Vor einer Sache fürchtete sie sich aber wahnsinnig.

Eines Nachts hatte sie einen Albtraum: Sie träumte, alt zu sein.

 

Zuerst verwelkte sie wie ein Blatt im Herbst.

Dann löste sie sich auf und zerfiel zu Staub.

Am Ende wurde sie vom Wind davongetragen.

 

Ihr graute vor dem Altwerden.

Am meisten graute ihr vor ihrem Geburtstag.

Nicht mehr lange …

und sie würde zehn Jahre alt werden.

Was für ein furchtbarer Gedanke.

Das Einzige, was sie tröstete, waren die Bücher, die sie las.

Für Anna waren die Bücher genauso wahr wie das Leben.

Wenn in einem Buch jemand starb, konnte sie mit der Geschichte einfach noch mal von vorne anfangen.

So wurden die Toten wieder lebendig.

Genauso lebendig wie sie selbst.

 

Anna liebte Bücher.

Sie las den ganzen Tag.

Sie las morgens vor dem Aufstehen.

Sie las abends vor dem Zubettgehen.

Sie las abends nach dem Zubettgehen.

Wenn ihre Mama oder ihr Papa reinkamen, tat sie so, als schliefe sie.

Doch sie schlief nicht.

Sie las unter der Decke.

In den Büchern fand sie Hunderte von neuen Freunden.

Und einige Feinde.

Aber so ist das Leben nun mal.

 

Dorthin ging Anna für gewöhnlich nach der Schule.

Frau Monsen, die in der Bibliothek arbeitete, liebte Bücher ebenfalls.

Sie war schon fast fünfzig Jahre alt.

Trotzdem waren Frau Monsen und Anna gute Freunde.

Beide waren sehr kurzsichtig.

Wenn Anna ihre Brille abnahm, um zu lesen, musste sie sich so weit nach vorne beugen, dass ihre Nase die Buchseiten berührte.

 

Wenn die Bibliothek leer war, blätterten sie die Buchseiten um die Wette um.

Die ersten Male gewann Frau Monsen.

Aber es dauerte nicht lange, bis Anna besser war.

»Das kommt daher, dass deine Nase viel spitzer ist als meine«, sagte Frau Monsen.

Sie tat so, als sei sie beleidigt, aber das war sie nicht wirklich. Sie war fast immer fröhlich.

 

Doch eines Tages kam Anna in die Bibliothek, und da war Frau Monsen traurig.

»Wieso sind Sie schlecht gelaunt?«, fragte Anna.

»Wegen all den Büchern«, antwortete Frau Monsen. »All den Büchern, die niemand ausleiht.«

»Gibt es Bücher, die niemand ausleiht?«, fragte Anna.

»Oh ja, ziemlich viele sogar.«

»Wieso leiht sie denn niemand aus?«

»Weil viele Leute nicht wissen, was ihnen entgeht«, sagte Frau Monsen leise.