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Fotonachweis: Alle nicht in Bildunterschriften nachgewiesenen Abbildungen stammen aus dem Privatbesitz der Autoren
 
 
 
 
 

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© eBook: Boyens Buchverlag GmbH & Co. KG, Heide 2013

© Printausgabe: Boyens Buchverlag GmbH & Co. KG, Heide 2010

Alle Rechte vorbehalten.

Datenkonvertierung: CPI – Clausen & Bosse, Leck

ISBN eBook: 978-3-8042-3015-6

ISBN Printausgabe:  978-3-8042-0802-5

www.buecher-von-boyens.de

Dr. Willy Diercks, SHHB

Geleitwort

Vor mehr als 50 Jahren, vor fast zwei Generationen, veränderte sich mit dem Kriegsende die Bevölkerungssituation in Schleswig-Holstein vollständig. Millionen von Flüchtlingen und Vertriebenen kamen aus Ost- und Mitteldeutschland in den deutschen Westen. Schleswig-Holsteins Einwohnerzahl verdoppelte sich fast. Kriegszerstörungen, Mangel an Nahrungsmitteln, Wohnungsnot, fehlende wirtschaftliche Perspektiven, politische und moralische Verunsicherung, eine schier verzweifelte Situation. Viele Menschen waren am Ende ihrer Kräfte, viele waren hoffnungslos. Ihre Ankunft in Schleswig-Holstein, ihre erste Unterbringung und die ersten Begegnungen mit der hiesigen Bevölkerung, die auch unter den Kriegsfolgen zu leiden hatte, werden in diesem Band noch einmal in Erinnerung gerufen. Gute wie schlimme Erinnerungen werden festgehalten. Die Berichte zeigen, wo Integration stattfand und wo sie schwierig war. Die Nachkriegsgeschichte unseres Landes belegt, daß es möglich war, die Vertriebenen und Flüchtlinge in Schleswig-Holstein zu integrieren. Heute spricht kaum einer mehr von der Gruppe der Hiesigen bzw. der Vertriebenen und Flüchtlinge. Die Bevölkerung hat die Integration vollzogen. Der Schleswig-Holsteinische Heimatbund hat sehr früh zu dieser Integration beizutragen versucht. Seine Mitgliedsinstitutionen standen den neuen Bürgern offen, und mit den Vertriebenenorganisationen wurde ein guter Kontakt gepflegt. Unter kulturellem Aspekt wollte der SHHB Heimat für alle sein.

Nachdem im Jahre 1990 das Projekt „Kindheit und Jugend in Schleswig-Holstein – op Platt vertellt“ abgeschlossen wurde, schien es uns sinnvoll und gerecht, ein zweites Projekt durchzuführen, in dem nun die Vertriebenen über ihre ersten Eindrücke von Schleswig-Holstein erzählen. Auch einige Schleswig-Holsteiner berichten über die Ankunft der Vertriebenen.

Der Landesverband der Vertriebenen Deutschlands und der NDR erklärten sich zur Unterstützung des Projekts bereit und machten es zu ihrer eigenen Sache, so daß viele Texte von Vertriebenen und von Einheimischen bei uns eintrafen und eine Auswahl zu diesem Band gesammelt werden konnte.

Der SHHB will damit Augenzeugenberichte sichern, historisches Material, besonders aber das persönliche Erleben dieser frühen Nachkriegsgeschichte festhalten und an die jüngeren Generationen weitergeben und damit an das Zusammenwachsen der Bevölkerung des Bundeslandes Schleswig-Holstein erinnern.

Ernst Christ, NDR-Welle Nord

Geleitwort

Ausgehungert und erschöpft standen die Flüchtlinge vor den Türen der Schleswig-Holsteiner und suchten zunächt ein Unterkommen und später eine neue Heimat. Die Türen wurden ihnen geöffnet. Teils mürrisch, teils warmherzig teilten die Einheimischen ihre Wohnung und manchmal sogar ihr Schlafzimmer mit den Fremdlingen. Hunderttausende fanden eine Unterkunft. Das Land zwischen den Meeren verdoppelte annähernd seine Einwohnerzahl!

Ein halbes Jahrhundert später sind die Unterschiede verwischt, bedeutet es im Alltags- und Berufsleben keinen Unterschied, ob ein Schleswig-Holsteiner seine Wurzeln hier oder in den Ländern im Osten hat. Aber die Erlebnisse jener Zeit sind unvergessen.

Die Welle Nord des Norddeutschen Rundfunks und der Schleswig-Holsteinische Heimatbund waren sich einig in dem Ziel, diese Erinnerungen festzuhalten. Dem gemeinsamen Aufruf, sie niederzuschreiben oder am Mikrofon zu erzählen, folgten 257 Menschen. Nach den zahlreichen Radiosendungen erscheint jetzt das Buch mit den Erzählungen, die jede für sich Teil eines Menschenlebens und in ihrer Gesamtheit Teil der Geschichte dieses Landes sind.

Martin Gietzelt

Schleswig-Holstein – Flüchtlingsland Nr. 1

Die Bevölkerung Schleswig-Holsteins betrug am 17.5.1939 rund 1 589 000 Personen. Am 29.10.1946 war sie auf 2 590 000 Menschen angewachsen. Mit dieser Zunahme von über einer Millionen Menschen hatte Schleswig-Holstein, gemessen an seiner Bevölkerungszahl, die größte Last in der Aufnahme, Unterbringung, Versorgung und beruflichen Integration der Flüchtlinge zu tragen. Wie schwierig sich dies gestaltete, wird in den Berichten der Zeitzeugen in diesem Band deutlich.

Der Flüchtlingszustrom

Wenn im folgenden von Flüchtlingen gesprochen wird, dann sind damit alle Personen deutscher Herkunft gemeint, die ihr angestammtes Wohngebiet verlassen mußten und in Schleswig-Holstein Aufnahme gefunden haben. Die größte Gruppe unter ihnen waren die Vertriebenen.

Die Evakuierten aus den vom Bombenkrieg besonders betroffenen Großstädten, vor allem aus Hamburg, waren die ersten, die in Schleswig-Holstein Zuflucht suchten. Ab dem Jahr 1943, das im Juli die großen Bombenangriffe auf Hamburg brachte, nahmen die Evakuierungsmaßnahmen nach Schleswig-Holstein sprunghaft zu. Nach Schätzungen des Statistischen Landesamtes waren im Jahre 1944 etwa 200 000 Evakuierte im Land untergebracht worden. Diese Zahl war im Mai 1946 auf 229 000 gestiegen und sank in der Folge nur allmählich, da der Wiederaufbau der Städte zunächst nur langsam voranschritt.

Der Hauptzustrom der Flüchtlinge nach Schleswig-Holstein kam aus dem Osten als Folge des Vorrückens der Roten Armee. Der größte Teil dieser Flüchtlinge war bereits im Frühjahr 1945 vor der Kapitulation angekommen. Aber auch anschließend hielt der Zustrom an, der neben der unorganisierten Zuwanderung durch folgende Aktionen gekennzeichnet ist:

1. Die Entlassung der in zwei Internierungslagern gesammelten deutschen Soldaten zwischen Juni 1945 und Anfang 1946. Durch das dafür geschaffene Barleycorn-Lager in Bad Segeberg gingen etwa 335 000 Soldaten, die sich, wenn eine Rückkehr in die Heimat nicht möglich war, zum Teil nach Schleswig-Holstein entlassen ließen.

2. Die sogenannte Aktion „Influx“, die zwischen der Britischen und der Russischen Besatzungszone einen Austausch der Bevölkerungsteile vorsah, die wegen der Kriegsereignisse ihren ursprünglichen Wohnort verlassen hatten. Diese Aktion, die über die Flüchtlingsdurchgangslager Bad Segeberg und Pöppendorf (Lübeck) organisiert wurde, lief zwischen September 1945 und November 1946. Während dabei etwa 300 000 Menschen nach Schleswig-Holstein wanderten, verließen das Land weniger als die Hälfte dieser Zahl.

3. Die Aktion „Schwalbe“, die die Ausweisung Deutscher aus den polnisch besetzten deutschen Ostgebieten aufgrund des Potsdamer Abkommens beinhaltete. Dadurch kamen zwischen Ende Februar und Juli 1946 etwa 215 000 Flüchtlinge in das Land.

4. Zuwanderungen im kleineren Maßstab wie die Entlassung von Flüchtlingen aus den Internierungslagern in Dänemark oder die Rückkehr von deutschen Kriegsgefangenen aus alliiertem Gewahrsam oder illegale Zuwanderungen.

Die Lage in Schleswig-Holstein hatte sich daraufhin so verschlechtert, daß die Britische Militärregierung am 26.7.1946 einen Aufnahmestop für weitere Flüchtlingstransporte erließ. Damit kam der Zuzug zwar nicht vollständig zum Erliegen, brachte jedoch keine wesentliche Steigerung der Flüchtlingszahlen mehr. Im März/April 1949 war mit 2,762 Millionen Personen der Bevölkerungshöchststand erreicht.

Schleswig-Holstein nach der Kapitulation

Der Kapitulation Deutschlands war in Schleswig-Holstein am 5. Mai 1945 eine vorzeitige Waffenruhe vorausgegangen. Die preußische Provinz wurde Teil der Britischen Besatzungszone und durch eine Militärregierung geführt. Diese stützte sich jedoch auf eine intakt gebliebene deutsche Kommunalverwaltung, die den britischen Weisungen Folge zu leisten hatte. Die Führungspositionen der Verwaltung, angefangen vom Oberpräsidenten über die Landräte und Oberbürgermeister bis zu den Bürgermeistern wurden jedoch von den Briten neu besetzt. Diese eingesetzten Entscheidungsträger hatten die Hauptlast zu tragen bei der Bewältigung der mit dem Flüchtlingszustrom entstandenen Probleme. Aus der Sicht der Flüchtlinge stellten sie die wichtigste Anlaufstelle für ihre Sorgen und Nöte dar.

Die unmittelbare Nachkriegssituation in Schleswig-Holstein ist wie überall in Deutschland geprägt vom Mangel: es mangelte an Wohnraum, es mangelte an Kleidung, Lebensmitteln und Brennstoffen und es mangelte an Arbeitsplätzen. Diese Entwicklung setzte nicht erst mit dem Tage der Kapitulation ein, verschärfte sich aber in der Folge für Teile der Bevölkerung in eine existenzgefährdende Dimension. Die Gründe hierfür liegen zum einen in der bereits erfolgten Ankunft eines großen Teils der Flüchtlinge bis zum Mai 1945, zum anderen in der durch Zerstörung und Auflösung zentraler Lenkungsinstanzen darniederliegenden deutschen Wirtschaft. Verschärft wird diese Situation in Schleswig-Holstein durch die in zwei großen Internierungslagern festgesetzten deutschen Soldaten.

Die Entwicklung der Flüchtlingssituation

Unterkunft

Die erste Frage, die bei Ankunft der Flüchtlinge gelöst werden mußte, war die des Wohnraums. Abgesehen von den Städten hat es in Schleswig-Holstein zwar kaum größere Zerstörungen von Wohnraum durch den Bombenkrieg gegeben, der anhaltende Flüchtlingszustrom stellte jedoch an Quartiergeber und Quartiernehmer immer neue Anforderungen. Dies zeigt eine Untersuchung des Landessozialministeriums. Dort ergibt sich für den 30.9.1948 eine statistische Durchschnittszahl von fünf Quadratmetern Wohnraum pro Person in Schleswig-Holstein.

Rechtliche Grundlage für die Inanspruchnahme privaten Wohnraums zur Unterbringung von Flüchtlingen bildete das Reichsleistungsgesetz aus dem Jahre 1939, bis es durch das Kontrollratsgesetz Nr. 18, das sogenannte Wohnungsgesetz, am 8.3.1946 ersetzt wurde. Geregelt wurde die Erfassung, Beschlagnahme und Zuweisung des vorhandenen Wohnraums durch die Wohnungsämter, die auch Zwangsmaßnahmen ergreifen konnten.

Aus der Unterbringung der Flüchtlinge in Privatquartieren entwickelte sich die zentrale Belastungsprobe im Zusammenleben von Einheimischen und Flüchtlingen. Dabei waren es unter anderen so unausweichliche Situationen wie die gemeinsame Küchenoder WC-Benutzung, die zur gereizten Atmosphäre und Zunahme von Streitigkeiten führten.

Ein weiteres gravierendes Problem war das Beheizen der den Flüchtlingen abgetretenen Räume oder Notunterkünfte, da eine Heizmöglichkeit vielfach nicht vorhanden war. Häufig wurde den Flüchtlingen dadurch geholfen, daß eine sogenannte Brennhexe aufgestellt wurde, die zugleich als primitiver Herd dienen konnte. Da in den Räumen nicht immer ein Schornsteinanschluß existierte, wurde das Ofenrohr häufig aus dem Fenster herausgeführt.

Damit war das Heizproblem nicht gelöst, da für Brennmaterial gesorgt werden mußte. Das gelang nur mit großen Schwierigkeiten und auch dann zumeist nur unzureichend. Da weder Kohle noch Holz in ausreichendem Maße vorhanden waren, wurde dort, wo dies möglich war, verstärkt Torf zum Heizen verwendet.

Trotz dieser Probleme darf nicht übersehen werden, daß das Zusammenleben in vielen Fällen durchaus harmonisch war. Die Zeitzeugen-Berichte in diesem Band geben davon Zeugnis.

Eine zügige, umfassende Lösung des Problems durch Bau von Wohnungen war zunächst unmöglich, da weder Kapital noch Baustoffe zur Verfügung standen. Erst Anfang der 50er Jahre entwickelte sich im Wohnungsbau, begleitet von Wohnungsbaugesetzen des Bundes, die Dynamik, die für eine spürbare Verbesserung der Wohnraumsituation sorgte.

Über die Einquartierung in den privaten Wohnraum hinaus fand die Unterbringung der Flüchtlinge in der gesamten Provinz Schleswig-Holstein in Sammelunterkünften, den Flüchtlingslagern, statt. Eine verläßlich Angabe über die Anzahl dieser Lager fehlt zwar, allerdings kann von einer Zahl zwischen 500 und 900 Lagern ausgegangen werden mit einer Belegung von weit über 100 000 Menschen. Das Lagerleben bedeutete für die Bewohner, Einschränkungen vielerlei Art ausgesetzt zu sein. Dabei dürfte vor allem das Zurückstehen der Privatsphäre (in extremem Maße bei denjenigen, die in Mehrfamilienunterkünften leben mußten) gegenüber den Bedürfnissen der Gemeinschaft eine wesentliche Beschneidung der persönlichen oder familiären Entfaltungsmöglichkeiten bedeutet haben. Ein Blick auf die Lagerordnung eines Barackenlagers in Heide bestätigt dies. Wenn für alle Bewohner verbindlich vorgeschrieben war, die „Stuben bis spätestens 10 Uhr aufgeräumt und möglichst naß aufgewischt zu haben“, wenn der Benutzung von Waschräumen Pläne zugrunde lagen, wenn sich Besucher nur in der Zeit von 9 bis 21 Uhr im Lager aufhalten durften, entwickelte sich das tägliche Zusammenleben nur zum Teil in selbstbestimmten Bahnen. Eine weitere Einschränkung war die Versorgung über eine sogenannte Volksküche, da eine individuelle Zubereitung des Essens in der Regel nicht vorgesehen war. Zudem waren die Lager in den allermeisten Fällen für eine Dauerwohnnutzung aufgrund ihres baulichen Zustandes und ihrer ungenügenden hygienischen Verhältnisse ungeeignet. Der Standort der Lager war meist an den Rändern der Ortschaften gelegen, was aus ihrer ursprünglichen Nutzung durch Reichsarbeitsdienst oder Wehrmacht erklärlich ist. Diese Randlage förderte die soziale Isolation der Flüchtlinge. Über die Flüchtlingslager hinaus gab es in Schleswig-Holstein in den ersten Jahren eine Reihe von Notunterkünften wie Wohnlauben, Bunker, Wohnwagen oder Schiffe.

Versorgung

Die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln in Deutschland wurde schon seit dem 28.8.1939 durch ein Lebensmittelkartensystem geregelt. Waren zunächst nicht alle Lebensmittel rationiert, so wurde das System im Laufe der Zeit bis ins kleinste verfeinert.

Die Versorgungslage in Deutschland kann bis 1944 als befriedigend bezeichnet werden. Seit Anfang 1945 verschlechterte sie sich jedoch dramatisch. Die Inanspruchnahme der Vorratslager der Deutschen Wehrmacht in Schleswig-Holstein und Hamburg brachte nur kurzfristig eine Entlastung. Danach bewegte sich die Versorgung der Bevölkerung bis in das Jahr 1948 hinein auf dem Niveau des Existenzminimums. Hunger wurde der ständige Begleiter vieler Menschen.

Allerdings war der Versorgungsgrad für die Teile der Bevölkerung, die die Möglichkeit einer teilweisen oder vollständigen Selbstversorgung besaßen, ungleich günstiger. Dieses traf in der Regel auf die landbesitzende Dorfbevölkerung zu. Den Flüchtlingen war zunächst keine Möglichkeit zur Selbstversorgung gegeben. Dies änderte sich durch die erfolgreiche Initiative zur Steigerung der Nahrungsmittelproduktion durch die Ausweitung der Flächen für Kleingärten.

Für diejenigen, die etwas zum Tauschen besaßen, gab es auf dem Schwarzmarkt die Chance zur Aufbesserung der Lebensmittelversorgung. Darüber hinaus waren Ernteeinsätze, die von den Landwirten mit Naturalien „bezahlt“ wurden, das „Nachstoppeln“ bereits abgeernteter Felder und als letzte Möglichkeit der aus der Not geborene Felddiebstahl häufige Methoden, an Nahrungsmittel zu gelangen.

Die Schulspeisungen waren für die Schulkinder in den ersten Nachkriegsjahren ein notwendiger Bestandteil ihrer Ernährung.

Aus dem Ausland kam zusätzliche Hilfe durch Paketsendungen wie die Care-Pakete aus den USA und die Standardpakete aus der Schweiz und aus Schweden. Zu erwähnen sind aber auch Hilfsleistungen, die durch inländische Sach- oder Geldspenden möglich wurden.

Neben der unzureichenden Nahrungsmittelversorgung herrschten schwere Versorgungsmängel im Bereich der Bekleidung und in der Ausstattung mit Schuhwerk. Das vielfach benannte Sammeln der Wolle von den Zäunen versinnbildlicht das Ausschöpfen aller Möglichkeiten zur Gewinnung von Kleidung. Aber auch der Ideenreichtum im Zuschnitt und in der Stoffwahl der Garderobe ist Kennzeichen der Zeit.

Arbeit

Die Eingliederung in den Arbeitsprozeß war für die Flüchtlinge begleitet von einem Umschichtungs- und Unterschichtungsprozeß und von dem Schicksal der Arbeitslosigkeit.

Vom Umschichtungsprozeß besonders stark betroffen waren die ehemals Selbständigen. Nur jeder fünfte der 69 000 selbständigen Flüchtlinge in Schleswig-Holstein konnte auch nach der Flucht die selbständige Existenz fortsetzen. Die Ursache dafür liegt in der Tatsache, daß innerhalb dieser Gruppe die landwirtschaftlichen Berufe dominierten. Die Chancen zur Weiterführung dieser Selbständigkeit waren aufgrund des hohen Kapitalbedarfs und des Mangels an freier landwirtschaftlich nutzbarer Fläche nur gering. Durch das Flüchtlingssiedlungsgesetz vom 10.8.1949 und durch das sogenannte 30 000-Hektar-Abkommen, in dem sich der schleswig-holsteinische Großgrundbesitz zu einer Abgabe von Land in dieser Größenordnung verpflichtete, konnte die Zahl der Flüchtlinge mit landwirtschaftlichem Besitz zwar gesteigert werden, der aber oftmals nicht zum Vollerwerb reichte.

Viele derjenigen, die ehemals als mithelfende Familienangehörige am Berufsleben teilhatten, schieden demzufolge aus dem Berufsleben aus.

Leichter hatten es die selbständigen Handwerker unter den Flüchtlingen, da sich in der Reparatur von Gebrauchsgütern ein weites Betätigungsfeld ergab. Im Bereich der Handwerkskammer Flensburg waren beispielsweise von den 1946 zugelassenen 2368 Handwerksbetrieben mehr als die Hälfte von Flüchtlingen geführt.

Unterstützt wurden diese Betriebsgründungen von Flüchtlingen durch den Flüchtlingsfonds, der ab 1948 an Flüchtlinge Darlehen ausgab.

Im Bereich der abhängigen Beschäftigung stand das Problem der Arbeitslosigkeit für alle Bevölkerungsteile in den ersten Jahren im Vordergrund, wobei die Flüchtlinge allerdings überproportional betroffen waren.

Diejenigen, die in den Arbeitsprozeß integriert werden konnten, waren häufig einer beruflichen Neuorientierung ausgesetzt. Dies bedeutete, daß der erlernte Beruf nicht ausgeübt und stattdessen eine nicht der Aus- und Vorbildung angemessene Tätigkeit ausgeübt wurde. Auch in dieser Hinsicht waren die Flüchtlinge stärker betroffen als die einheimische Bevölkerung.

Erst mit dem Beginn der 50er Jahre veränderte sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt. Waren im März 1951 135 144 Flüchtlinge arbeitslos, so fiel ihre Zahl bis März 1957 auf 22 143. Ihr Anteil an der Arbeitslosigkeit im Land sank in diesem Zeitraum von 53,4 auf 34,5 Prozent.

Ansätze zur Lösung der Flüchtlingsproblematik

Alle mit dem Flüchtlingszustrom entstandenen Probleme waren von der deutschen Verwaltung zu lösen. Eine entscheidende Voraussetzung war daher der politische Neuaufbau Schleswig-Holsteins und Deutschlands. Dieser Prozeß begann in Schleswig-Holstein auf der institutionellen Ebene mit der Ernennung von Beiräten, die auf Gemeinde-, Kreis- und Landesebene den ernannten politischen Repräsentanten zur Seite gestellt wurden. Er setzte sich fort mit den ersten Kommunalwahlen im September und Oktober 1946 und fand einen ersten Abschluß mit der ersten Landtagswahl vom 20. April 1947.

Parallel hierzu wurden auf allen Ebenen Flüchtlingsausschüsse gebildet, denen die Beschäftigung mit den Flüchtlingsproblemen oblag.

Mit dem „Gesetz zur Behebung der Flüchtlingsnot“ vom 27.11.1947 wurde in Schleswig-Holstein der Flüchtlingsverwaltung eine Grundlage geschaffen. Absicht des Gesetzes war es, den Interessen der Flüchtlinge durch die neuen Institutionen ein Sprachrohr zu schaffen.

Anstrengungen, den Flüchtlingsdruck durch Umsiedlungsmaßnahmen zu vermindern, wurden erst nach Gründung der Bundesrepublik und der Initiierung des Ersten Umsiedlungsprogramms wirksam. Bis 1960 siedelten über 400 000 Menschen aus Schleswig-Holstein in andere Bundesländer, vor allem nach Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg, um. Der Schwerpunkt lag dabei in den Jahren von 1950–1954.

Der zweite wesentliche Aspekt, der die Integration der Flüchtlinge erleichterte, war der wirtschaftliche Aufschwungsprozeß in den 50er Jahren.

Es darf dabei nicht vergessen werden, daß gerade die Flüchtlinge durch ihre Mobilität und durch ihren Aufbauwillen diesen wirtschaftlichen Aufschwung stützten.

Kurt Schulz

Der Anfang aus der Hoffnungslosigkeit

Es sind mehr als fünf Jahrzehnte seit Ende des schrecklichen Zweiten Weltkrieges vergangen. Durch ihn wurde die größte Völkerwanderung unseres Jahrhunderts ausgelöst. Bis in die 60er Jahre kamen mehr als 12 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene in das Gebiet der (damaligen) Bundesrepublik.

Am 1.4.1947 betrug in Schleswig-Holstein die Zahl der Flüchtlinge aus den Gebieten ostwärts der Oder/Neiße, der von der Sowjetunion besetzten Zone und der Evakuierten aus den Westgebieten ca. 1,1 Millionen. Zusätzlich war das Land in den ersten 4 Monaten nach Kriegsende ein großes Kriegsgefangenenlager mit fast 1,2 Millionen gefangenen Soldaten und Internierten, die eine weitere Belastung bedeuteten. Die Vertreibung war ein Unrecht, so wie jede Vertreibung von Menschen aus ihrer angestammten Heimat ein Unrecht bleibt. Ich sage das nicht, um unser Unrecht gegenüber anderen zu verwischen, sondern weil es meine Auffassung von Wahrhaftigkeit und Ethik ist.

Die Frauen und Männer, die in diesem Buch ihre unterschiedlichen Erlebnisse dokumentieren, gehören zu den vom Schicksal geschlagenen Menschen. Ich als gebürtiger Pommer bin einer von ihnen. Meine letzte Verwundung brachte mich wenige Tage vor Kriegsende ins Lazarett Eckernförde. Meine Generation ist um ihre Jugend betrogen worden – Schule, Krieg, Verwundung, Kriegsende im Lazarett oder in Gefangen-schaft und schließlich Verlust der Heimat. Alles schien damals hoffnungslos. Diese Hoffnungslosigkeit ist mir heute noch gegenwärtig und wird es auch immer bleiben. Viele suchten ihre Angehörigen – einige suchen noch heute.

Ich hatte Glück. Mit meinen Eltern und mit meiner Großmutter erhielten wir, nachdem wir uns gefunden hatten, einen kleinen ausrangierten Eisenbahnwagen als Wohnstätte. Damals ahnte ich noch nicht, daß ich später einmal 20 Jahre lang Bürgermeister dieser schönen Stadt Eckernförde sein würde. Ich habe diese Region auch als Abgeordneter im Landtag vertreten. Beruflich habe ich die damalige Zeit als „Persönlicher Referent“ des bereits an verantwortlicher Stelle politisch tätigen, späteren Ministers Kurt Pohle erlebt. Durch Kurt Pohle gewann ich Einsichten in die Tätigkeit der ernannten und der folgenden Landtage. Ich lernte die Legislative und die Exekutive sowie die Arbeit der Regierung und der Opposition kennen. Dadurch ist mir vieles bekannt geworden und auch erinnerlich geblieben. Kurt Pohle zeigte mir neue Wege zur Zusammengehörigkeit und zur kulturellen Gemeinsamkeit unseres geschlagenen Volkes. Er diskutierte mit mir über die Notwendigkeit einer sozialen Gerechtigkeit im Inneren als wesentliche Voraussetzung für Solidarität nach außen. Solidarität nach innen und nach außen brauchte aber eine neue politische Moral und ein neues Bewußtsein. Er lehrte mich, daß man auf Haß keine neue Welt aufbauen kann und persönliche Rache kein Garant für den Seelenfrieden ist. Ich habe oft darüber nachgedacht. Heute weiß ich, er hatte recht!

Die Situation damals war sehr schwierig: Hunger, Schwarzmarkt, Brenn- und Heizstoffmangel, keine Wohnungen. Viele Straßen und Bahnanlagen waren zerstört. Die Post nahm nur sehr zögernd ihre Arbeit auf. Die Presse war verboten. Schulunterricht gab es nicht. Elternlose Jugendliche drohten zu verwahrlosen. Die Kommunen waren teilweise noch intakt, standen aber vor unlösbaren Aufgaben. Die Besatzungsmacht ordnete Sperrstunden an. Ich erinnere mich, daß Frauen und Mädchen, ohne Rücksicht auf ihr Alter, in den Straßen zusammengetrieben und zwangsweise auf Geschlechtskrankheiten untersucht wurden. Heute fühle ich mich bestätigt, daß ich mich dagegen auflehnte und der Bitte meiner Freunde und Kollegen folgend den britischen Stadtkommandanten um Aufhebung dieser Maßnahme ersuchte. Ich weiß nicht, ob es mit darauf zurückzuführen war, jedenfalls wurde diese würdelose Behandlung der Frauen und Mädchen eingestellt.

Am 26. Februar 1946 wurde der erste Landtag durch die Militärregierung ernannt. Ich nahm als Gast im Kieler Schauspielhaus daran teil. Die Eingänge waren für Engländer und Deutsche getrennt. Auf der Bühne saßen die ranghöchsten Vertreter der Militärregierung und ganz am Ende des Tisches der spätere Ministerpräsident Steltzer.

Während die Vertreter der Militärregierung von einem „gemeinsamen Kraftakt zum demokratischen Neuanfang“ sprachen, rief Oberpräsident Steltzer zum „menschlichen Zusammenstehen“ auf. Nachdem die Engländer den Saal verlassen hatten, begann die eigentliche Arbeitssitzung der ernannten Abgeordneten. Es wurde ein Ausschuß gebildet, der eine Geschäftsordnung und eine Verfassung erarbeiten sollte. Die vorläufige Verfassung wurde nach ihrer Fertigstellung durch den Landtag angenommen, die Militärregierung versagte aber ihre Zustimmung. Im Mai 1946 erfolgte die Umbenennung der Gremien in Landtag und Landesregierung. Die Landesbehörden wurden Landesverwaltung genannt.

Deren Aufgaben bestanden in Maßnahmen zur Vermeidung von Seuchen, in Überlegungen, den Zustrom der Flüchtlinge und Vertriebenen zu lenken und eine gerechtere Verteilung vorzunehmen, sowohl im eigenen Land als auch unter den Ländern der westlichen Besatzungszonen. Bereits im Mai 1946 erfolgte auch die erste Initiative zur Bodenreform. Betriebe von 30–150 ha sollten gegen Entschädigung an Siedler abgegeben werden, um Flüchtlingen eine eigene Existenz zu schaffen. Güter über 150 ha sollten meiner Erinnerung nach aufgesiedelt werden. Obgleich es sich um einen Kompromiß handelte, versagte die Militärregierung auch hierzu ihre Zustimmung. Alle Überlegungen und die Arbeit waren vergebliche Bemühungen. Ein Datum ist mir sehr genau erinnerlich – der 23. August 1946. An diesem Tag erhielten die preußischen Provinzen die Stellung von Ländern zugesprochen. Obwohl die Verfassung von der Militärregierung erneut nicht gebilligt wurde, arbeitete der Landtag danach. Die in der vorläufigen Verfassung eingeführte Bezeichnung „Landespräsident“ wurde in „Ministerpräsident“ umgewandelt.

Die Bildung des Landes erfolgte damit nicht von unten nach oben als Willensvollzug der Bevölkerung – und ist damit nicht die Erfüllung eines alten geschichtlichen Traums –, sondern als Anordnung der Militärregierung, um in dem überschaubaren Raum zwischen Nord- und Ostsee ein politisches Selbstverwaltungsrecht zu erlassen. Hiermit sollte ein „Modelland“ in der britischen Zone geschaffen werden.

Die deutsch-dänische Grenzpolitik zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des Landes Schleswig-Holstein. In der Regierungserklärung vom 8. Mai 1947 erkannte die Landesregierung unter Hermann Lüdemann die durch Volksabstimmung festgelegte Grenze zwischen Schleswig-Holstein und Dänemark als gerecht und endgültig an. Die SPD bezog sich intern auf die Protokollerklärung der Vorsitzenden der sozialdemokratischen Parteien Otto Wels und Staatsminister Thorvald Stauning aus dem Jahre 1923. Nach dieser Erklärung wurde die Grenze als gesetzlich geltend anerkannt. Ich glaube sogar, daß die dänische Reichsregierung trotz des zeitweise erforderlichen Taktierens eine Grenzverschiebung nie ernsthaft anstrebte. Es entwickelten sich zwischen den Regierungen beiderseits der Grenze freundliche Konsultationen, deren Ergebnis 1948 die Ernennung Jens Nydals zum Landesbeauftragten für Schleswig war. Er war mein erster Vorgänger im Amt als Grenzlandbeauftragter.

Die britische Seite unternahm keine Anstrengung, die Grenze zu ändern; sie erwartete eine Regelung der Minderheitenfrage, die mit der sogenannten „Kieler Erklärung“ 1949 gegeben wurde. Darin erklärte die Landesregierung, die berechtigten Belange der dänischen Minderheit zu gewährleisten und ein gutnachbarschaftliches Verhältnis zum dänischen Volk herbeizuführen. Es wurde aber auch der Erwartung Ausdruck gegeben, daß die dänische Regierung der deutschen Minderheit in Dänemark dieselben Rechte und Freiheiten einräumte und garantierte. Die Kieler Erklärung hatte historisch eine begrenzte zeitliche Funktion. Nach den deutsch-dänischen Minderheitenverhandlungen in Kopenhagen unterzeichneten Bundeskanzler Konrad Adenauer und Staatsminister H. C. Hansen die Bonn-Kopenhagener Erklärungen am 29.3.1955. Dem Inhalt nach gleichen sie in vielen Teilaspekten der Kieler Erklärung, waren aber, das ist das Bedeutsame daran, beidseitig verpflichtend und gaben der deutschen Minderheit in Dänemark die gleichen Rechte wie der dänischen in der Bundesrepublik. Diese Erklärungen auf übergeordneter Ebene lösten die Kieler Erklärung ab. Die Bonn-Kopenhagener Erklärungen von 1955 und ganz besonders die Kieler Erklärung von 1949 entspannten die Verhältnisse im Grenzraum. Heute ist das Zusammenleben von Minderheiten und Mehrheitsbevölkerung so gut wie nie zuvor. Dazu haben auch und vor allem die Minderheiten auf beiden Seiten der Grenze ganz erheblich beigetragen.

Im September/Oktober 1946 fanden die ersten demokratischen Wahlen statt. Es ging um die Kreistage und Gemeindevertretungen. Die SPD erreichte leichte Vorteile. Nach diesen Ergebnissen wurde der zweite ernannte Landtag zusammengesetzt. Aus 17 Kreisen und 4 kreisfreien Städten wurde je ein Vertreter von den Gremien ernannt. Dazu ernannte die Militärregierung noch weitere 39 Vertreter. Ministerpräsident einer großen Koalition blieb Theodor Steltzer. Dieser Landtag war nur etwa vier Monate im Amt. Ministerpräsident Steltzer ließ in seiner Regierungserklärung keine Zweifel aufkommen, daß eine Katastrophe eintreten würde, wenn die Besatzungsmacht Regierung und Parlament nicht bald größere Vollmacht zugestände. Die Lage des Landes wurde immer dramatischer. Ich denke noch oft an die harten Winter 1946/47 und 1947/48. Dazwischen lag der heiße Sommer, der die Ernte auf den Feldern verbrannte.

*Für zwei Tage gab es noch Lebensmittel im Land. Wir warteten sehnsüchtig auf die Schiffe aus England. Es war dem britischen Unterhausabgeordneten Victor Gollancz zu verdanken, daß die benötigten Lebensmittel und Medikamente rechtzeitig eintrafen. Neben der Hungersnot wurden Seuchen befürchtet, denen wir damals kaum hätten begegnen können.

*Durch die Aufnahme von Flüchtlingen und Ausgebombten hatte sich die Bevölkerung fast verdoppelt. Für die meisten von ihnen gab es keine Wohnungen. Sie hausten in Baracken, Nissenhütten und anderen Notunterkünften. Die einheimische Bevölkerung mußte immer wieder zusammenrücken. Dies vollzog sich allgemein in einem großen solidarischen Akt. Es gab aber auch viele Probleme und große Schwierigkeiten. Ich selbst hatte Glück, auf gute und verständnisvolle Menschen zu treffen, die mir Freunde für das ganze Leben geworden sind. Viele meiner Leidensgefährten trafen aber auf Unverständnis und Ablehnung. Seien wir ehrlich: Wären die Schleswig-Holsteiner zu uns gekommen, wäre die Einstellung unserer Landsleute zu ihnen anders gewesen als ihre zu uns?

*Schulunterricht gab es am Anfang nicht. Selbst wenn die Schulen frei gewesen wären und genügend Lehrkräfte zur Verfügung gestanden hätten – die Kinder hatten keine Schuhe und konnten im Winter die Wege nicht zurücklegen. Auf Bezugscheine gab es keine Ware. Sie wurde gehortet. Der Schwarzmarkt blühte, die Währung war die Zigarette. Wer nichts hatte, der konnte auch nichts eintauschen.

Unbestritten stand das von Kurt Pohle geführte Gesundheitswesen vor schwierigen Aufgaben. Krankheiten vermehrten sich schnell, insbesondere Tbc. Die Beschaffung einer Glühbirne war eine ministerielle Angelegenheit. Die Kranken hatten sehr oft keine Eßgeschirre. Diese wurden durch umgefalzte Blechdosen ersetzt. Ärzte und Pflegepersonal leisteten unter primitiven Verhältnissen ein enormes Arbeitspensum. Im Nachhinein darf man jedoch feststellen: In dieser schwierigen Zeit gab es Frauen und Männer, die den Mut aufbrachten, Parteien zu gründen, anzupacken, ganz gleich, ob sie aus Konzentrationslagern oder aus Kriegsgefangenschaft kamen, Einheimische oder Flüchtlinge waren. Sie arbeiteten ehrenamtlich in kommunalen Vertretungen und in den ernannten Landtagen.

Oft bin ich gefragt worden, ob die ernannten Landtage als positive Zeichen eines Aufbruchs in eine neue Zeit von den Menschen im Lande begriffen wurden. Ich meine, von politisch Interessierten und in Parteien Organisierten schon. Den meisten Menschen, insbesondere den Müttern, war es jedoch wichtiger, ihre Familien über die Runden zu bringen. Dies bedeutete, Lebensmittel zu organisieren, Brennstoffe zu besorgen und Bekleidung zu beschaffen. Diese Haltung war zwar verständlich, half aber beim Aufbau nicht weiter. Politiker hatten andere Sorgen.

Schleswig-Holstein hatte den höchsten Anteil an Flüchtlingen im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung, den höchsten Bevölkerungszuwachs aller Länder, dadurch den geringsten Wohnraum je Kopf der Bevölkerung, eine untragbare Belastung durch Fürsorgeausgaben – so hieß die heutige Sozialhilfe damals. Die Finanz- und Wirtschaftskraft war enorm schwach; das Land hatte eine ausgeprägte agrarische Struktur. Ihm fehlte das so notwendige Hinterland, insbesondere für Lübeck. Zusammengenommen waren das keine idealen Bedingungen für die Lebensfähigkeit eines Landes.

Am 20. April 1947 wurde der erste Landtag durch die Bevölkerung gewählt. Die 43 Abgeordneten der SPD, 21 der CDU und 6 des SSW traten am 29. April erstmals zusammen. Der Ministerpräsident wurde vom Zivilgouverneur ernannt. Dessen moderate Einführungsrede fand in ihren Grundzügen Anerkennung bei den Abgeordneten, wenngleich die Ernennung des Ministerpräsidenten durch die Besatzungsmacht von ihnen nur mit Unwillen aufgenommen wurde. Trotzdem muß hinzugefügt werden, daß die Ernennung Hermann Lüdemanns zum Ministerpräsidenten dem Mehrheitswillen des Landtages entsprach. Er verkörperte in seinem Amt eine erhebliche Machtfülle, da er zugleich Innenminister war und der Justiz vorstand. Lüdemanns Steckenpferd war die Bildung eines Nord-West-Staates, der aber niemals Wirklichkeit wurde.

Nachdem die Engländer das Plenum bis auf einen Beobachter verlassen hatten, wurde der Landtag offiziell eröffnet. Karl Ratz wurde Landtagspräsident. Dreizehn Ausschüsse für die einzelnen Arbeitsgebiete wurden gewählt. Nach englischem Vorbild gab es „Parlamentarische Vertreter“ für die Minister und einen besoldeten Oppositionsführer. Diese letzte Regelung ist bis heute beibehalten worden.

Die Arbeit des ersten gewählten Landtags und der Regierung war durch die große Not der Bevölkerung festgelegt. Alle zur Verfügung stehenden Kräfte und Mittel mußten zu ihrer Bewältigung eingesetzt werden. Es ging um die Ämterneuordnung, die Hoheitsgewalt über die Polizei, die Entnazifizierung, die Verlagerung des Oberlandesgerichts nach Schleswig und vor allem um die Entwicklung der Wirtschaft. Umstritten war die Überführung der Großindustrie in Gemeineigentum; sie erlangte keine Gültigkeit. Die Opposition war gegen die sechsjährige Grundschule und gegen die Landreform. Sie boykottierte die Landessatzung und blieb den Beratungen und der Schlußabstimmung fern.

Zur Eingliederung der Flüchtlinge wurde das Flüchtlingsnotgesetz verabschiedet, ein Fonds zur Eingliederung der Flüchtlinge in die Wirtschaft geschaffen und die Hilfs- und Notgemeinschaft Schleswig-Holstein gegründet.

Der hohe Bevölkerungsdruck erforderte besondere Anstrengungen zum Abbau der Arbeitslosigkeit. In dieser Legislaturperiode wurden immerhin 160 000 neue Arbeitsplätze geschaffen – eine Zahl, die bei früherem Einsetzen der Währungsreform noch höher hätte sein können. Zwar lag trotz dieses Fortschritts die Arbeitslosenquote im Mai 1950 immer noch bei 30 %, dennoch bedeutete die Schaffung der Arbeitsplätze einen erfreulichen Fortschritt.

Wie gering nahmen sich auch die 35 000 neuen Wohnungen gegen den festgestellten Fehlbestand von über 300 000 Wohnungen aus! Noch immer lebten fast eine Million Flüchtlinge, Vertriebene und Einheimische im nicht zerstörten Wohnraum zusammengepfercht in drangvoller Enge. Weitere 200 000 hausten unter menschenunwürdigen Bedingungen in Massenquartieren und Baracken. Dessenungeachtet mußten eine größere Zahl von Einfamilienhäusern für Angehörige der Besatzungsmacht und ganze Siedlungen für die „displaced persons“ geräumt werden. Dies waren während des Krieges aus anderen Ländern verschleppte Personen, im wesentlichen aus Polen, die in ihre Heimat zurückgeführt werden sollten. Diese Maßnahmen verschärften die Wohnraumsituation noch erheblich.

Auch von der Demontagewelle war Schleswig-Holstein betroffen. Die Bevölkerung und ihre gewählten Vertreter mußten ohnmächtig den sinnlosen Zerstörungen zusehen. Es handelte sich dabei nicht um die Zerstörung von Kriegspotential, sondern um die Vernichtung der für den Frieden benötigten Betriebe und Einrichtungen. Arbeiter streikten, Politiker gingen auf die Straße und demonstrierten, allerdings ohne sichtbaren Erfolg. Andreas Gayk, Oberbürgermeister von Kiel, sagte im September 1947: „Wer heute in Deutschland Friedensbetriebe demontiert, der demontiert in Wahrheit die deutsche Demokratie.“ Zusätzlich beklagte er die absolutistische Besatzungsverfassung. Er erhielt Redeverbot. Dennoch verstummte er nicht, sondern schrieb weiterhin seine Reden, und wir haben sie in vielen Veranstaltungen vorgetragen. Als alle Proteste gegen die Demontagen nichts halfen, brachen die Politiker alle privaten und gesellschaftlichen Kontakte zu Angehörigen und Institutionen der Besatzungsmacht ab. Dies wirkte sich für beide Seiten empfindlich aus, da sich nach Aufhebung des Fraternisierungsverbots zwischen Deutschen und Engländern persönliche und oft sogar freundschaftliche Annäherungen angebahnt hatten.

Zur Bewältigung der Flüchtlingsnot hatte der Minister für Arbeit, Wohlfahrt und Gesundheitswesen, Kurt Pohle, im August 1947 den Entwurf eines Flüchtlingsnotgesetzes im Parlament eingebracht. Das Flüchtlingsnotgesetz sollte die unerträgliche Notlage dieses Bevölkerungsteiles beseitigen helfen. Um einiges aus dem Inhalt zu benennen: Es wurde ein Existenzminimum für alle festgelegt. Bis zur Schaffung eines neuen Mietrechts sollten in besonderen Fällen, unter Abwägung der Interessen aller Beteiligten, Hauptmietverhältnisse vom Staat umgeändert werden können. Bei Genehmigung von Handwerker- und Handelsbetrieben sollten Flüchtlinge gleichberechtigt berücksichtigt und Einheimische den Flüchtlingen nicht vorgezogen werden. Das Gesetz gab dem zuständigen Landesminister die Möglichkeit, schnell und ohne Zustimmung des Parlaments Erlasse und Verfügungen auszusprechen, soweit es sich nicht um die Bewilligung zusätzlicher finanzieller Mittel außerhalb des Haushalts handelte.

In vielen Versammlungen haben wir den Gesetzentwurf dargestellt. Die Säle waren kalt, Mikrofone gab es nicht. Als der Minister wegen Krankheit ausfiel, mußte ich seine noch ausstehenden 30 Veranstaltungen zusätzlich übernehmen. Die Menschen kamen. Sie waren interessiert, weil es um ihr Schicksal ging.

Unter den Flüchtlingen befanden sich viele Schwerkriegsbeschädigte, für die der Minister bereits Heime eingerichtet hatte. Ein Teil dieser unglücklichen Menschen kam wegen der Entstellungen nicht mehr in die Öffentlichkeit. Ich habe meine Kameraden oft aufgesucht und mich mit ihnen unterhalten. Erschütternd war, daß einige für ihre Angehörigen gestorben sein wollten, um in deren Erinnerung so weiterzuleben, wie sie vor ihrer schweren Verwundung ausgesehen hatten. Dies gehört zu meinen traurigsten Erinnerungen.

1948 wurde der Wirtschaftsfonds für Flüchtlinge zur Bereitstellung von Mitteln zur Eingliederung von Flüchtlingen in die Wirtschaft Schleswig-Holsteins beschlossen. Aus ihm wurden zinsgünstige Kredite gegeben, um Handwerk und Mittelstand Hilfen zu gewähren, neue Betriebe zu gründen und weitere Arbeitsplätze zu schaffen. Bankmäßige Sicherheiten konnten nicht gegeben und sollten auch nicht verlangt werden. Allein die Aussicht auf Erfolg war entscheidend für die Bewilligung eines Kredits. Heute wäre eine solche Handlungsweise undenkbar, damals war es ein Weg aus der Not. Eine weitere wichtige Maßnahme war die Gründung der Landesgarantiekasse. Was für Handwerk und Kleinbetriebe galt, war auch für die übrige Wirtschaft notwendig. Da Sicherheiten nicht vorhanden waren, teilte sich das Land mit den Banken das Risiko der Kreditgewährung.

Erfreulich war die Expansion des Handwerks. Die Zahl der Betriebe stieg von 30 000 auf 135 000. Die Regierung hoffte, daß bei verbesserter Wirtschaftslage noch erheblich mehr Beschäftigungsmöglichkeiten im Handwerk und Handel entstehen könnten, von deren sicherem Bestand alle überzeugt waren. Das Problem bestand nur darin, daß die Regierung die ständig wachsenden Mittelanforderungen nicht erfüllen konnte.

Auf dem Sektor des Gesundheitswesens wurde 1947 u.a. das Gesetz über die Röntgenreihenuntersuchungen erlassen. Die Notwendigkeit ergab sich aus dem Anwachsen der Tbc, die sich zur Volksseuche entwickelte, die wiederum Folge des Krieges und der mangelhaften Ernährung war. Jeder, der in Schleswig-Holstein wohnte, mußte sich alle zwei Jahre für eine Untersuchung zur Verfügung stellen. Die Gesundheitsämter wurden mit der Durchführung beauftragt. Angehörige von Betrieben mit einer Belegschaft von mehr als 1000 Personen wurden in ihren Betriebsstätten untersucht. Wer der Aufforderung zur Untersuchung nicht folgte, mußte mit Bestrafung rechnen.

Ein großes und zunächst ungelöstes Problem blieb die Eingliederung der Flüchtlinge. Es war für jeden zu erkennen, daß die große Zahl der Menschen nicht im kleinen Land Schleswig-Holstein unterzubringen war. Die generelle Zuzugssperre nach Schleswig-Holstein, die die Besatzungsmacht anordnete, hatte nicht allzuviel geholfen, da in der Folgezeit wöchentlich noch tausende Flüchtlinge aus dem Osten und aus Dänemark einströmten. Die auf der Flüchtlingskonferenz von Bad Segeberg vereinbarte Einsetzung einer „Arbeitsgemeinschaft der Flüchtlingsverwaltungen der westlichen Länder“ bewirkte ebenfalls nichts. Schleswig-Holstein mußte die schmerzliche Erfahrung machen, daß freiwillige Vereinbarungen unter den Ländern erfolglos blieben. Die Landesregierung kritisierte hart und anklagend die Ministerpräsidenten der Länder und die Besatzungsmächte der Westzonen. Auf dem Prüfstand stand die neue deutsche Demokratie, die durch den Egoismus einzelner Länder erheblich belastet wurde. Erst nach Gründung der Bundesrepublik kamen die Verhandlungen über den Flüchtlingsausgleich wieder von der Stelle. Bei der Ablösung der Regierung Diekmann 1950 waren seit Beginn der organisierten Umsiedlung im April 1949 ca. 100 000 Flüchtlinge und Heimatvertriebene in andere Länder gelenkt worden. Beendet wurde die Aktion erst Anfang der sechziger Jahre, nachdem ca. 90 % der vorgesehenen 450 000 Personen in anderen Ländern der Bundesrepublik eine neue Heimat gefunden hatten, was nicht bedeuten soll, daß die alte Heimat in Vergessenheit geraten wäre.

Schicksalhaft für die positive Nachkriegsentwicklung war natürlich die Währungsreform im Juni 1948. Nach dem Ausfüllen diverser Formulare gab es ein „Kopfgeld“, vierzig neue Deutsche Mark sofort und zwanzig nachträglich. Einige Zeit später wurden auch die Konten umgestellt, allerdings nicht 1:1 oder 1:2, sondern 1:10. Ein Ansturm auf die über Nacht auftauchenden Warenbestände setzte ein. Sie waren bis dahin gehortet worden und wurden auch nicht gegen Bezugscheine ausgegeben. Die Deutsche Mark war gutes, ehrliches Geld für gute, ehrliche Arbeit, die bisher nur mit der wertlosen Reichsmark bezahlt worden war. Wir alle haben das mit Sorge gesehen und bedauert. Der folgende wirtschaftliche Aufschwung war nicht die Tat eines Einzelnen und nicht das Ergebnis überlegter Politik, sondern Anstrengung eines ganzen Volkes, das aus seiner Lethargie erwachte und in Solidarität zusammenstand.

In der Sowjet-Zone wurde eine Währungsreform erst einige Tage später durchgeführt. Am 24.6.1948 verhängten die Sowjets eine totale Blockade der Westsektoren Berlins. Die westliche Antwort war die Luftbrücke nach Berlin. Deutschland brach wieder ein Stück weiter auseinander.

* * *

Man kann in einem kurzen Rückblick nicht alles darstellen, was nach dem Krieg an Kriegsfolgen beseitigt worden ist. Manchmal ist es wie ein Sehen in die Vergangenheit, manches verwischt sich auch in 50 Jahren. Geben wir zu: 50 Jahre lassen in der Erinnerung eines Menschen Lücken entstehen, die trotz intensiven und systematischen Nachdenkens nicht geschlossen werden können. Sicherlich geht es jedem von uns so. Man kann auch nicht alle Bemühungen der damaligen Landtage und Landesregierungen beschreiben. Jede Maßnahme verbesserte aber die Situation der Menschen. Wenn alle Regierungen, Parlamente und Parteien nichts weiter bewirkt hätten: Die Hoffnungslosigkeit wurde überwunden und den Menschen neuer Lebenswille vermittelt.

FLENSBURG

Gretel Bohn

Geretteter Doornkaat

Am 5. Mai 1945 stellte mein Mann, schwerkriegsbeschädigter Marineoffizier und aus anderthalbjährigem Aufenthalt im Marinelazarett Stralsund entlassen, einen Konvoi seetüchtiger Fahrzeuge zusammen, um mit ihnen die Fahrt über die Ostsee, in den Westen, anzutreten. In jedem Boot konnte, wenn vorhanden, die Familie eines Besatzungsangehörigen mitfahren. Mein Mann war der einzige mit Familie am Ort. Deshalb waren unsere einjährige Tochter und ich die einzigen neuen Besatzungsmitglieder auf dem Führungsboot.

Nachdem wir die schreckliche Geräuschkulisse der Stalinorgel und die Bombeneinschläge auf Rügen hinter uns gelassen hatten, erreichten wir die dänischen Inseln. Mit viel Glück entgingen wir Tieffliegern und Minen.

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Alle umrahmten Bilder in diesem Buch zeigen die Ankunft von Flüchtlingen in Schleswig-Holstein im Rahmen der Aktion „Schwalbe“, die die Ausweisung Deutscher aus den polnisch besetzten deutschen Ostgebieten aufgrund des Potsdamer Abkommens vorsah. Zwischen Februar und Juli 1946 kamen dadurch 215 000 Flüchtlinge in das Land.
Die Bilder stammen aus dem Privatbesitz von Kurt Schulz.

Am 9. Mai erreichten wir endlich deutsche Hoheitsgewässer und waren in Sicherheit. Mein Mann überließ der Besatzung, zu der ja auch ich gehörte, die Entscheidung über den Zielort unserer Odyssee. Nach Neumünster, meiner Geburtsstadt, konnten wir in Ermangelung eines Wasserweges nicht gelangen. Kiel lag in Schutt und Asche. Als Alternativen blieben nur Schleswig oder Flensburg. Obwohl ich Schleswig-Holsteinerin bin, war ich noch nie in der Grenzstadt. Ich kannte sie nur aus den begeisterten Erzählungen meiner Großmutter, die aus Hadersleben stammte. So schlug ich vor, nach Flensburg zu fahren. Unsere aus dem gesamten Großdeutschen Reich stammenden Mariner waren einverstanden, und so nahmen wir am Feuerschiff vorbei Kurs auf Flensburg. Vor Holnis warfen wir noch einmal Anker, um den nächsten Morgen abzuwarten.

An Bord befanden sich noch einige Flaschen „Doornkaat“, die auf keinen Fall den Engländern in die Hände fallen sollten und irgendwie geleert werden mußten. Da die Seeleute befürchteten, daß Alkohol für Fische nicht bekömmlich sein könnte, fanden die Männer sich schließlich „bereit“, für die Beseitigung des Flascheninhaltes zu sorgen.

Am nächsten Morgen lag unser Schiff dann aus unerfindlichen Gründen in überraschender Nähe einer Wiese und erstaunt dreinblickender Kühe. Nachdem wir uns ohne größere Schwierigkeiten aus dieser befremdlichen Situation befreit hatten, hieß es: „Zivilisten unter Deck!“ Damit waren meine Tochter und ich gemeint. Wir pirschten langsam in Richtung Innenförde weiter. Obwohl uns kaum noch etwas erschüttern konnte, war die Spannung sehr groß, was uns wohl in Flensburg erwarten würde.

Nach, wie mir schien, ziemlich langer Zeit hörte ich einige Kommandos. Die Geräusche der Schiffsmotoren erstarben. Mein Mann erschien am Niedergang und sagte mit unverkennbarer Erleichterung in der Stimme: „Wir liegen an einer Brücke im Hafen von Flensburg. Kommt an Deck, ihr beiden!“ Ich erklomm mit unserer Tochter auf dem Arm das Deck, und der Anblick des Hafen-Ostufers mit seinem Wahrzeichen, der St.-Jürgen-Kirche, hieß uns willkommen. Liebe auf den ersten Blick! Daran änderten nichts die hinter der Schiffbrücke die Norderhofenden herunterrasenden englischen Panzer. Auch nicht die Schwierigkeiten, die durch die Zwangseinquartierungen kaum zu vermeiden waren, zumal sie fast immer mit gegenseitiger Rücksichtnahme bewältigt wurden.

Der Krieg war vorbei, alles andere war zweitrangig!

So waren wir in diese Stadt gekommen. Ich war schon 24, als ich zum erstenmal einen Blick auf sie werfen durfte. Sie ist meine Heimat geworden. Ich möchte nie mehr woanders zu Hause sein.

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Wera Hansen

Aufnahme im zweiten Anlauf

Im Februar 1945 kamen meine Mutter, unsere Büroangestellte und ich mit einem großen Schiff in Flensburg-Mürwik an. Ich erinnere mich nicht genau, aber ich glaube, unser Schiff hieß „Antonia Delphino“. Von Elbing waren wir im Januar im Treck und Zug nach Gotenhafen oder Danzig geflüchtet. Dort erlebte ich am 27.1.45 meinen zehnten Geburtstag.

Tagelang versuchten wir, auf ein Schiff zu gelangen. Die „Gustloff“ hatte leider gerade abgelegt. Eines Tages klappte es, und wir bestiegen die „Antonia Delphino“.