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Manfred Grohnfeldt (Hrsg.)

Kompendium der akademischen Sprachtherapie und Logopädie

Band 4 Aphasien, Dysarthrien, Sprechapraxie, Dysphagien – Dysphonien

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2018

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-029296-3

E-Book-Formate:

pdf:      ISBN 978-3-17-029297-0

epub:   ISBN 978-3-17-029298-7

mobi:   ISBN 978-3-17-029299-4

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Vorwort

 

 

 

Seit gut einem Jahrzehnt hat sich mit der Etablierung der akademischen Sprachtherapie und der fortschreitenden Akademisierung der Logopädie als junge aufstrebende Fachdisziplinen eine vollkommen neue Situation des Sprachheilwesens in Deutschland ergeben. Verbunden damit ist eine weitgehend vergleichbare Form des Studiums und der Ausbildung, die mit den Krankenkassen als Kostenträgern abgestimmt ist und sich von dem traditionellen Studium der Sprachheilpädagogik in den meisten Studienstätten deutlich absetzt.

Das vierbändige »Kompendium der akademischen Sprachtherapie und Logopädie« vermittelt die Grundlagen der in den Prüfungs- und Studienordnungen dargelegten Inhalte. Gleichzeitig ist es ein Abbild der Aufgabenbereiche in der Praxis. Dem Umfang des damit verbundenen Stoffs entsprechend wird eine Aufteilung in folgende Bände vorgenommen:

•  Band 1: Sprachtherapeutische Handlungskompetenzen

•  Band 2: Interdisziplinäre Grundlagen

•  Band 3: Störungsbezogene Kompetenzen

•  Sprachentwicklungsstörungen, Redeflussstörungen, Rhinophonien

•  Band 4: Störungsbezogene Kompetenzen

•  Aphasien, Dysarthrien, Sprechapraxie, Dysphagien – Dysphonien

Band 3 und 4 sind inhaltlich aufeinander bezogen und beschäftigen sich mit Erscheinungsformen und Störungsbildern in der Sprachtherapie. Der vorliegende Band 4 geht dabei zunächst einmal und vor allem auf neurogene Sprach- und Sprechstörungen ein. Aphasien, Dysarthrien und Dysphagien sind nicht nur auf Grund des demographischen Wandels ein an Bedeutung zunehmendes Aufgabengebiet. Die Erkenntnis ihrer kommunikativen Lebensbedeutsamkeit führt zu einem veränderten Vorgehen in der Diagnose und Therapie. Die Beiträge in diesem Band sind dabei so aufeinander aufgebaut, dass jeweils ein einführender Artikel zu dem betreffenden Störungsbild vorangestellt wird und sich dann spezifische Fragestellungen anschließen.

Unabhängig davon und zur Abrundung der in Band 3 und 4 dargestellten Erscheinungsformen und Störungsbilder wird abschließend auf Dysphonien eingegangen. Auch hier ist ein einführender Beitrag vorangestellt, dem sich die Bedeutung von Stimmstörungen bei Kindern sowie die Rehabilitation bei Laryngektomien anschließt. Die übergreifende Struktur aller Beiträge bezieht sich auf die Begriffsbestimmung, Symptomatik, Ursachen und Bedingungshintergründe, diagnostische Verfahren und unterschiedliche Formen des therapeutischen Vorgehens. Zahlreiche Hinweise auf online verfügbare Materialien, Medien und Diagnose- und Therapieverfahren erhöhen die Praxisrelevanz und machen den besonderen Vorzug des Bandes aus.

Übergreifend wird hiermit ein Werk angeboten, das in übersichtlicher Form den aktuellen Stand der sprachtherapeutischen Fachdisziplinen in Deutschland bei einem Blick nach vorne repräsentiert. Das Kompendium ist vom Ansatz her nicht nur für das Studium und die Rezeption theoretischer Grundlagen, sondern auch durch die informative und kompakte Darstellung für die Praxis »vor Ort« gleichermaßen von Interesse.

Zu danken ist den Autorinnen und Autoren des Fachbeirats, die sich dieser anspruchsvollen Aufgabe gestellt haben, sowie dem Kohlhammer Verlag und hier insbesondere Herrn Dr. Klaus-Peter Burkarth für die lange und vertrauensvolle Zusammenarbeit, die Grundlage für die Herausgabe dieser Publikation ist. Es bleibt zu wünschen, dass damit ein prospektives Standardwerk für viele Jahre vorgelegt wird.

 

München, im Oktober 2017

Manfred Grohnfeldt

 

Inhalt

 

 

 

  1. Vorwort
  2. I Einführung
  3. Die Auswirkungen des demographischen Wandels auf die Sprachtherapie
  4. Manfred Grohnfeldt
  5. Evaluationsstudien bei der Therapie von Aphasien
  6. Holger Grötzbach
  7. Gut vorbereitet auf den Klinikalltag – Wie eine Unterstützung von Studierenden in der Praxis gelingen kann
  8. Ute Schräpler
  9. II Aphasien
  10. Grundlagen der Aphasie
  11. Holger Grötzbach
  12. Diagnose und Therapie von Aphasien im kommunikativen Kontext
  13. Julia Büttner
  14. Lebensbedeutsamkeit und Steigerung der Lebensqualität bei Aphasien
  15. Sabine Corsten
  16. Demenz verstehen und logopädisch behandeln
  17. Jürgen Steiner
  18. Aphasien bei Kindern
  19. Melanie Kubandt
  20. III Dysathrien
  21. Grundlagen zu Dysarthrien
  22. Theresa Schölderle & Anja Staiger
  23. Kernvokabular in der Sprachförderung von Kindern mit Infantilen Cerebralen Bewegungsstörungen
  24. Jens Boenisch
  25. IV Sprechapraxie
  26. Sprechapraxie bei Erwachsenen
  27. Karen Lorenz
  28. V Dysphagien
  29. Grundlagen zu Dysphagien
  30. Mario Prosiegel & Susanne Weber
  31. VI Dysphonien
  32. Grundlagen zu Dysphonien
  33. Ulla Beushausen
  34. Dysphonien bei Kindern
  35. Ulla Beushausen
  36. Therapie von Laryngektomie als interdisziplinäre Aufgabenstellung
  37. Axel Kürvers
  38. Herausgeber
  39. Autorenverzeichnis

 

 

 

 

 

 

I     Einführung

 

Die Auswirkungen des demographischen Wandels auf die Sprachtherapie

Manfred Grohnfeldt

Einleitung

Seit Jahren wird nicht nur die deutsche Bevölkerung immer älter. Da ist es nicht verwunderlich, dass die Nachfrage nach Sprachtherapie bei neurogenen Sprach- und Sprechstörungen im Erwachsenenalter steigt. Gleichzeitig verändert sich das Lebensgefühl der zumeist betroffenen Menschen im Alter von über 60 Jahren. Dies alles hat Auswirkungen auf die Sprachtherapie, sei es in der Art des praktischen Vorgehens wie auch im Selbstverständnis der beteiligten Wissenschaften der akademischen Sprachtherapie und Logopädie. Es ist zu erwarten, dass die Sprachtherapie im Erwachsenenbereich an Bedeutung zunehmen wird.

Das Ziel des nachfolgenden Beitrags besteht darin, die damit verbundenen Hintergründe und Auswirkungen in Theorie und Praxis aufzuzeigen.

1          Der demographische Wandel

1.1        Veränderungen der Bevölkerungspyramide

Veränderungen der Bevölkerungsentwicklung zeigen sich in vielfältiger Weise mit gravierenden Auswirkungen. Die typische Pyramide mit einer hohen Kinderanzahl und einer geringen Anzahl an über Sechzigjährigen zur Zeit des Kaiserreiches in Deutschland wurde abgelöst durch die geringe Anzahl der Dreißig- bis Fünfunddreißigjährigen um 1950 als Folge der Verluste des Zweiten Weltkrieges. Es folgte die Zeit der Baby-Boomer während des Wirtschaftswunders in Deutschland und schließlich der sog. ›Pillenknick‹, der nicht nur durch das Verhütungsmittel an sich, sondern vor allem durch den Wandel der gesellschaftlichen Einstellung und damit multifaktoriell bedingt ist (image Abb. 1).

Seit Jahren werden durchschnittlich von jeder gebärfähigen Frau in Deutschland 1,4 Kinder geboren (https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Bevoelkerung/Geburten/AktuellGeburtenentwicklung.html). Notwendig wären durchschnittlich 2,1 Kinder, um den Bestand zu gewährleisten. Da hilft auch keine Zuwanderung, da die Frauen, die notwendig wären, um den Bestand zu sichern, schon nicht mehr geboren sind.

Die Auswirkungen zeigen sich nicht nur bei den Rentenkassen und der Altersversorgung, sondern auch in den gesellschaftlichen Einstellungen, der Dynamik eines Volkes und letztlich auch in der Nachfrage nach sprachtherapeutischen

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Abb. 1: Bevölkerungspyramide um 1910, 1950, 2000 und 2050 (prognostiziert) in Deutschland

Leistungen in unterschiedlichen Altersgruppen und Störungsbildern.

1.2        Auswirkungen auf die Leistungsnachfrage in der Sprachtherapie

Vor dem o. g. Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass die Anzahl der sprachtherapeutischen Verordnungen für Menschen über 60 Jahren steigt. Bereits zwischen 2007 und 2012 stieg sie von 214.000 auf 376.000 Verordnungen (Hansen 2014; Quelle: GKV-HIS 2012). Parallel dazu änderten sich die Indikationen der Sprachtherapie zwischen 2009 und 2014 deutlich (Grohnfeldt 2017 mit Bezug auf AOK – Heilmittel-Informationssystem im WldO 2016; ebenso: Waltersbacher 2015, 34):

•  Bei Störungen der Sprachentwicklung sank der Anteil von 67,7% im Jahr 2009 auf 64,1% im Jahr 2014.

•  Der Anteil der zentralen Sprach- und Sprechstörungen sowie der Dysphagien stieg von 24,5% im Jahr 2009 auf 29,6% im Jahr 2014.

Offensichtlich ist Bewegung in die prozentuale Verteilung von Sprachstörungen im Kindes- und Erwachsenenalter gekommen. Lange Zeit waren Störungen der Sprachentwicklung mit einem Anteil von ca. 70–80% das dominierende und letztlich geradezu prägende Aufgabengebiet vom Selbstverständnis her für die Sprachheilpädagogik und Logopädie (Grohnfeldt 2012). Auch jetzt stellen 24,1% der Jungen und 16,7% der Mädchen im Alter von 6 Jahren einen Verteilungsgipfel bei der Nachfrage nach sprachtherapeutischen Leistungen dar (Waltersbacher 2015, 37). Der Anteil der Störungen im Erwachsenenalter steigt aber kontinuierlich, so dass für die beteiligten logopädischen Praxen ein an Bedeutung gewinnendes Aufgabengebiet im Hinblick auf die Intensität und Häufigkeit sprachtherapeutischer Interventionen zu erwarten ist.

Besonders deutlich wird dies, wenn man sich die Heilmittelverordnungen und -umsätze nach Altersgruppen (je 1.000 Versicherte) einmal im Detail ansieht (image Tab. 1).

Tab. 1: Sprachtherapie: Heilmittelverordnungen und -umsätze nach Altersgruppen (je 1.000 Versicherte) von Januar bis Juni 2016 (https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Bevoelkerung/Geburten/AktuellGeburtenentwicklung.html [hier: S. 27 von 28])

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AltersgruppeBruttoumsatz in Zuzahlung in Nettoumsatz in Verordnungsblätter Heilmittelanzahl Behandlungseinheiten

Vergleicht man die Altersgruppe mit Sprachstörungen im Kindesalter (0 bis 15 Jahre) mit den über Sechzigjährigen (60 bis 90 und älter), so fällt auf, dass

•  der Bruttoumsatz bei den Heilmittelverordnungen im Kindesalter mit 21.573 Euro bei 562 Behandlungseinheiten geringer ist als bei den über Sechzigjährigen (aufsummiert: 34.959 Euro bei 760 Einheiten). Dies lässt sich auch für den Nettoumsatz, die Verordnungsblätter und die Heilmittelanzahl aufzeigen.

Offensichtlich sind kindliche Sprachentwicklungsstörungen zwar weiterhin prozentual häufiger. Sprachstörungen im Erwachsenenalter werden aber länger behandelt und verursachen insgesamt mehr Kosten.

•  Als Detailergebnis fällt auf, dass bereits die Gruppe der Fünfzig- bis Sechzigjährigen vermehrt sprachtherapeutische Leistungen in Anspruch nimmt. In diesen Zusammenhang passt, dass das Durchschnittsalter für Schlaganfallpatienten in den letzten 20 Jahren von 71 auf 69 Jahre gefallen ist (http://www.fid-gesundheitswissen.de/neurologie/schlaganfall/durchschnittsalter-fuer-schlaganfaelle-immer-geringer/).

•  Ebenso ist auffällig, dass auch bei den Altersgruppen von über 85 und sogar über 90 Jahren eine hohe Nachfrage nach Sprachtherapie besteht, die bereits ca. 56% des Bruttoumsatzes der gesamten Kindersprachtherapie ausmacht (aufsummiert: 12.023 Euro von 21.573 Euro). Hier dürfte sich der zunehmende Anteil der Menschen mit Demenz bemerkbar machen.

Es ist zu erwarten, dass die genannten Tendenzen sich auf Grund des demographischen Wandels weiter vertiefen und zu einer nachhaltigen Veränderung des Selbstverständnisses der akademischen Sprachtherapie und Logopädie beitragen werden. Bevor darauf in einem größeren Kontext eingegangen wird, ist zu fragen, um welchen Personenkreis es sich bei den über Sechzigjährigen handelt. Hier sind in den letzten Jahrzehnten erhebliche Veränderungen im Hinblick auf die körperliche Gesundheit, aber auch die psychische Befindlichkeit zu beobachten.

2          Das Lebensgefühl der über Sechzigjährigen

Bereits Cicero (106–43 v. Chr.) beschäftigte sich in seiner berühmten Schrift »Cato maior de senectute« mit dem Alter (Cicero, Übersetzung von Merklin 1998). In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren es dann vorwiegend psychoanalytisch orientierte Autoren (z. B. Brocher 1977, Riemann & Kleespies 2011), die speziell auf die Altersphase eingingen, wobei das Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung von Erikson (1973) eine weltweite Verbreitung gefunden hat. In diesem Zusammenhang ist dabei die achte (letzte) Lebensphase von Bedeutung, die mit »Ich – Integrität versus Verzweiflung« benannt wird. Eine systematische Altersforschung setzte in Deutschland dann vor ca. 40 bis 50 Jahren ein (z. B. Lehr 1972).

Doch was heißt ›Alter‹? Vor einem Jahrhundert war man mit Mitte 40 als ›alt‹ gekennzeichnet, hatte sich dementsprechend zu kleiden und nahm in der gesellschaftlichen Wertschätzung eine klar umgrenzte Rolle ein. Heute ist alles anders. Gerade die letzten beiden Jahrzehnte haben einen entscheidenden Wandel mit sich gebracht. So verweist Sheehy (1996) auf die »neue« Lebensphase der Generation zwischen 60 und 80 (85) Jahren, die ganz andere Möglichkeiten einer aktiven Lebensführung als früher hat, wobei bei guter Gesundheit und finanzieller Absicherung nicht nur Hobbies und Reisen, sondern auch über den (ehemaligen) Beruf hinausgehende Interessen und geistige Aktivitäten gemeint sind. Ebenso haben Bücher wie die von Koch (2003), die aus medizinischer Sicht Hinweise zu einer gesunden Lebensführung geben, eine sehr hohe Auflage bei der Zielsetzung, »jung zu bleiben«.

Heute erlebt dieses Thema geradezu einen Boom, wobei immer mehr die positiven Aspekte des Alterns betont werden (Schmid 2014: »Gelassenheit. Was wir gewinnen, wenn wir älter werden«). Eine aktuelle Google - Anfrage zeigt alleine für den deutschsprachigen Raum deutlich mehr als 100 Bücher auf, die sich aus verschiedenartiger Sicht mit Fragen des Alters beschäftigen, wobei die unterschiedlichsten Fragestellungen angesprochen werden: was man in dieser Lebensphase alles machen kann, wie man sich geistig und körperlich fit hält …, wie man sich auf den Tod vorbereitet (Epp 2016). Nahezu ebenso umfangreich ist die Literatur zur Demenz, die von allgemeinen Informationen bis zu praktischen Tipps für Angehörige geht (z. B. Caughey 2015).

Insgesamt zeigt sich dabei, dass gerade in höheren Altersgruppen die Varianz der Merkmale in ganz unterschiedlichen Bereichen eher ansteigt. Es gibt immer mehr Menschen im Alter von 60 bis über 80 Jahren, die bei besserer Gesundheit als in früheren Jahrzehnten und vor allem Jahrhunderten geistig rege und körperlich aktiv sind sowie sich neuen Aufgaben und Anforderungen stellen, während es auf der anderen Seite resignierte, kranke und von Altersarmut bedrohte Menschen gibt. Dabei können sich neben einer Kumulation positiver bzw. negativer Faktoren ganz unterschiedliche Konstellationen ergeben. Das Bild des älteren Menschen ist einer facettenreichen Vielfalt an Lebenseinstellungen und Möglichkeiten von Menschen gewichen, die eigentlich nur noch das biologische Alter gemeinsam haben.

 

Was bedeutet das alles für die akademische Sprachtherapie und Logopädie?

 

Es deutet sich an, dass vor diesem Hintergrund für gezielte sprachtherapeutische Interventionen

•  nicht nur eine umfangreiche Kenntnis dieser Lebensphase(n) erforderlich ist, sondern

•  auch die damit verbundene Zielsetzung des Ansatzes individuell mit den Betreffenden selbst abgestimmt und immer wieder prozessual überdacht werden muss, wobei

•  dies wiederum auf die Art des sprachtherapeutischen Vorgehens sowie die damit verbundene Angehörigenarbeit Einfluss nimmt.

3          Auswirkungen auf die akademische Sprachtherapie und Logopädie

Traditionell ist es so, dass bei der Therapie der meisten neurogenen Sprach- und Sprechstörungen zumeist eine vergleichsweise junge Sprachtherapeutin einem deutlich älteren Betroffenen gegenübersitzt. Sie entstammt häufig der Generation Y (Hurrelmann & Albrecht 2014), der/die Betroffene entstammt mindestens ihrer Elterngeneration, zuweilen sogar der Großelterngeneration. Überlagernd treten die o. g. Veränderungen des Lebensgefühls auf. Wie geht man damit um?

Weiterhin ist zu fragen, was die Erkrankung für den Betreffenden bzw. die Betreffende bedeutet. Das ›objektive‹ Ausmaß der Störung muss dabei nicht mit dem subjektiven Erleben übereinstimmen. Das Konzept der »Lebensbedeutsamkeit« (Orthmann 1969, Grohnfeldt 1996) hat hier wesentliche Aspekte zum Verständnis der Gesamtsituation beigetragen. Und schließlich ist zu fragen, was die veränderte Lebenssituation für die Angehörigen bedeutet, die letztlich »mitbetroffen« (Steiner 2002) sind. Neben der Sprachstörung selbst, die häufig unvorbereitet (z. B. bei einer Aphasie im Gefolge eines Schlaganfalls) und existentiell bedrohend im Zusammenhang mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung auftritt, sind es die psychosozialen Auswirkungen für die unmittelbar Betroffenen und ihre Familien, die das Ausmaß der weitreichenden Veränderungen der persönlichen und sozialen Lebenssituation ausmachen.

»Aphasia hammers in the reality of aging in a single sudden blow. Patients seemingly age overnight. And they thought this only happens to other people: It is almost like dying.« (Létourneau 1993, 68)

Aphasien (Grohnfeldt 2004) und Dysarthrien (Giel 2000) können dadurch zu einem »kritischen Lebensereignis« (Filipp 1990) werden. Häufig werden in dem Zusammenhang Phasen der Krisenverarbeitung genannt. So unterscheidet Schuchardt (1980) in einem Spiralmodell Phasen der Ungewissheit, Gewissheit, Aggression, Verhandlung, Depression sowie – im günstigsten Fall – die der Annahme, Aktivität und Solidarität. Es mag dahingestellt sein, wie häufig ein derartiger Verlauf im Einzelfall zutreffend ist oder so günstig abgeschlossen werden kann (Grohnfeldt 1993). Eindrucksvolle Fallberichte zeigen eher die Einzigartigkeit dieser Situation (z. B. Kudoweh 1993).

Für die Aufgabe der Sprachtherapie bedeutet dies, dass im ursprünglichen Sinne des Begriffes Therapie (griechisch therápon = der Diener, Gefährte bzw. therapéia = das Dienen, die Pflege; dazu: Grohnfeldt 2007) gerade bei neurogenen Sprach- und Sprechstörungen die Aufgabe des Therapeuten als Begleiter zu sehen ist, wobei immer wieder Möglichkeiten der Verbindung von sprachtherapeutischen Interventionen, Beratung und Angehörigenarbeit zu suchen sind. Für die Sprachtherapie im engeren Sinne werden in diesem Band umfangreiche Ansätze bei Aphasien (image Beiträge »Grundlagen der Aphasie«, »Diagnose und Therapie von Aphasien im kommunikativen Kontext« und »Lebensbedeutsamkeit und Steigerung der Lebensqualität bei Aphasien«), Demenz (image Beitrag »Demenz verstehen und logopädisch behandeln«), Dysarthrien (image Beitrag »Grundlagen zu Dysarthrien«), Sprechapraxie (image Beitrag »Sprechapraxie bei Erwachsenen«) und Dysphagien (image Beitrag »Grundlagen zu Dysphagien«) genannt. Die Darstellung von Beratung und Angehörigenarbeit erfolgt in Band 1 des Kompendiums (Grohnfeldt 2017, darin die Beiträge von Grohnfeldt und Hansen).

Hervorzuheben ist dabei die Bedeutung der Therapeutin bzw. des Therapeuten als Person:

»When we get good outcomes, is it the therapy or the therapists?« (Ratner 2006, 260)

Was bleibt? Die o. g. Vielfalt der Lebenssituation von Menschen in höheren Altersgruppen bedingt, dass das Prinzip der Individualisierung bei der Zielsetzung und Art des Vorgehens im Rahmen der sprachtherapeutischen Intervention selbst in Verbindung mit vielfältigen Beratungsangeboten als komplexe Aufgabenstellung noch weiter vertieft werden muss. Das ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die umfangreiche Kenntnisse in unterschiedlichen Bereichen voraussetzt und nicht ohne Auswirkung auf die beteiligten Fachdisziplinen bleiben kann.

4          Epilog

Noch vor wenigen Jahrzehnten wurden Aphasien und Dysarthrien zumindest im deutschsprachigen Raum mit Bildkarten aus der Kindersprachtherapie weitgehend theoriearm therapiert. Sprechapraxie und Dysphagien waren überwiegend unbekannt. Das hat sich entscheidend geändert. Es wurden nicht nur wirksame Therapieansätze (image Beiträge »Evaluationsstudien bei der Therapie von Aphasien« und »Grundlagen der Aphasie«), sondern auch gezielte diagnostische Testverfahren und Materialien entwickelt. Heute zählen neurogene Sprach- und Sprechstörungen zu den besonders gut erforschten Störungsphänomenen der akademischen Sprachtherapie und Logopädie.

Für die Zukunft ist auf Grund des demographischen Wandels mit einem erhöhten Therapiebedarf bei dieser Altersgruppe zu rechnen, wobei die Vielfalt der Lebenssituationen einen hohen Anspruch an die Art des Vorgehens bei einer Verbindung person- und systemorientierter Maßnahmen bedingt. Innerhalb eines interdisziplinären Kontextes der Zusammenarbeit mit Medizinern und Psychologen ist die Sprachtherapie/Logopädie von den fachwissenschaftlichen Voraussetzungen her akademisch zu verankern, wie dies international üblich ist.

 

Literatur

Brocher, T. (1977): Stufen des Lebens. Stuttgart: Kreuz Verlag.

Caughey, A. (2015): Das Demenz-Buch. Praktische und persönliche Ratschläge für pflegende Angehörige und professionelle Helfer. Stuttgart: Schattauer.

Cicero, M. T. (1998): Cato maior de senectute. Cato der Ältere über das Alter (Übersetzung und Herausgabe von H. Merklin): Stuttgart: Reclam.

Epp, J. (2016): Weichen stellen. Inspirationen für eine selbstbestimmte dritte Lebenshälfte. Ostfildern: Patmos Verlagsgruppe.

Erikson, E. (1973): Identität und Lebenszyklus (engl. 1959: Identity and the Life Cycle). Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Filipp, S.-H. (1990): Lebenslaufforschung – eine Bilanz. In: Filipp, S.-H. (Hrsg.): Kritische Lebensereignisse (293–326). München:

Giel, B. (2000): Dysarthrie/Dysarthrophonie als kritisches Lebensereignis. Frankfurt a. M.: Peter Lang.

Grohnfeldt, M. (1993): Merkmale der pädagogischen Sprachtherapie bei Aphasien und Dysarthrien. In: Grohnfeldt, M. (Hrsg.): Zentrale Sprach- und Sprechstörungen. Handbuch der Sprachtherapie. Bd. 6 (65–82). Berlin: Edition Marhold.

Grohnfeldt, M. (1996): Die Bedeutung der Lebenslaufforschung in der Sprachheilpädagogik. In: Grohnfeldt, M. (Hrsg.): Lebenslaufstudien und Sprachheilpädagogik (11–34). Dortmund: verlag modernes lernen.

Grohnfeldt, M. (2004): Lebenslaufforschung und Beratung in der Sprachheilpädagogik. Verdeutlichung am Beispiel der Aphasietherapie. In: Kannewischer, S., Wagner, M., Winkler, C., Dworschak, W. & Wegler, H. (Hrsg.): Verhalten als subjektiv-sinnhafte Ausdrucksform (273–281). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Grohnfeldt, M. (2007): Therapie. In: Grohnfeldt, M. (Hrsg.): Lexikon der Sprachtherapie (350–351). Stuttgart: Kohlhammer.

Grohnfeldt, M. (2012): Grundlagen der Sprachtherapie und Logopädie. München: Reinhardt.

Grohnfeldt, M. (2017): Überlegungen zur Häufigkeit und Klassifikation von Sprachstörungen. In: Grohnfeldt, M. (Hrsg.): Kompendium der akademischen Sprachtherapie und Logopädie. Bd. 3: Sprachentwicklungsstörungen, Redeflussstörungen, Rhinophonien (11–20). Stuttgart: Kohlhammer.

Hansen, H. (2014): Zugang und Verteilung logopädischer Leistungen. Forum Logopädie 28 (3), 42–43.

Hurrelmann, K. & Albrecht, E. (2014): Die heimlichen Revolutionäre. Wie die Generation Y unsere Welt verändert. Weinheim und Basel: Beltz.

Koch, M. (2003): Körperintelligenz. Was Sie wissen sollten, um jung zu bleiben. München: dtv.

Kudoweh, A. (1993): Eheleute A.: (K)ein Leben mit der Aphasie. In: Grohnfeldt, M. (Hrsg.): Zentrale Sprach – und Sprechstörungen. Handbuch der Sprachtherapie. Bd. 6 (106–120). Berlin: Edition Marhold.

Lehr, U. (1972): Psychologie des Alterns. Wiebelsheim: Quelle & Meyer.

Létourneau, P. Y. (1993): The Psychological Effects of Aphasia. In: Lanford, D. et al. (Hrsg.): Living with Aphasia. Psychological Issues (65–85). San Diego.

Orthmann, W. (1969): Zur Struktur der Sprachgeschädigtenpädagogik. Berlin: Marhold.

Ratner, N. (2006): Evidence-Based Practice: An Examination of Its Ramifications for the Practice of Speech-Language Pathology. Language, Speech and Hearing Services in Schools 37 (4), 257–267.

Riemann, F. & Kleespies, W. (2011): Die Kunst des Alterns. Reifen und Loslassen. 5. Aufl. München: Reinhardt.

Schmid, W. (2014): Gelassenheit. Was wir gewinnen, wenn wir älter werden. Berlin: Insel Verlag.

Schuchardt, E. (1980): Soziale Integration Behinderter. Bd. 1: Biographische Erfahrungen und Wissenschaftliche Theorie. Bd. 2: Weiterbildung als Krisenverarbeitung. Braunschweig: Schroedel.

Sheehy, G. (1996): Die neuen Lebensphasen. Wie man aus jedem Alter das Beste machen kann (engl. 1995: New Passages. Mapping Your Life across Time). München: Paul List Verlag.

Steiner, J. (2002): Von Aphasie mitbetroffen. Zum Erleben von Angehörigen aphasiebetroffener Menschen. Idstein: Schulz-Kirchner.

Waltersbacher, A. (2015): Heilmittelbericht 2015. Ergotherapie, Sprachtherapie, Physiotherapie. Berlin. Wissenschaftliches Institut der AOK. Verfügbar unter: http://www.wido.de/fileadmin/wido/downloads/pdf_heil_hilfsmittel/wido_hei_hmb2015_1512.pdf (Aufruf am 20.08.2016).

 

Evaluationsstudien bei der Therapie von Aphasien

Holger Grötzbach

Einleitung

Patienten mit einer Aphasie beginnen ihre Therapie in der Regel mit viel Hoffnung und Zuversicht. Sie sind sich zwar durchaus bewusst, dass ihre Behandlung langwierig sein kann, dennoch gehen sie davon aus, dass am Ende der Therapie alles wieder in Ordnung sein wird. Die Hoffnungen der Patienten sind nicht unbegründet: Denn bei ca. 40% von ihnen, die als Folge eines Schlaganfalls unter einer Aphasie leiden, bilden sich die sprachlichen Störungen innerhalb der ersten zwölf Monate nach Krankheitsbeginn spontan vollständig oder nahezu vollständig zurück (Berthier 2005). Die Spontanremission wird durch neurologische Wiederherstellungsprozesse gesteuert, die vor allem aus einem Abbau des ödematösen Gewebes rund um die jeweilige Hirnläsion und aus einer Reperfusion inkomplett geschädigter Hirnareale bestehen (Ende-Henningsen & Henningsen 2010; Zumbansen & Thiel 2014).

Während die größten spontanen Fortschritte in den ersten zwei bis drei Monaten nach Schlaganfall auftreten, verlangsamt sich die Rückbildung in der Zeit danach, und nach Ablauf von einem Jahr ist nur noch eine geringe Spontanremission zu erwarten (Berthier 2005). Von der Spontanerholung profitieren alle Patienten unabhängig von der Lokalisation der Hirnläsion und vom Schweregrad der Aphasie (Huber et al. 1997). In den ersten 12 Monaten tendieren nichtflüssige Aphasien dazu, sich in flüssige zu ändern. Das Umgekehrte tritt allerdings nicht auf. Typischerweise erholen sich das Sprachverständnis und das Nachsprechen am schnellsten, während das Benennen länger und manchmal sogar für immer beeinträchtigt bleibt. Die Störungen der Lautsprache bilden sich in der Regel schneller und vollständiger zurück als die Störungen der Schriftsprache, und in der Lautsprache erholt sich das Sprachverständnis besser als die Sprachproduktion.

Der Wiederherstellung des Sprachverständnisses kommt in der neurologischen Rehabilitation eine besondere Bedeutung zu, da Sprachverständnisstörungen einen negativen Prädiktor für rehabilitative Fortschritte darstellen. So haben Patienten mit einer auditiven Sprachverständnisstörung für Wörter ein fünf Mal höheres Risiko, geringere rehabilitative Fortschritte zu erreichen, als Patienten ohne Aphasie oder Patienten mit Aphasie, aber ohne auditive Sprachverständnisstörungen (Paolucci et al. 2005). Es wundert daher nicht, dass sich Patienten mit erheblichen Beeinträchtigungen des Sprachverständnisses kaum in

•  den Aktivitäten des täglichen Lebens (ADLs),

•  der Mobilität und

•  der Urinkontinenz

verbessern (Paolucci et al. 2005). Ein vorrangiges Ziel der Sprachtherapie muss es daher sein, Sprachverständnisstörungen zu beseitigen oder zumindest zu reduzieren. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dies zu erreichen, wird jedoch durch den initialen Schweregrad der Aphasie limitiert: Je ausgeprägter die aphasischen Symptome in der Akutphase sind, desto geringere Fortschritte sind zu erwarten (Berthier 2005). Tritt eine Aphasie zusammen mit erheblichen neuropsychologischen Beeinträchtigungen auf (z. B. Aufmerksamkeits-, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen), so führt dies dazu, dass kaum Fortschritte in der Motorik und Selbstständigkeit erreicht werden (Frommelt 1999).

Um das Ausmaß einer Aphasie und ihrer Begleitstörungen zu minimieren, ist eine frühzeitige, hochfrequente und interdisziplinär organisierte Rehabilitation notwendig. Dazu sind in Deutschland bundesweit spezialisierte Schlaganfallstationen (›Stroke Units‹) eingerichtet worden, die eine medizinische, pflegerische und therapeutische Versorgung der Patienten bereits in der Akutphase sicherstellen. An die Akutversorgung schließt sich die neurologische Früh-Rehabilitation an, von der die Patienten dann in die weiterführende neurologische Rehabilitation überwiesen werden (vgl. Grötzbach 2014). Nach der Entlassung aus der stationären Versorgung ist es die Aufgabe der ambulanten Praxen, die Patienten mit einer Aphasie so lange zu behandeln, wie sich Therapiefortschritte zeigen (vgl. Aphasie-Leitlinie; Bauer et al. 2002). Auf die dabei besonders im Vordergrund stehende Frage, ob mithilfe von Aphasietherapie größere Verbesserungen erreicht werden als durch die bloße Spontanremission zu erwarten ist, wird im Folgenden eine Antwort gegeben.

1          Effektivität von Aphasietherapie

Es gibt inzwischen mehrere Meta-Analysen randomisiert-kontrollierter Studien (RCTs), die sich mit der Frage nach der Effektivität von Aphasietherapie beschäftigen (Bhogal et al. 2003a; 2003b; Brady et al. 2012; Greener et al. 2002a; Kelly et al. 2010; Robey 1994; 1998). In den RCTs werden die Effekte der Aphasietherapie kontrolliert, indem Patienten mit einer Aphasie zufällig (randomisiert) entweder einer Aphasie-Therapiegruppe oder einer Gruppe zugewiesen werden, in der

•  keine Sprachtherapie,

•  eine soziale Aktivität bzw. eine unspezifische Stimulation oder

•  eine alternative Aphasietherapie-Methode

durchgeführt wird. Wenn die Ergebnisse der Aphasie-Therapiegruppe mit den Ergebnissen der Kontroll-Gruppen verglichen werden, so ergibt sich zum einen, dass Aphasietherapie keiner Behandlung oder einer Placebo-Behandlung signifikant überlegen ist (image Tab. 1). Aphasietherapie ist damit ohne jeden Zweifel effektiv. Sie ist es jedoch nur dann, wenn sie hochfrequent (mindestens 300 Minuten pro Woche) für einen überschaubaren Zeitraum (ca. sechs bis acht Wochen) angeboten wird (image Beitrag »Grundlagen der Aphasie«).

Die Gruppenvergleiche ergeben zum anderen, dass sich unterschiedliche Aphasietherapie-Methoden in ihrer Effektivität nicht bedeutsam voneinander unterscheiden. Damit ist keine Methode einer anderen überlegen (image Tab. 1). Es ist jedoch zu bedenken, dass die Qualität der RCTs häufig unzureichend ist. Zu den Gründen dafür zählen eine oft nur geringe Probandenzahl, eine fehlende Differenzierung zwischen Akutphase, Post-Akutphase und chronischer Phase, eine Heterogenität verwendeter Methoden und Materialien, eine erhebliche Variabilität des Alters der Patienten und des Schweregrads ihrer Aphasie, eine ätiologische Mischung der Aphasien sowie eine ungenaue Bestimmung der neuropsychologischen Defizite, die zusätzlich zu einer Aphasie vorliegen können.

Tab. 1: Effektivität von Aphasietherapie (nach Thiel 2016)

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Anzahl RCTsAnzahl PatientenVergleichErgebnis

Trotz dieser Mängel ist das Ergebnis der Effektivität einer hochfrequent durchgeführten Aphasietherapie methodisch-statistisch gut abgesichert, da es auf 39 Meta-Analysen mit insgesamt 2.518 Probanden (Zumbansen & Thiel 2014) und damit auf dem Goldstandard der evidenzbasierten Medizin beruht (Beushausen & Grötzbach 2011; Hartmann 2016). Die hohe Therapiefrequenz ist daher als Empfehlung in die Aphasie-Leitlinie (Bauer et al. 2002) und als Vorgabe in den Reha-Therapiestandard »Schlaganfall Phase D« (Deutsche Rentenversicherung Bund 2016) eingegangen. Sie findet sich im aktuellen Heilmittelkatalog jedoch (noch) nicht wieder (Grötzbach 2011). Dies könnte einer der Gründe dafür sein, warum die hohe Therapiefrequenz in den sprachtherapeutischen Praxen ebenso wenig angekommen ist wie in den stationären Einrichtungen (Asmussen et al. 2013; Schönle & Lorek 2011). Die fehlende Umsetzung der hohen Frequenz stellt allerdings nicht nur ein Problem in Deutschland, sondern auch in den anglo-amerikanischen Ländern dar (Code & Petheram 2011). Offensichtlich dauert es überall sehr lange, bis Forschungsergebnisse in die Praxis eingehen.

Es gibt allerdings einige Zweifel, ob die hohe Frequenz allein zur Beschreibung einer erfolgreichen Aphasietherapie ausreicht. Neue Überlegungen gehen davon aus, die Therapiefrequenz durch die kumulative Therapieintensität zu ersetzen (Cherney 2012; Grötzbach, im Druck). Der Vorteil der kumulativen Therapiefrequenz ist, dass sie sich nicht nur aus einem, sondern aus drei Faktoren zusammensetzt.

Die kumulative Therapiefrequenz

Konkret ergibt sich die kumulative Therapiefrequenz aus dem Produkt

Therapiedosis x Therapiefrequenz x Therapiezeitraum

(z. B. 60 Wort-Bild-Zuordnungsaufgaben pro Therapie x zwei Therapien pro Woche x sechs Wochen Therapiezeit = kumulative Therapieintensität von 720 Wort-Bild-Zuordnungsaufgaben).

Die Produktsumme ermöglicht eine Relativierung der Therapiefrequenz, indem eine relativ geringe Frequenz durch eine Erhöhung der beiden anderen Faktoren (Dosis und Therapiezeitraum) ausgeglichen werden kann. Dem Ausgleich kommt in der Praxis eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu, da Patienten mit einer Aphasie dazu tendieren, hochfrequente Therapien abzubrechen (Brady et al. 2012; Grötzbach, im Druck; Kelly et al. 2010).

Wenngleich es keine Evidenzen dafür gibt, dass eine Aphasietherapie-Methode einer anderen überlegen ist, gibt es dennoch einige wenige Methoden, für die gut abgesicherte Wirksamkeitsnachweise vorliegen. Um sie wird es im Folgenden gehen.

2          Aphasietherapie-Methoden

Wie ein Blick in die Literatur zeigt, existieren für die große Mehrheit der Methoden und Materialien, die in der Aphasietherapie eingesetzt werden, keine Wirksamkeitsnachweise (Beushausen & Grötzbach 2011; image Beitrag »Grundlagen der Aphasie«). Für eine Minderheit gilt, dass es zwar Hinweise auf ihre Effektivität gibt. Sie bestehen jedoch oft nur aus Expertenmeinungen (Evidenzgrad 5), die in der Evidenzhierarchie eine vergleichsweise geringe Bedeutung einnehmen (vgl. Hartmann 2016). Es verbleiben lediglich zwei Methoden, deren Wirksamkeit mithilfe von Meta-Analysen evaluiert worden ist.

Bei der ersten Methode handelt es sich um die »Constraint-Induced Aphasia Therapy« (CIAT), die vor 15 Jahren entwickelt worden ist (Pulvermüller et al. 2001). Die CIAT geht auf den Ansatz der »Forced-Used«-Therapie zurück, die seit längerem erfolgreich in der Ergotherapie eingesetzt wird. Der Therapie liegt der Gedanke zugrunde, die Patienten dazu zu ›zwingen‹, ihre paretische Hand im Alltag einzusetzen. Die Rationale dahinter beruht auf zwei Beobachtungen: Zum einen führt der Nicht-Gebrauch der paretischen Hand zu einer Atrophie desjenigen Hirnareals, das für die Steuerung der beeinträchtigten Hand verantwortlich ist. Zum anderen nimmt das Hirnareal, das für die Steuerung der gesunden Hand zuständig ist, aufgrund ihres ständigen Gebrauchs an Größe immer mehr zu. Die gesunde Hand wird daher in der »Forced-Used«-Therapie z. B. mithilfe eines Verbands ruhiggestellt, um zu verhindern, dass Aktivitäten, die mit der paretischen Hand möglich wären, ausschließlich von der gesunden Hand übernommen werden (für eine ausführliche Darstellung der »Forced-Used«-Therapie siehe Doidge 2008). Der erzwungene Gebrauch der paretischen Hand hat die Vorteile, dass »die Immobilisation der nicht betroffenen Hand mit einer Verkleinerung des entsprechenden Handareals und die intensive Übung der betroffenen Hand mit einer Vergrößerung des zunächst stark geschrumpften Handareals einhergeht« (Rijntjes & Weiller 2003, 711).

Pulvermüller et al. (2001) übernahmen den Gedanken des »Zwangs« und wendeten ihn in einer Gruppentherapie an, an der zwei bis drei Patienten und ein Sprachtherapeut teilnahmen. Die Gruppenmitglieder hatten zunächst die Aufgabe, aus einem Kartenstapel verdeckt Bildkarten zu ziehen, auf denen Objekte dargestellt waren. Alle Bildkarten waren doppelt vorhanden. Hatte ein Teilnehmer zufällig ein Paar identischer Bildkarten aus dem Kartenstapel gezogen, so konnte er es ablegen. War dies nicht der Fall, bestand seine nächste Aufgabe daraus, einen Mitspieler anzusprechen und ihm seine Bildkarte so zu beschreiben, dass der Mitspieler das Objekt identifizieren konnte. Der Mitspieler hatte dann zu entscheiden, ob sich die beschriebene Bildkarte in seinem Besitz befand. War das der Fall, gab er die Bildkarten an den Fragenden ab, der daraufhin sein Paar ablegen konnte. Befand sich die beschriebene Bildkarte jedoch nicht in seinem Besitz, dann war die Anfrage explizit zu verneinen.

Der ›Zwang‹ (»constraint«) in der CIAT bestand darin, dass der Sprachtherapeut darauf achtete, dass in den Anfragen und Antworten ausschließlich Sprache genutzt wurde. Mimik, Gestik, Pantomime und Zeichnen als Kompensationen für die gestörte Sprache waren damit nicht erlaubt und wurden konsequent unterbunden. Zusätzlich zu dem »Zwang« wurde das »Shaping«-Prinzip eingesetzt, indem der Schwierigkeitsgrad des Therapiematerials sowie die Komplexität der zu produzierenden Äußerungen schrittweise anstiegen (vgl. Grötzbach 2004).

An der Originalstudie nahmen insgesamt 17 Patienten mit einer chronischen Aphasie teil. Sieben von ihnen wurden zufällig einer Gruppe zugewiesen, die für ca. vier Wochen eine konventionelle Sprachtherapie mit einer Behandlungsfrequenz von 1,5 Stunden Therapie pro Tag erhielt. Die restlichen zehn Patienten wurden ebenso zufällig der CIAT-Gruppe zugewiesen, die zehn Tage lang mit einer Frequenz von mindestens 3 Stunden pro Tag stattfand. Beide Gruppen unterschieden sich nicht in der Gesamtzahl der Therapieeinheiten (zwischen 30 und 35 Stunden). Ein signifikanter Unterschied bestand jedoch in der Erkrankungsdauer, die in der CIAT-Gruppe mit 98 Monaten deutlich höher war als die der konventionellen Gruppe mit nur 24 Monaten.

Wie die Ergebnisse der Therapiestudie in Abbildung 1 zeigen, waren die sprachlichen Leistungen der konventionellen Gruppe und der CIAT-Gruppe vor Therapiebeginn gleich. Nach dem Ende der Therapie ergaben sich jedoch deutliche Unterschiede: Während die konventionelle Gruppe nur einen geringen Leistungszuwachs erreichte, verbesserte sich die CIAT-Gruppe signifikant (image Abb. 1). Dies ist umso bemerkenswerter, als die mittlere Erkrankungsdauer der CIAT-Gruppe mehr als acht Jahre betrug.

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Abb. 1: Verbesserung sprachlicher Leistungen in T-Werten nach konventioneller und CIAT-Therapie (nach Pulvermüller et al. 2001)

Die Ergebnisse der Studie legen die Schlussfolgerungen nahe, dass

•  sich sprachliche Verbesserungen auch dann noch erzielen lassen, wenn der Beginn der Aphasie schon mehrere Jahre zurückliegt,

•  die CIAT eine Therapiemethode ist, mit der in kurzer Zeit, jedoch mit einer hohen Frequenz (mindestens drei Stunden Therapie pro Tag), größere Erfolge erreicht werden als mit einer konventionellen Aphasietherapie.

Da in der Therapiestudie die Faktoren »Therapiefrequenz«, »constraint-induced« und »shaping« jedoch miteinander verbunden waren, ist unklar, auf welchem Faktor oder auf welcher Kombination von Faktoren die signifikanten Leistungsverbesserungen beruhen. Die Ergebnisse eines systematischen Reviews von zehn Evaluationsstudien deuten jedoch darauf hin, dass die Effekte der CIAT ähnlich groß sind wie die Effekte, die sich durch eine hochfrequente Therapie ergeben (Cherney et al. 2008). In einer vor kurzem veröffentlichten Arbeit wird außerdem davon ausgegangen, dass eine multimodale Aphasietherapie ebenso effektiv ist wie die »Constraint«-Bedingung (Rose 2013). Sollte dies richtig sein, wäre es nicht (mehr) nötig, die Patienten zum ausschließlichen Gebrauch von Sprache zu ›zwingen‹. Eine gelockerte »Constraint«-Bedingung enthält auch das deutschsprachige Therapiematerial »CIAT-COLLOC«, mit dem nicht nur sprachliche Funktionsverbesserungen, sondern auch sprachliche Aktivitätsfortschritte angestrebt werden (Kleine-Katthöfer et al. 2016).

Bei der zweiten Aphasietherapie-Methode, für die einige Evidenzen vorliegen, handelt es sich um die »Melodic Intonation Therapy« (MIT; Albert et al. 1973), die als Therapiemethode für Patienten mit einer Broca-Aphasie entwickelt worden ist. Sie wurde bereits vor 20 Jahren in den USA als eine vielversprechende (»promising«) Therapie eingestuft (Benson et al. 1994). Sie ist allerdings nur dann vielversprechend, wenn sie von einem in der MIT ausgebildeten und mit Aphasie erfahrenen Therapeuten durchgeführt wird. Mit der Einschätzung »promising« erreichte die MIT auf einer siebenstufigen Ratingskala einen Wert von vier, der eine durchschnittliche Beurteilung darstellt. Eine höhere Einstufung blieb der MIT damals versagt, da Nachweise von Langzeit-Therapieeffekten fehlten.

In einem erst vor kurzem durchgeführten Review wird die Effektivität der MIT nachdrücklich bestätigt (Zumbansen et al. 2014). Ihre Wirksamkeit wird darauf zurückgeführt, dass die Patienten über das Singen auf eine neue Weise das Sprechen lernen. Die Rationale hinter diesem Vorgehen ist der Gedanke, dass durch das Singen sprachsensible Regionen der rechten und damit der nichtgeschädigten Hirnhälfte aktiviert werden. Die MIT ist jedoch nicht damit zu verwechseln, dass in der Therapie einfach nur gesungen wird. Vielmehr läuft die MIT in mehreren aufeinander aufbauenden Schritten ab, die das Ziel haben, sprachliche Funktionen mithilfe

•  einer pointierten Nutzung der normalen Prosodie und Intonation,

•  eines Sprechgesangs sowie

•  eines rhythmischen Cueings

zu verbessern (Helm-Estabrooks et al. 1989). Eine korrekte Durchführung der MIT ist damit nur dann möglich, wenn die verschiedenen Techniken in ihrer Abfolge bekannt sind. Obwohl die MIT ursprünglich für die Therapie der Broca-Aphasie gedacht war, wird darüber spekuliert, dass sie auch eine Therapieoption für die Behandlung der Sprechapraxie darstellt (Zumbansen et al. 2014).

Neben den Effektivitätsnachweisen der beiden Aphasietherapie-Methoden liegen auch Meta-Analysen für die Wirksamkeit einer medikamentösen Behandlung der Aphasie vor, um die es im folgenden Abschnitt gehen wird.

3          Medikamentöse Aphasie-Behandlung

Die pharmakologische Behandlung der Aphasie hat die Ziele

•  die Neuroplastizität zu unterstützen,

•  den zerebralen Blutfluss zu verbessern und

•  die Funktionsweise der Neurotransmitter zu erhöhen.

Diesen Zielen kommt vor allem unmittelbar nach den ersten Anzeichen eines Schlaganfalls eine besondere Bedeutung zu. So besteht für ca. 4,5 Stunden nach Beginn des Insults die Möglichkeit, eine Lyse-Therapie durchzuführen, sofern der Schlaganfall auf eine Ischämie und nicht auf eine Blutung zurückzuführen ist. Mit der Lyse-Therapie wird versucht, das Ischämie-Areal wieder mit Blut zu versorgen, um dadurch die neurologischen Ausfälle rückgängig zu machen bzw. gering zu halten. Da für die Lyse-Therapie jedoch ein Zeitfenster von nur 4,5 Stunden zur Verfügung steht, muss auf die ersten Symptome eines Schlaganfalls schnell reagiert werden, indem ein Betroffener am besten sofort in eine zertifizierte ›Stroke Unit‹ gebracht wird (»time is brain«).

Die Effektivität der Lyse-Therapie gilt inzwischen als unbestritten: Wie die Ergebnisse einer Meta-Analyse zeigen, liegen die Chancen von lysierten Patienten, ihren Schlaganfall ohne größere Behinderung zu überleben, in den ersten drei Stunden um 75% höher als bei Patienten, die keine Lyse-Therapie erhalten (Emberson et al. 2014). Wird die Lyse-Therapie 3 bis 4,5 Stunden nach dem Schlaganfall durchgeführt, beträgt der Vorteil immer noch 26%.

Für den post-akuten und chronischen Verlauf stehen mehrere pharmakologische Substanzen (z. B. Piracetam, Bromocriptin, Dextran, Donepezil) zur Behandlung von Patienten mit einer Aphasie zur Verfügung. Einige dieser Substanzen wurden bereits vor 15 Jahren hinsichtlich ihrer Effektivität mithilfe einer Meta-Analyse von insgesamt zehn RTCs untersucht (Greener et al. 2002b). Die Ergebnisse der Meta-Analyse zeigten damals, dass nicht entschieden werden konnte,

•  ob die medikamentöse Behandlung von Aphasien effektiver als eine Aphasietherapie ist und

•  ob eine pharmakologische Substanz effektiver als eine andere ist (vgl. auch Grötzbach 2004).

Zwar fanden sich Hinweise darauf, dass Piracetam zu einer Verbesserung von sprachlichen Funktionen beiträgt. Diese Hinweise waren jedoch nur schwach ausgeprägt, da eine Untersuchung der Langzeiteffekte von Piracetam aufgrund einer relativ hohen »Drop-out«-Rate nicht möglich gewesen ist.

In einer neueren Meta-Analyse bestätigt sich der Nutzen von Piracetam vor allem dann, wenn es in Kombination mit Aphasietherapie gegeben wird (Liepert 2008). Das Medikament führt zu Verbesserungen in allen Untertests des Aachener Aphasie-Tests (Huber et al. 1983) und fördert damit den Wiedererwerb sprachlicher Funktionen. Ähnlich effektiv wie Piracetam ist auch Donepezil, dessen Nutzen sowohl in der Akutphase als auch in der chronischen Phase der Aphasie belegt ist (Thiel 2016). Die Wirksamkeit der beiden anderen Substanzen (Dextran, Bromocriptin) ist entweder schwach oder gar nicht ausgeprägt. Sie spielen daher als therapeutische Option keine Rolle.

Zusammenfassend fördern Piracetam und Donepezil die sprachliche Erholung nach einem Schlaganfall. Die beiden Medikamente machen Aphasietherapie jedoch nicht überflüssig. Ganz im Gegenteil: Ihr Nutzen ergibt sich vor allem dann, wenn sie in Verbindung mit einer Therapie verordnet werden. Eine weitere Möglichkeit, Aphasietherapie adjuvant zu unterstützen, stellt die nichtinvasive Hirnstimulation dar, auf deren Effektivität im Folgenden eingegangen wird.

4          Nichtinvasive Hirnstimulation

Zur Modulation der Aktivität bestimmter kortikaler Areale können zwei elektrophysiologische Methoden eingesetzt werden: Zum einen die repetitive transkranielle Magnetstimulation (»repetitive Transcranial Magnetic Stimulation«; rTMS) und zum anderen die transkranielle Gleichstromstimulation (»transcranial Direct Current Stimulation«; tDCS). Mit den beiden Methoden ist es möglich, die Aktivität einer spezifischen Hirnregion sowohl anzuregen als auch zu hemmen. Die anregende Wirkung wird in der Behandlung von Aphasien genutzt, um die Aktivitäten des linkshemisphärischen Netzwerks für Sprache zu erhöhen. Im Gegensatz dazu wird die hemmende Wirkung verwendet, um die Aktivität desjenigen Netzwerkes in der rechten Hirnhemisphäre zu reduzieren, das dem Netzwerk für Sprache in der linken Hemisphäre entspricht. Das Ziel dabei ist es, die Wiederherstellungsprozesse der beeinträchtigten linken Hirnhälfte zu unterstützen.

Die Ergebnisse mehrerer RCTs deuten darauf hin, dass sich die hemmende Wirkung der rTMS günstig auf die Erholung sprachlicher Defizite auswirkt (Zumbansen & Thiel 2014). Dies konnte für das chronische Stadium einer Aphasie nach Schlaganfall selbst dann gezeigt werden, wenn keine Aphasietherapie stattfand. Patienten in der akuten Phase ihrer Erkrankung, die Aphasietherapie erhielten, scheinen von der hemmenden Wirkung der rTMS in einem noch größeren Ausmaß zu profitieren als die Patienten in der chronischen Phase. Da von der Stimulation jedoch nicht alle Patienten gleichmäßig profitierten, sind noch diejenigen Kriterien zu bestimmen, die für eine erfolgreiche Teilnahme an der rTMS entscheidend sind.

Während für die Durchführung der rTMS gut gesicherte Effektivitätsnachweise vorliegen, ist dies für die Anwendung der tDCS (noch) nicht der Fall. Zwar gibt es auch für diese Methode erste Hinweise auf ihre Wirksamkeit, sie sind jedoch qualitativ (noch) beschränkt. Zukünftig wird sich zeigen, ob die tDCS zu ähnlichen Erfolgen führt wie die rTMS.