Leni Behrendt – Jubiläumsbox 7 – E-Book: 35 - 40

Leni Behrendt
– Jubiläumsbox 7–

E-Book: 35 - 40

Leni Behrendt

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74093-205-3

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Die gekaufte Frau

Roman von Leni Behrendt

Die gepolsterte Tür, die zum Arbeitszimmer des Chefs führte, öffnete sich geräuschlos, und der Gestrenge wurde sichtbar. Er wollte das Gemach durchschreiten, verharrte dann jedoch vor dem reizvollen Bild, das sich seinen Augen bot. Da saß seine Privatsekretärin, völlig in ihre Arbeit vertieft. Die lachende Frühlingssonne gleißte in ihrem Haar, das funkelnd wie Altgold den schmalen Kopf in dicken Locken umbauschte. Tief war dieser entzückende Kopf über ein Stenogramm gebeugt. In dem Gesichtchen, zart und fein, stand ein Ausdruck von Ungeduld. Jetzt hoben sich die Augen, große grünblaue Sterne, wie sie wohl die Nixen haben mochten, die ihre Opfer damit betören und sie hinunter ins Verderben ziehen. Träumend schauten sie sekundenlang in die strahlende Sonne hinaus, bis sie dann wieder zu den Schreibmaschinentasten zurückkehrten. Die Finger hieben sie flink hinunter. Der Smaragd an ihrer Linken funkelte und sprühte bei diesem Auf und Ab. Das Näschen krauste sich, und dem roten Mund entglitt das Zünglein, fuhr blitzschnell über die Lippen im rhythmischen Takt. »Re - ha - bi - li - ta - ti - on«, buchstabierte das Mädchen eifrig in die Maschine hinein. »Re - ha - bi - li - ta - ti - on, endlich hab ich dich nun schon. Was für ganz verrückte Worte es doch gibt.«

Die bauschigen Ärmel der weißen Seidenbluse wehten bei der schnellen Armbewegung wie ein Segel hin und her, und der Saum des dunkelblauen Wollrocks wippte lustig auf und nieder. Die schlanken, seidenbestrümpften Beine waren lang unter den Schreibmaschinentisch gestreckt, die hohen Absätze der hellen Schuhe klappten fröhlich im Rhythmus. Ganz einfach war das Mädchen gekleidet, wie es sich für den Dienst gehörte – und doch wirkte alles an ihm ausgesucht und elegant.

Der Mann, der das ganz heimlich, still und leise mit Ergötzen in sich aufnahm, wurde nachdenklich, wieso es wohl kommen mochte, daß seine Sekretärin hier noch arbeitete, während alle anderen Angestellten ihren Arbeitsplatz schon längst verlassen hatten, wie es an den Sonnabendnachmittagen üblich war. Sie allein nur machte Überstunden, wußte also die Arbeit, die er ihr aufbürdete, trotz ihrer Tüchtigkeit nicht zu bewältigen. Darüber hatte sie jedoch in den zwei Jahren, die sie bereits hier arbeitete, noch kein Wort gesagt.

Er trat schnell zurück; denn die gegenüberliegende Tür wurde vorsichtig geöffnet, und ein Mann huschte herein, zu der emsig Arbeitenden hin. Sie bemerkte ihn nicht in ihrem Eifer, fuhr erschrocken herum, als sich seine Hände auf ihre Augen legten.

»Oh – haben Sie mich erschreckt!« schrie sie leise auf, ihrem Drehstuhl einen verwegenen Schwung gebend, so daß sie dem Mann nun gegenübersaß, der sie mit heißen Augen betrachtete.

»Thora, wie kommt es, daß du noch arbeitest?« fragte er unwillig.

Doch sie lachte ihn aus.

»Erstens duzen wir beide uns noch nicht, und dann arbeite ich, weil ich mein Pensum früher nicht geschafft habe.«

»Es ist unerhört, daß der Chef dich so ausnutzt. Na, lange hast du diese Fron ja nicht mehr nötig. Ach, schau her…«

Er zog ein Kästchen aus seiner Rocktasche und hielt dem Mädchen zwei Ringe hin, zwei goldfunkelnde, glatte Reifen.

Nun war sie doch verwirrt, schlug die Augen nieder und sah dabei so unglaublich reizend aus, daß der Mann sie hochriß an sein Herz.

Doch mit einer energischen Bewegung machte sie sich frei. In ihren Augen funkelte es vor Unwillen und aufreizender Überlegenheit. »Na, man immer sachte mit den jungen Pferdchen, mein stürmischer Herr Ingenieur«, spottete sie. »Sooo weit sind wir noch lange nicht!«

»Thora, du machst mich verrückt mit deiner verflixten Überlegenheit und Kälte«, knirschte der Zurückgewiesene schwer atmend hervor.

»Willst du noch einen schwerwiegenderen Beweis für meine ernsten Absichten als diese Ringe? Ich liebe dich bis zum Wahnsinn – und du stößt mich immer wieder zurück. Ob du mir den Verlobungskuß jetzt gibst oder heute abend…«

»Ist noch lange nicht dasselbe«, lachte sie ihn ganz freundlich an, wobei es in ihren Augen lockte und flirrte. Es war dem Mann nicht zu verdenken, daß alles in ihm diesem sinnverwirrenden Geschöpf entgegenfieberte. Es konnte einen Mann schon um den Verstand bringen.

»Thora, du bist das grausamste Geschöpf unter der Sonne«, würgte er hervor. »Mach der Qual nun endlich ein Ende.«

Wieder wollte er sie an sich reißen, und wieder wehrte sie ihm entschieden.

»Sie kennen meine altmodischen Ansichten und müssen sich danach richten«, erklärte sie seelenruhig, indem sie sich ihrer Arbeit wieder zuwandte. »Heute abend ist die Verlobung, dann dürfen Sie Ihre Braut küssen. Früher nicht.«

»Ich kann mir nicht helfen, Thora…, du liebst mich nicht. Sonst würdest du anders zu mir sein.«

»Immer jeder, wie er kann, mein Herr.«

Sie tippte ungerührt noch fünf Minuten lang. Dann legte sie die Briefe fein säuberlich in eine Mappe, schloß sie in das Seitenfach des Rolltisches und stülpte den Wachstuchüberzug über die Maschine. Dann erst erhob sie sich und stand nun vor dem Mann, der sie mit seinen Augen schier zu verschlingen drohte.

Es war ein schönes Paar, ein elegantes Paar, die Privatsekretärin der Großfirma Farnheimb und Söhne und der Ingenieur. Das Mädchen von taufrischer, bezaubernder Schönheit, der Mann das, was man einen bildhübschen Schwerenöter nennt, auf den die Frauen stets hereinfallen.

»Du, Thora, ich habe eine große Bitte.«

Er legte nun seine ganze Unwiderstehlichkeit in Stimme und Blick. »Wollen wir heute nicht das alberne Fest schwänzen und unsere Verlobung feiern – allein bei dir…?«

Sie sah ihn so erstaunt an, daß er unbehaglich zur Seite schaute. Und das grenzenlose Erstaunen schwang nun auch in ihrer Stimme, als sie ironisch sagte: »Bei mir? Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst. Sie wissen doch, daß ich allein wohne.«

»Das macht doch nichts. Du als modernes Mädchen…«

»Meinen Sie? In dieser Beziehung bin ich noch altmodischer als zu Urgroßmutters Zeiten. Mein guter Ruf ist nämlich alles, was ich noch zu verlieren habe.«

»Himmel, deine Ironie ist fürchterlich! Kein Mensch wird etwas dabei finden, wenn ich meine Braut besuche.«

»Ich bin es noch nicht, Herr Dr. Ing. Adolar Galbetz.«

»Thora, ich schwöre dir –«

»Schwören Sie nicht, warten sie lieber mit dem gewünschten Chambre séparée bis nach der Hochzeit.«

Das war so fest gesagt, daß er nichts darauf zu erwidern wagte. Er half ihr in den Mantel und verließ mißgestimmt mit ihr das Zimmer.

Nun konnte sich auch der Lauscher hervorwagen. Rasch durchschritt er das Verwaltungsgebäude der Riesenfabrik und eilte hinüber nach seiner Villa, deren Vornehmheit ein prächtiger Park von dem Arbeitsgelände abschloß.

»Franz«, sagte er zu seinem Diener, der ihm in der Halle Mantel und Hut abnahm. »Sie sorgen dafür, daß ein Blumenarrangement Nummer eins auf die heutige Festtafel des Hotels an den Platz meiner Privatsekretärin kommt. Sie feiert ihre Verlobung.«

Der gutgeschulte Diener verbeugte sich tief. Doch während sein Antlitz unbeweglich blieb, ironisierte er in seinem Innern: »Schau an, Nummer eins für die Privatsekretärin – alle Wetter!«

Derartige Aufträge hatte er schon zu vielen Malen ausgeführt. Nummer eins – Nummer zwei – Nummer drei – so staffelten sich die Aufmerksamkeiten, die sein Herr der Damenwelt zukommen zu lassen pflegte.

Nummer eins: Lilien, Flieder, zarte Nelken.

Nummer zwei: Rosen, Orchideen.

Nummer drei: Tulpen, Narzissen, Chrysanthemen.

Oder: Verehrung, Liebe, Abschied.

*

Der Großindustrielle Normann Farnheimb gab seinen Beamten und Angestellten das große Fest, das er ihnen am ersten Mai zu geben pflegte. Es wurde im ersten Hotel der Stadt in aller Großzügigkeit und Noblesse gefeiert.

Je näher die Stunde der Festeröffnung rückte, um so ungeduldiger wurden die zahlreichen Gäste. Um so mehr, da man auf die Verlobung sehr neugierig war.

Neugieriger jedenfalls als die Braut selbst, die ganz gelassen bei dem herrlichen Wetter den Weg zum Hotel zu Fuß zurücklegte.

Das Klapp – Klapp der Absätze hallte auf der abendstillen Straße laut wider. Daher hörte sie nicht, daß ein Auto ihr schon einige Minuten folgte. Fast lautlos wie eine Katze glitt es dicht hinter ihr hart am Bordstein dahin. Als es dann ganz plötzlich vor ihr hielt, schrak sie zusammen.

Der Schlag wurde geöffnet, und der Chef stieg aus.

»Darf ich Ihnen einen Platz in meinem Wagen anbieten, Fräulein Wied?«

Sie sah ihn an, den Mann, mit dem zusammen sie schon zwei Jahre arbeitete, sah ihn so genau an, als sähe sie heute zum ersten Mal diese faszinierende Persönlichkeit, mit der Gloriole des Reichtums und der Vornehmheit umwoben. Wer sich diesen Mann erringen wollte, der mußte schon etwas Besonderes sein.

Das alles ging ihr durch den Sinn, während sie in das Gesicht sah, in dessen Mundwinkeln oft so ein ironischer Zug hockte, dessen rassiges Antlitz in Arroganz erstarren konnte, wenn man ihn seine Bewunderung fühlen ließ.

»Nach Ihrem weltentrückten Gesichtsausdruck zu schließen, müssen Sie überall sein, nur nicht gerade hier, Fräulein Wied«, spottete er, und da schrak sie zusammen. »Steigen Sie ein, der Liebste wird schon ungeduldig auf die Verlobung warten.«

»Woher wissen Sie das schon wieder, Herr Doktor?«

»Aber, aber, ein guter Hausvater wird doch seinen Hausstand kennen, mein Fräulein.«

Er unterbrach seine Rede und horchte auf, denn an der Straßenecke wurden Stimmen laut. Die Bogenlampe beleuchtete ein Paar, das in Meinungsverschiedenheiten geraten zu sein schien. Ganz deutlich hörte man die männliche Stimme, bei der Thora zusammenzuckte.

»Du gibst mir augenblicklich den Weg frei, du lästiges Frauenzimmer, sonst…«

»Schlag zu, schlag doch zu!« kreischte nun eine Frauenstimme auf. »Ich bin kein Frauenzimmer! Ich will nur mein Recht für mich und das Kind, das ich von dir bekommen werde. Und wenn du von deiner heutigen Verlobung nicht absehen wirst, dann weiß deine Braut schon morgen –«

Ein brutaler Stoß traf die Frau, die nun wimmernd am Boden lag, während der Mann wie gehetzt davoneilte.

Farnheimb gelang es gerade noch, das wie erstarrt dastehende Mädchen ins Auto zu schieben. Da stob der Ingenieur schon vorbei, mit scheuen Augen das Auto am Bordstein musternd.

Still saß Thora im Auto, ganz still. Den Kopf zurückgelegt, die Augen geschlossen, so verharrte sie. Auch der Mann verhielt sich ganz ruhig.

Als jedoch Minuten vergingen und sie noch immer so dasaß, entnahm er seinem Etui eine Zigarette, schob sie ihr zart zwischen die Lippen und hielt ihr Feuer hin.

»Danke«, sagte sie einfach. »Wissen Sie, Herr Doktor, wie mir zumute ist?«

»Nun?«

»Wie dem Reiter, der über den Bodensee ritt.«

»Kann ich mir denken. Und was weiter, Fräulein Wied? Soll ich Sie nach Hause fahren?«

»Nein!« entgegnete sie hart. »Dieser dunkle Ehrenmann soll mich heute kennenlernen. Fahren Sie bitte zum Hotel, Herr Doktor.«

Vor dem Portal des großen Hauses half er Thora aus dem Wagen, den er dem Portier übergab. Dann stieg er an ihrer Seite die Stufen hinauf.

In der großen Hotelhalle war es menschenleer.

Farnheimbs Blick suchte das Mädchen an seiner Seite, das nun ruhig dahinschritt. Vor der Tür, die zur Damengarderobe führte, machte er halt.

»Ich danke Ihnen, Herr Doktor.«

»Was werden Sie beginnen?«

»Wenn ich aus der Garderobe komme, dort in den Saal gehen und mich amüsieren.«

Als sie wiederkam, stand er schon wartend da und bot ihr mit tadelloser Verbeugung seinen Arm.

»Kommen Sie, Fräulein Wied, dann werden Sie die nächsten Augenblicke vielleicht leichter überstehen.«

Hell loderte es in ihren Augen auf, in denen ein unbändiger Stolz stand. Der Kopf flog in den Nacken.

»Wer sagt Ihnen, Herr Doktor, daß ich überhaupt etwas zu überstehen habe?«

»Kleines Mädchen!«

Er lächelte. »Warum gleich so grantig? Ich war heute Zeuge des kleinen Intermezzos in Ihrem Büro. Wollte durch Ihr Zimmer gehen, um auf den Korridor zu gelangen, als Herr Doktor Galbetz zu Ihnen kam. Um nicht zu stören, verharrte ich, bis Sie an seiner Seite hinausgingen. Und so wie ich Ihre Verlobung heute abend erwarte, so tun es alle andern auch. Zumal mein Blumenangebinde an Ihrem Platz diese Erwartung noch steigert.«

Sie sah ihn an, groß, forschend, doch nichts von der gewohnten Ironie konnte sie in seinem Antlitz entdecken.

»Und wie wollen Sie mir helfen, Herr Doktor?« fragte sie bitter. »Was wissen Sie von den geifernden Klatschmäulern, die einem schutzlosen Mädchen die Ehre abschneiden können – so zwischen Kaffee und Kuchen!«

»Meine Gegenwart wird Sie davor schützen, Fräulein Wied, auch vor den Belästigungen des Herrn Galbetz.«

Dieser näherte sich ihnen in hastigem Schritt. Er eilte wohl, um seine Braut in die Arme zu schließen.

Da stieg es in Thora hoch. Ekel, verletzter Stolz, Angst vor der Blamage, das alles vereint, ließ sie nach dem Arm ihres Retters greifen.

Vor dem völlig konsternierten Galbetz schritten sie Arm in Arm dahin, ein distinguiertes Paar. Thora wußte nicht, was werden sollte. Sie wußte nur, daß sie diesen Mann hinter ihr demütigen mußte, wie er es verdient hatte.

Im Saal machte sich eine große Unruhe bemerkbar. Es war schon längst über die Zeit, und der Gastgeber erschien immer noch nicht, obwohl er sonst doch die Pünktlichkeit in Person war.

Endlich sah ein Lehrmädchen, das an der Saaltür Posten stand, Thora Wied am Arm eines Herrn dahinschreiten, den sie nicht weiter betrachtete, sondern ihn mit Selbstverständlichkeit für den Ingenieur hielt.

»Sie kommen – sie kommen!« schrie die Kleine aufgeregt. »Hurra, unser Brautpaar soll leben!«

Und als das Paar über die Schwelle trat, brausten ihm die Hochrufe aus vielen Kehlen entgegen.

Die dann jedoch jäh abrissen. Mit erschrockenen Augen starrten sie alle auf den Chef, der die todblasse Thora Wied am Arm führte, während der geisterbleiche Galbetz hinter ihnen sichtbar wurde.

»Nun, meine Herrschaften, warum brechen Sie so plötzlich ab?« fragte der Gebieter spöttisch in die lähmende Stille hinein. »Gefällt Ihnen meine Braut nicht?«

Sekundenlanges Schweigen noch, dann ging der Jubel erst recht los. Thora, deren Blässe nun der Röte der Empörung wich, wollte den Mund zum Protest öffnen, als sie die gepreßten Atemzüge Galbetz’ hinter sich vernahm. Hochauf bäumte sich der verletzte Stolz, und fest krallten sich ihre Finger in den Frackärmel ihres Nachbarn.

Es gelang ihr auch, die Glückwünsche in würdiger Haltung entgegenzunehmen. Es gelang ihr sogar, lächelnd bis zuletzt durchzuhalten. Sie war ja auch gar nicht sie selbst, die hier stand, sondern eine ganz andere. Sie war die Braut des Normann Farnheimb, des vergötterten Lieblings der mondänen Frauenwelt, der im Ernst eine ganz andere an seine Seite stellen würde als seine Privatsekretärin, die Tochter eines verkrachten Vaters.

Endlich war auch das vorüber, und man nahm an der Festtafel Platz. Das eifrige kleine Lehrmädchen, das die Verlobung proklamiert hatte, schleppte die Blumen von dem Platz herbei, der ursprünglich für Thora Wied bestimmt gewesen war, die nun neben dem Ehrenplatz des Chefs saß.

»Hier, Fräulein Wied«, sagte das knicksende Mädchen hochrot vor Begeisterung. »Hier ist der Strauß von dem Herrn Bräutigam, der an einen falschen Platz gestellt worden ist.«

Mechanisch griff Thora nach dem duftenden Gebinde, drückte das heiße Antlitz hinein, während der Gastgeber das Mädchen freundlich ansah.

»Danke, Kleine, das war sehr aufmerksam«, lobte er, und ein so schwärmerischer Blick traf ihn, daß er ein amüsiertes Lächeln kaum unterdrücken konnte.

Thora war neugierig, wie lange diese Komödie so weitergehen sollte, und noch neugieriger, wie er sich aus der Affäre ziehen würde. Denn daß er diese Verlobung bestehen ließ, war gewiß nicht anzunehmen.

Jetzt sah sie ihn an, mitten in seine Augen hinein, die unter ihrem hochmütigen Blick das Grüblerische verloren und den gewohnten Spott widerspiegelten.

»Nanu, Kleines, mit welch aufrührerischen Gedanken schlägst du dich denn herum?« fragte er in onkelhafter Nachsicht. »Du läßt ja dein Köpfchen tanzen wie ein unwilliges Schlittenpferdchen.«

»Es waren die Gedanken einer – Braut«, gab sie mit ihrem süßesten Lächeln zur Antwort, aber das gefährliche Flimmern in der Tiefe ihrer Augensterne entging ihm nicht. Ihr Glas hob sich dem seinen entgegen.

»Es lebe die Liebe«, höhnte sie, immer noch so süß lächelnd, und leerte den Kelch in einem Zuge. Sie wurde nun gesprächig, lachte und scherzte und blieb trotzdem bei dem gewohnten Rührmichnichtan, das ihre Person wie ein Wall umgab. Zauberschön war sie anzuschauen mit den blitzenden Augen in dem durchsichtig zarten Gesicht, mit dem lockenden, verheißenden Lächeln. Blütengleich hoben sich Schultern und Arme aus der glitzernden Seide des Festgewandes, das die grazile Gestalt umwallte und umbauschte.

Außer dem kostbaren Smaragd trug sie kein Schmuckstück. Nur einige der zartrosa Nelken, lachend dem Verlobungsstrauß entnommen und in den Ausschnitt des Kleides gesteckt, schmückten dieses zaubersüße Menschenkind.

Wie ein schillernder Schmetterling durchgaukelte sie die Festräume, tanzte, lachte, scherzte und gab sich von ganzem Herzen diesen Freudenstunden hin.

Thora tanzte ohne Unterlaß. Man ließ sie nicht zu Atem kommen, holte sie immer wieder, wetteiferte förmlich um die Gunst der schönen Braut, der zukünftigen Gattin des Gebieters.

Endlich gelang es dem Bräutigam, seine Braut selbst zum Tanz aufzufordern. Mit einer Bewegung, die etwas Besitzergreifendes hatte, legte er seinen Arm um ihre schlanke Mitte. Ein schönes Paar, ein wunderschönes Paar, mußten die Zuschauer zugeben. Wie eine schimmernde, glitzernde Wolke umwallte ihr Kleid die Schwärze seines Fracks, den wohl selten jemand so zu tragen verstand wie dieser Mann. Das Lockengeflimmer reichte ihm bis zum Mund, diesem schmalen, spöttischen Mund, über dessen Lippen so manches befehlsgewohnte Wort kam.

Sie beide waren gute Tänzer, deren Füße über so manches Parkett geglitten waren. Mit traumhafter Sicherheit wiegten sie sich im Rhythmus des Tangos. Die zärtliche Weise umschmeichelte Kopf und Herz.

»Kleines Mädchen, du schwebst ja wie eine Elfe dahin«, lächelte er zu ihr nieder. »Ich fühle dich ja gar nicht in meinem Arm. Ist’s schön heute?«

»Sehr schön, noch schöner als schön. Heut ist eben heut, mein Herr Bräutigam.«

»Und morgen ist morgen, mein Fräulein Braut.«

»Nun, zanken wir uns nicht«, lächelte sie süß zu ihm auf. »Hören wir lieber, was dieser Tango sagt:

›Liebe war es nie, denn du hast leider doch kein Herz,

Liebe war es nie, es war nur ein Scherz‹«, sang sie leise und verhalten zu ihm auf. Die Augen glichen dem blitzenden Smaragd an ihrer Hand, der rätselhaft lächelnde Mund lockte blutrot zu ihm empor.

»Denn ein Liebesschwur gehört zum Küssen schon dazu, Liebe war es nie, das weißt auch du«, schmeichelte die zärtliche Stimme weiter.

»Wenn ich auch wußte, du lügst so wunderbar, es war ein Märchen, und Märchen sind nicht wahr…«

Der Mann konnte seine Augen nicht wenden von dem zaubersüßen Antlitz, das in den seltsamen Augen Rätsel über Rätsel zu bergen schien. Ein ganz gefährlicher Zauber ging von diesem Geschöpf aus, vor dem man sich hüten mußte.

»Weißt du auch, daß du eine ganz gefährliche kleine Circe bist?« fragte er, seinen Blick tief in den ihren senkend. »Ich kenne meine korrekte, ehrpusselige Privatsekretärin gar nicht mehr wieder. Habe nicht gewußt, daß sie so einen Nixenzauber ausstrahlen kann.«

»Liebe war es nie, nur eine kleine Liebelei…«, trällerte sie übermütig den Schluß des Tangos.

»Darum ging sie auch so schnell vorbei…«

Sie sang dann auf eigene Faust weiter: »Es war auch nicht mal ‘ne kleine Liebe-Liebelei, darum braucht sie auch nicht gehn vorbei…«

Wie ein kleiner Kobold lachte sie zu ihm auf, sich ihres gefährlichen Zaubers vollbewußt. Die Lippen leuchteten wie volle Rosen, schneeweiß blitzten die Zähne hervor.

Da beugte der Mann sich vor und drückte seine Lippen auf den leuchtenden, lockenden Mund.

Wie mit einem Schlage war nun ihr Übermut dahin. Schneeweiß wurde das Lippenpaar, ebenso scheeweiß wie das Antlitz. Die Augen wurden dunkel wie das grollende Meer im Sturmgebraus. Schroff wollte sie sich seinem Arm entwinden, doch er hielt sie unerbittlich fest.

»Gib hier kein Schauspiel, Thora«, verlangte er gebieterisch. »Wir werden von unzähligen Augen beobachtet. Besinne dich auf deine gute Kinderstube.«

»Natürlich, ich, die kleine Sekretärin, soll das!« stieß sie zornbebend hervor. »Der großmächtige Herr hat das nicht nötig. Lassen Sie mich los!«

Er löste seinen Arm von ihrer Mitte, schob ihn jedoch sofort unter den ihren.

»Lächle, Nixlein, lächle, wenn du vor Zorn auch bersten möchtest. Warum soll es dir besser gehen als mir, der ich das schon so oft mußte?«

Thora lächelte nun tatsächlich, lächelte wie unter einem Zwang. Ein heller Schein traf für den Bruchteil einer Sekunde ihr Gesicht.

»Bravo«, lobte der Mann. »Es geht doch nichts über eine gute Kinderstube. Sie ist im menschlichen Leben der beste Halt. Morgen schon werden die Zeitungen hier bringen: Sensation für unsere Stadt. Der große Farnheimb heiratet seine Privatsekretärin. Sind tüchtig, die Jungen. Nehmen für ihre Zeitungen alles wahr.«

Thora war immer noch erschreckend blaß. Sie stöhnte leise auf.

»Komm, Kind, wir trinken ein Glas Sekt. Du siehst erbärmlich aus.«

»Später. Ich komme gleich wieder.«

Sie löste sich von seinem Arm. Er sah ihr beunruhigt nach. Dann bestellte er eine Flasche Sekt und zwei Gläser beim Ober, suchte ein Tischchen, das versteckt stand. Hier waren sie unbeobachtet, hier konnte Thora sich beruhigen.

Aber sie kam nicht wieder. Er wartete vergeblich auf seine Braut. Sie ging durch die duftende Frühlingsnacht nach Hause. Schritt für Schritt setzte sie auf die nachtdunkle Straße, sicher, unbeirrt wie eine Traumwandlerin.

Nur nicht denken, nein, jetzt nicht denken, hielt sie sich immer wieder vor. Jetzt erst nach Hause kommen, Sekt trinken, von dem eine Flasche noch da sein mußte. Diese Flasche leeren bis zum letzten Tropfen, dann schlafen.

Wie lange sie zu dem Weg gebrauchte, hätte sie nicht zu sagen gewußt. Jedenfalls stand sie vor dem Hause, in dessen zweiter Etage sie eine Wohnung hatte. Mechanisch schloß sie die Haustür auf und stieg ganz langsam die Treppen hinauf, schaltete zum zweiten Mal die Nachtbeleuchtung im Treppenhaus ein und fuhr dann erschrocken zurück; denn vor ihrer Wohnungstür stand eine Gestalt.

Adolar Galbetz!

»Was haben Sie hier zu suchen!« ereiferte sie sich, denn sein rotes aufgewühltes Gesicht verriet nichts Gutes.

»Du wirst mir Rechenschaft geben müssen!« forderte er wütend, und so große Angst sie auch hatte, er durfte nichts davon merken, sonst war sie verloren.

»Jetzt, in der Nacht?« tat sie gleichgültig.

Sie wollte den Schlüssel in das Schloß stecken, doch er umfaßte ihr Handgelenk mit brutalem Griff.

»Jawohl, jetzt in der Nacht. Gerade in der Nacht! Ich werde dich lehren, mich – ausgerechnet mich – an der Nase herumzuführen. Klein sollst du werden, mein Fräulein Hochmut, dem ein Ingenieur nicht mehr genug ist, das seine Teufelsreize spielen läßt, um einen Farnheimb einzufangen, die verkrachte Geheimrats­tochter. Aber ich werde dir zeigen, was es heißt, einen Adolar Galbetz zu blamieren. Den vergötterten Liebling der Frauen, der jede, aber auch jede von euch langhaarigen Gesindel kriegen kann. Ganz, ganz klein sollst du werden. Sollst noch um Gnade winseln wie ein getretener Hund. Sollst noch selig sein, wenn ich dich überhaupt heiraten werde. Schließ auf, schließ nur auf das kleine Liebesnest, in dem ich alle Wonnen einer Nacht auskosten will.«

Seine Augen glühten, sein Atem keuchte, und Thora packte eine wahnsinnige Angst. Sie taumelte gegen die Wand. Zitterndes Entsetzen lähmte sie fast.

Er näherte sich ihr. Sein weindunstender Atem schlug ihr ins Gesicht, so daß der Ekel sie würgte. Seine Hand packte die ihre, wollte ihr den Schlüssel entreißen.

Da schrie sie auf in Angst und Not. Die Verzweiflung gab ihr solche Kräfte, daß sie mit dem rasenden Mann zu kämpfen begann. Sie merkte, wie er auf ihr langes Kleid trat, wie es in Fetzen riß, aber sie ließ nicht nach.

Da ging die Nachtbeleuchtung aus und das war ihr Glück. Seine Umschlingung lockerte sich, so daß sie die Rechte frei bekam, die den Schlüssel hielt. Sie schlug damit zu, in die Richtung, wo sie sein Gesicht vermutete, und hatte gut getroffen; denn aufstöhnend und wie ein Stallknecht fluchend taumelte er an die gegenüberliegende Wand.

Nun war sie frei.

Sie raste die Treppe hinunter, und es war wie ein Wunder, daß sie nicht im Dunkeln stürzte, daß ihre Füße sich nicht in den Kleiderfetzen verfingen. Sie erreichte die Haustür, schloß sie mit zitternden Händen auf und stand dann endlich auf der Straße. Lief davon, weiter, immer weiter, dorthin, wo die große Bogenlampe ihr Licht verstrahlte. Denn weit und breit war kein Mensch zu sehen, und Galbetz konnte ihr folgen.

Endlich sah sie voller Erleichterung Menschen!

Sie stand in der Nähe eines großen Platzes, der von einer blendenden Helle überstrahlt war. Lichtreklamen leuchteten auf, Autos fuhren, Menschen gingen.

Ach ja, hier war es schön, hier war sie sicher.

Und drüben war ja auch ein Hotel. Wenn sie darin die Nacht verbrachte? Denn in ihre Wohnung konnte sie nicht zurück. Es war nicht ausgeschlossen, daß dieses Tier ihr noch immer auflauerte. Aber so konnte sie nicht in das Hotel gehen, mit dem zerzausten Haar, dem zerfetzten Abendkleid. Sie hätte Aufsehen erregt.

Da fiel ihr Blick auf einen Polizisten, und erleichtert atmete sie auf. Sie trat zu ihm, erzählte, daß sie vor ihrer Haustür von einem Subjekt angerempelt worden war, daß sie nun Angst hatte, ihre Wohnung wieder aufzusuchen.

Der Mann war gar nicht erstaunt, solche Fälle waren ihm anscheinend nicht neu. Er bot sich an, sie gut und sicher nach Hause zu geleiten, was sie erfreut annahm.

Er brachte sie ins Haus, durchsuchte den Treppenflur, überzeugte sich, daß Keller- und Bodentür verschlossen waren. Brachte sie sogar in ihre Wohnung, durchsuchte auch diese noch und verabschiedete sich dann.

Sie verschloß sorgfältig die Dielentür, legte die Sicherheitskette vor, verschloß auch sämtliche Türen der anderen Räume und schloß sich im Schlafzimmer ein. Sie zitterte immer noch vor Angst und Grauen und mußte sich zusammenreißen, damit sie nicht die Nerven verlor.

Da fiel ihr wieder der Sekt ein. Sie holte ihn herbei, warf rasch die Kleider ab. Zwei Glas von dem perlenden Naß in die geengte Kehle gegossen, und entspannt schlief sie ein.

*

Bevor sich Thora dem Sektdusel hingab, hatte sie gewohnheitsmäßig den Wecker aufgezogen, der auf dem Nachttisch stand, und die Weckzeit für neun Uhr bestimmt. Denn erstens war es ja Sonntag, an dem sie immer länger zu schlafen pflegte – und dann – und überhaupt…

Sie war ja jetzt stellenlos; denn in die Farnheimb-Werke konnte sie nun nicht mehr zurück.

Wie gern sie dort gearbeitet hatte, kam ihr jetzt erst zum Bewußtsein, da der Arbeitsplatz ihr verloren war. Immer fair war der Chef gewesen, immer ruhig und gelassen.

Und nun war alles aus – alles aus. Nun hieß es für sie, auf Stellungssuche zu gehen.

Ganz jammervoll war ihr zumute. Wie schön war doch ihr Leben gewesen, wie wunderbar schön! Und nur, weil es zwei Männer so wollten, mußte es damit ein Ende sein, mußte sie ihren angenehmen Arbeitsplatz verlassen.

Der eine hatte sie unmöglich gemacht, der andere hatte sie unmöglich gemacht. Der eine, weil die Verlobung nicht zustande gekommen war, der andere, weil sie zustande gekommen war.

Aber was lag sie hier und weinte? Konnte sie nicht froh sein, daß sich die Verlobung mit Galbetz noch in letzter Stunde zerschlagen hatte? Daß sie ihn sehen durfte in seiner ganzen Erbärmlichkeit? Sonst hätte sie ihr Leben vielleicht doch noch an das seine gekettet und wäre somit in ihr Unglück getaumelt.

So ein Lump, so ein gemeiner Lump!

Wie gut, daß sie ihm nie auch nur die geringste Vertraulichkeit gestattet, daß sie immer in kühlster Reserve verharrt hatte. Sonst müßte sie sich ja jetzt die Augen aus dem Kopf schämen.

Voll Grauen gedachte sie des entsetzlichen Kampfes in der Nacht. Wenn es nun nicht geglückt wäre, sich loszureißen, dann wäre sie diesem gierigen Subjekt ausgeliefert gewesen. Das war ja kein Mensch, das war ja ein Tier in seiner schrankenlosen Begierde. Sie fühlte immer noch die heißen, zitternden Hände auf ihren Armen, mußte die Zähne zusammenbeißen, so sehr schüttelte sie der Ekel. Wenn alle Männer so waren!

Nein, sie wollte mit keinem mehr etwas zu tun haben! Dieses grauenhafte Erlebnis würde wohl ewig in ihr nachklingen.

Dann schrak sie zusammen; denn Farnheimb fiel ihr ein. Ein unsäglich bitteres Lächeln umzuckte ihren Mund.

Der? Der war sicher nicht besser als der andere. Der hatte ihre Hilflosigkeit ausgenutzt, um sich einige amüsante Stunden zu verschaffen. Es war ihm höchst ergötzlich gewesen, als das kleine Lehrmädchen die Verlobung proklamierte.

Na also! Was lag sie denn nun hier weinend und barmend, anstatt ihrem Schöpfer himmelhoch zu danken, daß er ihr die Augen geöffnet hatte, solange noch Zeit war.

»Lieber Herrgott, bewahre mich bloß vor den Männern!« kam ein Stoßseufzer aus tiefstem Herzen.

Mit einer energischen Bewegung wischte sie die Tränen fort. Das kam bloß von der blöden Denkerei. Also aufgestanden, unter die Dusche, sich dort die Grillen abgebraust, tüchtig gefrühstückt und dann bei einer Zigarette kühl und sachlich überlegt.

So geschah es denn auch. Durch das kühle Bad erfrischt, saß sie kurz darauf in dem behaglichen Wohnzimmer beim Frühstück. Sehr starker Kaffee mit Sahne, Speckeier, Brot, Butter, Aufschnitt und Käse, das alles gönnte sie sich am Sonntag.

Bei der Zigarette kamen die Gedanken. Hier konnte sie nach dem Vorgefallenen unmöglich bleiben. Also mußte sie in eine andere Stadt. Am besten Berlin, da konnte man untertauchen.

Noch heute nachmittag wollte sie nach Berlin. Und wenn sie erst von hier fort war, würde sie auch das grauenvolle Erlebnis dieser Nacht langsam vergessen.

Auch ihre sogenannte Verlobung. Mochte man dann über die törichte Sekretärin lachen, die sich einige Stunden hindurch eingebildet hatte, die Braut des großmächtigen Farnheimb zu sein.

Sie erkundigte sich telefonisch nach der Abfahrt der Züge. Der Nachmittagszug paßte gut, da konnte sie zuerst alles in Ruhe erledigen.

Nun räumte sie zuerst die kleine Wohnung auf. Und als sie daran dachte, daß sie dieses traute Nestchen in wenigen Stunden verlassen sollte, war ihr ganz erbärmlich zumute. Es half nichts, daß sie sich eine alte Plinskarline schalt, das Herz tat ihr zu weh.

Als sie dann aber das Durcheinander in ihrem Schlafzimmer sah, mußte sie doch lachen. Auf der Erde die halbleergetrunkene Sektflasche, das zerbrochene Glas, das sie in ihrem Dusel einfach in die Gegend geworfen hatte. Das zerfetzte Ballkleid, oben darauf ein Schuh, an dem der Absatz fehlte – ein herrliches Kuddelmuddel!

Nun war die kleine Wohnung, bestehend aus zwei Zimmern, Bad und Küche, blitzblank. So stolz war sie auf dieses kleine Heim, das sie sich durch ihrer Hände Arbeit geschaffen hatte. Und das sollte ihr auch bleiben.

Und was nun? Nun mußte sie wohl an ihren Exchef schreiben. Aber das hatte noch Zeit. Zuerst mal die Koffer vorgeholt. Sie stellte sie in die kleine Diele und wollte sich an den schwierigen Brief machen, als der Fernsprecher anschlug.

Galbetz war am Apparat, entschuldigte sein unverantwortliches Benehmen. Er bat flehentlich um ein Wiedersehen, das sie ihm natürlich schroff abschlug. Als das Betteln und Flehen kein Ende nahm, legte sie den Hörer auf die Gabel.

Aber so ruhig, wie sie sich gegeben hatte, war sie bestimmt nicht. Das Grauen schüttelte sie wieder. Angst machte ihr die Kehle eng. War es nicht furchtbar, so allein zu sein, keinen Menschen zu haben, bei dem sie Schutz suchen konnte?

Nun klingelte es an der Dielentür. Sie stand zitternd da, hielt sich die Ohren zu, war nicht gewillt, zu öffnen. Und mußte es schließlich doch, da der Einlaßbegehrende seinen Finger überhaupt nicht mehr vom Klingelknopf nahm. Der schrille Ton machte sie fast rasend. Dem Unverschämten mußte sie nun doch ihre Meinung sagen, ließ jedoch wohlweislich die Sicherheitskette an ihrem Platz. Vorsichtig lugte sie durch den Türspalt.

Na, das war nun doch schon wirklich die Höhe! Draußen stand tatsächlich Galbetz und wäre ohne weiteres in die Wohnung gedrungen, wenn die Kette ihm nicht Halt geboten hätte.

»Machen Sie auf, Fräulein Wied, ich muß Sie sprechen«, tat er ganz sachlich, doch Thora traute ihm nicht. Schon gar nicht seinen bebenden Händen, die sich durch den Türspalt schoben. Auf seinem Kinn klebte ein Pflaster.

»Ich bin nicht für Sie zu sprechen«, entgegnete sie kalt.

»Und warum nicht?«

»Weil Sie ein Lump sind, mein Herr.«

»Ich verbitte mir Ihre Beleidigungen«, brauste er auf.

»Gehen Sie weg, dann brauchen Sie sich diese nicht anzuhören. Vor allen Dingen nehmen Sie die Hand aus dem Spalt, damit ich die Tür schließen kann.«

Allein er hörte nicht, versuchte krampfhaft die Kette zu fassen. Da biß Thora die Zähne zusammen, schlug die Tür gegen seine Hand, die er dann vor Schmerz zurückzog. Es war brutal, was sie getan. Aber war ihr eine andere Wahl geblieben?

Sie ließ sich im Wohnzimmer auf einen Stuhl sinken. Die Gedanken jagten hinter ihrer Stirn. Wie sollte sie bloß zum Bahnhof kommen? Da klingelte wieder der Fernsprecher. Kurz entschlossen nahm sie den Hörer ab und legte ihn nebenbei. Als sie ihn dann eine Weile später wieder auflegte, blieb es in dem Apparat zwar still, dafür schlug aber die Flurglocke an. Thora griff sich vor Verzweiflung in die Haare. Wenn sie heute nicht verrückt wurde, dann hatte sie Nerven wie Drahtseile.

Diesmal öffnete sie nicht einmal den Türspalt, sondern versuchte den unverschämten Eindringling durch die geschlossene Tür abzufertigen.

»Herr Galbetz, wenn Sie nicht machen, daß Sie fortkommen, dann rufe ich die Polizei an!«

Erschrocken fuhr sie dann über die Stimme zusammen, die draußen antwortete: »Vielleicht läßt du mich ein, Thora!«

Sie hörte nicht auf die Worte, sie hörte nur die sonore Stimme, die sie unter Tausenden herausgekannt hätte. Trotzdem sah sie durch den Spalt.

»Was soll der Unsinn, Thora«, sagte Farnheimb ärgerlich.

Da flirrte die Kette zur Seite, und er trat ein. Sein erster Blick fiel auf die Koffer.

»Also kneifen willst du. Das habe ich mir so ungefähr gedacht. Warum, wenn ich fragen darf?«

»Bitte, wir wollen weitergehen.«

Sie zeigte mit einer Handbewegung nach dem Wohnzimmer. Dort schob sie ihm einen Sessel hin und nahm ihm gegenüber Platz.

»Warum hast du dich auf meinen Anruf nicht gemeldet, Thora? Du bist ja doch zu Hause.«

Sein Blick zeigte auf ihren intimen Hausanzug hin.

Richtig, so durfte sie einen Herrn ja nicht empfangen. Aber das war ja so egal.

»Willst du mir nicht meine Frage beantworten?«

»Lassen Sie mich doch!« fuhr sie unwillig auf. »Was wollt ihr eigentlich von mir, Sie und der Galbetz? Ich habe von euch Männern so genug, daß ich am liebsten dorthin flüchten möchte, wo es keine gibt. Laßt mich doch endlich in Ruhe!«

»Daß Herr Galbetz dich in Ruhe läßt, dafür bin ich sehr. Aber meine Unruhe wirst du dir schon gefallen lassen müssen, mein Kind.«

Herr des Himmels, da klingelte es schon wieder! Ordentlich schadenfroh erhob sich Thora, um zu öffnen. Mochte dieser dunkle Ehrenmann nur kommen.

Angesichts seines Chefs würden ihm seine Raubgelüste vergehen.

»Guten Morgen, Fräulein«, grüßte draußen der Schutzmann, »Ich wollte mich nur erkundigen, wie Sie geschlafen haben.«

»Danke für die Nachfrage, ich schlief wunderbar ruhig.«

»Das freut mich. Ich habe das Haus auch bespitzelt von oben bis unten, habe aufgepaßt wie ein Luchs.«

»Lieb von Ihnen, mein Herr.« Sie verschenkte ihr süßestes Lächeln, das sein Herz hochauf schlagen ließ.

Er grüßte und trollte sich dann. Thora schloß die Tür und ging ins Zimmer zurück.

»Thora, vielleicht erklärst du mir, was das alles zu bedeuten hat?«

Farnheimbs Augen schlossen sich zu einem Spalt, was seinem Gesicht was unerträglich Ironisches gab.

»Erst meldest du dich nicht auf meinen Anruf, dann willst du mich nicht in die Wohnung lassen, weil du annimmst, daß Galbetz Einlaß begehrt, dann kommt ein Schupo und erkundigt sich, wie du geschlafen hast. – Ist das nicht alles ein bißchen merkwürdig?«

»Nein, gar nicht. Es geht Sie auch nichts an, da ich nicht mehr in Ihre Dienste zurückkehren werde. Ich habe Ihnen also keine Rechenschaft abzulegen.«

»Interessant. Und deine Pläne?«

»Ich fahre heute noch nach Berlin und werde mir dort eine Stellung suchen.«

»Die Frau von Normann Farnheimb. Da werden aber die Reporter Arbeit bekommen.«

Empört sah sie ihm in das arrogante Gesicht. »Herr Doktor, es ist eine Beleidigung für mich, daß Sie mich für so dumm halten. An diese Verlobung habe ich keinen Herzschlag lang geglaubt. Ich fasse die ganze Sache als das auf, was sie ist, als Laune eines übersättigten Millionärs, der aus Langeweile Abenteuer sucht. Und daher bitte ich Sie, mich jetzt zu verlassen. Ich habe nämlich noch von heute nacht genug, als Herr Galbetz mich wie eine Dirne vor meiner Wohnungstür überfiel.«

Der Mann hatte keinen Blick von dem zarten Antlitz gelassen. Bei ihren letzten Worten jedoch fuhr er hoch.

»Das hat der Schuft getan?« stieß er wischen den Zähnen hervor.

»Warum soll er nicht? Bisher war sein Betragen mir gegenüber immer ohne Tadel gewesen, sonst hätte ich mich ja nicht mit dem Gedanken getragen, seine Frau zu werden. Aber seit gestern betrachtet er mich wahrscheinlich als Freiwild – wie es andere ja auch noch tun!«

»Wunderbar, mein hochmütiges Kind! Deine Menschenkenntnis ist erschütternd. Nun beruhige dich erst einmal, dann wollen wir weitersprechen, wie es sich für vernünftige Menschen geziemt.« Wie gestern abend im Auto, so schob er ihr auch jetzt wieder eine Zigarette zwischen die Lippen, reichte ihr Feuer und wieder rauchte sie gehorsam. Die Beine übereinandergeschlagen, den linken Arm auf das Knie gestützt, die Hand im Haar vergraben, so saß sie ihm gegenüber.

Seine Gegenwart schien sie vergessen zu haben; denn das geneigte Antlitz trug einen weltentrückten Zug. In fast gleichmäßigen Abständen hob sie die Zigarette zum Mund. Schimmernd schmiegte sich die leichte, leuchtendbunte Seide des Kasaks um den Oberkörper, während die Beine in weiten Hosen steckten. Die Füße umspannten rote Sandaletten.

Das alles nahm der Mann in sich auf, der ihr ruhig gegenübersaß und keinen Blick von ihr ließ. Als sie den Rest der Zigarette in die Schale drückte, sprach er sie an: »Nun, Thora, ruhiger? Willst du mir endlich erzählen, was sich in dieser Nacht zugetragen hat?«

»Nein. Ich bleibe dabei, daß Sie das nichts angeht«, war die schroffe Erwiderung.

Hochmütig war der Blick, der fest auf ihm ruhte und dann allmählich abirrte, weil der seine sie hart und glitzernd traf. Die Röte des Unwillens stieg ihm bis zur Stirn hinauf, an deren Schläfen sich die Adern zu blauem Geäst hoben.

»Thora, du, ich warne dich«, sagte er ganz langsam, ganz tief. »Du hast hier keinen dummen Fant vor dir, mit dem du spielen kannst. Ich als dein Verlobter habe das Recht, mich in deine Angelegenheiten zu mischen, die seit gestern abend auch die meinen sind. Daher werde ich diesen Herrn Galbetz aufsuchen und seine glatte Larve mit der Hundepeitsche so zeichnen, daß ihn einige Wochen lang kein Mädchen mehr ansieht.«

Nun flog ihr Kopf in den Nacken. Eisige Kälte blitzte in ihren Augen auf.

»Herr Doktor Farnheimb, das verbitte ich mir. Ich habe Ihnen doch nun genug erklärt, daß ich nicht willens bin, die freigewordene Stelle Ihrer – Ihrer…«

»Ist doch nur gut, daß du stotterst, mein Kind. Wenn ich die freigewordene Stelle – meiner – meiner – besetzen will, dann suche ich mir jemand anders dazu aus als eine Thora Wied. Aber deinem Mißtrauen muß man wohl mit Tatsachen begegnen. Anders scheint man dir nicht beizukommen.«

Er zog aus der Tasche ein Kästchen, ließ es aufspringen, und Thoras Blick fiel auf zwei schwergoldene Wappenringe.

»Das sind die Ringe unseres Hauses, die jede Farnheimb und jeder Farnheimb vom Verlobungstage bis zum Tode tragen muß. Außer den Eheringen natürlich.«

»Nein!« schrie sie leise auf, und das Entsetzen, das in ihrer Stimme schwang, lag auch in ihren Augen.