E.N. NISTLER / G.P. BRODERICK

 

 

Die Nacht

am Straßenrand

 

 

 

 

 

 

 

Apex Crime, Band 4

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DIE NACHT AM STRASSENRAND 

1. 

2. 

3. 

4. 

5. 

6. 

7. 

8. 

9. 

10. 

11. 

12. 

13. 

14. 

15. 

16. 

17. 

18. 

19. 

20. 

21. 

 

 

Das Buch

 

Ihr Name war Sylvia, und sie war umwerfend schön. Der Plan entstand in jener Nacht, als sie die Bar seines kleinen Motels irgendwo an der Fernstraße nach Los Angeles betrat und bei ihm blieb.

Es war ein teuflischer Plan, doch er zögerte nicht, ihn auszuführen - für das, was Sylvia Liebe nannte.  

Dann war es unwiderruflich geschehen, und er klammerte sich an diese Liebe mit der Verzweiflung des Ertrinkenden. Bis er schließlich erkannte, dass er unaufhaltsam den Weg in den Abgrund ging...

 

Die Nacht am Straßenrand - erstmals im Jahr 1960 veröffentlicht - ist ein meisterhaft gestalteter Klassiker des Kriminal-Romans aus der Feder von Nistler/Broderick (Der Weg ins Nichts, 1970), spannend von der ersten bis zur letzten Seite. 

Der Apex-Verlag veröffentlicht diese durchgesehene Neu-Ausgabe in seiner Reihe APEX CRIME.

  DIE NACHT AM STRASSENRAND

 

 

 

 

  1.

 

 

 

Es heißt, im Dunkeln sind alle Frauen gleich.

Aber das ist nicht wahr.

Als sie mir begegnete, wurde mir das klar.

Wir trafen eine Übereinkunft.

Meine Kabine war der Verhandlungsort. Es war dunkel darin, als wir es besprachen; es war Nacht.

Wenn man es versteht, kann man mit einer Sache wie der, die wir aufgegriffen hatten, ein für alle Mal aus allen Schwierigkeiten heraus sein.

Ich war dafür nicht der richtige Mann.

Ich will mich nicht entschuldigen. Es gibt keine Entschuldigungen. Und Mitleid hilft nicht.

 

Als ich vom Militär zurückkam, hatte ich einen guten Start. Ich konnte diesen Betrieb - ein Motel mit Bierausschank - ziemlich billig erwerben. Ich sah meine Chance, denn das Anwesen liegt an der großen Straße, die an der Küste entlangführt.

Das Lokal war in einem ziemlich heruntergewirtschafteten Zustand, als ich es übernahm, aber es kam bald in Schuß. Dominic half mir dabei. Er ist ein alter, grauhaariger Vagabund, der eines schönen Tages da war und nicht wieder fortging. Es gefiel ihm hier.

Jetzt lief der Betrieb wie am Schnürchen.

Es war Sommer geworden, und an jenem Tage war die Hitze fast unerträglich. Es drängte mich, ein Bier zu trinken.

Ich ging in die Bar. Es war kühl dort drinnen. Zwei Lastwagenfahrer sahen Dom dabei zu, wie er Gläser abtrocknete.

Als ich mir mein Bier einschenkte, sah ich durch das Fenster einen großen offenen Wagen halten und neben der Straße parken. Ein Mädchen stieg aus. Sie zeigte dabei auffallend hübsche Beine.

Es gibt hier in dieser Gegend viele Mädchen mit schönen Beinen - Mädchen, die auch sonst ein erfreulicher Anblick sind. Ich kenne sie alle. Die meisten von ihnen haben mich schon irgendwann einmal besucht und ein wenig Leben in die Bude gebracht. Aber im Grunde genommen unterscheiden sie sich nur darin, dass sie verschiedene Namen tragen.

Dieses Mädchen jedoch hatte mich in der Tasche, noch bevor sie durch die Tür gekommen war.

Das... war der Anfang.

Als sie hereinkam, zog sie alle Blicke auf sich. Die Lastwagenfahrer hörten auf, sich zu unterhalten. Ich starrte sie genauso an wie die anderen. Wie ein Junge, der zum erstenmal in seinem Leben eine Frau ohne Kleider sieht.

Unter ihrem seidenen Kopftuch schaute rötlichblondes Haar hervor. Ihr Kleid war blassgrün. Wie die Farbe von Linden. Es spannte sich über ihre Hüften und über ihre Brüste.

Sie blieb an der Tür stehen und nahm die Sonnenbrille ab. Dann setzte sie sich auf einen Barstuhl am anderen Ende der Bar. Sie legte die Schlüssel und die Sonnenbrille vor sich hin und suchte irgendetwas in ihrer Handtasche.

Ich sah immer noch zu ihr hinüber.

Sie schaute sich um. Ihre Augen schillerten grün, und ich habe noch niemals längere Augenwimpern gesehen als die ihren. Die Nase war schmal und gerade. Am Ende ein wenig nach oben gebogen.

Sie bestellte eine Coca Cola. Ihre Stimme war sanft und eine Idee heiser. Dominic beobachtete sie genau wie ich. Und auch die Lastwagenfahrer ließen mit ihren Blicken nicht von ihr ab. Man konnte ihr nicht ansehen, ob sie die Aufmerksamkeit der Männer bemerkte.

Sie holte Zigaretten und ein goldenes Feuerzeug aus der Tasche. Ich sah, dass sie keine Ringe an ihrer rechten Hand trug.

Dom hatte ihr ein Coca Cola aus dem Kühlschrank geholt. Ich nahm es ihm aus der Hand und stellte es vor sie auf die Theke.

»Wahnsinnig heiß die letzten Tage, nicht wahr?«, sagte ich dabei.

»Sehr heiß.«

»Wollen Sie nach Los Angeles?«

»Nein, in südlicher Richtung.«

»Sie haben einen sehr schönen Wagen.«

»Oh, ja.«

Mir fiel beim besten Willen nichts mehr ein, das ich noch hätte sagen können.

Sie rührte mit einem Strohhalm in ihrem Glas herum und beobachtete die kleinen Blasen, die an die Oberfläche stiegen und zerplatzten. Einmal schaute sie auf. Ihr Blick lag auf den japanischen Pistolen und Schwertern, die wir an der Wand aufgehängt hatten. Gewöhnlich bilden diese Waffen ein Gesprächsthema für die Leute, die hier hereinkommen. Sie sagte nichts, aber sie sah unverwandt zu ihnen hinüber.

Ich fragte mich, warum sie wohl hier gestoppt haben mochte. Leute in großen Autos fahren hier meistens vorbei. Ich kam zu dem Schluss, dass die Hitze sie durstig gemacht haben musste.

»Möchten Sie noch 'ne Coke trinken?«

Sie schüttelte den Kopf und sammelte die Münzen, die sie herausbekommen hatte, auf.

»Das wär's für heute. Danke.«

Sie glitt von ihrem Stuhl, nahm die Brille und die Schlüssel und ging aus der Bar.

Ich sah ihr nach. Sie war nicht zu groß und richtig in den Proportionen. Ihre Beine waren gerade und schlank; sie hatte einen eleganten Gang. Ich stand da, bis sie abfuhr. Sie nahm die Straße nach San Diego.

Es war mir, als hätte ich etwas verloren.

Ich griff nach dem Glas, aus dem sie getrunken hatte. Es trug Spieren ihres Lippenstiftes. Ich stellte es in den Ausguss. Dann sah ich, dass sie ihre Packung Zigaretten auf der Theke liegengelassen hatte. Es waren nur noch drei übrig. Ich zündete mir eine davon an und steckte das Päckchen in meine Tasche. Die Zigaretten waren lange in ihrer Handtasche gewesen, so dass sie einen eigentümlichen Duft angenommen hatten, den ich mit dem Rauch einzog.

Einer der Fahrer sagte: »Was würdest du sagen, wenn dich eine wie die abends zu Hause erwarten würde?«

Sein Kumpel grinste. »Verdammt! Ich wäre sogar zum Mittagessen zu Hause!«

Dom warf die Tür des Kühlschranks zu.

Ich drehte mich um und ging in meine Kabine. Ein paar Spatzen jagten sich draußen in den Büschen. Die Luft war flirrend, und es ging kein Hauch.

Ich liebe meinen Betrieb und die Arbeit, die ich tue.

Ich bin erst achtundzwanzig. Es gibt hier eine Zukunft für mich. Aber in diesem Augenblick hätte ich alles, was ich aufgebaut hatte, über den Haufen geworfen, nur um sie zu bekommen. Niemals hatte irgendetwas eine derartige Wirkung auf mich gehabt.

Es machte mir Angst.

Ich konnte durch die dünnen Wände hören, wie die Fahrer lachten. Ich wusste, worüber sie sich unterhielten.

Ich verließ das Haus, ging über den Highway und durch die Felder zum Meer hinunter.

Als ich den engen Pfad entlangging, spürte ich die Glut der Steine, auf die ich den Fuß setzte. Es war Ebbe, und das Meer war ruhig. Die Wellen spülten sanft an den Strand, als wollten sie sich nicht untereinander aufwecken. Das Geräusch, das sie machten, wenn sie ins Meer zurückkehrten, war wie das Wispern von Kindern.

Die Möwen spazierten auf dem Strand herum. Eine von ihnen fand einen kleinen Fisch und flog davon. Die anderen verfolgten sie kreischend, gaben die Jagd aber sofort wieder auf, als sei es zu heiß für eine solche Aufregung.

Weiter draußen hinter der Linie der Brandung spiegelte sich die Sonne im Wasser. Meine Augen schmerzten vom Hinsehen. Nirgendwo am Himmel war eine Wolke.

Hohe Felsen, die sich an drei Seiten auf türmten, bildeten eine kleine Bucht; wie ein Zimmer, in dem man die Wand nach dem Meer zu vergessen hat. In langen Abständen hörte ich auf der Straße über mir ein Auto oder einen Lastwagen vorbeifahren. Dann war wieder alles still.

Ich stand dort am Ufer.

Ganz dicht an meinem Abgrund.

Damals... wusste ich es noch nicht.

 

 

 

 

 

 

  2.

 

 

 

Gedanken überfielen mich.

Wilde, unbändige Gedanken.

Und doch wusste ich, wie es war.

Dieses Mädchen hatte ihren Spaß daran, Männer wie mich wild zu machen. Klar. Anschließend ging sie mit Männern aus, die ihr Autos und goldene Feuerzeuge schenkten. Sie war nichts als eine Kokotte. Eine Luxusnutte.

Ich wünschte, ich hätte sie nie zu Gesicht bekommen. Ich wollte allein gelassen werden. Wo ich war. Und wie ich war.

Ich würde sie einfach vergessen. In weniger als ein paar Tagen würde ich mich nicht mehr an ihre grünen Augen und das Schwingen ihrer Hüften, wenn sie ging, erinnern. Ich brauchte bloß nicht mehr daran zu denken.

Ich warf die Zigarettenpackung, die sie vergessen hatte, auf die Straße. Ein vorbeifahrender Lastwagen zermalmte sie unter seinen Rädern. Sie wirbelte eine Weile im Staub hinter dem Wagen her.

So, das war's.

Die Bar war leer, als ich zurückkam.

Die Fahrer waren gegangen, und durch das Fenster konnte ich Dom sehen, der eine Weinranke an der Seitenwand einer Hütte anband.

Ich beschloss, mich an die Arbeit an dem Zaun zu machen, den ich auf der Rückseite des Grundstücks errichten wollte.

Holz genug dafür hatte ich da. Bretter und Pfosten. Ich ging hinaus und schaute noch einmal nach. Der Vorrat reichte für mein Vorhaben. Auch Zement und Sand hatte ich genug.

Ich sprach mit Dom über den Zaun.

»Fein«, antwortete er, »dann wollen wir mal an die Arbeit gehen.«

Ich trug die Pfosten zu der Grenze meines Grundstücks, damit wir am Morgen sofort anfangen konnten. Die Sonne brannte immer noch, und das Holz war schwer. Dom rechnete aus, was wir noch zu kaufen hätten. Dann gingen wir in die Bar zurück.

Wir waren gerade dort angekommen, als die Klingel schrillte und die Tür aufflog.

Es war Joyce. Sie kommt nie ohne ungeheuren Lärm. Joyce ist Achtzehn. Ihr Vater besitzt ein Restaurant sechs Meilen weiter am Highway.

Sie war atemlos und aufgeregt. Mit den ins heiße Gesicht fallenden Haaren, den hellen Shorts und der knappen Bluse sah sie sehr hübsch aus.

»Hallo! Hast du Lust, zu uns zum Abendessen zu kommen? Und was sagst du zu meinen neuen Shorts? Hab' sie gerade bekommen!«

Ich machte ihr ein paar nette Komplimente über ihr Äußeres und die neuen Sachen. Das war leicht. Aber ich wollte nicht mit ihr zu Abend essen. Ich fand Joyce nett, aber ich war nicht in der richtigen Stimmung. Sie schien zu erraten, dass ich nicht mit ihr kommen wollte, und ihre Augen wurden traurig. Darum sagte ich schnell: »Ich komme ja schon mit, Kleines! Lass uns gehen!«

Das Lächeln war so schnell wieder auf ihrem Gesicht, wie es vorher verschwunden war. Sie redete sofort wieder aufgeregt drauflos.

»Ich bin bis eben geschwommen, und der Mann, der den Bierwagen fährt, hat mich mitgenommen. Seine Katze hat schon wieder Junge. Eins hat einen schwarzen Fleck vorn auf der Stirn, sonst ist es ganz schwarz. Einen Fleck wie ein Kleeblatt. Er will es mir schenken. Ich werde es Lucky nennen.«

Während ich duschte und mich umzog, konnte ich hören, wie sie mit Dom plauderte. Ihre Stimme war klar. Die Stimme eines Kindes.

Als sie in meinen Wagen stieg, sagte sie: »So ein schönes Auto, wirklich!«

Jedesmal, wenn sie in ihm fährt, sagt sie das. Und dann streckt sie die Beine aus.

»Nun gut. Jetzt, wo du deinen Tribut gezollt hast, können wir ja losfahren.«

Sie setzte sich bequem hin. Ihre Shorts glitten zurück. Ihre Oberschenkel waren schlank und sonnenverbrannt bis dahin, wo die Bräune plötzlich aufhörte und die Haut weiß wurde. Sie hat eine makellose Figur. Aber sie ist keins von den Mädchen, mit denen man sich amüsieren könnte. Sie hat noch keinen Freund gehabt. Sie ist noch ein Kind. Ich habe immer Rücksicht darauf genommen.

Joyce machte den Handschuhkasten auf. Das tut sie immer. Ich weiß nicht, warum eigentlich.

»Ich verwahre meine Liebesbriefe woanders.«

»Ich wünschte, du tätest sie hier hinein. Dann könnte ich wenigstens wegen irgendetwas mit dir zanken.«

An einer Stelle, wo die Straße ganz nahe am Ufer entlangführt, zeigte sie auf einen Fischkutter, der längs der Küste nach Süden zog. Wir hielten und sahen eine Weile zu. Es musste ein guter Tag für die Fischer gewesen sein, denn das Boot lag tief im Wasser.

Der Abend brach herein. Und es standen schon einige vereinzelte Sterne am Himmel.

Wir saßen im Wagen und zählten diese Sterne. Die obersten Knöpfe ihrer Bluse standen offen, und wenn sie sich bewegte, konnte ich den Ansatz ihrer jungen Brüste sehen. Sie hielt meine Hand.

»Ich bin so glücklich heute.« Sie sah lächelnd in den Himmel, lehnte sich an mich und wartete darauf, dass ich sie küsste. Ich wollte es nicht. Ich startete den Wagen und fuhr weiter zu dem Restaurant ihres Vaters.

Wir riefen ihm einen guten Abend zu und gingen die Treppe hinauf in die Wohnung, die über dem Restaurant lag. Dort ging sie zuerst in ihr Zimmer, um sich ein Kleid anzuziehen. Dann zeigte sie mir eine Truhe, die sie bemalt hatte, und zwei Sofakissen, für die sie neue Überzüge genäht hatte.

»Papa hat mir gestern gesagt, er wünscht, dass ich im Herbst auf ein College gehe. Ich möchte ja auch ganz gerne. Aber ich weiß nicht recht...«

Ihre Stimme klang in einem Zögern aus, und sie sah mich an. Ich versuchte, ihr klarzumachen, wie wichtig ein Studium und eine richtige Ausbildung sei.

Sie saß mir gegenüber, und als ich mit meiner Rede zu Ende war, stand sie auf und setzte sich neben mich auf das Sofa.

»Möchtest du wirklich, dass ich von hier fortgehe? Möchtest du das?«

Ihr Gesicht kam dabei nahe an meins heran, und ihre Blicke irrten über meinen Mund.

In dem Moment rief ihr Vater von unten: »Kinder! Das Essen ist fertig!«

Wir gingen hinunter, und auf der Treppe sagte ich':

»Du wirst mir sehr fehlen, Joyce.« Es klang nicht gerade überzeugend.

Es gab ein gutes Steak mit Pommes frites und Salat. Wir unterhielten uns über den Zaun, den ich errichten wollte, und ihr Vater stellte mir seine Werkzeuge zur Verfügung. Er fragte mich, ob ich Geld brauchte, um das Material zu kaufen. Ich brauchte kein Geld.

Er sprach wie ein Vater mit mir.

Sie behandelten mich schon lange, als ob ich zu ihrer Familie gehörte. Aber meine Gedanken waren voll von einem anderen Mädchen. Einem Mädchen mit grünschillernden Augen.

Nach dem Essen spielten wir Karten. Die ganze Zeit über versuchte ich, ihnen zu verheimlichen, wie ruhelos ich war und wie es mich drängte, fortzukommen.

Als ich ging, sagte der alte Mann: »Kommen Sie doch ein wenig öfter zu uns herüber.«

Joyce begleitete mich zum Wagen. Eine ganze Weile lehnte sie an der Wagentür und erzählte mir von einem Film, den ich unbedingt mit ihr zusammen ansehen müsse, und von einer Hundeausstellung in San Diego. Ich unterbrach sie nicht.

»Schönen Dank für alles, Kleines, und gute Nacht.«

»Gute Nacht, Buck.«

Es klang verletzt. Sie drehte sich um und lief zurück. Das Klappern ihrer Sandalen wurde von den Wänden des Ganges, den sie entlanglief, zurückgeworfen. Eine Tür fiel heftig ins Schloss.

Ich fuhr schnell ab.

Den ganzen Weg nach Hause dachte ich an das.

Mädchen, dessen Namen ich noch nicht einmal kannte. Ich wünschte, dass einer meiner alten Kriegskameraden in der Nähe wäre. Wir könnten in die Stadt fahren und uns einen antrinken und uns amüsieren. Wenn ich sie bloß aus meinen Gedanken verdrängen könnte!

Ich bog vom Highway ab und parkte vor meiner Bar.

Riley hatte die richtige Einstellung gehabt. Er war mein Sergeant gewesen, als wir am Guadalquivir lagen. Die Mädchen waren verrückt nach ihm gewesen. Aber er hatte sich nie Gedanken über sie gemacht. Das einzige, was seine Gedanken beschäftigt hatte, war das Land, das er kaufen wollte, wenn der Krieg endlich aus war. Ein kleines Stück Land, schön gelegen und ruhig, nahe am Meer.

Ich hatte das Stück Land, von dem Riley geträumt hatte. Und Riley hatte auch ein Stück Land. Unter einer Palme, im sumpfigen Boden des Dschungels. Er hatte kein Gesicht mehr, als wir ihn behutsam in die Erde legten.

Es war schon spät. Der Himmel war sternklar. Keine Andeutung von Nebel. Der Mond schien hell und ließ den Umriss jedes Baumes, jedes Hauses klar hervortreten. Die schwarzen Schatten der Felsen bei der kleinen Bucht zeichneten sich scharf über dem Wasser ab, und die Brandung rollte mit leisem Klatschen ans Ufer.

Ich hörte den Streifenwagen der Polizei erst, als ich den Motor abstellte und ihr Scheinwerfer mich anstrahlte.

»Oh, Sie sind's, Buck?«, sagte Sergeant Marty.

»Was machen Sie denn noch so spät?«, sagte der andere. »Sind Sie mondsüchtig?«

Ich war nicht in der Laune, auf ihre Scherze einzugehen.

Sie fuhren ab. Ich sah den Rücklichtern nach, bis sie um die Kurve bogen und verschwanden.

Ich schloss den Wagen ab und ging in meine Kabine. Einen Moment dachte ich, einen Hauch von ihrem Parfüm eingeatmet zu haben. Dann war es vorbei. Und sie würde auch nicht zurückkommen.

Ich stellte den Wecker und ging zu Bett.

Sie hatte nichts dazu getan, dass ich so in Unordnung geriet. Sie hatte mich noch nicht einmal bemerkt. Für was machte ich sie verantwortlich? Für ihr Gesicht, ihre Brüste, ihre Hüften, oder für ihre Familie? Mädchen wie sie nahmen noch nicht einmal einen Mann wahr, dem es scheint, dass er sein ganzes Leben auf sie gewartet hat.

Ich knipste das Licht aus.

Sie war keine Nutte.

 

 

 

 

 

 

  3.

 

 

 

Ich war schon auf, als Dom kam, um mit mir zu frühstücken.

Wir sprachen nicht viel miteinander. Gerade so viel, wie man am Tisch sagt. »Gib mir mal das Brot.« »Reich mir doch mal die Butter herüber.«

Als wir fertig waren, gingen wir nach draußen.

Wir hielten uns nicht damit auf, die Kabinen, die gestern nicht benutzt worden waren, sauberzumachen. Wir stellten die Glocke von der Bar um, so dass wir hören konnten, wenn Gäste kamen. Dann fingen wir an.

Während ich die Löcher auswarf, tauchte Dom die Pfosten in Kreosot. Als zwei Löcher tief genug waren, mischte er eine Karre Zement, und wir setzten die Pfosten in den Boden.

Während ich arbeitete, konnte ich das Meer hören. Es ist nie ganz still. Die Sonne wurde warm, und mein Hemd war bald nass vor Schweiß. Ich zog es aus.

Von Zeit zu Zeit läutete die Türglocke, und Dom ging hinein. Es war nicht viel Betrieb an diesem Morgen.

Nach einer Weile stieß ich auf felsigen Untergrund, und das Graben wurde ziemlich mühsam. Die Sonne glühte. Ich grub und bohrte mit einem Meißel. Dann schlug ich den Felsen mit einem Hammer auseinander und holte die Brocken einzeln heraus.

Doch nicht einmal diese anstrengende Arbeit konnte mich ablenken. Ich dachte immer nur an sie. Nichts konnte sie vertreiben. Sie war da. Und ich würde sie nie mehr vergessen.

Als Dom kam, um Bier zu bringen, hörte ich ihn kaum. Während wir tranken, bemerkte er, dass ich einen Pfosten falsch eingesetzt hatte. Er setzte ihn gerade. Wir arbeiteten weiter, und ich versuchte nicht mehr, sie zu vergessen. Ich hatte aufgegeben, dagegen anzukämpfen. Ich dachte daran, wie ihr Haar glänzte, wie ihre Augen schillerten.

Als Dom eine neue Karre Zement heranschob, atmete er schwer.

Er wird alt. Man sieht es an vielen kleinen Merkmalen.

»Geh du schon hinein und iss zu Mittag, Dom. Ich mache dies hier allein fertig.«

Ich musste ihm zureden, bis er einwilligte.

»Wenn Gäste kommen, ist es nötig, dass auch drinnen alles in Ordnung ist. Und dass du nicht so abgekämpft bist.«

Ich wollte allein arbeiten. Allein konnte ich ungestört ihre Gegenwart spüren.

Als die Arbeit getan war, suchte ich die Werkzeuge zusammen, machte die Schubkarre sauber und ging hinein, um zu duschen. Dann zog ich mich an und besichtigte den Zaun noch einmal. Wir hatten gute Arbeit geleistet. Jetzt war es kurz nach drei, und wir hatten um sechs Uhr angefangen. Ich war müde.

Ich setzte mich auf eine Bank und streckte die Beine aus. Ich konnte mir ihr Gesicht nicht mehr vorstellen. Meine Augen erfassten den Zaun, ein paar Bäume, die Kabinen. Ich war sehr stolz auf mein kleines Besitztum. Es konnte noch verbessert werden. Wenn man mehr Geld und Arbeit investierte, konnte man es zu einem Ferienhotel machen. Ich konnte versuchen, etwas mehr über mein Geschäft zu lernen.

Und ich würde auch bald heiraten, vielleicht Joyce. Ich war so müde, dass ich fast daran glaubte.

Die Tür zur Bar quietschte.

Dom kam zu mir in den Garten und wies mit dem Zeigefinger in Richtung Bar. Er ging zurück, ohne weitere Worte zu verlieren. Doch ich wusste sofort, was los war.

Plötzlich... fiel jegliche Müdigkeit ab von mir.

Ich folgte ihm.

Sie war da. Das Mädchen mit dem großen offenen Wagen und den grünschillernden Augen. Sie saß auf demselben Barstuhl, den sie das letzte Mal benutzt hatte. Vor ihr stand ein Coca Cola.

Heute hatte sie kein Kopftuch über den Haaren, und in dem Lufthauch des Ventilators an der Decke stellten sie sich ein wenig auf.

Ich ging hinter die Bar und nahm eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank. Während ich mir eingoss, beobachtete ich sie. Dom verließ die Bar und ging in die Kabine.

Sie war mit ihrem goldenen Feuerzeug beschäftigt und ließ es auf- und zuschnappen. Auf und zu. Ich ging zu ihr hinüber.

»Wie geht's Ihnen heute?«

»Danke, bestens.«