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Table of Contents

Titel

Impressum

Prolog

1. Allein

2. Angst, Geschrei, Prügel

3. Missbrauch

4. Eine große Liebe

5. Immer brutaler

6. Vermeintlicher Ausweg

7. Wieder gefangen

8. Flucht

9. Eine neue Liebe und Lügen

10. Entführung

11. Frei?

12. Leben mit der Angst

13. So ist der schönste Tag im Leben

14. Martinas heutiges Leben

Mein Schatz

Danksagung

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Martina Woknitz

 

 

 

 

Von Hölle zu Hölle

Missbraucht vom Vater,

vergewaltigt vom Ehemann

 

Roman mit autobiografischem

Hintergrund

 

 

 

 

 

 

 

 

 

DeBehr

 

Copyright by: Martina Woknitz

Herausgeber: Verlag DeBehr, Radeberg

Erstauflage: 2018

ISBN: 9783957535443

Umschlaggestaltung Copyright by Fotolia by kalligrafie

 


Prolog

Martina sitzt ganz früh morgens in ihrer Küche auf dem Stuhl und schaut aus dem Fenster. Draußen ist herrliches Wetter. Es ist Mai und die Natur erwacht immer mehr in ihren schönsten Farben. Alles grünt und blüht. Von diesem Anblick bekommt man direkt gute Laune. Martina schaut jedoch nicht aus dem Fenster und freut sich an diesem Anblick. Nein, sie starrt eher mit leeren, freudlosen Augen hinaus. Sie nimmt die Schönheit der erwachenden Natur nicht wahr. Weit weg sein möchte sie, ganz weit weg. Ihre Erfahrungen und Erinnerungen sind so schmerzhaft, ihre Seele schreit. Vor Martinas innerem Auge laufen die Szenen ihrer fürchterlichen Kindheit und Jugend sowie auch die schmerzvollen Erfahrungen ihrer Ehe ab. Sie denkt an das ständige Alleinsein vom Kleinkindalter an, sie denkt an die Strenge und Schläge ihrer Eltern und an den sexuellen Missbrauch durch ihren Vater. Die letzten 20 Jahre ihrer Ehe lassen sie zittern. Ihr ganzer Körper vibriert, wenn sie nur an ihren Ehemann Michael denkt. Er ist gewalttätig, eher schon sadistisch. Er demütigt, schlägt und vergewaltigt sie, wie ihm gerade beliebt. Jegliche Anwendung von Gewalt ist ihr nicht mehr fremd. Martina steckt mittendrin in diesen Orgien der Gewalt und sie sieht kein Entrinnen. Sie weiß, dass sie etwas ändern muss, wenn sie das alles überleben will. Sie steckt fest wie in Ketten der Angst. Sie sieht einfach keinen Ausweg. ‘Aber es muss doch etwas geben, wie ich mich befreien kann’, grübelt sie zum wiederholten Mal. Langsam steht sie auf und geht in das Bad. Vor dem Spiegel bleibt sie stehen und betrachtet sich. ‘Das bin ich nun’, denkt sie. Sie sieht in ein aschfahles Gesicht mit dunklen Augenringen. Ihr Körper ist erschreckend dünn, ihre Haare kraftlos und ohne jeglichen Glanz. Martina trägt jetzt eine Kurzhaarfrisur. Ihre schönen langen, blonden Haare wurden abgeschnitten. Sie weiß, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt: Entweder macht sie weiter wie bisher, erträgt alles und es wird ihr immer schlechter gehen, bis sie das alles noch mit ihrem Leben bezahlt oder sie beendet das alles. Auch von Selbstmord hat sie schon so oft geträumt, aber die Angst davor hielt sie immer zurück. Sie starrt in den Spiegel, dreht sich angewidert weg und geht wieder zu ihrem Küchenstuhl, setzt sich und starrt hinaus. Martina hat zwei Tage Urlaub, ihr Mann Michael ist auf Arbeit. Ein paar Stunden zum Durchatmen bleiben ihr, bis er wieder da ist. Die letzte Nacht war der reinste Horror, stundenlang hat er sie auf das Übelste verprügelt und vergewaltigt, so wie fast jede Nacht.

Die Gedanken holen sie erbarmungslos ein. Schon als kleines Kind erfuhr sie Gewalt und Missbrauch, das setzt sich in ihrer Ehe fort. Jetzt sitzt sie in ihrer Küche und ihre Gedanken schweifen ganz weit zurück.

 


1. Allein

Martina war ein kleines, fröhliches und wildes Kind. Sie hatte lange, blonde Locken. Wenn sie sich Bilder aus diesem Alter betrachtet, streichelt sie zärtlich das Foto und lächelt. Sie war ein süßes Kind. Ihre Eltern bauten ein Haus, als Martina drei Jahre alt war. Vorher wohnten sie in einer heruntergekommenen Wohnung mit Außentoilette, ohne Bad und Heizung. Nur ein Kohleofen war in der Küche. Jedoch hat sie daran kaum noch Erinnerungen, das erzählten ihr ihre Eltern.

Aber an den Einzug in das neue Eigenheim kann sich Martina sehr gut erinnern. Sie dachten, sie würden in ein Schloss ziehen. Ein eigenes Badezimmer, schöne große und helle Räume und Martina durfte ein eigenes Zimmer beziehen. Ihre Eltern waren beide Ingenieure und verdienten gutes Geld. Martina fehlte es an nichts. Sie hatte alles, wovon kleine Kinder nur träumen. Ihr Zimmer quoll fast über vor lauter Spielzeug. Martina lief durch das ganze Haus und plapperte und plapperte nur so drauf los. Sie hüpfte und sprang durch alle Räume und auf den Betten herum. Sie war unendlich glücklich. Denn auch ihre Eltern schienen glücklich zu sein. Ihre Mutter strahlte mit Martina um die Wette. Ihr Vater werkelte noch in den Zimmern an irgendetwas herum. Es sollte alles wunderschön werden. Ihre Mutter hatte alle Hände voll zu tun, Martina ein bisschen zur Ruhe zu bekommen. Das klappte jedoch nicht. Die kleine Maus freute sich einfach zu sehr und da sie von Natur aus ein bisschen wild war, hatte ihre Mutter keine Chance. Doch das Toben ihrer Tochter ging ihr so langsam auf die Nerven. “Martina, jetzt geh doch mal in dein Zimmer und spiele ein bisschen. Ich habe noch zu tun”, blaffte sie Martina an. Die Kleine sah ihre Mutter erschrocken wegen des Tonfalls an und sagte leise: “Aber Mama, ich spring doch nur ein bisschen rum, weil ich mich so freue.” Streng sah ihre Mutter sie jetzt an: “Ich sagte, du sollst in dein Zimmer gehen und etwas spielen.” Das hörte Martina jedoch nicht mehr, sie hüpfte weiter durch das ganze Haus.

Plötzlich spürte sie einen Schmerz an ihrem Arm und sah erschrocken in das vor Wut verzerrte Gesicht ihrer Mutter. Sie hatte die Kleine am Arm gepackt und schrie ihr ins Gesicht: “Du. Sollst. In. Dein. Zimmer. Gehen!!” Um ihren Worten noch Nachdruck zu verleihen, schlug sie ihr mit der flachen Hand erst in das kleine Gesicht und dann ein paar Schläge auf den Po. Martina war so erschrocken, dass sie erst gar nicht weinen konnte. Ihre Mutter zerrte sie bis ins Kinderzimmer und schleuderte ihr kleines Mädchen hinein, dass sie auf dem Boden landete und liegen blieb. Martina konnte sich nicht mehr bewegen.

Der Schock und die Schmerzen waren zu groß. “Hier bleibst du jetzt und lässt mir meine Ruhe”, schrie sie die Kleine an.

Als Martina allein im Zimmer war, schlug ihr Herz vor Angst bis zum Hals, ihr Arm und ihr Po schmerzten. Langsam setzte sie sich auf und dann brachen alle Dämme. Sie weinte hemmungslos. Lustlos sah sie ihr Spielzeug an. Auf dem Boden vor ihr lag eine Puppe mit beweglichen Augen und echtem Haar. Diese ergriff sie und drückte ihr die Augen nach innen. Sie weinte bitterste Tränen dabei. Langsam stand sie auf und legte sich auf ihr Bett. Sie verstand das alles nicht. ‘Ich habe mich doch nur so gefreut, ich wollte doch nicht böse sein’, sagte sie zu sich selbst. Sie versprach sich, ab jetzt immer ganz, ganz lieb zu sein. In ihren kindlichen Gedanken wusste sie natürlich nicht, wie sie das anstellen sollte.

Nach dem Abendbrot an diesem Tag sollte Martina gebadet werden. Darauf freute sie sich natürlich. Nicht mehr in der Plastikwanne auf dem Küchentisch baden, die so klein war, dass sie ihre kleinen Beinchen nicht mal lang machen konnte. Jetzt hatten sie eine schöne, große, weiße Badewanne. Sie hüpfte voller Vorfreude ins Bad, ihr Vater ließ schon das Wasser ein. Die Badewanne war in weißgraue Glasfliesen eingefasst und am unteren Ende war ein Montageschacht aus 2 x 2 Fliesen angebracht. Martina wusste natürlich nicht, was das war und fragte ihren Vater. Der sagte: “Da ist der Popanz drin und der holt kleine Mädchen, wenn sie nicht lieb sind.” Martina starrte ihn mit großen, erschrockenen Augen an. Sie hatte unendliche Angst. Ihr Vater lachte jedoch nur hämisch. Er badete sie, wusch sie, an einigen Stellen wusch er sie ihrer Meinung nach viel zu lange, aber sie verstand das alles noch nicht richtig. Sie fand es nur komisch. Martina war noch so klein, sie war ja erst drei Jahre alt.

Nach dem Baden ging es ins Bett. Das Kinderzimmer lag direkt neben dem Bad. Die erste Nacht in einem ihr fremden Bett und Haus. Sie wollte, dass ihre Eltern das Licht im Flur anließen und ihre Zimmertür etwas offen stehen durfte. Aber nichts da, das erlaubten sie nicht. Martina hatte unendliche Angst. Jedes Knacken, jedes ihr fremde Geräusch ließ sie vor Angst erstarren, Was, wenn der Popanz jetzt kommt und sie holt? Schließlich war sie heute ja so böse, dass ihre Mutter sie geschlagen hat. Der Popanz war für Martina eine große, schwarze, furchteinflößende Gestalt mit ganz gruseligem Gesicht und riesigen Tatzen als Hände, die sie ergriffen und von hier fortbrachten. An Schlafen war nicht zu denken. Sie lauschte in die Dunkelheit, alles war ruhig. Das Bad, das Kinderzimmer und das Schlafzimmer ihrer Eltern waren im oberen Stockwerk. Im Erdgeschoss waren die Küche, das Wohnzimmer, das Gästezimmer sowie die Veranda. Unter dem ganzen Haus war ein Keller, von dem man auch aus dem Haus kam, so wie im Erdgeschoss aus der Veranda.

Martina lauschte und lauschte, aber alles war ganz ruhig. Sie hörte nichts, außer hier und da ein Knacken, welches vom Haus kam, aber das wusste das kleine Mädchen nicht, für sie war es der Popanz. Plötzlich öffnete sich die Tür ihres Zimmers. Vor Angst kroch sie sofort mit dem Kopf unter die Decke. Ihr Vater sah nach ihr, aber er dachte, sie schläft und ging wieder. Dann war wieder Stille, unendliche Stille. Martina hatte so große Angst. Doch trotz ihrer Angst stand sie auf und schlich sich auf Zehen auf den Flur. Dort befand sich eine Treppe, die nach unten führte. Sie hielt sich oben am Geländer fest und lauschte nach unten. Stille. Nichts als Stille. Daraufhin schlich sie leise in das Schlafzimmer ihrer Eltern, doch da war niemand. Sie ging wieder zur Treppe und lauschte angestrengt nach unten. Nichts als Stille und gelegentliches Knacksen im Gebälk. Dabei zuckte Martina jedes Mal vor Angst zusammen. Sie nahm allen Mut zusammen und ging zitternd nach unten. Es war alles dunkel. Als sie die Wohnzimmertür aufmachte, war es auch hier dunkel. Ihre Eltern waren weg. Martina begann zu rufen: “Mama? Papa? Mama … Papa…” Martina hatte unendliche Angst. Sie war allein, ihre Eltern waren weg. War sie so böse gewesen, dass ihre Eltern sie jetzt einfach allein ließen und in ein anderes, schönes Haus gezogen sind? Der Popanz sitzt oben unter der Wanne, jetzt war sie mit ihm ganz allein. Martina begann zu weinen. Sie rannte zur Haustür, aber die war abgeschlossen. Dort kam sie nicht heraus. Dann ging sie voller Angst die Kellertreppe hinab und wollte von dort nach draußen kommen. Doch auch diese Tür war abgeschlossen. Martina setzte sich auf den Boden und weinte bitterlich. “Mama, Papa … ich bin ab jetzt immer ganz lieb. Bitte, lasst mich hier nicht allein. Ich habe solche Angst.” Es hörte sie jedoch niemand. Verzweifelt ging die Kleine wieder hoch, aber sie legte sich nicht in ihr Zimmer, sondern in das Bett ihrer Eltern. In ihrem Zimmer war sie dem Popanz zu nah. Das Schlafzimmer war ein paar Schritte weiter entfernt vom Bad.

Erschöpft schlief Martina ein. Sie wurde wach und auf dem Ehebett sang und tanzte eine engelsgleiche Gestalt so wunderschön, dass sie diese Gestalt mit großen Augen anstarrte. Die Gestalt trug ein glitzerndes Kleid mit Flügeln und hatte ganz lange, blonde Haare. Es war so real. Später als Erwachsene sieht Martina dieses schöne Szenario immer noch vor sich, als gäbe es diese Gestalt wirklich.

Am nächsten Morgen wurde sie von ihrer Mutter geweckt. Sie lag immer noch im Ehebett. Ihr Vater hatte in dieser Nacht in Martinas Bett geschlafen. Sie haben bemerkt, dass Martina in der Nacht raus wollte. Martina war überglücklich, ihre Eltern zu sehen und strahlte und hüpfte durch die Küche. “Da seid ihr wieder, meine Mama, mein Papa.” Martina wollte sich an das Bein ihrer Mutter schmiegen, die gerade das Frühstück bereitete. Diese sah von oben auf Martina herab und schrie gleich wieder: “Du wolltest abhauen letzte Nacht? Mach das nie wieder, hörst du? NIE WIEDER!!” Erschrocken sah Martina ihrer Mama an. “Aber … ich wollte … hatte …” Sie konnte nicht mal ausreden, da schlug ihr ihre Mutter mit der flachen Hand ins Gesicht. Der Schmerz brannte wie Feuer. Martina hielt sich ihre kleine Wange und verstand die Welt nicht mehr. Seit diesem Tag sagten ihre Eltern jetzt immer, wenn sie abends ausgingen. Dass Martina noch ein ganz kleines Mädchen war, das man nicht allein lassen sollte, schien für die Eltern unwichtig zu sein. Martina sollte ab jetzt an jedem Wochenende einen Tag allein sein.

Jedes Mal, wenn ihre Eltern ausgingen und das war jeden Freitag oder Samstag, sang ihr der Vater ein Schlaflied vor. Immer dieses “Heidschi bumbeidschi”. In diesem Lied geht es um eine Mutter, die ihr Kind allein lässt und nie wieder kommt. Das Lied wurde Martina jedes Mal vorgesungen und ihre Angst wuchs und wuchs. Sie weinte bitterlich, sie bettelte: “Bitte, bleibt ihr heute mal zu Hause? Bitte, ich habe Angst allein.” Ihr Vater lachte: “Aber, du bist doch schon ein großes Mädchen. Stell dich nicht so an, Bist doch kein Baby mehr. Wir bleiben auch nicht lange.” Immer dieselben Sätze. Sie bleiben nicht lange, dabei sind sie die halbe Nacht weg. Martina war noch zu klein, sie kannte die Uhr noch nicht, aber sie wusste, dass sie immer sehr lange weg waren.

So war sie jede Woche allein mit dem Popanz. Niemand interessierte sich für ihre Angst. Sie sollte ein großes Mädchen sein. Aber sie war doch erst drei Jahre alt, das ist man doch noch nicht groß. Das wusste selbst das kleine Mädchen in ihren kindlichen Gedanken. “Mama, ich bin doch noch klein, ich habe Angst”, weinte sie in ihr Kissen in diesen einsamen und angstvollen Nächten. Sie gingen immer nach dem Abendessen weg und kamen erst spät in der Nacht zurück. Eine Änderung gab es jedoch: Martina durfte seit diesem Tag, als sie in der Nacht heraus wollte, nicht mehr in ihrem Zimmer schlafen. Sie musste von nun an im Ehebett ihrer Eltern schlafen, ihr Vater schlief in Martinas Zimmer. Das machte das kleine Seelenleben aber auch nicht besser. Die Angst bestimmte Martinas Leben.

Im Sommer strahlte noch die Abendsonne durch das Zimmer, aber sie war eingesperrt im Haus. Um diese Zeit sollte ein kleines Mädchen auch nicht allein draußen sein, aber vielleicht mit ihren Eltern? Oder wenigstens mit den Eltern zusammen drin sein? Nein, das kleine Mädchen war mutterseelenallein, ganz allein mit dem Popanz.

 


2. Angst, Geschrei, Prügel

Es war die Angst vor dem Alleinsein, die Martina so sehr zu schaffen machte. Jetzt kam noch eine neue Angst dazu. Die Angst, wenn ihre Eltern in der Nacht nach Hause kamen. Ihr Vater war jedes Mal betrunken. Wenn Martina hörte, dass die Haustür aufgeschlossen wurde – das hörte sie immer, weil sie vor Angst nie schlafen konnte – stand sie auf und ging zur Treppe, die nach unten führte. Dort stand sie mucksmäuschenstill im Dunkeln und lauschte, was sich unten abspielte. Ihre Eltern waren noch gar nicht richtig im Haus, da ging das Geschrei schon los. Sie stritten lautstark, warfen mit Beleidigungen nur so um sich. Unten schrien sich die Eltern an, oben an der Treppe stand ein kleines, zitterndes Mädchen. An diesem Abend war es besonders schlimm.

“Du blöde Schlampe, lass mich in Ruhe”, schrie ihr Vater.

“Du versoffenes Schwein, kannst du überhaupt noch ausgehen, ohne dich zu besaufen?”, schrie ihre Mutter zurück. Türen knallten zu, wurden wieder aufgerissen, weil einer in der Küche und einer im Wohnzimmer war. Der Lautstärkepegel war kaum zu ertragen. “Mach dich ins Bett und schlafe deinen Rausch aus, du Arschloch”, schrie ihre Mutter weiter. Er riss die Tür vom Wohnzimmer auf und schrie: “Lass mich endlich in Ruhe, du Kanaille.”

Stumme Tränen rannen über Martinas kleine Wangen. Sie hatte solche Angst. Ihr ganzer, kleiner Kinderkörper vibrierte.

Plötzlich schrien beide zusammen, beleidigten sich und dann gab es ein klatschendes Geräusch. Auf einmal war es still. Aber nur ein paar Sekunden. “Du schlägst mich nie wieder”, schrie die Mutter ihren Mann an.

Martina ging ein paar Stufen hinab und konnte somit in den Flur blicken. Sie sah gerade noch, als ihr Vater mit erhobener Faust auf seine Frau losging. Diese konnte sich gerade noch ins Wohnzimmer retten und schlug die Tür zu. “Mach die Tür auf”, schrie er. Sie rührte sich nicht. “Mach die verdammte Tür auf, du Schlampe. Ich schlage dich tot.” Doch nichts tat sich. Er hämmerte und trat gegen die Tür. Martina hatte das Gefühl, sie bricht jeden Moment auseinander. Aber das passierte nicht. Er wütete noch eine Weile weiter, dann legte er sich wortlos ins Bett. Er ging an seiner kleinen Tochter vorbei, sah sie nicht an, sagte kein liebevolles Wort, nichts. Gar nichts. Martina ging zitternd nach unten und öffnete vorsichtig die Tür zum Wohnzimmer. Dort saß ihre Mutter mit blutender Nase auf dem Sessel und weinte. Als sie ihre Tochter sah, wurde sie böse. “Warum bist du nicht im Bett?”

“Weil … weil ich … Angst …”

Weiter kam sie nicht. Ihre Mutter stand auf, kam auf sie zu, haute ihr eine auf den Po und befahl sie ins Bett. Martina gehorchte. Sie ging ins Bett. Kurz darauf kam ihre Mutter und legte sich auch ins Bett. Da Martina nicht in ihrem Zimmer schlafen durfte, lagen nun beide im Ehebett. Das Herz des kleinen Mädchens raste. Ihre Mutter weinte. “Das ist doch so ein Scheißleben. Am besten ich nehme mir einen Strick und hänge mich auf.” Martina war total verängstigt und schockiert. ‘Meine Mama kann mich doch nicht allein lassen’, dachte sie und schob ihre kleine Hand unter der Decke hervor zu ihrer Mama. Doch die schlug die Hand weg und sagte genervt: “Schlaf jetzt endlich.” Martina konnte aber nicht schlafen. Keine Umarmung, kein Streicheln, keine beruhigenden Worte, nichts. Stattdessen nur Angst und Schrecken.

So war es ab jetzt immer. Wenn die Eltern ausgingen, waren beim Heimkommen Geschrei und Prügel an der Tagesordnung. Doch auch in der Woche, wenn ihre Eltern zu Hause waren, stritten sie sich fast jeden Abend. Martina stand mittlerweile jeden späten Abend an dieser Treppe und lauschte angstvoll nach unten. Die ständige Angst, dass sich ihre Mutter aufhängt, begleitete sie bis ins Erwachsenenalter.

An einem Sommertag hat ihr Vater ihr morgens versprochen, dass sie am Nachmittag ins Freibad fahren würden. Martina war ungefähr elf Jahre alt und freute sich riesig, hatte sie doch sonst kaum Freude. Sie konnte die Zeit gar nicht abwarten, bis sie aus der Schule heimkam und sie losfuhren. Schnell waren die Badesachen gepackt und es sollte losgehen. Plötzlich verdunkelte sich der Himmel. “Wir können nicht fahren, es gibt gleich Gewitter”, sagte ihre Mutter.