Verlieb dich nicht in Mrs Hollywood

Sarah Banks

 

Inhalt

 

Knisternde Erotik oder doch Liebe?

Bad Boy Liam Morgan muss noch einmal ganz neu anfangen. Und nicht nur das, es fehlt ihm auch das finanzielle Polster seiner Familie, mit dem er es sich bisher hatte gutgehen lassen.

Violet mit ihrer Agentur The Butterfly macht ihm ein Angebot, das er annehmen muss, denn er ist pleite.

Seine erste Aufgabe besteht darin, mit einer berühmten Hollywoodschauspielerin einen aufregenden Abend zu verbringen. Eigentlich keine Herausforderung für den Bad Boy, aber dann kommt plötzlich alles anders als gedacht.

Sybil Lagrange ist am Höhepunkt ihrer Karriere angelangt. Sie spielt in Aufsehen erregenden Hollywoodproduktion, doch ihr Privatleben ist dabei auf der Strecke geblieben. Ausgerechnet der neue Mann von The Butterfly ist der Einzige, an den sie sich in höchster Not wenden kann.

Wird Liam ihr den Halt geben, den sie braucht? Oder ist er nur ein weiterer, der vielen unzuverlässigen Männer in ihrem Leben?

 

 

 

1

Liam

Die Straße schlängelte sich den steilen Berg empor. In einer der vielen Kurven sah er das Hollywood-Zeichen im Hintergrund auf einem entfernten Hügel aufblitzen. Liam reduzierte die Geschwindigkeit. Man konnte nie wissen, ob einem nicht ein Touristenbus entgegenkam. Außerdem hatte er es auch nicht besonders eilig. Eigentlich wäre er am liebsten wieder umgekehrt, zurück zu seinem sorglosen Leben in Austin. Aber das war leider vorerst vorbei. Selbstverschuldet, wie er zugeben musste.

Er hasste Los Angeles und alles was mit dieser Stadt zu tun hatte. Hier, in den Hollywood Hills, verbargen die Menschen ihren Reichtum hinter hohen Mauern und gigantischen Hecken, aber in der City traf arm und reich direkt aufeinander. Der einstige Glamour der Filmindustrie war inzwischen verblasst und hatte in großen Teilen anderen Zweigen dieser Industrie Platz gemacht. Fernsehserien und Pornos waren die Bereiche, die wirklich boomten. Der alte Glanz der Filmstudios war verschwunden. Jetzt regierte auch in Hollywood der billig zu produzierende Film.

Fast hätte er die Einfahrt zu der angegebenen Adresse verpasst. Erst als ihn sein Navi darauf aufmerksam machte, registrierte er, dass er zu weit gefahren war. Umständlich wendete er seinen Wagen. Auf der schmalen Straße war das gar nicht so einfach, zumal genau in dem Augenblick, als er quer auf der Fahrbahn stand, ein Bus um die Ecke bog.

„Ja, ja“, murmelte er verärgert, als der Fahrer eine gellende Hupe betätigte.

Eigentlich war sein geliebtes Auto sehr wendig, aber es gelang ihm nicht, sein Wenden zu beschleunigen. Endlich hatte er es geschafft. Der Bus fuhr so nah auf, dass Liam immer wieder verärgert in den Rückspiegel starrte. Aber er wollte nicht noch mal an der Einfahrt vorbeifahren und so kroch er im Schneckentempo, sehr zur Verärgerung des Busfahrers, den Berg hinunter.

Endlich sah er das unscheinbare Tor, dass den Blick auf einen schmalen Weg freigab. Er setzte den Blinker und der Bus ließ den Motor aufheulen. Kaum war er abgebogen, beschleunigte der Reisebus und verabschiedete sich mit einem Hupkonzert. Was für ein Idiot.

Die Räder knirschten über den Sandweg. Von einem Haus war weit und breit nichts zu sehen. Erst als Liam um die nächste Kurve bog, bot sich ihm der Blick auf eine Villa. Sehr schlicht. Bauhausstil. In keiner Weise war zu erkennen, was ihn im Inneren des Hauses erwarten würde. Er ließ den Wagen ausrollen und parkte in der Auffahrt. Nervös strich er sich seine Hände an der Anzughose ab. Er benahm sich wie ein pubertierender Teenager bei seinem ersten Date. Kopfschüttelnd blieb er sitzen. Zehn Minuten zu früh. Ob sie ihn beobachtete? Mit Mühe konnte er den Reflex beherrschen, sich schon wieder die Hände abzuwischen. Fragen über Fragen gingen ihm durch den Kopf. In den letzten Tagen hatte er versucht sich auszumalen, was auf ihn zukommen würde. Aber bis auf sehr seltsame Bilder war da nichts gewesen. Was erwartete sie von ihm? Würde er das erfüllen können?

Immer noch zu früh stieg er aus dem Wagen. Alles war besser als dieses Grübeln. Er straffte sich, stieg aus dem BMW, knöpfte sich das Jacket zu und schlenderte betont lässig zur Eingangstür. Kein Schild verriet, wen er hier besuchte. Es gab nur einen schlichten Klingelknopf. Als er ihn drückte, konnte Liam keinen Laut hören, so sehr er sich auch anstrengte. Schalldichte Bude, sehr seltsam.

 

 

2

Violet

Er sah genauso aus, wie sie ihn in Erinnerung hatte. Fast wollte sie wieder zu diesem Moment im Fahrstuhl zurückkehren, als sie mit ihm Sex gehabt hatte, ohne ihn zuvor gesehen zu haben. Ein Stromausfall hatte sie zusammengeführt und in der völligen Dunkelheit waren sie sich nähergekommen.

Violet verbot sich alle weiteren Gedanken an die Stunden in dem Lift in Austin, obwohl es ein besonderer Moment gewesen war. Liam saß vor ihr, weil er für sie arbeiten wollte. Sie hatte lange nach Harpers Weggang gezögert, über ein neues Mitglied für The Butterfly nachzudenken. Aber dann war ihr Liam passiert.

Seine Haare waren braun und eine Spur zu lang, der Bartschatten betonte sein kantiges Gesicht und gab ihm den Touch eines Bad Boys. Auch die stechenden grün-grauen Augen trugen zu diesem Eindruck bei. Von der Figur her ähnelte er einem Leichtathleten. Sein Oberköper war durchtrainiert, aber nicht zu muskulös und aufgepumpt. Violets Blick blieb an seinen Lippen hängen. Voll und einladend. Sie wusste zu genau, wie geschickt er mit seinem Mund und seinen langgliedrigen Händen umgehen konnte.

Sie hatte natürlich über ihn recherchiert. Reicher Spross eines sehr vermögenden Unternehmers. Hatte es nie zu etwas gebracht. Sein Name war einige Male in den einschlägigen Blättern in Austin aufgetaucht. Dort war immer wieder darüber gemunkelt worden, welche Frau sich diesen sehr vermögenden und gut aussehenden Junggesellen schnappen würde. Sie ließ ihren Blick über ihn schweifen. Er trug einen edlen und maßgeschneiderten Anzug, teure Schuhe und sein weißes Hemd war makellos. Er hatte einen natürlichen Charme und eine präsente Ausstrahlung.

Aber war er auch der Richtige für The Butterfly? Liam hatte in Austin bewiesen, dass er, einfach so, wunderbaren Sex machen konnte, aber würde das auch auf Bestellung klappen? Ihre Kundinnen und Kunden waren sehr wählerisch und außerdem absolut Erstklassiges gewohnt. Violet war klar, dass er anscheinend plötzliche Geldprobleme hatte und deswegen jetzt vor ihr saß. Aber würde er das beiseiteschieben können, wenn er für sie arbeitete?

Der Duft seines Aftershaves stieg ihr in die Nase. Harper. Liam benutzte das Gleiche wie er, das war ihr schon in dem Fahrstuhl in Austin aufgefallen.

Violet räusperte sich und sah ihm in die Augen.

 

 

 

3

Liam

„Du musst offen sein.“ Sie schlug ihre atemberaubend langen Beine übereinander. Das Geräusch des sich berührenden Nylons verursachte bei Liam, dass sich etwas in seiner Hose zu regen begann.

„Offen für wirklich alles“, fuhr sie fort. „Wir sind kein ordinärer Sexclub, keine miese kleine Begleitagentur, wir sind etwas Besonderes. Seriös und sicher, darauf legen wir und unsere Kunden allergrößten Wert. Alles kann, nichts muss, das ist unser Motto.“

Peinlich berührt spürte Liam, wie sie ihn von oben bis unten musterte, bis ihr Blick schließlich in seinem Schoß hängen blieb. Ein zartes Lächeln stahl sich in ihr Gesicht, als ob sie genau wüsste, was in ihm vorging.

Ihr Angebot hatte ihn verlockt, aber jetzt fragte er sich doch, ob es das Richtige für ihn war. Er war noch nie besonders risikofreudig in diesen Dingen gewesen. Auch deshalb hatte er selbst noch nie ein solches Arrangement in Betracht gezogen. Bisher hatte er sich um sein Sexleben auch noch keine Sorgen machen müssen. Wenn er ehrlich war, dann war das auch jetzt nicht der Fall.

Nein, das Geld hatte ihn gelockt. Der eigentlich wohlhabende Erbe des Morgan-Vermögens war nämlich pleite, da ihm sein Vater sämtliche Konten unwiderruflich gesperrt hatte. Unwillkürlich musste er grinsen bei dem Gedanken an das Gesicht, das sein Vater gemacht hatte, als er ihn mit seiner neuen Stiefmutter mit heruntergelassenen Hosen zwischen ihren cremig weißen nackten Schenkeln erwischt hatte. Von Anfang an, schon bei ihrem ersten Zusammentreffen, war sie auf ihn scharf gewesen. Immer wieder, wenn sein Vater nicht zu Hause war, hatte sie ihm aufgelauert und versucht, ihn zu verführen. Schließlich hatte er nachgegeben, wobei sie ab irgendeinem Punkt keine große Überredungskunst mehr benötigt hatte.

„Wir sind nur zu viert“, sagte sie und holte ihn in die Wirklichkeit zurück. „Normalerweise arbeite ich nicht mit, sondern konzentriere mich auf die Organisation. Durch den Weggang von Harper fehlt uns außerdem ein Mann.“

Liam hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen. „Warum ist er denn nicht mehr dabei?“

Einen Augenblick verlor sich ihr Blick in der Ferne, bevor sie ihre grünen, leicht mandelförmigen Augen wieder auf ihn heftete. „Das tut nichts zur Sache“, antwortete sie knapp, und es war klar, dass das Thema damit erledigt war.

„Wie ich bereits sagte, wir haben zurzeit einen Frauenüberschuss“, nahm sie den Faden wieder auf. „Chase ist der einzige Mann und kann die Nachfrage nicht alleine bewältigen.“

Liam krümmte sich innerlich. Eine Nutte, besser gesagt, eine männliche Nutte. Nichts anderes als das würde er werden, wenn er dem Jobangebot zustimmen würde. Als er Violet in Austin begegnet war, da klang das alles noch so spielerisch. Jetzt, hier in den Hollywood Hills, in dieser geheimnisvollen Villa, sah die Sache schon ganz anders aus.

Violet hatte ihn persönlich empfangen und gleich in den ersten Raum, der von dem großzügigen und hellen Entree abging, geführt. Ein karges, fast gesichtsloses Zimmer, das vollkommene Nüchternheit ausstrahlte, obwohl es sehr geschmackvoll eingerichtet war.

„Wir verstehen uns nicht als Prostituierte, sondern mehr als Vermittler von gutem Sex. Es geht uns nicht um die üblichen Rein-raus-Spiele, wir gehen an die Grenzen, es gibt kein Tabu. Meistens passieren die Dinge ganz anders, als wir sie erwartet haben.“

Seine Gedanken kehrten wieder zu seinen letzten Rein-raus-Spielen zurück. Die Nummer mit seiner Stiefmutter war tatsächlich nicht mehr gewesen. Und außerdem auch noch vorzeitig abgebrochen. Er war schlicht und ergreifend geil gewesen, hatte ihren Reizen nicht länger widerstehen können. Wenn er daran dachte, dass er wegen dieses schnellen, noch nicht mal befriedigenden Ficks praktisch mittellos dastand, könnte er sich jetzt noch ohrfeigen.

Die Nacht mit Violet dagegen war etwas ganz anderes gewesen. Jetzt im Nachhinein wusste er natürlich, dass sie ihn getestet hatte. Ob ihr schon von Anfang an klar war, dass er als Kandidat für ihren Club, oder wie auch immer man es nennen sollte, infrage kam? Nein, der Fahrstuhl und der Stromausfall, der sie zusammengeführt hatte, waren sicher nicht geplant gewesen.

„Soll ich dich rumführen?“ Sie stand auf, streifte sich ihren engen Rock glatt und sah ihn fragend an.

„Ja, gerne.“ Er erhob sich. Dankenswerterweise hatte sich sein Schwanz wieder beruhigt, obwohl ihm das Geräusch, das die Nylons beim Aufstehen verursacht hatten, schon wieder die winzigen Härchen im Nacken aufstellte.

„Hast du etwas dagegen, wenn du beim Sex beobachtet wirst?“

„Ich habe noch nie darüber nachgedacht“, brachte er leicht stotternd heraus und kam sich wie ein Pennäler vor seiner Direktorin vor.

„Dann tue es jetzt.“ Ihr kühler Blick jagte ihm eine weitere Gänsehaut über den Körper.

„Wahrscheinlich stört es mich nicht“, gab er zögernd zu. Der Gedanke daran entfaltete sogar ein leicht erregendes Gefühl in ihm. Aber das würde er ihr sicherlich nicht auf die Nase binden.

„Ich frage, weil wir erstaunlich oft Menschen hier haben, die ihre Partner beim Sex beobachten wollen.“

Sie betraten einen großen Wohnraum mit einer atemberaubenden Aussicht auf Los Angeles.

„Wow“, entfuhr es ihm.

„Wir sind nicht immer hier. Das Haus gehört mir und ich stelle es gerne zur Verfügung, aber die meisten Treffen mit unseren Kunden finden an anderen Orten statt.“

„Verstehe“, sagte er und verstand es nicht.

Liam hatte versucht, etwas über Violet herauszufinden, aber da war einfach nichts gewesen. Sie hielt sich mitsamt ihrem Namen sehr sorgfältig aus dem Internet und sonstigen Medien heraus. Nach Größe und Lage des Hauses musste sie sehr vermögend sein. Hatte sie geerbt oder hatte sie einen reichen Mann geheiratet? Was trieb diese Frau an, The Butterfly zu führen? Er spürte eine Menge Geheimnisse, die sie umgaben. Bei ihrem ersten Treffen in Austin hatte sie ihm erzählt, dass sie als Anwältin den ganzen Tag in einer Konferenz gesessen hatte. Mehr hatte er nicht erfahren, nur dass man fantastischen Sex mit ihr haben konnte. Auch in ihren knappen Telefonaten hatte sie ihm nicht mehr verraten. Er warf ihr einen kurzen Blick zu. Sie sah wie eine Geschäftsfrau aus, nur strahlte das Businesskostüm bei ihr unterschwellig eine sehr erotische Botschaft aus.

„Wie vermittelst du denn zum Beispiel mich?“, fragte er, bevor er sich vollständig in ihrem Anblick verlor.

„Unser Kundenstamm ist klein. Ich weiß von jedem Einzelnen ihre oder seine Vorlieben. Neue Leute kommen nur nach einer Prüfung und gegen ein großes Einstiegsgeld hinzu. Ja, ich weiß, das ist etwas befremdlich …“ Sie strich sich eine nicht vorhandene Strähne aus ihrem ebenmäßigen Gesicht. „… aber es garantiert uns, dass die Menschen es auch ernst meinen.“

Liam trat ans Fenster. „Und was ist für mich dabei drin?“, fragte er mit rauer Stimme.

„Am Anfang tausend am Tag. Je nachdem, wie gut es funktioniert, kann es rauf bis zu zehntausend gehen.“

Eine Menge Geld, um seinem Hobby nachzugehen.

„Versteh mich nicht falsch“, sagte sie und trat so nah neben ihn, dass er ihren Duft riechen konnte. „Du bist kein Callboy. Wir versuchen den Menschen, die zu The Butterfly kommen, etwas mehr zu bieten als nur schnöden Sex. Manchmal wirst du etwas ganz anderes erleben. Und du musst jederzeit bereit sein, dich komplett zu öffnen. Bei uns zählt nicht der Sex, sondern das Außergewöhnliche.“

„Du machst mir Angst.“ Er versuchte, Violet anzusehen, aber sie entzog sich seinem Blick.

Sie straffte sich und trat wieder von ihm weg. „Hier im Haus gibt es mehrere Zimmer, die immer von euch genutzt werden können. Wir treffen uns manchmal auch hier, um uns auszutauschen.“

„Betriebsversammlung“, kam es lachend aus ihm heraus. Ihr Blick stoppte ihn.

Ein unangenehmes Schweigen breitete sich aus, und Liam fragte sich, ob er hier überhaupt richtig war.

„Okay. Hast du einen Auftrag für mich?“

Sie setzte sich in eines der breiten Sofas und lächelte ihn an. „Ja.“

Liam löste sich von der Aussicht und nahm auf dem gegenüberliegenden Sessel Platz. „Okay. Was soll ich tun?“

 

 

 

4

Liam

„Eine einfache Sache.“ Sie reichte ihm eine Mappe. „Sybil ist schon seit Längerem eine Kundin. Einmal im Monat hat sie Harper gebucht.“

Da war er schon wieder, dieser ominöse Harper. Liam setzte sich aufrecht hin. „Aha“, stieß er hervor und versuchte nicht zu interessiert zu klingen.

Er schlug die Mappe auf und hätte fast einen Schrei ausgestoßen. Das konnte doch nicht sein.

Violet grinste angesichts seines Gesichtsausdrucks.

„Du verarschst mich?“

„Nein.“ Sie schüttelte den Kopf. „Sie ist es wirklich.“

Liam starrte weiter fassungslos auf das Gesicht einer der berühmtesten Schauspielerinnen Hollywoods. Sybil Lagrange war eine der heißesten Frauen, die die kalifornische Filmindustrie derzeit zu bieten hatte. Fast wöchentlich war sie auf den einschlägigen Illustrierten zu sehen. Sie war eine der wenigen Schauspielerinnen, die in den wenigen, wirklich noch glamourösen Filmen mitspielten.

„Aber sie ist doch verheiratet“, brachte er etwas dümmlich hervor. „Außerdem kann sie doch jeden haben, wozu braucht sie The Butterfly?

„Genau aus diesen Gründen.“ Violet musterte ihn so kühl, dass Liam schon befürchtete, sie würde ihn gleich hinausbegleiten. „Liam.“ Sie beugte sich vor, „Deshalb gibt es The Butterfly. Sybil kann fast nirgendwo hingehen, ohne erkannt zu werden. Immer muss sie sich fragen, ob hinter dem sympathischen Fremden nicht vielleicht ein Paparazzo lauert. Sie will einfach loslassen und genießen.“

„Das waren saudämliche Fragen“, entschuldigte er sich.

Sie nickte ihm zu, aber er sah immer noch den Zweifel in ihrem Blick.

„Hat sie besondere Vorlieben?“, versuchte er sich professionell zu geben und über seinen Fehler hinweg zu spielen.

„Bitte lies dir die Unterlagen durch, ich bin mir sicher, da findest du auf alle deine Fragen eine Antwort. Wir legen von jedem unserer Kunden einen Ordner an. Darin ist alles enthalten, was uns hilft, ihnen jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Eigentlich machen wir das online über eine gesicherte Datenbank, aber da du neu hier bist, wirst du erst nach einigen Aufträgen einen Zugang bekommen. Deshalb der Ausdruck. Bitte lass ihn nicht unbeabsichtigt irgendwo liegen.“

Liam nickte. War ja klar, dass sie nicht jeden x-Beliebigen an so brisante Daten heranließen.

„Sybil erwartet dich Mittwochabend im Montrose Hotel in West Hollywood. Achtzehn Uhr, Suite A.“ Violet erhob sich und strich sich ihren Rock glatt.

Okay, das Gespräch war beendet. Liam stand ebenfalls auf.

„Jetzt kommen wir noch zu den etwas pikanten Sachen.“ Violet ging wieder in den anonymen, gesichtslosen Raum. Liam folgte ihr. Aus einer Schublade zog sie mehrere Papiere und reichte sie Liam.

„Deine Tests habe ich ja schon bekommen. Wir frischen sie alle drei Monate auf. Das hier sind deine Verschwiegenheitserklärung und dein Vertrag. Darin ist alles genau geregelt. Lies es dir bitte in Ruhe durch und bringe mir die Unterlagen dann wieder mit. Bitte schicke nichts mit der Post, ich will da auf Nummer sicher gehen.“

Nach einer kurzen Verabschiedung saß er etwas perplex in seinem Wagen. Der schnittige BMW passte in diese Gegend wie die Faust aufs Auge. Leider würde er sich im nächsten Monat von ihm trennen müssen. Er war versucht, die Mappe aufzuschlagen, beschloss dann aber, sich das für zu Hause aufzusparen.

Liams derzeitige Wohnung war etwas suboptimal. Nachdem er Hals über Kopf aus Austin geflohen war, hatte er sich in der ersten Woche in Los Angeles in einem Hotel einquartiert gehabt. Mit Blick auf seine schwindenden Geldvorräte hatte er sich bei einer der zahlreichen Vermietungsportale den hinteren Teil eines alten Holzhauses in Venice gemietet. Das karg ausgestattete Einzimmerappartement befand sich in einer der noch nicht von der Gentrifizierung erfassten Gebiete dieses ansonsten sehr schicken Stadtteils. Auch die vordere Hälfte des Hauses war in Ferienwohnungen aufgeteilt. In den letzten Nächten hatten zwei englische Pärchen die beiden Appartements bewohnt und es sich jeden Abend im Garten, direkt vor seinem Zimmer, gemütlich gemacht. Laute Trinksprüche und das Gegacker der Frauen war ihm tierisch auf die Nerven gegangen. Gott sei Dank waren sie heute Morgen ausgezogen. Vielleicht hatte er ja Glück und die beiden Wohnungen blieben eine Zeit lang leer.

Als er seinen Wagen vor dem Grundstück parkte, bemerkte er einen alten, klapprigen Seat in der Garageneinfahrt. Liam war eingeschärft worden, dass er dort zu keiner Zeit sein Auto parken durfte. Vielleicht war das der Besitzer? Die ganze Vermietung war online abgelaufen. Er hatte den Schlüssel unter der Türmatte vorgefunden, die Miete für die Woche war im Vorhinein überwiesen worden. Er würde verlängern müssen, wenn ihm nicht etwas Besseres einfiel. Bis Mittwoch waren es noch vier Tage.

Was für eine beschissene Performance hatte er in seinem Gespräch mit Violet abgeliefert, dachte er, als er aus dem BMW stieg. Wütend schmiss er die Tür zu, die trotz der großen Kraft, die er aufwendete, mit einem sanften Plopp ins Schloss fiel. Vermutlich hatte er in letzter Zeit zu viel mieses Karma gesammelt. Er straffte sich und ging energisch auf die vordere Tür zu, die zu den anderen beiden Appartements führte. Vielleicht konnte er ja im Gespräch mit seinem Vermieter etwas mehr punkten.

Ein älterer Mann öffnete einige Zeit nach Liams Klopfen die Tür. „Was kann ich für Sie tun?“, fragte er mit leicht spanischem Akzent.

„Sind Sie der Vermieter?“

Da der Mann nicht antwortete, sprach Liam weiter. „Ich wohne in dem hinteren Appartement und wollte mich über eine Verlängerung des Mietvertrages erkundigen.“

„Da sind Sie bei mir falsch. Ich und meine Frau, wir putzen hier nur. Warten Sie.“ Er schlurfte nach hinten in das Innere der Wohnung.

Zu Hause in Austin hatten sie einige mexikanische Hausangestellte gehabt. Der Mann erinnerte Liam frappierend an den Gärtner Milos. Er war schon, solange er denken konnte, bei seiner Familie beschäftigt. Unwillkürlich glitten seine Gedanken zu den letzten Tagen seiner Mutter. In der Woche, bevor sie starb, hatte sie viel in ihrem Garten gesessen, Milos war damals immer an ihrer Seite gewesen. Im Gegensatz zu seinem Vater. Er konnte sich noch sehr gut daran erinnern, obwohl es schon so lange her war. Auch in der Zeit nach ihrem Tod waren die Hausangestellten der Morgan-Villa ihm viel näher gewesen als seine eigene Verwandtschaft. An seinen Vater wollte er dabei gar nicht denken. Sie hatten nie wieder eine besonders große Nähe zueinander entwickelt. Manchmal war es Liam so vorgekommen, als ob sein Vater förmlich vor ihm fliehen würde.

Ein Räuspern riss ihn aus seinen düsteren Überlegungen. „Hier ist die Karte von Mrs. Sand. Sie wohnt gleich dort unten. Die große grüne Villa auf der linken Seite“, sagte der Mann und überreichte ihm eine Visitenkarte.

Er bedankte sich und ging in sein Appartement. Der Raum war wirklich äußerst spärlich eingerichtet, allerdings verfügte er über ein schnelles WLAN. Liam loggte sich mit seinem Computer ein und recherchierte zu Mrs. Sand. Anscheinend gehörten ihr mehrere Häuser hier in der Gegend, die sie als Ferienhäuser und zeitlich begrenze Unterkünfte vermietete. Vielleicht hatte sie noch etwas Größeres, dessen Preis noch erschwinglich war. Er beschloss, sie anzurufen.

Schon nach dem ersten Freizeichen nahm sie ab. „Ja, hallo?“

„Spreche ich mit Mrs. Sand?“

„Wer möchte das wissen?“

Sie war vorsichtig. Ihm imponierte das, er kannte so viele Frauen, die sich am Telefon viel zu vertrauensselig verhielten.

„Mein Name ist Liam Morgan. Ich wohne zurzeit in einem Ihrer Appartements, genauer gesagt: 1515 Rose Street, das hintere Zimmer.“