image

Sophia Rudolph

Im Südwesten Deutschlands geboren, entwickelte Sophia Rudolph früh eine Leidenschaft für das Lesen und Schreiben. Noch größer als ihre Leidenschaft dafür, sich in geschriebenen Texten zu verlieren, ist die, sich auf Reisen quer durch Europa zu neuen Geschichten inspirieren zu lassen. Leidenschaft spielt auch in ihren Geschichten eine große Rolle.

Mehr zur Autorin: www.sophia-rudolph.com

Bei Elysion-Books erschienen:

„Blinde Leidenschaften: Die Schöne und das Biest“ 2015

„Eiskalte Leidenschaften: Die Schöne und das Biest“ 2018

in Planung:

„Die Maske der Venus“ 2018

„Wilde Leidenschaften: Der Schöne und das Biest“ 2019

„Diamond Hearts Agency“ 2019

image

Sophia Rudolph

Eiskalte Leidenschaften

Die Schöne und das Biest

image

ELYSION-BOOKS

1. Auflage: März 2018

VOLLSTÄNDIGE AUSGABE
ORIGINALAUSGABE
© 2017 BY ELYSION BOOKS GMBH, LEIPZIG
ALL RIGHTS RESERVED

UMSCHLAGGESTALTUNG: Ulrike Kleinert
www.dreamaddiction.de
FOTOS: © Fotolia/Knut Wiarda © Fotolia/Subbotina Anna

LAYOUT &WERKSATZ: Hanspeter Ludwig
www.imaginary-world.de

ISBN (vollständiges Buch) 978-3-945163-77-1
ISBN (vollständiges ebook) 978-3-945163-78-8
www.Elysion-Books.com

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 1

image

»Hören Sie Henry, es ist mir vollkommen egal, welchen angeblich ach so großen Designern Sie die beiden vorstellen wollen. Wir reden hier von zwei siebzehnjährigen Mädchen. Ich führe eine Modelagentur, keinen Escortservice!« Ava presste Daumen und Zeigefinger ihrer rechten Hand fest gegen ihre Nasenwurzel, während ihre Linke den Telefonhörer noch fester packte. Sie presste die Lippen aufeinander, als ihr Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung erneut protestierte.

»Sind Sie schwerhörig oder einfach nur dumm?«, platzte es schließlich aus ihr heraus und es gelang ihr, Henry Stanton für einen Moment zum Schweigen zu bringen, während sie selbst versuchte, ihre Wut zu zügeln. »Ich erkläre es Ihnen jetzt zum allerletzten Mal, Henry: Mia und Arabella werden nicht zu diesem angeblichen Shooting kommen, das sich am Ende nur als wilde Party herausstellt. Nicht morgen, nicht übermorgen, überhaupt nicht. Kein einziges meiner Models wird je wieder für einen Job an Sie vermittelt. Haben Sie das jetzt endlich verstanden?« Ohne eine Antwort von ihm abzuwarten legte sie auf.

Ein Pochen breitete sich hinter ihren Schläfen aus. Ava musste an sich halten, um Henry nicht in aller Deutlichkeit an den Kopf zu werfen, was sie von ihm und seinen neuesten Fotos hielt. Als sie vor einer Stunde ihr Büro betreten hatte, hatte ihre Assistentin sie bereits gewarnt, dass zwei aufgelöste Models mit ihren Eltern auf sie warteten. Phoebe hatte nicht zu viel versprochen. Beide Mädchen hatten rotgeweinte Augen, ihre Eltern hingegen vor Zorn rotglühende Wangen.

Henry Stanton hatte schon öfter versucht, das ein oder andere Model dazu zu überreden, mehr von sich preiszugeben als im Vorfeld vereinbart worden war. Das hatte er bereits zu Avas eigenen Zeiten im Business getan und sie kannte einige ehemalige Kolleginnen, die sich auf sein Spiel einließen. Immerhin war er vor zehn Jahren als neues Fotografengenie am Modehimmel gefeiert worden. Der Ruhm war ihm jedoch äußerst schnell zu Kopf gestiegen. Ava hatte sich nie auf seinesgleichen eingelassen. Sie würde auch nicht zulassen, dass eines ihrer Models sich zu derlei herablassen würde.

Ava griff noch einmal zum Hörer und drückte den Schnellwahlknopf, mit dem sie ihre Assistentin ans Telefon bekam.

»Phoebe, setz Henry Stanton bitte auf die schwarze Liste. Und lass vorsorglich seine Nummer blockieren. Ich will mit diesem Schwein nie wieder etwas zu tun haben.«

»Geht in Ordnung. Aber könntest du kurz kommen? Hier ist ein Kurier mit einer Eilzustellung, die er nur dir persönlich aushändigen will.«

»Bin gleich da.«

Als sie aufstand, strich Ava über den Rock ihres Kostüms und zog ihre Jacke zurecht. Mit schnellen Schritten durchquerte sie ihr Büro und trat auf den Flur. Sie konnte Phoebes Telefon schon wieder läuten hören, ehe sie am Empfangsbereich angekommen war.

Ein junger Mann im Fahrraddress stand vor dem Empfangstresen und wippte von einem Fuß auf den anderen.

»Sind Sie Ava Gainsborough?«

»Die bin ich.«

Er musterte sie mit zusammengekniffenen Augen.

»Können Sie sich ausweisen? Ich kann dieses Schreiben nur mit Ausweis aushändigen.«

Phoebe hielt kurz in ihrem Telefonat inne und zuckte mit den Schultern, als Ava ihr einen ungläubigen Blick zuwarf. Ava unterdrückte ein Seufzen, als sie in ihr Büro zurückkehrte, um ihren Ausweis zu holen.

»Hier, bitte sehr.« Sie zeigte dem Kurier ihren Ausweis und streckte erwartungsvoll ihre Hand entgegen.

»Hier noch eine Unterschrift«, verlangte der Kurier noch von ihr, ehe er ihr endlich den großen Umschlag überreichte. Ein Blick auf den Absender erklärte Ava diesen ganzen Aufstand nur zu gut. Bradley Amesbury. Für einen Moment schloss sie die Augen. Das Pochen hinter ihren Schläfe wurde schon wieder stärker.

»Ich bin die nächste Viertelstunde nicht zu sprechen«, rief Ava Phoebe noch zu, ehe sie in ihr Büro zurückkehrte und die Tür hinter sich schloss. Noch während sie sich setzte, griff sie nach dem silbernen Brieföffner auf ihrem Schreibtisch und zog ihn mit einer schwungvollen Handbewegung durch den weißen Briefumschlag. Sie konnte nicht verstehen, wieso der Anwalt ihres Noch-Ehemannes sich die Mühe machte, seine Post per Kurier zu schicken. Bisher hatte Ava noch jede seiner unzähligen Forderungen widerstandslos akzeptiert. Sie hatte auch überhaupt kein Interesse daran, Anspruch auf das Haus am Londoner Stadtrand zu erheben, das Michael vor zwei Jahren für sie beide gekauft hatte. Einen Rückzugsort für stressige Zeiten hatte er es genannt. Gemeint hatte er ein Liebesnest für ihn und seine Geliebte. Ava wollte dieses Haus ganz bestimmt nicht haben. Genauso wenig wie irgendeinen Bestandteil seiner Ausstattung, ganz egal, wie viel von ihrem eigenen Vermögen Michael darauf verschwendet hatte. Sie wollte diese Scheidung nur noch hinter sich bringen und endlich ein neues Michael - und generell männerfreies - Kapitel in ihrem Leben aufschlagen. Sie zückte schon ihren Kugelschreiber, um die heutige Forderung zu unterschreiben, doch als sie begann, das Schreiben Amesburys zu lesen, fiel ihr der Kugelschreiber mit einem lauten Scheppern auf die Glasplatte ihres Schreibtisches.

image

Oliver lehnte sich noch ein Stück weiter in seinem Stuhl zurück und schloss die Augen, ehe er die weiße Decke seines Büros sehen konnte.

»Paul, Paul, natürlich werden Sie diesen Vertrag nie brauchen.« Oliver kreuzte seine Füße auf dem Schreibtisch und nickte, obwohl sein Gesprächspartner ihn nicht sehen konnte.

»Natürlich Paul, Tiffy wird das schon verstehen. … Aber selbstverständlich. Ich mache den Vertrag fertig und schicke ihn Ihnen heute Abend noch zu.« Oliver drückte einen Knopf auf dem kleinen Headset über seinem Ohr, um das Gespräch zu beenden.

»In einem halben Jahr wird er mir dankbar sein.« Oliver öffnete die Augen und drehte den Kopf zur Tür.

»Matt, was kann ich für dich tun?«, erkundigte er sich bei seinem Kollegen und nahm die Füße vom Tisch.

»Ich bin doch immer wieder überrascht darüber, dass deine Mandanten tatsächlich zu dir zurückkehren«, begrüßte Matthew ihn und schloss die Tür hinter sich. Oliver grinste und zuckte mit den Schultern.

»Ich bin der Beste und das wissen sie. Und seien wir ehrlich, es ist Pauls fünfte Ehe und seine Auserwählte Tiffy ist gerade achtzehn geworden. In ein, zwei Monaten fängt sie eine Affäre mit ihrem Personal Trainer oder ihrem Tenniscoach oder irgendeinem anderen athletischen, gutaussehenden Kerl an, der höchstens halb so alt sein wird, wie Paul es ist. Ein paar Wochen später wird auch Paul selbst bemerken, dass seine geliebte Tiffy ihm nicht treu ist, er wird versuchen, sie zurückzugewinnen, wird ihr ein Vermögen an Geschenken überlassen und in einem halben Jahr wird er um einen Termin bitten, damit wir die anstehende Scheidung besprechen. Aber du bist sicher nicht seinetwegen hier?« Oliver warf einen Blick auf den roten Aktendeckel in Matthews Hand. Es stand kein Name darauf, keine Bezeichnung, keinerlei Hinweis darauf, was sich in seinem Inneren befand. Sein Kollege wusste offensichtlich nur zu gut, wie er Olivers Interesse erregen konnte.

»Ich habe eine Scheidung für dich, die etwas kniffliger sein könnte.«

»Einer deiner Mandanten?« Oliver seufzte, sein Interesse bereits wieder erloschen. Matthew war Wirtschaftsanwalt, vertrat die großen Firmen des Landes. Die Akte, die Matthew ihm gerade auf den Tisch legte, die Hand noch auf dem Deckel, um Oliver daran zu hindern, hineinzusehen, würde einen ähnlichen Fall wie Pauls beinhalten. Dabei hatte er sich für einen kurzen Augenblick darüber gefreut, eine Herausforderung vor sich zu haben.

»Eine Mandantin, ja«, noch immer ruhte Matthews Hand auf der Akte. »Eine Mandantin, die sich in einer richtig miesen Scheidung wiederfindet, die sie wirklich nicht verdient hat. Wenn sie jemand da raushauen kann, dann du, aber versprich mir bitte, ihr gegenüber nett zu sein und dich zu benehmen.«

»Tu ich das nicht immer?«, fragte Oliver und griff nun nach der Akte. »Ava Gainsborough … der Name sagt mir etwas.« Er sah Matthew fragend an.

»Sie war Britain’s Darling. Du erinnerst dich? Das Casting vor zwölf Jahren bei dem sie Darsteller für eine Jubiläumsaufführung von Peter Pan suchten?«

Oliver runzelte die Stirn.

»Das weißt du wirklich nicht mehr? Ava hat sich mit nur fünfzehn Jahren gegen erwachsene und etablierte Schauspielerinnen für die Rolle durchgesetzt. Nachdem die Laufzeit des Stückes vorbei war, wechselte sie ins Modelbusiness.«

»Jetzt reden wir …«, erklärte Oliver. Model sagte ihm doch weitaus mehr, als jugendliche Theaterschauspielerin.

»Ein Topmodel im Scheidungskrieg, ja?« Er begann, sich den Ehevertrag, der vor ihm lag, genauer anzusehen.

»Exmodel«, korrigierte Matthew ihn. »Sie hat das Modeln bereits vor vier Jahren aufgegeben und sich stattdessen eine Modelagentur aufgebaut. Eine überaus erfolgreiche Agentur.«

»Lass mich raten, an dem Erfolg bist du nicht ganz unbeteiligt«, murmelte Oliver, als er die erste Seite umblätterte. »Was hat sie angestellt?«

»Ihr Mann ist fremdgegangen, sie hat sich von ihm getrennt und die Scheidung eingereicht.«

Oliver sah von dem Vertrag auf und wartete darauf, dass Matthew fortfuhr.

»Ich verstehe nicht, wie diese Angelegenheit dann für sie schwierig sein könnte?«, erklärte er schließlich. Matthew räusperte sich und erhob sich langsam.

»Seite fünf, Paragraph dreizehn.«

Oliver schlug die genannte Seite auf und überflog den genannten Paragraphen.

»Ist das dein Ernst?«

»Denk dran, du hast versprochen nett zu sein und dich zu benehmen. Ich hab Amber gesagt, sie soll für morgen einen Termin mit Ava ausmachen, das sollte dir ja genug Zeit geben, den Vertrag auf Herz und Nieren zu prüfen. Vielleicht findest du ja etwas, das ihr hilft, aus der Sache rauszukommen, ohne, dass sie alles verliert oder es zu einer Schlammschlacht kommt. Oder schlimmer: beides passiert.«

Oliver sah Matthew ungläubig nach, bis dieser sein Büro verlassen hatte. Als sich die Tür hinter ihm schloss, senkte er den Blick wieder über den Vertrag. Er fluchte leise und drückte den Kopf an seinem Headset, der ihn mit seiner Sekretärin verband.

»Amber, für heute keine weiteren Telefonate durchstellen, die nicht im Vorfeld vereinbart wurden. Ach und wann kommt Ava Gainsborough morgen?«

»Um zehn Uhr, habe ich mit ihr vereinbart«, kam die Antwort. Oliver beendete das Gespräch und begann, den Ehevertrag noch einmal von Anfang an durchzulesen und sich Notizen dazu zu machen.

image

»Ava Gainsborough ist da«, erklang Ambers Stimme über Olivers Headset.

»Danke, Amber, schick sie rein.« Oliver nahm das Headset vom Ohr, schaltete es aus und legte es auf den Schreibtisch. Er hatte sich den Ehevertrag, der vor ihm in der Akte lag, gründlich durchgelesen. Den Rest des vorigen Tages hatte er damit zugebracht, Recherchen über seine neue Klientin anzustellen. Er hatte unzählige alte Zeitungsartikel und Bilder über das von Matthew erwähnte Casting für ihre spätere Rolle der Wendy Darling gefunden, ganz zu schweigen von etlichen Fotos aus ihrer Modelkarriere. Aber so sehr er auch suchte, er konnte nichts finden, das neuer war, als vier Jahre. Kaum, dass sie dem Modeldasein den Rücken gekehrt hatte, schien sie aus der Öffentlichkeit verschwunden zu sein. Er fand zwar einige Informationen über ihre Agentur, aber Ava Gainsborough selbst tauchte auf keinem weiteren Foto mehr auf. Mit dem letzten Bild, das er von ihr von einer Fashion Show in Mailand vor vier Jahren gefunden hatte, vor Augen, traute Oliver seinen Augen nicht, als Ava Gainsborough nun durch die Tür seines Büros trat.

Sie war immer noch schlank, blond und gutaussehend, aber sie versuchte das offensichtlich tunlichst zu vermeiden. Die Queen selbst könnte sich nicht mehr verhüllen, als es die Frau tat, die gerade auf seinen Schreibtisch zukam. Er hörte Amesbury bereits die Korken des Siegeschampagners öffnen. Angefangen von dem zu einem festen Dutt zurückgebundenen Haar über das beigefarbene Kostüm, dessen Rock deutlich unterhalb ihrer Knie endete und das insgesamt eine Nummer zu groß wirkte bis hin zu den ebenso beigefarbenen Pumps, die kaum einen Laut auf den Holzdielen unter ihnen verursachten, war sie ein fleischgewordener Abtörner. Das konnte unmöglich die gleiche Frau sein, von der er am Abend zuvor noch Fotos aus der Sports Illustrated gesehen hatte, auf denen sie sich in der damals neuesten Bikinikollektion am Strand räkelte.

»Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie mir so schnell einen Termin geben konnten, Mr. Rutherford. Matthew sagte, Sie seien der Beste in Ihrem Fachbereich.« Sie rang sich den Anflug eines Lächelns ab und streckte ihm ihre rechte Hand entgegen. Perfekt manikürt, aber nicht der leiseste Hauch Farbe auf ihren Nägeln, stellte Oliver fest. Als sie ihre Hand senkte, bemerkte Oliver erst, dass er sie noch immer anstarrte. Er räusperte sich, erhob sich leicht und schüttelte ihre Hand.

»Bitte, setzen Sie sich«, forderte er sie auf und warf einen Blick auf seine Notizen vom Vortag. Ein Seufzen unterdrückend riss er die beiden Blätter aus dem Block, knüllte sie zusammen und warf sie in den Papiereimer unter seinem Schreibtisch. Sie würden ihm nicht helfen. Er hatte angenommen, es hier mit dem leichtesten Fall der Geschichte zu tun zu haben. Diese Annahme hatte Miss Gainsborough gerade zunichte gemacht. Sie erinnerte ihn an seine Großmutter, schoss es ihm durch den Kopf, wie sie so dasaß, die manikürten aber unlackierten Hände um die Handtasche auf ihrem Schoß geklammert, als fürchte sie, man würde sie ihr jeden Moment entreißen.

»Ist Ihnen bewusst, was genau in dem Schreiben von Bradley Amesbury steht, welches Sie mir überlassen haben?«

Sie presste die Lippen fest aufeinander und straffte die Schultern. Oliver schloss daraus, dass sie den Brief durchaus verstanden hatte.

»Wieso …« Er unterbrach sich. Es kostete ihn viel Mühe, aber er fragte sie nicht, wieso sie sich dann so verhielt, dass es Amesbury geradezu in die Hände spielte.

»Michael will mir alles wegnehmen, wofür ich gearbeitet habe oder was mir persönlich etwas bedeutet, das habe ich sehr wohl verstanden. Nach dem »Wieso« müssen sie allerdings meinen Exmann oder seinen Anwalt selbst fragen. Er mag das Penthouse nicht, er findet die Tiefgaragenparkplätze zu eng und traut unseren Nachbarn nicht, keinen Kratzer in seinen Wagen zu machen. Er mag es nicht, wie ich es eingerichtet habe und lebt seit unserer Trennung ohnehin im Haus am Stadtrand. Er kann mit der Agentur nichts anfangen. Er hat keine Ahnung vom Business. Und am allerwenigsten kann er etwas mit Rufus anfangen.«

»Sie haben ein Kind?«

»Einen Hund«, korrigierte sie ihn und vor Olivers innerem Auge tauchte das Foto eines dieser kleinen Quälgeister auf, die man in einer Handtasche spazieren führte. Diese Frau machte es ihm wirklich nicht einfach. Er hob die Hand, als sie den Mund öffnete, um fortzufahren.

»Das war gar nicht das, was ich meinte. Ich habe mich vielmehr gefragt, ob Ihnen bewusst ist, auf welcher Grundlage Ihr Noch-Ehemann die Rechte an allem, was Sie während der Ehe erwirtschaftet haben, einfordert.«

Ihre Lippen wurden zu einer noch schmaleren Linie, als Oliver es für möglich gehalten hatte. Ja, sie hatte definitiv verstanden, was der Auslöser des Schreibens gewesen war.

Oliver lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sah sein Gegenüber schweigend an.

»Was genau wollen Sie hören, Mr. Rutherford? Dass ich jung, dumm und naiv war, diesen Vertrag zu unterschreiben?«, sie nickte in Richtung des Vertrages auf seinem Schreibtisch. Ihre Stimme blieb ruhig. Oliver hatte schon gestandene Firmenbosse in ähnlichen Situationen in Wutausbrüche oder Tränenanfälle ausbrechen sehen. Ava Gainsborough tat weder das eine, noch das andere.

»Ja, ich war jung, dumm und naiv. Ich war verliebt und habe Michael vertraut und den Vertrag unterschrieben, ohne ihn genau gegenzulesen oder prüfen zu lassen.«

»Nein, nein«, wehrte Oliver ab, »das ist schon ganz Anderen passiert.«

»Matthew sagte, Sie seien der Beste und wenn es jemanden gäbe, der mir helfen könne, dann wären Sie das. Wenn Sie sich nicht in der Lage sehen, mir zu helfen, so sagen Sie es bitte gleich.«

»Sagen Sie mir bitte in Ihren eigenen Worten, weshalb Ihr Mann Sie verklagen kann.«

»Was soll das?«

»Ich will nur sichergehen, dass Sie die Angelegenheit wirklich verstanden haben.«

Ihre Hände umschlossen die Handtasche so fest, dass Oliver zusehen konnte, wie sich ihre Knöchel weiß färbten. Gut, vielleicht steckten hinter dieser kühlen Fassade ja doch noch irgendwo ein paar mehr Emotionen, die man herauskitzeln konnte.

»Mrs. Gainsborough?«

»Miss«, korrigierte sie ihn und Oliver fühlte sich für einen Augenblick an seine Schulzeit erinnert. Schade, dass Miss Gainsboroughs Kostüm nicht einige Nummern kleiner und ihre weiße Bluse nicht ein wenig durchsichtiger war.

»Paragraph dreizehn des Ehevertrages sieht vor, dass beide Parteien jederzeit dazu bereit sind, ihren ehelichen Pflichten nachzukommen. Michael wirft mir vor, ich hätte diesen Paragraphen verletzt und sei … nicht in der Lage, ihn zu erfüllen.«

»Mhm«, Oliver beobachtete sie genau, während er den Brief zu sich zog. »Ich glaube, das genauen Wort, das Mr. Amesbury von Ihrem Mann wiedergibt lautet frigide

Ein Zucken um ihre Augen. Ganz kurz nur, doch Oliver hatte es gesehen.

»Sind Sie frigide Miss Gainsborough?«, fragte er gerade heraus und beugte sich leicht über den Schreibtisch.

»Nein«, lautete ihre knappe, emotionslose Antwort. Oliver neigte den Kopf zur Seite. Er war zu nah dran. Es fehlte nicht mehr viel, um sie aus der Fassung zu bringen.

»Beweisen Sie es mir.«

Nichts. Sie zeigte keinerlei Regung. Oliver lehnte sich wieder in seinem Stuhl zurück, hob die Arme und verschränkte die Hände hinter seinem Kopf.

»Seien wir ehrlich, wenn Sie so vor Gericht auftauchen, wie Sie es in meinem Büro tun, wird jeder Richter der Welt ihrem Mann einen Freifahrtschein fürs Fremdgehen ausstellen. Sie wollen, dass ich Ihren Fall übernehme, Miss Gainsborough, einen Fall, der so gut wie unmöglich zu gewinnen ist. Ich verliere keine Fälle, Miss Gainsborough, also beweisen Sie mir, dass es überhaupt eine Chance gibt, ihn zu gewinnen. Zeigen Sie mir, dass Ihr Ehemann lügt, dass sie nicht frigide sind. Ziehen Sie sich aus.«

Kapitel 2

image

»Wie ist es gelaufen?«, fragte Phoebe, kaum, dass Ava ins Büro kam.

»Frag nicht«, bat Ava. Sie kochte noch immer vor Wut. Was glaubte dieser Kerl eigentlich, wer er war? Und was um alles in der Welt hatte Matthew sich dabei gedacht, sie zu ihm zu schicken? Er musste doch wissen, was für ein Arschloch sein Kollege war.

»So schlimm, ja?« Phoebe zog die unterste Schublade ihres Schreibtisches auf und holte eine Schachtel Pralinen hervor, die sie Ava entgegenhielt.

»Ist Alkohol drin, aber verrat’s nicht dem Boss.«

Avas Mundwinkel zuckten, als sie eine der Pralinen nahm.

»Danke, Phoebs.«

»Nimm sie mit, ich hab noch´ne Packung«, erklärte ihre Assistentin und hielt ihr die Schachtel weiterhin entgegen. »Kann ich sonst noch was tun? Außer Michael zu verprügeln. Du weißt, das Angebot steht noch.«

»Du könntest nach Scheidungsanwälten für mich suchen, mir eine Liste ausdrucken. Ich hab noch ein paar Telefonate zu führen …«, und sie spürte, wie sich ein stechender Schmerz hinter ihren Schläfen ausbreitete.

»Ich mach mich gleich dran«, versprach Phoebe und wandte sich ihrem Computer zu.

»Du bist die Beste.«

»Ich weiß, vergiss das nur nicht. Mein Geburtstag ist in drei Monaten.«

image

Drei Stunden später schloss Ava die Tür zu ihrem Penthouse auf. Rufus kam sofort auf sie zugelaufen. Ava ließ sich auf die Knie fallen und schlang die Arme um den Hals des Wolfshundes.

»Er darf dich nicht kriegen, Kleiner«, flüsterte Ava in das graue, zottelige Fell. Rufus leckte ihr übers Gesicht und legte seine Pfoten auf ihre Knie.

»Schon gut, schon gut. Komm, Zeit für dein Futter.« Nachdem sie Rufus gefüttert hatte, nahm sie eine Migränetablette und ging zur Couch. Ihre Kopfschmerzen waren in den letzten Stunden nur noch stärker geworden und sie hatte die Arbeit für den Tag beendet. Ava zog Phoebes Liste mit Scheidungsanwälten aus der Tasche und ging sie durch. Phoebe hatte nicht nur Namen und Telefonnummern aufgeschrieben, sondern auch Anmerkungen dazu notiert. Keine davon war erbaulich. Laut Phoebes Liste konnte es keiner der von ihr gefundenen Anwälte mit Bradley Amesbury aufnehmen. Nicht, dass sie das überraschte. Michael hatte stets betont, mit Amesbury einen der besten Anwälte des Landes zu kennen. Als sie mit der Agentur statt zu ihm zu Matthew als Klientin ging, hatte Michael sich persönlich angegriffen gefühlt. Ihr Versuch, ihm zu erklären, dass sie Bradley Amesbury einfach unsympathisch fand und nicht in der Lage war, auf Jahre mit ihm zusammenzuarbeiten, hatte Michael ihr vorgehalten, Geschäftliches mit Privatem zu vermischen. Sie hatte ihn nicht darauf hingewiesen, dass Amesbury ein Golffreund seines Vaters war.

Mit einem Seufzen legte sie die Liste auf den Tisch und ließ sich gegen die Rückenlehne der Couch fallen. Rufus war mit einem Satz bei ihr und machte es sich neben ihr bequem, den Kopf auf ihrem Oberschenkel ruhend.

»Was mach ich denn jetzt, Rufus?«, fragte Ava, während sie ihn streichelte. Ihr Magen zog sich krampfhaft zusammen. Sie fühlte sich in die Enge getrieben. Schlimmer noch, sie fühlte sich gänzlich hilflos und ausgeliefert. Allein der Gedanke daran, keine Kontrolle über ihr Leben zu haben, ließ sie erschaudern. Sie hasste es, von anderen abhängig zu sein.

Ava war es gewohnt, die Dinge allein zu regeln. Sie wusste, dass manche ihrer ehemaligen Kolleginnen ihr nachsagten, sie habe den einfachen Weg gewählt, als sie mit zwanzig geheiratet hatte. Sie hatten sie für unselbständig gehalten, für ein Mädchen, das einen Mann an seiner Seite brauchte, um klar zu kommen. Noch am Tag ihrer Hochzeit hatte sich ihre Trauzeugin über solche Anmerkungen von Gästen und Journalisten gleichermaßen empört. Ein Lächeln huschte über Avas Gesicht, als sie an Stellas Tirade an Flüchen dachte, die die Italienerin an diesem Tag über jeden ergossen hatte, der es wagte, hinter vorgehaltener Hand zu tuscheln. Ava selbst hatte nur gelacht. Sie hatte ihre ganze Schulzeit auf einem Internat verbracht, hatte selbst darauf bestanden, die Schule abzuschließen, ehe sie sich voll und ganz auf das Modeln konzentrierte. Sie hatte Michael nicht geheiratet, um nicht allein zu sein, oder jemanden zu haben, der sich für sie um irgendetwas kümmerte. Sie hatte ihn geheiratet, weil sie ihn geliebt hatte.

»Ich war ein dummes, dummes Kind, Rufus.«

Der Wolfshund gähnte nur und rollte sich eng neben ihr zusammen. Sie durfte ihn nicht verlieren, dachte Ava. Michael konnte mit Hunden nichts anfangen. Er wollte Rufus nur haben, um sie zu verletzen. Was genau sie ihm getan hatte, dass er solch einen Hass auf sie hatte, wusste sie selbst nicht.

Für einen Moment überlegte Ava, Stella anzurufen. Dann verwarf sie diesen Gedanken wieder. Sie wusste genau, was Stella ihr sagen würde: Dass sie ihren Stolz über Bord werfen und dieses ungehobelte Miststück anrufen sollte, dessen Büro sie vor einigen Stunden wütender verlassen hatte, als sie bereits nach Amesburys Brief gewesen war. Wenn er der einzige war, der Amesbury schlagen konnte, musste sich Ava mit ihm arrangieren. Koste es, was es wolle.

image

»Miss Gainsborough, ich bin überrascht, Sie noch einmal zu hören.« Oliver blätterte weiter durch seine Akte auf der Suche nach einem Fax, von dem er überzeugt war, es vor einigen Wochen erhalten zu haben.

»Ich gehe auf Ihr Angebot ein«, erklang die helle Stimme an seinem Ohr. Keine Begrüßung, keine Gefühlsregung, nichts.

»Das überrascht mich jetzt.« Das tat es wirklich. Nachdem sie ihn beschimpft hatte und aus dem Büro marschiert war, hatte er nicht erwartet, noch einmal von ihr zu hören, geschweige denn, dass sie ihm doch noch ihren Fall überlassen würde. Er legte seine aktuelle Akte zur Seite. Das Fax konnte warten.

»Sie sind also dazu bereit, mir zu beweisen, dass Sie nicht frigide sind?«

Einen Moment lang herrschte das ihm geradezu vertraute Schweigen, gefolgt von einem Seufzen.

»Sie sind ein Mistkerl, Mr. Rutherford.«

Oliver lachte. »Ein Mistkerl, ja? Sagen Sie, wie viel Mühe hat es Sie gekostet, das gerade zu sagen? Als sie vorhin so überaus undramatisch aus meinem Büro stolzierten – sie hätten wenigstens noch die Tür knallen können – war ich noch ein ungehobelter Kerl. Müssen Sie erst nackt vor mir stehen, um wirklich aussprechen zu können, was Sie denken?«

»Mr. Rutherford …«

»Kommen Sie, Ms. Gainsborough, sagen Sie es: Ich bin ein Arschloch.«

Er glaubte ein Schnauben zu hören, von dem er nicht annahm, dass es als Widerspruch zu seiner Aussage aufzufassen war.

»Sehen Sie, es tut gar nicht weh. Ich bin ein Arschloch und ehrlich gesagt auch verdammt stolz darauf. Denn dadurch gewinne ich die Fälle meiner Klienten. Ich bin nämlich das beste Arschloch auf der ganzen verdammten Insel.«

»Wenn Sie dann damit fertig wären, sich selbst zu loben …«

»Immerhin sind wir uns darin einig, dass es ein Lob ist.«

»Wir sind uns ebenso über Ihre nicht vorhandenen sozialen Kompetenzen einig, Mr. Rutherford.«

»Solange wir uns auch darüber einig sind, dass Sie meine Forderungen erfüllen?«

Oliver zählte die Länge des Schweigens dieses Mal mit. Er kam gerade bei sieben an, als sie ihm antwortete.

»Ich kann nicht zulassen, dass Michael gewinnt.«

»Das deute ich als ja. Das heißt allerdings auch, wir haben einiges an Arbeit vor uns. Ich bin hier noch einige Zeit beschäftigt«, er warf einen Blick auf den Aktenstapel auf seinem Schreibtisch und ging in Gedanken durch, um welche Fälle es sich dabei handelte. »Ich kann um acht bei Ihnen sein.«

»Gut, ich bin zu Hause.« Das Seufzen war nicht zu überhören. Olivers Mundwinkel zuckten. Er würde diese eisige Fassade schon noch zum Schmelzen bringen.

»Vergessen Sie unsere Abmachung nicht, ich erwarte heute Abend alles von Ihnen zu sehen.« Er ließ ihr keine Zeit zum Antworten, ehe er das Gespräch beendete.

image