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Prof. Dr. Frank Daumann ist Inhaber des Lehrstuhls für Sport- und Gesundheitsökonomie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Dr. Lev Esipovich ist Lehrkraft für besondere Aufgaben am Lehrstuhl für Sport- und Gesundheitsökonomie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Frank Daumann | Lev Esipovich

Kostenrechnung für Arztpraxen

Grundlagen, Methoden und Fallbeispiele

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Einbandmotiv: iStockphoto, © ronstik

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

1. Auflage 2020

© UVK Verlag 2020

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eMail: info@narr.de

CPI books GmbH, Leck

ISBN 978-3-7398-3067-4 (Print)

ISBN 978-3-7398-8067-9 (ePDF)

ISBN 978-3-7398-0019-6 (ePub)

Vorwort

Der steigende Druck zur Wirtschaftlichkeit macht auch vor dem Gesundheitswesen nicht halt. Nicht nur Krankenhäuser, sondern auch niedergelassene Ärzte sind daher zunehmend gezwungen, betriebswirtschaftlich sinnvolle Entscheidungen zu treffen.

Eine wesentliche Voraussetzung, dies leisten zu können, ist jedoch die Kenntnis der relevanten Informationen. Ein in diesem Zusammenhang elementares Instrument stellt die Kostenrechnung dar: Sie bildet zum einen ab, wo und in welcher Höhe Kosten im Betrieb entstanden sind, und zum anderen hilft sie die Frage zu beantworten, ob die Kosten in ihrer Höhe auch angemessen sind. Die Kostenrechnung liefert also unabdingbare Informationen.

Der klassische Anwendungsbereich dieses betriebswirtschaftlichen Werkzeuges ist der Industriebetrieb mit seinem Fokus auf die Produktion von Sachgütern. Nun weist die Arztpraxis insbesondere aufgrund des Fokus auf die Erstellung von Dienstleistungen, die zudem häufig im Komplex erbracht werden, und der vorzufindenden Entlohnungsformen erhebliche Unterschiede zu einem klassischen industriellen Produktionsbetrieb auf. Somit ist es erforderlich, die Kostenrechnung auf die Charakteristika der Arztpraxis zu adaptieren.

Dies sind die Gründe, weswegen wir uns entschlossen haben, dieses Lehrbuch zu verfassen. Es soll zum einen die Kostenrechnung im Rechnungswesen verorten und die Grundlagen der Kostenrechnung vermitteln. Zum anderen soll es aufzeigen, wie eine Kostenrechnung vor dem Hintergrund der charakteristischen Merkmale einer Arztpraxis eben dort aufgebaut und durchgeführt werden kann.

Zur Entstehung dieses Buchs hat insbesondere Frau Aylin Faber, M. sc., beigetragen. Ihr gebührt unser Dank. Zudem sei besonders Herrn Dr. med. Hansjörg Keller für die zahlreichen Anregungen und Diskussionen gedankt. Ein herzliches Dankeschön gilt den Teilnehmern der vielen Kurse des MBA-Studiengangs Health Care Management an der Universität Bayreuth, die durch ihre Wissbegierde und durch rege Diskussionen dieses Buches maßgeblich initiiert haben.

Wir wünschen dem geneigten Leser viel Freude bei der Lektüre und freuen uns über entsprechende Anregungen.

Jena, im Sommer 2020

Frank Daumann und Lev Esipovich

Für Ute, Hugo, Elfried, Ferdinand, Johann Abdul und Rosamarie

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1Einführung

2Besonderheiten im deutschen Gesundheitswesen

3Rechnungswesen in der Arztpraxis

3.1Arztpraxis – eine betriebswirtschaftliche Annäherung

3.1.1Die Arztpraxis als Betrieb

3.1.2Hauptzweck und Zielsetzung

3.1.3Leistungsproduktion und Rolle des Rechnungswesens

3.2Externes und internes Rechnungswesen in der Arztpraxis

3.2.1Externes Rechnungswesen

3.2.2Internes Rechnungswesen

3.3Funktionen der Kostenrechnung in der Arztpraxis

3.4Zusammenfassung des Kapitels

Literaturempfehlungen

4Grundlagen der Kostenrechnung

4.1Begriff und Merkmale der Kostenrechnung

4.2Grundbegriffe der Kostenrechnung

4.2.1Aufwand und Ertrag

4.2.2Kosten und Leistungen

4.2.3Neutraler Aufwand

4.2.4Zweckaufwand und Grundkosten

4.2.5Kalkulatorische Kosten

4.2.6Neutraler Ertrag

4.2.7Zweckertrag und Grundleistungen

4.2.8Kalkulatorische Leistungen

4.3Gliederung der Kosten

4.3.1Einzelkosten und Gemeinkosten

4.3.2Variable und fixe Kosten

4.4Kostenfunktion

4.5Prinzipien der Kostenrechnung

4.5.1Verursachungsprinzip

4.5.2Proportionalitätsprinzip

4.5.3Durchschnittsprinzip

4.5.4Tragfähigkeitsprinzip

4.6Allgemeiner Ablauf der Kostenrechnung

4.7Betriebsabrechnungsbogen

4.8Systeme der Kostenrechnung

4.8.1Ist-, Normal- und Plankostenrechnung

4.8.2Voll- und Teilkostenrechnung

4.9Zusammenfassung des Kapitels

Literaturempfehlungen

5Vollkostenrechnung in der Arztpraxis

5.1Kostenartenrechnung in der Arztpraxis

5.1.1Kostenerfassung

5.1.2Kosteneinteilung nach Kostenarten

5.1.2.1Personalkosten

5.1.2.2Werkstoffkosten

5.1.2.3Kalkulatorische Kosten

5.1.2.4Dienstleistungskosten

5.1.3Aufteilung der Kosten nach Einzel- und Gemeinkosten

5.1.4Zusammenfassung: Kostenartenrechnung in der Arztpraxis

5.2Kostenstellenrechnung in der Arztpraxis

5.2.1Gliederung von Kostenstellen

5.2.2Ablauf der Kostenstellenrechnung

5.2.3Verfahren zur innerbetrieblichen Leistungsverrechnung

5.2.3.1Kostenschlüssel

5.2.3.2Anbauverfahren

5.2.3.3Kostenstellenausgleichsverfahren

5.2.4Zusammenfassung: Kostenstellenrechnung in der Arztpraxis

5.3Kostenträgerrechnung in der Arztpraxis

5.3.1Kostenträger in der Arztpraxis

5.3.2Kostenträgerstückrechnung

5.3.3Kostenträgerzeitrechnung

5.3.4Zusammenfassung: Kostenträgerrechnung in der Arztpraxis

5.4Auswertung der Vollkostenrechnung

5.5Probleme und Defizite der Vollkostenrechnung

5.6Anwendungsbeispiel für die Vollkostenrechnung

Literaturempfehlungen

6Teilkostenrechnung in der Arztpraxis

6.1Grundlagen der Teilkostenrechnung

6.2Deckungsbeitragsrechnung im Rahmen der Erfolgsrechnung

6.2.1Einstufige Deckungsbeitragsrechnung (Direct Costing)

6.2.2Mehrstufige Deckungsbeitragsrechnung

6.3Break-Even-Analyse in der Arztpraxis

6.3.1Grundlagen der Break-Even-Analyse

6.3.2Ansatz der Break-Even-Analyse im Kontext der Arztpraxen

6.4Zusammenfassung des Kapitels

Literaturempfehlungen

Quellenverzeichnis

Stichwortverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1Klassische Hauptfinanzierungsarten

Abb. 2Grundsystematik der Arztpraxis als Dienstleistungsbetrieb

Abb. 3Bestandteile des Rechnungswesens

Abb. 4Adressaten des externen Rechnungswesens in der Arztpraxis

Abb. 5Adressaten des internen Rechnungswesens in der Arztpraxis.

Abb. 6Funktionen der Kostenrechnung in der Arztpraxis

Abb. 7Abgrenzung zwischen Aufwand und Kosten

Abb. 8Arten von kalkulatorischen Kosten

Abb. 9Abgrenzung zwischen Ertrag und Leistung

Abb. 10Verhältnis zwischen Einzel- und Gemeinkosten sowie variablen und fixen Kosten

Abb. 11Kostenauflösung nach dem mathematischen und statistischen Verfahren

Abb. 12Kostenfunktion beim linearen Kostenverlauf

Abb. 13Schematischer Ablauf der Kostenrechnung.

Abb. 14Kostenrechnungssysteme.

Abb. 15Aufgabenbereiche der Plankostenrechnung

Abb. 16Ablauf der Kostenartenrechnung

Abb. 17Kostenerfassung

Abb. 18Lohnformen

Abb. 19Abschreibung in der Arztpraxis

Abb. 20Abschreibungsmethoden

Abb. 21Graphische Darstellung der Abschreibungsmethoden

Abb. 22Faktoren für die Bestimmung des kalkulatorischen Mischkapitalzinses

Abb. 23Betriebliche Risiken und kalkulatorische Wagniskosten

Abb. 24Kalkulatorische Löhne/Gehälter in der Arztpraxis

Abb. 25Typische Aufbauorganisation eines MVZs

Abb. 26Allgemeiner Ablauf der Kostenstellenrechnung

Abb. 27Beziehungen zwischen Vor- und Endkostenstellen.

Abb. 28Graphische Darstellung des Stufenleiterverfahrens

Abb. 29Formen der Kostenträgerrechnung

Abb. 30Kalkulationsverfahren

Abb. 31Ablauf der Gemeinkostenverrechnung auf die Kostenträger in einer Arztpraxis

Abb. 32Vergleich des Umsatz- und Gesamtkostenverfahrens

Abb. 33Entwicklung der Personalkosten pro Patienten und Jahr

Abb. 34Fixkostenproportionalisierung.

Abb. 35Prinzipien der Kostenverrechnung bei Teil- und Vollkostenrechnung

Abb. 36Betriebsabrechnungsbogen bei der Teilkostenrechnung

Abb. 37Allgemeine Vorgehensweise im Rahmen der mehrstufigen Deckungsbeitragsrechnung

Abb. 38Graphische Darstellung der Break-Even-Analyse

Abb. 39Break-Even-Analyse in der Arztpraxis

Tabellenverzeichnis

Tab. 1Merkmale des wertmäßigen Kostenbegriffs

Tab. 2Betriebsabrechnungsbogen (BAB).

Tab. 3Merkmale der Ist-, Normal- und Plankosten

Tab. 4Gliederung der Kosten

Tab. 5Vergleich zwischen kalkulatorischer und bilanzieller Abschreibung.

Tab. 6Nutzungsdauer und Abschreibungssatz von Wirtschaftsgütern der Arztpraxis

Tab. 7Vergleich linearer, arithmetisch- und geometrisch-degressiver Abschreibungsart.

Tab. 8Aktivseite der Bilanz einer Arztpraxis.

Tab. 9Bewertung des betriebsnotwendigen Vermögens.

Tab. 10Gewerbe-Mietspiegel 2018, Landkreis Meißen sonstige Städte und Gemeinden.

Tab. 11Arten der innerbetrieblichen Leistungsbeziehung.

Tab. 12Kostenstellengliederung in der Arztpraxis

Tab. 13Kostenschlüsselkategorien in der Arztpraxis

Tab. 14Anwendung des Anbauverfahrens in der Arztpraxis.

Tab. 15Anwendung des Stufenleiterverfahrens in der Arztpraxis

Tab. 16Anwendung des Gleichungsverfahrens in der Arztpraxis

Tab. 17Mögliche Kostenträger in einer Arztpraxis.

Tab. 18Gemeinkostenverrechnung auf Kostenträger.

Tab. 19Angepasster Betriebsabrechnungsbogen für Arztpraxen.

Tab. 20Praxisergebnisberechnung nach dem Umsatzkostenverfahren.

Tab. 21Zeitliche Zuordnung des Personals.

Tab. 22Zuordnung der Personalkosten auf die Kostenstellen.

Tab. 23Abschreibungen auf die Praxis- und Laboreinrichtung

Tab. 24Abschreibungen auf die medizinischen Geräte

Tab. 25Kalkulatorische Zinsen auf die Praxis- und Laboreinrichtung

Tab. 26Kalkulatorische Zinsen auf die medizinischen Geräte

Tab. 27Zuordnung der Raumkosten

Tab. 28Zuordnung der sonstigen Kosten.

Tab. 29Verteilung der Gemeinkosten.

Tab. 30Durchführung der innerbetrieblichen Leistungsverrechnung.

Tab. 31Aufstellung der Einzelkosten.

Tab. 32Berechnung der Selbstkosten.

Tab. 33Berechnung der Abweichungen.

Tab. 34Fixkostenhierarchien in einer Arztpraxis

Abkürzungsverzeichnis

A

Aufwand

ABM

Arbeitsbeschaffungsmaßnahme

AfA

Absetzung für Abnutzungen

AO

Abgabenordnung

B

Basiswert

BAB

Betriebsabrechnungsbogen

BE

Betriebsergebnis

BEP

Break-Even-Point

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BNK

betriebsnotwendiges Kapital

BNV

betriebsnotwendiges Vermögen

D

Degressionsbetrag

DB

Deckungsbeitrag

EDV

elektronische Datenverarbeitung

Eg

Ertrag

EK

Endkostenstelle

Es

Erlös

EStDV

Einkommensteuer-Durchführungsverordnung

EStG

Einkommensteuergesetz

EU

Europäische Union

EÜR

Einnahmen-Überschuss-Rechnung

EUR

Euro

GK

Gemeinkosten

GKV

Gesamtkostenverfahren

GMG

Gesundheitsmodernisierungsgesetz der gesetzlichen Krankenversicherung

HGB

Handelsgesetzbuch

Hrsg.

Herausgeber

IGeL

Individuelle Gesundheitsleistungen

ILV

innerbetriebliche Leistungsverrechnung

K

Kosten

KBV

Kassenärztliche Bundesvereinigung

Kfix

Fixkosten

KTr

Kostenträger

kv

variable Kosten (pro Mengeneinheit)

kv

variable Kosten (gesamt)

KV

Kassenärztliche Vereinigung

MVZ

Medizinisches Versorgungszentrum

ND

Nutzungsdauer

RW

Restwert

U

Umsatz

UKV

Umsatzkostenverfahren

UStG

Umsatzsteuergesetz

var

variabel

VK

Vorkostenstelle

1Einführung

Die Akteure im ambulanten Sektor des Gesundheitswesens in Deutschland sehen sich mit einer Reihe von Entwicklungen konfrontiert, die für sie erhebliche ökonomische Auswirkungen haben: Zum einen interveniert der Gesetzgeber ständig, um die Ausgaben im Gesundheitswesen einzudämmen, wovon freilich der ambulante Bereich und dessen Honorierung auch nicht verschont bleiben. Zum anderen resultieren aus dem Mangel an Fachkräften erhebliche Herausforderungen. Und schließlich lässt die demographische Entwicklung eine zunehmende Beanspruchung des Leistungsangebots im ambulanten Sektor – und nicht nur dort – erwarten.

All diese Entwicklungen verursachen bei den ambulant tätigen Ärzten eine zunehmende Verknappung der finanziellen Mittel und auch anderer Ressourcen. Der daraus resultierende massive Kostendrucks zwingt zum Sparen. Dies bringt jedoch nicht nur negative Aspekte mit sich, sondern kann von Praxisinhabern auch als eine Chance aufgefasst werden, die Wirtschaftlichkeit der Arztpraxis zu erhöhen und damit die Organisation weiterzuentwickeln. Außerdem entspricht die Notwendigkeit der Kostenminimierung den immer stärker werdenden Anforderungen seitens der Eigentümer, Patienten sowie der Krankenkassen nach einem zunehmend bewussten und sparsamen Umgang mit den vorhandenen Ressourcen.

Um diesen aktuellen Anforderungen gerecht zu werden und die finanzielle Situation zu sichern, benötigen Praxisinhaber neben der medizinischen auch betriebswirtschaftliche Kompetenz – vor allem verlässliche Daten sowohl für die Steuerung der Kosten als auch für die Messung der Effizienz (im Sinne des Kosten-Leistungs-Vergleichs). Solche Daten können dabei mit der nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten aufgebauten Kostenrechnung gewonnen werden. Dieses Führungsinstrument liefert damit die notwendige Datengrundlage zur Erhöhung der Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit einer Arztpraxis. Darüber hinaus kann die Kostenrechnung eine verursachungsgerechte Kalkulation der Leistungsangebote gewährleisten und eine bisher nicht vorhandene Kosten- und Leistungstransparenz gegenüber allen Anspruchsgruppen schaffen. Ausgehend von diesen generellen Aufgaben sollte die Kostenrechnung gegenwärtig und in Zukunft ein zentrales Element des operativen Controllings in jeder Arztpraxis bilden.

Trotz ihrer hohen Bedeutung für das Praxismanagement ist die Kostenrechnung in vielen Arztpraxen noch kaum verbreitet. Vielfach begnügen sich Ärzte mit den Informationen, die sie aus der Einnahmen-Überschuss-Rechnung gewinnen können. Befürchtet wird vor allem die damit verbundene Steigerung des Arbeitsaufwandes und der Kosten. Oft fehlen den für das Rechnungswesen verantwortlichen Mitarbeitern, die i. d. R. die Praxisinhaber selbst sind, auch die entsprechenden Kenntnisse. Die Defizite im kostenrechnerischen Wissen können jedoch schwerwiegende Folgen für die Finanz- und Ertragslage einer Praxis haben (z. B. aufgrund falscher Kalkulation des Patientenumsatzes und der damit einhergehenden Terminvergabe).

Aber nicht nur in der Praxis, sondern auch in konzeptioneller Hinsicht wird der Kostenrechnung in Arztpraxen teilweise nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt. Der Fokus der einschlägigen Literatur liegt klassischerweise auf der Industriekostenrechnung. Darüber hinaus wurden einige kostenrechnerische Konzepte in Nonprofit-Organisationen (NPOs) entwickelt (z. B. Fillinger, 1995). Im Fokus von Kostenmanagementansätzen im Gesundheitswesen standen in der Vergangenheit aufgrund der monetären Volumina und damit verbundener Einsparpotentiale in erster Linie Krankenhäuser. Die Notwendigkeit einer Kostenrechnung für Arztpraxen wurde zwar in den 1990er-Jahren erkannt (Frodl, 1996; 2011; 2016; Koch, 2012), jedoch wurden seitdem kaum die Anpassungen von gesundheitspolitischer Seite für ambulante Einrichtungen, wie Arztpraxen und MVZ-Strukturen, berücksichtigt.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Kostenrechnung in Arztpraxen aus praktischer Sicht von großer Bedeutung ist, aber aus konzeptioneller Sicht als noch entwicklungsfähig erscheint. Das vorliegende Buch soll daher den Einsatz der Kostenrechnung in Arztpraxen umfangreich und detailliert erläutern. Dabei wird das Konzept der Praxiskostenrechnung Schritt für Schritt entwickelt, sodass der Leser auf diese Weise einen detaillierten Einblick in die kostenrechnerischen Grundlagen sowie spezifischen Instrumente bekommt, die im Praxiskontext angewandt werden können. Somit eignet sich das vorliegende Buch nicht nur für fortgeschrittene, sondern auch für ungeübte Kostenrechner. Darüber hinaus ist es als Lehr- und Übungsbuch konzipiert. Dies bedeutet, dass theoretische Inhalte mit zahlreichen Fallstudien und Aufgaben ergänzt wurden, um das erworbene Wissen an konkreten Beispielen anzuwenden und damit zu festigen.

2Besonderheiten im deutschen Gesundheitswesen

Um das Funktionieren von Arztpraxen zu verstehen, ist zunächst eine Erläuterung des Kontexts, nämlich des deutschen Gesundheitswesens, notwendig. Dieses ist historisch gewachsen und durch zahlreiche Besonderheiten charakterisiert. Bedingt durch den Fokus dieses Lehrbuchs werden in erster Linie die Eigenarten des ambulanten Sektors beschrieben.

Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V und § 193 Abs. 3 VVG (Gesetz über den Versicherungsvertrag) obliegt jedem Einwohner Deutschlands die Pflicht zum Abschluss einer Krankenversicherung, um im Krankheitsfall auf die Funktion der Krankenkassen als Kostenträger zurückgreifen zu können. Im deutschen Gesundheitssystem existieren die gesetzliche und private Krankenversicherung nebeneinander. Die Höhe des Arbeitsentgelts als beitragspflichtige Einnahmen sowie die Art der Tätigkeit, wie beispielsweise Selbstständigkeit, sind ausschlaggebend für die Möglichkeit zum Beitritt in die private Krankenversicherung. Folglich können die gesetzliche und private Krankenversicherung als substituierende Versicherungsträger im Falle von erfüllten Voraussetzungen bezeichnet werden. Sind die Beitrittsvoraussetzungen in die private Krankenversicherung nicht erfüllt, bleibt die Krankenversicherungspflicht für die gesetzliche Krankenversicherung erhalten.

Leistungserbringung und -abrechnung gesetzlich versicherter Patienten

Eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung besteht für Personen, deren beitragspflichtige Einnahmen unter der sog. Versicherungspflichtgrenze bzw. Jahresarbeitsentgeltgrenze liegen. Diese liegt im Jahr 2020 bei einem monatlichen Bruttoeinkommen aus Arbeitsentgelt oder Rentenzahlungen (§§ 226 und 228 SGV V) in Höhe von 5.212,50 Euro bzw. 62.550 Euro jährlich.

In der gesetzlichen Krankenversicherung haben die Versicherten gemäß § 175 SGB V ein allgemeines Kassenwahlrecht. Bei der gewählten Krankenkasse zahlt der Versicherte seinen Anteil an Krankenversicherungsbeiträgen, die sich aus paritätischen Beiträgen für den Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie möglicherweise einen seit 2015 anfallenden Zusatzbeitrag für den Versicherten zusammensetzen. Im Gegenzug erhält der Versicherte eine Mitgliedbescheinigung wie auch eine elektronische Gesundheitskarte (eGK). Mit Hilfe dieser Karte weist sich der Patient in der Arztpraxis aus. Die medizinische ärztliche Leistung erhält der Patient gemäß dem Sachleistungsprinzip.

Am Quartalsende übermittelt der Arzt die Abrechnungsdaten an die regional zuständige Kassenärztliche Vereinigung (KV). Nach erfolgreicher Prüfung der Daten wird dem Arzt auf Grundlage der Leistungserbringung das zustehende Arzthonorar für das eingereichte Quartal ausgezahlt. Die Basis der Finanzierung bilden nach §§ 83ff. SGB V Gesamtverträge zwischen den KVen und den Krankenkassenverbänden über die vertragsärztliche Versorgung. Die Gesamtvergütung bemisst sich anhand der folgenden drei Bestandteile:

imageMorbiditätsbedingte Gesamtvergütung (MGV): Diese bemisst sich am Behandlungsbedarf der im KV-Bezirk wohnenden Patienten.

imageExtrabudgetäre Gesamtvergütung (EGV): Diese betrifft Leistungen außerhalb der MGV und inkludiert besonders förderungswürdige Leistungen, wie onkologische Leistungen oder ambulante Operationen, die keiner Mengenbegrenzung unterliegen.

imageZusätzliche Zahlungen: Diese können im Falle eines nicht vorhersehbaren Behandlungsbedarfs, wie z. B. Epidemien, notwendig werden.

Das zu verteilende Honorarvolumen erhält die jeweilige KV von den Gesetzlichen Krankenkassen gemäß dem Wohnortprinzip (§ 85 SGB V): Die Basis hierzu bilden die im KV-Bereich wohnenden Versicherten je Krankenkasse und deren Morbiditätsstruktur. Die sog. Kopfpauschale pro Versicherungsmitglied an die KV erfolgt mit befreiender Wirkung, sodass über diesen Betrag hinaus der Krankenkasse keine weitere Zahlungsverpflichtung obliegt und somit keine Nachforderungen erhoben werden können.

Bedingt durch deren Sicherstellungsauftrag für die ambulante medizinische Versorgung fungieren die Kassenärztlichen Vereinigungen als Vermittlerinstitution zwischen den ambulant tätigen Ärzten und den Gesetzlichen Krankenkassenverbänden. In dieser Funktion übernehmen die KVen auch die Verteilung der fach- und hausärztlichen Gesamtvergütung anhand des Honorarverteilungsmaßstabes (HVM) gemäß §§ 84 Abs. 4 und 87b SGB V: Die Berechnung der einzelnen Vergütungsanteile je Praxis bzw. Arzt erfolgt auf Basis des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM). Der Bewertungsausschuss der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und des GKV-Spitzenverbandes legt hierzu jährlich einen deutschlandweiten Orientierungspunktwert (OPW) fest (§ 81 Abs. 1 SGB V). Dieser stellt die Grundlage der regional geltenden und morbiditätsbedingten Punktwerte in den einzelnen KV-Regionen dar. Die zugrundeliegenden Bewertungszahlen des EBM werden mit dem geltenden Punktwert in Euro-Cent multipliziert, um den Euro-Betrag zu erhalten, der für die erbrachte medizinische Leistung anzusetzen ist.

Der nach § 87 Abs. 2e SGB V ermittelte Behandlungsbedarf in den einzelnen KV-Bezirken bildet die Basis für die zu errechnenden arzt- und praxisbezogenen Regelleistungsvolumina (RLV). Die prospektiv verteilten quartalsweisen Honorarvolumina orientieren sich dabei an den tatsächlich erlösten Einzelleistungen in Form von Fallzahlen des Vorjahresquartals. Um eine überproportionale Mengenausweitung, wie sie bis 2008 stattfand, zu vermeiden, existieren seit 2009 Wirtschaftlichkeitsprüfungen bei Auffälligkeiten und Zufallsstichproben sowie prozentuale Abstaffelungen bei Überschreitungen von arztgruppenspezifischen Fallzahlen.

Seit dem 01.01.2012 obliegt die Art und Weise der Honorarverteilung den einzelnen regionalen KVen. Die bis dato bundesweit einheitlich geltende Verteilung anhand des RLV wurde aufgehoben. Daraufhin entschlossen sich die KVen Thüringen, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz für die Abschaffung der RLV und für die Einführung der Honorarverteilung anhand von Punktzahlen (Ullmann & Busch, 2016, S. 32f.; Wendland, 2016, S. 32ff.). Die anderen 14 KV-Bezirke orientieren sich in unterschiedlichen Formen an der Verteilung über Regelleistungsvolumina.

Leistungserbringung und -abrechnung privat versicherter Patienten

Ab einem jährlichen Bruttoeinkommen von 62.550 Euro (Stand: 2020) besteht für den Versicherten ein Wahlrecht zum Wechsel in die private oder zum freiwilligen Verbleib in der gesetzlichen Krankenkasse. Durch Zahlung einer risikoorientierten Prämie versichert sich der Patient direkt bei einem i. d. R. privatwirtschaftlichen Versicherungsunternehmen.

Im Gegensatz zur gesetzlichen fußt die private Krankenversicherung auf dem sog. Kostenerstattungsprinzip: Entsprechend rechnet der Arzt die erbrachte medizinische Leistung direkt mit dem Patienten ab. Anschließend reicht der Patient den Beleg über die ärztlichen Leistungen bei seiner Krankenversicherung ein und erhält, je nach Vertragsbestimmungen, die Kosten ggfs. unter Abzug eines Selbstbehaltes erstattet. Die Abrechnungsgrundlage bildet die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ); sie stellt eine Einzelleistungsvergütung dar: Demnach wird jeder Leistung der GOÄ ein Punktwert als Umrechnungsfaktor in Euro-Cent zugeschrieben. Aufgrund des Behandlungsaufwands, der beispielsweise vom Alter des Patienten oder der Schwere der Erkrankung abhängig ist, kann ein Steigerungsfaktor zwischen dem einfachen und 3,5-fachen Gebührensatz Anwendung finden (Hermanns, 2018, S. 27f.).

Darüber hinaus existieren sog. individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL), die über die in § 12 SGB V genannten „ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Leistungen“ des Kataloges der gesetzlichen Krankenversicherung hinausgehen und den wahlärztlichen Leistungen angehören. Hierunter fallen beispielsweise Früherkennungsuntersuchungen, medizinisch-kosmetischen Leistungen oder Anwendungen mit unklarer Wirksamkeit (BÄK, 2014, S. 27f.). Auch gesetzlich versicherte Patienten haben Zugang zu diesen GOÄ-Leistungen. Allerdings sind IGeL sowohl von privat als auch von gesetzlich Versicherten nur nach schriftlicher Vereinbarung gemäß § 630c BGB abrechenbar und direkt vom Patienten zu begleichen.

Möglichkeiten der Praxisorganisation

Im deutschen Gesundheitssystem existieren diverse Möglichkeiten der Praxisorganisation. Diese reichen von Einzelpraxen über Zusammenschlüsse einzelner Praxen zu Praxisgemeinschaften bis hin zu Medizinischen Versorgungszentren (MVZ). Während Praxisgemeinschaften eher kleinere Organisationseinheiten darstellen, sind in einem MVZ durchschnittlich 6,2 Ärzte beschäftigt (KBV, 2019, S. 3).

Diese Organisationsformen fußen auf unterschiedlichen Geschäftsmodellen und Zielsetzungen. Das MVZ stellt derzeit eine sich zunehmend verbreitende Form dar, weil insbesondere Krankenhäuser die Möglichkeit der Gründung nutzen, um in den ambulanten Sektor vorzudringen.

3Rechnungswesen in der Arztpraxis

Eine Arztpraxis ist als gewinnorientiertes Unternehmen zu verstehen, das bestimmte Gesundheitsleistungen produziert. Durch die Erstellung der medizinischen Leistungen werden Produktionsfaktoren verbraucht oder in Anspruch genommen, wofür Kosten anfallen, und durch Leistungsabsatz werden Erlöse erzieht. In Bezug darauf ist das Praxismanagement auf Informationen der Kostenrechnung angewiesen, die für die Planung, Organisation und Überwachung der Produktionsprozesse sowie für die Kalkulation von privaten Leistungen, wie etwa die privat zu entrichtenden individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL), notwendig sind.

In diesem Kapitel erfolgt zunächst eine betriebswissenschaftliche Annäherung an die Artpraxis, indem ihre Ziele, Leistungen und Leistungsproduktion erläutert werden. Danach wird das interne und externe Rechnungswesen der Arztpraxis anhand der Zwecke und Adressaten voneinander abgegrenzt. Anschließend findet eine Auseinandersetzung mit den Funktionen der Kostenrechnung in der Arztpraxis statt.

3.1Arztpraxis – eine betriebswirtschaftliche Annäherung

In Deutschland nahmen zum 31.12.2018 175.294 Ärzte und Psychotherapeuten an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Diese praktizierten in 81.863 Einzelpraxen, in 26.021 Berufsausübungsgemeinschaften und in 3.173 MVZs (KBV, 2020a). Im Hinblick auf diese Zahlen ist Ärzten, die an der vertragsärztlichen Versorgung, d. h. von gesetzlich versicherten Patienten teilnehmen, mit Abstand die bedeutendste Rolle in der ambulanten medizinischen Versorgung zuzuschreiben. Zudem dienen die ambulant praktizierenden Ärzte als Gatekeeper, also als erste Ansprechpartner der Patienten, für die stationäre Versorgung. In den letzten Jahren ist die ambulante Versorgung außerdem zu einem wichtigen Arbeitgeber in Deutschland geworden. Seit Inkrafttreten des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) im Jahr 2004 und der damit einhergehenden Gründungsmöglichkeit von MVZs ist auch eine Anstellung von Ärzten im ambulanten Sektor möglich. Bis zum 31.12.2018 stieg der Anteil an angestellten Ärzten an der Gesamtzahl der niedergelassenen Ärzte bis auf insgesamt 20,7 Prozent an (KBV, 2020b).

Bevor das betriebswirtschaftliche Instrument der Kostenrechnung in der Arztpraxis betrachtet werden kann, bedarf es der Einstufung der Praxen als Betrieb und der Beschreibung des entsprechenden Leistungserstellungsprozesses. Hierfür findet schwerpunktmäßig eine Auseinandersetzung mit den betrieblichen Merkmalen, dem Hauptzweck und der Leistungsproduktion statt. Schließlich wird auf die Bedeutung des Rechnungswesens als betriebswirtschaftliche Querschnittsfunktion in Arztpraxen eingegangen.

3.1.1Die Arztpraxis als Betrieb

Als Betrieb wird grundsätzlich eine Wirtschaftseinheit bezeichnet, die Sachgüter und/oder Dienstleistungen durch Kombination bestimmter Produktionsfaktoren produziert (in Anlehnung an Jung, 2016, S. 6). Diese Definition trifft auf Arztpraxen zu, da im Mittelpunkt ihrer Tätigkeit auch eine Produktion und Verteilung knapper Gesundheitsleistungen steht. Der Absatz der hergestellten Dienstleistungen folgt dabei dem sog. „Uno-actu-Prinzip“, dem zeitlichen Zusammenfallen von Erstellung und Konsum (Breyer et al., 2013, S. 189). Zudem herrscht im deutschen Gesundheitswesen weitgehend das sog. Gatekeeper-Prinzip, das besagt, dass jeder Versicherte einen selbst gewählten Hausarzt hat, der für ihn als erster Ansprechpartner im Krankheitsfall dient und ihm das Tor in das Gesundheitssystem öffnet. In Arztpraxen werden Patienten den Kunden gleichgesetzt.