschland quasi auf der Straße, wenn sie nicht rechtzeitig vor der Trennung ihren Beruf wieder aufgenommen haben, um im Zweifel alleine für sich zu sorgen. Wer nicht durchgehend berufstätig ist, dem droht als Frau auch die Altersarmut, weil der Staat gar nicht daran denkt, das Großziehen der Kinder zu Rentenzahlern zu honorieren. Also ist es vernünftig, entweder gar keine Kinder zu bekommen oder sie möglichst schnell aus dem Weg zu räumen in die Kita, damit sie den Erwerbslebenslauf nicht allzu sehr gefährden.

Das Private ist schließlich immer politisch, und der Staat kann doch nicht tatenlos zusehen, wenn sich Bürger einem gleichberechtigten Fortschritt verweigern. Und so werden Frauen derzeit auf den Arbeitsmarkt befreit, notfalls auch gegen ihren Willen. Denn nicht nur die Brüder, sondern auch die Schwestern sollen endlich zur Sonne.

Die Kinder wiederum haben es besser, diese bekommen dank staatlicher Frühbildung die Chance, die Fehler ihrer Eltern zu vermeiden. Vertreten durch wechselnde Familienministerinnen, die jedoch seit geraumer Zeit nur noch Namen, nicht aber die Programmatik wechseln, schreitet die Entmachtung der Familie voran und die Verantwortung für die Kindererziehung geht schleichend auf den Staat über. „Die Lufthoheit über den Kinderbetten“ nannte es vor Jahren der SPD-Politiker Olaf Scholz, inzwischen regierender Bürgermeister von Hamburg mit Ambitionen auf mehr. Sie gehört uns, sagte er damals, diese Lufthoheit, also die Verfügungsgewalt über die Kinder. Mit uns meinte er den Staat, das Kollektiv, im Gegensatz zu den Eltern. „Uns“ – es ist genauso gefährlich wie das „Wir“.

Männer und Frauen sollen zunächst gemeinsam unter das Joch der Arbeit gezwungen, um dann kollektiv davon befreit zu werden. Ein Revival sozialistischer Sozial-Romantik, in Wahrheit ist es jedoch staatliche Lenkung und die Übernahme des privaten, familiären Bereiches durch den Staat. Fatal ist nun, dass selbst im bürgerlichen Lager der Parteien, dieser Kurs nicht etwa bekämpft, sondern gar mitgetragen wird. Da will man modern sein und mit der Zeit gehen. Da will man die Frauen auch mitbefreien. Es muss im bürgerlichen Lager doch sehr tief ein Stachel sitzen, dass man die Emanzipation der Frau so sehr verschlafen hat, aber jetzt wenigstens will man Teil des großen modernen Familienhappenings sein.

Nur, wenn nicht einmal mehr im bürgerlichen Lager der demokratischen Parteien die Freiheit und Privatheit eines Elternhauses etwas zählt – wo denn dann noch? Und so wird ganz unbemerkt und geschichtsvergessen mit der Familie auch eine lange freiheitliche Tradition zugrunde gerichtet. Wenn nämlich alles politisch ist, was ist dann noch privat? Klammheimlich hat das linke Establishment den Begriff der Freiheit im öffentlichen Diskurs in eine neue Definition gedrängt. Galt Freiheit früher als Grenzlinie zwischen Staat und Bürger, ist heute den meisten Bürgern gar nicht mehr klar, dass es gut sein sollte, überhaupt eine Grenze zwischen sich und dem Staat zu ziehen. Heute werden wir nicht vom Staat und seinen AllmachtsPhantasien befreit, sondern von unseren Kindern und unserem Privatleben, um endlich frei für den Arbeitsmarkt zu sein.

Dass das Privatleben einst der Wirtschaft und dem Staat abgerungen werden musste, ist in Vergessenheit geraten. Wer verteidigt denn heute noch die Freiheit der Familien, die Freiheit des Bürgers und des Individuums in unserem Land? Die Bürgerlichen haben wir abgehakt. Dann also die Liberalen? Die FDP hält die Fahne der Freiheit in Wirtschaftsfragen zwar hoch in den Wind, in Sachen bürgerlicher Freiheit kommt man aber über das Steuerrecht nicht hinaus. Kinder in Krippen, damit die Wirtschaft und der Bürger frei über seine Arbeitskraft verfügen kann, ist auch bei den Liberalen ein unumstößliches Mantra. Wie viele frei denkende Demokraten werden wir aber auf absehbare Zeit noch haben in unserem Land, wenn erst einmal alle von der Wiege bis zur Bahre unter staatlicher Aufsicht stehen? Freiheit ist nämlich nicht nur Freiheit der Wirtschaftswege und Abschaffung der Praxisgebühr beim Arzt, sondern in allererster Linie die Freiheit des Einzelnen. Weil wir in Deutschland nicht das Kollektiv schützen und den Markt, sondern erst einmal uns selbst. Sie und mich und all die anderen. Und zwar jeden einzeln.

Die großen Fragen werden gar nicht mehr diskutiert. Die Frage, wie weit der Staat in das private Leben der Bürger einschreiten darf. Wie weit es nötig erscheint und ab wann es schadet und auch warum? Fast möchte man den Parlamenten noch einmal einen Grundkurs in Sachen Subsidiaritätsprinzip verordnen und den müden Bürgern gleich mit. Wo bleibt die Kavallerie der Liberalen und schreit: „Bis hierher und nicht weiter!“? Stattdessen marschiert man in Sachen Familienentmachtung auch noch an vorderster Front.

Wohin es führt und was damit bezweckt wird, wenn der Staat die Erziehung von Kindern möglichst frühzeitig übernimmt, darf man sich als Anschauungsunterricht in den Geschichtsbüchern und in manchen noch existierenden Ländern doch gern ansehen. Es ist ja kein Geheimnis. Es waren immer die totalitären Regime, die sich der Kindheit ihrer Bürger bemächtigt haben. Wer die Gesellschaft neu formen will, muss früh anfangen, mit der Formung des neuen Menschen, das war bei den Kommunisten so, bei den Nationalsozialisten, und ist es heute bei den Genderisten nicht anders. Ideologien arbeiten mit Schema. Und ja, auch die Herren Nazis waren Feinde der Familie. Zwar geistert bei manchen Zeitgenossen heute immer noch die Vorstellung umher, damals hätte man die bürgerliche Familie als Ideal hochgehalten, analog seien die konservativen Verteidiger der Familie heute auch irgendwie „rechts“. Tatsächlich war es zutiefst menschenverachtend, Mütter Kanonenfutter gebären zu lassen, um ihren Nachwuchs so schnell wie möglich in diversen Jungen- und Mädel-Bünden als Denunzianten im Zweifel auch ihrer eigenen Eltern großzuziehen. Frei denkende Menschen im Schutzraum Familie stellen für ein Machtsystem mit Totalitätsanspruch ein unkalkulierbares Risiko dar. Weil Kinder schwach sind, weil Kinder leicht beeinflussbar und formbar sind. Weil man sie sogar vom Einfluss ihrer eigenen Eltern entfremden kann, wenn man sie rechtzeitig in seine Fänge bekommt. Warum haben sämtliche kommunistischen, sozialistischen und genau genommen alle -istischen Staaten genau dieses Konzept verfolgt? Die Antwort ist einfach: Weil es funktioniert.

Wir treiben jetzt also alle Kinder zusammen in Krippen, in Kitas, in Ganztagsschulen, wir bilden nach DIN-Norm und fördern nach Schablonen und Leistungskurven. Derweil wird das Elternvolk mit Erwerbstätigkeit beschäftigt und ermüdet, dann haben sie nicht die Kraft, das tägliche Hamsterrad zu hinterfragen. „Um ein tadelloses Mitglied einer Schafherde sein zu können, muss man vor allem ein Schaf sein“, hat es Albert Einstein einst treffend formuliert. Zwar redet die Politik von Freiheit, von Bildung von Fortschritt und davon, dass sie die „individuelle Förderung“ jedes einzelnen Kindes in ihren Kollektiven bewirken wird. Sie redet von potentiellen „Leitwölfen“ in unserer Gesellschaft, in der Wirtschaft, in der Politik – dennoch zwingen sie alle erst einmal in eine Herde von Schafen, wo sie am besten funktionieren, wenn sie sich konform in die Gruppe eingliedern. Wie viele Einsteins werden wir aus diesen Herden wohl zukünftig noch generieren? Wie viele Widerständler? Wir brauchen keine Gesellschaft, in der alle gleich gut sind, das Gleiche wollen, das Gleiche denken und das Gleiche anstreben. Wir brauchen die Freigeister, die Gegen-den-Strom-Schwimmer, die schwarzen Schafe, die Individualisten, die Träumer, die Visionäre, die Widerständler und auch ein paar Wahnsinnige im besten Sinne. Das Private ist nicht politisch, es ist verdammt noch mal privat.

Denn unser Grundgesetz schützt den Einzelnen und das aus gutem Grund. Es schützt Sie und mich und unsere Kinder und zwar jeden einzeln. Weil wir nicht nur als Teil einer Gruppe wertvoll sind, sondern jeder einzelne Mensch, von Anfang an, ohne Gegenleistung , ohne Bringschuld. Und deswegen ist die Verteidigung der Familie gegen den Staat keine Frage von konservativen Werten, sondern eine Frage der Freiheit. Es ist zutiefst liberal, dafür zu kämpfen, dass jede Frau, jeder Mann und jede Familie ihren eigenen Weg finden darf. Das ist Wahlfreiheit. Und nicht das Auflösen von Strukturen, um uns dann in neue Rollen zu drängen. Wir können selbst entscheiden, was das Beste für uns ist, wir brauchen nicht ständig die Politik und einen Nanny-Staat, der uns erklärt, wie wir zu besseren Menschen werden, was wir noch denken oder gar sagen dürfen. Oder wie die Bionade-Fraktion der Grünen, die uns jetzt auch noch erklären will, was wir noch wann essen dürfen.

Wir leben im Herzen Europas in freiheitlichen Demokratien. Das müssen wir verteidigen. Und zu Beginn steht, dass wir wieder neu auf unser Recht auf freie Meinungsäußerung pochen müssen. Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Länder bald nur noch von lauten Minderheiten regiert werden, die alle niederbrüllen, die aus dem politisch korrekten Weg ausbrechen. So eine Demokratie ist anstrengend. Wir müssen jeden Tag aufs Neue um Mehrheiten werben, um Meinung kämpfen. Aber Toleranz bedeutet nicht, dass ich vor lauter Entgegenkommen, meine Meinung aufgebe. Toleranz anderen Meinungen gegenüber bedeutet in erster Linie, dass man erst einmal einen eigenen Standpunkt hat und diesen auch verteidigt. Verteidigen darf. Toleranz bedeutet, auszuhalten, dass man sich nicht einig wird und dennoch den anderen respektiert. Wir müssen nicht betreut werden, wir sind keine Kinder. Wir sind Bürger, die eine Regierung gewählt haben. Das müssen wir den Regierungen in Erinnerung rufen, aber noch viel wichtiger: Auch unseren Kindern.

René Zeyer

Die Kinder der Aufklärung

Das bedeutendste Vermächtnis der europäischen Geschichte ist zweifellos die Aufklärung. Der Ersatz von Metaphysik, religiösen Satzungen, Denkverboten und von den jeweils Herrschenden gesetzten Normen durch den möglichst herrschaftsfreien Diskurs. Der Gedanke, dass eine Theorie nur dann richtig ist, wenn sie die Überprüfung durch die Realität übersteht – also falsch oder richtig wichtiger ist als gut oder böse, erlaubt oder verboten –, war aller Fortschritte Anfang.

Zurzeit ist ein Rückfall in voraufklärerische Zeiten zu konstatieren. Seine Ursachen sind multifaktoriell, aber überblickbar:

Instant-Reality (jetzt passiert, jetzt berichtet und kommentiert) vermindert die Chance, analytisch, einordnend oder reflektiert am öffentlichen Diskurs teilzunehmen. Die Attention Span (Aufmerksamkeitsspanne), also die Fähigkeit, ein durchaus wichtiges Thema zu verfolgen, schrumpft auf ein kindisches Niveau.

Die durchschnittliche Attention Span eines erwachsenen Mitteleuropäers liegt bei maximal 60 Sekunden; jeder zweite Deutsche im Land der Dichter und Denker ist nicht in der Lage, einen Satz mit Nebensatz nach Lektüre inhaltlich korrekt wiederzugeben, von Fremdwörtern wie «Diskurs», «kognitiv» oder «interkulturelle Migrationsprobleme» ganz zu schweigen.

Von den Medien wird in schneller Taktung ein Thema nach dem anderen durch die öffentliche Wahrnehmung getrieben. Ukraine, Griechenland, Flüchtlinge, Euro-Krise, Attentate, US-Wahlkampf, Terrorismus: Jedes Thema wird auf wenige Schlagworte reduziert, im Abklingbecken der Talkshows zerredet, bevor es im Orkus des Vergessens verschwindet oder bei Bedarf neu aufgewärmt wird.

Das interaktive Internet ermöglicht es jedem, an einem zersplitternden öffentlichen Diskurs teilzunehmen. Indem er die gratis angebotene Kommentarfunktion der verbleibenden Massenmedien benützt, einen eigenen Blog ins Netz stellt oder sich selbst verstärkende Gruppen auf den sozialen Plattformen wie Facebook oder Twitter bildet. Damit sinken weite Teile der öffentlichen Auseinandersetzung auf Stammtischniveau.

Ergänzt werden diese Oberflächenphänome durch einen erschreckenden Verlust an Glaubwürdigkeit der politischen Vertreter der Bevölkerung, also der traditionellen Parteien, der Volksvertreter in den Parlamenten und der Regierenden:

Nur eine ständig kleiner werdende Minderheit von EU-Bürgern fühlt sich in den obersten Entscheidungsgremien der Europäischen Union vertreten, wahr- oder ernstgenommen.

Längst haben die Staatsbürger den Überblick verloren, welche fundamentalen Entscheidungen in meist nicht demokratisch legitimierten Dunkelkammern der EU, beispielsweise dem Gouverneursrat, der Troika, der «Euro-Gruppe» oder ad hoc gebildeten Krisenrunden getroffen werden.