Aidan Truhen

Fuck
you
very
much

Thriller

Aus dem Englischen von
Sven Koch und Andrea Stumpf

Herausgegeben vonThomas Wörtche

Suhrkamp

Das Buch ist meinen Brüdern gewidmet: Gut, solche Männer hinter sich zu wissen.Und allen anderen, denen zu spät auffiel, was für ein Arschloch ich bin. Warum hat das bloß so lange gedauert?

TEIL 1

Das hier bin ich, bevor alles losgeht.

Ich bin es, der aus meiner Wohnung tritt und durch den Gang zum Lift geht und leise ein Liedchen vor sich hin singt. Nein, ich hab keine Ahnung, welches, falls wer fragt.

Und das hier bin ich im Aufzug, nur singe ich jetzt nicht mehr, weil: Fahrstuhlmusik reicht. Ich bin’s, der den Knopf drückt, in der Hand meine High-End-Schnabeltasse-to-go mit handgepflücktem biodynamischem Honig-Meersalz-Roibuschtee drin. Alles trallala, alles wie immer, mein normaler Tagesbeginn.

Auch der Aufzug macht ganz normal sein Ding mit dem Blink, sollen wir die Tür zumachen oder tun wir so, als stünde da noch dieser Fettberg in der Türöffnung, dem wir nicht den Arsch abzwicken wollen. Okay, dann respektieren wir heute mal seine persönliche Steißsphäre und drücken nicht auf den Türe-schließen-Knopf, sondern trödeln unnütz rum. Trödeldidelda trödeldideldum, aber gut. Alles ist gut. Sogar diese Fahrstuhlmusik ist nicht nur schrecklich. Jetzt macht die Tür auch klonk klonk, der Gespensterklops ist endlich weg, und wir rauschen nach unten. Achtzehn Stockwerke, und weil vormittags niemand das Gebäude verlässt, bin ich um diese Zeit meist allein und fahre nur mit mir und diesem südkalifornischen Nasenflöteninstrumentalcalypso bis ganz hinunter.

Ich bin’s also, der diesen handgepflückten biodynamischen Honig-Meersalz-Roibuschtee schlürft und dessen nussige Fülle und den dezenten Delphinspermageschmack genießt, als dieser Aufzug mit seinem Gepinge schon im nächsten Stockwerk hält. Und jetzt bin ich es, der dem Unerwarteten freudig entgegensieht und sich auf ein unverhofftes Glück einstellt.

Ping.

Sämtliche Cops dieses Scheißuniversums stehen auf der siebzehnten Etage herum, und dazu zwei Typen in Raumanzügen von der Spurensicherung. Und da ist Leo, mein Lieblingsbulle, was nur bedeuten kann, dass jemand gestorben ist. In meinem Haus. In meinem Haus, genau unter meiner Wohnung. In meinem Haus, genau unter meiner Wohnung und auf eine Art und Weise, wegen der sämtliche Cops dieses Scheißuniversums zuzüglich Leo angerückt sind, und das heißt, dass in meinem Haus genau unter meiner Wohnung der Tod gewaltsam und vorsätzlich herbeigeführt wurde. Das kann man natürlich nicht einfach ignorieren.

Die Bullen schauen mich an. Ich schaue zurück. Allerdings bin ich nicht im Geringsten schaulustig. Ich warte nur auf das Bye-Bye-Ping.

Einen Moment, bitte, Sir!

Okay, klar, Officer. Hi. Hallo, Leo.

Oh, Sir, Sie kennen diesen Mann, Sir?

Hi, Jack. Ja, Officer, ich kenne ihn.

Leo, was ist denn los?

Wohnt unter dir eine alte Lady namens Desdemona?

Scheiße. Welche Desdemona?

Na, die so heißt.

Desdemona?

Genau die.

Didi?

Didi?

Die heißt Didi.

Sie ist tot.

Ja, das hab ich schon kapiert. Und zugegeben, ich fand sie schrecklich, aber nicht so schrecklich, dass man sie gleich umbringen müsste.

Hast du letzte Nacht irgendwas gehört, Jack?

Nö.

Hm.

Waren die echt hinter Didi her?

Wer weiß das schon, Mann, aber sie haben sie definitiv erledigt.

Ich gucke Leo an. Leo guckt mich an. Ich: Ich komm nachher vorbei, Leo, zum Unterschreiben meiner Aussage. Leo sagt, er saugt sich schon was aus den Fingern. Jetzt guckt der Frischling neben ihm verdutzt, aber anscheinend machen wir nur Witzchen, tiefrabenschwarze Witzchen. Natürlich würde Leo so was nicht im Traum einfallen, und ich als rechtschaffener Bürger würde meinen Kumpel auch nie um so was bitten.

Bye-Bye-Ping.

Didi ist tot.

Die restliche Fahrt starre ich meine High-End-Schnabeltasse-to-go an. Unten lass ich sie in einer Aufzugecke stehen. Dieses Scheißdelphinsperma bringt mich jetzt nicht weiter.

Jetzt bin ich also hier und bestell mir einen Latte macchiato. Didi ist tot. Das ist traurig. Aber noch schlimmer ist: Es nervt. Sie war alt, und rein statistisch hatte sie nicht mehr lange, aber wie’s aussieht, wollte jemand nicht darauf warten. Warum? Wie ich schon zu Leo gesagt habe, war Didi eine ekelhafte Person, und sie hatte Spaß dran, ekelhaft zu sein. In der Stadt laufen jedoch Millionen solcher Leute rum, und eine erstaunlich große Zahl von denen kommt damit durch den Tag, ohne dass ihnen jemand die Rübe wegballert.

Die ganze Sache ist einfach ungut: Sie ist schlecht fürs Geschäft und schlecht für die Immobilienpreise, schlecht fürs Vertrauen in Polizei und Justiz, und all das führt zu blöden Fragen und Nachfragen. Dabei will ich doch einfach mein Leben leben und Geld verdienen, ganz normal halt – und Scheiße, wer braucht so einen Mist überhaupt? Deswegen will ich zu meiner Überraschung jetzt Kaffee. Den ersten Kaffee seit langer, langer Zeit.

Der Typ hinter der Bar heißt Mike. Er ist kein Barista, er arbeitet nur hinter der Bar, und nicht weil er’s authentisch findet oder weil er Kaffee liebt, sondern weil er ´78 jemand ins Knie geschossen hat und Stellenangebote für ihn danach eher rar wurden. Aber meinen Macchiato macht er, wie sich’s gehört, mit verschiedenen Schichten: Milch, Espresso, Schaum. Hell, dunkel, weiß.

Am Kaffee erkennt man den Menschen. Alles, was man über andere wissen muss, erfährt man durch den Kaffee, den sie trinken. Ich zum Beispiel trinke Macchiato. Warum? Weil er der schlichten Freude entspricht, nackt über ein Feld zu laufen. Weiß jemand, wer statistisch gesehen überdurchschnittlich oft bitteren Kaffee trinkt? Psychopathen. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass sie bittere Nahrungsmittel bevorzugen. Ich dagegen finde, Bitterkeit hat überhaupt keinen tieferen Sinn.

Nein, nein, kein Schokoladenpulver. Danke, Mike, aber es gibt auch Grenzen.

Ja, ich hab gesagt, er hat auf jemand geschossen. Ins Knie. Es war nicht in Reno, und wenn man bedenkt, wohin er gezielt hat, wollte er auch niemand sterben sehen. Er hat’s gemacht, um seinem Ärger über den Typen Luft zu machen, der ihm die Angel klauen wollte. Eine teure Angel, weil Mike damals der Lokalfernsehstar im Fliegenfischen war und sich von seinem ersten Gehalt eine erstklassige, superreduzierte Ausrüstung gekauft hatte. Danach hätte er einen Sponsorenvertrag kriegen sollen, aber dann kommt dieser Affenarsch und fuchtelt ihm mit einem Messer vor der Nase rum – na ja, nicht direkt vor der Nase, aber doch nah genug, dass Mike es nicht missverstehen konnte. Tja, und dann ging’s los.

Mike Sunby – das ist sein vollständiger Name – nahm dem anderen das Messer ab und warf es weg. Aber leider hat er’s nicht gut sein lassen, und weil er zufälligerweise eine 38er zur Hand hatte, hat er dem Typen die Kniescheiben amputiert. Der Richter meinte, dass scheißwütend sein nicht mehr unter Notwehr fällt.

Der Richter hat wirklich SCHEISSwütend gesagt, weil das ja in den 70ern war.

Danach landete Mike hinter der Bar und war kein richtiger Fernsehstar mehr, weil Fliegenfischen letztlich doch eher was für Kleinbürger ist und gar nicht mal so entspannt, jedenfalls was den Schusswaffengebrauch angeht.

Ich schlürfe an meinem Macchiato.

Sunby sagt: Das hat seit 00 kein Mensch mehr bestellt.

Na ja, Didi ist tot, sie wurde regelgerecht hingerichtet, da kann man schon mal eine Gedenkminute einlegen, und ich muss sowieso nachdenken. Aber das sag ich nicht zu Mike.

Stattdessen sage ich: Ich hab ja seit 00 auch keinen Kaffee getrunken. Was aber gelogen ist. Ich hab seit 01 keinen mehr getrunken. Zwischen 94 und 01 war ich Kaffeejunkie und hatte auch beruflich mit Kaffee zu tun. Ich habe international mit Kaffee gehandelt und ihn in allen Lebenslagen getrunken und nur mit Frauen geschlafen, die danach geschmeckt haben. Mein Parfüm roch nach Vetiver und schwarzem Kaffee, ich trug nur Kleidung in Kaffeetönen. Ich war der Herrscher über den Kaffee. Mich hat nur niemand Kaffeekönig genannt, weil damals jeder im Business einer war. Es gab so viele Kaffeekönige, dass es für ein Footballteam gereicht hätte. Für zwei Teams aus teigigen Büroärschen mit ersten Herzproblemen und unschönem Sexleben. Ich war der Kardinal. Nicht der Kaffeekardinal, das verstand sich von selbst. Man sagte nur, man hat einen Termin mit dem Kardinal oder der Kardinal hält das Zeug für den heißesten Scheiß – oder nur für Scheiß oder sonst was –, und die Leute wussten, wer gemeint war. Wenn sie irgendwas im Kaffeebusiness waren, dann wussten sie’s. Alle sogenannten Kaffeekönige haben mir den Kardinalsring geküsst.

Eines Herbsts war ich dann in London, und ein Freund rief von seinem Büro aus an und sagte: Kann es sein, dass gerade ein Flieger in mein Gebäude gerauscht ist?

Scheiße, was ist das denn für eine bescheuerte Frage?

Der Kerl antwortet: Wir wissen nicht, was los ist. Es heißt, wir sollen keine Aufzüge benutzen, aber wir sind ziemlich weit oben.

Nimm den verdammten Aufzug.

Aber das sollen wir doch nicht.

Nimm ihn. (Ich weiß nicht, warum ich Nimm ihn gesagt hab, aber ich hab’s. Entweder wusste ich schon, was kommt, oder ich war einfach zu dämlich zu wissen, dass man keine Aufzüge nehmen soll. Keine Ahnung. Aber ich hab gesagt: Nimm ihn.)

Was ist, wenn –

Nimm. Ihn.

… Okay. Okay, ich nehm ihn.

Der Idiot hat den Scheißaufzug natürlich nicht genommen. Ach, genug davon. Was danach los war? Abgesehen davon, dass ich eine ganze Woche geflennt habe und dann bis ´04 bei einem Analytiker auf der Couch lag, der mich irgendwann am liebsten mit Elektroschocks behandelt hätte? Das dumme Arschloch von Freund hat mir auf dem Weg die Treppe runter auch noch SMS geschrieben und als Letztes live getippt: Ich brenne. Was zum Teufel soll man mit dieser Info anfangen? Und warum simst man so was überhaupt? Fuck, Mann, was soll ich darauf antworten?

Hab dich lieb, mein Engel? Wird schon alles gut gehen? (Das wird es aber so was von nicht.) Du bist mein bester Freund? Das war er nicht. Er war nur ein Bekannter.

Ich sitz also in einem Café am Green Park ganz in der Nähe des Buckingham Palace und trink was – schon klar, was ich getrunken hab, oder? – und krieg seine SMS, und plötzlich ist mein Macchiato Asche. Und damit mein ich nicht, hach, was bin ich toll poetisch. Ich hatte echt den Geschmack von New Yorker Luft und Asche im Mund. Ich trinke diese ekelhafte Asche, die überall in Manhattan vom Himmel rieselt.

Ich schau in meine Tasse, und darin war alles blass und grau. Es lag sogar ein Stück Frauenhandtasche drin, ein letztes verkohltes goldenes Kettenglied. Die Untertasse klebte am Tassenboden, dann fiel sie runter. Sie fiel und fiel und fiel, und auf dem Weg nach unten schrie sie, sie schrie die ganze Zeit, bis sie auf dem Boden aufschlug, wo sie aber nicht zerbrach, weil sie unzerbrechlich war. Dieses scheißdämliche Cateringgeschirr.

Das war dann schon ein einschneidendes Erlebnis. Hat meinem Leben echt ne andere Richtung gegeben.

Didi ist tot. Sie war eine alte Zicke, und eigentlich hab ich sie nicht gemocht, aber irgendwer hat ihr zwei Mal in die Brust und ein Mal in den Kopf geschossen, als ob sie ein Drogenkurier gewesen wäre, in irgendeinem Drecksnest wo auch immer, wo diese Idioten heute ihre Drogen ins Land bringen.

Ich heiße Jack Price, und das ist meine Story.

Als Nächstes gehe ich auf einen Sprung bei Big Billy vorbei. Billy weiß, was abgeht. Big Billy heißt er, weil – scheiß die Wand an, der Kerl ist einfach irre groß. Aber egal. Worum’s eigentlich geht: Billy hat sein Ohr immer ziemlich nah am Puls der Zeit. Er ist nämlich in der Baubranche, und deswegen hat er automatisch freien Eintritt in die lokale Unterwelt und kennt die Typen sogar persönlich, die’s mit den Gesetzen nicht so genau nehmen. Und weil Billy Billy ist, kann er einfach nicht die Klappe halten über deren Scheißquatsche von Zeug, über das sie einfach nicht die Klappe halten können, weil sie unterweltmäßig ach-wie-cool-gesetzlos sind.

Billys Fachgebiet ist der Gerüstbau. Das heißt, er schleppt Gerüstrohre rauf und runter. Billy legt ziemlich viel Wert auf das Wort: Gerüstrohre. Gerüste bestehen nicht aus Stangen oder Pfosten oder sonst was. Und vor allem gibt es in Gerüsten keinerlei Röhren, weil darin nichts fließt oder geleitet wird. Billy hasst es, wenn ihm einer ganz baumäßig kommt und dann Gerüströhren sagt. Speziell Hausbesitzer machen das gerne. Billy hasst das. Er ist kein schlechter Kerl, nur manchmal ein bisschen heftig, weil er wie die meisten in seinem Job ziemlich viel kokst. Deswegen regt er sich schnell mal auf.

Das Wichtigste bei der Arbeit mit Gerüstrohren, während man auf dem Blassen Peruanischen Hengst reitet – das ist die Sorte Koks, die Billy und seine Leute sich reinziehen, jedenfalls steht das auf den kleinen Zellophantütchen, in denen das Zeug geliefert wird –, ist, dass es einen verdammt schmalen Grat gibt. Nicht in dem Sinn natürlich, dass es kein großartiges Koks wäre – im Gegenteil, es ist absolut supererstklassiges oscarverdächtiges Fünf-Sterne-Megakoks, das sich von Miley Cyrus’ Bauch schnupfen lässt, aber es ist eben verdammt schwer, eine schöne rote No-go-Linie zu ziehen zwischen dem, was noch okay ist, und dem, was nicht. Einen Möchtegernhandwerker anbrüllen ist okay. Wenn einem das passiert, hat man den Vertrag schon in der Tasche. Nicht okay ist, mit einem zentnerschweren Walzstahlrohr zu jonglieren und es fallen zu lassen, so dass es zwei Stockwerke nach unten saust und einen Bichon Frisé pfählt. Einen Termin platzen lassen, mit dem LKW ein Mobilklo umschubsen, irgendwas abfackeln? Kann alles passieren. Aber wer so einen Plüschpudel auch nur anknurrt, kriegt mehr Ärger, als er sich vorstellen kann.

Wenn man was auf einen Menschen fallen lässt, kommen die Bullen. Vielleicht muss man auch in den Knast. Aber bei einem Hund kommt das Fernsehen. Dann gehörst du der Todesschwadron tobender Omas, und die reißen dir den Arsch auf bis zu den Ohren. Die haben ja auch nichts Sinnvolleres zu tun.

Vor zwei Monaten unterlief einem von Billys Leuten leider ein kleiner Lapsus, der zu einer Knapp-getroffen-ist-auch-getroffen-Situation führte. Das heißt, ein vierbeiniger Mitbürger und eine mittellange Behelfsstrebe im freien Fall trafen unglücklich aufeinander. Und das wiederum heißt, ein gut zwei Meter langer Speer ist von einem Podest gerollt und hat einem Import-Corgi das linke Hinterbein amputiert. Und zwar chirurgisch. Schnips.

Aus reinem Zufall hatten alle Beteiligten richtig Glück, weil ich da war und Billy dazu gebracht hab, dem Hund einen Druckverband anzulegen – ob Sie’s glauben oder nicht, Billy war 03 Armeesanitäter –, und wir haben das Ding geschaukelt, so dass Billys Firma jetzt ein dreibeiniges Maskottchen hat und den Ruf, schnell und clever zu handeln, statt ein Trupp von Tiermördern zu sein. Tja, und jetzt kommen tatsächlich Leute und engagieren sie wegen der guten Berichterstattung: Veteran und Veterinär rettet gepfählten Pudel und so.

Aber für die Rohrleute war die Zeit die Hölle, weil sie sich in dieser kritischen Phase der Selbsthinterfragung und unter der fürsorglichen Beobachtung durch das Auge des Gesetzes natürlich nicht dabei erwischen lassen durften, wie sie sich die Birne zudröhnten. Dieses Auge blinzelte sowieso schon nervös, weil einige von Billys Angestellten nicht halbwegs oder auch nur entfernt weiß waren. In diesem unserem aufgeklärten Zeitalter überrascht das vielleicht den einen oder anderen, aber wir konnten den Rassismus in dieser Welt noch nicht komplett abschaffen, und so nutzen viele weiße Cops immer noch liebend gern jede Gelegenheit, gegenüber Menschen aller Kaffeeschattierungen außer Milchschaum das Arschloch rauszukehren.

Billys Leute wandelten also auf einem schmalen Grat. Das geht mit Koks allerdings leichter als mit Gras – nicht dass man ausgerechnet Kiffer als Gerüstbauer anstellen würde, das wäre schon grenzdebil –, weil Koks in wenigen Tagen ziemlich gut abgebaut ist, und wenn man keine Haare hat, lässt es sich auch kaum nachweisen. Jetzt sind Billys Leute nicht ganz blöd. Seit sie bei ihm angestellt sind, rasieren sich alle eine Glatze. Manche von denen lassen sich sogar sämtliche Körperhaare entfernen. Hey, ist heute eben so. Warum soll ich mich zum Richter aufspielen?

Der Einzige, der die schneefreie Phase locker wegstecken konnte, ist Jonah Jones alias der Wal. Der Wal ist die übliche religiöse Spaßbremse. Jonah erzählt allen und jedem, dass früher, als das Koks noch teuer war, im Gerüstbau alles viel besser war. Wahrscheinlich hat er sogar recht. Damals bekamen die Leute guten Lohn, und sie haben ihr Geld zur Seite gelegt. Sozialer Aufstieg mit Gerüst. Jetzt geben sie die ganze Kohle für Koks und Striplokale aus. High, geil und haarlos landen sie am Ende mit den Stripperinnen im Bett, die genauso drauf sind wie sie, und schwupps, schon ist die nächste Generation hoffnungsloser Kokser am Start, um die Gerüst- und Stangenturner zu ersetzen, die alt werden und sterben. Stillstand, Blockade, aus der Traum.

Der verdammte freie Markt ist ein brutaler Drecksack. Liegt in der Natur der Dinge.

Das größte anzunehmende Arschloch in dieser Situation ist natürlich der Dealer, der Mistkerl, der rausgefunden hat, wie er eine ganze Branche an der Nase rumführen kann, die Preise senken und den Umsatz steigern. Der Blasse Peruanische Hengst kommt nicht mal aus Peru. Er wird im Inland erzeugt und verarbeitet. Sogar regional. Eine Lieferkette gibt’s praktisch nicht, also gibt’s auch weniger undichte Stellen, die den Cops was stecken können. Der Dealer hat all die kaputten Leben auf dem Gewissen, jedenfalls solange man die Schuld nicht bei den Banken, Maklern und Spekulanten und dem ganzen Apparat sucht, der das Leben in verbriefte Schuldpapiere verpackt, mit denen sich Kommastellen verschieben, Profite vorgaukeln und Wachstum vortäuschen lässt. Dieser Kerl ist an allem schuld, was den und mit den Gerüstbauern passiert, inklusive des abgetrennten Corgi-Beins und Billys hundeblutüberströmtem Gesicht beim Abbinden des Stumpfs. Alle Hochachtung: Seine posttraumatische Belastungsstörung reicht ihm eine blutige Pfote, und er bleibt cool wie ’ne Hundeschnauze. Einmal hat Billy nämlich mit ansehen müssen, wie sich der Oberkörper eines Mannes vom Unterleib trennte und auf seiner eigenen Blutrakete durch die Luft sauste. Da sollte er eigentlich nie mehr im Leben was mit Blut zu tun haben müssen. Deswegen hat er auch das Angebot der Armee für eine weitere medizinische Ausbildung abgelehnt. Sie hatten ihm psychologischen Beistand und was weiß ich alles angeboten, wollten ihn reich und nützlich machen. Hinterher stellte sich dann raus, dass das Programm zusammengestrichen worden war, so dass er nur auf sechs Monate bürokratisches Schlammrobben verzichtet hatte, aber das konnte er damals nicht wissen, also ist das nach wie vor cool. Jedenfalls, der Punkt ist, Billy hätte so was nicht mehr durchmachen dürfen, und der Dealer hat ihn an diesen Kriegsschauplatz zurückgeschickt. Der Kerl ist ein Arschloch.

Dieser Kerl … ich hasse diesen Kerl.

Ja, das bin ich.

Logischerweise – und das ist schon allen klar, oder? –, logischerweise latsch ich nicht einfach in Billys Büro und leg ihm einen geheimdienstmäßigen Alukoffer mit Koks im Wert von hunderttausend auf den Tisch. Ich hab nämlich keine Lust, den Rest meines Lebens im Knast zu verbringen. Ich hab auch keinen Lieferservice. Der ist outgesourct. Früher hatte man kleine Jungs dafür, und ein paar altmodische Dealer machen das immer noch so, denn kleine Jungs wandern meist nicht ins Kittchen. Aber wenn man immer dieselben Knaben laufen lässt, kriegen sie nach und nach raus, wer man ist und wie man arbeitet, und wenn sie dann geschnappt werden, rücken sie damit meistens auch raus. Kids sind echt loyal, aber doof sind sie nicht. Sie wissen genau, wann sie einen verraten müssen. Außerdem glauben sie nicht, dass sie wirklich sterben könnten, deswegen haben sie nicht so viel Angst vor einem. Kinderarbeit ist eine tickende Zeitbombe, und moralisch ist es auch nicht okay. Kids sollten zur Schule gehen, damit keine Gerüstbauer und Stripper aus ihnen werden. Was an und für sich völlig vernünftige Berufe sind, nur dank der verzerrten Wahrnehmung in unserer spätneoliberalen Oligarchie kommt dabei am Ende nicht so viel von dem Erstrebenswerten raus, das man mit Ausbildung und deren Anwendung und einem kleinen, aber sehr notwendigen Quäntchen Glück erreicht.

Außerdem leben wir im digitalen Zeitalter. Ich liefere per Crowd-Paketlieferdienst: alles Einzelaufträge für Freiberufler mit Null-Stunden-Vertrag. Die Mikrojobber in der Gig Economy. Ein Fünfzehn-Kilo-Paket soll von East Harbour zum Point? Dafür gibt’s längst eine App. Mehrere sogar, dazu noch Websites, Listen und Peer-to-peer-Services. Das können die bekannten stinknormalen Allerweltsdienste wie The City Fetch sein, die Botengänge für vielbeschäftigte Wirtschaftsprüfer übernehmen, oder so was wie 1brokeIT, die Ersatz besorgen, wenn man aus Versehen irgendwas kaputtgemacht hat und niemand was davon mitkriegen soll. Oder geschlossene Netzwerke für Topmanagement-Paare auf der Suche nach bumsfidelen Gleichgesinnten, Prügelpartys oder Drogenberatung. Um die Technik braucht man sich dabei gar nicht zu kümmern, da geht’s nur um Folgendes: Warum sollte man eine Arbeitnehmerschaft unterhalten, wenn es so viele Leute gibt, die sogar auf freiestberuflicher Basis arbeiten und nicht mal wissen wollen, für wen sie was tun oder wer die Endkunden sind. Dazu sind sie bereit, wenn man vor allem drei Dinge sicherstellt:

a) Sie machen bei keinem Terrorakt mit. (Ein echtes K.o.-Kriterium. Das muss man ihnen wirklich glaubhaft verklickern.)

b) Wenn sie erwischt werden, müssen sie’s mit gutem Gewissen abstreiten können. (Natürlich denken sie nie im Leben, dass man was Illegales tun könnte. Aber für den Fall.)

c) Sie bekommen gutes Geld für etwas, das sie im Grunde sowieso täten (zum Beispiel pendeln, in einem schicken neuen Schuppen Kaffee trinken und neue Leute kennenlernen).

Man führt keine armen Unschuldigen in die Schattenwelt des internationalen Schmuggelwesens, man gibt nur verhinderten Leistungsträgern die Möglichkeit, sich in ihrer persönlichen Wirtschaftsflaute eine Einkommensquelle zu erschließen. Die Zukunft ist rosig, und ich bin Amazon. Ich bin das Uber der illegalen Drogen. Für mich bringen sie alle Koks unter die Leute, die Manager in dicken Schlitten genauso wie komische alte Käuze mit Rollatoren. Und eigentlich wissen alle, dass sie es tun. Aber es ist okay für sie, solange ich das nicht offen ausspreche. Und sie kriegen Kohle und vielleicht einen Thrill. Ich zwing sie zu nichts, was sie nicht gerne tun. Ich liefere in keine Gegenden, in die sie nicht gerne fahren. Warum auch? Scheiße, ich selbst will da ja auch nicht hin. Außerdem hat in solchen Gegenden keiner genug Kohle. An Billy und seinen Trupp liefere ich auch nur noch, weil sie in guten Gegenden arbeiten, was übrigens der Grund ist, warum seine Fallrohre keine Obdachlosen treffen, sondern so einen Bichon Frisé. Man könnte mich mit den Norwegian Airlines vergleichen: Ich fliege nirgendwohin, wo’s deutlich beschissener ist als an meinem Abflugort.

Allerdings bin ich nicht Norwegian Airlines, weil die sicher ein prima Verhältnis zu ihrem Bordpersonal haben und ich meins gar nicht kenne.

Ich bin heute auch nicht da, um über Koks zu reden. Ich werde zwar darüber reden müssen, weil Billy ziemlich viel davon nimmt, und Leute, die viel nehmen, reden auch immer viel darüber. Allerdings hab ich heute noch weniger Lust als sonst, über Koks oder über Billys Erektion zu reden, oder über seine früheren Erektionen oder die abartigen Orte, an denen er seine Erektionen unterbringt, oder darüber, was zwischen diesen Erektionen sonst so passiert ist. Ich will über Didi reden.

Didi war ungefähr tausend Jahre alt und sah noch älter aus, und sie hatte immer eine Scheißlaune. Sie war wirklich seltsam und müffelte auch, und sie schminkte sich immer so ein grusliges Puppengesicht hin wie alle alten Frauen. Einmal hab ich sie spätnachts beim Heimkommen getroffen, und ich hab ehrlich gedacht, ich bin in einem Horrorfilm. Ich dachte, ihr Kopf würde sich losreißen und mir die Augen raussaugen, oder sie würde platzen und Millionen Kakerlaken aus ihr rauskommen, die überall auf mir rumkrabbeln. Ich hab Didi gehasst. Ich hab’s gehasst, dass sie lebte und ihren komischen Gestank im Haus verbreitete, und ich hab’s gehasst, dass sie meine Mädels anzischte – sie hat so kakerlakenmäßig gezischt –, wenn ich welche mit nach oben brachte, damit sie den tollen Ausblick sehen und Whisky trinken und ich sie auf dem Balkon nageln konnte, und sie nannte sie Flittchen und mich alles Mögliche. Lief allerdings immer darauf hinaus, dass ich ein schlechter Mensch bin. Aber das werfe ich ihr gar nicht vor. Mit dem meisten hatte sie ja recht. Mir gefiel’s, dass sie da unten war und hörte, wie ich dänische Models auf dem Vollholzparkett nagelte, und mich hasste. Mir gefiel’s, dass ich sie hasste, und ich war mir ziemlich sicher, dass es umgekehrt genauso war.

Aber Scheiße, langweilig war’s nie mit Didi. Wenn man mal ein richtiges Urzeitmonster gebraucht hätte, so was wie eine Tiefseemuschel aus alten Filmen, die einem gerade dann die Hand einklemmt, wenn der Hai ums Wrack geschwommen kommt, dann wär sie die Idealbesetzung gewesen. Sie war immer zickig, mies drauf und grundfürchterlich. Trotzdem konnte sie denen, die sie erledigt haben, vorher nicht mal ein bisschen die Hölle heiß machen. Worauf man eigentlich gewettet hätte. Denen war’s echt ernst. Sie haben ihr sonst kein Härchen gekrümmt. Nichts mitgehen lassen. Nur zack peng erschossen. Völlig geräuschlos. Während ich einfach geschlafen habe.

Und genau deswegen geht mir der Arsch auf Grundeis. Hätten sie das auch mit mir machen können? Geht’s vielleicht darum? War das ein Hinweis? Wenn, dann sollte doch irgendwas in meine Richtung deuten, weil: So bin ich wirklich ratlos. Vielleicht ist das alles bloß Zufall. Ein verdammter Irrer, der sich für einen Auftragskiller hält. Der glaubt, er ist der Schakal, und sie ist die heimliche Präsidentin von Atlantis und muss sterben, damit die Leute aus dem Meer nicht ganz Manhattan leerfressen. Ich hab keine Ahnung.

Vielleicht war sie aber doch das Ziel. Oder ich.

Ich find’s nicht gut, dass Didi tot ist.

Allerdings geht’s dabei nicht um meine Gefühle oder meine menschliche Anteilnahme, es geht ums Geschäft.

Und genau deswegen red ich mit Billy. Er zählt zwar nicht mehr zu meinen wichtigsten Kunden, weil er mit der kriminellen Kelleretage dieser Stadt abhängt, und eigentlich sollte ich mich in nächster Zeit sogar ganz von ihm und seinen Jungs verabschieden. Sie waren zwar meine ersten Kunden, aber vielleicht entwickeln sich unser soziales Umfeld und unsere Interessen nun zu sehr auseinander. Obwohl – vielleicht geht Billy auch meinen Weg, klettert weiter hinauf auf der sozialen Leiter? Ich hab mich darum bemüht. Sollte er seine Energie in andere Bahnen lenken, dann wäre logischerweise Schluss mit dem Koksgeschäft mit ihm, ohne dass es bei einem von uns böses Blut gäbe.

Billy glaubt, es ist okay, wenn er mir den kriminellen Kram erzählt, weil ich seiner Meinung nach dauernd jemand umbringe, damit ich meine wirtschaftlichen Ziele erreichen kann. Daran sind nur Fernsehen und Kino schuld. Ehrlich, solange man nicht zu viele Leute umbringt und aufpasst und smart ist und keine Jugendlichen auf die schiefe Bahn bringt und ihnen Drogen verkauft, sondern den Stoff nur an Politiker und Börsenmakler vertickt, kümmert das keinen. Selbst wenn du den Bullen auffällst, haben die Besseres zu tun. Und falls sie dich wirklich mal erwischen, machst du einen Deal. Damit haben sie kein Problem, weil du – falls sie dir überhaupt was nachweisen können – ja nur die Nachfrage befriedigt hast.

Ich bin Infrastruktur. Ich bin elementar. Ich mach keine Welle und bin höflich. Bei dem, was ich mache, gibt’s keine Kollateralschäden. Nicht einen. Wenn sie alles legalisieren – und das wird kommen –, ändert sich für mich gar nichts, nur dass ich Forbes eine Pressemitteilung schicke. Wahrscheinlich ist die Hälfte der Leute auf der Forbes-Liste sowieso schon in meiner Kundenkartei, aber das schau ich nicht nach. Kundendaten werden separat geführt und doppelt gesichert, weil man den Schutz der Privatsphäre nicht an eine Dienstleistung knüpft. Den baut man von Anfang an ein. Bei mir geht’s um die reibungslose Abwicklung, die vollkommene Nutzerfreundlichkeit. Aufregung kann ich nicht brauchen.

Es gibt aber auch Vorschriften. Regeln. Und damit meine ich keine bestimmten Verhaltensregeln, sondern nur, was einem der gesunde Menschenverstand sagt. Manchmal ist das ein bisschen anstrengend, aber so sind sie nun mal, die Regeln. Herrgott, damit muss man leben und arbeiten. Das ist einfach die scheiß Geschäftsordnung, und wenn’s die nicht gäbe, gäb’s nur Chaos, und das will auch keiner. Deswegen frag ich Billy nach Didi.

Ich sage: Ist derzeit irgendwas los?

Wie? Was soll los sein? So was wie Bauarbeiten?

So was wie Krieg. Trommelt jemand Truppen zusammen?

Schüttelt den Kopf: Nicht, dass ich wüsste. Alles prima, alle glücklich. Lage stabil. Jeder hat ein Ding am Laufen, jeder macht Geld. Das heißt, alle außer denen, die arbeiten. Wer in diesem Land normal arbeitet, ist gearscht. Ist doch so. Aber die hohen Tiere, die machen richtig dick Knete.

Da versteh ich ihn gut.

Und wie gut ich ihn verstehe. Auch unter Kriminellen gibt es das eine Prozent. Und ein ziemlich durchgeknalltes mittleres Management, was ein weiterer Grund für Outsourcing ist. Wer hat schon die Zeit, aus Gründen der Personalführung ständig Finger abzuhacken? Ich meine, was zum Teufel bringt das? Scheiße, was soll ich denn mit den ganzen Fingern? Sie mir zu einer Halskette auffädeln?

Ich regle die Dinge immer mit Geld. Genau wie Billy jetzt die Dinge regelt, weil ich ihm das gesagt habe. Früher hatte er sein Büro – das ist der einzige Ort, an dem ich ihn treffe, weil ich ihm dahin kein Koks liefere, das geht direkt auf die Baustellen – in einem eher beschissenen Stadtteil. Jetzt ist die Gegend auf dem aufsteigenden Ast, und das Büro ist hip und chic und mit weißgekalkten Ziegelwänden fast authentisch. Er wollte es verscheuern, zu Kohle machen, aber ich hab gesagt, Herrgott, nein, behalt es, vermiet die Räume. Mach einen auf Berater. Also ist er jetzt Designberater. Das heißt, zu ihm ins Büro kommen Leute und lassen sich inspirieren, und wenn sie gegangen sind, bauen sie alles genau so wie dort und holen sich dafür die Handwerker, die er ihnen empfiehlt. Also kriegt er Kohle fürs Nichtstun. Und schon haben wir wieder eine Einkommensquelle. Er hat sogar ein Waxingstudio, in dem seine Leute ihre Ganzkörper-Haarentfernung machen lassen. Und das rentiert sich doppelt, weil er so auch sichergehen kann, dass ihre kokainstrotzenden Haare ordentlich entsorgt werden, statt in so einem blöden Beweismittelbeutel zu landen, nur weil ein Drogenfahnder auch mal Pluspunkte sammeln möchte. Ich hab sogar überlegt, den Laden zu kaufen, aber es ist besser, wenn keine Verbindung zu mir besteht. Ich will Billys Leute nicht bei mir haben, wenn sie die Songs vom Vorabend trällern, immer noch nach Stripperin stinken und die Kokaintütchen in den Müll werfen, die ich ihnen durch eine Reihe echt clever ausgesägter Löcher im Boden eines Geschäfts verkaufe, das damit nichts zu tun haben braucht. Ich mag mich nicht um Kram wie die Entsorgung von rasierten Arschhaaren kümmern. Das bringt nichts. Besser, man hält die Dinge getrennt. Also hab ich Billy gesagt, er soll den Laden machen, und wenn alles klappt, soll er mich einfach auf dem Laufenden halten, und das tut er. Mit mir ist er völlig offen, weil sich unsere Geschäftsfelder nicht überschneiden, wir knabbern nicht am selben Kuchen, und das ist, wie wir beide wissen, ein echter Vorteil.

Irgendwann wird er mich vermutlich schon bescheißen, und dann wird es wohl zu Turbulenzen kommen. Aber jeder weiß, dass ich keine Gewalt mag, also braucht sich deswegen keiner Sorgen zu machen. Ich regle so was lieber geschäftlich. So in der Art. Lebt sich einfach besser reibungslos.

Das hab ich auch einmal zu Billy gesagt, und jetzt steht es auf den Glasfenstern des Salons: #reibungslos.

Manchmal fühle ich mich müde und alt.

Mit Hashtag.

Billy sagt: Also, nichts tut sich, keine Probleme, alles cool, niemand macht Stress. Warum fragst du?

Weil man in meinem Haus einer alten Irren, die nichts weiter war als alt und verrückt, in den Kopf geschossen hat.

Vielleicht gibt’s was zu erben?

Vielleicht.

Ist so, Jack. Die Leute drehen schon mal durch, wenn sie drauf warten, dass ihre Alten abnibbeln. Wenn man jung ist, denkt man noch nicht so weit: Opa wird bestimmt nicht viel älter als siebzig, und selbst wenn, ich hab ja alle Zeit der Welt. Doch dann wird Opa siebzig, man ist selbst schon dreißig, und trotzdem stirbt er nicht. Dann ist er plötzlich neunzig und man selbst schon bekackte fünfzig! Und auf einmal heißt es: Hey, Opa, wie wär’s mit ein bisschen Schnorcheln? Lass uns Drogen ausprobieren, Opa, was soll dir schon groß passieren?

Scheiße.

Genau.

Scheiße, machen die Leute das wirklich?

Was denn?

Ihre Oma und ihren Opa dazu bringen, Drogen zu nehmen, damit sie sterben?

Kleiner Herzinfarkt. Ja, logo.

Auf so einen Scheiß muss man erst mal kommen. Ernsthaft, aus dem Grund ist meine Bekanntschaft mit Billy ein echtes Plus. Er ist ein absoluter Volltrottel. Er hat die komplexesten und simpelsten Volltrottelgedanken zugleich und erklärt sie mir. Also, das muss ich mir merken: Ich brauch eine Altersobergrenze für meine Ware. Oder vielleicht eine Art Gesundheitscheck. Ja, das könnte funktionieren. So wie Billy ein Studio hat, könnte ich mir ein Spa und ein Fitnesscenter zulegen und ein paar Trainer und Physios einstellen. Würde alles ganz legal aussehen lassen. Ein weiterer Schutzwall zwischen mir und dem Bösen. Wer weiß? Könnte sogar so gut ankommen, dass ich die Koks-Chose ganz sausen lasse oder nur auf kleiner Flamme weiterköchle, bis alles legal wird. Obwohl man bei so etwas der Konkurrenz besser eine Nasenlänge voraus ist, in puncto Technik und bei den Kunden. Wahrscheinlich ist es am besten, im Geschäft zu bleiben. Außerdem mag ich Koks. Nicht selbst nehmen, nein, aber das Produkt ist schon elegant. Macht genau, was auf dem Beipackzettel steht. Koks bläst dir das Hirn weg.

Didi. Erben. Reiche Verwandtschaft.

Jemand zahlt Didi die Miete, das steht fest. Hat sie bezahlt. Aber ums Kostensenken kann’s hier nicht gehen, nicht bei einem Mord. Bei einem Mord gibt es überall versteckte Kosten. Vielleicht will irgendwer jemand was mitteilen, und ich steh zufälligerweise neben dem Telefon?

Billy meint, ich soll mitkommen und zusehen, wie sein Bruder Rex ein Haus in die Luft jagt. Rex arbeitet im Abbruch, und jetzt ist ein Haus namens Triangle in Downtown dran. Ja, klar, sind drei Gebäude, die genauso klar im Dreieck stehen, weil öffentliche Architektur der vorhersehbarste Mist überhaupt ist. Das größte davon soll jetzt plattgemacht werden, und Rex meint, alle sollen kommen und am besten noch einen Partner mitbringen, weil nach diesem Spektakel garantiert alle Lust auf Begattung haben werden, ich weiß auch nicht, warum, also nicht fragen, bitte!

Rex ist fast eine Kopie von Billy, nur dass er Dinge abreißt, während Billy sie aufbaut. Er ist sozusagen das Yin zu Billys Yang. Allerdings braucht jetzt bitte niemand auf die Idee zu kommen, Billy nach seinem Yang zu fragen. Rex und seine Leute sind fast noch wilder auf den Peruanischen Hengst als Billy und sein Trupp, wenn das überhaupt möglich ist, und das sollte jedem in der freien Welt eine Scheißangst einjagen. Ernsthaft.

Ich sage: Danke, Billy, notier ich mir im Kalender.

Billy sagt, cool, und dann verabschiede ich mich, um in die Crosstown zu steigen und mir darüber Gedanken zu machen, was ich erfahren habe.

Ein bisschen Schnorcheln. Verdammte Scheiße, echt. Scheiße!

Die Crosstown: Die Bahn kommt daher, als wär sie die älteste Sache der Stadt, dabei ist sie nicht mal alt. Mittlerweile gilt man ja schon als Einheimischer, wenn man vermisst, wie es früher irgendwo ausgesehen hat. Und das tun heut beinahe alle. Dasselbe gilt auch für New York, und da kann man sehen, wohin das führt. Ich hab mal gelesen, dass man über eine Seilbahn nachdenkt, wie in den Bergen. Die säh man dann von unten über sich schweben. Und von drinnen könnte man auf die Welt runterschauen. Wahnsinn, oder?

Zeitleiden. Zukunftsschock. Informationsflut. Die ganzen Ausdrücke dafür, dass alles schneller wird. Wird es aber gar nicht. Wir werden bloß älter. Haben zu viel erlebt, wollen uns nur hinsetzen und Kaffee trinken.

Die Crosstown: ein Käfig voller stummer grauer Papageien. Aktentaschen, Schirme, Mäntel. Alle Arten von Menschen, weil das hier, das ist so eine Stadt. Weiß, schwarz, braun. Deutsche, Angolaner, Brasilianer, Native Americans, Holländer, Mandschuren und Okinawer. Ein Spiegel der Welt, komplett in Schiefergrau. Und dazu ein Wetter, bei dem jeder sofort grau anläuft, wenn er in die Kälte hinaustritt. Die Haut wartet auf Sommer. Alle warten darauf, dass sie nach Hause dürfen.

Zum Kaffeetrinken.

Da, wo ich herkomme – da, wo Stadt ein Schimpfwort ist oder was für Kinder zum Gruseln –, hatten wir eine Landwirtschaft. Wahrscheinlich bin ich deswegen ins Kaffeegeschäft eingestiegen. Und später ins Koksgeschäft. Ich kenn mich mit Nutzpflanzen aus. Immer schon. Hab den Hof meiner Eltern behalten, sogar etwas Vieh. Schweine beim Suhlen. Das ist eigentlich genau mein Ding: Biogemüse und Selbstgemachtes. Biologisch fermentierte Limonade und Kräutertee. Räucherspeck. Worauf ich gerade Lust hab.

Und, verstehen Sie, wie das läuft? Ich kann alle mögliche Chemie kaufen und haben. Ich kann reisen und Sachen verkaufen. Ich kann irgendwelche Pulverproben dabeihaben. Ob ich je Koks in einem Senfglas transportiert hab? GEHTS NOCH? Okay, schön langsam kapieren Sie’s. Ich mach alles, was man als Koksdealer machen muss, aber genau so deale ich nicht mit Kokain. Das mache ich komplett davon getrennt, vollkommen sauber. Ich hab Briefe von Zollbehörden und Ministern, die den Behörden vor Ort bestätigen, dass ich ein gesetzestreuer Händler von 1-a-Lebensmitteln bin und es mein unentrinnbares und halbwegs unterhaltsames Schicksal ist, Dinge über die Grenze zu bringen, die aussehen, als könnten darin Drogen versteckt sein. Jeder weiß, dass ich wie ein Drogenimporteur aussehe, weil ich keiner bin, und gleichzeitig bin ich einer. Wenn ich jemals geschnappt werde, wird es heißen: Natürlich! Scheiße, das hätte ich auch früher merken können. Wie in einem guten Kriminalfilm. Hätte man sehen können. Und auf einmal begreifen sie, dass ihre Karriere am Ende ist, weil: Fehlentscheidung. Sie haben sich für mich eingesetzt, mich empfohlen, gefördert. Das war’s dann für sie. Erledigt. Aus, Äpfel, Amen. Wegen einer einzigen Fehlentscheidung.

Natürlich könnten sie auch dafür sorgen, dass mein kleines Problem verschwindet. Unter gewissen Voraussetzungen könnte das sogar sehr lukrativ sein. Oder auch nicht.

Ich bin in der Crosstown. Ich mag das: Ist wie der Tod ohne Trara. Nur Ruhe, Frieden, graue Anzüge.