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SUPERSBERGER . WAHRNEHMUNGEN

Franz Supersberger ist ein Beobachter mit scharfem Blick und der Fähigkeit, das Wesentliche zu kurzen Texten zu verdichten. Seine Studien stehen für einen größeren, jeden Einzelnen betreffenden Umbruch. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, mehrmals die Woche eine kleine Studie zu verfassen, und teilt dies per Weblog „schlagloch“ einer stetig wachsenden Internetgemeinde mit. Einige „Schlaglöcher“ hat er materialisiert und zu Büchern gemacht. Die Beobachtungen (2011), Bruchstellen (2015).

Die Texte in diesem Buch, erweitert und überarbeitet, stammen aus dem Weblog www.schlagloch.at. Der Blog ist seit dem Jahre 2003 im Netz und wird vom Autor laufend aktualisiert.

Franz Supersberger wurde in Ferndorf geboren und hat als Jugendlicher mit dem Schreiben begonnen. Nach der Ausbildung zum Buchhändler war er selbstständiger Kaufmann in Arnoldstein. Heute lebt er als Buchhändler in Muse in Villach. Sein literarisches Schaffen wurde im Hörfunk und in Literaturzeitschriften sowie in mehreren Büchern veröffentlicht. Er ist Autor des Blogs www.schlagloch.at. Der Blog wird vom Deutschen Literaturarchiv Marbach langzeitarchiviert.

Franz Supersberger

Wahrnehmungen beim Überqueren der Straße

Aufzeichnungen

© 2018 Franz Supersberger

Lektorat: Mag. Barbara Raunig

Verlag und Druck: tredition GmbH, Hamburg

ISBN Taschenbuch: 978-3-7469-2374-1

ISBN Hardcover: 978-3-7469-2375-8

ISBN e-Book: 978-3-7469-2376-5

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Jänner

Ich stelle eine Hypothese auf: Eine größere Gruppe von Menschen wäre auf einem Eiland vom Rest der Zivilisation isoliert. Sie bekommen ein Angebot von außen und können die Art der Unterstützung, welche sie zuerst in Anspruch nehmen wollen, wählen: Lebensmittel, Bekleidung oder Waffen. Ich vermute, der Großteil würde Waffen verlangen, mit dem Hintergedanken, damit die anderen zu beherrschen. Solche Entscheidungen gegen das Menschliche haben wir in den unabhängigen Staaten in Afrika und in Osteuropa erlebt. Die Bevölkerung lebt teilweise unter erbärmlichen Zuständen, kaum ausreichend zu essen, große Mängel bei der Gesundheitsversorgung, aber für Waffenkäufe und das Militär ist genug Geld vorhanden. Der stärkste menschliche Trieb ist nicht die Suche nach Nahrung, sondern die Aussicht, andere zu beherrschen. Es wäre sinnvoll, in kleinen Schritten die Bevölkerung eines Kontinents zusammenzuführen, und dann in größeren Einheiten von Kontinent zu Kontinent. Von Osten nach Westen, von Süden nach Norden. Die globale Krisenstrategie der Diplomaten verläuft meistens im Sand. Bei der Möglichkeit, mit dem Flugzeug innerhalb von vierundzwanzig Stunden jeden Punkt der Erde zu erreichen, ist den Außenministern wahrscheinlich nicht bewusst, dass sie zehnttausende Kilometer von ihrem Heimatstaat entfernt sind. Sie erleben ihre Reisen wahrscheinlich so, als sind sie zu Besuch bei einem Freund, der fünf Straßen weiter wohnt. So wird man heute durch die Unterstützung der Technik irregeleitet. Die Spannungen zwischen den Staaten auf den fünf Kontinenten sind zu vielfältig, als dass man sie ad hoc durch eine Kurzvisite lösen kann. Aus meiner Sicht bin ich dankbar, hier im Westen leben zu können, ein abgesichertes Leben zu führen, von Krieg und größeren Schicksalsschlägen verschont zu sein. Dazu tut sich bei mir die Frage auf, nicht biologisch gemeint, wem ich es zu verdanken habe, dass ich hier in den Wohlstand hineingeboren wurde? Warum wird jemand anderer in einer Dürreregion, in einem Slum geboren und Unschuldige in Kriegswirren hineingezogen? Wer trägt dafür die Verantwortung? Mit diesen Gedanken stelle ich dem neuen Jahr eine Frage.

Produkte in einwandfreier Qualität bezeichnet man zumeist als erste Wahl. Gibt es kleine Mängel, welche zumeist nur für den Fachmann erkenntlich sind, dann bezeichnet man diese Produkte als zweite Wahl. Diese Waren findet man heute in den Outlet-Shops, welche gerne in der Nähe von Grenzübergängen errichtet werden. In den siebziger Jahren, als es in Europa noch eine florierende Textil- und Schuhindustrie gab, befand sich fast auf jedem Fabrikgelände ein Verkaufsstore. Dort wurden Artikel zweiter Wahl verkauft, der Fabrikverkauf. In einer Schuhfabrik arbeitete ich als Absatzschrauber am Montageband. Am Ende des Fertigungsprozesses wurden die Schuhe poliert und auf eventuelle Mängel kontrolliert. Gab es einen Fehler auf der Lederoberfläche, war die Sohle etwas verrutscht oder konnte man eine aufgeraute Stelle beim Leisten erkennen, dann wurden diese Schuhe aussortiert. Die hochwertigen Gabor-Damenschuhe wurden im Fabrikshop zum halben Preis verkauft. Dort deckten sich vor allem die Mitarbeiterinnen, für sich und ihre Familienangehörigen, mit modischen Schuhen ein. Auf den Tragekomfort und die Haltbarkeit der Schuhe hatten die kleinen Mängel keinerlei Einfluss. Für einen Laien waren die Fehler selbst bei genauem Hinschauen nicht erkennbar. Anders für den Betriebsleiter der Damenschuhfabrik. Er hatte den sprichwörtlichen Adlerblick. Bei seinem Erscheinen in der Fertigungshalle richteten alle Beschäftigten den Blick krampfhaft auf die Schuhe am Fließband. Wie ein Adler stürzte er sich aus großer Entfernung auf die Schuhe am Montageband, hob einen empor und reklamierte beim Bodenmeister. Dieser deutete dem Bandmeister, dass er zu ihm kommen soll. War der Bodenmeister über den Fehler außer sich, warf er den Schuh dem Bandmeister auch schon einmal über die Köpfe hinweg zu. Der Bandmeister baute sich vor dem Damenschuhfacharbeiter auf und stellte diesen zur Rede. Die erste Reaktion war, dass dieser den Makel auf einen Fehler in der Stanzerei oder Näherei zurückführte. Da die Schuhe noch in der Fertigungsphase waren, konnten die Fehler zumeist behoben werden. Hatte der Adler die Fertigungshalle verlassen, entspannten sich die Schultern der Beschäftigten. Zeit für die Milchpause.

Derzeit werden wir überschwemmt mit Berichten von den Gräueltaten aus der Ukraine, dem Irak und Syrien. Es gibt schockierende Bilder von dem brutalen Vorgehen der IS-Kämpfer, die sich rühmen, alle, die sich ihrem Traum von einem islamischen Staat in den Weg stellen, zu vernichten. Zur Abschreckung werden demonstrativ Ausländer und Journalisten enthauptet und davon wird ein Video im Web gezeigt. In uns Mitteleuropäern rumort es, wir können nicht nachvollziehen, wie man gegenüber den Mitmenschen so brutal sein kann. Bei vielen verursacht es Kopfschütteln, dass sich diesen Kampfbrigaden junge Leute aus dem Westen freiwillig zuwenden. Bei uns versprechen die Politiker, dass die Jugend eine gute Ausbildung bekommt. Ein vorrangiges Ziel für das neue Jahr in den EU-Staaten ist, die Jugendarbeitslosigkeit zu senken. Faktum, auch gut ausgebildete Jugendliche finden keine Arbeit. Uniabsolventen bekommen nur Zeit-und Projektverträge. Wie soll es möglich sein, dass die Menschen länger im Arbeitsleben bleiben und gleichzeitig die nachrückenden Generationen eine Arbeitsstelle bekommen? In Mitteleuropa haben wir es mit einer schleichenden Arbeitsplatzinflation zu tun. Die arbeitsintensiven Produkte wurden schon vor Jahrzehnten nach Südostasien ausgelagert. Auch im Pflegedienst werden verstärkt ausländische Pflegerinnen eingesetzt. Die Autorin Agota Kristof beschreibt in Das große Heft, wie Zwillinge, die bei ihrer Großmutter in Pflege sind, sich abhärten, damit sie niemand demütigen kann. Zudem erschaffen sie ihre eigene Gerichtsbarkeit. Sie entscheiden, wer und was in ihrer Umgebung gut oder böse ist. Dabei zeigen die Zwillinge ein Herz für Benachteiligte, welche von den Dorfbewohnern gemieden werden. Durch ihre Selbstkasteiung haben sie vor niemandem und nichts Angst. Zu ihrer Weiterbildung lesen sie zwei Bücher, die Bibel und das Wörterbuch der Besatzer. Sie führen in dieser Krisenzeit einen Überlebenskampf, ob es um die Besorgung von Schreibzeug oder um ihr Essen geht. Sie werden gleichgültig gegenüber dem Tod. Den einen schicken sie in den Tod, dem anderen helfen sie beim Überleben. Die Zwillinge erzählen anderen nichts, sie behalten alles für sich und schreiben es in Das große Heft.

II

Im Seminar war bei der Buchbesprechung von Das große Heft die erste Frage der Teilnehmer: Können Kinder so grausam sein? Ist im Krieg – erleben Kinder nur Gewalt und Zerstörung – alles möglich? Für uns – Sozialisierte – war es ein Zuviel an Brutalität. Dabei verfügen wir gerade einmal über eine dünne Schicht von Humanität, wie sonst wären die Gräueltaten im ersten und zweiten Weltkrieg möglich gewesen? In Gruppen hatten die Seminarteilnehmer die Möglichkeit, ein Kapitel des Buches, nach freier Wahl, umzuschreiben. Eine Gruppe hat sich für das letzte Buchkapitel entschieden, wo der Vater nach vielen Jahren sich bei der Großmutter meldet, um die Zwillinge abzuholen. Die Kinder möchten lieber bei der Großmutter bleiben. Sie versichern dem Vater, dass sie genau wüssten, wo die Minen liegen, er braucht sich wegen der Flucht keine Sorgen zu machen. Sie wollen ihm bei der Flucht über die feindlichen Linien behilflich sein. Zu dritt brechen sie zur Grenze auf, der Vater läuft los und die Kinder warten im sicheren Terrain. Der Vater wird von ihnen als lebender Minenräumer in die Grenzzone geschickt und alsdann von einer Mine in der Luft zerrissen. Erst dann flüchtet einer der Zwillinge über die Grenze, der andere kehrt zur Großmutter zurück. Die Kaltblütigkeit, wie die Zwillinge ihren Vater in den Tod schicken, war für viele unerträglich. Der Umschreibung fiel zuallererst die Version, dass der Vater von ihnen als lebender Minenräumer missbraucht wird und von einer Mine zerrissen wird, zum Opfer. Mehrere haben es so gesehen, dass sie zu dritt die Grenzwache überlisten und die andere Seite erreichen konnten. Man hat ausgeschlossen, dass selbst verrohte Kinder den eigenen Vater bewusst in den Tod schicken. Meine Gruppe hat jenes Kapitel umgeschrieben, wo eine verarmte Mutter mit einer behinderten Tochter, nach der Vergewaltigung durch die Eroberer, die Zwillinge auffordert, das Haus anzuzünden. Sie und ihre Tochter sollen darin verbrennen. Die Tochter ist bereits tot. Die Zwillinge machen die Frau darauf aufmerksam, dass Verbrennen ein schmerzhafter Tod ist. Sie wollen der Frau die Schmerzen ersparen und schneiden ihr hinterrücks die Kehle durch. Danach zünden sie das Haus an. Unsere Version war: Die behinderte Tochter wird von den Soldaten auf einem Lkw mitgenommen. Als die Zwillinge im Haus nachschauen, liegt die Mutter bereits tot in einer Ecke. Sie gehen raus und zünden das Haus aus. Die Zwillinge beteuern in ihrem Tagebuch, Das große Heft, nur die Wahrheit zu schreiben, die reine Wahrheit. Wir haben als Leser die Wahrheit nicht vertragen. Um im Alltag die unfassbaren Dinge auf den Kriegsschauplätzen zu ertragen, brauchen wir eine Beschönigung der Wahrheit. Wer behauptet von sich: Ich bin die Wahrheit und das Leben?

Eine besondere Zufälligkeit gab es vor einem Jahr am 14. Februar: Der Samstag war zugleich der Valentinstag und der Faschingssamstag. Der große Narrenumzug am Faschingssamstag in Villach ist der Höhepunkt der närrischen Zeit in Kärnten. Somit trafen sich die Nächstenliebe und die Fröhlichkeit zu einem Tänzchen. Dieser Zufall hat viele entzückt. Der Valentinstag ist ein Schmeicheltag für die Politiker. Sie verteilen vor den Supermärkten und am Hauptplatz Blumen. Diesmal besonders großzügig, weil in Kärnten die Gemeinderatswahlen am 1. März vor der Tür standen. Stellte sich die Frau geschickt an, kam sie mit einem kleinen Blumenstrauß vom Einkaufen zurück. Am Wochenmarkt, am Hauptplatz und vor dem Rathaus wurden ihr Blumen geschenkt, je nach politischer Partei in einer anderen Farbe. In den Wochen davor gab es in Österreich eine Diskussion über den selbstbestimmten Todeszeitpunkt. In der Wiener Heurigenseligkeit ist der Gevatter Tod zugleich der liebe Augustin. Niemand kann es sich vorher aussuchen, dass er am Tag der Liebe und der Fröhlichkeit zu einer Beerdigung geht: Zum Begräbnis einer Mutter und, wie man heute meint, so jung verstorben, vor dem fünfzigsten Geburtstag. Sie war Anfang Februar vor der Kirche zusammengebrochen und trotz sofortiger Rettungskette, Operation und künstlichem Tiefschlaf, verstorben. „Mitten aus dem Leben gerissen“, wie es der Pfarrer in seiner Abschiedspredigt formulierte. Wann sind wir mitten im Leben, mit Dreißig, mit Fünfzig oder mit Siebzig? Jeder fühlt sich in seiner Zeit mitten im Leben. In einem Filmbericht über den Sozialwohnbau der Fugger, in der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts, war auf einem Wohngebäude zu lesen: Nütze die Zeit.

Im österreichischen Gesundheitssystem gibt es eine spezielle Begünstigung: die Zuerkennung eines Kuraufenthaltes. Die Voraussetzung dafür ist, dass man über einen längeren Zeitraum körperliche Schmerzen oder Beschwerden hat. Die Beschwerden müssen kein ernstes gesundheitliches Problem darstellen. Sie könnten für die Betroffenen zu einem gesundheitlichen Risiko werden. Dazu zählen Verdauungs- und Atembeschwerden, Probleme mit dem Blutdruck oder den Venen, Schäden des Herzmuskels, neuerdings die Vermeidung und die Behandlung von Stresssituationen, Burnout. Ein großer Teil der Kuranträge wird wegen Beschwerden am Bewegungsapparat gestellt. Im fortgeschrittenen Alter leiden viele unter Augenbeschwerden und Spannungskopfschmerz. Die Ursache dafür könnte eine verspannte Nackenmuskulatur sein. Der Volksmund sagt es treffend: „Es ist ein Kreuz mit dem Kreuz, jeder hat sein Kreuz zu tragen.“ Dies weist daraufhin, dass wir viele Sorgen und Nöte im Rückenbereich abladen. Es gibt keinen Beruf, egal ob er stehend oder sitzend ausgeführt wird, der nicht Spuren im Rücken hinterlässt. In den Kurhäusern wird versucht, mit Unterwasser- und Trockengymnastik, Moorpackungen, Physiotherapie, Massagen und Elektrotherapien den Beschwerden zu Leibe zu rücken. Auf den Einsatz von aggressiven Medikamenten wird verzichtet. Mit Unterstützung von Homöopathie, Hypnose und Bachblütentherapie behandelt man den ganzen Menschen. Bei der Kneipptherapie setzt man auf die heilende Wirkung von Wasser, auf das ganz gewöhnliche Quellwasser. In Österreich gibt es zudem viele Heilbäder, mit Radon-, Schwefel- und Thermalquellen. Unbekannt war mir eine Therapie mit dem Namen Oberwassermassage. Die manuelle Rückenmassage und die Unterwassermassage waren mir bekannt. Bei der Unterwassermassage werden von einem Therapeuten mit einem Wasserschlauch verschiedene Körperstellen, ähnlich den Massagedüsen in den Hallenbädern, massiert. Bei der Oberwassermassage liegt man auf der Gummiauflage von einem Wasserbett und wird von einem Wasserstrahl massiert. Der Körper bleibt trocken.

II

Einen anderen Schwerpunkt hat der Reha-Aufenthalt. Dabei versucht man, bei den Patienten nach einem Schlaganfall, einer Herzoperation, einer Hüfte- oder Knieoperation die körperliche Mobilität wiederherzustellen. Im besten Fall gelingt es, dass der Patient wieder voll arbeitsfähig wird. Bei diesen intensiveren Behandlungen verwendet man gerne die Einzeltherapie. Diese ist etwas kostenintensiver, erzielt aber auch bessere Erfolge. Den Erfolg eines Kuraufenthaltes in Worte zu kleiden, ist nicht einfach. Nicht für den Kurgast, aber auch nicht für die Kurärztin. Gerne bedient man sich dafür der Befindlichkeitsskala von null bis zehn. Zehn bedeutet weiterhin einen schmerzhaften Zustand. Die Kurärzte begnügen sich vielfach damit, dass sie bei der Abschlussuntersuchung nach dem Befindlichkeitsstatus fragen und ihn mit der Eingangsuntersuchung vergleichen. Wurde ich zu Hause nach meinem Kurerfolg gefragt, dann konnte ich mit einem Vergleich aufwarten. Mein persönlicher Kurerfolg zeigte sich darin, dass ich mich beim wöchentlichen Wohnungsputz – beim Staubsaugen und beim Bodenaufwischen – um vieles lockerer bewegte. Die Lebenspartnerin hat signalisiert, will ich in einigen Jahren meinen Kuraufenthalt wiederholen, dann bekomme ich von ihr den Segen dazu.

Jetzt, wo die Feiertage vorbei sind, wie man in der Umgangssprache Weihnachten und Silvester nennt, atmen viele alleinstehende Menschen auf. In weiten Kreisen der Bevölkerung haben diese Feiertage einen großen Symbolwert und werden im Familienkreis gefeiert. Dadurch wird den Alleinstehenden ihre Lage schmerzlich bewusst. Die Ursachen für das Alleinsein sind vielfältig. Die einen genügen sich selbst, kommen ohne Kontakte zu anderen Menschen aus. Sie sehen im Mitmenschen ein Ärgernis, für sie bedeuten soziale Kontakte einen unnötigen Arbeitsaufwand. Sie merken nicht, wie sie menschlich verarmen. Andere schaffen es trotz verschiedener Versuche nicht, Beziehungen zu anderen Menschen herzustellen, einen Freundeskreis aufzubauen. Sie verstecken sich hinter verschiedenen Aktivitäten, oft ist es der Beruf. Sie haben nicht den Mut, ihre Einsamkeit einzugestehen, würden aber dadurch ehrliche Zuwendung erfahren. Anderen ist ihre Einsamkeit peinlich, man will niemandem zur Last fallen. So zieht man sich an den Festtagen in seine Wohnung oder sein Haus zurück und ist froh, wenn die Feiertage vorbei sind. Man weicht der Frage, wie man Weihnachten oder Silvester feiern wird, aus. Man hat kein strahlendes Gesicht, wenn man an Weihnachten und Silvester denkt. Im Alter besteht die Gefahr, stirbt ein Partner und die Verwandtschaft ist weit verstreut, zu vereinsamen. Man war ganz dem Partner zugewandt, plötzlich steht man vor dem Nichts, dem großen Loch im Leben. Die Kinder sind nicht erreichbar, sie haben woanders ihr Leben aufgebaut. Mit dem Alter wird es schwieriger, neue Kontakte zu knüpfen, und es gibt Rückschläge. Jetzt, nach den Feiertagen, kann man mit Nachbarn und Verkäuferinnen wieder über Belangloses reden: über das Wetter, die Autofahrer und die neuen Minister, ohne dabei auf seine persönliche Lebenssituation angesprochen zu werden.

Die Wartezimmer der Ärzte strahlten nicht immer eine Atmosphäre aus, in der man sich wohl fühlte. Es machte keinen Unterschied, ob es sich um eine Landarztpraxis oder eine Facharztpraxis in der Stadt handelte. Einstmals legte man auf die Ausgestaltung der Wartezimmer keinen besonderen Wert. An den Wänden klebten verschiedene Informationen zu Krankheiten und die Aufforderung zu einer Vorsorge-Impfung. Zumeist sah man den ausgehängten Plakaten ihr langes Dasein an. Die Sessel zeigten deutliche Spuren, welche die Patienten hinterlassen hatten. In der Innenstadt handelte es sich oft um Räume mit einem Fenster in den verwahrlosten Innenhof und die Stühle standen am Gang. Dazumal waren bei den Fachärzten die Wartenummern die Regel. Früh am Morgen, um sechs Uhr, suchte man das Wartezimmer des Facharztes auf und zog eine Wartenummer. Irgendwo war ein Hinweis, bei welcher Nummer der Arzt am vorherigen Tag zum Ordinieren aufgehört hatte. So konnte man sich ein Bild verschaffen, wie lang die Warteschlange vor einem war. Mit dem Frühzug fuhr ich mit der Mutter von Ferndorf nach Villach, um schnurstracks beim Augenarzt auf den Hauptplatz eine Nummer zu ziehen. Danach erledigte die Mutter verschiedene Einkäufe. Gegenüber gab es das Kaufhaus Warmuth mit seinem breitgefächerten Sortiment, von der Bekleidung bis zu den Haushaltsgeräten. In der Nähe befanden sich auch der Eisenhof und die Samenhandlung Streit. Im Schaufenster der Buchhandlung Pfanzelt, am Unteren Kirchenplatz, sah ich Bücher, welche ich mir wünschte. Die Schulärztin hatte mir vom allzu vielen Lesen abgeraten, da ich schon als Kind eine Brille brauchte. Die Ursache dafür sah sie im Lesen. Am späten Vormittag eilten wir wieder in die Augenarztpraxis, um auf den Aufruf unserer Nummer zu warten.

II

Großteils sind die Wartezimmer der Ärzte heute weitläufiger und einladender geworden. Man kann sich darin wohlfühlen und muss nicht mit dem nächsten Patienten auf Tuchfühlung gehen, Körperkontakt zu haben. In manchen städtischen Gemeinschaftspraxen habe ich den Eindruck, ich befinde mich in der Rezeption eines Innenstadthotels. Das verhaltene Benehmen der anwesenden Personen widerlegt diesen Gedanken sofort. Dazu gesellt sich der Geruch von Ungewissheit und Angst statt frischer Raumluft. Um dem gegenzusteuern, stehen in vielen Arztpraxen Blumen und Palmen. Auf dem Couchtisch liegen aktuelle Zeitungen und Illustrierte. Für quirlige Kinder gibt es eine Spielecke und für die Erwachsenen bei der Anmeldung eine Schale mit Zuckerln. Diese sind für die Begleitpersonen eine willkommene Erfrischung, weil die Patienten auf ihre Beschwerden fixiert und mit ihren Gedanken beim Arzt im Sprechzimmer sind. Beim Griff nach einem Zuckerl kann man eine Frage an die Sprechstundenhilfe richten: „Muss man für den Genuss eines Hustenbonbons auch die E-Card vorweisen?“ Zählt der Genuss eines Hustenbonbons als Arztbesuch und wird diese Leistung von der Krankenkasse vergütet? Der Begriff Sprechzimmer und Sprechstunde ist immer noch gebräuchlich. Aufgrund der begrenzten Kassenvergütungen und der ungeduldig wartenden Patienten kann das Sprechzimmer nicht als solches bezeichnet werden. Der Arzt äußert ein kurzes Statement zur Diagnose oder verweist auf die Überweisung zu einer weiteren Untersuchung, zumeist technischer Art. Ähnlich verhält es sich mit der Formulierung Sprechstunde. Die Sprechstundenhilfe besteht zumeist darauf, dass der Patient ihr die Beschwerden schildert, um seinen Aufenthalt beim Arzt abzukürzen. Von den Begriffen Sprechzimmer, Sprechstunde und Sprechstundenhilfe kommt der Begriff Sprechstundenhilfe der Alltagspraxis am nächsten.

Neben der Diskussion um die neuen Steuerpläne der Regierung ist die Quotenregelung bei den Flüchtlingen eine unerschöpfliche Thematik. Wie viele Flüchtlinge sollen in Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg in Syrien die einzelnen Staaten in Europa aufnehmen? Dort sind Millionen Menschen auf der Flucht vor den IS-Kriegern. Sie flüchten zuerst in die von unserer Sicht aus armen Nachbarstaaten. So groß die Spannungen zwischen der EU und der Türkei sind, muss man der Türkei zugutehalten, dass sie eine enorme Zahl von Flüchtlingen aufnehmen. Die Flüchtlinge aus Nordafrika, die über das Mittelmeer nach Süditalien und Südspanien kommen, wären eigentlich unser Bier. Auch in diesem Bereich gibt es nur Absichtserklärungen von denen, die etwas weiter vom Schuss weg sind. Aus den Augen, aus dem Sinn. In einem Kärntner Grenzort hatte ich Umgang mit Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien. Diese konnten sich zumeist auf Verwandte im Ort stützen und haben sich gut in die Dorfgemeinschaft eingelebt. Um die Kärntner Quote zu erfüllen, werden Flüchtlinge in leerstehenden Kasernen und anderen Bundesgebäuden untergebracht. Sie sind aus meinem Blickfeld verschwunden. Bin ich in der Stadt unterwegs, rücken Bettlerinnen und Bettler, darunter auch Kinder, in mein Gesichtsfeld. Wobei das Bild, welches ich aus der Jugendzeit im Kopf habe, von körperlich beeinträchtigten, verwahrlosten und schmutzigen Menschen nicht mehr stimmt. Zu den Eventzeiten wie Weihnachten, Silvester, Fasching oder der Brauchtumswoche sind rund um den Villacher Hauptplatz mindestens ein Dutzend Bettler tätig. Sie sind, für jede Witterung ausreichend bekleidet, nicht verwahrlost oder schmutzig. Zumeist gibt es keine sichtbaren körperlichen Einschränkungen. Warum sie trotzdem am Boden hocken, ist für mich nicht nachvollziehbar. Wollen sie eine gewisse Armut oder Unterwürfigkeit zur Schau stellen? Woher kommen sie? Dazu gibt es nur Gerüchte, aus Rumänien oder Bulgarien, auf jeden Fall aus dem Osten. Es wird angenommen, dass sie mit einem Kleinbus herangekarrt und abends wieder eingesammelt werden. Die Bettelei hat nichts mit persönlicher Armut zu tun. Viele kontrollieren sofort, was man in ihren Becher geworfen hat, und nicht immer schauen sie dabei zufrieden drein.

II

Es kostet mich keine Überwindung, zwei Euro zu geben. Dabei frage ich mich: Was nützt dem einen Bettler meine Gabe, auch wenn es fünf oder zehn Euro gewesen wären? Was bekommt er davon und wie hoch sind die Ausgaben für die Fahrt von Rumänien oder Bulgarien nach Villach, um bei einem Beispiel zu bleiben? Dazu kommen die Aufenthaltskosten für hier. Die Bettelei trägt bestimmt nichts dazu bei, dass sich seine Lebenssituation nachhaltig verbessert. Im negativen Fall kann sich sein Pate ein bequemes Leben gönnen. Das Bayrische Fernsehen ist in einer Dokumentation der Frage nachgegangen, ob es eine Bettlermafia gibt? Hinweise dazu hat es gegeben, nur niemand aus diesen Kreisen singt. Meine Überlegung ist, es macht Sinn, eine caritative Organisation wie Nachbar in Not oder die Caritas zu unterstützen. Diese versuchen vor Ort, in Rumänien und in Bulgarien, das Leid und den Hunger der Bevölkerung zu lindern. Dort die Eigeninitiative anzuregen. Vor kurzem habe ich die Aktion schenkenmitsinn.at unterstützt. Dabei konnte man einen Esel, eine Ziege oder Hühner spenden. Diese Spende ist jahrelang wirksam und nicht nur einen Tag. Bettler, welche sich an Sonntagen vor den Kirchen platzieren und die Gottesdienstbesucher anschnorren, sind eine eigene Spezies. Sie hoffen, dass Gläubige, ob Christen oder Moslem, besonders großzügig sind. In der Annahme, Christen sind per Dogma zur Nächstenliebe verpflichtet, ansonsten begehen sie eine Sünde. Die Aussicht auf ein Weiterleben nach dem Tode wäre gefährdet. Das Paradebeispiel für die christliche Nächstenliebe ist das Gleichnis vom Kaufmann, der unter die Räuber gefallen ist. Er wird von den Wegelagerern ausgeraubt und liegt verwundet am Straßenrand. Viele sogenannte Gutmenschen gehen an ihm achtlos vorbei. Man stellt Jesus auf die Probe und fragt ihn: Wer ist denn mein Nächster? Sind dies nur Familienangehörige, Freunde oder Menschen aus demselben Ort? Nein, sagt Jesus, jeder, der in Not geraten ist, ist dein Nächster. So betrachtet sind auch die Straßenbettler unsere Nächsten. Anderseits gibt es in der Bibel Beispiele, wo Jesus diejenigen verdammt, die ihre Talente nicht nützen oder das geborgte Geld nicht vermehren. Im Gleichnis von den Weinstöcken werden jene, die keine Früchte tragen, ausgerissen und in das Feuer geworfen. Diese Beispiele klingen für mich so, als könnte man jene, welche ihre Talente nicht nützen oder keine Früchte tragen, ihrem Schicksal überlassen. Ich denke auch in den ärmeren Ostländern gibt es Perspektiven. Es ist sinnvoll, dort mit unserer Finanzhilfe nachhaltige Arbeitsplätze zu schaffen. Der Bettler, welcher sonntags vor der Kirche zur Hl. Dreifaltigkeit kniet und um eine Spende heischt, ist ein kräftiger junger Mann. Nachdem die letzten Gläubigen die Kirche verlassen haben, steht er auf, geht die Straße entlang und steigt an der Kreuzung in ein Auto ein.

III

Jeder Bettelei auf öffentlichen Plätzen stand ich über einen größeren Zeitraum kritisch gegenüber und dies hatte seinen Grund in einem persönlichen Erlebnis. Bei der Heimfahrt nach Kärnten ist mir in Slowenien auf der Autobahn ein langsam fahrendes Auto aufgefallen. Beim Überholen winkte der Fahrer mit der Hand aus dem Fenster. War dies ein Signal für ein Problem mit ihrem Auto und ein Hilferuf? Im Rückspiegel erkannte ich einen älteren Mercedes mit einem deutschen Kennzeichen.

Wahrscheinlich handelt es sich um ein älteres Ehepaar, welches auf der Rückreise ein Motorproblem bekommen hat, dachte ich mir. Wir bleiben am Pannenstreifen stehen, der Mercedes hinter uns. Vom Beifahrersitz steigt ein Herr im mittleren Alter aus, er kommt zu uns nach vorne. Meine Frau öffnet das Autofenster und der Herr bittet in gutem Deutsch, mit ausländischem Akzent, um Hilfe. Er sei mit seiner Frau und zwei Kindern auf der Fahrt in die Türkei. Leider hat er die Kreditkarte verloren und kein Guthaben am Handy, so könnte er seine Freunde nicht verständigen. Ob wir ihnen nicht Geld leihen könnten, damit er das Handy aufladen und den Kindern etwas zum Trinken kaufen könnte. Er würde uns dafür Schmuck geben und hat dabei ein paar Perlenkettenimitate durch das Fenster gereicht. Diese Schilderung ist mir zwar fragwürdig vorgekommen, trotzdem habe ich ihm zwanzig Euro in die Hand gedrückt. Daraufhin hat er durch das Fenster in das Wageninnere geschaut und gebeten, ob wir nicht mehr geben könnten? Zudem hat er eine Visitenkarte hereingereicht, eine Auto-Import und Export-Firma mit Sitz in Berlin. Ob wir ihm nicht hundert Euro vorschießen könnten? Bei Bekanntgabe meiner Bankverbindung, würde er diesen Betrag, ist er wieder in Berlin, zurücküberweisen. Wir haben ihm hundert Euro gegeben und ihm versichert, wenn er in einer wirklichen Notlage ist, machen wir dies freiwillig. Wir brauchen keine Rückzahlung und auch keinen Schmuck. Vom Pannenstreifen sind wir schnellstmöglich weitergefahren und bei der nächsten Raststätte haben wir den Kofferraum kontrolliert ob unser Gebäck noch vollständig ist. Nach diesem Erlebnis hatte ich eine Zeitlang eine Bettlerallergie.

Vor drei Jahrzehnten hat Neil Postman seinen Bestseller Wir amüsieren uns zu Tode veröffentlicht. Er befasste sich mit den Folgen, welche der stundenlange Fernsehkonsum für die geistige Entwicklung des Menschen haben könnte. In dem Buch machte er auf die Gefahr aufmerksam, dass alles zur medialen Show wird, ohne Inhalte: „Unsere Priester und Präsidenten, unsere Chirurgen und Anwälte, unsere Pädagogen und Nachrichtensprecher brauchen sich nicht sonderlich zu mühen, um den Anforderungen ihrer Fachgebiete zu genügen, sie müssen vor allem den Anforderungen gewachsen sein, die an eine gute Show gestellt wird.“ (N. Postmann) Heute haben seine Aussagen an Gültigkeit zugelegt, da es für die Amüsierstunden durch die permanente Verfügbarkeit von Filmen und Videos im Internet keine zeitliche Beschränkung gibt. Von null bis vierundzwanzig Uhr. Zu Neils Postmann Zeiten war es üblich, dass Kinder und Jugendliche im äußersten Fall täglich ein bis zwei Stunden vor dem Fernseher saßen. Die Fernseherlaubnis für Kinder beschränkte sich in den meisten Familien auf den Samstag- und Sonntagnachmittag. In Österreich gab es in den siebziger Jahren noch viele Haushalte, welche keinen Fernseher hatten. Die Erwachsenen gönnten sich ein- bis zweimal die Woche einen Fernsehabend und dies vor allem zum Wochenende. Es dauerte nicht lange und das Fernsehkastl wurde als Familienmitglied adoptiert. Die Aufmerksamkeit liegt in der heutigen Berufswelt nicht bei der Arbeit, sondern bei den Statusmeldungen, die über das Smartphone hereinkommen. Bei einem Drittel der Verkehrsunfälle ist die Benützung des Handys oder des Navigationsgerätes während der Fahrt daran mitschuldig. So ist es nicht verwunderlich, wenn Zukunftsstrategen dafür plädieren, die Steuerung des Autos einem Computerprogramm zu überlassen. Der Mensch wäre nur mehr Beifahrer und könnte sich seiner liebsten Beschäftigung, dem Amüsement am Tablet hingeben. Im jetzigen Alltag stellt die Führerscheinprüfung eine Auslese dar, wer einen Pkw steuern darf. Damit wird auch das Verkehrsaufkommen ein wenig gedrosselt. Wie wird es auf den Straßen zugehen, wenn jeder mit einem selbstfahrenden Auto unterwegs sein kann? Ob das computergesteuerte Gefährt – oder ist es schon ein Wesen? die Bezeichnung Auto tragen wird, ist noch offen. Eventuell schreitet die Optimierung des Menschen weiter fort und er wird zu einem selbstfahrenden Gefährt. Der Ruf nach menschlicher Optimierung wird zunehmen. Bereits Leonardo da Vinci hat Fluggeräte konstruiert, um dem Menschen das Fliegen mit eigener Muskelkraft zu ermöglichen. Diese Vorstellung, mit eigener Muskelkraft zu fliegen, hat seit Leonardo da Vinci nichts an Faszination verloren. Der Schneider von Ulm versuchte Anfang des achtzehnten Jahrhunderts, den in Ulm zu Besuch weilenden Kaiser davon zu überzeugen. Seine Flugvorführung mit einem Gleitschirm ist wegen des ungünstigen Absprungortes kläglich gescheitert. Der Schneider fiel samt dem Gleitschirm in die vorbeifließende Donau.

„Im österreichischen Gesundheitssystem sind die Bürger gut aufgehoben“, so hören wir es von den öffentlichen Vertretern, auf Bundes- und Landesebene. In diesem Jahr finden in Österreich einige Landtagswahlen statt, es ist ein kleines Wahljahr. Neben dem Argument, dass die Pensionen gesichert sind, ist die Ankündigung, dass keines der bestehenden Krankenhäuser geschlossen wird, in der Wahlwerbung ein Allheilmittel. Keiner der Mandatare erlaubt sich das Gegenteil anzukündigen, weil in Österreich die über Fünfzigjährigen der größte Stammwähleranteil sind. In diesem Alter treten die meisten Krankheiten auf und man macht sich um die Höhe der Pension, welche man einmal erhalten wird, Sorgen. Die Forderung nach Einführung einer Reichen- bzw. Millionärssteuer ist ein weiterer Wahlschlager. In meinem Verwandten- und Bekanntenkreis kenne ich niemanden, der diesem Segment angehört. Mit dieser Reichensteuer soll eine Steuerreform für den kleinen Mann finanziert werden, der Eingangssteuersatz von 35 % auf 25 % reduziert werden. Zusätzlich denkt der Finanzminister darüber nach, die begünstigten Mehrwertsteuersätze anzuheben. Damit würde bei einer breiten Bevölkerungsschicht das Geld wieder abgeschöpft, welches ihr auf der anderen Seite nachgelassen wurde. Die Katze beißt sich selbst in den Schwanz.

Der Haushalt entpuppt sich als Stressfalle, vieles soll in ein paar Stunden erledigt sein. Auf keinen Fall will man wegen der Hausarbeit das Fest am Abend versäumen, vormittags war man im Teilzeitjob tätig. Wer glaubt, die Menschen werden im Urlaub die Anstrengungen des Alltags los, soll sich beim Abendessen im Hotelspeisesaal umzuschauen. Es gehört zur Ausnahme, erblickt man ein entspanntes und fröhliches Gesicht in lockerer Unterhaltung. Die heutige Überforderung eignet sich gut für verschiedene Verkaufsaktionen. In der Zeitschrift des Kneippvereins und des Ordensspitals wird neben dem Fachartikel, wie man innere Ruhe erlangt, Werbung für Schlaf- und Beruhigungsmittel geschaltet. Die räumliche Nähe zwischen der Anleitung für inneres Wohlbefinden und bezahlter Werbung ist verblüffend. Bei den medizinischen Aufsätzen wird eine Einschaltung der Pharmaindustrie mit dem passenden Produkt platziert. Dafür sind die Senioren eine beliebte Zielgruppe, mit dem Alter stellen sich Störungen bei der Nachtruhe und bei der Stimmung ein. Dazu kommen Beschwerden am Bewegungsund Verdauungsapparat. Der Seniorenalltag zeigt sich nicht immer von der sonnigen Seite, wie er von den Plakaten der Reisebüros strahlt. Die meisten Berufstätigen leiden nach dem Ausscheiden aus der Arbeitswelt fortan an einer Unterforderung. Sie können die neue Freiheit in der Pension nicht genießen. Es wird versucht, sich an möglichst vielen Projekten und Aufgaben zu beteiligen. Dadurch verspüren sie den Stress fortan auch in der Rente. Die Venen haben nicht mehr die Elastizität wie in der Lebensmitte und reagieren auf den andauernden inneren und äußeren Druck mit Ausbuchtungen. Diese bleiben lange unbemerkt, bis ein Gerinnsel im Kopf einen Schlaganfall auslöst.

Februar