Leni Behrendt – Jubiläumsbox 5 – 6er Jubiläumsbox

Leni Behrendt
– Jubiläumsbox 5–

6er Jubiläumsbox

E-Book: 23-28

Leni Behrendt

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74093-012-7

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Eine Frau nach Maß

Roman von Leni Behrendt

Es war ein hohes, weites Gemach, das Speisezimmer von Schloß Felß. Um den langen, breiten Tisch zu besetzen, der inmitten des feudalen Raumes stand, dazu gehörte schon eine Familie von mindestens zwölf Kindern samt ihren Erziehern. Und da diese Familie vorläufig nur aus Vater und Sohn nebst der Repräsentantin des Hauswesens bestand, wählte man zu den täglichen Mahlzeiten den runden Tisch, der im Erker stand.

Das Licht, das durch die Buntglasfenster fiel, war stets gedämpft. So konnte es kommen, daß an trüben Regentagen, wie zum Beispiel heute, schon während des Mittagsmahles die kunstvoll gearbeitete Lampe über der Tafel brannte. Und diese Tafel war stets sorgfältig gedeckt mit schneeigem Damast, schwerem Silber und kostbarem Porzellan. Der Seniordiener Jonas, mit dem Aussehen und der ruhigen Würde eines Diplomaten, servierte, wobei ihm ein jüngerer Diener bester Schulung zur Hand ging. Das Essen war delikat und bestand stets aus vier Gängen.

Heute hatte man nun einen Gast – und zwar einen ziemlich alltäglichen. Sie fand sich nämlich oft in Felß ein, die Nachbars­tochter Bernice von Söhrte, mit dem dunklen Madonnenscheitel und dem taubenfrommen Augenaufschlag. Sie galt überhaupt als sanft und mild, und es war gewiß nur eine böse Verleumdung von dem Oberverwalter der Herrschaft Felß, Arnulf Alwart, wenn er skeptisch meinte: »Truu de Düwel dem Ap’theker.«

Denn das, was da nun dem Schloßherrn so lieb entgegenlachte, war ein sanftes Mägdlein, das bestimmt kein Wässerchen trüben konnte. Man hatte das Gefühl, als müßte man das zarte Wesen behüten und beschirmen vor jedem rauhen Windzug des Lebens.

»Ah, da sind Sie ja, mein lieber Torsten«, sprach ein weicher rosiger Mund. »Ich glaubte Sie abwesend von Felß.«

»Nein, ich war zu Hause, gnädiges Fräulein. Allerdings war ich mit Vorbereitungen beschäftigt, weil ich heute noch verreisen will.«

Da der Mann die beiden Damen scharf beobachtete, entging ihm der fast entsetzte Blick nicht, den sie miteinander tauschten. Und dann war es Frau von Tarp, die Repräsentantin des Hauses, die vorwurfsvoll sagte:

»Davon weiß ich ja gar nichts, Torsten.«

»Wie konntest du auch, Tante Amanda«, kam es gelassen zurück. »Ich habe mich ganz spontan zu der Reise entschlossen.«

»Und wohin soll es diesmal gehen?«

»Ich bleibe in Deutschland.«

»Auf wie lange?«

»Unbestimmt.«

Alles, was er sprach, klang kurz und knapp, so daß die Damen nicht weiter zu fragen wagten. So verlief auch das Mahl ziemlich wortkarg, und die beiden Weiblichkeiten waren bitter enttäuscht, als der Hausherr den Mokka nicht mit ihnen einnahm, sondern sich höflich, aber bestimmt entschuldigte. Er wartete nur, bis die gute Deti den kleinen Knaben zum Mittagsschläfchen holte, dann ging er auch.

Und kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen, als auch schon Frau von Tarp aufgeregt sagte:

»Du darfst ihn nicht fortlassen, Bernice, hörst du. Du mußt ihn irgendwie zur Verlobung zwingen, und wenn du da gleich zu einer Intrige greifen müßtest.«

»Aber, Tantchen, so etwas liegt mir doch nicht.«

»Hör auf!« wurde sie hochfahrend unterbrochen. »Mir brauchst du keine Mätzchen vorzumachen. Tu es bei ihm, das ist wichtiger. Wenn du ihn erst fest hast, kannst du ja deine Taubenfrommheit ablegen. Ein Glück, daß dein sanftes Aussehen ihn anzieht, da er ja in seiner Herrennatur auf ein sanftes, demütiges Weib aus ist. Also nutze deine Chance.«

Jawohl, nutze sie, dachte mit sarkastischem Lächeln der Mann, der gerade an dem geöffneten Fenster vorüberging, hinter dem das Gespräch geführt wurde. Und zwar laut und ungeniert.

O nein, meine liebe Tante Amanda, dachte er weiter, während er rasch ausschritt. Einmal hast du mich einfangen können, mich jungen Fant, mit den himmelstürmenden Idealen und dem festen Glauben an die ideale Frau, den deine Nichte dann schon während der Flitterwochen so gründlich zerstörte, daß aus dem Schwärmer ein skeptischer Mann wurde, der nichts mehr von den Frauen hält. Denn es gab auch nicht eine unter den vielen Schönen, die ich während meiner vierjährigen Witwerschaft ausgiebig genoß, die diese Skepsis mildern konnte.

Während er diesen Gedanken nachhing, hatte er den riesengroßen Gutshof erreicht, wo ein wenig abseits ein nettes Haus stand, in dem der Verwalter der Felßschen Güter wohnte. Der Nachfolger seines Vaters und ein Intimus des jetzigen Schloßherrn von jeher. Schon als Kleinkinder, die fast an dem gleichen Tag das Licht der Welt erblickten, hatten sie zusammen gespielt. Hatten von einem Hauslehrer den ersten Unterricht gehabt, später das Gymnasium besucht und auch die landwirtschaftliche Hochschule absolviert. Wohl meinte Vater Alwart, daß sein Sohn das nicht unbedingt brauchte, aber da hatte Graf Felß, der Ältere, ihn eines anderen belehrt:

»Reißen Sie die Jungen nicht voneinander, Alwart. Die hängen ja zusammen wie Pech und Schwefel. Und das ist gut. So viel Geld werden Sie doch wohl zusammengescharrt haben, um Ihren Einzigen studieren lassen zu können.«

Jetzt war er tot, und auch den alten Grafen Felß deckte schon fast sechs Jahre der Rasen. Und was die Alten miteinander verbunden hatte, verband nun auch die Jungen.

»Grüß Gott, tritt ein, bring Glück herein!« schmunzelte der Hüne, als Torsten das gemütliche Wohngemach betrat, wo ersterer mit seiner Gattin bei einem vorzüglichen Kaffee geruhsam verweilte. »Wie mir scheint, hast du etwas auf dem Herzen?«

»Stimmt.« Der Angekommene ließ sich lachend in der gemütlichen Runde nieder. »Kredenze mir einen Kaffee, Ingelott, da ich heute darauf verzichten mußte.«

»Mußte?« forschte die schmucke junge Frau, welche die Freunde vom ersten Tag ihres Lebens kannte und die dann später mit den wilden Knaben durch dick und dünn ging. Denn sie war des Rentmeisters von Felß Töchterlein, der auch heute noch in ungebeugter Kraft seinen Posten ausfüllte. Und diese Ingelott war denn auch vor sechs Jahren Frau Alwart geworden.

»Wirklich – mußte?« fragte sie jetzt eindringlicher, während sie dem Jugendgespielen den braunen Trank kredenzte. »Wer hat dir wohl was zu müssen, du Herr aller Reußen?«

»Sage das nicht, du Spottdrossel«, seufzte der so Betitelte. »Auch mir sind Grenzen gesetzt. Auch mir darf man eine Schlinge legen, die mir zum Verhängnis werden kann. Das habe ich ja bereits bewiesen, der ich vor fünf Jahren so lieb und brav hineintappte. Doch der zweiten weiche ich aus wie die Pest.«

»Also jetzt ist es soweit«, pfiff Alwart durch die Zähne. »Da entfleuche nur schleunigst, mein Jungchen. Bringe meinetwegen des Teufels Großmutter nach Felß, nur nicht das sanft säuselnde Bernicechen. Oder?« schloß er mißtrauisch, doch der andere winkte gelassen ab.

»Oder – allerdings. Nur daß dieses ›Oder‹ sich darauf bezieht, daß ich anderswo auf die Freite zu gehen gedenke.«

»Ach du liebes bißchen!« Der Freund war nun ehrlich erschrocken.

»Mann, mach nur ja keine Dummheiten, mir liegt deine erste noch schwer in den Knochen. Wer ist sie denn?«

»Ein sittsam Mägdelein, von einer sittenstrengen Mutter treu behütet und bewacht. Nach der Erfahrung, die ich mit meiner ersten Frau machte, kann die zweite gar nicht haus­backen, sanftmütig und fromm genug sein. Wenn sie sich meinem Willen unterwirft, mir das Haus in Ordnung hält und sich um den Jungen mütterlich kümmert, dann soll sie es gewiß nicht schlecht bei mir haben.«

»Aber auch einen schweren Stand«, bemerkte Arnulf trocken. »Oder denkst du dir das etwa einfach, sich unter der hochfahrenden Frau von Tarp ducken zu müssen und deinen eigensinnigen Jungen zu betreuen?«

»Nein, einfach wird das bestimmt nicht sein«, war die seelenruhige Erwiderung. »Da muß sie sich eben durchsetzen. Kann sie es nicht, ist sie eben nicht das, was ich brauche.«

»Aha! Dann jagst du sie einfach davon, nicht wahr?«

»Wahrscheinlich.«

»Tja, du mußt wissen, was du tust. Warnungen sind, wenn du auf die Freite gehst, bei dir doch nur in den Wind gesprochen. Also werde durch Schaden klug, wenn du dir nach einem Kolibri ein graues Mäuschen erwählst. Wir jedenfalls halten den Mund, Ingelott.«

»Tun wir, mein lieber Mann«, bekräftigte die junge Frau, die mit ihrem brünetten Typ einen herzerfreuenden Anblick bot. Groß und vollschlank vermochte sie sich auch figürlich neben dem Hünen von Gatten zu behaupten und war durchaus geschaffen, mit ihm allen Stürmen des Lebens standzuhalten. Also alles in allem: ein prächtiger Ehekamerad durch dick und dünn.

Ganz einfach war diese Ehe zustandegekommen. So ohne jede Komplikation, ohne vorhergehende Herzensstürme und -nöte. Lieb hatte man sich von Kindheit an, also heiratete man, als Arnulf nach beendetem Studium und nach der Bummelreise in Felß wieder eintraf.

Zwei Kinder trafen auch schon ein. Gesunde, muntere Jungen, die Freude und das Glück der Eltern. Also eine glückliche kleine Familie, wie man sie leider nicht oft im Leben findet.

*

Ganz anders war es mit der Heirat des jungen Grafen gewesen. Der war vor fünf Jahren arglos in die Schlinge getappt, die seine raffinierte Verwandte ihm gelegt hatte. Sie war nach dem Tode der alten Gräfin, also vor sieben Jahren, nach Felß gekommen, um dem feudalen, sehr großzügig geführten Schloßhaushalt vorzustehen.

Eigentlich war das ein Gnadenakt des alten Grafen, dem allzeit gütigen Manne, der entfernten Verwandten ein Asyl zu bieten. Denn es ging ihr miserabel, als ihr verbummelter Ehemann starb, nachdem er auch noch den letzten Pfennig durchgebracht hatte.

Aber die intrigante, augendienerische Person verstand es meisterhaft, sich bei dem Schloßherrn unentbehrlich zu machen. Und nach seinem Tode präsentierte sie mit aller Raffinesse, die ihr eigen, ihre Nichte.

Nun, diese Nichte war reizvoll genug, um einen fünfundzwanzigjährigen jungen Heißsporn, der in jeder Frau ein Idealwesen sah, einzufangen. Sehr zum Verdruß des treuen Freundes Arnulf Alwart, der diese junge Dame ja nicht durch die rosarote Brille der Verliebtheit betrachtete, sondern skeptischen, klaren Blickes. Und wie recht er damit hatte, sollte der junge Ehemann schon in den ersten Ehewochen erfahren. Sie genügten vollkommen, um dem Idealisten den Glauben an die ideale Frau gründlich zu zerstören. Er kam sich wie erlöst vor, als diese minderwertige Frau nach noch nicht einmal einjähriger Ehe im Wochenbett starb.

Und wenn er jetzt wieder zu heiraten gedachte, geschah es nur, um seinen Hausstand und seinen Sohn versorgt zu wissen, wenn er seiner Fernsehnsucht nachgab und auf Reisen ging. Und daher mußte er eine Frau wählen, die ein braves Haushuhn war, wie der Freund es so treffend bezeichnete.

Der hütete sich jedoch, seine Meinung darüber weiter zu äußern. Er fragte nur sachlich: »Wann fährst du?«

»Heute noch. Ich möchte dich und Ingelott bitten, euch um Toro zu kümmern, damit Amanda merkt, daß man ihr auf die Finger sieht. Auch um die Ausgaben kümmere dich, Arnulf. Nicht einen Pfennig mehr als gewöhnlich.«

»Worauf du dich verlassen kannst«, kam die grimmige Antwort. »Da paß ich schon auf, und die gesamte Dienerschaft im Schloß mit mir. So sehr ich deinen Vater auch sonst verehre, Torsten, so bitter gram bin ich ihm wiederum, daß er dieser Schleiereule auf Schloß Felß Heimatrecht zubilligte. Und du mußt dich nun mit ihr abplagen.«

»Na, so arg ist es auch wieder nicht«, kam es lachend zurück. »Die kann bei mir keinen Blumentopf gewinnen, wie man so sagt. Aber da sie mir die Schlinge, die sie erneut legte, mit allen niederträchtigen Schlichen und Listen zuzuziehen gedenkt, will ich ihr lieber doch ausweichen.«

*

»Torsten, auf ein Wort«, hielt ihn die Tante an, als er durch die weite Halle ging und nun, unangenehm berührt, den Schritt verhielt.

»Du wünschest?« fragte er eisig.

»Ich möchte dich bitten, deine Reise zu verschieben.«

»Warum?«

»Weil wir doch zu Bernices Geburtstag nach Altraden eingeladen sind.«

»Dann wird die junge Dame ihn eben ohne mich feiern müssen. Er ist mir durchaus nicht wichtig.«

»Aber, Torsten, wie kann man nur.«

»Nicht wahr, was man alles so kann!« Es blitzte jetzt gefährlich in seinen Augen auf. »Laß aber von deiner Kuppelei, diesmal fängst du mich nicht.«

»Du bist ja…«, bekam die schockierte Dame vorläufig nur über die Lippen, und diese Atempause benutzte der Mann, um zu enteilen, und zwar in sein Arbeitszimmer, das man nur auf seine Aufforderung hin betreten durfte. Die Beschließerin ließ er kommen, die ihre Rundlichkeit mit erstaunlichem Geschick herankugelte, erst knickste, dann über die blütenweiße Schürze strich und ihren Gebieter erwartungsvoll ansah.

»Nun, Deti, du wirst ja immer jünger und hübscher«, schmunzelte er. »Geht es dir immer gut?«

»Und wie gut, Herr Graf, sündhaft gut sogar. Bloß… Na, ich weiß nicht.«

»Aber ich weiß«, unterbrach er sie lachend. »Kein Paradies ohne Schlange, stimmt’s?«

»Und ob!« Sie strahlte jetzt über das ganze Vollmondgesicht. »Aber wir wehren uns.«

»Recht so. Und nun paß mal auf, Deti. Ich verreise. Gib gut auf den Jungen acht.«

»Aber meinje, Herr Graf, mit jedem Tropfen Blut. An unser kleines Herrchen kommt nichts heran, höchstens über meine Leiche.«

»Dann bin ich ja beruhigt, da du ja wie das blühende Leben selber vor mir stehst. Wenn du in Schwierigkeiten geraten solltest, wende dich an den Herrn Verwalter. Und nun mach’s gut.«

Das war ungefähr die gleiche Unterredung, die der Herr mit seinen Getreuen vor jeder Reise zu führen pflegte. Er nannte es spöttisch bei sich: das Haus bestellen. Dann kam noch ein herzlicher Abschied von dem Sohn, der tapfer die Tränen verbiß, ein kühler Abschied von Amanda, und dann ging die Reise

los.

Zuerst einmal ins Blaue hinein, um die Freiheit noch in vol­len Zügen zu genießen, bevor er sie einschränken mußte. Soweit wenigstens, wie es sich für einen Ehemann einigermaßen geziemte. Denn ganz würde er sich von einer Frau nie festhalten lassen, niemals. Dafür liebte er seine Freiheit viel zu sehr – seine Freiheit und sich selbst.

Er wollte seine Frau gewiß nicht ungut behandeln, aber sie mußte ihm auch seine Freiheit lassen, die ihm nun einmal Lebenselixier war. Jeder Zwang war ihm verhaßt. Und deshalb brauchte er ein gutes, braves Haushuhn, eine milde waltende Hausfrau, kurz und gut: ein taubenfrommes Wesen ohne Galle.

Das waren die Grundsätze des Grafen Felß, mit denen er auf die Freite ging.

*

Es goß in Strömen. Warum auch nicht? Es nahte ja der Herbst.

Mißmutig ließ Graf Felß das Verdeck über seinen sehr kostbaren Wagen herunter und saß nun warm und trocken. Rauchte erst einmal eine Zigarette und schaute dabei gelangweilt hinaus in den Regenguß.

Plötzlich schlossen sich seine Augen zu einem engen Spalt. Interessiert verfolgten sie das weibliche Wesen, das im Laufschritt unter einen dicken Kastanienbaum flüchtete, um dort Schutz zu suchen.

Schon kurbelte eine nervige Männerhand das Fenster nieder, und eine sonore Stimme rief hinüber:

»Hallo, mein Fräulein, steigen Sie ein, hier ist es trocken!«

»Ich könnte Ihren feudalen Wagen durchnässen, Graf Felß!« kam es lachend zurück, worauf der Mann erst einmal ein verdutztes Gesicht machte, aber dann rasch gefaßt fragte:

»Woher kennen Sie mich denn?«

»Mein Geheimnis.«

»Das ich gleich ergründen werde.« Er lenkte den Wagen dicht an den Baum. Was er nun sah, war ein Wesen, von einem grauen Regenmantel umhüllt. Unter der Kapuze lugte ein Gesicht hervor, dessen Augen von einer großen dunklen Brille verdeckt waren.

»Ja, Fräulein von Söhrte, sind Sie es nun oder sind Sie es nicht?« fragte er lachend, und lachend erfolgte auch die Antwort:

»Jawohl, ich bin es.«

»Man immer rein in die gute Stube.« Er öffnete den Schlag, doch noch zögerte sie:

»Mein Mantel ist naß.«

»Und mein Wagen ist nicht wasserscheu.«

Da stieg sie ein, drückte sich aber fest in die Ecke, was ihn schmunzeln ließ.

»Ich bin nicht aus Zucker, daß ich mich bei Ihrer Berührung auflösen könnte. Und nun sagen Sie mal, gnädiges Fräulein, wie kommen Sie hierher? Sind Sie etwa nicht mehr bei Ihren Verwandten?«

»Nein.«

»Seit wann nicht mehr?«

»Seit meinem einundzwanzigsten Lebensjahr, das mich unabhängig von meinem Vormund machte.«

»Wann war das?«

»Vor einigen Monaten.«

»Und warum blieben Sie nicht länger in Altraden?«

»Muß das unbedingt in Worte gefaßt werden, Graf Felß?«

»Eigentlich – nicht«, dehnte er. »Sie schienen mir dort so etwas wie ein Aschenputtelchen gewesen zu sein.«

»Richtig. Und nun warte ich auf den Königssohn.«

Da lachte der Mann ein bezwingendes Lachen.

Die Kleine war ja von einer Schlagfertigkeit, die Geist vermuten ließ.

Wenn sie nur nicht in dem plumpen farblosen Mantel so grotesk wirken würde. Und dann diese gräßliche Brille, welche die Augen, den Spiegel der Seele, so unschön verbarg. Schon die wenigen Male, da er ihr in Altraden begegnete, hatte ihn das gestört.

»Scheußliches Wetter«, bemerkte er, nicht gerade geistreich. »Und nun erzählen Sie, gnädiges Fräulein.«

»Was denn?«

»Von sich.«

»Ach, du lieber Himmel, das dürfte einen Mann wie Sie doch wahrlich nicht interessieren, Graf Felß.«

»Vielleicht doch.«

»Na schön, ich befinde mich in der Ausbildung, um Tippse zu werden.«

»Wie bitte?«

»Um Tippse zu werden«, wiederholte sie und lachte dann über sein verdutztes Gesicht. Es war ein weiches goldiges Lachen, das den Mann aufhorchen ließ. »Oder ist das Ihnen kein Begriff?«

»Schon. Aber wozu das?«

»Um mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen«, kam es trocken zurück. »Ich bin nämlich arm.«

»Na ja – gewiß. Was tippen Sie denn da?«

»Nichts, was Geld einbringt, sondern vorläufig noch kostet, und zwar der Kursus. Außerdem besuche ich abends noch die Volkshochschule. Sind Sie jetzt im Bilde?«

»So ziemlich. Aber schön kann ich mir so was nicht denken. Vielleicht hätten Sie doch bei Ihren Verwandten bleiben sollen, gnädiges Fräulein.«

»Nein!« warf sie so hart ein, daß er sie erstaunt ansah. »Und da ich nun bemerke, daß der Regen aufgehört hat, möchte ich dieses warme Plätzchen verlassen. Adieu, Herr Graf, es hat mich sehr gefreut.«

Es gelang ihm gerade noch, einen Zipfel des Mantels zu erfassen, bevor sie ihm durch die blitzschnell geöffnete Tür entwischte.

»Hiergeblieben!« forderte er lachend. »So einfach kommen Sie mir nicht davon. Und schon gar nicht zu Fuß. Wo wohnen Sie?«

»Mein Geheimnis.«

Und nun entschlüpfte sie ihm doch. Ärgerlich sah er der vermummten Gestalt nach, die im Nebel wie ein grauer Schemen untertauchte.

Wenn nicht, dann nicht, mein Kind. Ich habe wahrlich keine Lust, mich dir kleinen Vogelscheuche aufzudrängen.

*

Und doch tat er es am nächsten Tage, als er im Begriff war, die Stadt zu verlassen, wo er des dichten Nebels wegen hatte übernachten müssen. Denn was ihm da in einer Nebenstraße entgegenkam, war keine andere als Fräulein von Söhrte.

Sie trug wieder den Regenmantel und auch die scheußliche Brille. An der Leine führte sie einen Dackel, der schon mehr einem alten fetten Mops glich.

»Guten Tag, gnädiges Fräulein! Das nenne ich Zufall. Oder ist es mehr, da ich Ihnen ausgerechnet in dieser abgelegenen Straße begegnen muß?«

»Vielleicht. Und was machen wir nun daraus?«

»Wir feiern frohes Wiedersehen.«

»Bitte sehr, ich bin im Dienst.«

»Gehört etwa dieses kleine fette Ungetüm zu Ihren Dienst­ob­liegenheiten?«

»Jawohl.«

»Also, gnädiges Fräulein, diesmal entschlüpfen Sie mir nicht. Steigen Sie bitte ein.«

»Nur ja nicht!« wehrte sie lachend. »Was meinen Sie wohl, welchen Schock meine Dame bekäme, wenn sie mich diesem feudalen Ungetüm von Wagen entsteigen sähe. Sie würde wahrscheinlich annehmen, ich wäre einem Hochstapler ins Netz gegangen und ganz gräßlich um ihre gute dicke Hundfiffi bangen.«

»Dann allerdings«, meinte der Mann. »Diesen Schock wollen wir der Dame denn doch ersparen. Bringen Sie also den Abgott per pedes zu seinem Frauchen, ich folge errötend Ihren Spuren und halte in angemessener Entfernung. Ist es weit bis zu Ihrem trauten Heim?«

»Nein, vielleicht fünf Minuten. Sie brauchen erst gar nicht anzufahren, sondern können hier warten.«

»Na, gnädiges Fräulein, da möchte ich doch mit meinem Freund Arnulf Alwart sprechen: Truu de Düwel dem Ap’theker.«

Da wandte sie sich achselzuckend ab, eilte davon, und er folgte langsam. Eigentlich eine Kateridee, sich mit diesem abweisenden Mädchen zu befassen. Aber so war er nun mal: sofern er auf Widerstand stieß, begann ihn eine Sache zu reizen. Das heißt, bei Frauen war ihm das noch nicht vorgekommen, daß sie ihm Widerstand leisteten. Und es wäre ja gelacht, wenn diese kleine Fledermaus die erste sein sollte.

Aha, jetzt verschwand das graue Nönnelein in einem Haus. Also stoppte auch er, steckte eine Zigarette an und wartete.

Und dann sah er die Maid aus der Haustür treten. Und zwar nicht aufgeputzt, wie ein Mädchen zum Stelldichein zu gehen pflegt, sondern in dem Regenmantel, grau in grau, wie ein vom Glück benachteiligtes Mägdlein, wie ein Stiefkind des Schicksals.

So was war dem verhätschelten Frauenliebling der mondänen Welt denn doch noch nicht vorgekommen. Sie wollten doch alle, alle immer so schön wie möglich sein, schön für ihn.

Aber das da war ihm neu. Und daher äußerst reizvoll. Er öffnete den Schlag, sie stieg ein und sagte entschieden spöttisch:

»Da bin ich, mein hartnäckiger Herr. Und was nun?«

»Nun fahren wir dahin, wo es Gutes zu essen gibt. Kennen Sie so ein Lokal?«

»Ja. Es liegt zwar nicht in der Stadt, aber das macht Ihnen wohl nichts aus?«

»Durchaus nicht. Doch warum muß das Lokal so abgelegen sein? Wollen Sie sich etwa in der Stadt nicht mit mir sehen lassen?«

»Erraten. Wohl habe ich wenig Bekannte hier, aber man kann nie wissen, ob nicht gerade einer von den wenigen mich auf diesem verbotenen Pfade ertappt. Und ich möchte meiner lieben alten Dame keinen Kummer machen.«

»Aha, nun weiß ich Bescheid. Wunderbar erklärt. Und wie soll ich nun fahren?«

»Geradeaus. Wenn Sie halten sollen, gebe ich Ihnen einen Wink.«

Das tat sie, nachdem der Wagen wohl fünf Minuten dahingeflitzt war.

Es war gerade kein erstklassiges Lokal, das sie kurz darauf betraten, aber anständig und anheimelnd. Vorläufig nur mäßig besucht, weil gerade die Mittagszeit begann.

Die Angekommenen wählten einen Tisch in einer Nische. Und der Herr Ober, der ihnen die Mäntel abnahm, mochte sich wohl darüber wundern, wie der Mann, dem man seine vornehme Herkunft ansah, zu dieser fast ärmlich gekleideten Begleiterin kam. Denn der Pullover, den sie trug, war gewiß nicht elegant, und doch hatte ihre Erscheinung etwas unbedingt Damenhaftes. Das nahm auch der Mann wahr, der ihr gegenübersaß.

Sie hat einen stolzen Mund, setzte er seine diskrete Beobachtung fort, ein weichgeschnittenes Gesicht und ein feines Näschen. Wenn nur diese scheußliche Brille nicht wäre.

Schön waren die Haare, von hellem Braun mit metallischem Glanz. Die Wellen und Ringellöckchen, wahrscheinlich Natur, nur in ungefälliger Frisur geordnet. Direkt mißhandelt, stellte er mit Bedauern fest.

Und dann hatte ihre Art etwas Vornehmes, sie war sogar von einer reizvollen Nonchalance. Und dann das Lachen – ungemein weich und goldig, dann wieder amüsiert oder gar spöttisch.

Seine Betrachtungen wurden durch den Ober unterbrochen, der an den Tisch trat, um die Bestellung entgegenzunehmen. Das Mädchen lehnte das Menü ab und wählte ein leichtes, einfaches Gericht.

»Ich bin an schmale Kost gewöhnt«, erklärte sie, als der Ober gegangen war. »Und ich muß schon sagen, daß sie mir gut bekommt.«

»Essen Sie außerhalb?«

»Nein, zu Hause.«

»Mit Ihrem Altjüngferlein?«

»Ja.«

»Wer bereitet die Speisen?«

»Mein Altjüngferlein«, entgegnete sie gelassen, während es um ihren Mund verdächtig zuckte. Weiter konnte sie nichts sagen, weil der Ober das Essen brachte. Torsten hatte aus Höflichkeit dasselbe gewählt, trank dazu Mineralwasser, weil er sich ja ans Steuer setzen wollte, die junge Dame jedoch trank Bier.

»Schmeckt gut«, sagte sie auf seinen erstaunten Blick. »Und wenn ich in Amt und Würden bin, leiste ich mir diesen Trank jeden Tag.«

Während sie noch sprach, blitzte ein Gedanke in dem Hirn des Mannes auf.

War das nicht eine Frau für ihn? Die würde ihm bestimmt dankbar sein, wenn er sie aus der jetzigen Misere erlöste – würde ihm, natürlich bildlich genommen, jeden Tag voll Verehrung die Hände küssen.

Aber nein, von so einer grauen Unscheinbarkeit durfte seine Frau nun auch wieder nicht sein. Sie mußte ja schließlich als Herrin des Hauses repräsentieren. Außerdem konnte er als Chef eines alten, sehr feudalen Geschlechts nicht jedes Mädchen heiraten. Dessen Name müßte zumindest makellos sein, das schrieb das Hausgesetz vor.

Und von diesem Mädchen wußte er nur, daß es bei den Verwandten in Altraden eine Zeitlang ein entwürdigendes Aschenputteldasein geführt hatte. Mehr war ihm nicht bekannt, weil er sich erstens um diese Dinge nicht kümmerte und dann in den letzten Jahren auch wenig in Felß gewesen war, das an Altraden grenzt.

Das alles fuhr ihm blitzartig durch den Sinn, bis eine spöttische Stimme ihn zusammenzucken ließ.

»Wo sind Sie eigentlich mit Ihren Gedanken, Graf?«

»Beim Haushuhn«, gab er wahrheitsgemäß Antwort und lachte dann über ihr verdutztes Gesicht. Das heißt, viel war davon ja nicht zu sehen, wegen der abscheulichen Brille.

»Können Sie durch diese dunklen Gläser überhaupt richtig sehen, gnädiges Fräulein?« fragte er lauernd, worauf ein amüsiertes Lächeln ihren Mund umzuckte.

»Gewiß, Graf, ich sehe schon, was ich sehen will und – muß. Und nun wird es für mich Zeit, will ich meine Pflicht nicht versäumen. Pünktlich um zwei Uhr ist Fiffi daran gewöhnt, ihren Spaziergang zu machen.«

Damit erhob sie sich, so daß ihm auch nichts anderes übrigblieb, als es ihr gleichzutun. Und als sie dann später im Auto saßen, war seine Laune nicht gerade die beste.

Zum Kuckuck, er hatte es doch wahrlich nicht nötig, seine Zeit bei einer so langweiligen grauen Fledermaus zu vergeuden. Dann schon lieber ein Haushuhn, das ja auch ganz nette Federn haben konnte. Und als er seine Begleiterin kurz vor dem Haus, in dem sie wohnte, absetzte, drang er auf kein Wiedersehen. Die Episode, eine der langweiligsten, die er je erlebte, war für ihn beendet.

*

Allein der großmächtige Graf Felß vom Felß, der wie ein König in seinem Schloß am Meer residierte, hatte doch noch einen Willen über sich, den des Schicksals. Und dem mußte er sich beugen, als er in einem Hotel einkehrte und dort in der Halle von einem Bekannten an den Tisch gewinkt wurde. Es gab ein freudiges Begrüßen, denn die Herren waren sich gegenseitig äußerst sympathisch.

»Ja, sagen Sie mal, mein lieber Torsten, trifft man Sie auch wieder mal!« Der ältere distinguierte Herr schlug dem jüngeren kräftig auf die Schulter. »Ich glaubte Sie schon verbauert bei Ihrem Kohl.«

»Aber immer noch nicht ganz, Herr Geheimrat.« Die prächtigen Zähne blitzten durch die hartgeschnittenen Lippen. »Aber bald wird es wohl so sein, ich werde nämlich langsam alt.«

»Sie haben’s nötig, Sie Schwerenöter«, meinte der andere amüsiert, dabei die blendende Erscheinung voll Bewunderung betrachtend. Donner noch eins, so was Prachtvolles von einem Kerl schuf unser lieber Herrgott nicht alleweil. Kein Wunder, daß jede Weiblichkeit närrisch nach ihm war und ihm jeden Sieg ohne Kampf bescherte. Für so einen Mann war es schwer, zu heiraten und die eheliche Treue zu bewahren. Dafür war er zu vielen Versuchungen ausgesetzt. Deshalb fragte der Geheimrat jetzt auch schmunzelnd:

»Schon wieder beweibt oder scheute Sie als gebranntes Kind das Feuer?«

»Bisher ja, aber nun werde ich ja wohl dran glauben müssen. Befinde mich gerade auf der Freite.«

»Großartig. Wer soll es diesmal sein?«

»Wilma von Suther.«

»Was, etwa die Tochter von dem verstorbenen Konsul?«

»Ganz recht.«

»Aber, lieber Junge, Sie scherzen wohl? Dieses sanft säuselnde Wesen ist doch keine Frau für so einen Prachtkerl.«

»Sie wird aber eine gute, sittsame Hausfrau sein, Herr Geheimrat.«

»Jawohl, jawohl«, warf er lachend ein.

»Damit Sie Ihr Haus gut bestellt wissen, wenn Sie wieder einmal in der Weltgeschichte herumflitzen, Sie Tausendsassa. Und das werden Sie bei so einer Frau wohl ständig tun, denn eine so sorgsam waltende Hausfrau kann einem Mann Ihrer Art mehr auf die Nerven fallen als ein kleiner Sprühteufel, das glauben Sie mir nur. Können Sie denn nicht so ein Mittelding zwischen beiden wählen – so etwas fürs Haus, aber auch etwas fürs Herz? Das zu finden, dürfte einem Kerl wie Ihnen doch nicht schwerfallen. Sie könnten doch jede Weiblichkeit kriegen.«

»Eben. Und wer die Wahl hat, hat die Qual.«

»So ist es – leider. Wie geht es übrigens Ihrem Jungen? Schlägt er Ihnen nach?«

»Ganz und gar.«

»Das ist gut. Denn die Mutter… Na, Schwamm drüber. Und was macht die alte Blindschleiche Amanda?«

»Die will mich wieder mit einer Nichte verheiraten, und da rückte ich aus.«

»Das beste, was Sie machen konnten.« Er lachte schallend. »Mit wem wollte Sie sie diesmal verkuppeln?«

»Mit Fräulein von Söhrte, deren Vater vor einem Jahr Altraden kaufte.«

»Kenne ich nur dem Namen nach, aber dafür kannte ich seinen Bruder um so besser. Ein famoser Herrenreiter, der viel Geld verdiente, aber es auch mit vollen Händen wieder ausgab. Eine Menge davon für andere, denn er besaß ein mitfühlendes Herz. Überhaupt ein feiner Kerl, Edelmann durch und durch. Nur so ein bißchen haltlos. Schade, daß seine charmante Frau so früh starb. Das gab ihm den Rest, er folgte ihr bald nach.

Mir hat hauptsächlich die Tochter leid getan, die so ganz mittellos zurückblieb. Das Geld von der Versicherung reichte gerade, um die hinterlassenen Schulden zu bezahlen.

Übrigens müßten Sie Hellrun doch kennen, Torsten. Soviel ich weiß, kam sie doch zu dem Bruder ihres Vaters. Und wenn der Altraden gekauft hat, ist er Ihr Nachbar.«

»Ich kenne die junge Dame nur flüchtig«, tat er gleichmütig. »Sie wurde von den Verwandten wie ein Aschenbrödel gehalten. Man kann fast sagen, daß man sie vor Besuchern versteckte.«

»Tatsächlich?« fragte der Rat betroffen. »Das tut mir aber leid. Sagen Sie mal, Torsten, wäre das nicht eine Frau für Sie? Sie ist tadellos erzogen und stammt, hauptsächlich mütterlicherseits, aus allerbester Familie. Allerdings ist sie jetzt arm, aber um Geld brauchen Sie Nabob ja nicht zu freien. Wäre es nicht reizvoll, Sie übersättigter Frauenheld, so als huldvoller König Aschenputtelchen heimzuführen? Doch mal was anderes, hm?«

»Na, ich weiß nicht so recht, Herr Geheimrat. Mich stört die scheußliche Brille an der Kleinen. Schielt sie etwa?«

»Wer, die Hellrun?« fragte er verblüfft, doch dann saß ihm der Schalk im Nacken, und er tat nachdenklich. »Allerdings habe ich sie schon lange nicht mehr gesehen, daher könnte es sein. Sagen Sie mal«, fragte er dann ganz unvermittelt, »haben die Söhrtes auf Altraden Töchter?«

»Eine, Herr Geheimrat.«

»Wie sieht sie aus?«

»Sanft und fromm.«

»Uijeh, schon faul. Ist es etwa die bewußte Nichte der Kupplerin Amanda?« zwinkerte er vergnügt, und der Graf lachte.

»Erraten. Aber so was will ich ja gerade haben, Herr Geheimrat. So frei nach Schiller: Und drinnen waltet die züchtige Hausfrau, die Mutter der Kinder… Und ich will ihr Herr sein.«

»Aha! Aber dafür würde sich geradeso ein Aschenbrödel eignen. Als Dank, von einem so großmächtigen König erlöst zu sein, würde es werden ein demütig Weib. Also lassen Sie sich die Sache mit der Hellrun durch den Kopf gehen, Torsten. Ich möchte mir doch zu gern einen Kuppelpelz verdienen.«

Man trennte sich lachend, und weiter nahm das Schicksal seinen Lauf.

*

Unschlüssig, was er tun sollte, blieb der sonst so selbstsichere Graf Felß vom Felß an dem Tisch sitzen. Sollte er nun zu Wilma fahren oder umkehren und diese von dem Geheimrat so warm angepriesene Hellrun argwöhnisch unter die Lupe nehmen? Daß ihm der Mann zu keiner Torheit raten würde, darüber war er sich klar. Dafür war er zu seriös und verantwortungsbewußt. Und da er ihm von Wilma abriet…

Nun, gehörig unter die Lupe nehmen wollte er trotzdem diese erste Heiratskandidatin. Aber wie das anstellen? Suchte er sie direkt auf, erweckte er damit Hoffnungen, die er letzten Endes doch nicht erfüllen konnte – und das wäre ihm sehr peinlich gewesen.

Da war es schon besser, er führte eine zufällige Begegnung herbei, was sich gut machen ließ, da die Damen momentan an der Riviera weilten, wie er durch Zufall erfuhr. Also brauchte er nur in demselben Hotel aufzutauchen.

Was dann auch geschah. Hinter einer Zeitung verschanzt saß er in der Halle, als die beiden Damen erschienen. Die Mutter groß und überschlank, durchaus ladylike, die Tochter zart und fein, mit einem lieben Gesichtchen und sanften dunklen Augen. Die würde ganz gewiß als züchtige Hausfrau und Mutter der Kinder im Hause mild und gütig schalten und walten. Die würde sich bestimmt nicht dagegen wehren, wenn er verlangte: ich will dein Herr sein.

Jetzt ließ er die Zeitung sinken, und schon hatten sie ihn entdeckt. Sie waren ehrlich überrascht, während er ja Überraschung heucheln mußte. Er stand auf, trat ihnen entgegen

und beugte sich zur Begrüßung über die ihm gereichten Hände der Damen.

»Das ist aber ein überraschendes Wiedersehen, Graf Felß«, hörte er die Ältere sagen. »Behalten Sie doch bitte Platz, wir setzen uns zu Ihnen. Auf der Durchreise hier?«

»Ja«, log er ohne Gewissensbisse. »Ich gebe wieder einmal meiner Fernsehnsucht nach.«

»Also immer noch nicht reif für den seßhaften Ehemann?«

»Nahezu, gnädige Frau. Ich glaube, ich werde langsam alt.«

»Sie werden witzig, mein lieber Graf. Wie geht’s zu Hause, was macht’s Söhnchen?«

»Der lebt sein unbekümmertes Kinderleben dahin. Er ist zwar noch recht ungebärdig und trotzig, aber das wird sich schon noch geben.«

»Ihm fehlt eben die gütig leitende Mutterhand«, bemerkte sie, und dem Manne wurde schwül. Sollte sie etwa nach Art vieler Schwiegermütter die Angel auswerfen? Das hätte er dieser sonst so zurückhaltenden Dame nicht zugetraut.

Doch schon schämte er sich seines Mißtrauens, als sie weitersprach:

»Es eignen sich aber nicht alle Frauen dazu, so einem schwererziehbaren Kind die Mutter zu ersetzen. Daher hat meine Tochter auch einen Antrag ablehnen müssen, weil sie sich der Aufgabe nicht gewachsen fühlt. Nun, das Herz ist ihm darüber nicht gebrochen«, setzte sie lächelnd hinzu. »Er nahm eine andere, und meine Tochter nahm einen anderen. Seit zwei Tagen ist sie eine glückliche Braut.«

Diese Nachricht gefiel dem selbstherrlichen Grafen aber auch nicht. Es war wohl keine Reue in ihm, hier zu spät gekommen zu sein, aber es verletzte seine Selbstherrlichkeit.

Doch gewohnt, sich zu beherrschen, sagte er liebenswürdig:

»Das ist aber mal eine frohe Nachricht, gnädiges Fräulein. Meinen verbindlichsten Glückwunsch.«

»Danke.« Sie lachte ihn zutraulich an. »Ich habe auch lange genug um mein Glück kämpfen müssen. Denn Mama war zuerst gegen meine Wahl.«

»Dann mußt du aber auch erklären, warum das geschah, mein Kind. Der Mann ist nämlich ziemlich robust und erschien mir daher für meine sensible Tochter nicht als rechter Ehepartner. Aber hier scheint sich tatsächlich zu bewahrheiten, daß Gegensätze sich anziehen. Denn sie ließen nicht locker, bis ich dann endlich kapitulierte. Und ich tat es sogar gern, nachdem ich den Mann ernstlich geprüft hatte. Er ist ein guter Mensch, ein weicher Kerl in einer rauhen Schale. Da kommt er übrigens, urteilen Sie selbst.«

Was sich da dem Tisch näherte, konnte man als kreuzfideles Haus bezeichnen. Mittelgroß und kräftig, mit einem von der Sonne rotbraun gebrannten, ein wenig derben Gesicht, in dem zwei blaue Augen lachten. Sofort war Torsten der Mann sympathisch, der ihm als Baron von Herlin vorgestellt wurde.

»Also das ist der Liebling der Frauen, der so viel von sich reden macht«, sagte der Mann schmunzelnd, während er Platz nahm.

»Ihr Glück, daß Sie mein Schiepchen nicht auch noch betörten. Das hätte ich Ihnen höllisch krumm genommen.«

»Da bin ich aber froh, daß es mir nicht gelang«, sagte der Graf amüsiert. »Versucht habe ich es schon, nicht wahr, gnädiges Fräulein?«

»Stimmt, aber mein Herz blieb tabu«, gestand sie ihm mit einem lieben Lächeln, worauf der Verlobte nach der zarten Hand griff und sie mit unendlicher Zartheit an die Lippen drückte.

»Dafür bist du ja auch mein herzallerliebstes Silphinchen«, sagte er weich, und Frau von Suther lachte.

»Nun sehen Sie sich das bloß an, Graf Felß. So viel Zartheit sollte man diesem Bären gar nicht zutrauen.«

»Das bin ich aber nur, wenn es um mein Schiepchen geht«, erklärte er vergnügt. »Ansonsten ist nicht gut mit mir Kirschen essen. Übrigens gedenke ich mich in Ihrer Nähe anzukaufen, Herr Graf. Meine bisherige Klitsche brannte nämlich ab, und ich habe keine Lust, sie wieder aufzubauen. Da ist mir alles zu eng, zu klein, ich brauche Bewegungsfreiheit. Habe die ganze Geschichte an einen Industriellen verkauft und ein schönes Stück Geld dafür gekriegt, weil der Mann das Land für seinen Kram dringend benötigte.

Und nun bin ich scharf auf Altraden. Söhrte wird es wohl hergeben müssen, weil er bis zum Kragenknopf verschuldet ist. Er hofft jedoch immer noch, daß seine Tochter einen Dummen finden wird. Geht Ihnen ein Licht auf, Herr Graf?«

»Sogar ein ganzes Feuerwerk, Herr Baron.«

»Ihr Glück, sonst hätten Sie auch arg bluten müssen für die ganze Familie. Aber Sie scheinen auch nicht gerade aus Dummsdorf zu sein. Ich bin dafür, daß wir gute Nachbarschaft halten.«

»Aber, Rolf, noch ist es nicht soweit!«

»Doch, Mamachen. Ein schönes Stück meines Geldes steckt bereits in Altraden, alles andere ist nur noch Formsache. Jedenfalls feiern wir unsere Hochzeit auf dem schönen Besitz, an dem ich direkt einen Narren gefressen habe. Gilt’s mit der Hochzeit, mein Liebes?«

»Mir schon recht, Rolf. Aber was wird dann aus den armen Söhrtes?«

»Das soll unsere Sorge nicht sein. Ich bin sonst gewiß kein Unmensch, aber der Mann hat es nicht besser verdient. Aus einem waghalsigen Börsenmann kann nie ein guter Landwirt werden. Außerdem fällt er schon wieder auf die Füße, darum ist mir nicht bange. Leichter jedenfalls als sein armer Vorgänger, dem er bei dem bestimmt nicht fairen Erwerb des Gutes unbarmherzig den Hals abschnürte, wie man so sagt. Warum sollte ich da bei so einem dann, na ja – wohl barmherziger verfahren?

Und nun werde ich einen guten Tropfen bestellen, und wir werden auf eine harmonische Nachbarschaft anstoßen. Einverstanden, Herr Graf?«

»Ich wollte eigentlich heute noch abfahren, bin mit dem Auto hier.«

»Ach was, dann geben Sie eben noch einen Tag zu. Oder wartet sie sehr?«

»Wer, bitte?«

»Na, die Jeweilige. Denn so ein Mann wie Sie ist doch wohl nie ohne Amouren, stimmt’s?«

»Rolf, du läßt dich heute ganz besonders los.«

»Macht nichts, Mamachen. Den Herrn Grafen stört das nicht, oder doch?«

»Keineswegs«, erwiderte dieser herzlich. »Ich freue mich auf unsere Nachbarschaft, Herr Baron.«

»Na also! Und nun ziehen wir um in einen gemütlicheren Raum. Auf dem Präsentierteller hier ist es mir zu genierlich.

Außerdem werden die ganzen Weibsen mobil. Sie schauen sich nach unserem Adonis hier bereits die schönen Augen aus. Mann, haben Sie Chancen! Da könnte man direkt neidisch werden.«

Vergnügt suchte man nach einem netten Zimmer, das nur mäßig besetzt war, und verlebte darin einige frohe, leichtbeschwingte Stunden.

*

Als Graf Felß am nächsten Tag abfuhr, war er unzufrieden mit sich selbst. Und zwar darüber, daß er bei seiner Werbung um Wilma so saumselig gewesen war. Nicht, daß er sich in sie verliebt hatte, so was passierte dem Mann mit dem »hornernen Herzen« wohl nicht. Aber Wilma wäre bestimmt die Frau gewesen, die er suchte.

Na, nichts mehr zu ändern. Da mußte er sich eben für diese Hellrun entschließen, denn es blieb ihm jetzt nur noch ein Entweder – Oder. Entweder heiratete er, oder er mußte sich in der Weltgeschichte herumtreiben. Denn die Jagd, die diese beiden Intrigantinnen auf Felß auf ihn machen würden, war ihm denn doch zu widerlich.

Ausgerechnet das Aschenputtel der Familie Söhrte wollte er ihnen vor die niederträchtige Nase setzen. Und Schadenfreude ist und bleibt nun mal die reinste Freude.

Und dieses Aschenputtelchen, wie würde es ihm dankbar sein, daß er es aus der jetzigen Misere erlöste.