image

image

Leonard Pitts, Jr.

Grant Park

Kriminalroman

Aus dem Amerikanischen von
Gabriele Werbeck und Andrea Stumpf

Herausgegeben von Wolfgang Franßen

image

Originaltitel: Grant Park
Copyright 2015 by Leonard Pitts, Jr.

Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wären rein zufällig und in keiner Weise beabsichtigt.

Deutsche Erstausgabe, 1. Auflage 2018
Aus dem Amerikanischen von Andrea Stumpf und Gabriele Werbeck
© 2018 Polar Verlag GmbH, Hamburg
www.polar-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) oder unter Verwendung elektronischer Systeme ohne schriftliche Genehmigung des Verlags verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Sven Koch, Claudia Denker
Umschlaggestaltung: Robert Neth
Umschlagfoto: ©Green/shutterstock.com
Autorenfoto: ©privat
Satz/Layout: Martina Stolzmann
Gesetzt aus Adobe Garamond PostScript, InDesign
Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck, Deutschland

ISBN: 978-3-945133-65-1
eISBN: 978-3-945133-66-8

Für Onjél, die sagte: »Du hast mir nie ein Buch gewidmet
Für Lena, die mich »Pop-Pop« nennt.
Und für Marilyn, wie immer.

Well, I don’t know what will happen now. We’ve got some difficult days ahead.
– Reverend Doctor Martin Luther King, 3. April 1968

But what we know – what we have seen – is that America can change.
– Senator Barack Obama, 18. März 2008

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Danksagung

Kapitel 1

Martin Luther King stand an der Brüstung und sah nach Westen. In der einsetzenden Dämmerung teilte sich die untergehende Sonne den Himmel mit der blassen Sichel des aufgehenden Mondes. Er beugte sich vor und scherzte mit den Männern unten auf dem Parkplatz. Zwei rangelten spielerisch mit James Orange, eine Seele von Mann mit der Statur eines Bullen.

»Pass mir bloß auf die Prediger auf«, witzelte King, »die sind nur halb so groß wie du.«

»Doc«, rief Orange in klagendem Ton, »die sind zwei gegen einen! Sag lieber denen, dass sie mir nicht wehtun sollen.«

»Doc«, rief jemand von unten herauf, »ich bin’s, Ben. Du weißt schon, Ben Branch. «

»Aber ja«, sagte King. »Mein guter Ben. Wie geht’s immer so?«

Eine weitere Stimme war von unten zu hören. »Freut mich, dich zu sehen, Doc.«

Als Malcolm Toussaint auf King zuging, dachte er, dass der Prediger leichter wirkte als bei ihrer letzten Begegnung. Das war vor einer Woche gewesen, bei den Mülltonnen hinter dem Holiday Inn. Der Mann, den Malcolm an jenem Abend kennengelernt hatte, schien eine Zentnerlast auf den Schultern zu tragen, und selbst Malcolm war auf einmal besorgt und erschüttert gewesen – Malcolm, der den Reverend schon lange verachtete und ihn wie andere überhebliche, ungeduldige und grausame junge Männer als »De Lawd« verspottete.

Das war allerdings, bevor Malcolm King kennengelernt hatte. Bevor sie miteinander gesprochen hatten. Jetzt trat er auf den Reverend zu, während ihm die Entscheidung, die er in jenem Moment gefällt hatte, die Mitteilung, derentwegen er gekommen war, durch den Kopf ging. King würde sich darüber freuen, das wusste er. Malcolm würde mit einem Lächeln belohnt werden, vielleicht würde King ihm sogar die Hand auf die Schulter legen. »Das ist gut, Brother Malcolm«, würde er sagen. »Das ist sehr gut.«

Malcolm musste beinahe lachen, dass er hier auf dem Balkon stand und auf ein anerkennendes Wort von diesem Mann wartete. Hätte man ihm vor ein paar Tagen gesagt, dass er heute hier sein würde, bereit, zurück ans College zu gehen und sich dem gewaltfreien Widerstand anzuschließen, er hätte gelacht. Aber auch das war vorher gewesen.

Malcolm wollte gerade die Hand heben, um King auf sich aufmerksam zu machen, als er aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm. Sicher nur ein Widerstrahl der untergehenden Sonne, die sich in einem Fenster auf der anderen Straßenseite spiegelte. Etwas, das – wie er instinktiv wusste – nicht da sein sollte. Abwesend fragte er sich, was es war.

Kings Stimme holte ihn zurück. »Ich will, dass du es so schön singst wie noch nie«, rief er jemandem auf dem Parkplatz unten zu. »Sing es mit dem Herzen.«

Malcolm hatte keine Ahnung, worum es ging, er musste kurz weggetreten gewesen sein. Seine Aufmerksamkeit war abgelenkt gewesen von … ja, wovon eigentlich?

»Frisch wird’s.« Eine weitere Stimme rief von unten zu King herauf. »Ich glaub, ein Überzieher wär nicht schlecht.«

»Hast recht, Jonesy«, sagte King. »Was tät ich nur ohne dich.«

Und dann bekam die Zeit einen Sprung und zersplitterte, zerfiel in Einzelteile, wie es manchmal geschieht, wenn ein Ereignis plötzlich nicht mehr aus aufeinanderfolgenden Momenten besteht, sondern alles auf einmal passiert. Und man sieht und erfasst und lebt diese Momente alle gleichzeitig. Genauso ergeht es Malcolm Toussaint jetzt.

King lacht. Malcolm macht einen Schritt auf ihn zu. King richtet sich auf. Von unten wird das Lachen erwidert. King steckt die Hand in die Tasche mit den Zigaretten. Er bemerkt Malcolm zu seiner Linken. Er dreht den Kopf. Da ist das erste Zucken eines Begrüßungslächelns.

Und Malcolm weiß es. Plötzlich weiß er es. Und er springt los, er springt durch Raum und Zeit, er fliegt durch die Luft – dieses Detail passte, da war er ganz sicher, auch wenn King in dem Moment kaum zwei Meter entfernt steht. Mit beiden Händen packt Malcolm schwere Seide, reißt Martin Luther King um, reißt ihn zu Boden in genau dem Moment, in dem sie einen Knall wie von einem Böller hören, in genau dem Moment, in dem er die abgerundete Spitze einer Patrone Kaliber 30.06 an seiner Wange vorbeifliegen spürt wie Phantomatem, in genau dem Moment, in dem er mit seinem ganzen Gewicht auf Kings Brust landet.

Und dann …

Und dann scheint sich die Zeit einen irren, atemlosen Moment lang um sich selbst zu drehen, so als müsste sie überlegen, was jetzt zu tun sei. Die Geschichte gerät für einen Moment aus den Fugen, die Zukunft hängt in der Luft.

Bis die Zeit auf einmal mit gewaltiger Kraft die Entscheidung trifft und sich wieder in Gang setzt.

Eine Frau kreischte.

Jemand rief: »Da schießt einer!«

Jemand rief: »Doc, alles okay?«

Jemand rief: »Unten bleiben!«

Malcolms eigener Atem rasselte in seinen Ohren. Sein Herz trommelte. Dann hörte er unter sich eine vertraute tiefe Stimme, ruhig, sehr ruhig und doch mit einer Spur atemloser Verwunderung: »Himmel. War das ein Schuss?«

Sie sahen sich in die Augen. Malcolm sagte nichts. Konnte nichts sagen. »Brother Malcolm«, sagte Martin Luther King, und aus seiner Stimme sprach noch immer Verwunderung, aber auch eine fast unnatürliche Ruhe: »Ich glaube, du hast mir gerade das Leben gerettet.«

Malcolm war überwältigt von der Präsenz des Mannes. Er war kein Mythos, kein Trugbild und keine Legende. Er war kein Bild auf einem Plakat an einer Mauer, vor dem ein Kind mit kindlich dünner, heller Stimme brav »I have a dream« aufsagte. Nein, er war da, lag unter dem zwanzigjährigen Malcolm Toussaint, der quer über ihn gefallen war. Malcolm konnte sein Gewicht, seine Schwere spüren, das Heben und Senken seiner Brust. Er konnte jede seiner Poren sehen, den Tabak in seinem Atem riechen, das Aramis an seinem Kragen. Martin Luther King war da, er lebte, unter ihm auf dem Boden. Malcolm öffnete den Mund, um etwas zu sagen.

Und dann wachte er auf.

Kapitel 2

Er schrie nicht. Er schreckte in der frühmorgendlichen Kühle nicht keuchend und zitternd hoch.

Es war ein alter Traum, der ihn seit vierzig Jahren immer wieder heimsuchte und längst nicht mehr erschütterte. Im Gegenteil, inzwischen war er fast ein alter Freund, der ab und zu vorbeischaute und ihn an dieses außerordentliche Versagen erinnerte, diesen schicksalhaften Moment, als er es gesehen hatte – er hatte es gesehen –, aber nicht rechtzeitig reagiert, nicht schnell genug begriffen, war erstarrt.

Manchmal, so wie in dieser Nacht, gestattete ihm der Traum einen neuen Versuch, ließ ihn rechtzeitig reagieren, ließ ihn das Richtige tun.

Die meiste Zeit entfaltete sich der Traum jedoch genauso wie dieser schreckliche Moment, und es war weniger ein Traum als vielmehr eine Erinnerung, die er im Schlaf durchlebte. Malcolm, der nichts tat, der nicht begriff, was er sah, der nicht erkannte, was gleich passieren würde, bis es schließlich passierte. Er hatte versagt. Der Schuss fiel. Die Kugel schlug in Martin Luther King ein wie ein Nagel in ein Stück Holz. Blut spritzte.

Malcolm Toussaint stand da, keine zwei Meter entfernt, und sah ohnmächtig zu.

Genug.

Er schlug die Decke zurück, setzte sich auf die Bettkante, der Dielenboden kühl unter seinen bloßen Füßen. Er hatte keine Zeit, über sein Versagen von damals zu grübeln, als Lyndon Johnson Präsident war und der Wettlauf ins All in vollem Gang. Er musste sich dem Heute stellen. Und heute würde er gefeuert werden. Vielleicht würde man ihn sogar verhaften, vermutlich gab es irgendein Gesetz, das seine Tat unter Strafe stellte.

Eine Anklage hielt er nicht für wahrscheinlich, bestimmt ließen sie ihm den letzten Rest seiner Würde – auch wenn er die Möglichkeit nicht von vornherein ausschließen konnte. Aber feuern würden sie ihn in jedem Fall. Und er hatte es verdient, nicht weniger als die Gewohnheitsplagiatoren und Schmierenjournalisten, über die er sich lautstark aufgeregt hatte, die dummen Lügner, die einen geachteten Beruf in Verruf gebracht hatten, der in den letzten zwanzig Jahren sein Beruf gewesen war.

Jetzt war er also einer von ihnen. Er war der neueste Skandal im Journalismus.

Eine beispiellose Karriere – aus einem schäbigen Haus auf der South Side von Memphis in diesen Palast in Chicago, zwei Pulitzer-Preise und zahllose kleinere Preise, die die Wände seines Büros pflasterten – würde heute mit einem Knall enden. Keine zweimal wöchentlich landesweit erscheinende Kolumne mehr. Keine New-York-Times-Bestseller mehr mit Klappentexten von Oprah Winfrey und Bill Clinton. Keine tägliche Radio-Talkshow mehr. Keine Einladungen mehr in die Sonntagmorgen-Politsendungen. Nichts mehr dergleichen. Keine Stimme würde sich zu seiner Verteidigung erheben. Die National Association of Black Journalists, die ihm erst vor vier Jahren einen Preis für sein Lebenswerk verliehen hatte, würde in peinlich berührtem Schweigen verharren, die National Association for the Advancement of Colored People würde sich wegducken.

Er würde ein Paria sein. Und das Schlimmste war, er hatte es verdient.

Garantiert würde man ihn fragen, warum er es getan hatte. Was sollte er darauf antworten? Er könnte die Wahrheit sagen, aber die würde man niemals verstehen. Er bedauerte, was er getan hatte, ja. Aber es tat ihm nicht leid. Selbst nachdem er unruhig darüber geschlafen hatte, tat es ihm nicht leid. War das nachvollziehbar? Wem würde der Unterschied klar sein?

»Ich war es einfach leid«, würde er sagen.

Und sie würden ihn verständnislos fragen: »Was denn?« Aber in der Meute würde es einen geben, stellte er sich vor, schwarz wie er, Journalist wie er, im selben Alter wie er, der nicht fragen musste. Der würde nur sein Notizbuch zuklappen und nicken, würde es verstehen, wenn auch nicht gutheißen, und vielleicht …

Genug.

Malcolm stand auf und tappte in ein marmorgefliestes Bad, das kaum kleiner war als das Haus, in dem er aufgewachsen war. Es war erst kurz nach vier. Wenn er sich beeilte, konnte er ins Büro fahren, seine Sachen packen, Erinnerungsstücke einer 36-jährigen Berufslaufbahn, und wieder verschwunden sein, bevor die anderen kamen. Die Alternative ließ ihn zusammenzucken. Die Alternative war, in das Gebäude zu gehen, die demütigenden Fragen und den Zorn ertragen zu müssen und gebeten zu werden, vor seinem Büro zu warten, während die Security – »Schadensverhütung« nannte man sie inzwischen auch – seine Sachen in eine Schachtel warf und ihn dann unter den fassungslosen und enttäuschten Blicken all derer hinausbegleitete, mit denen er gearbeitet, gelacht und gestritten hatte.

Er duschte schnell, ließ das Wasser aus fünf Richtungen gleichzeitig auf sich einprasseln. Dann wischte er mit einem Handtuch ein Stück Spiegel blank und fing an, den alten Mann, der ihm entgegenblickte, zu rasieren.

Alter Mann.

Er bekam immer einen Schreck, wenn er sich das sagte, aber der Spiegel lieferte den unleugbaren Beweis. Seine müden, traurigen Augen lagen tief in ihren Höhlen, von unzähligen Falten umgeben. Seine braune Haut schien papierdünn. Der kurze schwarze Afro, den er an diesem schrecklichen Tag auf dem Balkon des Lorraine Motel getragen hatte, war zu einer kläglichen grauen Matte geworden, die oben auf seinem Kopf dünner wurde.

Malcolm war sechzig.

Er sah aus wie siebzig.

Er fühlte sich wie achtzig. Arthritis hatte seine Gelenke steif werden lassen. Sein Blutdruck war zu hoch. Seine Sehkraft war ein Witz. Seine Füße schmerzten unablässig. Am schlimmsten war die Müdigkeit, die ständige Erschöpfung, nicht so sehr des Körpers, hatte er das Gefühl, sondern des Kopfes. Des Geistes. Das Leben war zu einem Bußakt geworden.

Er war müde. Er war schon so lange müde, dass er sich nicht erinnern konnte, es jemals nicht gewesen zu sein. Der glückliche junge Mann, der sich Martin Luther King im letzten Moment dessen Leben genähert hatte, kam ihm wie ein Fremder vor. Nein, wie eine Lüge. Die Erinnerung an jemanden, den es nie gegeben hatte.

Malcolm rasierte sich. Dann zog er sich rasch an. Lange Unterhose, Bluejeans, ein langärmliges blaues Hemd mit dem Logo der Chicago Post über der Brusttasche, eine pelzgefütterte hüftlange Jacke, eine Kappe der Chicago Bulls auf dem Kopf. Auf eine der eleganten Krawatten und eins der Jacketts, bei denen seine schludrig gekleideten jungen Kollegen die Augen verdrehten und heimlich lachten, verzichtete er. Das war die Uniform eines Mannes, der in einem Büro arbeitete, und das tat er nicht mehr.

Er ging langsam den Flur entlang, dann die leicht geschwungene Treppe hinunter und an der afroamerikanischen Kunst vorbei, zum größten Teil Gemälde und ein paar kleine Skulpturen. Das war die Leidenschaft von Marie gewesen, die an Brustkrebs gestorben war. Mit all den ausgefallenen Kunstwerken an den Wänden und auf den Tischen hatte er sich oft wie in einem Museum gefühlt, aber jetzt war Marie seit zwei Jahren tot und er hatte die Sachen immer noch nicht entfernt. Wenn er das täte, würde er eingestehen, dass sie tatsächlich tot war, dass es kein Missverständnis war, kein Versehen, nichts, das sich berichtigen ließ. So weit war er noch nicht.

Im Wohnzimmer streifte er seine Handschuhe über, vom Kaminsims sahen ihm Fotos seines Sohnes und seiner Tochter mit ihren Partnern und Kindern zu. Beide waren verheiratet und lebten mit ihren Familien in Kalifornien. Für gewöhnlich trafen sie sich an Thanksgiving, und seit dem Tod seiner Frau gerieten sie dabei immer in Streit, weil er ihrer Meinung nach aufhören sollte zu arbeiten, das Haus verkaufen und zu ihnen an die Westküste ziehen sollte. Brauchte er wirklich dieses Riesenhaus, jetzt wo Mom tot war? Musste er sich in seinem Alter wirklich den Winter in Chicago antun?

In seinem Alter. Als bliebe ihm mit seinen sechzig Jahren nichts anderes, als auf den Tod zu warten. Allerdings, und das war das Schlimmste daran, seit Marie nicht mehr da war, gab es tatsächlich Tage, an denen ihm nichts Besseres einfiel.

Genug.

Genug, genug, genug.

Sein Auto stand direkt vor dem Haus in der Einfahrt, die einen Bogen um einen – im Winter stillgelegten – Springbrunnen beschrieb, wie ein Donut um ein Loch. Malcolm fuhr eine rote Corvette. Das Auto war nichts für einen Mann seines Alters mit kaputten Knien, ein Klischee auf vier Rädern, aber er konnte sich nicht davon trennen. Er liebte das Auto.

Leise stöhnend ließ er sich auf den Sitz sinken, als Onkel Arthur – so hatte seine Mutter ihre Arthritis genannt – mit einem Hammer auf seine Gelenke einschlug. Wie immer wurde er für den Schmerz mit dem tiefen, befriedigenden Röhren beim Anspringen des Motors entschädigt, und er lenkte das Auto die kreisförmige Einfahrt hinunter auf die Straße. Am Briefkasten blieb er stehen, kurbelte das Fenster herunter und zog die Zeitung heraus.

Malcolm faltete sie auseinander und schaltete die Innenbeleuchtung ein. »Tag der Abrechnung« lautete die Schlagzeile über den Fotos von John McCain und Barack Obama bei Wahlkampfreden. Wahltag. Das hätte er im Strudel der Ereignisse beinahe vergessen. Beinahe. Sobald heute Morgen die Wahllokale öffneten, wollte er wählen gehen, aber er fragte sich, ob sein Kommen nicht zu viel Aufruhr verursachen würde, schließlich war er eine stadtbekannte Erscheinung.

Was für eine Ironie, dachte er, wenn sein Handeln dazu führte, dass er an der wichtigsten Wahl seines Lebens nicht teilnahm.

Er drehte die Zeitung um – und da war es. Sein Bild und die Kolumne, die Bob Carson, sein Redakteur, abgelehnt hatte, weil er meinte, sie sei zu wütend, zu demagogisch, unter seinem Niveau und würde erst an dem Tag in der Chicago Post veröffentlicht werden, an dem Sarah Palin und Jeremiah Wright sich an einem Nacktbadestrand-Strand auf Jamaika das Jawort gaben. »Ich tu dir nur einen Gefallen«, hatte Bob gesagt. »Geh heim. Schlaf dich aus. Wir reden morgen darüber.«

Bob hatte noch nie eine Kolumne von ihm abgelehnt. Gut, Malcolm hatte auch noch nie so etwas geschrieben, aber trotzdem … Malcolm hatte geflucht und gedroht, er werde gehen und mit ihm das Prestige, das sein Name unter den Artikeln diesem Käseblatt in einer Zeit gebracht hatte, als selbst erstklassige Zeitungen Stellen, Ressorts und Nachrichtenplatz kürzen mussten und in die Zukunft blickten wie in die Mündung eines Gewehrs.

Aber Bob war standhaft geblieben. »Geh heim«, hatte er wiederholt. »Schlaf dich aus.«

Malcolm war hinausgestürmt. Er hatte den Fall dem Chefredakteur vorgetragen, dem Herausgeber, der Verlegerin. Jeder von ihnen hatte die Kolumne gelesen – diese Kolumne, die jetzt unter dem Knick auf der Titelseite stand. Ihnen allen war die Farbe aus dem Gesicht gewichen, als sie das Ende erreicht hatten, selbst Lydia Barnett, der Verlegerin. Sie hatte zu ihm hochgesehen, diese elegante Frau um die vierzig, bei der er insgeheim immer gedacht hatte: »Mann, wenn ich zwanzig Jahre jünger wäre …«, und er wusste, dass er einpacken konnte, als sie mit der honigsüßen Stimme, mit der man nur zu Kindern und geistig Minderbemittelten sprach, zu reden anfing.

»Du weißt, dass wir das nicht veröffentlichen können, Malcolm. Warum kommst du damit überhaupt zu mir? Denkst du, dass ich mich in eine Redaktionsentscheidung einmische?«

»Das solltest du. Wenigstens in diesem Fall.«

»Tja, Malcolm, tut mir leid, aber das werde ich nicht tun.«

»Lydia, ich weiß, dass es an der Grenze ist, aber –«

»An der Grenze?« Ihre dunklen Augen hatten geblitzt wie die Blinklichter an einem Bahnübergang. »Malcolm, das ist nicht an der Grenze. Es ist derart weit übers Ziel hinausgeschossen, dass man es nicht mal mehr mit bloßem Auge erkennt. Dazu braucht man schon das Hubble!«

»Komm schon, Lydia«, sagte er. »Von denen erwarte ich ja gar nicht, dass sie es kapieren.« Er deutete mit dem Kopf in Richtung der weißen Redakteure, der ganzen weißen Welt hinter den Wänden ihres Büros. »Aber du müsstest doch eine Ahnung haben, was mich dazu gebracht hat.«

Ihr Blick verdüsterte sich, und er wusste, dass er zu weit gegangen war. »Lass das«, sagte sie, »tu nicht schwärzer als ich, Malcolm Toussaint. Du weißt, dass das dumm ist. Ich kenne jede Form von Arroganz, Herablassung, Sexismus und Rassismus aus erster Hand. Ich musste durch diesen ganzen Sumpf waten, um an diese Stelle hier zu gelangen. Und das einzig Gute daran ist, dass ich nach alldem nicht mehr beweisen muss, wer ich bin, weder dir noch sonst jemandem.«

»So habe ich es nicht gemeint, Lydia. Ich wollte nur sagen –«

»Ich weiß, was du sagen wolltest, Malcolm. Du solltest heimgehen. Nimm dir ein paar Tage frei. Wann warst du das letzte Mal in Urlaub?«

»Vielleicht kann ich es ja umschreiben? Ein bisschen abschwächen?«

»Nein. Dieses Ding wird nicht in meiner Zeitung erscheinen. Geh nach Hause.«

Er war gegangen, aber nicht nach Hause. Sondern in eine Bar auf der South Side, wo er den Nachmittag über verdrießlich in ein Bier nach dem anderen gestarrt hatte. Und dabei einen Plan ausbrütete. Als er in die Redaktion in dem großen Gebäude an der Michigan Avenue zurückkehrte, war es spät. Sehr spät. Die Schlussredakteure zogen gerade ihre dicken Mäntel an, der Polizeireporter schaltete die Funkscanner aus, der Hausmeister schob einen riesigen Mülleimer zwischen den größtenteils verwaisten Schreibtischen durch. Im Newsroom war es still. Das »tägliche Wunder« war wieder einmal vollbracht.

Er war an den wenigen Leuten vorbei in Bobs leeres Büro geschlüpft, hatte die Jalousien heruntergelassen, damit kein Licht nach draußen fiel, und Bobs Computer hochgefahren. Vor sieben Monaten hatte Bob ihm sein Passwort mit Administratorrechten zum System der Post genannt, damit er einen Fehler in einer Kolumne bereinigte, wofür Bob selbst gerade keine Zeit hatte. Und natürlich hatte Bob in all der Zeit sein Passwort nicht geändert. Malcolm gab es ein – Bob_dylan#1 –, und der Desktop flackerte auf.

Malcolm hatte ursprünglich vorgehabt, die abgelehnte Kolumne aus dem Papierkorb zu holen und wieder an ihren üblichen Platz auf der Meinungsseite, hinter dem CitySide-Teil, zu setzen. Aber als er jetzt an Bobs Schreibtisch saß und sich unter dessen Namen eingeloggt hatte, kam ihm eine bessere Idee. Zumindest war sie gewagter. Solche Ideen kamen einem, wenn man etwas zu viel intus hatte und eine Stimme im Kopf sagte: »Wenn schon, denn schon«, und man nickte dazu, denn das schien unter den Umständen ein weiser Rat.

Also hatte er die Titelseite aufgerufen, die bereits an die Druckerei übermittelt worden war. Wenn der Leiter der Druckerei so weit war, die Rotationsdruckmaschinen anzuwerfen, und sah, dass Bob – das heißt Malcolm – die Datei geöffnet hatte, und wenn er oben anrufen und fragen würde, was los sei, dann wäre Malcolm sofort geliefert, also musste er schnell arbeiten, und genau das tat er. Mit ein paar Tastenkombinationen und Mausklicks entfernte Malcolm einen Artikel vom unteren Teil der Titelseite – eine Agenturmeldung über Wähler, die am Vorabend der Wahl noch unentschieden waren – und fügte stattdessen seine ausgemusterte Kolumne ein.

Und obwohl jede Sekunde zählte, obwohl man in der Druckerei auf die Seite wartete, hielt er inne. Es war ein Moment völliger Klarheit, in dem ihm bewusst war, was er gerade tat, was passieren und was es ihn kosten würde und dass es komplett irre war. Ein Moment. Und dann klickte er auf Senden.

Jetzt, fünf Stunden später, nach nicht einmal vier Stunden unruhigen Schlafs, saß er in seinem Auto und betrachtete das Ergebnis. Er hatte grimmige Befriedigung und sogar ein Gefühl von Stolz erwartet, weil er die Kolumne in die Zeitung geschmuggelt hatte. Stattdessen stellte er enttäuscht fest, dass er dieselbe Müdigkeit verspürte, die ihn schon seit so langer Zeit wie ein Schatten verfolgte, das Gefühl, dass er sein ganzes Leben damit verbracht hatte, wie ein Reifen auf eisglatter Straße durchzudrehen und nirgendwohin zu gelangen. Er fühlte sich ausgehöhlt, nutzlos wie der Wind, der die kahlen Äste der Bäume bewegte.

Malcolm warf die Zeitung auf den Beifahrersitz und trat aufs Gas. Das Auto machte einen Satz auf die dunkle Straße.

Noch eine Stunde hatte er die Stadt für sich. Die Straßen waren verwaist bis auf ein paar einzelne Autos. Ein Streifenwagen auf der Gegenfahrbahn, hinter ihm ein alter weißer Lieferwagen mit Rostflecken auf der Kühlerhaube, an einer Zapfsäule ein verbeulter alter Toyota, gegen den eine müde wirkende Frau in der Arbeitskleidung einer Kellnerin lehnte.

War es tatsächlich so lange her, dass sie gedacht hatten, sie würden die Welt verändern, Leute – Kids – wie er? Junge Männer und Frauen mit riesigen Afros und Zottelhaaren und langen blonden Locken, die mit schrillen Stimmen Lieder von Frieden, Liebe und Revolution sangen, eine ganze Generation, frisch und unverbraucht, noch nicht von dem Scheitern und den Kompromissen der Elterngeneration beschädigt, zutiefst überzeugt, dass sie etwas noch nie Dagewesenes waren, ein neuer Menschenschlag, der neue, noch niemals zuvor gedachte Gedanken dachte.

War es tatsächlich vierzig Jahre her, dass sie mit in die Luft gereckter Faust »Power to the people« skandiert hatten?

Und »Give peace a chance«?

Und »Revolution«?

Vierzig Jahre. Und was war aus ihnen geworden? Was war aus ihm geworden? Er war alt und müde und fuhr in einem Angeberauto von einem Angeberhaus weg und zahlte in einen Pensionsfonds ein. Sie waren so begeistert von sich gewesen, von ihrer Macht, die Welt zu verändern.

Malcolm seufzte tief. Er überlegte, ob er das Radio einschalten sollte, damit sich der kleine Raum mit Jazz oder Motown oder wenigstens den unaufhörlich heruntergeleierten Nachrichten füllte. Er ließ es ausgeschaltet. Die Stille passte zu seiner Stimmung. Er fuhr auf den Expressway. Chicago flog an ihm vorbei.

Wenige Minuten später bog er in die Einfahrt zur Tiefgarage unter dem Post-Gebäude. Er hielt seinen Ausweis an den Scanner, und als sich die Schranke hob, spürte er Erleichterung. Ihm war der Gedanke gekommen, dass sein Zugang zum Gebäude schon gesperrt worden sein könnte.

Der Mann am Empfang, der die Nachtschicht hatte, warf ihm einen neugierigen Blick zu, dann nickte er, als Malcolm erneut seinen Ausweis zückte und durch das Drehkreuz ging. Beiläufig fragte er sich auf der Fahrt im Aufzug, was dieser Blick bedeutet haben mochte. Vielleicht hatte der Mann die Zeitung schon gesehen und wusste, dass Malcolms Stunden hier gezählt waren. Vielleicht fragte er sich aber auch nur, was jemand zu dieser gottlosen Zeit im Büro wollte.

Im Newsroom herrschte Friedhofsruhe und Malcolm fühlte sich fast wie ein Gespenst, als er durchging. Er war versucht, stehen zu bleiben, sich umzusehen, die Erinnerung an diesen Ort in seinem Gedächtnis zu bewahren wie ein Foto in einem Scrapbook (waren Scrapbooks eigentlich noch Mode?). Immerhin war der Newsroom der Chicago Post ein halbes Leben sein zweites Zuhause gewesen und er wusste, er würde nie mehr hierherkommen, weil man es ihm verbieten würde. Aber dafür war jetzt keine Zeit. Also holte er zwei leere Schachteln aus der Poststelle, öffnete die Tür zu seinem Büro und machte sich rasch und methodisch ans Werk.

Zuerst packte er die Fotos ein. Da war Maries Foto aus Highschoolzeiten, das ein umwerfendes Mädchen mit blauem Lidschatten, rötlichem Afro und zartem Lächeln zeigte. Da war Jimmy Carter, der vor Malcolm mit dem Finger herumfuchtelte, als sie während ihres Interviews an einen strittigen Punkt gekommen waren. Da war ein Familienfoto mit den Kindern auf der Collegeabschlussfeier seines Sohnes Miles. Da war Malcolm, der auf einer Preisverleihung mit Bill Clinton Hände schüttelte. Da war das signierte Foto von Michael Jordan, ein Hüne neben Malcolm, einen Arm um seine Schulter gelegt. Bei jedem Foto musste Malcolm sich zügeln, nicht innezuhalten und es zu betrachten, damit er sich nicht in den daran geknüpften Erinnerungen verlor.

Er sah auf seine Preise, die Trophäen, die von seinen Triumphen kündeten. Da war ein Image Award der National Association for the Advancement of Colored People für eines seiner Bücher. Da waren die Urkunden für seine Pulitzer-Preise. Da die Preise der National Association of Black Journalists, des Press Club of Atlantic City, der American Society of Newspaper Editors, der Society of Professional Journalists, Urkunden zur Verleihung der Ehrendoktorwürde von einem halben Dutzend Universitäten.

Zwei Schachteln würden nicht reichen, schoss ihm durch den Kopf. Er würde noch welche holen müssen.

Gleich. Zuerst ging er die Papierstapel durch und verstaute seinen Rolodex und seine Notizbücher in einer Schachtel. Um die Computerdateien machte er sich keine Gedanken. Er benutzte zwar Computer, traute ihnen aber nicht. Wie sie funktionierten, verstand er halbwegs, aber trotzdem, die Vorstellung, Informationen digital aufzubewahren, in einer Form, die man nicht anfassen und sich damit ihrer Existenz versichern konnte, kam ihm wie ein Vertrauensvorschuss vor, zu dem er sich nicht durchringen konnte. Man musste sich mit der Versicherung der Maschine zufriedengeben, dass sie alles aufbewahrte und nicht aus einer Laune heraus die ganze harte Arbeit vernichtete. Deshalb hob er von allem, was er schrieb, einen Ausdruck auf. Die Leute nannten ihn »altmodisch«, wenn sie es mitbekamen, aber das verzweifelte, endlose Lamentieren von Kollegen, deren unersetzliche Daten wegen eines Festplattenfehlers verlorengegangen waren, rechtfertigten sein Misstrauen.

Es ging jedoch nicht nur um sein Misstrauen gegenüber der Zuverlässigkeit von Computern. Es ging auch darum, dass sie alles verändert hatten.

Man konnte mit niemandem mehr am Telefon reden. Man musste mit einer Maschine reden. Man musste mit einer Maschine eine Rechnung bezahlen, eine Konzertkarte kaufen, einen Brief schreiben. Und alles war heutzutage miteinander verbunden. Plötzlich reichte es nicht mehr aus, sein Bestmögliches zu geben, seine Arbeit zu machen, sie zu veröffentlichen und dann für sich sprechen zu lassen. Auf einmal sollte man eine Facebook-Seite pflegen und E-Mails beantworten und Forendiskussionen moderieren.

Malcolm hatte irgendwann aufgehört, so etwas laut zu sagen. Er wusste, wie ihn solche Äußerungen dastehen ließen. Er war sich im Klaren darüber, dass die Welt sich immer schneller drehte und ihn hinter sich ließ, so als wäre er ein Sprinter, dem die Puste ausgegangen war. Das Schlimmste war, dass es ihm egal war.

Er seufzte. Auch wenn er sich sagte, dass er sich beeilen musste, auch wenn er wusste, dass er keine Zeit hatte, die Fotos zu betrachten, nahm er das Foto von Marie aus der Schachtel, sah in die Augen, die er so viele Jahre geliebt hatte, das breite Lächeln, ein junges Mädchen, das mit einer Selbstgewissheit in die aufgehende Sonne einer ungewissen Zukunft sah, wie man sie nur hatte, wenn man zu jung war, um es besser zu wissen. Er hatte ihr immer gesagt, dass es das schönste Foto war, das es von ihr gab. Was würde sie von dem, was er getan hatte, halten?

Und auf einmal kam es ihm nicht mehr so schlau vor, ins Büro zu schleichen und seine Sachen zu packen. Es waren zu viele. Es würde zu lange dauern. Er verlor sich nur in Träumereien, und es machte ihn traurig. Abgesehen davon schoss ihm plötzlich die Frage durch den Kopf, wie er all die Schachteln transportieren wollte. Er fuhr eine Corvette.

Sollte doch ein anderer seine Sachen zusammenpacken. Sie sollten sie ihm nach Hause bringen. Verdammt, wenigstens das schuldeten sie ihm.

Schließlich nahm er weder die Notizbücher noch den Rolodex mit, sondern packte nur das Foto seiner Kinder und das von Marie ein. Ohne einen Blick zurück knipste er das Licht in seinem Büro aus und ging zum Aufzug. Gerade als er die Hand ausstreckte, um den Knopf zu drücken, öffnete sich die Tür und vor ihm stand Amy Landingham, in der Hand einen großen Becher mit irgendeinem Modekaffee.

Sie war eine junge Reporterin, ein weißes Mädchen, nein, eine Frau Mitte zwanzig mit Pferdeschwanz, großer Brille und dem Ruf, Informationen auszugraben, an die sonst keiner herankam. Vielleicht war sie so früh gekommen, um sich einen Vorsprung bei einem großen Projekt zu sichern. Alle sagten ihre eine große Zukunft voraus, vorausgesetzt, das Zeitungswesen überlebte lange genug, um sie ihr zu bieten.

Malcolm kannte sie kaum, aber sie hatte ihn in ihrer ersten Woche bei der Post angesprochen und etwas gesagt, das ihn wie ein Becher Kakao nach einem Eissturm wärmte. »Ich bin nur Ihretwegen hier«, hatte sie gesagt und über den Rand ihrer Brille schüchtern zu ihm aufgesehen. Es stellte sich heraus, dass er vor einigen Jahren am Orientierungstag ihrer Highschool einen Vortrag gehalten und mit seiner Leidenschaft für den Journalismus einen solchen Eindruck bei ihr hinterlassen hatte, dass sie auf der Stelle die Entscheidung getroffen hatte, Journalistin zu werden. Er hatte sich nicht einmal daran erinnert, diesen Vortrag gehalten zu haben.

Jetzt stockte sie, genauso überrascht von seinem Anblick wie er von ihrem. Nein, bemerkte er auf den zweiten Blick, es war nicht nur Überraschung. Sie hatte die Zeitung gesehen. Eindeutig. Und dieser Ausdruck in ihrem Gesicht, war das … Verletzung? Mitleid?

»Malcolm«, sagte sie. Ihre Stimme klang hart, es musste also Wut sein, dachte er.

»Amy«, sagte er.

»Schrecklich früh«, sagte sie.

»Ja«, sagte er. »Ich habe ein paar Sachen geholt.« Er machte einen Schritt an ihr vorbei zur Aufzugtür, bevor sie sich schließen konnte. »Schönen Tag noch.« Er trat in den Aufzug, drückte rasch den Knopf.

Amy sah ihn an. »Malcolm«, sagte sie schließlich. »Ich muss Sie das einfach fragen. Warum haben Sie …?«

»Ich war es einfach leid«, sagte er.

»Leid? Was waren Sie leid?«

Er überlegte, was er darauf antworten sollte, als sich zu seiner großen Erleichterung die Aufzugtür schloss.

Malcolm fuhr zur Lobby hinunter, diesen Ausdruck auf ihrem Gesicht vor Augen. Das war eine Sache, merkte er plötzlich, an die er nicht gedacht hatte. Er hatte überlegt, wie seine Chefs reagieren würden, er hatte überlegt, was mit seiner Karriere passieren würde, er hatte überlegt, welchen Aufruhr die Kolumne verursachen würde. Über all diese Dinge hatte er nachgedacht und die möglichen Folgen akzeptiert. Aber an Leute wie Amy hatte er nicht gedacht. Als er jetzt durch das Drehkreuz ging und auf den Knopf des Aufzugs zur Tiefgarage drückte und hinunterfuhr, konnte er an nichts anderes denken.

»Ich bin nur Ihretwegen hier«, hatte sie gesagt und ihn bewundernd angeblickt, als wäre die Begegnung mit ihm wie eine Begegnung mit Michael Jordan.

Gib nicht mir die Schuld, Mädchen. Das hätte er ihr antworten sollen, sagte er sich jetzt. Er hätte ihren Welpenblick kalt erwidern sollen. Damit hätte er ihr einen Gefallen getan.

Aber Malcolms Ärger hielt nicht vor. Wie viele Amys hatte er im Lauf der Jahre kennengelernt? Wie oft hatten sie ihm gesagt, dass sie ihn bewunderten, weil er für die gleichgeschlechtliche Ehe Stellung bezogen hatte, für Abtreibung und Frauenrechte, gegen Rassismus, Islamfeindlichkeit, Waffen, Klimaerwärmung? Hunderte Male? Tausende? »Eine prophetische Stimme«, hatte jemand gesagt. »Sie sprechen mir aus der Seele«, hatte jemand anderes gesagt. »Dank Ihnen fühle ich mich nicht allein.« So viele Male hatte er es gehört. So viele Male, dass er, wie ihm schlagartig bewusst wurde, irgendwann aufgehört hatte, es wahrzunehmen.

Aber als die Aufzugtür sich öffnete und er durch die verlassene Tiefgarage ging, hörte er es. Er hörte es wieder, hörte es deutlich, und das erste Mal, seit er getan hatte, was er getan hatte, fragte er sich, was diese Leute jetzt sagen, was sie fühlen, was sie denken würden.

Stöhnend ließ er sich auf den Fahrersitz sinken, und auf einmal wurde ihm klar, dass er Amys Gesichtsausdruck fehlgedeutet hatte. Aus ihren Augen sprach keine Verletzung. Es war kein Mitleid und auch keine Wut.

Es war das Gefühl, verraten worden zu sein. Es war der Blick, mit dem man jemanden ansah, der einen betrogen hatte.

Sie hatte ihm vertraut – nein, schlimmer, sie hatte an ihn geglaubt –, und er hatte sich dessen nicht würdig erwiesen.

Himmel, was habe ich getan?

Der Gedanke durchfuhr ihn wie ein Blitz. Er versuchte ihn zu verdrängen, als er den Motor anließ, dessen vertrautes Röhren seine Stimmung sonst augenblicklich hob. Doch jetzt nahm er es nicht einmal wahr.

Was habe ich getan?

Der Gedanke war grausam. Denn auf einmal wusste er, wichtig war nicht der Beifall. Nicht das Prestige.

Er beschleunigte auf der frühmorgendlich leeren Straße.

Nicht einmal die Karriere. Nein, wichtig war das Vertrauen. In einer Zeit, in der man sich auf immer weniger verlassen konnte, hatten Menschen, ein paar wenigstens, an ihn geglaubt. In einer Zeit medialen Getöses, in der niemand mehr zuhörte, hatten sie ihm zugehört. Und weil er ein paar Biere und eine Mordswut im Bauch gehabt hatte, hatte er das zerstört.

Malcolm hielt an einer Ampel. Die Tränen auf seinen Wangen spürte er kaum.

Die Ampel sprang um. Er fuhr wie durch einen Nebel nach Hause. Die Sonne ging auf. Auf der Straße waren immer noch kaum Autos unterwegs. Ein alter Cadillac in einer undefinierbaren Farbe schlich auf der Gegenfahrbahn dahin. Ein herrischer schwarzer SUV überholte ihn rechts. Hinter ihm fuhr ein weißer Lieferwagen mit Rostflecken auf der Kühlerhaube.

Er hielt an einer weiteren Ampel und fragte sich – und er konnte kaum glauben, dass er sich das zum ersten Mal fragte –, was er jetzt tun sollte, nachdem er seine Karriere in den Sand gesetzt hatte. Unterrichten? Nein. Wer würde ihn wollen? Ein albernes Rechtfertigungsbuch schreiben wie Jayson Blair? Nein, er würde sich – so gut es ging wenigstens – demjenigen erklären, dem er sein erstes, vielleicht einziges Interview geben würde. Vielleicht CNN. Oder der New York Times. Vielleicht beiden. Vielleicht würde er zwei Interviews geben, eins fürs Fernsehen, das andere für die Zeitung.

Und was dann? Verschwinden, überlegte er. Nach Kalifornien ziehen, wo Miles und Andrea lebten, und seine Enkelkinder besser kennenlernen. Vorausgesetzt natürlich, dass sein Sohn und seine Tochter jetzt noch etwas mit ihm zu tun haben wollten.

Malcolm grunzte verächtlich, als er Selbstmitleid in sich aufsteigen spürte. Das konnte er sich sparen.

Automatisch warf er einen Blick in den Rückspiegel und erstarrte. Er hatte gerade noch Zeit, um den herankommenden weißen Lieferwagen zu bemerken, Zeit, um festzustellen, dass er offenbar nicht bremste, sondern im Gegenteil beschleunigte. »Scheiße«, sagte er. Sein Verstand sagte ihm, dass er das Gaspedal durchdrücken musste. Sein Fuß reagierte nicht.

Der Aufprall war von einem metallischen Kreischen begleitet. Mit einem lauten Knall blies sich der Airbag auf. Die Corvette machte einen Satz. Er flog nach vorne. Etwas traf ihn an der Schläfe. Ein Blitz zuckte auf. Und dann …

Dunkelheit, Stille, Feuchtigkeit.

Blut?

Sein Herz klopfte schwer.

Dunkelheit. Atmen, Schmerz.

Stimmen.

»Beeil dich! Beeil dich!«

»Ich beeil mich ja.«

»Hol ihn da raus!«

»Hab ihn schon. Kein Stress.«

Dunkelheit.

Und dann nahm er einen kurzen Moment wahr, dass die verzogene Tür mit einem metallischen Knarzen geöffnet wurde und ein seltsames Gesicht sich zu ihm beugte. Seltsam, weil es sich nicht bewegte, unbewegt war. Ein weißer Mann mit weißem Bart, das breite Gesicht in einem fröhlichen, schrecklichen Lächeln erstarrt.

Hände griffen nach ihm. Er wurde aus dem Auto gezogen. Er protestierte. Dachte wenigstens, dass er protestierte, war sich aber nicht sicher.

Schmerz. Oh Gott, dieser Schmerz. Sein Bein brannte wie Feuer. Er stöhnte und hörte sich selbst stöhnen. Sie legten ihn nicht auf die Straße, knöpften nicht seinen Kragen auf, riefen keinen Rettungswagen. Sie … trugen ihn irgendwohin?

Die Dunkelheit schloss sich wieder um ihm, und Malcolm begrüßte sie, weil das Vergessen Erleichterung versprach. In dem Moment, bevor es eintrat, wurde ihm klar, dass er das seltsame Gesicht kannte, es schon immer gekannt hatte. Aber das konnte nicht sein. Es ergab keinen Sinn.

Warum sollte Santa Claus ihn entführen?

Kapitel 3

Bob Carson war ein Frühaufsteher.

Er liebte die schwarze Stille in den Stunden vor der Morgendämmerung. Wenn er auf den Beinen war, bevor Licht und Lärm die Welt übernahmen, hatte er das wunderbare Gefühl, dem Tag einen Schritt voraus zu sein, den Leuten, die noch in ihren warmen Betten mit ihren Kissen kuschelten, einen Schritt voraus zu sein.

Er war also schon wach, geduscht und rasiert und suchte in seiner aufgeräumten Küche leise summend die Zutaten für ein Eiweiß-Spinat-Omelett zusammen, als um acht vor sechs sein Handy brummte. Das elektronische Geräusch ließ ihn mit den Gefrierbeuteln mit Spinat und Pilzen in der Hand erstarren. Dieses Geräusch gehörte zu einer späteren Tageszeit. In der frühmorgendlichen Stille kam es ihm geradezu obszön vor.

Bob seufzte, legte die Beutel auf die Arbeitsfläche, drehte die Flamme unter der Pfanne ab und nahm das Handy in die Hand, gerade als es wieder brummte. Das Display zeigte Doug Perrys Namen. Was könnte Doug um diese Zeit von ihm wollen?

Bob tippte auf das grüne Symbol auf dem Display und sagte ohne Einleitung. »Doug. Was ist los?«

»Hast du die Zeitung gesehen?«

Bei dem eisigen Unterton in Dougs Stimme verlagerte Bob nervös sein Gewicht. »Nein«, sagte er. Böses ahnend sah er zum Küchentisch mit den vier übereinanderliegenden Zeitungen – die New York Times, die Tribune, die Sun-Times und die Post. Obenauf lag die Post, die Zeitungsköpfe der anderen lugten darunter hervor und warteten darauf, bei Omelett und koffeinfreiem Kaffee gelesen zu werden.

»Sieh’s dir an«, sagte Doug.

»Was ist …«

»Titelseite. Sieh’s dir an.«

»Bleib dran.«

Bob ließ das Handy sinken, ging zum Tisch und nahm die Post von dem Stapel. Er warf einen Blick auf die Fotos von Obama und McCain, vergewisserte sich, dass die Namen der beiden nicht vertauscht worden waren, suchte nach Rechtschreibfehlern in der Überschrift. Dann drehte er die Zeitung um. Und spürte einen dumpfen Schlag gegen sein Brustbein.

»Mein Gott«, sagte er und hob das Handy ans Ohr, während er sich auf einen Stuhl sinken ließ. »Wie ist das passiert?«

»Ich hatte gehofft, dass du mir das sagen würdest.«

»Ich habe keine Ahnung.«

»Sicher?«

»Natürlich bin ich sicher.«

»Lydia hat mich gerade vom Fitnesscenter aus angerufen«, sagte Perry. »Sie ist stinksauer.«

»Kann ich mir vorstellen.«

»Nein, mein Lieber, das kannst du nicht. Und sie wird eine Erklärung wollen. Weißt du wirklich nicht, wie das passiert ist? Für so was braucht man Administratorrechte für das System. Das geht nicht einfach so. Vielleicht hast du irgendwo einen Fehler gemacht? Was weiß ich, zum Beispiel auf Senden geklickt, als du löschen wolltest?«

»Zum dritten Mal, Doug: Nein. Hast du schon mit Sam gesprochen?« Samantha Welles hatte die Nachtschicht geleitet.

»Ja, die habe ich als Erstes angerufen. Sie schwört, dass Malcolms Kolumne bei der Freigabe nicht auf der Seite war. An der Stelle war der AP-Artikel über unentschiedene Wähler.«

»Meinetwegen, aber ich war’s trotzdem nicht«, beharrte Bob. Wie oft hatte er das jetzt gesagt? Ihm wurde bewusst, dass er zu heftig widersprach.

Doug grunzte. Das hätte alles bedeuten können. »Gut«, sagte er, »um Punkt sieben ist ein Meeting in Lydias Büro.«

»Bis dann«, sagte Bob. Aber sein Chef hatte schon aufgelegt.

Bis sieben blieb zwar wenig Zeit, aber Bob ging trotzdem nicht sofort ins Schlafzimmer, um sich anzuziehen. Stattdessen nahm er die Zeitung und begann wie in Trance, Malcolms Kolumne zu lesen, die er, Bob, so vehement abgelehnt und höchstpersönlich in den Papierkorb befördert hatte und die dann auf irgendeine Weise wieder daraus aufgetaucht war. Sie lautete:

Guten Morgen, meine Freunde und Nachbarn,

was Sie heute hier lesen, sind die Überlegungen eines Mannes, der es leid ist.

»Was denn?«, werden Sie sich fragen. »Was ist Toussaint denn leid? Er ist ein geachteter Journalist, er kriegt mehr Geld, als er verdient, er hat zwei tolle Kinder und hatte das Glück, von einer Frau geliebt zu werden, die nachsichtig, freundlich, klug und eine Augenweide war und die es 27 Jahre mit Toussaint ausgehalten hat – bis zu ihrem Tod 2006 –, obwohl er nichts von alledem war und alle wussten, dass sie viel zu gut für ihn war.

Worüber beklagt er sich? Nun, es ist ganz einfach: Ich habe die Nase voll vom Bullshit der Weißen.

Ich weiß schon, manche von Ihnen überrascht die Wortwahl, aber sie trifft es nun mal.

Vor zwei Wochen schrieb ich eine Kolumne. Vielleicht erinnern Sie sich daran. Es ging darin um Donte Stoddard, den 22-jährigen Afroamerikaner, Vater von drei Kindern, der in einem Kugelhagel starb – 52 Schüsse wurden abgegeben, 27 trafen ihn –, als er abends vor einem McDonald’s von der Polizei angehalten wurde. Die Polizei erklärt, Stoddard sei erschossen worden, weil er in seine Tasche gegriffen und eine Brieftasche herausgeholt habe, die die Beamten mit einer Waffe verwechselt hätten. Zeugen sagen, dass das nicht stimmt. Die Aufnahmen der Überwachungskameras bestätigen ihre Aussagen. Darauf ist Stoddard mit einer Tüte in jeder Hand zu sehen. Er nimmt sie in eine Hand, um mit der anderen in seine Gesäßtasche zu fassen und seinen Ausweis herauszuholen. Aber bevor seine Hand die Tasche erreicht, bevor er den Ausweis herausziehen kann, setzen die Schüsse ein – und halten zwölf unerträgliche Sekunden lang an.

Schließlich erklärte die Polizei, dass der Mann, nach dem sie wegen eines bewaffneten Raubüberfalls gesucht hatte, als Stoddard aufgehalten wurde, keinerlei Ähnlichkeit mit ihm aufwies – er war zehn Jahre älter, gut zwanzig Kilo schwerer und trug einen halblangen Afro, während Stoddard Dreadlocks hatte. Die einzige Gemeinsamkeit zwischen ihnen war, dass sie beide schwarz waren; das reichte offenbar. Ich bezichtigte in meiner Kolumne die Polizei der Hinrichtung eines weiteren schwarzen Mannes unter fragwürdigen Umständen und verlangte eine Untersuchung durch das Justizministerium.

Daraufhin erhielt ich eine E-Mail von einem Mann namens Joe MacPherson, die ich hier in voller Länge wiedergebe:

»Du bist so dumm Toussain. Glaubst du echt das wir in Tränen ausbrechen, weil der Typ tot ist? Du bist doch auch nur ein gehirngewaschener lieberaler Jammerlappen, der nicht genug in der Birne hat um die Wahrheit zu erkenen oder zu feige ist um sie auszusprechen. Fackt ist: Nigger begehen die Mehrzahl der Verbrechen in diesem Land, du kannst es dir also sparen, der Polizei vorzuwerfen, das der Mann tot ist, das könnt ihr euch nämlich selber vorwerfen. Wenn du deinen Brothers wirklich helfen willst, warum sagst du ihnen nicht, das sie keine Verbrechen mehr begehen sollen? Dieser Stoddart war wegen Drogenhandel und häuslicher Gewalt vorbestraft. Das hast du mit keinem Wort erwähnt. Oder du kannst ihnen sagen, das sie keine Kinder mehr machen solen um die sie sich nicht kümmern können. Stoddart hatte drei Kinder von drei Frauen und er war erst 22! Das hast du auch nicht erwänt. Nein, du gibst immer für alles den Weißen die Schuld. Aus jeder Zeile von dir spricht der Hass auf das weiße Amerika. Du bist ein rasistischer Nigger. Immer spielst du die Rassenkarte. Ständig hetzt du gegen uns Weiße. Es sind genau solche Hetzer wie du, die unser Land kapputmachen. Und es sind Leute wie ich, die das verhindern. Wir sind hier in Amerika, Freundchen. Wenn es dir nicht gefällt dann hau doch ab.«

Ich lasse Sie diese Mail nicht lesen, weil sie besonders haarsträubend ist. Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht ein halbes Dutzend oder mehr Mails dieser oder schlimmerer Art bekomme. Nein, ich mache es, weil sie der Tropfen ist, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Ich sage es noch mal: Ich habe die Nase voll vom Bullshit der Weißen.

Erstens – und mir ist klar, dass das pingelig ist, aber jetzt bin eben ich dran mit reden – sagt diese Mail alles, was man über den Niedergang des Bildungsniveaus in diesem Land wissen muss, oder? Können Sie ermessen, wie frustrierend es für einen gebildeten Menschen wie mich ist, dass seine Intelligenz von jemandem beleidigt wird, der nicht einmal die Grundzüge der Orthographie beherrscht?

»Du bist so dumm«? Tatsächlich? Das ist der Satz, der mich am meisten auf die Palme bringt – gleich gefolgt von »Du bist ein rasistischer Nigger«. Und würde bitte jemand diesem Mann eine Familienpackung Kommas kaufen?

Was den Rest angeht, nun ja … ich will die Mail nicht Punkt für Punkt durchgehen. Ich habe alles gesagt, was über die Hinrichtung von Donte Stoddard zu sagen ist, und auch über die Verbrechen von Schwarzen, schwarze Kinder und die Kriminalisierung der schwarzen Existenz. Wenn es Sie interessiert, können Sie es nachlesen.

Ich schreibe diese Kolumne nicht, um mich erneut dazu zu äußern. Ich schreibe sie, um zu sagen, dass ich kapituliere. Ich strecke die Waffen. Aus, Schluss, vorbei.

Wie viele von Ihnen wissen, traf ich einmal einen bedeutenden Mann – sein Name ist Martin Luther King –, der mir riet, Geduld zu haben und auf den Glauben zu setzen, was die Leute, die er »unsere weißen Brüder« nannte, angeht. Ich war ein junger Mann, mit der Ungeduld und dem Zorn eines jungen Mannes. Mein Vater war Müllmann in Memphis, einer der Männer, derentwegen Dr. King in die Stadt gekommen war, einer der Männer, die jeden Tag mit einem Schild durch Downtown marschierten, auf dem stand: »I AM A MAN«, weil die Weißen daran erinnert werden mussten.