Verborgene Wesen IV

 

Kryptozoologische Kurzgeschichten

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Twilight-Line Medien GbR
Obertor 4
D-98634 Wasungen

www.twilightline.com
www.kryptozoologie.net

1. Auflage, März 2018
ISBN: 978-3-944315-30-0
eBook-Edition

© 2018 Twilight-Line Medien GbR
Alle Rechte vorbehalten.

 

 

 

 

 

 

 

Ein Bild, das Reptil, Tier enthält.

Mit sehr hoher Zuverlässigkeit generierte Beschreibung

Inhalt

 

 

Vorwort

 

Jonah

Iolana Paedelt

 

 

Süßes Blut

Ralf Kor

 

Der Camazotz

Laura Noll

 

Auf der Suche nach dem Oingobonk

Detlef Klewer

 

 

Der Hügel

Thorsten Schmidt

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Vorwort

 

 

Werte Leserinnen und Leser,

auch wenn unsere Welt inzwischen kleiner zu sein scheint und die Wahrscheinlichkeit geringer wird, um eine unbekannte Tierart zu entdecken, gibt es dennoch überall auf unserem Planeten Orte und Lebensräume, wo sich Wesen verbergen, die der Entdeckung entgehen konnten oder für die es bislang keinen wissenschaftlich anerkannten Beweis gibt, dass diese tatsächlich existieren, auch wenn es Erlebnisse, Berichte und Erzählungen von Augenzeugen gibt oder andere Indizien, wie Trittspuren oder Fotografien und Filmaufnahmen. Solche Wesen, auf die es Hinweise und Indizien in irgendeiner Form gibt, für die jedoch kein anerkannter Beleg für deren Existenz als Beweis vorliegt, werden als Kryptiden bezeichnet. Diese Kryptiden sind das Forschungsgebiet der Kryptozoologie, der Studie der verborgenen Tierwelt.

Im Regelfall handelt sich bei solchen Wesen um außergewöhnliche Vertreter bereits bekannter Tiere, die sich jedoch in Form, Farbe, Größe oder Verhalten von den normalen Vertretern ihrer Spezies abheben und daher nicht direkt erkannt werden. Aber es gibt auch Wesen, die verborgen vor dem Menschen existieren, die jedoch bereits durch verschiedene Sichtungen, Erlebnisse oder sonstige Indizien aufgefallen sind, sich aber dem wissenschaftlich anerkannten Nachweis entziehen. Dies mag in den meisten Fällen durch den abgelegenen Lebensraum dieser Wesen bedingt sein, andere sind unheimlich Scheu und gehen möglichst jeder Begegnung mit dem Menschen aus dem Wege – und es gibt jene, die Angst und Schrecken verbreiten und die sich mit Gewalt den Menschen entziehen.

Gerade die letztgenannten Vertreter werden von uns Menschen gerne als Monster und Ungeheuer bezeichnet. Wesen, die sich in unsere Welt drängen, denen man aber kaum habhaft werden kann. Überall auf unserer Welt findet man solche Geschichten, Berichte und Erzählungen über eben solche Wesen. Geschichten von menschenähnlichen Wesen, die verborgen in den Wäldern und in den Bergen hausen, von gewaltigen Seeungeheuern, die in tiefen Seen und dem Meer leben, Kreaturen die durch die Nacht streifen und von tödlichen Bestien, die angreifen oder Mensch und Tier töten.

Diese Wesen beflügeln unsere Fantasie und bewegen uns dazu, über eben solche Wesen nachzudenken. So auch die Fantasie so mancher Autoren, die sich von solchen Kreaturen haben beeinflussen und die uns an ihren Gedanken in ihren niedergeschriebenen Geschichten teilhaben lassen.

Auf den kommenden Seiten haben wir für Sie eine kleine Auswahl solcher Geschichten zusammengefasst. Folgen Sie den Autoren, wenn sich diese auf die Fährte der verborgenen Wesen begeben.

 

Wir wünschen viel Spaß beim Lesen!

Jonah

Iolana Paedelt

 

 

Die, welche die Küste Norwegens hochsegeln, um Fisch zu handeln, all die erzählen die außergewöhnliche Geschichte einer Schlange von furchterregender Größe, 200 Fuß lang und 200 Fuß weit, welche in den Rissen und Höhlen außerhalb Bergens weilt. An schönen Sommernächten verlässt diese Schlange die Höhlen, um Kälber, Lämmer und Schweine zu fressen, oder sie schlängelt sich durchs Wasser raus zur See und zehrt von den armen Seelen der Seemänner. Es besitzt ellenlange Haare, die vom Nacken hängen, einen aalartigen Leib, der geschützt wird von schwarzen, spitzen Schuppen und stechende gelbe Augen. Es greift Schiffe an, verschlingt jede Seele an Bord, während es wie ein Pfeil aus dem Wasser schießt.

Olaus Magnus, ca. 1300

 

 

„Und ich sage es dir nochmals, es ist eine schlechte Idee da raus zu fahren.“ Genervt rollte ich meine Augen, während ich den Strand entlanglief, zu dem Haus, in dem mein Expeditionsteam und ich untergekommen waren. Phillip hastete mir eilig nach. „Phil, wir haben darüber doch schon X-Mal…“, ich wollte meinen Satz zu Ende sprechen, doch Phillip fiel mir prompt ins Wort.

„Ich erkläre es dir gerne noch einmal. Diese Viecher sind die wortwörtlichen Leviathane der See. Riesige Würgeschlangen mit flachen Köpfen. Sie …sie zermalmen ganze Schiffe und …und ich hab gehört“, ich musste schmunzeln, denn er begann zu flüstern, „dass sie so lang werden wie Hängebrücken und mit ihren Schwanzschlägen eine tödliche Strömung erzeugen.“

Ich lachte einmal und blieb dann stehen, Philip lief kurzerhand in meinen Rücken.

„Jetzt mach mal halblang“ brummte ich.

Er gestikulierte wild mit den Händen und warf mir einen vorwurfsvollen Blick entgegen.

„Mein Lieber, ich kann dir versichern, dass es sowas wie Seeschlangen“, ich setzte das Wort Seeschlangen demonstrativ in Anführungszeichen, „dass es sowas nicht gibt.“

Ich sah ihm einmal fest in die Augen und wollte weitergehen.

„Und was ist dann das?!“, rief Phil plötzlich außer sich, in seiner Stimme vernahm ich nicht nur Ärger, sondern auch eine Spur Angst.

„Was ist was?“ fragte ich und versuchte meine nervliche Anspannung zu unterdrücken. Aufgeregt präsentierte mir Phil einen Hakenzahn. Zuerst wirkte er auf mich wie ein ganz normaler Haizahn, doch bei näherem Betrachten erschien er mir zu groß und zu schwer. Verdutzt blickte ich meinen Kollegen an.

„Den hab ich gestern nach dem Sturm gefunden.“

Philipp schien ernsthaft besorgt und als er meine Verdutztheit sah, schien ein Funken Hoffnung in seinen Augen aufzuleuchten. Ein weiteres Mal lachte ich, wobei es mehr ein verunsichertes Lachen war.

„Du willst mir doch nicht ernsthaft verkaufen, dass dies der Zahn eine Seeschlange sein kann?“, sprach ich verächtlich, wobei es vielleicht doch mehr nach einer Frage klang.

„Jonah, ich - die haben Reihen von messerscharfen Zähnen, mit denen sie ihre Beute zerfleischen.“

„Und ich dachte du wärst ein renommierter Meeresbiologe“, seufzte ich gespielt enttäuscht, doch Phillip sah mich immer noch mit demselben Blick an.

„Du, ich finde das so null lustig. NULL!“ antwortete Phillip und schien am Rande der Verzweiflung.

Ich zuckte mit den Achseln und fing an ein paar Schritte zu gehen, nachdem ich ihm seinen Zahn zurück in die Hand gedrückt hatte.

„Jonah, boah, lauf doch jetzt nicht wieder los“, schnaufte Phillip hinter mir, versuchend mit meinem Schritt Tempo zu halten und dabei seine phantastischen Geschichtchen auszuführen.

Ich versuchte mich auf das Knirschen des Sandes unter meinen Füßen, das Rauschen des Meeres und die fernen Schreie der Möwen zu konzentrieren. Der salzige Duft des Meeres stieg in meine Nase und ich erinnerte mich an ein Gedicht, das ich mal in einem Buch gelesen habe, damals, als ich noch klein war. Ich konnte mich zuerst nur bruchstückweise erinnern, doch nach ein paar Minuten hatte ich es wieder beisammen:

„Wie backt man sich einen Seemannskuchen?

Du musst dir ‘ne Tasse voll Himmelsblau suchen,

vermeng es mit Tang, einem schweigenden Stern,

mancher mag auch frische Morgenbö gern,

der Schrei einer Möwe, das Salz aus dem Meer,

dann hauch über alles bitteren Teer,

vergiss nicht die Gischt, eine Prise der Nacht,

verbinde es mit dem Abschied, ganz sacht -

so wird der Seemannskuchen gemacht.“

Jetzt fiel es mir wieder ein, es war von Joan Aiken. Doch meine Kindheitserinnerungen wurden unterbrochen. Phillip war offenbar immer noch munter dabei, mir die Ohren vollzutexten. Von meinen bisherigen Expeditionen wusste ich, dass man immer, auch heute noch, einen abergläubigen Seemann an Bord hat. Das es dieses Mal Dr. Phillip Koch war, hätte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorgestellt.

„Jonah, hör mir doch zu, mein Großvater, ein alter Seebär, Gott sei seiner Seele gnädig, hat mir von den Viechern schon berichtet. Ich schwöre es dir, das ist kein Witz, okay?“, schnaufte Phillip hinter mir weiter, doch meine Taktik war, ihn jetzt erstmal reden zulassen und danach für ein bisschen Vernunft zu beten, denn weiß Gott, dies war das Einzige, was seinen Geist noch retten konnte.

„Recherchier es doch! Über die Jahrhunderte, nein Jahrtausende, hat man solche Kreaturen gesichtet. Die Geschichten gehen zurück bis ins Heilige Römische Reich und stoppen nicht, der letzte war in den 1980ern.“

Es reichte mir nun, kein bisschen mehr von diesem Unfug wollte ich mir anhören, ein weiteres Mal blieb ich stehen und Phillip lief in mich rein. Ich drehte mich zu ihm um und versuchte so ruhig wie möglich mit ihm zu reden. „Wir arbeiten unser ganzes Leben bis jetzt auf diese Expedition in die Tiefsee hin und jetzt, genau jetzt, kurz vor dem Ziel, fängst du mir an was von Nessie zu erzählen?“ fragte ich ihn schnippisch, meine Augenbrauen hatten sich zusammengezogen und meine Augen funkelten ihn sauer an.

„Nessie hat nichts…“

„Ich will davon nichts mehr hören und wenn dir das nicht passt, mein Gott, dann nimm den nächsten Flieger nach Loch Ness und betreib deine Forschungen da weiter!“ Ich versuchte streng zu klingen, so wie bei einem Kind, doch Phillip sah mich nur an wie ein begossener Pudel.

„Ich wollte dich ja nur in Kenntnis setzen…“

„Phillip, wir sind Freunde und ich schätze dich, aber ich will von deinem Aberglauben nichts mehr hören, sonst explodiert mein Kopf demnächst“, ein sanfterer Klang lag in meiner Stimme.

„Es ist kein Aberglaube!“

Ich warf ihm einen finsteren Blick zu. „Na schön, kein Wort mehr!“

Phillip tat so als würde er sich seinen Mund mit einem Schlüssel zuschließen und deutete an diesen ins Meer zu werfen. Ich seufzte ein weiteres Mal halb schmunzelnd und auch über Phils Gesicht huschte ein Lächeln. Wir liefen beide, dieses Mal nebeneinander, weiter den Strand entlang und sahen uns dabei die untergehende Sonne über dem dunkelblauen Atlantik an. Es war zu schön um es in Worte fassen zu können. Jetzt, in diesem Moment, erschien es uns beiden unvorstellbar, dass hier gestern noch ein Sturm gewütet haben soll. Das Einzige, was noch an den Sturm erinnerte, waren die Überreste zerstörter Boote und die Milliarden Muscheln und Steine, die angeschwemmt wurden. Die See war fast spiegelglatt, nur ein paar Wellen schwappten leise über den weißen Sand. Innerlich hoffte ich, dass es so bleiben würde, denn dann würde der Tauchgang mit dem U-Boot nicht so extrem nervenaufreibend. Aber man weiß ja nie, das Meer ist unberechenbar und noch viel mehr die Tiefsee.

 

Meine Nacht war kurz. Zu kurz für meinen Geschmack, erst spät kam ich ins Bett, es muss gegen 1 Uhr gewesen sein. Die letzten Vorbereitungen mussten ja auch irgendwann getroffen werden. Dafür war die Aufstehzeit human angesetzt, nämlich auf 7 Uhr. Blöd war nur, dass ich um 5 Uhr auf einmal hellwach aus meinem Bett auffuhr, mein Puls raste und ich schwitzte. Kurz dachte ich darüber nach was für mein Missbefinden verantwortlich war, an meinen Traum konnte ich mich nicht mehr erinnern, aber ich hatte so ein komisches Bauchgefühl. So eins, das man hat, wenn man einer akuten Bedrohung ausgesetzt ist oder eine böse Vorahnung hat. Ich durchsuchte krampfhaft meinen Kopf nach der Ursache für meine Heidenangst und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Es war Phils Zahn, den er mir gezeigt hatte. Dieses Ding war für meine seelische Unruhe verantwortlich. Ich schnaufte genervt auf. Danke dafür Phillip, jetzt hatte sein bescheuertes Gefasel mich doch unterbewusst erreicht. Aber woher stammte dieser Zahn? Von einem Hai ganz bestimmt nicht. Dafür war er definitiv zu groß, zu schwer und hatte ein zu ungewöhnliches Aussehen. Vielleicht hatte ich ja auch die Rolle von Chief Brody angenommen und morgen würde mir „Der weiße Hai“ begegnen. Ich schmunzelte über mich selbst, doch dann schob sich wieder der Gedanke in meinen Kopf: Woher stammte dieser Zahn? Neben Haien gab es keine anderen Jäger, die ein solches Gebiss besaßen. Darüber hinaus wollte ich mir gar nicht den dazugehörigen Körper vorstellen. In einem kurzen Augenblick war ich fasziniert, doch die Faszination verblasste bald. Vielleicht war es ein überdimensionales Exemplar, dachte ich, aber insgeheim glaubte ich mir selber nicht. Trotzdem hielt mich dieser Gedankengang weiter wach und ich konnte nicht anders als in Phils Zimmer zu schleichen und den Zahn aus seinem Nachtschrank zu holen, ich musste mir das Ding genauer ansehen.

Wie besessen schlich ich also aus dem Zimmer und rannte in meines zurück. Dort setzte ich mich an meinen Schreibtisch und im Licht der Nachttischlampe begann ich den Zahn unter der Lupe anzusehen. Wieder fiel mir die enorme Größe dieses Zahnes auf. Er war vielleicht dreimal so groß wie der eines durchschnittlichen, männlichen großen Weißen. Ich ließ meinen Finger über den Zahn gleiten und obwohl ich sehr vorsichtig war schnitt ich mich. „Jonah, die haben Reihen von messerscharfen Zähnen, mit denen sie ihre Beute zerfleischen“, Phillips Worte hallten in meinem Kopf wieder und für den Bruchteil einer Sekunde schenkte ein Teil meines Geistes ihnen Glauben. Doch so schnell wie es kam verschwand es auch wieder und die wissenschaftliche Vernunft ergriff mich. Ich entschied es dabei beruhen zu lassen und brachte den Zahn so schnell wie möglich wieder zurück. Dennoch kam mein Kopf nicht zur Ruhe, meine Gedanken rasten und ich blieb schlaflos.