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Table of Contents

Titel

Impressum

Plötzliche Idee

Oma verdanken wir unser Leben

Markus hat Pläne mit uns

Markus bekommt ein Kind

Markus führt seine Pläne aus

David

Wir singen in der Oper

Wie wir uns verliebten

Wir wollen unsere Mütter sehen

Wir entdecken ein Familiengeheimnis

Ich besuche doch noch meine Mutter

Das geweckte Bedürfnis

Markus überlebt ein Flugzeugunglück

Mátyás

Auf der Suche

Die Aufnahmeprüfung

Veränderungen

 

 

 

 

Benjamin Sand

 

 

 

 

Markus und wir

Ein Papa, fünf Söhne und keine

Mutter – aber dafür eine Oma

 

 

Kinder- und Jugendbuch über eine ganz

besondere Patchworkfamilie

 

 

 

 

 

 

 

Verlag DeBehr

 

Copyright by: Benjamin Sand

Herausgeber: Verlag DeBehr, Radeberg

Erstauflage: 2018

ISBN: 9783957535566

 

Plötzliche Idee

Eines Abends kam mir in den Sinn, über unsere Familie zu schreiben. Ich war allein in der Wohnung, was selten vorkam. Ich beschloss, dass ich diesen Abend auf ungewöhnliche Art genießen wollte.

   Ich zog mir den japanischen Kimono meiner Oma über, löschte alles Licht und zündete drei Kerzen auf einem Leuchter an. Die verbreiteten im Nu einen unangenehmen Geruch, sodass ich das Fenster öffnete, um ihn hinauszulassen.

   Nun noch Musik. Ich legte eine CD ein mit Rock oder Pop, obwohl das eigentlich nicht meine Musik war, aber es sollte ja alles so sein wie sonst eben nicht. Die Songs waren auf Mittelalter getrimmt und hatten schnulzige Texte, und als eine breitgequetschte Frauenstimme die Liebe zu einem Ritter besang, schaltete ich aus.

   Das war’s dann schon mit dem besonderen Abend. Was sollte man schon machen, wenn man den Fernseher oder Computer nicht einschalten wollte ...

   Ich holte Omas weiße Perücke und setzte sie mir auf. Wie ich mich so im Spiegel besah, musste ich lachen: Hatten wir doch alle die schwarzen Locken unseres Vaters geerbt!

Wir waren durchaus eine interessante Familie. Interessant genug, wie ich fand, deren Geschichte aufzuschreiben. Eine Familienchronik? Warum nicht? Oder was sonst? Einer von uns sollte im Mittelpunkt stehen: natürlich ich! Nein, wozu ich. Wem aus unserer Familie gebührte die Ehre? Sachlich ging ich jedes Familienmitglied durch.

   In aller Bescheidenheit, auch über mich wüsste ich einen würdigen Roman zu schreiben, doch ob die anderen damit einverstanden wären? Andreas? Cyrill? Oma und Rexi? Ein Konflikt schien sich anzubahnen ... Ich musste mich entscheiden.

   Und plötzlich wusste ich, wer einzig und allein im Mittelpunkt meiner Geschichte stehen konnte: unser Vater Markus!

   Auf der einen Seite war da die Idee. Wie die Geschichte ausgehen würde, konnte ich nicht wissen, nicht, was uns die Zukunft bringen würde. Langweilig würde sie ganz bestimmt nicht.

   Ich war ganz aufgeregt und stolz auf meine Idee. Fast kam es mir vor, als beteilige ich mich an der Schöpfung: Jawohl, ich erschaffe ein Buch ... Nicht eine Sekunde dachte ich daran, wie viele Millionen Geschichten bereits „erschaffen“ worden waren, unter denen meine vielleicht nicht so recht herausragen würde. Dennoch war ich stolz auf meine Schöpferkraft und felsenfest überzeugt von meiner Berufung.

Da schloss jemand die Haustür auf – ich riss rasch die Perücke vom Kopf. Oma trat ins Zimmer und blieb wie erstarrt stehen. Wie peinlich, dass Oma mich in ihrem roten Kimono erwischt hatte und ihre Perücke in Sichtweite lag. „Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen“, rief sie, „du hast meine schönsten Duftkerzen abgefackelt …!“ Soviel also zum Gestank. Ich blickte Oma an und dachte: „Wenn schon Papa Markus die Hauptperson sein sollte – auch Oma wird eine herausragende Rolle in meiner Geschichte spielen.“

   In dieser Nacht wälzte ich mich im Bett hin und her und konnte lange nicht einschlafen wegen meiner Idee.

 

Oma verdanken wir unser Leben

Am nächsten Morgen, gleich nach dem Erwachen, kam mir meine Idee vom Abend in den Sinn – doch fand ich sie überhaupt nicht mehr großartig: ein Buch schreiben, eine Geschichte …

   Gleich darauf fiel mir ein, dass ich in Kürze etwas ganz anderes schreiben würde, nämlich eine Englischarbeit. Damit war das geplante Buch vergessen ‒ und blieb es tagelang. Ich konnte auch nicht an den Computer, wann ich wollte, denn ich musste ihn mit meinem Bruder Andreas teilen.

   Freilich dachte ich bisweilen an meine Idee, aber nicht mehr mit der Begeisterung des Schöpfers, sondern so, wie man eine ungeliebte Pflicht vor sich her schiebt.

   Dennoch hielt ich fest an meiner Eingebung, meinem Plan.

Nach fünf Tagen besetzte ich den Computer und suchte eine passende Schrift aus für den Titel: Unser Vater Markus. Oder nein, es ging doch nicht allein um ihn. Also besser: Papa Markus und wir. Na ja.

   Wir Kinder sagen übrigens gar nicht Papa, wir sagen Markus.

   Beim Verfassen der Überschrift zu Kapitel zwei kamen mir Bedenken, dass man diese ganz falsch verstehen könnte. Um es gleich zu sagen: Oma hat uns nicht etwa vor einer Lebensgefahr bewahrt, schon gar nicht geboren. Wir verdanken ihr also nicht schlechthin das Leben, sondern unser Leben, also dieses hier, in ihrem Haus, mit unserem Papa Markus, mit ihr als regierende Kraft, ihrem Pferd Rexi und allem anderen, was in meiner Geschichte folgen wird …

   Dieses Leben also verdanken wir Oma. Wir, das sind Andreas, ich ‒ Benjamin ‒ und Cyrill. Nie und nimmer hätten wir ohne Oma bei Markus leben dürfen. Papa Markus ist nämlich noch sehr jung. Er ist nicht wie ein Vater, er ist mehr wie ein größerer Junge ‒ und manchmal ein recht ruppiger!

   Als ich klein war, verglich ich andere Väter mit unserem und wünschte mir, Markus möge doch auch eine kleine Glatze haben und einen gemütlichen runden Bauch. Aber Markus war gertenschlank und trug auf dem Kopf jene Fülle schwarzer Locken, die wir Kinder, wie schon gesagt, alle von ihm geerbt hatten.

   Wir kleinen Stifte sagten als erstes Wort nicht Mama, sondern Oma und gleich danach Markus oder so etwas Ähnliches. Denn dieser Name ist doch reichlich schwierig für ein Kleinkind, das sprechen lernt, schwerer jedenfalls als Papa, was Markus ja wirklich ist.

   Doch Markus mochte kein Papa so vieler Jungen sein. Er sagte, das mache ihn alt. Dabei musste er die Pflichten eines alleinerziehenden Elternteils erfüllen, beispielsweise auch zum Elternabend gehen. Das tat er nur ein einziges Mal. Die Lehrerin hielt ihn für einen Schüler und bat ihn, beim nächsten Mal Vater oder Mutter zu schicken. Das war ein schönes Kompliment für Markus’ Jugendlichkeit! Er versprach, den Rat umgehend seiner Mutti mitzuteilen, was er auch wirklich tat: Also ging von nun an Oma zu den Elternabenden und fiel dort gar nicht auf; manche Muttis sahen älter aus als sie.

   Unsere Oma ist nämlich auch noch nicht alt. So wenig, wie Markus dem Bild eines Vaters entspricht, ähnelt sie den Vorstellungen von einer Oma. Sie hat schwarze Locken wie wir alle – allerdings bereits gefärbt, wie sie freimütig gesteht, eine Brille trägt sie auch manchmal, aber die trägt ja schon fast jedes dritte Schulkind.

   Oma ist Besitzerin des Pferdes Rexi sowie des Hauses und auch unseres kleinen Autos, Typ Toyota. Zu diesem Auto sagten wir Floh, und weil wir Sand heißen, nannten wir den Toyota schließlich Sandfloh. Unerklärlicherweise wurde Markus darüber furchtbar wütend, auch Oma zeigte sich nicht begeistert, und so nannten wir Kinder das Auto wieder Floh. Das Auto war auch wirklich sehr klein. „Ein größeres können wir uns nicht leisten!“, erklärte uns Oma. Und meistens war ja auch nur Markus mit ihm unterwegs.

   Er war sehr oft fort. Oma sagte, er verdiene Geld für ein größeres Auto, vielleicht einen Van oder einen Kleinbus, in den wir alle bequem passten, denn, so orakelte sie, wir würden wohl nicht immer bloß drei Söhne bleiben …, Markus sähe viel zu gut aus. Er verdiente dieses Geld mit so genannten Muggen, die ihn sogar nach Dresden an die Semperoper führten. Markus ist Opernsänger.

   Wir lernten auf Rexi reiten, aber mit unterschiedlichem Erfolg. Andreas stieg schon bald auf Fahrrad um und war von da ab nie mehr auf Rexis Sattel zu bewegen. Ich blieb der ausdauerndste Reiter von allen, außer Oma. Sie versprach, mir ein eigenes Pferd zu schenken, für gemeinsame Ausritte.

   Doch zurück zu Oma und uns …

   Wir haben nämlich keine Mutter. Kein Unfall, nein, nein. Im Grunde genommen haben wir natürlich eine Mutter, sogar jeder eine andere. So ist Markus eben. Die Weiber sind wohl scharf auf seine schwarzen Locken. Deshalb will er von uns auch nicht Papa genannt werden – muss ja keiner wissen, dass diese Bengels seine Söhne sind. Könnten ja auch die Brüder sein. „Deine Weiber!“, tönte Oma respektlos.

Das erste „Weib“ war ein Schulmädchen und Markus damals ein Klassenkamerad von ihr. Sie gingen in die letzte Klasse, als Andreas zur Welt kam. Markus war in dieser Zeit richtig verstört und schaffte nur ein mieses Abitur. Die Musikhochschule bestand allerdings nicht auf tollen Noten, und als Tenor schaffte er die Aufnahme mühelos.

   Markus erzählte niemandem von seinem kleinen Sohn. Oma nahm sich fortan des Babys an, nachdem sie, auf einen Wink hin, es brüllend im Kinderwagen in einer Disco vorgefunden hatte – wo das Geschrei begreiflicherweise niemanden störte. Aus dieser Disco also schob Oma das noch lange schreiende und aufgeregt mit den Fäustchen fuchtelnde Kind nach Hause und legte es empört ihrem Sohn in die Arme.

   Markus war neunzehn Jahre alt.

 

Markus hat Pläne mit uns

Bei mir soll es wesentlich undramatischer zugegangen sein. Ich verlebte die ersten zwei Jahre in einer Kinderkrippe. Ich wurde regelmäßig abgeholt, und zwar von meiner Mutter, die nicht mit Markus zusammenlebte. Was sie bewogen hat, freiwillig das Erziehungsrecht an Oma und Markus abzutreten, weiß ich nicht. Vielleicht ihr Beruf. Sie war damals Tänzerin und wollte einer Berufung an ein größeres Theater folgen. Ihr Talent habe ich nicht geerbt.

   Bei uns beiden ersten Jungen war es noch Zufall, dass unsere Namen mit A beziehungsweise einem B begannen. Bei den uns folgenden Brüdern, Cyrill und David, war die Namensgebung Absicht. Getreu dem ABC … Fehlte noch ein Egon.

   Cyrill als Einziger ist eine Ausnahme in unserer Reihe. Cyrill ist kein Sohn von Markus, sondern von Oma. Von einem Vater keine Spur. Oma verriet uns auch nichts. Zum Glück sieht Cyrill aus wie wir alle, mit schwarzen Locken, dem Erbteil von Oma, so jedoch konnten wir aus seinem Aussehen nicht auf seinen eventuellen Vater schließen. Wir verdächtigten einen Regisseur. Aber, wie gesagt, wir fanden leider keine Ähnlichkeit zu jemandem im uns bekannten Umfeld.

Oma