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Arbeitsbericht 2018
des Bundesamtes für magische Wesen

Einen Rosengarten versprach ich nie

mit Beiträgen von Eleni Hoh, Ina C. Kocher, Barbara Bellmann, Marcus Watolla, Nina Rheinheimer, Tina Becker, Florian Fehring, Carmilla DeWinter, Jan Vehoff, Harald Weber, Clarissa Windfeder, Sarah Natusch und Susanne Hanauer

Freigabevermerk: Nur für den Dienstgebrauch.

Trocken und termitensicher und, wo immer möglich,

unter Verschluss aufzubewahren.

Auswertung durch fremde Geheimdienste strikt untersagt.

gez.: Carmilla DeWinter

Sachverständige für holistische Logik und Plotlochfindung

Inhalt

Vorwort

Das Frühlingsgefühl auf Abwegen

Eleni Hoh

Wenn du mich liebst, atme!

Ina C. Kocher

Love is in the Air …

Barbara Bellmann

SMS von Marcel

Marcus Watolla

Der erste Pfeil

Nina Rheinheimer

Frühling für die Wölfin

Tina Becker

Von Liebe geschlagen, mit Blindheit getragen

Florian Fehring

Stadt Land Jinn

Carmilla DeWinter

Abseits der Wege

Jan Vehoff

Die Frau in Grün

Harald Weber

Blütenzauber

Clarissa Windfeder

Inkie

Marcus Watolla

Traumwächter

Sarah Natusch

Frühlingsgewitter

Susanne Hanauer

Autorinnen und Autoren

Impressum

Vorwort

Verehrte MitbürgerInnen draußen im Lande,

wenn im Frühling junge Elfen, Vampire, Werwölfe und andere Mitbürger magischer Herkunft auf der Balz sind, wenn die Hormone kreisen, die Triebe sprießen, der Blutmond lockt, dann steht der Frühling vor der Tür.

Mit dem vierten Arbeitsbericht des Bundesamtes für magische Wesen liegt Ihnen eine Kurzgeschichtensammlung vor, die vom amtseigenen Bundeslurch Verlag veröffentlicht wird.

Das Amt wollte von seinen sorgsam beobachtenden und das Geschehen liebevoll dokumentierenden Autorinnen und Autoren wissen, wie diese die Interaktionen zwischen den Angehörigen magischer Spezies, auch solche mit nichtmagischen Spezies, sehen.

Es gibt mehr als bleiche, gelegentlich glitzernde junge Männer mit dem Hang zu alternativer, auf Hämoglobin basierender Ernährung und einem Faible für ungeschickte Mädchen, die in regengebeutelten Reservaten indigener Bevölkerungen abhängen.

Herausgekommen ist eine Kurzgeschichtensammlung, die geeignet ist, zur Aufklärung über die gut integrierten und unter uns lebenden Vampire, Elfen, Werwölfe und andere Angehörige magischer Spezies beizutragen.

Denn der Vampir an sich will auch nur seinen Sarg im Grünen – alles andere ist katholische Gräuelpropaganda.

Das Amt ordnet vergnügliche Lektüre an.

Edmund F. Dräcker,

Präsident des Bundesamtes für magische Wesen

Das Frühlingsgefühl auf Abwegen

Eleni Hoh

Die Tage werden endlich länger, es wird wärmer und die Menschen von Stunde zu Stunde weniger griesgrämig. Ab und an soll sich sogar schon mal ein kleines Lächeln auf das ein oder andere Gesicht gestohlen haben. Die Vöglein sind aus dem Süden zurückgekehrt und erheitern uns mit ihren Sonaten. Kein Zweifel – der Frühling ist eingekehrt. Und doch – irgendwas scheint zu fehlen … aber was denn nur?

Aber von vorne. Die ganze Angelegenheit beginnt viel früher, im späten Winter nämlich. Zu Zeiten, zu denen der Rhein noch fröhlich aus seinem Bettchen tanzt, anstatt brav darin zu schlummern, und die Graugänse noch nicht einmal an Rückkehr denken, sitzt das kleine Frühlingsgefühl – beneidenswerterweise – behaglich im Warmen. Während es im Frühling für menschliche Hormonausbrüche und einige mehr oder minder dauerhafte neue Beziehungen sorgt, versteckt es sich nämlich das übrige Jahr auf Madeira – auch als »Insel des ewigen Frühlings« bekannt. Dort erfüllt es, was es im Rheinland nur zu Zeiten des Lenzes vollbringt. Weshalb die Bewohner der Insel auch stets ein wenig verliebt sind. Doch das ist eine andere Geschichte.

Jedenfalls sind für die anderen Jahreszeiten eigene Gefühle zuständig. Im Sommer herrscht die Abenteuerlust, im Herbst die Behaglichkeit und im Winter die Winterdepression. Die Zuständigkeiten dahingehend sind, wie könnte man es anders erwarten, genau nach Vorschrift geregelt. Deshalb, und auch weil es ihm im Sommer ohnehin viel zu heiß bei uns wird, hat sich das Frühlingsgefühl wie immer in seinem Rest-Jahres-Domizil gemütlich eingerichtet.

Ende Februar, Anfang März fängt es sodann an, den Wetterbericht für Bonn und die Region zu sichten. »Wieso ausgerechnet Bonn?«, möchte man sich vielleicht fragen. Natürlich hätte es sich überall in Deutschland niederlassen können. Doch die Rheinländer mit ihrer vergnügten Art erinnern es immer ein bisschen an sich selbst. Auf Bonn direkt wiederum fiel die Wahl, weil es sich ohnehin beim Bundesamt für magische Wesen zurückmelden und seine Gewerbeerlaubnis verlängern muss, sodass sich der Standort einfach wunderbar anbietet. Das Frühlingsgefühl ist, ob man es glaubt oder nicht, sehr praktisch veranlagt.

Jedenfalls wartet es jedes Jahr, bis das erste Mal Sonnenstrahlen und eine Temperatur von exakt achtzehn Grad Celsius angesagt werden, kontrolliert zur Sicherheit noch kurz den Regenradar, dann macht es sich auf die Reise. Es lässt sich von einer sanften Frühlingsbrise in die Lüfte wirbeln, nimmt Kurs aufs schöne Bonn, wo es gewohnheitsgemäß nach ungefähr drei bis vier Stunden ankommt.

In diesem Jahr aber soll alles anders werden.

Unterwegs in den Lüften wundert sich das Frühlingsgefühl. Auf einmal sind, ganz klar erkennbar, die Lichter des Bonner Münsters zu sehen! Da dort ja sein Ziel liegt, eigentlich nicht weiter verwunderlich.

Was aber sehr wohl verwunderlich ist: die Reisedauer. Es verfügt normalerweise über ein ziemlich gutes Zeitempfinden. Merkwürdigerweise scheint es ihm aber diesmal, als habe es Bonn viel schneller erreicht als sonst. »Hm, vermutlich habe ich einfach länger gedöst, als ich dachte. Das dort unten sind die Münsterlichter, keine Frage.« Mit einem leicht mulmigen Gefühl im Bauch leitet es die Brise zur Landung an. Kaum abgesetzt, entschwindet diese auch schon wieder in die Lüfte.

Aber halt! Was ist das? Es ist kein Münster zu sehen. Kein Heiliger Florentius, kein Heiliger Cassius, die ihm zur Begrüßung zuzwinkern. Erschrocken will das verwirrte Frühlingsgefühl die Brise zurückrufen, doch es ist zu spät. Die Brise ist weitergezogen …

Puck kichert fröhlich vor sich hin. Erst vor einigen Tagen ist er zu einer Europarundreise aufgebrochen, um Jux und Schalk zu verbreiten. In seiner letzten Heimat in Nordirland ist ihm langweilig geworden, denn man kennt ihn dort mittlerweile – kaum jemand fällt noch auf seine Streiche herein. Zeit also, aufzubrechen und sich neue »Opfer« zu suchen.

Kaum hat er Frankreich hinter sich gelassen und Kurs auf Spanien genommen, hört er auf einmal ein leises Schnarchen. Wer kann das sein, hier oben in den Lüften? Normalerweise begegnen ihm in dieser Höhe höchstens einmal ein paar Vögel, die aber nie auf ihn hereinfallen, da sie sich wunderbar auf ihren Instinkt verlassen können. Und sie schnarchen für gewöhnlich nicht, schon gar nicht beim Fliegen. Wer also …?

Vorsichtig schwebt er näher und erblickt ein merkwürdiges Geschöpf, das sich, getragen von einer Frühlingsbrise, einem ausgiebigen Schläfchen hingibt. Das muss Puck sich näher anschauen! Unsichtbar, weil gehüllt in seinen Feenstaub, pirscht er sich an das Wesen heran. Was mag es bloß sein? Und noch wichtiger, wie kann er es hereinlegen?

Deshalb beschließt er, die Frühlingsbrise auszufragen. Er hofft, das Wesen nicht aufzuwecken, wenn er nur leise genug flüstert. So will er an die nötigen Informationen gelangen.

Frühlingsbrisen sind zwar gemeinhin sehr beliebt, aber nicht gerade für ihre Cleverness bekannt. Sich also der Überlegenheit sicher, flüstert Puck: »Meisterin Brise! Ich bin es, dein Chef Aiolos. Sag an, was tust du hier, und warum weiß ich nichts von deinem Unterfangen?«

Die Brise antwortet kleinlaut: »Verzeiht mir, Herr Windgott, ich habe den Auftrag, das Frühlingsgefühl nach Bonn zu bringen. Wie jedes Jahr soll ich es am Münster absetzen. Ich hatte den Antrag, ebenfalls wie jedes Jahr, bereits im Dezember gestellt. Da ich nichts Gegenteiliges hörte, bin ich von einem positiven Bescheid ausgegangen.«

»Nach Bonn also … hmm«, macht der Puck, um Zeit zu gewinnen.

Schnell beeilt sich die Brise anzufügen: »Nie stand dem Ansinnen des Frühlingsgefühls etwas entgegen. Es ist schließlich sein Job! Und bei einem ablehnenden Bescheid hätte ich zumindest eine vierzehntägige Einspruchsfrist erhalten!«

Puck aber kichert fröhlich vor sich hin, ist ihm doch etwas eingefallen. Das Frühlingsgefühl auf Abwege zu bringen, scheint ihm weitaus verlockender, als einen einfältigen Menschen zu verwirren. Sein Kichern aber weckt das Frühlingsgefühl nun doch, denn es fängt an, sich unruhig zu räkeln. So beeilt er sich zu sagen: »Bestimmt hat meine Sekretärin den Antrag genehmigt. Wird schon seine Richtigkeit haben! Wenn ich zurück im Palast der Winde bin, prüfe ich ihn. Doch nun, eile, denn du erfüllst einen wichtigen Auftrag!«

Erleichtert nickt die Brise und macht sich schleunigst davon.

Puck kichert noch einmal, lässt sich bei nächster Gelegenheit tiefer sinken und beginnt dann, mithilfe seines Feenstaubs Irrlichter zu erzeugen. Zu seinem Glück hat auch er schon einmal in Bonn beim Bundesamt für magische Wesen vorsprechen müssen und abends an der Nachtwächtertour teilgenommen. Im Rahmen dieser hatte man auch am Münster angehalten. Er hat ein gutes Gedächtnis und gibt sich große Mühe, exakt die gleiche Beleuchtung zu erschaffen. Was ihm offensichtlich gut gelingt, denn die Brise biegt kurz darauf ab und nimmt Kurs auf Südirland.

Puck indes folgt unauffällig, um sich den Ausgang seines Scherzes nicht entgehen zu lassen.

Einsam und verlassen steht das Frühlingsgefühl also auf einer Wiese. Keine Spur von Bonn oder den Menschen. »Oh weh! Was soll ich nur tun? Wo bin ich, und wo sind die Rheinländer?« Dem Frühlingsgefühl bricht der kalte Schweiß aus und es bekommt Herzrasen ob seiner verloren scheinenden Lage. Wie konnte das nur passieren? In all den Jahrhunderten hat es sich nie im Weg geirrt. Als es ein leises Kichern aus dem Gebüsch vernimmt, hat es endgültig genug. Kopflos rennt es los …

… und stößt mit voller Wucht gegen ein weiches, graues Geschöpf. Durch den Aufprall wird es zu Boden geschleudert und bleibt erst mal einen Moment völlig verdattert sitzen. Dann schaut es sich sein Gegenüber genauer an – und kann sich vor Verzücken kaum halten. Es ist das schönste, edelste Wesen, das seine Äuglein jemals blicken durften. Nicht so grob wie die Menschen, keinesfalls! Von einer zarten Anmut vielmehr und gar herrlichem Glanze. Es tut der Erscheinung noch nicht einmal Abbruch, dass sie eine gewisse Kälte ausstrahlt … diese macht sie vielmehr gerade interessant.

»Wer … wer bist du?«, gelingt es dem Frühlingsgefühl zu stammeln.

»Ich? Wer ich bin? Mich einfach umzurennen, hat dir wohl nicht genügt! Willst nun meinen Namen – wohl um mich zu verklagen?«, antwortet das Wesen schroff.

Da besinnt sich das Frühlingsgefühl seines Charmes und lächelt die fremde Kreatur strahlend an.

Das Eis ist gebrochen, im wahrsten Sinne, und die kalte Schale des Gegenübers schmilzt augenblicklich dahin. »Aber … was …«, mit diesen Worten knickst es galant und räuspert sich. »Gestatten, Winterdepression mein Name! Und ich verzeihe Euch Euer Ungeschick.«

»Win-ter-de-press-iooon! Was für ein schöner Name«, flüstert das Frühlingsgefühl. Natürlich hat es schon vom Gefühl mit der Winterzuständigkeit gehört, aber es sich nie träumen lassen, dass es sich dabei um ein solch holdes Wesen handeln könnte. Längst wäre es sonst schon einmal früher nach Bonn zurückgekehrt, um sie zu treffen.

Der Puck, der immer noch alles mit ansieht, freut sich diebisch.

Nach ein wenig Small Talk stellt sich schnell heraus, dass die Winterdepression eigentlich nur auf der Durchreise ist. Dennoch kennt sie »den besten Schlafplatz in ganz Irland!«

»Irland? Da bin ich also gelandet! Schöööön …«, murmelt das Frühlingsgefühl entrückt.

Und die Winterdepression, ganz Charmeurin, flötet: »Kein Zweifel! Das Schicksal hat uns zusammengeführt! Wir können uns ihm unmöglich widersetzen.«

Kurz gewinnt im Frühlingsgefühl das Pflichtbewusstsein die Oberhand: »Oh! Was ist mit der Arbeit? Wir haben einen Job zu erledigen.«

»Hmpf. Pfeif auf den Job! Warum soll dir nicht auch einmal gestattet sein, was du sonst nur anderen vergönnst? Dein ganzes Leben hast du in ihren Dienst gestellt. Und sie? Haben sie es dir je gedankt? Sei glücklich mit mir, wenn ich es schon nie sein werde. Genieße deinen Lenz, wertestes Frühlingsgefühl!«

Das Frühlingsgefühl streift seine letzten Zweifel ab und gibt sich ganz der Winterdepression hin, durchstreift mit ihr das Land, tuschelt ihr Betriebsgeheimnisse zu und freut sich des plötzlich so freien und ungezwungenen Daseins. Endlich weiß es, wie sich die Menschen fühlen, die es beglückt.

Die Geschichte könnte hier mit einem »und so lebten sie glücklich bis an ihr Lebensende« einen schönen Ausklang finden.

Aber halt!

Wäre das denn wirklich ein Happy End? Wenn die Menschen – besonders unsere liebenswerten Bonner – künftig gar keine Frühlingsgefühle mehr empfinden dürften? Wohl kaum.

Den Puck hingegen langweilen zwischenzeitlich die verliebten Saisonarbeiter. Allerdings hat ihn die Angelegenheit auf eine gute Idee gebracht. So beschließt er, dass sein nächstes Ziel Bonn sein soll. Die Rheinländer sind ihm im Wesen nicht unähnlich – für Jux und Tollerei immer zu haben. Und wenn ihm mal ein Scherz misslingt, nehmen sie es ihm nicht übel, sondern haben ein paar Weisheiten in ihrem sympathischen Dialekt parat. Den versteht er zwar nicht immer, doch gefällt ihm der Klang, der sich wie ein Singsang von einem zum andren verbreitet. Auf ein »Et es wie et es!« folgt so zumeist ein »Et kütt wie et kütt!« und man stößt mit einer Art Reagenzglas – gefüllt mit goldener Flüssigkeit – auf das Unbill an und klopft sich herzlich auf die Schultern.

Ja, das ist es, was ihm fehlt! Also macht er sich seinerseits auf nach Bonn und dreht erst einmal die beiden riesigen steinernen Köpfe, die den Märtyrern Florentius und Cassius gehören, herum. Ob das wohl jemandem auffällt? Er legt sich auf die Lauer.

Wie er sich so in seinem komfortablen Versteck auf dem Haupt der Beethovenstatue befindet, schlurfen die ersten Menschen vorbei. Keiner bemerkt etwas von seinem Streich.

Nun gut, erwachsenen Menschen sagt man nicht nach, dass sie die aufmerksamsten Wesen unter der Sonne seien. Ein Kind ist, was er braucht! Kinder nehmen solcherlei Kleinigkeiten am ehesten wahr. Er wartet und wartet. Nichts.

Nachdem über drei Stunden lang niemandem etwas aufgefallen ist, will er sich schon enttäuscht von dannen machen. Da wird es laut unter der Beethovenstatue. Was ist da los? Haben die Leute etwa endlich etwas mitbekommen? Er schaut näher hin und entdeckt zwei Menschen, ein Weibchen und ein Männchen, die sich aufgeregt unterhalten. Der Mann fragt die Frau gerade nett, ob sie nicht mit ihm ausgehen will. Sie aber holt aus und knallt dem armen Kerl eine Backpfeife ins Gesicht, die sich gewaschen hat. Dann dreht sie auf dem Absatz um und lässt ihn schockiert zurück.

Der Puck ist ebenfalls verdattert, allerdings aus einem anderen Grund. Ihm dünkt Übles. Die Menschen – nicht nur das seltsame Pärchen – wirken viel unzufriedener als sonst um diese Jahreszeit, regelrecht griesgrämig. Er kennt natürlich das Phänomen, das durch das Frühlingsgefühl ausgelöst wird, aus Erzählungen. So schaut er genauer hin, betrachtet all die vorüberziehenden Passanten. Nichts von den üblichen Anzeichen des Lenzes ist spürbar, und das trotz des wunderschönen, milden Tags, trotz des Sonnenscheins. Keiner schreitet mit der üblichen Leichtigkeit voran. Kaum jemand lächelt oder flirtet gar. Da wird ihm das Ausmaß seines Streiches bewusst. Erst will er sich freuen, denn führt er nicht weit mehr Leute an der Nase herum als vorgesehen? Sozusagen hundert auf einen Streich – mindestens. Leider hält seine Freude nicht lang, ahnt er doch, dass der Ulk zu weit geht. Er meint es doch nicht böse. Will doch wie stets nur eines: lustig sein, Freude bringen und Spaß verbreiten. Doch die Rheinländer sind weit weniger spaßig als erwartet. Und dabei fällt es noch nicht einmal jemandem auf, was er »verbrochen« hat. Folglich gilt der Witz – rein technisch gesehen – gar nicht. Der Puck seufzt einmal tief und schwingt sich wieder in die Lüfte zurück nach Irland, um das Frühlingsgefühl und die Winterdepression zu suchen.

Sie zu finden ist ein Kinderspiel – er muss nur dem Konzert der glücklich trällernden Vöglein oder dem Tanz der entzückten Schmetterlinge folgen. Oder auch den schwarzen, dunklen Wolken, die um sie herumwirbeln. Diese Boten führen ihn schnurstracks zum Frühlingsgefühl und seiner Geliebten.

Bei ihnen angelangt, zögert er einen kurzen Moment. Sammelt sich, denn er darf es nicht vermasseln.

Dann tritt er entschlossen aus dem Gebüsch und tippt den ineinander Verschlungenen auf die Schulter. Sie scheinen nichts zu bemerken, sind sie doch so sehr miteinander beschäftigt. Oh weh, da hat er aber etwas angestellt! Er pustet eine Wolke Feenstaub in ihre Richtung. »Haaatschi!«, macht das Frühlingsgefühl und sieht sich befremdet um.

Diese Gelegenheit nutzt der Puck und beginnt seine zurechtgelegte Rede: »Meine Teuersten! Ich unterbreche ja nur ungern, aber soweit ich weiß, hat zumindest einer von euch einen wichtigen Job zu erledigen!«

»Sag an! Was faselst du da, Zwerg?«

Der Puck hüstelt entsetzt ob dieser Beleidigung und kann kaum seine Empörung verbergen. Ein Zwerg? Gekränkt überlegt er sich, einfach das Weite zu suchen. Aber nein! Seine Aufgabe ist zu wichtig. Zu groß der Schlamassel, den er angerichtet hat …

»Einzigartig bin ich, keiner dieser austauschbaren Zwerge! Dennoch, ich will Nachsehen mit euch haben. Liebe macht ja bekanntlich blind. Außerdem kennt man mich vielleicht aufgrund eben meiner Einzigartigkeit nicht sofort. Puck, mein Name, zu Diensten.« Mit diesen Worten knickst er und zieht einen imaginären Hut.

Das Frühlingsgefühl und die Winterdepression tauschen verwirrte Blicke, die er aber getrost übersieht: »Genug der Höflichkeiten. Husch, husch, ab nach Bonn, wo man dich schon sehnsüchtig erwartet, mein Bester.«

So einfach gibt sich das Frühlingsgefühl nicht geschlagen: »Von wegen! Ich streike! Ein einziges Mal habe auch ich es verdient, diese Leichtigkeit zu fühlen, die ich all die Jahrhunderte den anderen bereite!«

Zustimmend nickt die Winterdepression und drückt seine Hand.

Der Puck seufzt. Nun muss ein Plan B her. Schnell! Im charmantesten Tonfall versucht er es noch mal: »Aber ja doch, natürlich das hast du es verdient. Doch die Sache steht so, die Bonner blasen Trübsal und wir beide bekommen eine Menge Ärger mit der übergeordneten Behörde. Vielleicht …«

»Moment! Wieso ›Wir beide?‹ Warum solltest du dir denn Ärger einhandeln, wenn ich nicht arbeite?«, unterbricht das Frühlingsgefühl. Liebe macht zwar blind, wohl aber nicht taub oder gar dumm.

Der Puck beißt sich auf die Lippe. Mist! Da hat er sich verraten. Er seufzt tief und beschließt, es mit der Wahrheit zu versuchen. Zähneknirschend beichtet er den Streich.

Die Winterdepression funkelt ihn an, doch nun hat das Frühlingsgefühl Mitleid mit dem Armen, der vor schlechtem Gewissen sichtlich zergeht. »Hmm. Zwar hast du mich an der Nase herumgeführt, jedoch uns Zweien wiederum zu großem Glück verholfen. Ich werde dir aus der Patsche helfen, allerdings habe ich drei Bedingungen: Sieh zu, wie du mich ins Rheinland bekommst! Mir fehlt das Transportmittel, ist meine Frühlingsbrise doch längst weitergezogen. Außerdem wirst du mir helfen, Frohsinn und Leichtigkeit zu verbreiten. So bin ich schneller fertig und bereit für eigene amouröse Angelegenheiten. Und du, liebste Winterdepression, musst mir versprechen, genau hier auf mich zu warten. Nach getaner Arbeit will ich gemeinsam den wohlverdienten Jahresurlaub auf Madeira antreten.«

Eifrig nickt der Puck und murmelt, dass dies eine ganz hervorragende Idee sei und beide Bedingungen ein Leichtes für ihn und seinen Feenstaub. Er will schon einschlagen, da fangen sie unweigerlich den skeptischen Blick der Winterdepression auf.

Schnell beeilt sich das Frühlingsgefühl zu erklären: »Du siehst sicherlich, wir beide können in Bonn schlecht gemeinsam auftreten. Dort ist man – sei mir nicht böse – vermutlich froh, dass ich dich ablöse. Gemeinsam würden wir nur Chaos stiften. Die Leute in Madeira aber kennen dich nicht, bei ihnen wirst du daher nicht auf Ablehnung stoßen. Und du wirst die Insel lieben, sei dir sicher! Ich eile – im Handumdrehen bin ich wieder da. Also, was sagst du?«

Die Winterdepression schmollt weiter vor sich hin. Da flüstert ihr das Frühlingsgefühl etwas ins Ohr und plötzlich huscht ein breites Grinsen über ihr Gesicht. »In Ordnung!«, stimmt sie zu und grinst leicht schadenfroh.

Dem Puck soll das egal sein, er ist froh, dass er seinen Streich nun doch noch ausbügeln kann. Eigentlich liegt es ihm fern, echten Schaden anzurichten. Er meint es nie böse mit den Streichen, sondern versucht, zur allgemeinen Erheiterung beizutragen. So verabschieden sich die beiden Liebenden schließlich mit einer innigen Umarmung und der Puck kann aufatmen …

Gemeinsam ziehen die beiden also weiter nach Bonn. Gerade rechtzeitig, denn ein schläfriger Beamter des Bundesamts für magische Wesen geht just in diesem Moment daran, einen Ordnungs­geldbescheid aufsetzen. Er ist unglücklicherweise nicht nur schläfrig, sondern auch ein großer Anhänger des Frühlingsgefühls. Dieses holt ihn wenigstens einmal im Jahr aus seinem Trott und schenkt ihm etwas Freude im Leben. Daher war ihm – als einzigem soweit – das Ausbleiben aufgefallen. Wie ihm ein Vöglein vom Dache pfeift, trifft nun endlich das sehnlichst erwartete Gefühl ein. Er atmet auf. Gut, dass er den Bescheid noch nicht fertig hat, so hat er sich nicht zu viel, noch dazu unnötige, Arbeit gemacht. Er beschließt, beide Augen zuzudrücken und die Verspätung ungeahndet zu lassen. Sicherlich liegt diese am Wetter! Der Frühling setzt ja auch immer später ein …

Jetzt wo es endlich eingetroffen ist, bemerken die Bonner auch, was ihnen gefehlt hat. Da ist es ja, das Frühlingsgefühl! Sorgt für Kribbeln im Bauch und freudig strahlende Menschen. Für Liebesgeplänkel und Leichtigkeit. Die Menschen genießen den Lenz nun umso ausgelassener, kam er in diesem Jahr doch erstaunlich spät. Die Hormone schießen in den Himmel und dank Pucks Hilfe geht nicht nur die Leichtigkeit herum, sondern auch eine gehörige Portion Schalk.

Das Frühlingsgefühl freut sich mit den Leuten und für sich selbst. Außerdem erwächst eine tiefe Freundschaft zum Puck, der ihm so tatkräftig hilft. Wer weiß, vielleicht wird man sie in Zukunft noch öfter gemeinsam antreffen?

Nach getaner Arbeit, die diesmal aufgrund von Zeitdruck und Verspätung ein klein wenig kürzer, aber dafür umso leidenschaftlicher ausfällt, kehrt das Frühlingsgefühl zufrieden zu seiner Winterdepression zurück. Diese empfängt ihn mit einem Kuss und einer innigen Umarmung. Jetzt können sie unbeschwert die neugewonnene Freiheit genießen.

Was aber ist derweil mit unserem Puck? Der kleine Scherzkeks bleibt zurück in Bonn. Auch er hat die Liebe gefunden – dank des Frühlingsgefühls. Dieses hat nach getaner Arbeit seinen – den leise der Winterdepression ins Ohr geraunten Plan – umgesetzt. Es konnte nicht widerstehen, sich am Puck mit einem kleinen Gegenstreich zu rächen. Nun also ist auch dieser unsterblich verliebt – in keinen Geringeren als den großen Maestro. Ob Beethovens unsterblicher Geist davon angetan ist, bleibt abzuwarten. Puck jedenfalls macht sich darüber keine Sorgen, sieht er doch alles durch die rosarote Brille.