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gewidmet

Daniel und Stephan

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eISBN 978-3-99025-319-9

Layout: freya_art, Christina Diwold

printed in EU

Hinweis:

Judith Koch

Alte
HEILER

EIN NEUER WEG

zu den Wildkräutern

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INHALT

Meine Kräuterapotheke

Große Brennnessel

[Urtica dioica]

Quendel

[Thymus pulegioides]

Wiesen-Schafgarbe

[Achillea millefolium]

Schwarzer Holunder

[Sambucus nigra]

Echte Kamille

[Matricaria recutita/Chamomilla recutita]

Echte/Kanadische Goldrute

[Solidago virgaurea/Solidago canadensis]

Giersch

[Aegopodium podagraria]

Spitzwegerich

[Plantago lanceolata]

Gewöhnliches Hirtentäschel

[Capsella bursa-pastoris]

Weißdorn

[diverse Crataegus-Arten]

Anhang

Meine
Kräuterapotheke

VORWORT

Unser Leben ist heute meist von einem hektischen Alltag geprägt. Das im Berufsleben vielfach geforderte und vom Zeitgeist auch schon in die Freizeit übertragene schnelle, gewinnorientierte und punktgenaue Arbeiten und Denken stehen dem eigenen Tempo, der Fantasie und der Zwischenmenschlichkeit oft entgegen. Hinzu kommt, dass der Weg zur Arbeit häufig ohne jeglichen Kontakt zur umgebenden Natur verläuft, sodass diese nur noch als grünes Hintergrundflimmern während der Auto- oder Zugfahrt wahrgenommen wird. Viele Menschen fühlen sich deswegen mittlerweile regelrecht entwurzelt und verbringen ihre Freizeit haltsuchend so oft wie möglich unter freiem Himmel. Egal, ob es das Joggen durch den Park ist oder der Outdoorkurs am Wochenende. Das Gefühl, wieder eins mit sich und der Natur zu sein, macht glücklich und Lust auf mehr. Der Wunsch nach natürlicher Heilung und natürlichem Essen veranlasst viele, an einer Kräuterwanderung oder einem Heilkräuterkurs teilzunehmen.

Durch meine Vorträge über das Anwenden heimischer Heil- und Wildpflanzen und das Erzählen ihrer Geschichten erlebe ich immer wieder das enorm starke Interesse an dem alten Wissen. Dieses Buch ist für all diejenigen geschrieben, die mich gefragt haben, ob ich das, was ich erzähle, vielleicht einmal aufschreiben könnte, und für all diejenigen, die Heilkräuter wirklich kennenlernen und nutzen wollen. Es gibt mehr als Pfefferminze und Kamille und oft sind die heilsamsten Pflanzen aus Unwissenheit als Unkraut verschrien.

Da man für eine natürliche, funktionierende Hausapotheke nur wenige Pflanzen (circa acht bis zehn) benötigt, ist das Anlegen einer solchen ein hervorragender Einstieg in die Welt der Heilkräuter.

Wie man die passenden Pflanzen für sich und seine Lieben findet, welche Geschichten sie uns erzählen und wie man Heilkräuter anwendet, davon handelt dieses Buch. Es ist der Weg zu den alten Heilern und ihren Geschichten. Ein Weg zu einer Freundschaft zwischen Mensch und Pflanze.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß auf der Wanderung.

Judith Koch

Der Weg beginnt

Heilkräuter in der Natur zu sammeln macht Spaß und versetzt ein wenig in die Zeit der Jäger und Sammler. Mit Weidenkorb, Messer, Bestimmungsbuch und voller Vorfreude zieht es viele Menschen in die Natur, um Pflanzen für eine natürliche Kräuterapotheke oder um gesundes Wildgemüse zu sammeln. Allzu häufig kommen sie jedoch ohne eine einzige Pflanze wieder nach Hause. Sie werden wieder zu Jägern und Sammlern im Drogerie- oder Supermarkt und lesen die vorhandene Literatur über das Sammeln von Heilkräutern gemütlich zu Hause im Sessel bei einer Tasse Tee.

Was ist passiert? Häufig stellt man sehr schnell fest, dass die Natur sich nicht an die im Bestimmungsbuch abgebildeten Zeichnungen oder Bilder hält. Mal ist ein Blatt zu viel vorhanden oder anders eingekerbt als abgebildet und die Farbe der Blüte stimmt häufig auch nicht mit den bildlichen Vorgaben überein. Was nicht sicher erkannt wird, sollte man stehen lassen. Das ist wichtig, denn wer will schon sein Leben und das seiner Lieben gefährden? Also beginnt die Suche nach altbekannten Gewächsen. Das dürfte nicht lange dauern, denn Brennnessel, Löwenzahn und Gänseblümchen wachsen fast überall. Beim Fund einer Brennnessel ist die Freude dann groß, denn diese lässt sich leicht durch einen mutigen, oft auch unfreiwilligen Berührungstest sicher bestimmen. Aber halt! Wie war das noch mit dem Fuchsbandwurm?

KEINE ANGST VOR DEM FUCHSBANDWURM

Diesen unappetitlichen Gesellen, der bei Menschen eine lebensgefährliche Wurmerkrankung auslösen kann, möchte man auf keinen Fall als Untermieter. Also geht es zu guter Letzt mit leerem Korb nach Hause. Das muss aber nicht sein. Wildsammler gehören nicht zu den durch den Fuchsbandwurm gefährdeten Gruppen. Hierzu zählen vor allem die Landwirte, die beim Umpflügen trockener Felder die im Staub befindlichen Eier einatmen könnten. Das ist auch der Grund, weshalb man an einem sonnigen, trockenen Tag genügend Abstand halten sollte, wenn ein Feld umgepflügt wird. Als Schutzmaßnahme gegen den Fuchsbandwurm wird gründliches Waschen des Sammelguts als ausreichend angesehen. Übrigens hält ein Gartenzaun keinen Fuchs auf, sodass auch Kräuter und Pflanzen aus dem eigenen Garten betroffen sein könnten. Es gibt also keinen Grund, die Natur zu meiden.

PFLANZEN SICHER ERKENNEN

Damit es keine unliebsamen Folgen aufgrund der Verwechslung einer Heilpflanze mit einer Giftpflanze gibt, ist das sichere Erkennen der Kräuter absolut wichtig. Sogar die Blätter des Löwenzahns könnten mit den Blattrosetten verschiedener Greiskrautarten verwechselt werden oder schlimmer noch, die begehrten Bärlauchblätter mit denen des Maiglöckchens oder der Herbstzeitlosen. Staub-, Blütenblätter oder Fruchtknoten einer Pflanze zu zählen ist sicher eine ganz zuverlässige Methode, Pflanzen zu bestimmen, aber ohne einen anleitenden Kurs leider oft schwierig zu erlernen.

Unsere Großmütter hatten keine Ahnung von botanischen Merkmalen, und doch zupften sie beim Spazierengehen zielsicher hier und da ein paar Blättchen und Blüten ab, nutzten ihr Sammelgut als Tee oder gaben es ins Essen und niemandem ging es danach schlecht. Gerade auf dem Land wurde das Wissen über Heilpflanzen und Wildgemüse im täglichen Leben an die nachfolgende Generation weitergegeben. Das war nichts Besonderes. Auch ich bekam noch als kindliche Gärtnerin gesagt, dass man die grünen Blätter der Tomaten nicht mit in die Küche bringt. Auf die Frage nach dem Warum bekam ich nur zu hören, dass man sie eben nicht essen könne. Das hat gereicht. Vielleicht hätte mich eine genauere Erklärung über die Giftigkeit von Nachtschattengewächsen auch nur verunsichert. Wer weiß. Eine Überlieferung in dieser traditionellen Form findet heute leider kaum noch statt, sodass Interessierte andere Möglichkeiten zur sicheren Pflanzenerkennung finden müssen.

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ANPFLANZUNGEN IM GARTEN ODER IM BLUMENKÜBEL

Der beste Weg, das äußere Erscheinungsbild einer Pflanze kennenzulernen, ist das Beobachten ihres Wachstums, und zwar vom Keimling bis zur Fruchtbildung. Bestimmungsbücher zeigen meist nur blühende Pflanzen und es ist nahezu unmöglich, ein Kraut mit ihrer Hilfe zu identifizieren, wenn es gerade nicht blüht. Allerdings werden bei Heilpflanzen oft nur die Blätter gesammelt, und zwar vor allem bevor die Pflanze blüht. Denn nur dann stecken noch all die guten Inhaltsstoffe in den Blättern. Später konzentriert sich die Pflanze auf die Blüte und noch später auf die Samenbildung und die heilsamen Inhaltsstoffe werden so jedes Mal verlagert. Ideal ist es deshalb, die Kräuter, die man kennenlernen möchte, selbst auszusäen und in der Folge zu beobachten.

Gut sortierte Samenhandlungen bieten mittlerweile Samen der unterschiedlichsten Heilkräuter an. Sogar von solchen, die in weiten Kreisen immer noch als Unkraut bezeichnet werden. Dazu gehören beispielsweise der Giersch, das Hirtentäschel oder der Löwenzahn. Die Pflanzanleitungen weisen auf die Vorlieben der einzelnen Pflanzen hin, sodass es auch schon losgehen kann. Sehr schnell lernt man, welche Kräuter Lichtkeimer oder Dunkelkeimer sind und welche sogar zuerst Frost benötigen, damit sie überhaupt keimen können.

Der Einblick in diese Kinderstube ist der erste Schritt des Kennenlernens. Wer keinen Garten hat, kann die Samen in große Blumenkübel geben und sie auf dem Balkon oder der Terrasse beobachten. Diejenigen, die mit Fensterbänken vorliebnehmen müssen, sind auch noch im Spiel, weil die meisten Heilkräuter äußerst genügsame Gesellen sind. Mit einem etwas höheren Topf auf der Fensterbank ist ihnen häufig schon gedient. Lediglich den Nachbarn müsste man dann möglicherweise den ungewöhnlichen Fensterschmuck in Gestalt von Brennnessel und Co. erklären. Sollte Ihnen die Südseite oder eine andere benötigte Himmelrichtung fehlen, binden Sie einfach Freunde oder Bekannte, die einen Garten oder einen Balkon besitzen, mit in dieses Experiment ein.

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Das Kräuter-Fotoalbum

Bereits wenn sich die ersten Keimblättchen der Sonne entgegenstrecken, sollten Sie Ihren Fotoapparat zücken und ein paar nette Erinnerungsfotos schießen. Diese Fotos bilden den Anfang einer Dokumentation über beispielsweise das Hirtentäschelkraut. Als ich vor Jahren damit anfing, habe ich zunächst versucht, im Internet geeignete Fotos von Keimlingen zu finden. Da gab es tatsächlich eine Fülle von Bildmaterial von Keimblättern verschiedenster Pflanzen. Doch gesichertes Material fand ich erst auf der Homepage einer großen Firma für Unkrautvernichtungsmittel. Diese Firma bot sehr gute und genaue Ansichten von Löwenzahn- und Brennnesselkeimlingen an, da ihre Kunden frühzeitig erkennen sollten, was da Schlimmes durch die Erde stößt, um schnell vernichten zu können, worauf es mir ankam. Andere Bilder im Internet sind mit Fragen verbunden wie: Ist das der Anfang eines Löwenzahns? Die Abbildung kann dann natürlich alles Mögliche darstellen und bietet keine Sicherheit. Also machen Sie lieber selbst Fotos Ihrer Stars. Und wann immer die Kräuter sich verändern, kann dies in einem eigenen Kräuterbuch durch Fotos festgehalten werden.

Das Ganze gipfelt im Pressen von Blättern und Blüten, so wie es frühe Botaniker für ihre sogenannten Herbarien gemacht haben. Auch ich habe ein solches Herbarium für meine Ausbildung anlegen müssen und schaue es mir heute noch gerne an. Ich weiß sogar noch, wo ich jedes einzelne Kraut gefunden habe.

Für das Pressen der Pflanzen reichen übrigens zwei glatte, 4–5 cm dicke, unlackierte Holzbretter aus. Auf eines legt man mehrere Lagen Zeitungspapier, dann die zu pressenden Pflanzen (nicht übereinander und schön ausgebreitet), darüber wieder mehrere Lagen Zeitungspapier und schließlich das zweite Brett. Mit 4–6 Schraubzwingen verbindet man nun beide Bretter fest miteinander und wartet je nach Saftigkeit der Pflanze eine Zeit lang ab. Ein Beinwell braucht etwas länger als ein Stinkender Storchschnabel, bis er völlig durchgetrocknet ist. Nach circa einer Woche löst man die Schrauben wieder und befestigt die gepressten Schönheiten auf einem weißen Blatt Papier. Das geht sehr leicht mit kleinen, zurechtgeschnittenen Kreppklebestreifen, die jederzeit wieder gelöst werden können, ohne die getrocknete Pflanze zu beschädigen. Im vorliegenden Buch finden Sie übrigens gepresste Kräuter aus meinem eigenen Herbarium als Beispiel dafür, wie Ihre Pflanzen verewigt werden könnten. Diese Kräuterbilder haben mich auf dem Weg zu den alten Heilern begleitet und sind mir sehr ans Herz gewachsen. Bereits jetzt werden sich ehemals namenlose grüne Dinger in der Straßenrinne vor dem Haus als Pflanzen entpuppen, deren Namen Ihnen plötzlich in den Sinn kommen werden. Allein die Blätter reichen nun häufig schon aus, um eines Ihrer speziellen Kräuter wiederzuerkennen. Willkommen in der Welt der Pflanzen. Jetzt sind Sie bereit für Schritt 2 auf dem Weg zu den alten Heilern.

DAS GANZ PRIVATE KRÄUTERBUCH

Ihre Pflanzen haben nun einen Namen, werden von Ihnen er-kannt, aber noch nicht ge-kannt. Nun sind es damit Bekannte, aber noch keine Freunde. Bei Freunden ist nicht nur das Äußere vertraut. Auch deren Geschichten, Vorlieben, in welchen Punkten man sich auf sie verlassen kann und wo man besser nicht mit ihnen rechnet, weil bestimmte Dinge einfach nicht ihrem Naturell entsprechen, bringen sie uns näher.

Der nächste Schritt auf dem Weg zu den alten Heilern ist also die intensive Beschäftigung mit dem Wesen der ausgewählten Heilpflanzen. Die gepressten Kräuter können dem eigenen Kräuterbuch als Kapitelbilder dienen. Die Fotos vom Heranwachsen der favorisierten Heilpflanzen könnten hinter diesen Kapitelbildern ihren Platz finden. Jetzt sollte ein Abschnitt nur für die Geschichten, Märchen, den Sagen und Aberglauben der entsprechenden Kräuter eingerichtet werden sowie ein weiteres Kapitel, das sich ausschließlich mit den Inhaltsstoffen und Heilanwendungen der Pflanzen beschäftigt.

Falls das betreffende Heilkraut auch in der Küche verwendet werden kann, schließt sich ein Kapitel mit kulinarischen Rezepten an. Diese Aufgaben lassen sich übrigens hervorragend in den Wintermonaten erledigen, in denen die Natur ruht.

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DIE WICHTIGKEIT VON MÄRCHEN, GESCHICHTEN UND ABERGLAUBEN

Solange eine Sache nur von einem Standpunkt aus betrachtet wird, weiß man nicht wirklich allzu viel über sie. Genauso verhält es sich auch mit dem Kennenlernen von Pflanzen. Das Aussehen ist lediglich ein kleiner Teil des Ganzen. Die Vielschichtigkeit eines Pflanzenportraits zeigt sich erst mit der Recherche über die Nutzbarkeit einer Pflanze oder auch mit der Analyse von Märchen, Geschichten und Aberglauben, die sich um ein Kraut oder einen Baum ranken.

Das Wort ‚Märchen‘ stammt vom mittelhochdeutschen ‚maere‘ ab und bedeutet so viel wie ‚Nachricht‘ oder ‚Mitteilung‘. Diese wurden ursprünglich nicht für Kinder erschaffen, sondern waren Geschichten, die sich Erwachsene erzählten. Es ging immer um eine moralische Botschaft. Märchen waren Wegweiser für tugendhaftes Verhalten und boten Auswege aus schwierigen Situationen an. Die Geschichten veränderten sich im Laufe der Zeit und spiegelten oft die gegebenen politischen und religiösen Umstände wider. Bevor Märchen als Unterhaltungslektüre für Kinder endeten, waren sie oft sehr grausam und in keiner Weise niedlich. Aber auch in ihrer abgeschwächten Form als Erzählungen für Kinder geben sie uns heute noch einen Einblick in die Gedankenwelt und die Moralvorstellungen unserer Vorfahren. Sehr häufig spielen in diesen alten Geschichten Pflanzen eine entscheidende Rolle. Dadurch wird deutlich, wie wichtig und vertraut die Natur den Menschen früher war.

Wir erhalten vornehmlich Einblick in die Welt der einfachen Leute, die nicht in den Geschichtsbüchern vorkommen oder nur am Rande Erwähnung finden, die aber unseren Lebensraum entscheidend mitgeprägt haben. Wir verwurzeln uns also wieder mit der eigenen Geschichte und entdecken dadurch die erstaunlichsten Erklärungen für scheinbar ganz alltägliche und willkürliche Handlungen und Ansichten. So erfahren wir bei der Beschäftigung mit dem Holunder, dass Frau Holle nicht nur eine Märchengestalt ist, sondern eine große Göttin war. Wir erfahren, warum der Weihnachtsmann durch den Kamin kommen muss und der Klapperstorch die Kinder bringt.

Die traditionelle Art der Medizin im keltogermanischen Raum, die Kräuter hauptsächlich in Form von Tee zuzubereiten und das am besten drei Mal am Tag, gehört auch zu diesen Geschichten. Die Teetasse ist tatsächlich der kleine Kessel, ein Überbleibsel des großen Stammeskessels, in dem die Medizin und das Bier für alle gebraut wurden. Damit die Medizin optimale Wirkung entfalten konnte, wurden die Kraft des Feuers, die Kraft des Wassers und die der Ahnen und Geister bzw. Götter benötigt. Doch nur zu bestimmten Zeiten konnte man die Geistwesen am Brauen der Medizin beteiligen. Morgens bei Sonnenaufgang, mittags beim Höchststand der Sonne, abends bei Sonnenuntergang und um Mitternacht. Dann waren sich die diesseitige und die jenseitige Welt so nah, dass man sich austauschen konnte.

Nachts braute man allerdings bewusst keine Medizin, da man die dunklen Geistwesen nicht beteiligen wollte. So blieben: drei Mal am Tag, morgens, mittags und abends. Wer nun entgegenhält, dass es sich dabei nur um einen Rhythmus handelt, der garantiert, dass die Medikamente in einem zeitlich genauen Abstand genommen werden, der vergisst, dass dies auch zwei Mal am Tag möglich wäre, oder vier Mal oder noch häufiger. Das wäre dann nur eine Frage der Dosierung. Aber nein, es steht außer Frage, dass es seit Hunderten von Jahren aus einem sehr alten Grund drei Mal am Tag sein muss.

DER EINFLUSS DER CHRISTIANISIERUNG

Wer glaubt, dass wir hier in Europa keine traditionelle Medizin hätten, der irrt gewaltig. Diese wurde allerdings bis zu den ersten Aufzeichnungen durch die christliche Kirche vom 6. bis 8. Jahrhundert nach Christus, beispielsweise durch Benedikt von Nursia, nur mündlich weitergegeben. Hinzu kommt, dass am Anfang der Christianisierung zunächst jegliche Einmischung in den Willen Gottes als Frevel angesehen wurde. So war es verboten, bei Krankheiten Kräutermedizin zu verwenden, da es den Willen Gottes in Frage gestellt hätte. Es wurde für die Genesung gebetet und mehr nicht. So gerieten bereits sehr früh aus Angst viele wertvolle Anwendungsweisen in Vergessenheit, da sie nicht mehr gefahrlos weitergegeben werden konnten. Man wollte selbstverständlich seine Kinder schützen und nicht mit gefährlichen Rezepten belasten. Doch trotz Verbots und Drohungen suchten die einfachen Menschen weiterhin Kräuterheilkundige auf, denn schließlich führten diese Behandlungen sehr oft zu einem guten Ergebnis.

Erst nach und nach begann man auch in den Klöstern die Heilkraft der Pflanzen zu nutzen und nicht mehr zu verteufeln. Zunächst durften aber nur die Pflanzen verwendet werden, die in der Bibel Erwähnung finden. Hierzu gehören der Wein, die Olive, die Dattel, der Granatapfel genauso wie Lorbeer, Amber, Lavendel, der Zimtbaum, Rizinus oder Myrrhe. Benediktinermönche aus Italien brachten später Heilkräuter aus dem Mittelmeerraum in unsere Breiten. So den Thymian, Rosmarin, den Eibisch, Salbei und viele mehr.

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Die meisten der in der Bibel genannten Pflanzen und derer aus dem Mittelmeerraum hatten es in unseren Breitengraden allerdings sehr schwer zu überleben. Aus diesem Grund wurde in bzw. als Anbau an den Klöstern ein sogenanntes Hortulus errichtet, eine kleine Gartenanlage, die von einer schützenden Mauer umgeben war. Das hatte den Vorteil, dass eine solche Konstruktion kalten Wind und Frost besser abhielt und Sonnenwärme lange in seinem Inneren speicherte. Zusätzlich bekamen die empfindlichen Kräutlein Buchsbaumhecken zu ihrem Schutz sowie ihre eigenen kleinen Anbauflächen, auf denen man die Erde den Bedürfnissen der betreffenden Pflanzen entsprechend durch Zufügen von Sand oder Kies bzw. anderen Materialien anpassen konnte. Kräuter aus der umgebenden Natur waren allerdings immer noch verboten. In Italien wurde im hohen Mittelalter vom 11. bis 13. Jahrhundert nach Christus die Beschäftigung mit Hippokrates, Galen und der arabischen Heilkunst und damit auch die Beschäftigung mit Pflanzen modern, die nicht in der Bibel erwähnt wurden.

Doch bereits durch Hildegard von Bingen (1098–1179) und ihre göttlichen Eingebungen gewannen auch die heimische Pflanzen wieder stark an Bedeutung. In ihrem Werk „Physica“ bezeichnet sie die Pflanzen auch erstmals mit ihren volkstümlichen Namen. Die Visionen der Ordensfrau waren ein Anfang für die Legitimierung der heimischen Heilkräuter und Heilanwendungen. Bedeutender noch als die Aufzeichnungen der frommen Ordensfrau war das Lorcher Arzneibuch, der „Macer Floridus“, auch „De viribus herbarum“ genannt, aus dem 11. Jahrhundert.

Der Benediktinermönch Odo Magdunensis aus Meung an der Loire beschrieb 60 verschiedene, auch heimische Pflanzen in Form eines Lehrgedichts. Seine Quellen waren die Werke von Plinius dem Älteren, Dioskurides, Galen und Walafrid Strabo, alles Menschen, die die Kräutermedizin geprägt haben und die von der Kirche bisher keine Anerkennung gefunden hatten. Dieses Buch leitete endgültig die Akzeptanz der Heilpflanzenkunde ein und galt bald als Standardwerk der Kräuterheilkunde im Mittelalter für den mitteleuropäischen Raum.

Langsam bekamen also auch die heimischen Heilpflanzen und Heilanwendungen ihren Platz, wenn auch in christianisierter Form. Aus dieser Zeit stammen übrigens die vielen Marienblümchen*, da man neue christliche Namen für die Pflanzen brauchte und die Namen der vielen Heiligen bereits schnell vergeben waren. Einer meiner Lehrer sagte einmal, falls dir ein Name einer Pflanze nicht einfällt, liegst du mit der Bezeichnung Marienblume oder Mutter-Gottes-Blümlein selten falsch, da es sie so häufig gibt. Mit den heutigen wissenschaftlichen Namen hat das natürlich nichts zu tun, diese entstanden viel später, aber im Bereich der Volksnamen wird man in punkto Marienblümchen sehr oft fündig.

WIE GEHE ICH MIT HEILAUSSAGEN UM UND WANN SETZE ICH HEILKRÄUTER EIN?

Zunächst einmal muss man zwischen der sogenannten Phytotherapie und der Volksmedizin unterscheiden. In der Phytotherapie wird ausschließlich mit Pflanzen gearbeitet. „Phyto“ ist ein Wortbestandteil mit der Bedeutung „pflanzlich“ und kommt aus dem Griechischen. Die Wirkung der in der Phytotherapie verwendeten Kräuter und Wurzeln ist wissenschaftlich nachgewiesen. Phytotherapeutische Rezepte sind meist in medizinischen Fachbüchern mit für medizinische Laien schwer verständlichem Vokabular zu finden. Die mühsame Übersetzung ins „Normaldeutsche“ lohnt sich aber.

Die Volksmedizin verwendet hingegen zusätzlich zu pflanzlichen auch mineralische und tierische Mittel, um Erkrankungen zu behandeln. So gehört zum Beispiel eine Heilanwendung mit den Produkten der Biene wie Honig oder Propolis in den Bereich der tierischen und eine Anwendung mit Salz oder Fangopackungen zu den mineralischen volksmedizinischen Heilmitteln. In der Volksmedizin liegen in Bezug auf die Wirkung der verwendeten Pflanzen zumeist keine wissenschaftlichen Untersuchungen vor, es sei denn, es handelt sich um Heilkräuter, die auch in der Phytotherapie Anwendung finden. Das bedeutet aber nicht, dass die volksmedizinischen Anwendungen weniger wert wären. Immerhin sind sie über Generationen hinweg erprobt. Mit der Zeit und einigen Selbstversuchen gewinnt man die notwendige Sicherheit und erkennt, welche Bücher unterstützen können. Zu bedenken ist, dass es sich bei den Autoren der meisten volksmedizinischen Bücher nicht um ausgebildete Mediziner handelt. Manche Heilversprechen basieren demnach auf rein subjektiven Beobachtungen. Der berühmteste Fall ist der der Heilerin Maria Treben. In ihren Büchern ist auch heute noch teilweise nachzulesen, dass Weidenröschentee gegen Prostatakrebs hilft. Diese Aussage machte sie aufgrund eigener Beobachtungen und Aussagen ihrer „Patienten“. Wissenschaftliche Untersuchungen ergaben, dass Weidenröschentee eine gute Wirkung bei gutartigen Vergrößerungen der Prostata entfalten kann, aber gegen Krebs wirkungslos bleibt. Frau Treben konnte als medizinischer Laie keinen Unterschied zwischen einer gutartigen und einer bösartigen Vergrößerung der Prostata erkennen. Nur aufgrund von subjektiven Beobachtungen anderer ist es also für einen Laien sehr schwierig, eine sichere Heilaussage zu treffen.

Wenn es um mittelschwere und schwere Erkrankungen geht, dann sollten wir immer einen Arzt aufsuchen und nach eindeutiger Diagnose mit ihm besprechen, ob zusätzlich Kräuter angewendet werden können. Es gibt zahlreiche Heilpflanzen, die die Verweildauer von Medikamenten herabsetzen und sie unwirksam machen.

Ab einer bestimmten Dosierung von Johanniskraut ist das zum Beispiel der Fall. Viele Herz- und Aidsmedikamente, aber auch Antihistaminika, die gegen Heuschnupfen helfen sollen, entfalten dann unter Umständen keine Wirkung mehr. Sogar die Antibabypille kann in diesem Fall versagen, sodass es mittlerweile sogenannte „Johanniskrautbabys“ gibt, die entstanden sind, weil die Wirkung der Antibabypille unwissentlich durch Johanniskrauteinnahme außer Kraft gesetzt wurde.

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Diagnosen also niemals selbst erstellen, wenn keine medizinische Ausbildung vorhanden ist, sondern immer vom Arzt erstellen lassen und die Kräuter verantwortungsvoll als begleitende Maßnahme oder bei normalen Befindlichkeitsstörungen und leichteren Krankheiten verwenden. Bei chronischen Leiden werden Heilkräuter sehr häufig auch von der Schulmedizin erfolgreich eingesetzt.

Pflanzen sind eben auch Heiler und deswegen lohnt es sich zum einen, sie ganz genau kennenzulernen, und zum anderen, eine fachmännische Diagnose einzuholen, damit die Wirkung von Heilpflanzen nicht mit anderen Medikamenten kollidiert oder die Reaktionsweise des Körpers nicht durch Unwissenheit falsch eingeschätzt wird. Wenn moderne und traditionelle Medizin harmonisch miteinander wirken, dann ist das ein doppelter Gewinn für jeden Erkrankten.

WIE SIND DIE MENGENANGABEN IN HEILREZEPTEN ZU VERSTEHEN?

Traditionell wird in der Volksmedizin häufig nur EIN Heilkraut nach dem anderen verwendet. Bei einer durch Bakterien verursachten Erkältung nimmt man beispielsweise zunächst einmal nur Thymiantee, um die Bakterien zu reduzieren. Falls ein festsitzender Husten die Erkältung begleitet, fügt man dem Thymian einige Tage später etwa Spitzwegerich hinzu ist, um den Schleim zu lösen. Abends kann zur allgemeinen Beruhigung ein Melissentee getrunken werden.

Es gibt also Kräuter, die aufgrund ihrer Inhaltsstoffe die Heilung zusätzlich fördern, ohne die Wirkung des Hauptkrautes zu übertrumpfen, gegensätzlich zu wirken oder die Wirkung gar aufzuheben. Das sind zum Beispiel Holunder- oder Lindenblüten und Spitzwegerichblätter. Genauso entstehen Mischungen. Es ist also sinnvoll, die verschiedenen Heilkräuter zunächst traditionell separat anzuwenden, um ihre Heilkraft beobachten zu können, und sich erst etwas später an die Zusammenstellung von Mischungen heranzuwagen.

Sehr hilfreich bei der Komposition ist auch die Beschäftigung mit den einzelnen Inhaltsstoffen der Kräuter. Wenn man weiß, wozu Flavonoide, ätherische Öle oder Schleime gut sind und vor allem wie diese Inhaltsstoffe aus den Kräutern gelöst werden können (Schleime nur mit Kaltauszug, Kieselsäure im Ackerschachtelhalm nur durch längeres Kochen usw.), dann kann man diese gezielt einsetzen. Das klingt mühsam, ist aber hochspannend. Ich werde Ihnen in diesem Buch zu jeder bearbeiteten Beispielspflanze die Hauptwirkstoffe ausführlich erklären, sodass Sie ganz nebenbei mit den wichtigsten Inhaltsstoffen in Berührung kommen.

In jedem Rezept begegnen uns zudem bestimmte Mengenangaben. Manche sind sogar auf das Gramm genau angegeben. Nun weiß man aber, dass verschiedene Umweltfaktoren die Konzentration der Inhaltsstoffe stark schwanken lassen. Gelten die Angaben in den Rezepten trotzdem für alle Kräuter, egal wo sie gewachsen sind? Nein! Die Angaben in Phytotherapiebüchern beziehen sich auf Heilpflanzen, die nach dem Arzneimittelbuch den Titel „Arzneipflanze“ führen dürfen. Jedes Heilkräuterfeld, auf dem für den Arzneimittelmarkt angepflanzte Kräuter wachsen, wird gesondert untersucht und jede Pflanze bekommt, wenn die Inhaltsstoff-mengen den Anforderungen an eine Arzneidroge entsprechen, den Titel Arzneipflanze. Diese wird in den Apotheken lose oder im Beutel als Arzneitee/-droge verkauft. Sollte die Konzentration bestimmter Inhaltsstoffe jedoch nicht hoch genug sein, dann werden sie als Genusstee auch in Supermärkten angeboten.

Wer die Rezeptangaben befolgt, aber Genusstee verwendet, wird also unter Umständen keinen oder einen geringeren Erfolg erzielen. In volksmedizinischen Büchern beziehen sich die Mengenangaben auf die Pflanzen der Autoren oder der Heiler, die das Rezept erstellt haben. Wie findet man heraus, welche Menge der eigenen Pflanzen aus dem Garten oder von der Wiese die richtige ist?

Unsere Vorfahren hatten ihre jahrelange Erfahrung und konnten jedes Jahr aufs Neue entscheiden, wie wirksam die im Garten wachsende Melisse im Vergleich zur Melisse vom Vorjahr war. Je nachdem, wie der Test ausfiel, wurde mal mehr, mal weniger von der Heilpflanze verwendet. Die wenigsten von uns dürften diese Erfahrung haben.

Doch es gibt einen einfachen Trick, um festzustellen, wie heilsam unsere Pflanzen aus dem Garten, vom Blumenkübel oder der Wiese sind. Verwenden Sie im Krankheitsfall zuerst Kräuter aus der Apotheke und achten Sie auf die Wirkung. Später verwenden Sie nun Ihre eigenen Heilkräuter und vergleichen. Dieser Test kommt dem unserer Vorfahren im Grunde schon recht nah. Nicht gut wäre es, einfach nach Gutdünken die Dosis zu erhöhen, da manche Kräuter erst nach mehrmaligen Anwendungen ihre volle Wirksamkeit entfalten oder bei Überdosierung ins genaue Gegenteil umschlagen, so wie es bei der Kamille der Fall ist. Letztlich klingt es komplizierter, als es ist, und Sie werden die richtige Dosierung schnell herausfinden, das liegt uns nämlich im Blut, wir müssen nur darauf hören.

Die Rezeptangaben in diesem Buch beziehen sich übrigens nur auf Mengen für Erwachsene! Kinder benötigen erheblich weniger Kräuterdroge, wobei sich die Menge nach dem Alter staffelt. Zudem sind für unsere Kleinen bei bestimmten Erkrankungen andere Kräuter wirksamer und sinnvoller als für Erwachsene. Hinzu kommt, dass manche Pflanzen für Kleinstkinder überhaupt nicht geeignet sind, so zum Beispiel die Pfefferminze. Aus diesen Gründen macht es keinen Sinn, einfach nur eine geringere Menge für Kinder anzugeben. Eine ausführliche Differenzierung würde aber den Rahmen dieses Buches sprengen.

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WARUM WILD- UND HEILKRÄUTER ESSEN?

Wenn man ein Heil- oder Wildkraut kennenlernt und feststellt, dass man es auch essen könnte, dann sollte man dies auch tun, entsprechende Rezepte heraussuchen und seinem Kräuterbuch hinzufügen. Eine Erklärung dafür liegt in der menschlichen Entwicklungsgeschichte.