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Nr. 55

 

Der Schwarm

 

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

Auf der Erde und den von Menschen besiedelten Planeten schreibt man das Jahr 3441: Perry Rhodan kommt mit dem Raumschiff MARCO POLO von einer Fernexpedition in die Milchstraße zurück und wird Zeuge eines atemberaubenden Schauspiels. Tausende von Sonnen und Planeten tauchen auf, gehüllt in riesige Blasen – es ist der Schwarm.

 

Dann verlassen gigantische Raumschiffe, die so genannten Manips, das kosmische Gebilde. Eine Strahlungswelle eilt ihnen voraus, die den Intelligenzen der Milchstraße den Verstand raubt: Die »Verdummungswelle« erfasst alle Welten der Galaxis. Ein Rückfall beginnt, der alle galaktischen Kulturen in ein todbringendes Chaos stürzt.

 

Nur wenige Menschen und Außerirdische erweisen sich als immun, darunter Perry Rhodan, die Zellaktivatorträger und die Mutanten. Verzweifelt nehmen sie den Kampf gegen den drohenden Untergang auf ...

Vorwort

 

 

Als im Jahr 1971 der fünfhundertste Band der PERRY RHODAN-Heftserie erschien, machten Autoren, Verlag und sicher auch manche Leser und Clubs ein Riesenfass auf. Selbst die allerkühnsten Optimisten hätten beim Start der Serie jeden für verrückt erklärt, der ihnen diesen Riesenerfolg prophezeit hätte. Bekanntlich nähern wir uns bei den Heften inzwischen mit Riesenschritten der Nummer zweitausend, aber die Euphorie und der Stolz wie beim Fünfhundertsten wird wohl nie mehr zu erreichen sein. Sie wurden nur noch überboten, als das erste Tausend voll war und William Voltz seinen großen Roman »Der Terraner« vorlegte.

Dass das »halbe Tausend« einen Einschnitt bedeutete, war Programm. Das bisherige Handlungsmuster war ausgereizt: Neuer Gegner taucht auf, Perry Rhodan fliegt in dessen Heimatgalaxis und sorgt hier wie dort für ein Happy End. Etwas vollkommen Neues musste her, und auch jetzt ahnte kein Mensch, welche Tugend aus dieser Not gemacht wurde.

Mit dem »Schwarm« tauchte zwar abermals ein furchtbar überlegener Gegner auf, aber mit den Invasoren von vorher hatte er nicht mehr viel zu tun. Was hier an Phantasiearbeit geleistet worden ist, ist gewaltig. Der Stoff, aus dem der Schwarm war, hat ausgereicht, um alle folgenden Zyklen bis (und bis nach) Band tausend mit Geheimnis und Hintergrund zu füllen.

Hans Kneifel schrieb in seinem Statement zum Erscheinen des Fünfhundertsten sinngemäß, dass etwas vom Erfolgsgeheimnis PERRY RHODANS darin liege, dass es gelungen sei, eine Handvoll von Individualisten unter einen Hut zu bekommen. Er hatte recht. Jeder der zu der Zeit fünf Autoren hatte seinen unverkennbaren Stil, der sich, wo es ging, reichlich austobte, im Zweifelsfall aber dem Gesamtwerk unterordnete. Und so wird es weiterhin sein. Mit Ernst Vlcek gibt in diesem Buch ein weiterer Autor sein Debüt und deutet in seinem allerersten PERRY RHODAN schon an, welche Bereicherung er für das Team darstellen wird.

Was diesen 55. Band der PERRY RHODAN-Bibliothek betrifft, so ist uns ebenfalls ein wenig nach Feiern zumute, nicht zuletzt wegen der vielen Leser, die die Buchausgabe der größten Science Fiction-Serie seit nunmehr achtzehn Jahren mit Treue, Begeisterung und konstruktiver Kritik begleitet haben. Ohne ein solches Feedback würden wir in den luftleeren Raum arbeiten.

Natürlich gibt es Dinge, die vielen Fans aufgestoßen sind, die die Heftserie von Anfang an kennen – die »unterdrückte« Reise im Nullzeitdeformator; oder Whisper, der Flattersymbiont zur Verstärkung von Perrys überhaupt nicht vorhandenen telepathischen Fähigkeiten. Manchmal muss (wenn auch zähneknirschend) im Interesse der Logik eben die eine oder andere Änderung vorgenommen werden. (Für mich, der sich damit herumplagen und um seine letzten Haare fürchten muss, wäre es gewiss einfacher, Saurier anno 200.000 v. Chr. weiter über die Erde stampfen zu lassen, anstatt aus ihnen zeitgenössische Untiere zu machen).

Der Stoff wird zweifellos schwerer, aber die Aufgabe faszinierender. Dieses Buch schildert aus verschiedenen Warten, was über die Galaxis hereinbricht und welche allgemeinen Veränderungen sich ergeben haben. Perry, Bully und andere, neue Figuren werden auch in den nächsten Bänden oft getrennt operieren müssen, um dem Schwarm von mehreren Seiten zu Leibe zu rücken. Wir werden uns redlich bemühen, dass jedes Buch dennoch ein in sich abgeschlossenes Kapitel dieses Zyklus darstellt.

 

Die in diesem Band enthaltenen Originalromane sind, in Klammern die Heftnummer: Sie kamen aus dem Nichts (500) von K. H. Scheer; In der Betonwüste (501) und Im Schwarm gefangen (505) von William Voltz; Planet der Digger (503) von Clark Darlton; Das Raumschiff des gelben Götzen (504) von Hans Kneifel und Die Banditen von Terrania (509) von Ernst Vlcek.

 

Mein ganz besonderer Dank gilt (wieder einmal) Michael Thiesen aus Kaiserslautern, der in bewundernswerter Weise und mit viel Engagement ein für wirkliche Liebhaber der Serie eigentlich unverzichtbares Nachschlagewerk geschaffen hat, das vom PRC UNIVERSUM (c/o Hans-Dieter Schabacker, Limbacher Straße 24, 66839 Schmelz) als »PR-Zeitraffer« herausgegeben wird und eine Kurzinhaltsbeschreibung von jedem bisher erschienen PERRY RHODAN-Heft enthält – und dem Buchbearbeiter ein wertvoller Wegbegleiter durch die Irrungen und Wirrungen einer vielhundertbändigen Serie ist.

 

Horst Hoffmann

Zeittafel

 

 

1971 – Perry Rhodan erreicht mit der STARDUST den Mond und trifft auf die Arkoniden Thora und Crest.

1972 – Mit Hilfe der arkonidischen Technik Einigung der Menschheit und Aufbruch in die Galaxis.

1976 – Das Geistwesen ES gewährt Rhodan und seinen engsten Wegbegleitern die relative Unsterblichkeit.

2040 – Das Solare Imperium ist entstanden und stellt einen galaktischen Wirtschafts- und Machtfaktor ersten Ranges dar. In den folgenden Jahrhunderten Bedrohung durch die Posbi-Roboter und galaktische Großmächte wie Akonen und Blues.

2400 – Entdeckung der Transmitterstraße nach Andromeda; Abwehr von Invasionsversuchen von dort und Befreiung der Völker vom Terrorregime der Meister der Insel.

2435 – Der Riesenroboter OLD MAN und die Zweitkonditionierten bedrohen die Galaxis. Nach Rhodans Odyssee durch M 87 Sieg über die Erste Schwingungsmacht.

2909 – Während der Second-Genesis-Krise kommen fast alle Mutanten ums Leben.

3430 – Um einen Bruderkrieg zu verhindern, lässt Rhodan das Solsystem in die Zukunft versetzen. Bei Zeitreisen lernt er den Cappin Ovaron kennen.

3437/38 – Um Ovaron zu seinem Recht als Herrscher (Ganjo) über die Ganjasen zu verhelfen und einer befürchteten Cappin-Invasion zuvorzukommen, startet Perry Rhodan mit der MARCO POLO eine Expedition in die Galaxis Gruelfin. Nach Kämpfen gegen die dort herrschenden Takerer Entdeckung der angeblich ausgestorbenen Ganjasen. Ovaron wird von der Urmutter als Ganjo identifiziert. Der Riesenroboter opfert sich beim Kampf um das Solsystem selbst. Der Planet Pluto wird dabei zerstört.

Prolog

 

 

Ein gutes Jahr nach dem Aufbruch Perry Rhodans mit der MARCO POLO in die Cappin-Galaxis Gruelfin ist die Auseinandersetzung zwischen den Menschen und Cappins auf der einen und den großen Cappin-Völkern auf der anderen Seite beendet. In Gruelfin, so ist abzusehen, wird wieder Friede einkehren. Ovaron ist als alter und neuer Ganjo bestätigt, und sein bisher im Exil lebendes Volk sieht einer neuen Blütezeit entgegen.

In der Milchstraße ist die letzte Schlacht ebenfalls geschlagen. Sie endete damit, dass sich die Urmutter, ein von Ovaron vor zweihunderttausend Jahren programmierter Riesenroboter, selbst vernichtete, und mit ihr alle Sammler und Vasallen, die von den Takerern als unbesiegbar erscheinende Streitmacht gegen die Menschheit missbraucht worden waren. Die verheerenden freiwerdenden Energien zerstörten den Planeten Pluto und richteten auf anderen Welten des Solsystems teilweise katastrophale Schäden an, doch der Kampf war vorbei. Die Terraner können mit dem Neuaufbau beginnen. Die albtraumhafte Gefahr durch die takerischen Pedotransferer ist ein für allemal beendet.

Da keine Dakkarkom-Funkverbindung zwischen der Milchstraße und Gruelfin mehr besteht, wissen Perry Rhodan und seine Getreuen nichts von diesen Ereignissen. Die Sorge um das Solsystem und die Tatsache, dass sie in Gruelfin nun nicht mehr gebraucht werden, treibt sie nach Hause, und nach einem misslungenen Versuch startet die MARCO POLO am 27. Juli zu dem über 35 Millionen Lichtjahre weiten Flug, der völlig anders enden soll als in Rhodans kühnsten Phantasien ...

1.

 

Juli 3438

 

MARCO POLO

 

 

»Wie benehmen sich Ihre Wandeltaster?«

Oberstleutnant Dr.-Ing. Nemus Cavaldi, Leitender Ingenieur der MARCO POLO, lachte.

»Wie guterzogene Kinder, Sir. Alles in Ordnung. Ich glaube nicht, dass wir nochmals mit Schwierigkeiten zu rechnen haben. Das wäre innerhalb der Dakkarzone auch nicht wünschenswert. Ende, Sir.«

Perry Rhodan schaltete die Bildsprechverbindung ab. Cavaldis feistes Gesicht verblasste.

»Ein tüchtiger Mann«, stellte Atlan fest. Der Regierende Lordadmiral der USO saß neben Rhodan im zweiten Kommandeursessel des Ultraschlachtschiffes MARCO POLO, das sich auf dem Heimflug zur Milchstraße befand.

»Ein Könner!«, verbesserte Rhodan. »Du solltest mit deinem Lob nicht so sparsam umgehen.«

Atlan runzelte die Stirn. Er schaute sich prüfend in der großräumigen Zentrale des terranischen Superriesen um.

Während des Brückenschlags durch die Dakkarzone zwischen der fünften und sechsten Dimension hatten alle drei Emotionauten ihre Manöverplätze eingenommen.

Oberst Elas Korom-Khan flog das Schiff. Der Erste Kosmonautische Emotiooffizier, Oberstleutnant Senco Ahrat, überwachte die auf geistiger Ebene aufgenommenen Schaltvorgänge des Kommandanten.

Major Mentro Kosum, Zweiter Emotiooffizier der MARCO POLO, saß einsatzbereit im dritten Kontursitz. Ebenso wie seine beiden Kollegen trug er eine SERT-Haube, deren Impulstaster die befehlsgebenden Gedankenströme der parapsychisch begabten Männer abnahm, sie weitergab und die entsprechenden Geräte zur Reaktion zwang.

»Simultane Emotio- und Reflex-Transmission« nannte man diesen erstaunlichen Vorgang. Nicht einmal die als reaktionsschnell bekannten Haluter oder Ertruser waren fähig, die gedankenschnelle Schaltgeschwindigkeit der Emotionauten annähernd zu erreichen.

Atlan schwenkte seinen Kontursitz herum und schaute erneut auf die großen Bildschirme der Panoramagalerie. Dort draußen war alles und nichts. Das dunkelrote Wabern und Wallen, in dem zahllose Riesenmoleküle zu schwimmen schienen, war der optisch erkennbare Teil eines dimensionalen Überlagerungsraumes, der bislang nur rechnerisch erfasst werden konnte, und das nur vage.

Atlan wusste lediglich, dass die MARCO POLO mit milliardenfacher Geschwindigkeit des Lichts durch ein Kontinuum raste, das mit dem gewohnten und begreifbaren Einsteinschen Weltraum nichts mehr zu tun hatte.

Rhodans Frage nach der Funktionstüchtigkeit des derzeit eingeschalteten Pralitzschen Wandeltasters war daher berechtigt gewesen. Diese Geräte waren die wichtigsten Teilaggregate des Dimesextatriebwerks, mit dessen Hilfe man die gigantischen Entfernungen zwischen den Galaxien überwinden konnte.

Bedeutsam an dieser technischen Neuentwicklung war die Tatsache, dass die MARCO POLO das erste von Menschen erbaute Raumschiff war, das über derartige Maschinenanlagen verfügte.

Atlan entschloss sich zu einer verspäteten Antwort.

»Also schön, dann ist Cavaldi eben ein Könner. Einverstanden! Wenn er das Schiff diesmal programmgemäß bis zur Milchstraße bringt, will ich ihm sogar noch mehr ehrenvolle Bezeichnungen zubilligen. Übrigens, gilt der letzte Befehl immer noch?«

Atlan klopfte mit dem Zeigefinger bedeutungsvoll an den zurückgeklappten Panzerhelm seines Schutzanzuges.

»Er gilt noch!«, bestätigte Rhodan knapp. »Funksprechverbindung bleibt zusätzlich zum Interkomkontakt bestehen.«

Atlan seufzte in sein vorgeschwenktes Helmmikrophon. Mentro Kosum lachte. Dieser Mann war in der Lage, trotz seiner angestrengten Tätigkeit auch noch die Gespräche auf der Interkom- und Funkfrequenz zu verarbeiten.

»Bitte keinen Knüttelvers, Mr. Kosum«, warnte Rhodan. »Sie haben uns damit ausreichend strapaziert.«

»Wie Sie meinen, Sir«, ertönte eine Stimme aus den Helmlautsprechern.

»Das meine ich nicht nur, sondern das ist eine begründete Vorsichtsmaßnahme! In der Dakkarzone fühle ich mich so wohl wie in einem dunklen Keller. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie meine Auffassung teilen würden.«

»Genau, genau, so sprach der Richter, erging es meinem Lieblingsdichter. In Klammern Schüller.«

Rhodan holte tief Luft. Das unterdrückte Gelächter aus etwa achttausend Kehlen klang in seinem Helmlautsprecher wie ein Donnergrollen.

»Ich bitte um Ruhe«, rief der Großadministrator. »Und Sie, Mr. Kosum, Sie sollten sich endlich abgewöhnen, sich für einen Historiker und Altsprachenforscher zu halten. Der Dichter hieß nicht Schüller sondern Schiller. Außerdem kann ich mich nicht erinnern, aus seinem Munde jemals etwas derart Absurdes gehört zu haben.«

»Ah, den haben Sie noch persönlich gekannt, Sir?«

Rhodan grinste. Kosum war in seiner Art unschlagbar.

»Kosum, Sie sind ein verkanntes Genie«, sagte Atlan. »Melden Sie sich nach der Heimkehr bei der USO. Ich kann Ihnen auf alle Fälle eine wesentlich bessere Bordverpflegung bieten.«

»Schmutzige Abwerbung eines auf Kosten des Solaren Imperiums geschulten Mannes«, klang es aus den Helmgeräten. »Ja, runzle nur nicht die Stirn, alter Arkonide. Hier spricht Sonderoffizier Guck, auch Gucky genannt. Von wegen unsere besten Leute mit deiner lächerlichen USO-Bordverpflegung ködern. Mein Freund Kosum wird dir etwas husten.«

Tatsächlich hörte man ein Husten. Danach Kosums Stimme, die infolge seiner SERT-Haube verzerrt wurde.

»Verzeihung, Herr Mausbiber, aber ich habe mich soeben entschlossen, das Angebot eines ehrenwerten Mannes mit allen Konsequenzen zu überdenken. Wenn man an diese dehydrierten Nahrungsmittel in terranischen Kampfschiffen denkt, könnte ein kluger Mann sehr wohl zu der Auffassung kommen, dass ...«

»Halt ja den Mund«, vernahm man Guckys schrille Stimme. »Kein Wort mehr, oder ich bin die längste Zeit dein Freund gewesen.«

Atlan rüttelte am Halsverschluss seines Anzugs. »Verflixtes Ding! Wann werden die Terraner endlich Kombinationen bauen, die ihre Träger nicht erwürgen. Was das Angebot betrifft: Es gilt, Mr. Kosum.«

Rhodan achtete nicht mehr auf den Meinungsaustausch. Er wusste nur zu gut, dass die achttausend Männer der MARCO POLO während des riskanten Fluges nichts besser gebrauchen konnten als Ablenkung und nochmals Ablenkung.

Atlan, Kosum und Gucky verhielten sich sehr geschickt. Natürlich waren sie ebenfalls über die psychologischen Gefahrenmomente orientiert, die eine solche Reise mit sich brachte.

Rhodan duldete das Wortgeplänkel. Auch Korom-Khan unterbrach es nicht, obwohl es seine Aufgabe als Kommandant gewesen wäre, an Bord des von ihm geführten Raumschiffes die unerlässliche Disziplin aufrecht zu erhalten.

Rhodans und Atlans Blicke kreuzten sich. Beide Männer schmunzelten. Sie hatten sich wortlos verstanden.

 

Captain Verso Honadri, Erster Streifenoffizier vom Dienst an Bord der MARCO POLO, kümmerte sich weder um die Gefahrenmomente der Dakkarreise noch um das Geplänkel. Er hörte es ebenso wie die anderen Männer der Besatzung, nur dachte er nicht daran, seine Aufgabe auch nur eine Sekunde lang zu vernachlässigen.

Zu seiner Streife gehörten zehn Mann des Wachkommandos und fünf Kampfroboter, die er mit Hilfe eines tragbaren Spezialgerätes jederzeit umprogrammieren konnte.

Die Kontrolltrupps waren während der turbulenten Ereignisse in der Galaxis NGC 4594 zusammengestellt worden, als takerische Pedotransferer versucht hatten, unauffällig einzusickern und besonders die führenden Männer des Schiffes geistig zu übernehmen. Das war auch der Grund dafür, dass die Roboter und zusätzlich zwei Spezialisten Geräte mitführten, die einen von Transferern übernommenen Menschen orten konnten.

Eine weitaus bessere Entwicklung war unterdessen auf der Erde herangereift.

Honadri befand sich mit seinem Trupp in Höhe der 22. Etage, Zwischendeck II. Hier lagen die kleineren Stauräume für hochwertige Bedarfsgüter.

Im Labyrinth der Gänge, Aufzüge und Lagerhallen, den benachbarten Maschinenräumen und Ersatzteildepots musste man sich schon auskennen, um sich nicht rettungslos zu verirren.

Die Raumfahrersage berichtete vom Tod eines neuen Besatzungsmitgliedes, das sich derart verlaufen hatte, bis der Mann schließlich verhungerte. Das aber sollte sich an Bord eines Superschlachtschiffes zugetragen haben. Das Kugelschiff hatte 1,5 Kilometer durchmessen, die MARCO POLO jedoch durchmaß 2,5 Kilometer. Dennoch herrschte in dieser gewaltigen Kugelrundung eine drangvolle Enge. Sie wurde durch die Konstruktion an sich, die Maschinenräume, Lagerhallen, Hangars und tausend andere Einrichtungen hervorgerufen.

Es war daher nicht verwunderlich, dass sich Captain Verso Honadri überwiegend auf seine vielfältigen Ortungsgeräte verließ. Sie arbeiteten auch in der Dakkarzone, denn die Umwelteinflüsse des fünf- und sechsdimensionalen Raumes wurde von dem Sextadimschirm des Brückenschlagtriebwerks reflektiert.

»Ortung Energiestrahl, Sir«, meldete einer der Kampfroboter. »Geringe Leistung. Wahrscheinlich Desintegrator. Handfeuerwaffe.«

Honadri blieb stehen. Mit einer unbewussten Bewegung umklammerte er den Griff seiner Dienstwaffe. Es war ein Kombistrahler.

»Einpeilen, sofort.«

»Peilung steht. Auswertung nach programmiertem Lageplan beendet. Raum VALO-III-sechs. Erneute Energieentwicklung.«

Captain Honadri begann zu rennen. Die Halle III-sechs war ihm sehr gut bekannt. Dieses Deck glaubte er wie seine Notration zu kennen, was sich aber gelegentlich als Irrtum erwiesen hatte. Niemand konnte die Räumlichkeiten dieses Ultragiganten genau registrieren.

Nach drei Minuten kam das Kommando vor dem Sicherheitsschott der kleinen Lagerhalle an. Die beiden davor stationierten Kampfroboter lagen bewegungsunfähig am Boden. Sie hatten sich erstaunlicherweise selbst zerstört.

Honadri zog wortlos die Waffe. Das Mikrofunkgerät des Helms schaltete er ab. Ein hinweisender Wink wurde von seinen Männern verstanden. Niemand sprach ein Wort. Die Roboter standen reglos im Hintergrund.

»Funksprechverbot«, ordnete der Streifenoffizier an. »Nur normale Verständigung. Wenn dort drinnen jemand ist, wird er auf jeden Funkpiepser lauschen, der ihm eventuell gefährlich werden könnte. Darasch, öffnen Sie die Schleuse mit Katastrophenimpuls. Los schon!«

 

Er war hochgewachsen, schmal und wirkte zerbrechlich. Blonde Haare quollen unter seinem zurückgeklappten Helm hervor. Seine Stirn war hochgewölbt, verträumt wirkende Augen visierten durch die Optik einer kleinen Waffe sein Ziel an.

Er schoss.

Der fünfte Dakkarkom löste sich unter dem flimmernden Energiestrahl des Desintegrators. Das Gerät zerfiel in seine molekularen Bestandteile.

Er lächelte, sah sich prüfend um und steckte die Waffe durch den geöffneten Magnetverschluss seiner Schutzkombination in eine Außentasche seiner normalen Borduniform.

Ein Fauchen ließ ihn zusammenfahren. Lohende Atomglut zischte an ihm vorbei.

Die Strahlbahn schlug in die Wandung, wölbte einen kleinen Vulkan aus sofort verflüssigtem Material auf und überschüttete ihn mit einem Schauer aus winzigen Glutperlen. Sie hätten ihn sofort getötet, wenn er nicht den Panzerhelm geschlossen und die Magnethalterung verankert hätte. Ein glühender Luftwirbel schleuderte ihn zur Seite.

Er stolperte über ein Ersatzteil, fiel zu Boden und blieb reglos liegen.

»Genauso bleiben, Hände nach hinten strecken, keine Bewegung, oder ich verwandle dich in eine Gaswolke. Liegenbleiben, habe ich gesagt!«

Über sich, aber noch einige Meter entfernt, gewahrte er das verzerrte Gesicht eines Captains.

Die Mündung seiner Energiewaffe flammte ultrablau. Ein winziger Druck auf den Feuerknopf und ...

»Der Kerl hat alle fünf Dakkarkomgeräte mit einem Desintegrator zerstrahlt, Sir«, vernahm er die Stimme eines anderen Mannes. »Das – das kann es doch nicht geben, Sir! Jetzt bekommen wir nie mehr Funkkontakt mit Ganjo Ovaron und der Galaxis Gruelfin. Du verdammter ...«

Er schrie. Er hatte geglaubt, niemals in seinem Leben schreien zu müssen. Jetzt schrie er trotzdem in Todesangst.

Der zweite Mann kam mit schussbereiter Waffe auf ihn zu.

»Ich schieße dich nieder ...!«

»Ruhe, Sergeant!«, schrie der Captain. »Beherrschen Sie sich. Oldert, Peytcher, richten Sie den Saboteur auf. Schutzanzug entfernen, nach Waffen durchsuchen.«

Er fühlte sich von vier kräftigen Männerfäusten hochgerissen. Dann stand er wieder auf seinen Beinen, doch dicht vor seinem Körper flammte immer noch die Mündung einer Waffe.

Captain Verso Honadri hatte seine Fassung zurückgewonnen. Er hatte den Strahlschuss abgefeuert, doch jetzt stand er einer neuen Situation gegenüber. Er fühlte, dass sich seine Männer kaum noch beherrschen konnten.

So sprang Honadri zwischen den Saboteur und Sergeant Daraschs Waffe. Nur langsam ließ der schwer atmende Mann den Strahler sinken.

»Sir«, sagte er. »Warum lassen Sie mich diesen Kerl nicht ...«

»Weil es hier nach den Gesetzen der Solaren Flotte ein Bordgericht gibt, Darasch. Deshalb! Kommen Sie zu sich! Sichern Sie vor allem Ihre Dienstwaffe. Na, alles wieder in Ordnung?«

Darasch nickte nur. Ein Blick des Hasses traf den Saboteur. Jetzt erst hatte der Wachoffizier Gelegenheit, seinen Gefangenen eingehend zu mustern.

»Ach, Sie sind das! Captain Ricod Esmural, Dimesexta-Ingenieur, Mitglied des Schaltmeisterteams aus Dr. Cavaldis Garde. Warum haben Sie sich in diesen Lagerraum geschlichen und die fünf Dakkarfunkgeräte zerstört? Warum, Mann? Sind Sie wahnsinnig geworden?«

Der Wachoffizier schrie. Esmural überwand seine Todesangst schneller, als sie ihn übermannt hatte.

»Es steht Ihnen nicht zu, mir Fragen zu stellen. Schon gar nicht in einem solchen Tonfall.«

Honadri beherrschte sich mühsam. Er drehte sich um, ging zum nächsten Interkomanschluss hinüber und drückte auf die rote Notruftaste.

 

»Was? Sind Sie betrunken? Ein Saboteur ...?«

Oberst Toronar Kasom, Ertruser und Zweiter Stellvertretender Kommandant der MARCO POLO, war mehr verblüfft als schockiert.

Etwas hilflos sah er zu der Empore mit den großen Hauptschaltgeräten hinüber. Rhodan war aufmerksam geworden.

»Was ist? Schwierigkeiten?«

»Es sieht so aus, Sir. Ein gewisser Captain Esmural, Dimesexta-Ingenieur, soll die fünf Dakkarkomgeräte zerstrahlt haben. Er wurde von der Streife gefasst.«

Atlan und Perry Rhodan handelten gleichzeitig. Ihre Hände berührten sich auf der Umschalttaste, die eine Verlegung des Interkomgespräches auf die Bildschirme der zentralen Schiffsführung bewirkte. Honadri wurde eingeblendet.

»Wen haben Sie verhaftet?«, fragte Rhodan mit unheimlich wirkender Beherrschung. »Berichten Sie.«

Captain Honadri wiederholte seine Meldung. Der Saboteur wurde von zwei Männern des Streifenkommandos vor die Aufnahmekamera des Lagerraumes gestellt.

Rhodan kannte ihn nur flüchtig. Atlan war besser informiert. Er beugte sich weit vor.

»Esmural! Ein Außenseiter. Keinerlei Kontakt mit anderen Männern der Besatzung. Und er hat die unersetzbaren Dakkarkomgeräte vernichtet? Ich ...«

»Unterbrechung«, drang eine andere Stimme aus den Lautsprechern. »Wichtige Meldung. Psychologische Abteilung, Dr. Eysbert spricht. Ich habe die Meldung mitgehört. Ich darf die Schiffsführung darauf aufmerksam machen, dass Esmurals Psychogramm sehr eigentümlich ist. Seine Verhaltensweise ist ...«

»Ebenfalls Unterbrechung«, warf Rhodan ein. Seine Stimme klang lauter als sonst. »Kommen Sie zur Sache. Ihr wissenschaftlicher Kommentar kann später erfolgen. Was gibt es dringend zu sagen?«

Thunar Eysbert, der Chef-Kosmopsychologe der MARCO POLO, galt als überlegener Spötter, der sich selten grob ausgesprochenen Anweisungen unterwarf. Diesmal war er dazu bereit.

»In Kurzform: Esmurals Intelligenzquotient liegt nahezu hundert Prozent über der Norm. Zurückhaltender, abweisender Typ. Er besitzt an Bord nur einen Freund und Vertrauten. Sein Name und Rang: Terso Hosputschan, Captain und Hyperphysiker. Gehört zum Waringer-Bordteam. Es wäre zu überlegen, ob der Sabotageakt des Verhafteten isoliert zu betrachten ist. Ich denke an die Tatsache, dass wir vor einiger Zeit vergeblich versuchten, zur Milchstraße zu starten. Die Wandeltaster versagten aus bislang ungeklärten Gründen. Ende.«

Rhodan bewies erneut, dass man ihn nicht umsonst einen Sofortumschalter nannte. Seine Anweisungen kamen umgehend. Sie wurden gleichzeitig über Helmfunk und Interkom in jede Abteilung übertragen.

»An Kommandant – Dakkarflug sofort unterbrechen. Zurück in den Normalraum. Maschinenhauptleitstand – blockieren Sie alle manuellen Sonderschaltungen aus den Notsteuerzentralen. Nur die Emotionsbefehle durchlassen. Ausführung!«

Rhodan war aus seinem Sessel gesprungen. Seine Hände bebten kaum merklich, als er einige Verschlüsse seiner Kombination öffnete und den Helm zu Boden fallen ließ.

»Sir, wir liegen exakt auf Zielkurs«, vernahm er Korom-Khans Stimme.

»Raus aus der Dakkar-Halbspur!«, schrie Rhodan. »Wer sagt Ihnen, dass der laufende Wandeltaster einwandfrei funktioniert? Schalten Sie.«

Korom-Khan befolgte die Anordnung. Gedankenbefehle wurden von der SERT-Haube aufgenommen und auf die ausführenden Positroniken übertragen.

Die Positronik zeigte Rotlicht. Sie war lahmgelegt worden.

Die beiden anderen Emotionauten griffen in die vielfachen Steuervorgänge ein. Sicherheitsschotte schlugen zu. Die normalen Impulstriebwerke des Schiffes sprangen an, noch ehe die optischen Effekte der Dakkarzone auf den Bildschirmen verblassten.

Der Dakkarflug wurde unvermittelt beendet.

Die MARCO POLO stürzte in das Einsteinsche Normaluniversum zurück. Rhodan wandte den riesigen Bildschirmen der Panoramagalerie den Rücken zu. So konnte er nicht sofort sehen, dass die MARCO POLO nicht wie erwartet dicht vor der Milchstraße stand, sondern inmitten der trostlosen Einöde zwischen den Welteninseln.

Weder die Galaxis NGC 4594 noch die Heimat der Menschen konnte auf Anhieb und mit bloßen Augen erkannt werden. Auf den Schirmen glänzten nur zahllose Leuchtpunkte und milchig strahlende Sternballungen.

Vor dem Raumflugkörper öffnete sich weit die Schwärze des interkosmischen Leerraumes.

Atlan sprang auf. Fassungslos schaute er auf die Schirme.

Rhodan hatte inzwischen die Lage erfasst und gehandelt. Nur Sekunden nach dem Schock materialisierte Gucky vor ihm.

»Wohin?«

Rhodan riss den nur einen Meter großen Mausbiber mit dem linken Arm hoch, drückte ihn gegen seine Brust und erklärte mit jener seltsamen Ruhe, die für ihn in derartigen Augenblicken typisch war:

»In den Hochenergieraum, wo der zur Zeit eingesetzte Wandeltaster aufgehängt ist. Schnell, Kleiner. Atlan, du kommst mit Ras Tschubai nach.«

Ehe Gucky und Rhodan aus der Zentrale verschwanden, bemerkte der Arkonide noch, dass Perry seine Waffe feuerbereit in der Rechten hielt.

Tschubai materialisierte ebenfalls in der Steuerzentrale. Es geschah in dem Augenblick, als sich Mentro Kosum eigenmächtig entschloss, die wichtigsten Maschinenanlagen der MARCO POLO durch eine Notschaltung stillzulegen. Das war nur in Gefahrenmomenten erster Größenordnung erlaubt.

»Besser ist besser«, erklärte Kosum. Er schien die Ruhe selbst zu sein. »Wenn hier schon sabotiert wird, dann wenigstens nicht bei laufenden Kraftwerken.«

 

Rhodan und Gucky materialisierten im Ultraenergie-Wandelraum. Die glockenförmig konstruierte Halle wurde von halbmeterstarken Wänden aus Ynkelonium-Terkonitstahl von der nebenan installierten Haupteinheit des Dimesextatriebwerks abgeriegelt.

Drahtlose Dakkarpulsleiter endeten mit ihren isolierenden Sextadim-Röhrenfeldern an den Wandelempfängern. Sie nahmen die Kräfte des Wandeltasters auf und lenkten sie in die Schirmstrahler des Dimesextatriebwerks.

Inmitten der Kuppelhalle hing in tragenden Kraftfeldsäulen der kugelförmige Pralitzsche Wandeltaster.

Das Material der Außenverkleidung hatte sich während der Betriebsschaltung dunkelrot verfärbt. Als Rhodan eintraf, mäßigte sich das kalte Glühen bereits.

Ein hochgewachsener, zerbrechlich wirkender Mann stand mit schussbereiter Waffe vor einer geöffneten Wartungsklappe. Rhodan schoss, ehe der Saboteur sein Vorhaben vollenden konnte.

Captain Terso Hosputschan wurde von dem Lähmstrahl voll getroffen. Er versuchte, mit letzter Muskelkraft den Finger zu krümmen, doch da traf ihn ein zweiter Schuss.

Sein Körper versteifte sich. Mit glasig werdenden Augen erkannte er den Mann, der nur wenige Meter von ihm entfernt so plötzlich aufgetaucht war. Neben ihm stand ein nichtmenschliches Wesen.

Hosputschan stürzte schwer zu Boden.

Rhodan stand noch immer an der gleichen Stelle. Nur Gucky trippelte einige Schritte nach vorn.

»Vorsicht! Nicht zu nahe an die Energietragstützen herangehen«, warnte Rhodan mit beherrschter Stimme.

Der Mausbiber war verwirrt. Er schaute erst auf den paralysierten Wissenschaftler, dann hinauf zu dem Wartungsluk und wieder zurück auf Hosputschan.

»Wenn du mich nicht sofort gerufen hättest, wären wir zu spät gekommen«, stellte Gucky fest. »Kein Mensch hätte diesen Raum schnell genug auf normalem Wege erreichen können.«

»Ja!«

»Ist das alles, was du zu der unglaublichen Geschichte zu sagen hast?«

Rhodan steckte seine Waffe in die Gürteltasche zurück. Als er die hinderlichen Verschlüsse seines Anzugs noch weiter öffnete, bemerkte Gucky das Beben seiner Hände.

Der Kleine lachte humorlos auf.

»Das geht auch einem Rhodan an die Nerven, wie? Frag mich nicht, wie es in mir aussieht. Ich komme mir vor wie narkotisiert. Der wollte doch tatsächlich in den Wandeltaster hineinschießen. Angenommen, wir wären noch in der Dakkarzone gewesen: Was wäre dann passiert?«

Rhodan trocknete sich die schweißbedeckte Stirn ab.

»Nichts, Kleiner, gar nichts! Wir wären lediglich in den Normalraum zurückgefallen. Mir ist es aber wesentlich lieber, diesen Effekt mit einem intakten Wandeltaster bewusst einzuleiten als mit einem zerschossenen in zwangsläufiger Form.«

Der Afroterraner Ras Tschubai traf zusammen mit Atlan ein. Jenseits der Stahlschotte wurden Geräusche vernehmbar. Das Streifenkommando näherte sich.

Atlan betrachtete den Saboteur und die klaffende Wartungsklappe. Dann schob auch er seine Waffe in die Tasche zurück. Er schaute Rhodan in die Augen.

»Nicht jedem Terraner kann man trauen, wie? Es ist mir rätselhaft, wie die beiden Männer durch die Endkontrollen schlüpfen konnten. Wieso ist ihre Geisteshaltung nicht bemerkt worden? Wir haben vor dem Start der MARCO POLO einige Dutzend Tests durchgeführt.«

Rhodan fühlte sich plötzlich schwach und zerschlagen. Er suchte nach einem Sitzplatz. Weiter drüben fand er vor der Kontrollschalttafel einige ausklappbare Wandhocker.

»Wer sagt dir, dass Esmural und Hosputschan schon damals die Absicht hatten, unsere Heimreise zu verhindern?«

Atlan winkte unwirsch ab. Er beachtete kaum die aufgleitenden Sicherheitsschotte. Captain Honadri sprang zuerst in den Hochenergieraum hinein. Als er Rhodan und Atlan bemerkte, senkte er seine Waffe.

Rhodan ließ ihn nicht zu Wort kommen.

»Bringen Sie den Saboteur zusammen mit dem anderen in die Hauptzentrale. Nein, bitte keine Fragen. Ich könnte sie nicht beantworten. Ich kann Ihnen zu diesem Zeitpunkt lediglich verbindlich sagen, weshalb wir am 2. Juli 3438 nicht zur Milchstraße starten konnten. Die Pralitzschen Wandeltaster sind nicht auf dem Planeten First Love fehlgeschaltet worden, sondern von diesem Herrn dort.«

Honadri bemühte sich, einigermaßen Haltung zu bewahren. Rhodans bitteres Auflachen verriet ihm genug über den Gemütszustand des Expeditionsleiters.

Rhodan schien gedankenverloren. Er bemerkte auch nicht die Wissenschaftler, die nacheinander den Raum betraten. Es handelte sich um einige Sektorchefs der MARCO POLO, unter ihnen Professor Geoffry Abel Waringer, Dr.-Ing. Cavaldi und der Chef der Mathelogischen Abteilung, Professor Eric Biehinger.

»Da fliegt man nun mit einem Prototyp unter allen möglichen Gefahren zu einer Millionen Lichtjahre entfernten Galaxis, um dort zu versuchen, eine fürchterliche Gefahr für die Menschheit abzuwenden, aber dann, wenn man wieder nach Hause will, tauchen plötzlich zwei Wahnsinnige auf und vernichten jene Geräte, ohne die man diese Riesendistanz nicht überwinden kann. Träume ich?«

Rhodan sah sich um. Niemand antwortete. Waringer stand längst vor der Wartungsklappe des Wandeltasters.

Nebenan rumorte der kleine Schwarzschildreaktor, der für die Energieversorgung der Tragfelder zuständig war. Es war eine der wenigen Kraftanlagen, die Kosum nicht abgeschaltet hatte.

Die MARCO POLO glitt mit annähernd lichtschneller Fahrt und im freien Fall durch das absolute Nichts zwischen den Galaxien.

Waringer drehte sich um. Alle sahen ihn an. Atlan räusperte sich.

»Nun, Geoffry, wie sieht es da drinnen aus? Kann man das noch einmal reparieren, oder sind wir dazu verdammt, bis in alle Ewigkeit mit Unterlicht durch das Universum zu treiben, um dann vielleicht in vielen Millionen Jahren die Milchstraße zu erreichen?«

Waringer, schlaksig und unbeholfen wirkend wie immer, zerrte unschlüssig an seinen Fingern. Es knackte.

»Lass das sein«, bat Rhodan müde. »Ich kann es nun einmal nicht hören. Also, wie lautet das Urteil des Fachwissenschaftlers?«

»Ganz so dramatisch würde es wohl nicht sein«, erklärte Waringer. »In der Dakkarzone werden wir immerhin eine gewisse Strecke zurückgelegt haben. Außerdem wäre die restliche Reichweite der Linearkonverter zu berücksichtigen.«

»Wortspielereien«, wehrte Atlan unwillig ab. »Funktioniert der Wandler noch?«

»Anscheinend ja. Es sieht alles gut aus. Dennoch bin ich sicher, dass Hosputschan eine Manipulation vorgenommen hat. Welche, kann ich jetzt noch nicht sagen. Wenn man mich vielleicht in Ruhe arbeiten ließe ...«

Rhodan stand auf. Honadris Roboter trugen den paralysierten Saboteur hinaus.

»Arbeite, Geoffry, arbeite so schnell und gut wie nie zuvor. Komm aber bitte nicht auf die Idee, dieses Gerät durch ein Reserveaggregat austauschen zu lassen. Ich ahne, dass die drei Reservewandler nur noch Trümmerhaufen sind. Die wird sich Hosputschan zuerst vorgenommen haben. Hätte er den eingeschalteten Wandler, also diesen hier, sofort zerstört, hätte er wohl kaum noch Gelegenheit gefunden, auch die Ersatzeinheiten unbrauchbar zu machen. Wir hätten sehr schnell eingegriffen. Logisch, nicht wahr?«

Es dauerte nur eine Minute, bis ein Techniker aus Cavaldis Stab den Tasterraum betrat. Der junge Ingenieur war blass.

Rhodan schaute ihn prüfend an, ehe er fragte: »Nun, wie gründlich sind die Ersatzgeräte unbrauchbar gemacht worden?«

»Erledigt, Sir«, berichtete der Ingenieur niedergeschlagen. »Mit Bordmitteln können die Schussschäden keinesfalls behoben werden. Auf einer irdischen Spezialwerft aber sicherlich.«

»Da müssen Sie erst einmal hinkommen. Meine Herren, ich erwarte Ihren detaillierten Bericht. Keine Beschönigungen bitte. Stellen Sie auch fest, wie weit wir uns bereits von Gruelfin entfernt haben. Ja – noch etwas ...«

Rhodan blieb im Schleusenluk stehen und drehte den Kopf. Waringer wusste, welche Bemerkung nun fallen würde.

»Ich möchte gerne erfahren, welche Zeitspanne seit dem Eintauchmanöver in den Dakkarraum vergangen ist. Der Eingriff der Dilatation dürfte ja allgemein bekannt sein, nicht wahr? Versuchen Sie wenigstens eine annähernd exakte Berechnung.«

Rhodan ging. Zweiundzwanzig betroffene Männer blieben zurück.

2.

 

 

Jedem Kommandanten eines terranischen Raumschiffs stand es zu, ein Bordgericht einzuberufen, den Vorsitz zu übernehmen und ein straffällig gewordenes Besatzungsmitglied abzuurteilen. Das Bordgericht hatte laut Gesetz aus fünf Personen zu bestehen. Dem Angeklagten war ein Verteidiger zur Verfügung zu stellen. Als Ankläger hatte ein Offizier der Schiffsführung zu fungieren. Juristische Kenntnisse waren erforderlich.

Im Fall der Saboteure Ricod Esmural und Terso Hosputschan hatte der Kommandant der MARCO POLO die Anklagevertretung übernommen. Zum Verteidiger war der Chefmathelogiker Professor Dr. Eric Biehinger berufen worden.

Großadministrator Perry Rhodan war zum Vorsitzenden ernannt worden. Vier weitere Bordrichter hatten ihn in der Urteilsfindung zu unterstützen. Ihre Stimmen waren gleichberechtigt mit der des Vorsitzenden.

Mit Oberst Korom-Khan war für die Saboteure ein harter Ankläger erschienen. Korom-Khans Intellekt war nicht zu unterschätzen. In dem Mathelogiker hatte er jedoch einen ernstzunehmenden Gegner mit hervorragenden geistigen Fähigkeiten gefunden.

Die MARCO POLO glitt noch immer im freien Fall durch den interkosmischen Leerraum. Die Gutachten der Sachverständigen lagen bereits vor.

Erstaunlicherweise hatten die beiden Angeklagten ihre Vergehen unumwunden zugegeben. Sie hatten es gelassen und im vollen Bewusstsein der drohenden Konsequenzen getan.

Im Gegensatz zum Zivilrecht des Imperiums, das die Todesstrafe nicht mehr kannte, war es möglich, an Bord eines im Kampfeinsatz stehenden Raumschiffes (und bis zur Ankunft in der Milchstraße galt dies noch für die MARCO POLO) die Todesstrafe zu verhängen. Das aber war auch nur dann zulässig, wenn die Straftat das Leben aller Besatzungsmitglieder, die Existenz der Menschheit und überdies das betreffende Raumfahrzeug eindeutig gefährdete.

Das war hier der Fall. Die vorliegenden Berichte der wissenschaftlichen Sachverständigen waren vernichtend. Die achttausend Männer der MARCO POLO waren so gut wie verloren.

Das Ultraschlachtschiff war am 16. Juli 3438 Standardzeit mit Heimatkurs gestartet. Nun zeigten die Borduhren den 17. Juli 3438, 3:56 Uhr an. Ob diese Zeitmessung noch richtig war, konnte niemand sagen. Der in Betrieb gewesene Pralitzsche Wandeltaster hatte während des Dakkarfluges zwar funktioniert, aber die große Frage war, wie er gearbeitet hatte. Nach einem nahezu einstündigen Dakkarflug, immer nach der gültigen Bordzeit gerechnet, hätte man sich der Milchstraße schon so weit genähert haben müssen, dass sie als eindeutig erkennbarer Leuchtball von übergeordneter Ausdehnung sichtbar gewesen wäre. Auf den Bildschirmen waren aber nur Lichtpunkte zu erkennen. Jeder davon war eine Galaxis.

 

Die Saboteure waren verhört worden. Die Zeugenaussagen lagen vor. Perry Rhodan als Vorsitzender des Bordgerichtes hatte sich bislang schweigsam verhalten.

Die Einführungsphase des Prozesses war beendet. Rhodan schien bedrückt zu sein. Die große Offiziersmesse, die als Verhandlungsraum gewählt worden war, war überfüllt. Besatzungsmitglieder aller Dienstgrade hatten sich in den Raum gedrängt. Jene, die keinen Platz gefunden hatten, verfolgten die Verhandlung an der bordeigenen Interkomanlage.

Esmural und Hosputschan saßen vor der improvisierten Richterempore. Vor Rhodan lagen die Gutachten. Er überflog die schriftlich niedergelegten Texte, verzichtete jedoch vorerst darauf, sie wörtlich vorzulesen. Er sah zu den beiden Saboteuren hinüber.

»Die Gutachten der Sachverständigen liegen zwar schriftlich vor, aber das Gericht legt Wert darauf, die darin enthaltenen Aussagen in direkter Form zu hören. Ich darf Professor Geoffry Abel Waringer bitten, seine Feststellungen in Gegenwart aller Beteiligten wörtlich zu wiederholen. Vorher noch eine Frage an die Herren Esmural und Hosputschan: Warum haben Sie diese Sabotageakte begangen? Warum? Ihr Herr Verteidiger möchte Sie als unzurechnungsfähig hinstellen. Schließen Sie sich dieser Auffassung an?«

Weder Hosputschan noch Esmural beantworteten die dominierende Frage. Sie beschränkten sich auf das Sekundäre. Hosputschan erklärte lächelnd:

»Wir widersprechen sehr entschieden dieser Definition. Es liegt weder eine geistige Erkrankung noch eine Affekthandlung vor. Wir haben die Maßnahmen als unerlässlich angesehen und sie daher durchgeführt.«

Rhodan achtete nicht auf das Raunen der Empörung. Atlan fühlte die innere Verwirrung des Freundes. Es war der seltsamste Prozess, dem er jemals beigewohnt hatte.

»Eine unglaubliche Arroganz«, flüsterte ihm Mentor Kosum zu. »Die Burschen reden sich um ihren Kopf.«

»Während meiner Zeit hätten sie zehn Minuten nach dem Verbrechen die Schleuse passiert, aber ohne Schutzanzug.«

»Sie urteilen hart, Admiral!«

»Deshalb bin ich auch nicht als Richter zugelassen worden. Saboteure, die ein Schiff mit achttausendköpfiger Besatzung gefährden, verdienen den Tod. Das ist jedenfalls die Meinung eines alten Arkonidenadmirals und Imperators.«

Professor Waringer trat vor den Richtertisch. Rhodan sprach ihn an. Diesmal verzichtete er darauf, den ehemaligen Gatten seiner vor tausend Jahren ermordeten Tochter zu duzen.

»Bitte, fassen Sie sich kurz. Ihre schriftliche Erklärung wird noch vor der Urteilsverkündung in vollem Wortlaut verlesen. Welche Schäden sind aufgetreten?«

Waringer strich sich über die Haare.

»Es dürfte jedermann klar sein, dass nach der Vernichtung der fünf Dakkarkomgeräte eine Funkverbindung mit Ovaron nicht mehr möglich ist. Die Messergebnisse beweisen, dass wir uns etwa zwölf Millionen Lichtjahre von der Galaxis Gruelfin entfernt haben. Die maximale Reichweite der MARCO POLO beträgt im Einsatz ihrer vier Ultrakomp-Linearkonverter ebenfalls zwölf Millionen Lichtjahre. Infolge der zahlreichen Langstreckenflüge während des vergangenen Einsatzes ist der derzeit installierte Konverter mit etwa fünfzig Prozent seiner Leistung ausgebrannt. Wir haben keine Chance mehr, im Linearflug NGC 4594 zu erreichen. Eine Hilfeleistung durch Ganjo Ovaron ist infolge der fehlenden Funkverbindung ausgeschlossen. Wir stehen mit immer noch fast lichtschneller Fahrt im Normalraum. Die Milchstraße ist etwa noch vierundzwanzig Millionen Lichtjahre entfernt, also weit außerhalb unserer Reichweite. Diese Distanz kann nur mit dem Dimesextatriebwerk überbrückt werden.«

»Ist ein Hyperfunkkontakt zu Ovarons weit vorgeschobenen Flotteneinheiten möglich?«

Waringer erwiderte: »Ausgeschlossen! Dazu benötigen wir die etwa zwanzigfache Sendeenergie als vorhanden.«

»Unsere Chancen, Professor?«

»Gleich Null, es sei denn, es würde gelingen, die Justierungsverschiebung innerhalb des einzigen nicht durch Strahlschüsse zerstörten Wandeltasters zu beheben. Wir bemühen uns. Die Hilfeleistung von Captain Hosputschan wäre unschätzbar wertvoll. Er weiß als einziger Mann sehr genau, in welcher Form und mit welchen Manipulierungsdaten die Fehlleistung hervorgerufen wurde.«

Rhodan sah erneut zu den Saboteuren hinüber.

»Captain Hosputschan, sind Sie bereit, dem Physikerteam des Schiffes mit genauen Angaben behilflich zu sein?«

Hosputschan lächelte nur. Zu einer anderen Äußerung ließ er sich nicht hinreißen.

»Wir müssen uns wohl selbst helfen, Professor. Bitte, fahren Sie fort!«

»All dies ist noch das geringste Übel. Viel schwerer wiegt die Frage, welche Zeitspanne tatsächlich vergangen ist. Die Borduhren zeigten eine Dakkarflugdauer von neunundfünfzig Minuten und achtzehn Sekunden an. Der Wert ist sicherlich irreführend.«

»Weshalb?«

Rhodan hatte Waringer selten so humorlos auflachen hören.

»Infolge der Fehlschaltung des Pralitzschen Wandeltasters erzeugte das Dimesextatriebwerk ein Abschirmfeld, dessen Energiewerte weit von der errechneten und erforderlichen Norm abwichen. Das steht fest. Wir bezeichnen den Effekt als ›Absorptionsundichte‹. Das Feld wurde gewissermaßen perforiert. Infolge der Undichte kam es innerhalb der Dakkarzone zu einer Erscheinung, die das hyperphysikalische Team mit dem Begriff ›Hochenergie-Impulsstromwiderstand‹ charakterisiert. Es ist vergleichbar mit dem altertümlichen Wellen- und Reibungswiderstand am Rumpf eines alten Seeschiffes, das nicht über eine geeignete und hemmungsmindernde Unterwasserformgebung verfügte.«

Rhodan wusste bereits aus dem Bericht, welche Folgeerscheinungen diese Absorptionsundichte mit sich bringen würde. Er fragte dennoch danach.

Waringer biss sich auf die Lippen. Seine ineinander gekreuzten Finger knackten in den Gelenken. Niemand achtete darauf.

»Das Phänomen der so genannten Zeitdilatation ist seit Einstein bekannt und durch die nachfolgende Raumflugpraxis erwiesen. Es darf nicht angenommen werden, dass der Dilatationseffekt ausschließlich und nur im Normaluniversum eintritt, und zwar dann, wenn sich ein Raumflugkörper der einfachen Lichtgeschwindigkeit nähert. Die dadurch bedingte totale Veränderung der bordeigenen Bezugsebene im Verhältnis zur Bezugsebene anderer Beobachter, die beispielsweise auf einem Himmelskörper vom Range der Erde leben, muss in unserem Falle ebenso als gegeben eingestuft werden. Es ist dabei unwesentlich, dass wir uns in einer physikalisch fremden Dimension befanden. Die Fehlschaltung des Wandeltasters bewirkte zweifellos eine Zustandsform, die mit einem Einsteinschen Dilatationseffekt identisch ist.«

»Und Sie glauben, dass wir einer ähnlichen Erscheinung unterworfen wurden?«

»Ja!«, bestätigte Waringer. »Nur mit dem Unterschied, dass die Erfahrungswerte des Normaluniversums in unserem Falle ungültig sind. Wir waren mit einem manipulierten Wandeltaster neunundfünfzig Minuten und achtzehn Sekunden innerhalb der Dakkarhalbspur unterwegs. Die zurückgelegte Distanz ist bekannt, nicht aber die dafür benötigte Zeit. Für uns sind nicht mehr als diese neunundfünfzig Minuten vergangen. Welche Zeit unterdessen auf der Erde verstrichen ist, kann niemand beantworten. Es können drei Wochen Standard sein, hundert Monate oder auch zweitausend Jahre. Unsere Präzisionsinstrumente wurden dem Effekt ebenfalls ausgesetzt. Die Borduhren zeigen genau jene Zeit an, die sie im Einflussbereich der Dakkar-Dilatation messen mussten. Es ist zwecklos, zu versuchen, die Erscheinung in ihrer Gesamtheit zu deuten, oder sie gar berechnen zu wollen. An Bord der MARCO POLO gibt es nichts, was sich vor dem Effekt hätte verstecken können. Für uns sind neunundfünfzig Minuten vergangen!«

Rhodan sah auf dem vor ihm stehenden Mikromonitor der Rundumerfassung erregt aufspringende Männer. Es war in allen Abteilungen das gleiche Bild. Den Ton hatte er ohnehin abgeschaltet. Er wusste aus den Berichten der Sektorleiter, wie angespannt die Situation war.

Zu diesem Zeitpunkt versuchte Gucky erneut, den Geistesinhalt der beiden Saboteure auf telepathischer Ebene zu erfassen. Es gelang ihm nicht.

Terso Hosputschan stand unvermittelt auf und hob die Hand. Im Saal wurde es still. Die Diskussionen verstummten. Achttausend Männer verfolgten höchst interessiert den Vorgang auf ihren Abteilungsbildschirmen.

In Rhodan erwachte eine unsinnige Hoffnung.

»Wollen Sie unseren Wissenschaftlern nun doch behilflich sein? Sie kennen jetzt die Situation.«

»Deshalb verlange ich sofortige Aufmerksamkeit, Perry Rhodan.«

Der Großadministrator stützte die Handfläche auf die Tischkante und erhob sich. Es wirkte auf die Beobachter, als würde er sich mühevoll hochstemmen.

»Bitte? Sie verlangen etwas?«

»Es würde Ihrer Arroganz keinen Schaden zufügen, wenn Sie den Vorsitzenden mit dem ihm zustehenden Titel anredeten, Captain Hosputschan!«, warf Professor Kaspon ein. Er fungierte als beigeordneter Richter und war Chef der chirurgischen Abteilung innerhalb der MARCO POLO.

Hosputschan blickte ihn nachdenklich an. Dann lächelte er wieder.

»Das widerspräche meiner Mentalität, Kaspon. Nichts kann mich dazu bewegen, Sie oder Rhodan so anzureden, wie Sie es aus dem Munde bedauernswerter Menschen der Gattung des Homo sapiens gewohnt sind.«

Wenn Rhodan und die Zuhörer bislang noch nicht verblüfft gewesen waren, dann waren sie es nach dieser Erklärung. Nur ein Mann begann blitzschnell zu begreifen. Es war der Kosmopsychologe Thunar Eysbert. Er hegte seit Stunden einen gewissen Verdacht. Nun glaubte er ihn bestätigt zu sehen.

Eysbert, der Spötter und Zyniker, erhob sich von seinem Sitz. »Ich bitte den Vorsitzenden des Bordgerichts ums Wort«, sagte er.

Perry Rhodan beherrschte sich, so gut es ihm möglich war. Er winkte dem Kosmopsychologen zu.

Eysbert schritt nach vorn. Wenige Meter vor den Saboteuren blieb er stehen. Diesmal zeigte er das gleiche überlegene Lächeln, das bisher nur auf den Lippen der Angeklagten zu bemerken gewesen war.

»Sie gebrauchten soeben den Begriff ›Homo sapiens‹ in betont diskriminierender Form. Damit bezeichneten Sie den heute lebenden Menschen der bekannten Gattung. Darf ich demnach annehmen, dass Sie sich als die Vertreter einer anderen und vielleicht besseren oder großartigeren Menschengattung betrachten?«

Hosputschan verfärbte sich. Er stand abrupt auf. Sein gebieterischer Blick war unübersehbar, aber seine Haltung wirkte lächerlich.

»Vorsicht«, warnte Professor Eysbert in seinem süffisanten Tonfall. »Fallen Sie bitte nicht um, wenn ich ausatme.«

Nun stand auch Ricod Esmural auf.

»Ich warne Sie!«, sagte Hosputschan. »Sie sprechen mit zwei Vertretern der neuen Menschengattung; dem Homo superior! Ich erkläre mich nunmehr zu dieser Auskunft bereit, weil Waringers Auswertung über die hyperphysikalischen Vorgänge an Bord dieses widerlichen Vernichtungsinstrumentes, das Sie MARCO POLO nennen, meinen Berechnungen entsprechen. Sie sind verloren!«

Rhodan fiel bei diesen Worten in seinen Stuhl zurück.

»Nein, nicht das!«, stöhnte er.

Auf das Stimmengewirr im Messesaal achtete er nicht. Plötzlich glaubte er, die Situation unter ganz anderen Gesichtspunkten betrachten zu müssen.

»Ich bitte um Ruhe!«, drang seine Stimme aus einigen tausend Lautsprechern. »Ruhe bitte! Die Verhandlung sollte nicht ständig gestört werden. Captain Hosputschan, wollen Sie bitte einige Schritte näher treten.«