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Vorwort der AutorInnen

Schon allein auf den Gedanken, den Boykott von Kultur und Wissen als politisches Druckmittel einzusetzen, reagieren viele ratlos, zurückhaltend oder ablehnend. Universität und Kultur seien per se über politische Streitigkeiten erhaben. Sie zu boykottieren, bedeute einen Angriff auf die akademische Freiheit und die freie Meinungsäußerung, also grundlegende Freiheiten der Forschung und des künstlerischen Schaffens. Es zerstöre die Brücke zu Dialog und friedlichem Austausch, den Universität und Kultur darstellten. Nicht zuletzt würden durch einen solchen Boykott Einzelpersonen angegriffen und zu Unrecht stigmatisiert.

Der Boykott israelischer akademischer und kultureller Einrichtungen als wesentlicher Bestandteil der weltweiten Kampagne für Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen (BDS) ist trotz wachsender Unterstützung in aller Welt weiterhin nur wenig bis gar nicht bekannt. Er wird oft falsch interpretiert und löst selbst unter aufrichtigen BefürworterInnen eines Friedens in Israel/Palästina, die durchaus empfänglich sind für Argumente zugunsten eines wirtschaftlichen Boykotts von Israel, Kontroversen aus. Nach Ansicht der GegnerInnen eines kulturellen und akademischen Boykotts drohe dieser die Reihen der israelischen Oppositionellen zu schwächen und die Falken zu einer noch unbeugsameren Haltung zu provozieren. Andererseits werde damit der Menschheit der wichtige Beitrag Israels zur weltweiten Forschung vorenthalten.

Diese Fragen und Einwände sind nicht nur auf eine Unkenntnis des Wortlauts des palästinensischen Aufrufs zum akademischen und kulturellen Boykott (PACBI) zurückzuführen, sondern werden auch durch Unkenntnis, eine verzerrte Wahrnehmung und falsche Vorstellungen genährt, die im Ausland über die israelischen Unis und die israelische Kultur verbreitet werden. Aus diesem Grund haben wir uns entschieden, deren Realität und den Kontext, in dem ihr idealisiertes Bild hervorgebracht wird, zu beschreiben.

In dem, was gemeinhin als neoliberale Welt der globalisierten Ökonomie bezeichnet wird, sind die kulturellen Produktionen und die Wissensinstitutionen (neben dem Sport) die letzten »Erzeugnisse«, die als national identifiziert oder mit Staaten gleichgesetzt werden. In ihrer Funktion als nationale Fahnenträger bieten sie einen Hebel, um Druck auf die Regierung des jeweiligen Landes auszuüben. Es mag verwundern, dass der Aufruf zum akademischen und kulturellen Boykott, hauptsächlich in Zusammenarbeit mit israelischen und palästinensischen PartnerInnen, gerade von Leuten mitgetragen wird, die wie wir in eben diesem universitären und kulturellen Bereich tätig sind. Wir haben beschlossen, diesen Essay zu verfassen, weil wir überzeugt sind, dass nur von außen kommender Druck die gefährlichen Gewissheiten der israelischen Politik erschüttern und denen, die sie erleiden müssen, Hoffnung bieten können. Aber auch, weil die Freiheit der Kritik und die Ausweitung von Räumen zur individuellen Entfaltung im Zentrum künstlerischen Schaffens und akademischer Arbeit stehen. Die Freiheit, zum Boykott aufzurufen, steht nicht im Gegensatz zur Freiheit der Kritik oder zur Redefreiheit, sondern ist ein Teil davon.

Mit diesem Essay verteidigen wir nicht nur die Freiheit des künstlerischen Schaffens und der Forschung, sondern auch einen vom Joch der Macht befreiten Austausch zwischen Kulturschaffenden und WissenschaftlerInnen.

Es ist uns bewusst, dass wir mit dieser Stellungnahme nicht nur den Zorn unserer GegnerInnen auf uns ziehen, sondern auch bei manchen uns Nahestehenden, KollegInnen und Bekannten hier wie dort auf Unverständnis stoßen werden. Mit diesem Buch wollen wir unsere palästinensischen FreundInnen und KollegInnen unterstützen und ermutigen, all jene, die unter militärischer Besatzung leben – FilmemacherInnen, KünstlerInnen, ArchitektInnen, AkademikerInnen und Forschende, die auch jenseits der Krisenmomente, die Schlagzeilen machen, ein tägliches Martyrium durchstehen –, wie auch all die vielen palästinensischen PartnerInnen in der Diaspora, denen es untersagt ist, sich in ihre Heimat zu begeben.

Wir denken aber auch an unsere israelischen FreundInnen und KollegInnen, von denen viele im kulturellen oder akademischen Bereich tätig sind. Alle, die noch immer an die Möglichkeit eines politischen Wandels glauben, räumen ein, dass nur Druck von außen Einfluss auf die Regierung nehmen und die israelische Gesellschaft aufrütteln kann. Da sie im Land selbst leben und arbeiten, schrecken viele davor zurück, öffentlich zum Boykott aufzurufen. Mit diesen Seiten wollen wir auch für diese Israelis sprechen, die unter einer zunehmenden Isolation leiden, und ihnen Vertrauen und Mut zusprechen.

Unser Dank gilt Eric Hazan für sein Vertrauen, uns die Abfassung dieses Buchs vorzuschlagen; Kawthar Guediri und Jean Stern für ihre wohlwollenden Ratschläge zum Manuskript; Valérie Thouard für ihr aufmerksames Korrekturlesen; und Sylvia E. und Cécile P., die uns die Subtilitäten der Marketingsprache nähergebracht haben.

Paris, im August 2016,
Eyal Sivan und Armelle Laborie

Vorwort der Übersetzerin

Im Vergleich zum deutschsprachigen Raum besteht in Großbritannien, den USA und Frankreich eine wesentlich längere Tradition betreffend den akademischen und kulturellen Boykott Israels. Obwohl führende PolitikerInnen und Intellektuelle auch dort immer wieder ihre unverbrüchliche Solidarität mit Israel beschwören und den Boykott als »unwürdige Waffe« verurteilen, besteht im Gegensatz zu Deutschland, Österreich und der Schweiz ein gewisser Spielraum für kontrovers geführte Diskussionen zum Thema. In diesem Kontext kritischer Auseinandersetzung positioniert sich das vorliegende Plädoyer des in Frankreich lebenden israelischen Regisseurs Eyal Sivan und der französischen Filmproduzentin Armelle Laborie. Sie beleuchten Hintergründe, Kriterien, Wirksamkeit und Ziele der von der palästinensischen Zivilgesellschaft lancierten gewaltfreien »Kampagne für Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen« (BDS), die andauern soll, bis die israelische Regierung das Völkerrecht und die universellen Prinzipien der Menschenrechte einhält. Insbesondere im akademischen und kulturellen Boykott sehen sie ein wirksames Mittel, um Druck auf Israel auszuüben und es zu einem völkerrechtskonformen Handeln zu bringen.

Wesentlich schwieriger als in Frankreich stellt sich die Lage in Deutschland und Österreich dar, wo genau das stattfindet, was Sivan und Laborie als Teil der israelischen Strategie zur Bekämpfung der BDS-Bewegung beschreiben. Zahlreiche Veranstaltungsorte und Medien werden gezielt angeschrieben, um Diskussionen, Filme, Ausstellungen oder andere Veranstaltungen, die auch nur ansatzweise die fundamentalen Rechte der PalästinenserInnen verteidigen, als antisemitisch oder terrorismus­unterstützend zu diffamieren. In mehreren deutschen Städten wurden zudem gleichlautende Anträge an die Stadtregierungen gestellt, deren Ziel es ist, Veranstalter und Organisationen an der Zusammenarbeit mit der »antisemitischen BDS-Bewegung« zu hindern.1 Eine konkrete Überprüfung der Vorwürfe bleibt vielfach aus. So mussten in den vergangenen Jahren zahlreiche Veranstaltungen abgesagt oder in letzter Minute in neue Räumlichkeiten verlegt werden, weil israelfreundliche Kreise Druck machten und sich die VermieterInnen meist nicht in der Lage sehen, inhaltlich auf die Kritik zu reagieren. In München wurde 2009 nach der Intervention der Deutsch-Israelischen Gesellschaft eine Veranstaltung mit dem israelischen Historiker Ilan Pappe verboten.2 In Wien wurde ein vom Verein Dar al Janub organisiertes Symposium zum Thema »Remapping Palestine« beinahe verunmöglicht, nachdem die Österreichisch-Israelische Gesellschaft die Anwesenheit von Ilan Pappe als Referent kritisiert hatte.3 Auch Auftritte anderer bekannter Persönlichkeiten wie Edward Said4 und Jean Ziegler5 wurden verhindert. 2016 wurde zudem im österreichischen Parlament eine Veranstaltung mit Zeitzeuginnen des Zweiten Weltkriegs abgesagt, nachdem das Simon-Wiesenthal-Zentrum die Teilnahme der als Jüdin selbst von den Nazis verfolgten israelkritischen Friedensaktivistin Hedy Epstein6 kritisiert hatte.

Feindselige Reaktionen gibt es auch im Bereich des kulturellen Boykotts. So verweigerten Ende 2017 mehrere deutsche Radiosender die Übertragung eines Konzerts mit dem britischen Rockmusiker Roger Waters, dem seine Unterstützung des kulturellen Boykotts als Zeichen von Antisemitismus und Judenhass ausgelegt wird.

Etwas besser sieht es in der Schweiz aus, obwohl auch hier ein »kulturelles Gefälle« zwischen dem deutschsprachigen und dem französischsprachigen Landesteil feststellbar ist. Aus Anlass des dritten massiven Angriffs der israelischen Armee auf den Gazastreifen im Sommer 2014 unterzeichneten insbesondere in der französischsprachigen Schweiz hunderte Kulturschaffende einen Protest und solidarisierten sich mit den palästinensischen darstellenden KünstlerInnen, die ihre BerufskollegInnen in aller Welt zum Boykott Israels aufriefen7. Während des Filmfestivals in Locarno 2015 unterzeichneten über 200 Filmschaffende einen Aufruf an die Festivalleitung, die im Rahmen des Formats »Carte Blanche« eingegangene Partnerschaft mit dem »Israel Film Fund« und dem israelischen Außenministerium aufzukündigen.8

Deutlich schwerer mit solchen Gesten der Solidarität, ge­schweige denn mit einer offenen Unterstützung des kulturellen oder akademischen Boykotts, tun sich Intellektuelle, Kulturschaffende und Verantwortliche von Kultur- und Bildungsinstitutionen in der deutschsprachigen Schweiz. Eine Gelegenheit, in breiterem Rahmen das Anliegen des palästinensischen Aufrufs zu kulturellem Boykott zu diskutieren, bot sich im Herbst 2011, als das Kulturfestival »Culturescapes« Israel ins Zentrum rückte und dafür eine Partnerschaft mit offiziellen israelischen Regierungsstellen einging.9

Viele der Einwände der beteiligten Kulturinstitutionen, die von der BDS-Bewegung aufgefordert wurden, die Zusammenarbeit mit offiziellen israelischen Institutionen zurückweisen, sind auch aus anderen Ländern bekannt. Sie widerspiegeln erstaunlich genau die offizielle israelische Vermarktungsstrategie von Kunst und Kultur, die sich einer »offiziellen Dissidenz« bedient, um im westlichen Ausland das Image von Israel als einem innovativen und fortschrittlichen Land zu vermitteln und damit die allgegenwärtigen Bilder von Krieg, Unterdrückung, Besatzung und Menschenrechtsverletzungen zu verdrängen.

»Israelische Autorinnen und Autoren setzen sich differenziert und kritisch mit den drängenden Fragen der Gegenwart und der Vergangenheit auseinander.« »Es sind in der Regel Künstler und Kultureinrichtungen, die auf freie Meinungsäußerung pochen und Kritik an der israelischen Politik üben. Warum wir gerade die kritischen Kräfte durch einen Boykott schwächen sollten, können wir nicht nachvollziehen.« Solche Einwände transportieren eine idealisierte Vorstellung der israelischen Kultur- und Wissenschaftsszene und zielen, wie Eyal Sivan und Armelle Laborie zeigen, am Kern der Kritik vorbei. Denn BDS boykottiert nicht individuelle Kulturschaffende oder WissenschaftlerInnen, sondern Veranstaltungen aller Art, die in Kooperation mit offiziellen israelischen Institutionen oder israelfreundlichen Lobbyorganisationen durchgeführt und/oder von offiziellen israelischen Regierungsstellen finanziell unterstützt werden.

Die Einwände ignorieren zudem die offiziellen Propa­gandabemühungen (Hasbara) der israelischen Regierung, auf die im vorliegenden Buch ausführlich eingegangen wird. Seit Jahren bemühen sich israelische Regierungsstellen, das Image Israels als eines aggressiven, das Völkerrecht missachtenden und die PalästinenserInnen unterdrückenden Landes abzuschütteln und den Fokus gezielt auf unverfänglichere Bereiche wie Freizeit und Lifestyle zu lenken. Erzeugnisse des israelischen Rebranding sind z.B. die Vermarktung von Tel Aviv und Israel als coole Destination für Gay-Reisen oder das Projekt »Tel Aviv an der Seine«, die es in ähnlicher Weise auch im deutschsprachigen Raum gibt. So wird z.B. seit Jahren am Wiener Donaukanal ein »Tel-Aviv-Strand« betrieben.

Nicht zuletzt verkennen die gegen den akademischen und kulturellen Boykott vorgebrachten Einwände, wie sehr wissenschaftliche und kulturelle Institutionen in Israel in ein System eingebunden sind, das die Ungleichbehandlung der palästinensischen Bevölkerung perpetuiert, sie in Strategien gießt und in Konzepte verpackt, sie in Gesetzen verankert und in alltäglichen Praktiken festigt; ein System, das die unerwünschten Anderen auch sprachlich, bildlich und filmisch auf schemenhafte Residuen reduziert und ihr Recht auf künstlerischen Ausdruck und akademische Bildung systematisch untergräbt, von politischen Freiheiten ganz zu schweigen. Auch darauf gehen Eyal Sivan und Armelle Laborie ausführlich ein.

Dass dieser Boykott Israel zunehmend alarmiert, davon zeugen nicht zuletzt die ungeheuren Mittel und Maßnahmen, die der israelische Staat und die Israel-freundlichen Lobby-Organisationen aktuell dafür einsetzen, die BDS-Bewegung auf internationaler Ebene zu bekämpfen. Wer sich von der idealisierten Selbstdarstellung Israels als Hort von Freiheit, Fortschritt und Demokratie nicht blenden lassen will, findet im vorliegenden Band Material genug, um sich vertieft mit den Grundlagen und der Zielrichtung des Boykotts im Bereich von Kultur und Wissenschaft auseinanderzusetzen und dessen solidarisches und konstruktives Potenzial kennenzulernen.

Basel, im Januar 2018
Birgit Althaler

1. http://bds-kampagne.de/2017/11/22/brief-des-bds-national-committee-bnc-an-den-stadtrat-von-muenchen/ und https://senderfreiespalaestina.de/pdfs/staedtetag_brief.pdf

2. http://www.salamshalom-ev.de/PDFS/pappe_echo2.pdf

3. Siehe http://www.dar-al-janub.net/EZAPalaestina_OffenerBrief_Hartmeyer.htm und http://www.dar-al-janub.net/Stellungnahme25082011_Remapping_Palestine.htm.

4. http://derstandard.at/506333/Wiener-Freud-Gesellschaft-Absage-an-Edward-Said

5. http://sbgv1.orf.at/stories/507584

6. http://derstandard.at/2000031524782/Veranstaltung-im-Parlament-nach-Kritik-aus-Wiesenthal-Center-abgesagt

7. https://www.bds-info.ch/index.php?id=121&items=346

8. https://www.bds-info.ch/index.php?id=121&items=204

9. Siehe https://www.bds-info.ch/index.php?id=135