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Dorian Hunter Band 94: Olivaros Sterbelied

Dorian Hunter steht kurz davor, Salamanda Setis als Schiedsrichterin der Schwarzen Familie zu stürzen. Allerdings würde er damit womöglich seinem alten, unzuverlässigen Verbündeten Olivaro auf den Posten verhelfen. Sollte er das wirklich tun? Aber welche Wahl bleibt ihm?

 

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Rache der Dschinnen

 

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Band 93

 

Rache der Dschinnen

 

von Catherine Parker und Christian Schwarz

nach einem Exposé von Susanne Wilhelm

 

 

© Zaubermond Verlag 2018

© "Dorian Hunter – Dämonenkiller"

by Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

 

 

Titelbild: Mark Freier

eBook-Erstellung: Die eBook-Manufaktur

 

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Alle Rechte vorbehalten

 

 

Was bisher geschah

 

Der ehemalige Reporter Dorian Hunter hat sein Leben dem Kampf gegen die Schwarze Familie der Dämonen verschrieben, seit seine Frau Lilian durch eine Begegnung mit ihnen den Verstand verlor. Seine Gegner leben als ehrbare Bürger über den gesamten Erdball verteilt. Nur vereinzelt gelingt es Dorian, ihnen die Maske herunterzureißen.

Bald kommt Hunter seiner eigentlichen Bestimmung auf die Spur: In einem früheren Leben schloss er als französischer Baron Nicolas de Conde einen Pakt mit dem Bösen, der ihm die Unsterblichkeit sicherte. Der Pakt galt, und als de Conde selbst der Ketzerei angeklagt und verbrannt wurde, wanderte seine Seele in den nächsten Körper. Im Jahr 1713 wurde er als Ferdinand Dunkel in Wien Zeuge, wie Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie, von einem Nachfolger verdrängt wurde, der sich fortan Asmodi II. nannte. Ihn kann Dorian schließlich töten.

Nach vielen Irrungen nimmt Lucinda Kranich, die Schiedsrichterin der Schwarzen Familie, die Rolle des Asmodi an. Niemand weiß, dass sie in Wirklichkeit hinter dem wiedererstandenen Fürsten steckt. Und letztendlich wird ihre Maskerade Wirklichkeit. Dass Lucinda sich einen Teil Asmodis einverleibt hat, um seine Macht zu erlangen, wird ihr zum Verhängnis. Der in ihr schlummernde Asmodi übernimmt die Kontrolle über ihren Körper und ersteht so tatsächlich wieder auf.

Den Posten des Schiedsrichters nimmt die babylonische Vampirin Salamanda Setis an, die noch ein sehr persönliches Hühnchen mit Dorian zu rupfen hat. Gleichzeitig gelingt es Dorian mithilfe seiner Tochter Irene, ganz Großbritannien von Dämonen zu befreien. Allerdings sind Salamanda und Asmodi bereits dabei, einen Gegenschlag zu planen. Um ihn zu verhindern und Salamanda als Schiedsrichterin zu stürzen, muss Dorian sich erneut mit Olivaro verbünden. Gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach einem weiteren Feuerschädel.

 

 

Erstes Buch: Rache der Dschinnen

 

Rache der Dschinnen

 

von Catherine Parker

nach einem Exposé von Susanne Wilhelm

 

 

Kapitel 1

 

Der Augustabend war drückend schwül. Gewitter waren angekündigt. In den Straßen von Wien regte sich kurz nach 23 Uhr kein Lüftchen.

Salamanda Setis, die Schiedsrichterin der Schwarzen Familie, stand am offenen Fenster ihres Büros und telefonierte.

»Was?«, rief sie und gestikulierte heftig.

Jemand, der die Rabisu nicht kannte, hätte vielleicht angenommen, dass es die Hitze war, die ihr Gesicht hochrot färbte. Doch die babylonische Vampirin störte sich keinesfalls an den sommerlichen Temperaturen.

Es war das Geständnis von Solomon Keyes, das ihren Zorn entflammte.

»Wie konnte dir Olivaro erneut entwischen?«, tobte sie.

Ihre Fingernägel krallten sich in den hölzernen Fensterrahmen, während sie der Schilderung des dämonischen Kopfgeldjägers lauschte. Die Geschehnisse in Venedig fachten Salamandas Wut nur noch weiter an – vor allem, als der Name Dorian Hunter fiel.

»Statt den verfluchten Dämonenkiller gleich mit zu erledigen, hast du beide entkommen lassen? Reicht es nicht, dass du bereits im Winchester House versagt hast? Allmählich bezweifle ich, ob du der Richtige für diesen wichtigen Auftrag bist.«

Keyes versuchte, sie zu beschwichtigen. »Bisher war ich mit jedem meiner Aufträge erfolgreich. Also werde ich auch dieses Mal zu Ende bringen, wofür ich angeheuert wurde.«

»Das hoffe ich!«

»Tja, es gibt da nur ein kleines Problem …«

»Sagtest du nicht, du würdest Probleme lösen statt sie zu verursachen?«

Salamanda hieb die Nägel noch tiefer ins Holz. Winzige Splitter regneten zu Boden, als sie die Hand zurückriss. Keyes konnte sich glücklich schätzen, dass er nicht direkt vor ihr stand, sondern aus Italien anrief. Sonst hätte sie ihm vermutlich den Kopf abgerissen.

»Olivaro ist mit Hunter zurück nach London gereist«, gab Keyes zu. »Leider ist es mir bisher nicht gelungen, die Barriere zu überwinden. Solange ich die britische Insel nicht betreten kann, befindet sich das Ziel außerhalb meiner Reichweite.«

»Du bist also komplett gescheitert. Wie ein lächerlicher Anfänger! Ich dachte, du seist Profi? Der Beste, den es gibt, hast du behauptet.«

»Ich bin der Beste. Garantiert.« Keyes lachte nervös. »Vielleicht erweist es sich ja sogar als Vorteil, wenn ich Olivaro dort erwische, wo er sich am sichersten fühlt. In London rechnet niemand mit mir. Aber um ins Land zu kommen, brauche ich Hilfe. Oder wenigstens einen Tipp, wie ich hinter die Barriere gelange.«

Salamanda schloss die Augen. Die verdammte Barriere!

Dass es Dorians Team und der Magischen Bruderschaft gelungen war, sie zu errichten und rings um Großbritannien aufrechtzuerhalten, war ein echter Alptraum. Nie hätte man in Dämonenkreisen so etwas für möglich gehalten. Noch weigerte Asmodi sich hartnäckig, die neue Barriere als unveränderliche Tatsache zu akzeptieren. Derzeit waren mehrere Späher in seinem Auftrag unterwegs, um gezielt nach Schwachstellen zu suchen. Es kursierten zudem Gerüchte, dass das Innere der Insel nicht völlig dämonenfrei war.

»Soweit ich gehört habe, stehen die Chancen im Norden am besten«, fauchte sie. »An der Küste von Schottland, abseits der Häfen. Aber wofür bezahle ich dich eigentlich, wenn du dir solche Informationen nicht selbst beschaffen kannst?«

Keyes nuschelte eine Rechtfertigung, die Salamanda jedoch kaum wahrnahm.

Etwas anderes hatte ihre Aufmerksamkeit erregt.

Eine Katze. Mit majestätischen Schritten bewegte sich wie ein silbergrauer Schatten über die verlassene Straße. Weitere folgten. Im Halbkreis sammelten sie sich unter Salamandas Fenster, die Köpfe abwartend erhoben.

Die Schiedsrichterin der Schwarzen Familie unterdrückte einen Fluch. Kein Zweifel, diese Katzen waren Gesandte von Bastet. Die ägyptische Göttin schickte sie stets aus, damit sie ihre Botschaften überbrachten.

»Na großartig«, murmelte Salamanda.

Ausgerechnet jetzt muss Bastet sich melden.

Sie warf ihr langes dunkles Haar zurück und biss sich unwillig auf die Lippen. »Als hätte ich sonst gerade keine Probleme.«

»Bitte?«, fragte Keyes irritiert.

»Gar nichts«, fuhr sie ihn an. »Wir sind fertig, Kopfgeldjäger. Erledige deinen Job! Dies ist die allerletzte Chance, die du bekommst. Wenn du den dritten Versuch auch vermasselst, knöpfe ich mir dich und deine Vergangenheit persönlich vor. Ich bin sicher, es gab etliche Gelegenheiten, bei denen du gegen die Regeln der Schwarzen Familie verstoßen hast. Dafür willst du gewiss nicht von mir zur Rechenschaft gezogen werden …«

Keyes war alles andere als dumm. Er verstand ihre Drohung genau so, wie sie gemeint war.

»Ich werde Olivaro erledigen«, versicherte er. »Glaub mir, er ist schon so gut wie tot.«

»Das hoffe ich für dich.« Salamanda beendete das Gespräch. Sie hoffte wirklich, dass Keyes nicht zu viel versprochen hatte.

Ein weiteres Versagen seinerseits würde sie nicht dulden.

Nachdenklich starrte sie zu den Katzen hinunter. Die nächtliche Versammlung starrte zu ihr herauf. Salamanda begriff, dass es eine Aufforderung war. Die Katzen warteten, dass sie das Büro verließ. Offenbar hatten sie ihr etwas mitzuteilen oder sollten sie irgendwohin führen.

Seufzend schloss Salamanda das Fenster des Schiedsrichterbüros. Ihre Absätze hallten durch die Dunkelheit, als sie gleich darauf hinaus auf die Straße trat. Eine mystische Stille herrschte, die so gar nicht zu der lebhaften Stadt passte, als die sie Wien sonst kannte.

»Was wollt ihr von mir?«, herrschte sie die Katzen an.

Die Augen der silbergrauen Anführerin funkelten vor Empörung.

Salamanda las eine ernste Rüge darin. Sie ermahnte sich selbst, den Botinnen der Göttin mehr Respekt zu zollen. Zum Zeichen, dass sie verstanden hatte, löste sie ihre verschränkten Arme und neigte den Kopf. Mehr an Demut zu zeigen, war ihr gerade nicht möglich. Der Ärger über Solomon Keyes’ Versagen brodelte immer noch in ihr.

Auf einen stummen Befehl hin setzte sich die Karawane der Katzen in Bewegung.

Lautlos stolzierten sie alle hinter der Silbergrauen durch die schwülwarme Nacht. Salamanda folgte in geringem Abstand und wunderte sich, dass nirgendwo Menschen unterwegs waren. Warum fühlte sie sich dann trotzdem beobachtet?

Sie verharrte und lauschte mit geschärften Sinnen in alle Richtungen. Wer auch immer in der Nähe war, hielt sich strikt verborgen. Sie konnte keine Witterung aufnehmen.

Aber irgendjemand ist hier.

Sie spürte es. Und ihr Instinkt hatte sie noch nie getrogen.

Ein anklagendes Maunzen bedeutete ihr, wieder zu den Katzen aufzuschließen.

»Ich komme ja schon.« Salamanda beschleunigte ihre Schritte.

Erstes Donnergrollen in der Ferne wies auf ein nahendes Gewitter hin.

»Ist es noch weit?« Sie legte keinen Wert darauf, nass zu werden. Im Gegenteil.

Das fehlt mir gerade noch.

Zu ihrer Linken erstreckte sich ein kleiner Park. Die weite Rasenfläche schimmerte im Licht des Mondes. Ein bemooster Springbrunnen plätscherte. Schattengleich huschten die Katzen unter den hohen Bäumen dahin und strebten einem Kinderspielplatz zu. Allmählich verlor Salamanda die Geduld.

»He«, rief sie ungeduldig. »Wohin führt ihr mich? Soll das ein Scherz sein?«

Sie betrachtete die verwitterten Schaukeln und das rostige Drehkarussell. Auf der Parkbank neben dem Sandkasten lag ein vergessener Plastikbagger. Anklagend reckte er seine Schaufel in die Höhe. Salamanda wandte sich zu den Katzen um.

Reglos und Statuen gleich hatten sich die tierischen Wächter um den Sandkasten gruppiert. Ein erhabener Anblick.

Unwillkürlich fühlte Salamanda sich in die Vergangenheit versetzt. Erinnerungen an die glanzvolle Pracht Ägyptens tauchten in ihr auf. Pyramiden und Dattelpalmen, Wüstensonne und trockener Wind, brennend heißer Sand unter den Fußsohlen …

Dann entdeckte sie die Zeichen. Jemand hatte im Sandkasten des Wiener Spielplatzes eine Nachricht für sie hinterlassen. Die altägyptischen Symbole ließen keinen Zweifel zu, wer die Botschaft verfasst hatte: Bastet.

Salamanda ahnte bereits, was die Göttin von ihr wollte, noch ehe sie in die Hocke ging, um die Schriftzeichen im fahlen Schein des Mondes zu lesen.

Einst batest du mich, Dorian Hunter zurück ins Reich der Lebenden zu holen. Diesen Wunsch habe ich dir erfüllt. Seitdem bist du mir verpflichtet. Heute fordere ich dich nun auf, deine Schuld zu begleichen: Geh und suche das Grab der großen Königin Aso.

Wilder Zorn kochte in Salamanda hoch. Der Name des verhassten Dämonenkillers reichte aus, um sie in Rage zu bringen. Ausgerechnet jetzt forderte Bastet die versprochene Schuld ein? Jetzt da Salamanda kaum etwas mehr bereute als ihre unselige Entscheidung, Dorians Leben zu retten. Wie hatte sie damals so verblendet sein können, sogar die Göttin um Hilfe für ihn anzuflehen? Wenn jemand den Tod verdient hatte, dann Dorian! Von ihr aus konnte er lieber heute als morgen sterben …

»Nein, vergesst es. Ohne mich.« Ihr Gesicht glühte, als sie den Kopf schüttelte.

Sie spürte die tadelnden und missbilligenden Blicke der Katzen. Vor allem die silbergraue Anführerin nahm Salamandas Reaktion gar nicht gut auf.

»Ich habe wirklich Wichtigeres zu tun«, verteidigte sie sich aufgebracht. »Richtet Bastet aus, sie kann meinen Wunsch rückgängig machen. Wenn sie Dorians Leben zurücknimmt, sind wir doch quitt. Ein fairer Vorschlag, finde ich.«

Die Silbergraue fauchte. Es steht dir nicht zu, der Göttin Vorschläge zu machen, glaubte Salamanda herauszuhören.

»Ich muss mich im Moment um andere Dinge kümmern«, erklärte sie. »Ich habe keine Zeit, ein längst vergessenes Grab zu suchen. Wen interessiert schon die tote Königin Aso, wenn es um die Zukunft der Schwarzen Familie geht? Sogar Bastet sollte das verstehen.«

Jetzt klang das Fauchen der Silbergrauen eindeutig bedrohlich. Hüte deine Zunge!

Trotzig wich Salamanda einen Schritt zurück. Sie würde nicht nachgeben. Die Göttin musste einsehen, dass es aktuell dringendere Aufgaben für die Trägerin des Eidesstabes gab. Wenn Bastet Dorian das Leben wieder nahm, hätte Salamanda sogar ein Problem weniger. Das war also klar die beste Lösung.

Der Donner grollte lauter. Das Gewitter rückte näher.

Entschlossen nickte Salamanda den Katzen zu. »Wenn ihr mir sonst nichts mitzueilen habt, gehe ich jetzt, ja?«

Die stolzen Biester machten keine Anstalten, sie aufzuhalten.

Unbehelligt stiefelte Salamanda den Parkweg zurück, den sie gekommen war – vorbei an vertrockneten Blumenrabatten, die der Augusthitze zum Opfer gefallen waren, und dem nutzlosen Springbrunnen. Kein Protestlaut war hinter ihr zu vernehmen. Bastets Katzen waren so plötzlich verschwunden, als hätte die Dunkelheit sie verschluckt.

Vielleicht hätte das Salamandas Argwohn wecken sollen.

Sie hätte wissen müssen, dass eine mächtige ägyptische Göttin wie Bastet niemals dulden würde, dass man sich ihren Wünschen widersetzte.

Als die ersten schweren Tropfen fielen, erreichte Salamanda das Schiedsrichterbüro. Schon auf der Treppe hörte sie das Getöse. Während draußen Blitze über den schwarzen Himmel zuckten, flogen drinnen zahllose Bücher aus den Regalen. Fassungslos stand Salamanda im Türrahmen und blickte auf das Chaos in ihrer Bibliothek.

»Was geht hier vor?«

Böige Wirbel zerrten an den wertvollen alten Schriften. Buchrücken brachen knirschend, eine unsichtbare Kraft riss die brüchigen Seiten in Fetzen. Es war, als wüte hier ein Sandsturm auf engstem Raum.

»Aufhören«, schrie Salamanda.

Ein kostbarer Grimoire knallte direkt neben ihr gegen die Wand. Hastig riss sie beide Arme hoch, um ihren Kopf zu schützen. »Schluss damit!«

Zerrissene Papierschnipsel sammelten sich zu ihren Füßen. Die Silben und Buchstaben formten sich zu neuen Wörtern zusammen, während ringsum weiterhin zahllose Bücher aus den Regalen krachten. Bastets Zorn war dem Salamandas mindestens ebenbürtig – und die Göttin besaß zweifellos mehr Macht, ihren Willen durchzusetzen.

Ihre zweite Botschaft war unmissverständlich.

Du stehst in meiner Schuld. Du wirst tun, wozu ich dich aufgefordert habe. Sofort!

»Ja, schon gut.« Salamanda gab ihren Widerstand auf. »Ich hab’s kapiert. Ich werde tun, was du willst. Ich ziehe los und suche das Grab.«

Schlagartig erlosch das Tosen. Ein letztes Buch fiel zu Boden, dann herrschte Stille. Nur das Rauschen des Gewitterregens war noch zu hören.

Salamanda ballte die Fäuste.

Was für ein Schlamassel! Das alles verdankte sie Dorian. Verflucht sollte der Kerl sein! Wenn sie ihm noch einmal begegnete, würde sie ihn dafür büßen lassen.

Wutentbrannt stürmte Salamanda aus ihrer verwüsteten Bibliothek. Aufräumen konnte sie später. Wenn sie das Grab von Königin Aso gefunden hatte …

 

 

Kapitel 2

 

Dorian Hunter rieb sich den Nacken. Trotz aller Müdigkeit, die seine Muskeln versteifte, fand er keine Ruhe. Also zündete er sich die nächste Players an.

Tief inhalierte er den Rauch.

Er war erst seit wenigen Stunden aus Venedig zurück. Seine Gedanken kreisten unablässig um das, was er als Nächstes zu tun hatte. Er musste nach Dandan Oilik zurückkehren, dort einen Feuerschädel ausgraben und den zu Olivaro nach London bringen.

Nicht gerade das, was er unter Spaß verstand.

Dorian hasste die Vorstellung, die Ruinenstadt in der Wüste erneut zu betreten. Die Gräuel, die Hugo Bassarak dort erlebt hatte, waren der Grund, warum seine Erinnerungen so lange blockiert gewesen waren.

Immerhin musste er Olivaros Gesellschaft bei der anstehenden Reise nicht ertragen. Der Dämon würde ihn nicht begleiten, obwohl er das scheinbar beabsichtigt hatte. Dorian hatte ihn schnurstracks in der Abraham Road abgeliefert, wo er rund um die Uhr bewacht wurde. Sollte das Team Verstärkung brauchen, würde Hermann Falk für Unterstützung sorgen. Ihm und der Magischen Bruderschaft war die Anwesenheit Olivaros ohnehin ein Dorn im Auge. Nachdem es dank Irenes tödlicher Lebensuhren endlich gelungen war, die Schwarze Brut in Großbritannien nahezu auszurotten, war es ja auch idiotisch, ausgerechnet einem Dämon wie Olivaro Asyl in der Hauptstadt zu gewähren.

Aber manchmal kann man sich seine Helfer nicht aussuchen.

Falls Olivaro es schaffte, einen zweiten Eidesstab anzufertigen, mit dem sie Salamanda Setis als Schiedsrichterin ausschalten konnten, war es diesen Preis wert. Zumindest hoffte Dorian das. Er hatte in seinem Leben schon einige falsche Entscheidungen getroffen. Leider stellte sich meist erst später heraus, welche richtig und welche falsch waren …

Mit gerunzelter Stirn betrachtete er den venezianischen Spiegel, der an der Wand lehnte und in dem der Dschinn Bel’ardal gefangen war. Noch so ein Mitbringsel aus der Lagunenstadt, das wahrscheinlich bald für Komplikationen sorgen würde.

Bel’ardal wartete ungeduldig auf seine Freilassung, die ihm der Dämonenkiller versprochen hatte – nicht zum ersten Mal. Aber fest stand, dass er dieses Versprechen erneut brechen musste. Bel’ardal war einfach zu wichtig.

Jetzt, da klar war, dass er in Kürze nach Dandan Oilik zurückkehren würde, brauchte er den hünenhaften Kämpfer dringender denn je an seiner Seite. Nur solange Dorian Bel’ardal kontrollierte, hatte er in der Wüste überhaupt eine Chance.

Die verfallene Ruinenstadt in der Taklamakan war in der Vergangenheit von einer Gruppe mächtiger Dschinnen bewacht worden. Bel’ardal hatte einst zu ihnen gehört.

Als Hugo Bassarak hatte Dorian unzählige Male vergeblich gegen ihn gekämpft – gefangen in einer entsetzlichen Zeitschleife. Noch immer stöhnte er auf, wenn er an das sinnlose Morden und Sterben zurückdachte. Kein Wunder, dass Hugo sich sehnlichst gewünscht hatte, jede Erinnerung daran zu verlieren.

Doch seit diese Blockade gelöst war, waren die grauenvollen Bilder wieder da …

»Nein, Schluss.« Dorian scheuchte die aufsteigende Vision fort und quetschte die Kippe in den übervollen Aschenbecher.

Ob er sich noch einen Bourbon gönnen sollte? Wenn er Pech hatte, entspannte ihn heute nicht mal sein Lieblingsdrink. Es widerstrebte ihm mit jeder Faser seines Körpers, diesen verfluchten Wüstenort noch einmal aufzusuchen.

Was, wenn ich wieder dort festhänge?

Er presste die Fäuste gegen die Schläfen und versuchte, sich auf die Fakten zu konzentrieren. Vielleicht half das, ihn abzulenken. Was wusste er konkret über Dandan Oilik?

Der letzte Herrscher der Wüstenresidenz hatte sich von den Dschinnen gewünscht, dass die Stadt ewig bestehen sollte. Doch wie sie es oft taten, hatten die hinterlistigen Dschinnen den Wunsch anders ausgelegt und verdreht: Nur die Ruinen der Stadt waren erhalten geblieben, und sie würden ewig fortbestehen, da sie sich in einem besonderen Magiefeld befanden. Die Zeit stand in Dandan Oilik mehr oder weniger still. Es war quasi eine Illusion von Zeit, die dort herrschte. Man konnte sich zwar bewegen und handeln, aber die Dinge, die geschahen, hatten keinen Bestand.

Für Dorian hatte sich dieses Zeitphänomen wie ein endloser Repeat-Modus dargestellt. Er hatte die furchtbaren Ereignisse wieder und wieder erlebt …

»Stopp!« Erneut musste Dorian seine Gedanken bremsen, bevor sie in Hugos Vergangenheit abdrifteten und sich darin verhakten.

Jetzt goss er sich doch einen Bourbon ein. Machte das Glas fast bis zum Rand voll und nahm einen tiefen Schluck.

Zur Hölle mit den Erinnerungen.

 

Am nächsten Morgen setzte Dorian sich an den Computer. Es galt herauszufinden, was mittlerweile über Dandan Oilik bekannt war. Er brauchte aktuellere Fakten.

Doch bei der Recherche im Internet fand er nur wenige Informationen. Die Ruinen der Wüstenstadt waren 1896 von einem Schweden namens Sven Hedin entdeckt worden. Um 1900 hatte ein weiterer Forscher dort Ausgrabungen veranlasst. Wenig später war die Stadt der Elfenbeinhäuser jedoch wieder in Vergessenheit geraten. Erst 1998 hatte ein Schweizer die Ruinen im Sand wiedergefunden.

Dorian war verblüfft, dass sich um all diese Expeditionen keine mysteriösen Geschichten rankten. Offenbar hatte es keinerlei seltsame Vorfälle oder unerklärliche Tode unter den Teilnehmern gegeben. Wie konnte das sein?

Was war mit den mörderischen Dschinnen passiert, die nach eigener Aussage die Stadt auf ewig vor Fremden schützen sollten?

Niemand, der die Ruinen betrat, sollte sie anschließend lebend wieder verlassen. Hugo und seine Begleiter waren 1802 noch gnadenlos niedergemetzelt worden. Zu Asche verbrannt von den Feuersäulen, in die sich die Dschinnen verwandeln konnten …

Aber in den äußerst knapp gehaltenen Expeditionsberichten fand Dorian keinerlei Hinweise auf solche oder ähnliche Ereignisse. Nichts Vergleichbares war Sven Hedin und den anderen Forschungsreisenden zugestoßen.

Wo waren die Dschinnen hin?

Auch von den Feuerschädeln war keine Rede. Kein Fund, der darauf schließen ließ, dass etwas Derartiges existierte, wurde in den Berichten erwähnt. Auch der Altar aus Obsidian nicht. Warum hatte man bei den letzten Ausgrabungen nichts von alldem entdeckt?

Dorian war sicher, dass seine Erinnerungen ihn nicht trogen. Ratlos starrte er eine Weile vor sich hin. Dann wandte er den Kopf.

»Bel’ardal?« Wenn er allein nicht weiterkam, wusste der gefangene Dschinn im Spiegel ja vielleicht mehr. Keine Reaktion.

»Bel’ardal?«, sagte er in deutlich schärferem Ton. »Zeig dich!«

Das Bild des Hünen manifestierte sich in der Zimmerecke. Sein Blick unter dem Turban war äußerst finster. Die Stirn bedrohlich gefurcht, die Arme verschränkt, den Säbel griffbereit an der Hüfte – jeder Zoll von Bel’ardals athletischem Körper drückte Ablehnung aus. Ohne ein Wort der Begrüßung starrte er den Dämonenkiller an.

»Schlechte Laune?«

»Das fragst du mich im Ernst?«

»Okay. Mächtig schlechte Laune, wie ich sehe.«

Der Dschinn erwiderte nichts. Lediglich das zornige Schnauben, das er ausstieß, erinnerte an einen Stier kurz vor dem Angriff. Natürlich wusste Dorian, was Bel’ardals Problem war.

»Ich kann dich nicht freilassen. Nicht jetzt. Später.«

»Das halte ich für eine Lüge«, grollte der Dschinn. »Du hast mich schon einmal betrogen, als du mir die Freiheit versprochen hast.«

»Das war nicht ich, sondern Hugo Bassarak.«

»Nenn dich wie du willst, das ist mir egal. Eine Lüge bleibt eine Lüge.«

Dorian hob abwehrend die Hand. »Sparen wir uns die unnütze Diskussion. Ich werde meine Meinung nicht ändern. Du kommst frei, sobald du mir geholfen hast, einen Feuerschädel aus Dandan Oilik zu bergen. Keinen Tag früher.«

»Ach, und wie stellst du dir das vor?«, höhnte der Dschinn. »Willst du den schweren Spiegel mit mir quer durch die Wüste schleppen? Hoffen, dass dein Kamel nicht ins Stolpern gerät und ihn versehentlich zerbricht?«

»Vergiss das Kamel. Heutzutage gibt es Jeeps. Oder Kleinflugzeuge.«

»Pah.« Ein unverständlicher Fluch folgte.

Dorian wollte lieber nicht genau wissen, was Bel’ardal da gerade von sich gab – dass es wüste Beschimpfungen waren, lag auf der Hand. Die Gefangenschaft hatte ihn aufmüpfig gemacht. Er schien über die Jahrhunderte vergessen zu haben, wem er zu gehorchen hatte.

»Schweig!«, schnauzte er ihn an. »Ich lege garantiert keinen Wert auf Ehrerbietung, aber jetzt reicht’s. Du hast mir zu gehorchen.«

»Ja, Meister.« Der Hüne knirschte hörbar mit den Zähnen. »Was wünschst du?«

»Ich will einiges wissen, ehe wir aufbrechen. Zum Beispiel, was seit Hugos Flucht in Dandan Oilik geschehen ist.«

»Du bist ein weitaus größerer Narr, als ich dachte, wenn du glaubst, ich wüsste die Antwort darauf«, zürnte Bel’ardal.

»Was ist mit deinen Kollegen passiert? Wo sind die Dschinnen hin?«

»Woher soll ich das wissen? Ich war gezwungen, die Zeit ab 1802 in Venedig zu verbringen. Eingesperrt in einen Spiegel! Was ich übrigens dir zu verdanken habe.«

Dorian ignorierte den Vorwurf. Er würde Bel’ardal nicht berichtigen, dass auch das Hugos schuld gewesen war und nicht seine. Im Grunde stimmte es ja doch.

»Könnten die Dschinnen aus der Wüste geflohen sein?«

»Keine Ahnung.«

»Oder sind sie womöglich alle tot?«

»Ich weiß es nicht.«

»Vielleicht wurden sie besiegt. Hm, von wem …?« Dorian überlegte. »Könnte überhaupt jemand sie vernichtet haben?«

»Was an ›Ich. Weiß. Es. Nicht.‹ ist so schwer zu verstehen?«

»Aber irgendwas musst du doch wissen.« Frustriert trat Dorian gegen den Schreibtisch. In letzter Sekunde gelang es ihm, den kippenden Laptop aufzufangen.

»Nein, ich weiß absolut nichts.« Der Dschinn lachte verächtlich. »Was in Dandan Oilik vor sich geht, wirst du erst herausfinden, wenn wir dort angekommen sind.«

Sie maßen sich mit wütenden Blicken. Dorian hielt durchaus stand, selbst als Bel’ardal seine gewaltigen Muskeln aufblies. Letztendlich musste er sich dem Willen des Dämonenkillers beugen. Der Dschinn war nach wie vor sein Gefangener.

»Scher dich in den Spiegel zurück«, knurrte Dorian.

Schlagartig war nichts mehr von Bel’ardal zu sehen. In dem gläsernen Souvenir aus Venedig spiegelte sich lediglich Dorians eisige Miene.

Er wandte sich wieder dem Schreibtisch zu und raufte sich genervt das Haar.

Sehr viel weiter war er nach der Befragung des Dschinns nicht.

Es behagte ihm absolut nicht, so unvorbereitet an den Ort seiner schlimmsten Erinnerungen zurückkehren zu müssen. Er wollte wissen, was ihn dort erwartete. Und auf alle Fälle würde er ein paar wirksamere Waffen als ein Pfirsichholzschwert mitnehmen.

Hugo Bassarak war den Dschinnen damals nur knapp entkommen und im Kampf gegen sie zuvor viele Male gescheitert. Das durfte ihm nicht wieder passieren. Das Vorhaben Olivaros war ein solches Risiko nicht wert; zumal Dorian ja nicht sicher war, ob all die Feuerschädel überhaupt noch dort im Wüstensand verborgen lagen.

Was, wenn nicht?

Oder selbst wenn es ihm gelang, einen solchen Feuerschädel nach London zu bringen, war die entscheidende Frage, ob das Artefakt sich für Olivaros Pläne überhaupt eignete. Den Eidesstab für die Schiedsrichterin der Schwarzen Familie hatte der Januskopf nämlich einst aus einem Feuerschädel hergestellt, der durch die Verschmelzung eines Menschen mit einem Zentrumsdämon entstanden war. Alle Feuerschädel in Dandan Oilik stammten dagegen aus Verbindungen von Mensch und Dschinn.

Womöglich taugt ein solcher Schädel für unsere Zwecke gar nicht?

Noch ein Unsicherheitsfaktor, der Dorian plagte. Am Ende jagte er etwas hinterher, das ihm gar nicht weiterhalf …

Aufgeben war jedoch noch nie eine Option für ihn gewesen. Er beriet sich mit Coco, die versprach, eigene Recherchen anzustellen.

Wie sich herausstellte, meinte sie damit, sich intensiv mit Olivaro auszutauschen. Was Dorian erst klar wurde, als Coco die Jugendstilvilla verließ.

Ihr Weggang wurmte ihn. Dass er ihr eigens den Anlass dafür gegeben hatte, sogar noch mehr. Irgendwie lief gerade nichts so, wie er wollte.

»Kommen wir nochmals zu dir«, grollte er und fixierte Bel’ardals Spiegel.

Natürlich hatte er nicht vor, das sperrige Teil mit in die Wüste zu schleppen. Er würde den Dschinn in ein anderes Gefängnis stecken. Die Zeichen der Beschwörung hafteten noch am Rahmen – Hugo hatte sie damals mit seinem eigenen Blut geschrieben.

Im Grunde muss ich die Zeichen doch nur auf ein anderes Objekt übertragen, um Bel’ardal umzusiedeln.

Das erschien Dorian zumindest plausibel.

In seiner umfangreichen Sammlung wertvoller Antiquitäten und magischer Artefakte gab es etliche Karaffen und verschließbare Gefäße. Er durchforstete die Regale und Vitrinen, bis er auf die Miniatur einer Öllampe stieß. Sie war aus hitzebeständigem Material und besaß neben dem gebogenen, verzierten Henkel einen fest verschließbaren Deckel.

Genau das, was er gesucht hatte. Die Größe war perfekt. Sie entsprach dem Medaillon, in das er Bel’ardal ursprünglich gebannt hatte. Das Teil konnte er locker wie einen Kettenanhänger um den Hals tragen, ohne dass es jemandem auffiel.

Darüber hinaus fand er mehrere Amulette, die innen Hohlräume aufwiesen und sich somit ebenfalls eigneten, um einen Dschinn einzusperren. Gebrannte Keramikfigürchen, Phiolen aus Glas, Röhrchen aus Metall – sicher schadete es nicht, die Bannsymbole auch darauf zu übertragen. Er würde in der Wüste mehr als eine starke Waffe brauchen, um sich gegen die mächtigen Bewacher Dandan Oiliks zu behaupten.

Sorgfältig ritzte er die Zeichen in den Boden der winzigen Öllampe.

Damit ihm kein Fehler unterlief und er dabei bloß nichts übersah, prüfte er die Korrektheit anschließend sogar mit der Lupe. Alles schien makellos.

Unter normalen Umständen hätte Dorian vielleicht trotzdem abgewartet, bis Coco zurück war. Oder ein anderes Mitglied des Teams gebeten, ihm bei seinem Vorhaben zu assistieren. Aber alle waren ausgeflogen und in wichtiger Mission unterwegs. Kiwibin, Fred Archer, der ehemalige Privatdetektiv, Morales – keiner war im Haus.

Seit dem erfolgreichen Großangriff auf Englands Dämonen war das Hauptquartier öfter verwaist. Mit der Absicherung des Landes und der Jagd auf die letzten Verbliebenen hatte das Team mehr als genug zu tun. Und Coco zog es ja vor, den Nachmittag bei Olivaro zu verbringen. Was auch immer sie stundenlang mit dem Januskopf zu bereden hatte …

Na und? Mir egal.

Dorian ballte die Fäuste und unterdrückte seine Zweifel, ob es wirklich so eine gute Idee war, es allein mit Bel’ardal aufzunehmen.

Der Dschinn musste ihm schließlich zu Willen sein. Dorian war sein Meister. Wenn er ihm befahl, vom Spiegel in die winzige Öllampe überzuwechseln, musste der Dschinn dem Befehl folgen.

»Bel’ardal«, rief er laut. »Zeig dich.«

Der muskulöse Hüne tauchte in der Zimmerecke auf. Wie bei der letzten Begegnung zierte eine Zornesfalte seine Stirn. Dorian achtete gar nicht auf Bel’ardals Laune. Seine eigene war keinen Deut besser, seit Coco sich verabschiedet hatte.

»Was gibt’s?«, grollte Bel’ardal. »Sind dir noch mehr schlaue Fragen eingefallen, die ich nicht beantworten kann?«

»Nein.«

»Sondern?«

»Kleine Überraschung.« Dorian zeigte ihm die winzige Öllampe, die er bislang in der Hosentasche verborgen hatte. »Errätst du, was ich mir gleich von dir wünsche?«

Wild fauchend wich der Dschinn zurück. »Nein, tu das nicht!« In seinen aufgerissenen Augen flackerte es bedrohlich.

Dorian ließ sich davon nicht beeindrucken. Er trat einen Schritt auf Bel’ardal zu, streckte die Lampe vor und äußerte seinen Wunsch.

»Na, los. Rein mit dir in dein neues Zuhause.«

So hatte es damals funktioniert. Wenn man Dschinnen mit einem Banngegenstand berührte, wurden sie in das Gefäß gezwungen. Dann musste man nur schleunigst den Deckel schließen – und fertig.

Doch Bel’ardal stieß ein Brüllen aus, dass die Wände erzitterten. Flammen schlugen plötzlich hoch, umhüllten seinen massigen Körper.

Die aufwallende Hitze war so immens, dass Dorian hastig zurückwich. Die Lampe fühlte sich zwischen seinen Fingern an, als würde sie glühen. Beinahe hätte er die Miniatur fallen lassen.

Was ist los? Warum klappt es nicht?

Irgendwas war schiefgegangen. Was hatte er nicht bedacht?

Dorians nervöser Blick in den Spiegel offenbarte den Denkfehler.

»Oh, scheiße …«

Bel’ardal war fest an den Spiegel gebunden! Der hünenhafte Dschinn konnte nicht an zwei Orten gleichzeitig sein. Dorians Befehl drohte ihn zu zerreißen. Noch verhinderte Bel’ardal das durch die Verwandlung in eine Flammensäule – aber wie lange würde er standhalten?

Die lodernden Flammen brachen in alle Richtungen aus, zerrten und rissen an ihm. Die Säule tanzte wie ein brennender Derwisch durch den Raum.

Immer schneller drehte sie sich. Waberte in einer irrsinnigen Geschwindigkeit um sich selbst, und Bel’ardals Gebrüll steigerte sich ins Unermessliche.

Was soll ich tun?

Es würde nichts nützen, den Wunsch zu widerrufen. So funktionierte das nicht. Dorian konnte Bel’ardal nicht in den Spiegel zurückwünschen. Solange sein erster Wunsch nicht erfüllt war, brauchte er keinen weiteren zu äußern. Der Ablauf war stets gleich, daran ließ sich nichts ändern. Hugo hatte das gewusst, und Dorian wusste es auch.

Er versuchte es trotzdem.

Natürlich klappte es nicht. Bel’ardal achtete gar nicht auf das, was der Dämonenkiller ihm zurief. War der Dschinn vorübergehend in sich selbst gefangen? Sein wahnwitziges Gebrüll erfüllte den Raum, und eine Feuerwalze schob sich auf Dorian zu.

Schutzsuchend warf er sich hinter den Schreibtisch.

Denk nach, beschwor er sich. Schnell!

Er brauchte den Dschinn bei dem, was er vorhatte. Unbedingt.

Er durfte Bel’ardal nicht verlieren.

Ich muss den Spiegel zerstören.

Mangels Alternative nahm Dorian Anlauf und sprang mitten hinein.

Mit voller Wucht rammte er die Schulter in das kostbare venezianische Glas. Es zerbarst in zahllose Splitter, als der Rahmen gegen die Wand donnerte. Scherben regneten rings um den Dämonenkiller zu Boden.

Der fauchende Flammenwirbel toste heran. Drohte ihn zu versengen. Dorians Augen tränten von der ungeheuren Hitze. Er hatte das Gefühl, als würde seine Haut am Körper schmelzen. Wo war der verdammte Dschinn?

»Bel’ardal?«