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Astrid Plötner

Enkeltrick

Kriminalroman

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Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2018

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung: Julia Franze

E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © Birgit Reitz-Hofmann/Fotolia.com

ISBN 978-3-8392-5828-6

Haftungsausschluss

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Prolog: Fünf Jahre zuvor
Dienstag, 10. April

»ZUGRIFF!«, krächzte eine blecherne Stimme über Funk.

Max Teubner, Kriminalhauptkommissar im Kommissariat für organisiertes Verbrechen in Köln, verließ zeitgleich mit seinem Kollegen, Kriminalhauptkommissar Sven Klewe, den Dienstwagen – einen schwarzen Opel Vectra – und lief auf die in der Dunkelheit liegende Villa zu. Die beiden Beamten erreichten kurz darauf das schmiedeeiserne Eingangstor des protzigen Anwesens. Ein Bewegungsmelder ließ zwei Bronzelaternen aufleuchten, die links und rechts der Haustür hingen. Ihr Schein setzte den englischen Rasen und die kunstvoll geschnittenen Buchsbaumgewächse in unwirkliches Licht. Teubner betätigte den bronzebeschlagenen Klingelknopf neben dem Tor. Der Klang der Glocke von Westminster Abbey schallte durch die Nacht. Weitere Beamte der Abteilung OK verteilten sich rund um das Grundstück. Drinnen blieb alles ruhig und dunkel.

»Kein gutes Zeichen«, murmelte Teubner, wusste er doch nach lückenloser Observierung, dass die Bewohner des Hauses anwesend sein mussten. Zumindest die Eltern, die beiden Kinder schliefen im Internat »Schloss Jägerheide« bei Bonn. Privatschule für Besserverdiener. Kosten pro Kind immerhin knapp 20.000 Euro im Jahr.

Der Bewegungsmelder schaltete sich aus und tauchte das Anwesen in Dunkelheit. Teubner lauschte in die Nacht. Selbst zu dieser Stunde hörte er den Brunnen auf dem Grundstück plätschern. Er bekam durch sein Headset den Befehl, erneut zu läuten. Gleichzeitig würde man sich über die hintere Terrassentür Zutritt zum Haus verschaffen. Hier und heute würde sich niemand der Festnahme entziehen. 170 deutsche und polnische Beamte waren in diesem Moment im Einsatz, um die Bonzen samt Untertanen des Clans in Haft zu nehmen. Nicht nur in Köln, auch in Hamburg, Essen, Duisburg, Gelsenkirchen, Warschau, Posen, Legionowo und Lodz. Der Clan der Enkeltrickmafia, der alte Leute mit seiner perfiden Masche um ihre gesamten Ersparnisse brachte, sollte zerschlagen werden.

Bevor Teubner weitere Anweisungen erhielt, schwang das schmiedeeiserne Tor der Villa lautlos nach innen auf. Er und Klewe betraten das Grundstück. Im selben Moment hörte man einen Motor starten. Grelle Scheinwerfer flammten links der Villa auf, Reifen drehten kreischend durch und dann schoss ein Wagen mit rasanter Geschwindigkeit auf die beiden Beamten zu. Teubner blieb keine Gelegenheit, seine Waffe in Anschlag zu nehmen. Er konnte sich gerade noch mit einem Hechtsprung auf den Rasen retten, Klewe ebenso. Das Auto flog an ihnen vorbei und bog mit quietschenden Reifen auf die Straße ein.

Die beiden Beamten rannten zu ihrem Dienstwagen. Gleichzeitig brüllte Teubner in sein Headset: »Verdächtige Personen sind im Begriff, in einem silbernen BMW Cabrio mit dem amtlichen Kennzeichen K-WW 123 zu fliehen!«

Klewe startete den Motor. Teubner lief um den Wagen und sprang auf den Beifahrersitz. Er hatte Mühe, den Gurt anzulegen, da Klewe mit dem Maximum an Beschleunigung die Verfolgung aufnahm. Teubner knallte das Blaulicht aufs Dach und informierte die Kollegen. Der angeforderte Hubschrauber konnte in fünf Minuten vor Ort sein. Der Opel Vectra schoss in überhöhter Geschwindigkeit hinter dem offenen Cabrio durch die verkehrsberuhigte Zone des Auenwegs. Teubner nahm ein Fernglas aus der Ablage. Lucia Taragos saß am Steuer, daneben ihr Ehemann Adam. Er drehte sich auffällig oft um. Seine Frau rief ihm etwas zu. Er hantierte im Handschuhfach und hielt daraufhin eine Handfeuerwaffe in der Faust.

»Verdächtige sind bewaffnet!«, brüllte Teubner ins Headset. »Sieht nach einer 45er Heckler & Koch, neun Millimeter, aus!«

Er zog seine eigene Waffe aus dem Halfter. Inzwischen rasten die beiden Fahrzeuge mitten durch das Zentrum von Köln-Rodenkirchen über die Hauptstraße Richtung Friedrich-Ebert-Straße.

»Die wollen sich über die A4 in die Niederlande absetzen!«, mutmaßte Klewe und starrte konzentriert auf die Fahrbahn. Mit Blick in den Rückspiegel fügte er hinzu: »Wo bleiben denn die Kollegen?«

»Keine Panik«, erwiderte Teubner, »das sind über 80 Kilometer. Die entkommen uns nicht!« Glücklicherweise war der Verkehr um 3 Uhr morgens nicht so dicht. Teubner entspannte sich etwas und beobachtete die Flüchtenden weiterhin durch das Fernglas. Adam Taragos saß wieder in Fahrtrichtung und schien momentan von seiner Schusswaffe keinen Gebrauch machen zu wollen. Das Cabrio verließ den Stadtkern von Rodenkirchen und raste über die Friedrich-Ebert-Straße durch ein Waldstück, das an den forstbotanischen Garten grenzte. Der Abstand zwischen den Fahrzeugen wurde größer, obwohl Klewe das Gaspedal bis zum Anschlag durchtrat.

»Wo bleibt der verdammte Hubschrauber?«, brummte er. »Die gehen uns gleich durch die Lappen!«

»Ganz ruhig, Kollege! Wenn wir sie hier nicht erwischen, dann die Kollegen vor der Grenze!«

Das Heck des BMW brach leicht nach rechts aus, als Lucia Taragos nach links in die Militärringstraße einbog.

»Die fährt wie eine gesenkte Sau!«, schimpfte Klewe und bog mit bedrohlich hoher Geschwindigkeit nach links ab. Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn. »Wenn die über den nächsten Kreisverkehr auf die Autobahn rauschen, kannst du schon mal arrivederci sagen, Kollege! Mit über 200 PS kommt unser Opel nicht mit.«

»Der Hubschrauber ist gleich da, keine Panik, Sven!«, sagte Teubner und erkannte, dass der Abstand zwischen den Fahrzeugen sich wieder verringerte. Durch sein Fernglas sah er, wie Adam Taragos sich umdrehte. Nun nahm er seine Heckler & Koch in Anschlag und feuerte einen Schuss in ihre Richtung.

»Scheiße!«, schrie Teubner, als das Geschoss in die Windschutzscheibe einschlug. Klewe verriss das Lenkrad, brachte den Wagen aber schnell wieder unter Kontrolle. Das Einschussloch lag mittig in der Scheibe. Die Kugel musste irgendwo im Rücksitz eingeschlagen sein. Teubner ließ das Fenster der Beifahrerseite hinunter und zielte auf das Heck des BMW. Im selben Moment hörte er die Rotorblätter des Hubschraubers über sich kreisen.

Auch Lucia Taragos schien den Helikopter zu bemerken, denn der BMW schlingerte fast von der Fahrbahn. Adam Taragos schoss wie von Sinnen in die Luft, was für ihn bei geöffnetem Cabriodach kein Problem darstellte. Klewe trieb den Opel voran. Der Abstand zwischen den Fahrzeugen bestand aus noch höchstens 30 Metern. Lucia Taragos lenkte mit quietschenden Reifen in den Kreisverkehr. An der dritten Ausfahrt würde sie ihr Ziel – die Autobahn – erreichen. An der zweiten Ausfahrt übersah ein Fiatfahrer die heranrasenden Fahrzeuge und fuhr kurz vor dem BMW in den Kreisverkehr. Lucia Taragos versuchte ein Ausweichmanöver und verriss das Lenkrad. Die Reifen des BMW quietschten. Teubner stieg der Geruch von verbranntem Gummi in die Nase. Der BMW drehte sich mehrmals um die eigene Achse, rutschte dann seitlich an einem Baum vorbei, bevor er sich mehrmals überschlug und kopfüber liegen blieb.

Sven Klewe hielt neben dem verunglückten Fahrzeug und schaltete die Warnblinkanlage des Opel Vectra ein. Danach rannten die Beamten auf das Cabrio zu. Teubner bückte sich und leuchtete mit einer Taschenlampe in den Fahrerraum. Er sah Blut, aufgerissene Haut und abgerissene Gliedmaßen. Diesen Unfall konnte keiner der beiden überlebt haben.

Fünf Jahre später
Donnerstag, 30. März

1

Paula trat gleichmäßig in die Pedale des alten Mountainbikes. Der Sattel quietschte, als sie die Anhöhe des Kessebürener Wegs Richtung Innenstadt erklomm. Sie hatte sich schnell von der Vorarbeiterin der Putzkolonne verabschiedet. Die anderen standen nach der Schicht meist noch bei einer Zigarette zusammen und quatschten. Mit blauem Kittel, Gummistiefeln und Kopftuch. Paula war jeden Tag froh, wenn sie die Arbeitskluft in ihren Rucksack stopfen konnte. Sie machte den 450-Euro-Job, um sich über Wasser zu halten. Als Zubrot zu der Unterstützung vom Amt. Die rosigen Zeiten, in denen sie Designerklamotten tragen und sich als Gourmet ernähren konnte, waren vorbei und würden wohl auch nicht wiederkommen. Sie hatte jetzt – leicht außer Atem – den Zenit der Anhöhe erreicht und sah den Turm der Stadtkirche von Unna, der sich, blau angestrahlt, in der Morgendämmerung erhob. Trotz der frühen Stunde streichelte eine milde Brise ihr Gesicht und ließ ihr hüftlanges Haar wehen. Sie war stolz auf ihre Haare: kupferblond und leicht gewellt. Sie färbte es regelmäßig, sodass man keinen Ansatz sah. Es musste niemand wissen, dass sie fast schwarze Haare hatte. Sie hatte Angst, dass man sie mit den dichten Brauen, den braunen Augen und dem dunklen Teint als Roma erkennen und als Zigeuner beschimpfen würde. Das kannte sie aus der Kindheit.

»Zigeunerbastarde!«, hallte es in Paulas Ohren. »Nur Diebe und Verbrecher!« Ein Vorurteil gegenüber Sinti und Roma, das bis heute in den Köpfen der Menschen verankert war. Dabei gab es so viele rechtschaffene und sogar berühmte Menschen ihrer Herkunft. Denke man nur an die Sängerin Marianne Rosenberg, den Schauspieler Yul Brynner oder den Schriftsteller Matéo Maximoff. Paula musste lächeln. Bei ihr jedoch lag man mit der Voreingenommenheit nicht ganz daneben. Bereits mit zehn Jahren wusste Paula, wie man den Männern unbemerkt das Portemonnaie aus der Gesäßtasche zog.

»Du bist ein Naturtalent!«, hatte Onkel Bakro oft gesagt. Er war stolz auf sie gewesen und hatte sie immer unterstützt und gefördert. Und doch hatte sie ihn letztendlich verraten. Unwillkürlich traten Tränen in Paulas Augen. Es brach kein Tag an, an dem sie diesen Verrat nicht bitterlich bereute.

Paula bog in die Straße zum Südfriedhof ein und trat kräftiger in die Pedale. Sie wollte diese Gedanken nicht in ihrem Kopf haben. Sie dachte an Arco, der vermutlich schon hinter ihrer Wohnungstür saß und sehnsüchtig auf einen ausgiebigen Morgenlauf wartete. Das Quietschen des Sattels nervte. Paula stieg in die Pedale, bog durch das ehemalige Kasernentor in die Bertha-von-Suttner-Allee und fuhr bald darauf über den Kreisverkehr in die Iserlohner Straße zur Wohnsiedlung Schützenhof, wo sie eine kleine Zweizimmerwohnung gemietet hatte. Mit Wohnbeihilfe vom Amt, versteht sich.

Das Mehrfamilienhaus befand sich zu Beginn der Siedlung auf der linken Seite. Für Anfang April war es in den vergangenen Tagen ausgesprochen warm gewesen. Zudem hatte es in den letzten Wochen kaum geregnet. Das sah man den Buschröschen vor dem Haus an. Sie erhoben sich aus grauer, klumpiger Erde, die Blätter wurden bereits am Rand braun, und erste Knospen ließen die Köpfe hängen. Darum bemühte sich sonst der Rentner aus dem Erdgeschoss. Der lag jedoch im Krankenhaus. Vielleicht sollte sie sich um die Bewässerung kümmern. Aber zuerst musste Arco raus. Sie sprang vom Rad, schob das Bike durch den Flur und trug es in den Keller. Dann lief sie die Stufen zu ihrer Wohnung hinauf. Arco begrüßte sie stürmisch, wedelte wild mit dem Schwanz und bellte freudig.

»Pscht!«, flüsterte Paula leise und streichelte dem Schäferhund sanft über den Kopf. »Du weckst ja das ganze Haus auf!« Sie warf ihren Rucksack in den Flur, ging ins Schlafzimmer und tauschte Straßenschuhe, Jeans und Pullover gegen ihre Laufsachen. Die langen Haare bändigte sie mit einem großen Zopfgummi zu einem losen Dutt. Dann griff sie nach Leine und Geschirr.

»Na, dann komm, mein Guter!«, rief sie leise. Sie schnallte ihm das Geschirr um, klinkte die Leine ein und verließ das Haus. Ein Blick aufs Smartphone zeigte ihr, dass sie den Sonnenaufgang in den Feldern bei den Windrädern am Predigtstuhl erleben könnte. Es war genau 6.27 Uhr, als sie loslief und über die Kopfhörer ihres Smartphones »Geiles Leben« von Glasperlenspiel hörte. Sie trabte aus der Siedlung heraus, Arco lief brav neben ihr. Die Luft hatte sich erwärmt, vermutlich würde es wieder ein schöner Tag werden. Bald ließ Paula den Schützenhof hinter sich, um über einen breiten Feldweg Richtung Bornekamp zu laufen, ein Naherholungsgebiet, das sich bis zu einem Dorf namens Billmerich erstreckte. Sie stoppte einen Moment, um Arco von der Leine zu lassen. Zu ihrer Rechten lag ein dichtes Waldstück. Links von ihr tat sich ein Acker auf, im Hintergrund begrenzt von der A44, auf der sich bereits reger Verkehr tummelte. Die Musik in ihren Ohren übertönte den Verkehrslärm. Paula liebte die Einsamkeit der Morgenstunden. Selten, dass ihr so früh ein Jogger oder ein Gassigänger entgegenkam, die waren meist später unterwegs.

Arco war in das Wäldchen eingetaucht und kam nun von vorn auf sie zugeschossen. Anstatt sie jedoch zu umkreisen, um dann neben ihr zu laufen, preschte er an ihr vorbei und bellte laut. Als Paula sich verwundert umdrehte, sah sie den Grund seines Unmuts. Am Ende des Feldweges, wo sie noch vor zwei Minuten langgelaufen war, fuhr ein Motorrad im Schritttempo hinter ihr her. Wegen der Musik in ihren Ohren hatte sie nichts bemerkt. Alles an der Szenerie war schwarz: Das Motorrad, die Lederkluft von Fahrer und Sozius, die schweren Stiefel des Fahrers, die bei der langsamen Fahrt lässig den Boden berührten, selbst die undurchsichtigen Visiere der Helme. Paula fröstelte trotz der lauen Temperaturen. Der Feldweg war für motorisierte Fahrzeuge gesperrt. Es war eigentlich nur ein Spazier- und Laufweg, den lediglich Radfahrer befahren durften.

Etwas Bedrohliches ging von dem Motorrad aus. Sie griff Arco ins Geschirr und klinkte die Leine ein. Paula hatte Angst. Eine Angst, die langsam aufstieg, sich im Nacken sammelte und von dort eine Gänsehaut über ihren Rücken jagte. Sie zog panisch an der Leine, wollte Arco in das angrenzende Wäldchen locken, wohin das Motorrad ihnen nicht folgen konnte. Aber Arco hatte die Vorderläufe gespreizt und hielt den Kopf gesenkt. Ein tiefes Grollen entwich seiner Kehle. Sie konnte ziehen und zerren, wie sie wollte, er bewegte sich keinen Zentimeter rückwärts. Jetzt begann er sogar erneut, laut zu bellen. Paula setzte sich verzweifelt auf eine Parkbank am Wegrand und wickelte dabei die Hundeleine zweimal um ihre Hand. Sie zitterte am ganzen Körper, hätte im Moment keinen Schritt mehr tun können.

Der Fahrer des Motorrads hob nun seine Füße auf die Pedale und beschleunigte. Das Motorrad schoss heran. Paula erkannte, dass es sich um eine Kawasaki handelte. So ein Modell fuhr auch ihr direkter Flurnachbar Stefan Humboldt. Paula konnte Arco kaum bändigen, er bäumte sich im Geschirr auf. Kurz bevor die Kawasaki sie erreicht hatte, drosselte der Fahrer das Tempo. Der Beifahrer schmiss Arco einen Klumpen Hackfleisch vor die Füße, dann beschleunigte das Motorrad wieder und fuhr an ihr vorbei. Ehe Paula reagieren konnte, stürzte Arco sich auf das Fleisch, um es gierig zu verschlingen. Paula blickte dem Motorrad hinterher. Das war nicht ihr Nachbar gewesen, schoss es ihr durch den Kopf. Humboldt war von der Statur her kräftiger. Das Motorbike war bis zum Ende des Feldweges gefahren, hatte gewendet und stand nun dort in abwartender Haltung.

Arco begann zu röcheln und würgen. Blut lief aus seinem Maul.

Ein Hundeköder!, dachte Paula panisch. Sie kniete sich vor ihren Hund und hielt seinen Kopf. Blut tropfte auf ihre Sporthose. Tränen traten in ihre Augen. Kurz zog sie in Erwägung, die Polizei zu rufen, verwarf den Gedanken aber schnell. In der Vergangenheit hatte sie eher negative Erfahrungen mit der Staatsgewalt gemacht, außerdem würden die Beamten sowieso nicht rechtzeitig eintreffen. Paula schluckte die Tränen herunter, kraulte Arco am Hals und streichelte über seinen Kopf, als könne sie ihm so etwas von seinem Schmerz nehmen. Alles in ihr drängte, wegzulaufen, denn die Motorradfahrer würden zurückkommen. Dennoch war Paula unfähig, sich vom Fleck zu bewegen und ihren sterbenden Hund im Stich zu lassen. Im selben Moment schoss das Motorrad wieder heran und hielt knapp hinter Arco. Fahrer und Beifahrer stiegen ab. Beide waren schlank und größer als Paula mit ihren gerade mal 1,68 Metern.

Arcos Hinterteil knickte weg. Er hatte die Augen halb geschlossen und zitterte am ganzen Körper. Paula hielt seinen Kopf, bis seine Augen gänzlich zufielen, und legte ihn dann langsam auf den Boden. Ihre Gedanken rasten. Gab es für sie noch eine Fluchtmöglichkeit?

Ehe sie sich aufrichten konnte, bekam sie einen Tritt in die Seite. Sie kippte um und krümmte sich vor Schmerz. Noch ein Tritt in den Bauch, mehrere in den Rücken. Die schweren Motorradstiefel schienen ihr die Rippen zu brechen. Sie begann zu schreien, obwohl an diesem frühen Morgen niemand ihre Hilferufe hören würde. Keiner der beiden Motorradfahrer sprach ein Wort. Plötzlich hielt der Fahrer – er war größer als der Sozius – ein Messer in der Hand. Der Beifahrer drehte sie auf den Rücken, kniete sich hinter sie und fixierte ihre Hände am Boden. Der Fahrer nahm das Messer und hielt es ihr an die Kehle. Paula zitterte am ganzen Körper, aber allmählich kehrte auch ihr Überlebenswille zurück. Blitzschnell zog sie ihre Beine an, um sie dem Fahrer im nächsten Moment mit voller Wucht in den Unterleib zu rammen. Er stöhnte, krümmte sich, hielt sich den Bauch und rang nach Luft. Das gab Paula Auftrieb. Mit einem Ruck entzog sie sich dem Griff des Beifahrers und kam auf die Beine. Doch dieser hatte sie bereits wieder von hinten gepackt. Paula trat wie wild um sich, als der Fahrer sich wieder mit dem Messer näherte. Es streifte sie mehrfach an der Seite. Sie spürte die rasiermesserscharfe Klinge, die durch die Sportjacke ihre Haut aufritzte und merkte, wie ihr Blut langsam an der Seite hinunterlief. Der nächste Schnitt traf ihren Oberarm. Paula presste die Zähne zusammen, sie gab nicht auf. Ihr Tritt traf die Hand des Fahrers. Das Messer fiel zu Boden. Paula kickte es mit einem gezielten Tritt in eine Buschreihe, die vor dem Wäldchen wuchs. Der Fahrer fluchte, holte mit der behandschuhten Faust aus und traf sie mehrfach am Kopf. Jeder Treffer ließ ihr Gehirn erzittern. Langsam ließ Paulas Gegenwehr nach. Gegen die zwei Angreifer hatte sie auf Dauer keine Chance. Sie ahnte, wer die Schläger waren, glaubte zu wissen, wer sie geschickt hatte. Man verrät einen Bakro Taragos nicht. Einmal war ihr die Flucht vor dem Clan bereits gelungen, jetzt schien ihre Vergangenheit sie erneut eingeholt zu haben und ihr den Tod zu bringen.

Sie hatte die Hoffnung fast aufgegeben, als in der Ferne das Martinshorn ertönte. Ob doch jemand die Polizei informiert hatte? Ihre Angreifer wurden nervös und ließen von ihr ab. Paula hatte längst aufgehört zu schreien, sie fiel zu Boden, blieb bäuchlings mit dem Gesicht im Staub liegen. Die Biker schwangen sich auf das Motorrad und fuhren im nächsten Moment los. Doch das Geheul des gerade noch deutlich zu vernehmenden Martinshorns wurde leiser, schien sich wieder zu entfernen. Paula hob den Kopf und sah, dass der Sozius ihr den Kopf zudrehte. Wollten die beiden umkehren, nachdem die Gefahr für sie gebannt war? Paula warf einen Blick auf Arco. Er bewegte sich nicht und atmete nicht mehr. Der Hund hatte es überstanden. Paula stemmte sich auf ihre Ellbogen und schleppte sich mit letzter Kraft zur Parkbank. Die Biker hatten ihr das Liebste genommen, was sie in letzter Zeit besessen hatte. Sie hielt sich den schmerzenden Leib und begann leise zu weinen. Sollten sie ruhig zurückkommen und sie töten.

2

Kriminalhauptkommissarin Maike Graf bemühte sich, mit ihrem Kollegen, Oberkommissar Sören Reinders, Schritt zu halten. Sie hatte ihr braunes, halblanges Haar zu einem losen Dutt hochgesteckt, dennoch kam sie ins Schwitzen. Reinders schien den Tatort am Hibbingser Weg im Bornekamp möglichst schnell hinter sich lassen zu wollen. Und das lag vermutlich nicht an dem toten Schäferhund, den eine Spaziergängerin am frühen Morgen dort gefunden hatte. Seine Flucht hing wohl mit dem neuerlichen Aufeinandertreffen mit Jasmin Sauber vom KK11 Dortmund zusammen. Die junge Oberkommissarin war Teil einer Ermittlungskommission, die aus der benachbarten Großstadt angerückt war, um die Spurensicherung am Tatort zu übernehmen. Maike mochte die Kollegin nicht besonders. Jasmin war extrem erfolgsorientiert, vielleicht wollte sie ihre geringe Körpergröße mit ihrem Übereifer kompensieren. Reinders hatte vor einiger Zeit bereits mit ihr zusammenarbeiten müssen, als es in Unna eine Mordserie gab. Nach anfänglichen Diskrepanzen hatten sich die beiden letztendlich doch verstanden, und bei der Einweihungsfeier in Maikes Wohnung sah es durchaus nach mehr als beruflichem Interesse aus. Heute jedoch hatten die beiden kaum voneinander Notiz genommen.

»Was ist mit dir und Jasmin?«, fragte Maike nun außer Atem.

»Ach«, Reinders machte eine wegwerfende Handbewegung. »Die ist und bleibt eine eingebildete Zicke!«

Maike musste immer wieder zwei, drei Schritte in Laufschritt verfallen, um ihren Kollegen einzuholen. »Ach ja?«, tat sie erstaunt.

Reinders blieb ruckartig stehen. Seine braunen Augen funkelten wütend, als er sich fahrig mit den Fingern durch die blond gefärbten Haare strich. »Ich hab die blöde Tussi damals nach deiner Party nach Hause gebracht. Ich dachte wirklich, die Chemie stimmt zwischen uns. Als ich sie zum Abschied küssen wollte, hat sie mir kackfrech ins Gesicht gesagt, auf einen Oberkommissar, der in der Provinz arbeitet, würde sie sich bestimmt nicht einlassen.«

»Oha!«, meinte Maike und fühlte sich in ihrer Einschätzung der Kollegin mit den Engelshaaren bestätigt. »Unna ist doch keine Provinz. Und du bist ein toller Typ. Jasmin hat dich gar nicht verdient.«

»Hm«, erwiderte Reinders schulterzuckend. Er erreichte zuerst den Dienstwagen und warf ihr die Wagenschlüssel zu.

Maike setzte sich hinters Steuer, startete den Motor und blickte noch einmal auf die Adresse, die sie von der Zentrale bekommen hatten. Der Schäferhund war bei einer Frau namens Paula Horváth gemeldet, wohnhaft im Schützenhof. Da man am Tatort Blut gefunden hatte, das augenscheinlich nicht von dem Hund stammte, musste man davon ausgehen, dass die Hundehalterin überfallen worden war. Maike lenkte den Dienstwagen um die nächste Biegung, schien sich aber für die falsche Richtung entschieden zu haben. Deshalb wurden sie vom Straßenverlauf an fast allen Häusern der rechteckig angelegten Siedlung vorbeigeführt. Mehrfamilienhäuser mit spitzen oder schirmförmig aufgesetzten Dachgauben und kleinen, akkurat angelegten Vorgärten säumten ihren Weg, während sie langsam durch die Gassen dicht hintereinander parkender Autos rollten. Als sie fast ihren Ausgangspunkt erreicht hatten, hielt Maike vor einem schlicht gestrichenen Neubau in Grau mit vier Wohneinheiten. Die Beamten verließen den Dienstwagen und gingen auf den Eingang zu. Maike Graf konzentrierte sich auf die Schellen und versuchte, die Namen zu entziffern, von denen jeder mit der Hand geschrieben und hinter eine durchsichtige Kunststoffklappe geschoben war. Reinders stand hinter Maike, blies laut den Rauch seiner Zigarette aus und trat sie dann auf den Eingangsstufen aus, bevor er sie ins Beet kickte.

»Schobiak … Markward … Humboldt … Ganz oben der Name könnte Horváth heißen …«

Reinders schob Maike beiseite, warf selbst einen Blick auf die verblichenen Namensschilder, dann betätigte er eine Klingel nach der anderen. »Einer wird schon aufmachen!«, meinte er lakonisch.

Tatsächlich schnarrte Augenblicke später der elektrische Türöffner. Sie drückten die Haustür auf und betraten einen Flur mit weißen Betonwerksteinfliesen. Durch einen Glasbausteinstreifen an der rückwärtigen Wand fiel Sonnenlicht ein und ließ Maike blinzeln.

»Wollen Sie zu mir?«, kam eine tiefe Männerstimme aus der Wohnungstür im rechten Parterre. Ein kräftiger Mittfünfziger mit Stirnglatze und Jogginganzug sah sie ziemlich griesgrämig an.

Maike lächelte freundlich, zeigte ihren Ausweis und fragte mit Blick auf das Namensschild an der Tür: »Entschuldigen Sie die Störung, Herr Markward. Wir sind auf der Suche nach Paula Horváth.«

»Und deswegen schellen Sie mich aus dem Schlaf? Ich arbeite in Schicht! Wissen Sie, was das bedeutet?«, blaffte er. »Eine Unverschämtheit, auf alle Klingeln zu drücken, nur um ins Haus zu kommen! Wenn die Horváth niemanden sehen will, müssen Sie eben ein anderes Mal wiederkommen!«

Bevor Maike sich rechtfertigen konnte, knallte er bereits seine Wohnungstür zu, dass es laut durchs Treppenhaus schallte.

»Der hat ja noch bessere Laune als ich!«, flachste Reinders und nahm auf dem Weg in den ersten Stock gleich zwei Stufen auf einmal. Dann legte er seinen Zeigefinger auf den Klingelknopf der Wohnung Horváth und schellte kurz. Als niemand öffnete, klingelte er anhaltend. Das durchgehende Summen war nervtötend. Eine Minute später wurde die Tür einen Spalt geöffnet. Eine junge Frau, auffallend blass, mit großer Sonnenbrille, die das halbe Gesicht verdeckte, zeigte sich dahinter. Sie war kleiner als Maike und wirkte mit ihrer zarten Figur zerbrechlich. Ihr hüftlanges, rotblondes Haar, das sie mit einem schwarzen Haarband zu bändigen versuchte, wirkte im Sonnenlicht fast golden. Sie trug eine dunkle Sporthose, die aussah, als hätte die Frau sich damit ihm Staub gewälzt. Der weite, feinmaschige Strickpulli in Blassgrau, der ihr fast bis zu den Knien reichte und in dem sie förmlich versank, war dagegen sauber.

»Ja, bitte?« Selbst ihre Stimme klang zerbrechlich.

Maike zückte ihren Ausweis. »Hauptkommissarin Graf, das ist mein Kollege Reinders. Wir hätten einige Fragen an Sie, Frau Horváth, dürfen wir kurz hereinkommen?«

Die junge Frau wich keinen Millimeter zurück. »Worum geht es denn?«, frage sie abweisend und schob die Tür wenige Zentimeter zu.

Maike seufzte. Spontan würde sie jede Wette eingehen, dass die junge Frau das Opfer eines Überfalls im Bornekamp geworden war, bei dem auch ihr Hund getötet wurde. Die dunkle Sonnenbrille, die verdreckte Hose, das große Oberteil, das viel verbergen konnte, sprachen dafür. Dazu kam ihre gekrümmte Haltung. Allerdings schien Frau Horváth den Überfall mit sich selbst ausmachen zu wollen. Vielleicht traute sie der Polizei nicht zu, ihr helfen zu können, oder sie wollte den Täter schützen. Auch Selbstjustiz war nicht auszuschließen, ihr ablehnendes Verhalten ließ jedenfalls kaum Hoffnung auf eine Kooperation ihrerseits aufkommen.

»Sie sind die Besitzerin eines Schäferhundes?«

Frau Horváth nickte.

»Ihr Hund wurde im Bornekamp tot aufgefunden. Die tierärztliche Untersuchung ergab, dass er Hackfleisch, gespickt mit zerkleinerten Rasierklingen aufgenommen hat. Wir haben in der Nähe des Hundes eine Menge vermutlich menschlichen Blutes gefunden. Außerdem ein Klappmesser mit frischem Blut. Sind Sie heute früh überfallen worden, Frau Horváth?«

Paula Horváth schüttelte kaum merklich den Kopf und schluckte. Sie sprach langsam, aber in akzentfreiem Deutsch, obwohl ihr Gesicht osteuropäische Züge aufwiesen: Hohe Wangenknochen, ein eher rundliches Porzellangesicht und über der Sonnenbrille lugten dichte, fast schwarze Augenbrauen hervor. Sie schien sich äußerst zusammennehmen zu müssen, hatte scheinbar starke Schmerzen.

»Nein«, sagte sie endlich. »Arco ist mir heute Morgen entwischt, als ich mit ihm Gassi gehen wollte. Als er auf mein Rufen nicht kam, bin ich nach Hause gegangen. Er kennt ja den Weg, hab ich gedacht.«

Eine glatte Lüge, dachte Maike. Laut sagte sie: »Würden Sie freundlicherweise die Sonnenbrille abnehmen und die Ärmel Ihres Pullis hochschieben?«

Paula Horváths Miene erstarrte zu einer abweisenden Maske. Dennoch nahm sie die Brille zögernd ab. Ihr rechtes Auge sah aus wie von einem schweren Faustschlag getroffen und war fast zugeschwollen.

»Hören Sie!« Ihre Stimme hatte jetzt nichts Zerbrechliches mehr an sich, sondern klang bestimmend und resolut. »Ich gehe nachts putzen. Wenn ich in den frühen Morgenstunden nach Hause komme, ist Arco … war Arco kaum noch zu halten. Als ich heute die Wohnungstür aufschloss und ihm Geschirr und Leine anlegte, ist er so stürmisch an mir vorbeigeschossen, dass er mich umgerissen hat und ich die Treppe bis unten heruntergefallen bin. Ich muss dabei mit dem Auge auf eine der Stufenkanten aufgekommen sein. Jedenfalls schmerzt nicht nur mein Auge höllisch, sondern auch mein gesamter Körper. Deshalb konnte ich meinem Hund nicht folgen, als er mir vor dem Haus ausgerissen ist. Es ist schrecklich, dass er nun an so einem widerlichen Hundeköder verreckt ist.«

Reinders war mit seiner Geduld am Ende. Das hörte man an dem tiefen Atemzug, den er scharf durch die Nase inhalierte. »Das können Sie Ihrer Großmutter erzählen, gute Frau!«, murrte er. »Ich glaube Ihnen nicht, dass Sie die Treppe heruntergefallen sind! Ich glaube auch nicht an Zufälle! Das Fleisch im Maul Ihres Hundes war frisch. Das lag nicht schon Stunden auf dem Gehweg, sondern muss ihm gezielt zugeworfen worden sein. Zu so früher Stunde sind Hundehasser wohl kaum unterwegs. Die legen ihre Köder in der Dunkelheit aus. Ihr Hund wurde bewusst unschädlich gemacht. Warum, Frau Horváth?«

Paula Horváth verschränkte die Arme vor der Brust. »Sie haben eine blühende Fantasie. Außerdem bin ich Ihnen keine Rechenschaft schuldig. Wenn ich Ihnen sage, ich wurde nicht überfallen, dann müssen Sie mir das schon glauben!« Sie wollte wütend die Tür zuschieben, doch Reinders stellte seinen Fuß dazwischen.

»Zeigen Sie meiner Kollegin doch bitte Ihren Oberkörper. Zeigen Sie ihr, dass Sie keine Verletzungen von einem Messer haben! Dann haben wir unseren Job gemacht und wissen, dass wir anderswo nach einem potenziellen Opfer suchen müssen.«

Das unversehrte Auge von Paula Horváth blitzte böse. »Das ist Nötigung, Herr Kommissar. Wenn Sie keinen Ärger mit Ihrem Vorgesetzten wollen, sollten Sie mich jetzt unverzüglich in Ruhe lassen.«

Maike versuchte es auf die verständnisvolle Tour. »Frau Horváth! Wenn man Sie überfallen hat, können Sie uns helfen, den Täter zu fassen. Warum wollen Sie ihn schützen, indem Sie schweigen?«

»Ich wurde nicht überfallen!«, schrie die Frau schrill. »Und jetzt lassen Sie mich in Ruhe!«

Reinders zuckte die Schultern und zog den Fuß aus der Tür. »Wir besorgen uns einen richterlichen Beschluss. Dann sehen wir weiter.« Damit drehte er sich um und lief die Treppen hinab.

Maike warf der jungen Frau einen letzten bittenden Blick zu. »Sie können mir vertrauen. Ich will Ihnen doch nur helfen! Wer hat Ihnen das angetan? Wir haben einige Fußabdrücke sichern können. Außerdem Reifenspuren eines Motorrads. Waren Ihre Angreifer zu zweit? Haben Sie Angst, dass sie zurückkommen?«

Paula Horváth schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht überfallen worden«, wiederholte sie leise und schob ihre Wohnungstür zu.

Maike schüttelte resigniert den Kopf, folgte Reinders zum Wagen und nahm neben ihm auf dem Beifahrersitz Platz. Schon brach eine wahre Schimpfsalve aus ihm heraus:

»Diese blöde Kuh!«, brach es aus ihm heraus. »Will die warten, bis ihr Angreifer zurückkommt und sie totschlägt? Es ist immer dasselbe. Wir werden erst geholt, wenn es zu spät ist. Du glaubst doch auch, dass die Frau überfallen wurde?«

Maike nickte. »Ja, deutet vieles darauf hin. Aber wenn sie keine Hilfe von uns annimmt, können wir nichts machen. Außer, es gelingt uns, den Staatsanwalt davon zu überzeugen, dass sie sich in Lebensgefahr befindet und eingeschüchtert wird. Vielleicht besorgt er uns beim Richter dann die Genehmigung für einen DNA-Abgleich.«

Reinders startete den Motor. »Einen Versuch ist es wert!«

3

Paula schleppte sich zurück ins Bett. Die Polizei war das Letzte, was sie brauchte. Wann hatte die ihr je geholfen? Niemals! Und das würde auch jetzt nicht anders sein! Sie zog sich die Bettdecke bis zum Hals. Durch das geschwollene Auge nahm sie die karge Einrichtung ihres Schlafzimmers nur verschwommen wahr. Viel gab es sowieso nicht zu sehen. Ein Schrank und das Bett, das war’s. Sich nicht zu heimisch fühlen, das war in den letzten Jahren ihr Motto gewesen. Immer bereit, von einem Tag auf den anderen die Zelte abzubrechen.

Jetzt war es also wieder so weit!

Sie schloss die Augen, um die aufkommenden Tränen wegzudrücken. Schweißperlen traten ihr auf die Stirn und ein Schwindelgefühl erfasste sie. Vermutlich hätte sie nicht gleich drei der Tabletten, die ihr der freundliche Flurnachbar Stefan Humboldt zugesteckt hatte, auf einmal schlucken sollen, ohne zuvor etwas zu essen.

Immer wieder musste sie an den Überfall denken. Inzwischen hatte sie nicht mehr die geringste Ahnung, wie lange sie blutend und schluchzend auf der Parkbank gesessen hatte. Irgendwann hatte sie registriert, dass die Motorradfahrer nicht zurückkommen würden. Als der Schock des Überfalls nachließ und höllischen Schmerzen in ihrem geschundenen Körper Platz machte, hatte sie sich hochgequält und mit wackeligen Beinen auf den Heimweg gemacht. Es brach ihr fast das Herz, ihren toten Hund zurückzulassen. Einige Male musste sie stehen bleiben, weil es ihr schwarz vor Augen wurde und sich alles um sie drehte. Sie presste eine Hand auf die pochende Wunde an ihrer linken Seite, um die Blutung zu unterdrücken. Als sie nach einer gefühlten Ewigkeit die Eingangstür ihres Wohnhauses erreichte, lief sie direkt ihrem Nachbarn Stefan Humboldt in die Arme, der seinen Dienst im Katharinenhospital antreten wollte.

Im Nachhinein war es das Beste gewesen, was ihr hatte passieren können. Aber sie wollte sich erst an ihm vorbeidrücken, hatte etwas von einem Sturz beim Laufen und einem Scherbenhaufen gemurmelt, der ihr den Arm und den Unterleib aufgeschlitzt hätte. Natürlich hatte Humboldt ihr kein Wort geglaubt, doch er drang auch nicht weiter in sie.

»Ich würde Sie am liebsten mit ins Krankenhaus nehmen«, hatte er gesagt. »Da hätte ich die besseren Versorgungsmöglichkeiten. Aber ich habe kein Auto. Sie wissen, dass ich mit dem Fahrrad zur Arbeit fahre. Ich werde einen Krankenwagen rufen!«

Als Paula vehement den Kopf schüttelte und versicherte, sie käme allein zurecht, nahm er dies irritiert hin. Er bestand jedoch darauf, sie zu verarzten, und zog sie in seine Wohnung, wo er ihre Wunden reinigte und desinfizierte, die großen Schnitte tapte, und abschließend ihren Arm noch mit einem Salbenverband verschloss. Jeder Griff saß und Paula merkte, dass Humboldt in seinem Beruf aufging. Für das geschwollene Auge gab er ihr zwei Kühlpads. Bevor er mit dem Rad ins Katharinenhospital fuhr, wo heute um 8 Uhr sein Dienst als Assistenzarzt in der Ambulanz begann, steckte er ihr eine Packung Schmerztabletten zu. Dabei ermahnte er sie, sich zu schonen. Gegen Abend wollte er noch einmal nach ihr sehen.

Das Vibrieren ihres Smartphones riss Paula aus den Gedanken. Mühsam richtete sie sich auf und bekam mit Mühe ihre verschmutzte, kaputte Sportjacke zu fassen, die Humboldt am Fußende über das Bett gelegt hatte. Paula fischte das Telefon aus der Jackentasche und nahm das Gespräch entgegen.

»Hallo?« Ihre Stimme klang brüchig und schwach. Sie lauschte, hörte nur ein unterdrücktes Atmen und bekam sofort Herzrasen. Sie bekam selten Anrufe. Nur wenige Personen kannten ihre Handynummer. Wer war da in der Leitung? Wollten ihre Angreifer sich überzeugen, dass sie erfolgreich gewesen waren? Woher hatte sie ihre Rufnummer? Würden sie zurückkommen?

Paulas Hand mit dem Smartphone begann zu zittern. Sie sah am Display, dass der Anrufer seine Nummer unterdrückt hatte, und beendete das Gespräch hastig. Dann ließ sie sich in ihr Kissen zurückfallen. Sie lag mit geschlossenen Augen da, spürte das Pochen der Wunden und den Druck an ihrem geschwollenen Auge, das sich kaum noch öffnen ließ. Sie fühlte sich verletzbar wie selten in ihrem Leben.

Was sollte sie jetzt machen? Untätig hier herumliegen, brachte sie nicht weiter. Sie würde ihre Flucht vorbereiten müssen. Aber wem konnte sie trauen? Wer könnte ihr helfen? Niemand, den sie in den Jahren nach ihrer Haftzeit kennengelernt hatte, stand ihr so nahe, dass sie ihn um Hilfe bitten mochte. Sollte sie ihren Nachbarn Stefan Humboldt ins Vertrauen ziehen? Wenn er von ihrer Vergangenheit erführe, was würde er von ihr denken?

Nein! Da konnte sie auf kein Verständnis hoffen.

Und ihre Sippe? Vielleicht Daniel? Würde er helfen oder steckte er mit Onkel Bakro unter einer Decke? Handelte er in dessen Auftrag?

Die Verzweiflung nahm Paula die Luft zum Atmen. Wieder drehte sich alles in ihrem Kopf. Daniels Gesicht verdrängte das von Stefan Humboldt. Ihr Freund lachte hämisch, was eigentlich nicht zu ihm passte. Aber was wusste Paula schon, wie er sich in den letzten fünf Jahren verändert haben mochte. Er war ihr früher immer ein treuer Begleiter gewesen, war wie sie Mitglied des Clans und seit seiner Jugend verliebt in Paula. Nachdem vor fünf Jahren in einer groß organisierten Polizeiaktion der Clan in Köln und anderen Regionen Deutschlands und Polens hochgegangen war, hatte sie ihn lange Zeit nicht gesehen. Daniel hatte sich damals in die Niederlande abgesetzt, wo er heute als Programmierer sein Geld verdiente, wie er ihr vor einigen Tagen erzählt hatte. Da er mit seinen IT-Fertigkeiten sowieso stets nur im Hintergrund für Onkel Bakro tätig gewesen war, hatte man ihm eine Mittäterschaft damals nicht nachweisen können. Paula hatte im Prozess viele Namen genannt, allen voran den von Onkel Bakro, aber Daniel hatte sie nie erwähnt. Sie selbst war damals zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Nach zwei Jahren wurde sie wegen guter Führung auf Bewährung vorzeitig freigelassen.

Das erneute Vibrieren ihres Smartphones ließ Paula zusammenzucken. Sie riss die Augen auf, was ein schmerzhaftes Brennen in dem geschwollenen Auge zur Folge hatte. Fahrig tastete sie nach dem Smartphone. Wieder eine unterdrückte Nummer. Die Vibration des Handys jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Sollte sie den Anruf ignorieren? Der Summton verstummte. Paula atmete auf, rollte sich mühsam auf die Seite, das Smartphone immer noch in der Hand.

Sollte sie Daniel anrufen? Würde er ihr helfen?

Andererseits: Konnte es ein Zufall sein, dass ihr Freund sich vor wenigen Tagen nach fast fünf Jahren wieder bei ihr gemeldet hatte? Er war nicht allein gewesen, wie sie später feststellen musste.

Jetzt schien es, als sei mit ihm ihre Vergangenheit zurückgekommen. Sie hatten viel geredet, über ihre Kindheit und Jugend, über die Arbeit für Onkel Bakro und über die anderen Mitglieder des Clans. Aber irgendwann rückte Daniel mit seinem eigentlichen Anliegen heraus. Der mühsam erarbeitete Verdienst als Programmierer reiche ihm nicht. Er wolle das schnelle Geld machen. Und schließlich kam er zur Sache. Paula solle mit ihm in die Enkeltrickmasche einsteigen und wieder als Keiler arbeiten.

Dass sie ihm danach überhaupt weiter zugehört hatte! Sie hätte ihn umgehend aus ihrer Wohnung schmeißen sollen.

Daniel meinte, Onkel Bakro säße noch für Jahre im Knast und nach seiner Entlassung würde er nicht in sein altes Leben zurückkönnen. Seine Ära sei zu Ende. Seine Villa mit dem vielen Prunk und Protz, seine Luxusschlitten, die Juwelen und die Designerroben gehörten der Vergangenheit an. Nach seiner Entlassung könne er von Hartz IV leben, wenn er Glück habe. Wahrscheinlich würde er sich aber sowieso ins benachbarte Ausland absetzen – nach Polen oder Ungarn.

Wieder einmal wurde Paula bewusst, was sie mit ihrem damaligen Verrat alles in Gang gesetzt hatte. Sie hatte Lebenswerke zerstört! Sie hatte den Clan zerrissen, war sogar für Tote verantwortlich. Und nun wollte Daniel dort anknüpfen, wo Onkel Bakro aufgehört hatte. Ihr Jugendfreund hatte beteuert, dass er es mit der Masche auf keinen Fall übertreiben wolle. Lediglich im kleinen Rahmen, mit einem oder zwei Helfern wollte er arbeiten. Um das Fundament für eine gemeinsame Existenz mit Paula zu schaffen. Weit weg von Bakro Taragos.

Paula hatte sich von Daniels Gerede einlullen lassen. Seine Argumente und Zukunftsvisionen hatten sich vor einigen Tagen wie ein Traum angehört. Nie wieder mitten in der Nacht aus dem Haus müssen, um für zwei, drei Stunden – je nach Auftragslage – im Industriegebiet zu putzen. Dabei immer mit dem Rad durch die Stadt, ob bei Regenschauern im Frühling, drückender Schwüle im Sommer, Orkanböen im Herbst oder eisigen Temperaturen im Winter.

Wieder riss das Vibrieren des Smartphones Paula aus ihren Gedanken. Und wieder war es ein anonymer Anruf! Wie unter Zwang nahm sie das Gespräch an.

»Miese Verräterin!«, flüsterte eine raue Stimme. »Wir werden noch zu Ende bringen, was wir heute begonnen haben!«

Paulas Daumen schnellte auf das Display und beendete die Verbindung. Ihr Herz raste. Sie musste etwas unternehmen! Ihr würde nichts anderes übrig bleiben, als Daniel anzurufen.

Aber er hatte sie belogen!

Denn als er nach seinem Besuch ihre Wohnung verließ und sie ihm durch ihr Wohnzimmerfenster nachsah, erkannte sie bei ihm zwei ehemalige »Abholer« des Clans. Sofort wurde Paula klar, dass Daniel ihr nicht die Wahrheit gesagt hatte. Hatte sein Plan doch größere Dimensionen angenommen, als er zugab? Oder würde er Onkel Bakro helfen, sich an ihr zu rächen? Als Daniel und seine Begleiter gemeinsam den Schützenhof verließen, war ein mulmiges Gefühl in der Magengegend zurückgeblieben. Und jetzt, nach dem brutalen Überfall war sie sicher, dass sein Lebenszeichen nach so langer Zeit mit dem Anschlag auf sie im Zusammenhang stehen musste.

Paula zuckte zusammen, als ihr Smartphone erneut vi­brierte. Sie drückte das Gespräch weg und starrte auf das Display. Arcos treue Augen blickten sie als Hintergrundbild an. Ach wäre er doch bei ihr! Wie gut es tun würde, wenn er jetzt an ihrem Fußende Platz machen und seinen Kopf auf ihren Beinen ablegen würde. Sie würde sich beschützt und getröstet fühlen.

Aber Arco war tot!

Paula barg ihren Kopf in ihrer Armbeuge und begann zu weinen. Ihr Körper zitterte, ihr geschwollenes Auge brannte. Als die Wunde an ihrer Seite immer heftiger zu pochen begann und sie befürchten musste, dass die von Humboldt geklebten Tapes nicht mehr lange halten würden, versuchte sie sich zu beruhigen. Sie wischte sich mit dem Lakenzipfel die Tränen aus dem Gesicht, nahm das Smartphone wieder auf und öffnete ihre Kontaktliste.

Sie brauchte Hilfe! Sie brauchte Klarheit! Dringend!

Langsam scrollte sie die wenigen eingespeicherten Namen hinunter und stoppte den Suchlauf, als sie die Nummer von Daniel fand. Sie würde ihn jetzt anrufen und ihm ihren Verdacht an den Kopf werfen. Dabei würde sie merken, ob er hinter dem Überfall und den feigen Anrufen steckte. Er war immer ein schlechter Lügner gewesen.

»Paula!«, meldete er sich erfreut. »Hast du dich entschieden? Du bist dabei, oder? Wir werden das schnelle Geld machen und danach bauen wir uns eine solide Existenz auf!«

In seiner Stimme klangen Ehrlichkeit und Vorfreude. Paula war verunsichert. Ihre zurechtgelegten Worte versickerten in ihrem Kopf.

Als sie schwieg, wirkten seine Worte besorgt: »Paula? Was ist mit dir? Geht es dir nicht gut?«

»Man hat mich überfallen!«, brach es aus ihr heraus. Und dann erzählte sie ihm von dem Angriff und ihrem Hund, der nun tot war, und dass sie es vermutlich nur einem Zufall zu verdanken habe, dass sie noch am Leben sei. Auch die anonymen Anrufe erwähnte sie.

Er tat schockiert. »Das ist furchtbar, Paula! Wie kann ich helfen? Ich komme so schnell nicht weg. Der Weg von Venlo nach Unna ist weit. Du warst doch beim Arzt? Hast du die Polizei verständigt?«

Seine Anteilnahme erschien ihr durchaus ehrlich gemeint zu sein, dennoch saß der Stachel des Zweifels tief. Erneut dachte sie an das Zusammentreffen Daniels mit den »Abholern« vor ihrem Haus. Sie sprach ihn darauf an.

Seine Fürsorge wich einem unsicheren Stottern. Er schien mit sich zu ringen, wie viel Wahrheit Paula vertragen könnte. Endlich rückte er mit der Sprache heraus: Es sei einige Wochen her, da hätten plötzlich Slatko Breuer und Sergej Timoschenko – jene ehemaligen »Abholer« – vor seiner Wohnungstür im niederländischen Venlo gestanden. Onkel Bakro wolle seine Fühler nach Paula ausstrecken, mit der er noch eine Rechnung offen habe.

Paulas Finger, die das Smartphone hielten, begannen zu zittern. Sie lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück. Daniel steckte also tatsächlich mit Onkel Bakro unter einer Decke.

»Du Verräter!«, flüsterte Paula. »Wie konntest du mich nur ans Messer liefern! Ich habe dich damals aus allem rausgehalten!«

»Paula!«, rief Daniel Novak entsetzt. »Nein! Das verstehst du falsch. Sie haben mich unter Druck gesetzt. Mit meinen IT-Kenntnissen sei es eine Kleinigkeit, dich zu finden. Ich versprach ihnen, es zu versuchen. Aber ich habe dich nicht verraten! Wenn ich dich nicht gefunden hätte, wäre es jemand anderem gelungen. Dem wollte ich zuvorkommen. Ich schickte die beiden fort und dann habe ich im Netz nach dir gesucht. Schließlich ist es mir gelungen. Ich machte mich sofort in meinem Auto auf den Weg, um dich zu warnen. Mir wurde klar, in welcher Gefahr du schwebst, und egal, wohin du auch versuchen würdest zu flüchten, der Clan würde dich immer finden. Unterwegs kam mir der Gedanke, die Enkeltrickmasche wieder aufleben zu lassen. Mit dem Geld könnten wir beide uns absetzen und ich würde dich danach beschützen.« Er beschwor sie, ihm zu glauben. Sie müsse doch wissen, dass er seit seiner Jugend in sie verliebt sei.

»Warum hast du mir nicht gleich die Wahrheit gesagt? Zumindest, dass Slatko und Sergej eingeweiht sind?«

»Aber das stimmt doch nicht! Die beiden waren mir gefolgt, als ich dich warnen wollte. Als ich deine Wohnung verließ, lief ich direkt in ihre Arme und bekam selbst einen Riesenschreck. Ich versuchte, sie auf meine Seite zu ziehen. Ich versprach ihnen einen ordentlichen Anteil, wenn sie für mich arbeiten. Und ehrlich, Paula: Ich sah die Gier in ihren Augen. Sie sind geil auf das Geld, glaub mir.«

Paula seufzte. Sie tastete nach einem Kühlpad, und obwohl dies schon lauwarm war, hielt sie es auf das geschwollene Auge. Die Schmerzen in ihrer Seite waren schier unerträglich und machten es schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Außerdem knurrte ihr Magen. Sie brauchte dringend ein ordentliches Frühstück und danach noch einmal zwei Schmerztabletten.

»Daniel … ich denke, sie haben dir etwas vorgemacht. Wie kannst du ihnen so blind vertrauen? Sie sind Onkel Bakro treu ergeben.«

Daniel Novak schwieg. Auch Paula blieb stumm. Wenn Daniel vor wenigen Tagen zu ihr gekommen war, um sie zu warnen, warum hatte er dies dann mit keinem Wort erwähnt? Weshalb hatte er nur versucht, sie davon zu überzeugen, wieder als Keiler zu arbeiten?

»Paula«, sagte er jetzt leise. »Ich liebe dich! Niemals könnte ich etwas zulassen, das dich in Gefahr bringt! Ich hätte dir erzählen müssen, dass Slatko und Sergej mich aufgesucht haben, aber ich hatte Angst, dass du meine Idee dann von vornherein ablehnst. Du solltest in Ruhe darüber nachdenken können. Ich werde mit den beiden reden, und wenn sie mit dem Überfall zu tun haben, dann gnade ihnen Gott.«

Seine Worte klangen aufrichtig, dennoch wusste Paula nicht, ob sie ihnen Glauben schenken konnte. Die Wunde in ihrer Seite pochte, als seien die Tapes aufgeplatzt. Das geschwollene Auge ging kaum noch auf, dazu gesellten sich aggressive Kopfschmerzen. Daniel redete weiter auf sie ein, doch sie konnte sich nicht mehr auf seine Worte konzentrieren. Sie brauchte jetzt ein Frühstück. Sie wimmelte ihn mit wenigen Worten ab und machte ihm klar, dass es für sie nicht mehr infrage käme, als Keiler zu arbeiten.