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Der Autor

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Michael Sommer lehrt als Professor für Alte Geschichte an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Zuvor war er lange in England tätig. Zu Sommers Forschungsschwerpunkten gehören die römische Kultur-, Wirtschafts- und Institutionengeschichte und, epochenübergreifend, die Geschichte des Nahen Ostens. Von ihm liegen eine Reihe einschlägiger Standardwerke vor, zuletzt Roms orientalische Steppengrenze (2. Auflage, 2018); Palmyra. A History (2018); Römische Geschichte. Von den Anfängen bis zum Untergang (2016); Syria. Geschichte einer zerstörten Welt (2016).

Michael Sommer

Das römische Kaiserreich

Aufstieg und Fall einer Weltmacht

Verlag W. Kohlhammer

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Umschlagbild: Ara Pacis, Nordfries. Rom.

1. Auflage 2018

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-023419-2

E-Book-Formate:

pdf:      ISBN 978-3-17-023491-8

epub:   ISBN 978-3-17-023492-5

mobi:   ISBN 978-3-17-026728-2

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Inhalt

 

 

  1. I Das römische Imperium: Eine historische Anomalie
  2. II Caesar Augustus: Die Wiedergeburt der Republik
  3. 1 Erbe des Diktators
  4. 2 Erster Mann
  5. 3 Pax Augusta
  6. 4 Der lange Schatten
  7. III Orbis Romanus: Morphologie eines Weltreichs
  8. 1 Princeps
  9. 2 Regierungspraxis
  10. 3 Direkte Herrschaft: Provinzen
  11. 4 Indirekte Herrschaft: Städte, Stämme, reges amici
  12. 5 Gladius imperii: Legionen und Hilfstruppen
  13. 6 Verflochtene Räume
  14. 7 Oben – unten: Wirtschaft und Gesellschaft
  15. 8 Mit den Göttern reden: Das religiöse Koordinatensystem
  16. 9 Romanisierung
  17. IV Glanz und Elend: Die julisch-claudische Dynastie
  18. 1 Neuanfang mit Missverständnissen: Tiberius
  19. 2 Verfall einer Familie: Caligula, Claudius, Nero
  20. 3 Krise als Lehrstück: Das Vierkaiserjahr 69 n. Chr.
  21. V Den Prinzipat neu denken: Die Flavier
  22. 1 Im Zeichen des Sieges: Vespasian und Titus
  23. 2 Dominus et deus: Domitian
  24. VI Möge der Beste herrschen: Die Adoptivkaiser
  25. 1 Optimus princeps: Trajan
  26. 2 Im Zenit: Hadrian
  27. 3 Vorboten: Antoninus Pius, Marcus Aurelius, Commodus
  28. VII »Bereichert die Soldaten«: Das Imperium der Severer
  29. 1 Das zweite Vierkaiserjahr
  30. 2 Punier auf dem Palatin: Septimius Severus und Caracalla
  31. 3 Priester im Purpur: Elagabal
  32. VIII Haudegen und Krisenmanager: Die Soldatenkaiser
  33. 1 Das Ende der Pax Romana
  34. 2 Militärische Überforderung
  35. 3 Fiskalische Überforderung
  36. 4 Politische Überforderung
  37. 5 Stunde Null
  38. 6 Palmyra
  39. 7 Restitutor orbis
  40. IX Die Tetrarchie
  41. 1 Eine neue Ordnung
  42. 2 Das Scheitern der Tetrarchie
  43. X Epilog
  44. XI Anhang
  45. Anmerkungen
  46. Literatur
  47. Abbildungsverzeichnis
  48. Personenregister
  49. Ortsregister

I           Das römische Imperium: Eine historische Anomalie

 

 

– All right, but apart from the sanitation, the medicine, education, wine, public order, irrigation, roads, a fresh water system, and public health, what have the Romans ever done for us? – Brought peace. – Oh. Peace? Shut up! (Monty Python, Life of Brian)

Kurz vor der Zeitenwende schälte sich allmählich eine neue Ordnung aus den Trümmern der römischen Republik. Ab jetzt entschied nicht mehr ein Kollektiv, die Nobilität, über das Schicksal der von Rom gewaltsam unterworfenen Mittelmeerwelt, sondern ein einzelner Mann. Das politische System, das Augustus nach dem Scheitern der Republik formte, erscheint uns als Monarchie, der von Rom beherrschte Raum als Imperium. Monarchie und Imperium sind die Signaturen der Epoche, um die es in diesem Buch geht.

Beide sind Idealtypen im Sinne Max Webers. Sie sind analytische Kategorien und als solche Kopfgeburten des aus der Rückschau ordnenden Historikers, nicht Abbilder von Wirklichkeit. Idealtypen abstrahieren und vereinfachen. Damit stellt sich die Frage, was das Spezifische im Allgemeinen ist. Genau sie stellt dieses Buch: Wie füllten Augustus und seine Nachfolger die römische Variante der Monarchie, den Prinzipat, mit Leben? Und wie funktionierte das Imperium, das sie beherrschten, immerhin 500 Jahre im Westen und 1 500 Jahre im Osten?

Auch Epochen sind Idealtypen. Jedem Versuch, sie einzugrenzen, haftet etwas Willkürliches an. Und oftmals wird erst in der Rückschau klar, dass etwas Altes zu Ende gegangen ist und etwas neues angefangen hat. Dennoch: Erst ordnend verstehen wir Geschichte. Deshalb ist, Zäsuren zu setzen, unerlässlich. Begann die römische Kaiserzeit mit Caesar, in dessen Händen sich schließlich zum ersten Mal in der römischen Geschichte alle Macht konzentrierte, oder mit Augustus, dem ersten Princeps? Endete die Antike – und mit ihr die Kaiserzeit – mit dem Fall Westroms oder später, vielleicht gar erst mit der Expansion des Islam, wie der belgische Mediävist Henri Pirenne meinte? Überhaupt: Gehört die Spätantike noch zur Kaiserzeit, oder ist es sinnvoll, mit Diokletians Tetrarchie, mit der Konsolidierung des Imperiums nach der Krise des 3. Jahrhunderts und seiner Christianisierung durch Konstantin und seine Nachfolger eine neue Epoche – die Spätantike – beginnen zu lassen? Sollte man am Ende gar, wie einst Edward Gibbon, das römische Imperium erst mit dem Fall Konstantinopels 1453 ausklingen lassen?

Und wann begann die Kaiserzeit? Die Herrschaft der Nobilität, die im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. aus dem Kompromiss der Ständekämpfe erwachsen war, erscheint nur aus der Distanz als monolithische Einheit. Auch sie war beständig im Wandel, und ihre Agonie im letzten Jahrhundert der Republik war weder historische Notwendigkeit noch ein Prozess, der zielgerichtet auf den Ruin der Nobilität hinauslief. War die Nobilität am Ende, als Sulla nach der Diktatur griff? Oder mit dem Machtkartell des sogenannten Ersten Triumvirats, zu dem sich Pompeius, Caesar und Crassus zusammenfanden? War Caesars Diktatur die entscheidende Zäsur, seine Ermordung oder erst Antonius’ Ende nach der Schlacht von Actium? Oder begann der Prinzipat überhaupt erst mit Tiberius? War er am Ende eine Ordnung, die erst fertig ausbuchstabiert war, als sie sich im Grunde bereits überlebt hatte, vielleicht gar erst im späten 2. Jahrhundert, während der Herrschaft der Severer?

Für jede dieser Annahmen sprechen plausible Gründe. Diese Gesamtdarstellung der römischen Kaiserzeit entscheidet sich pragmatisch für zwei Daten, die nicht zufällig der Konvention entsprechen, wie sie sich in vielen Jahrzehnten althistorischer Forschung durchgesetzt hat: Sie lässt den Prinzipat 27 v. Chr. beginnen, mit der Rückgabe der Triumviratsgewalt an den Senat und der Übernahme des Augustus-Titels durch den ersten Princeps; und sie schließt mit der Schlacht an der Milvischen Brücke, mit der das tetrarchische Modell endgültig gescheitert und der Weg des Christentums zur im Reich dominierenden Religion wenn nicht besiegelt, so doch vorgezeichnet war. Weder war der Prinzipat als Ordnung am 16. Januar 27 v. Chr. »fertig«, noch brachen alle Kontinuitäten am 28. Oktober 312 plötzlich ab. Doch stehen beide Daten sinnbildlich für Zäsuren, die buchstäblich epochal waren.

So wichtig wie die Epochengrenzen ist die Frage danach, was die Kaiserzeit als Epoche ausmachte. Ihre primäre Signatur ist, wie der Name sagt, die spezifische Form der Herrschaft, die Augustus begründete. Der Begriff »Kaiserzeit« ist eigentlich irreführend: Zwar leitet »Kaiser« sich von Caesar ab, und Caesar war Namensbestandteil aller römischen Herrscher ab Augustus. Aber mit der Bezeichnung ist ein Herrschaftsmodell verknüpft, das erst auf das Mittelalter zurückgeht und in der Neuzeit noch einmal eine völlige Wandlung erfuhr. Im Gegensatz zu allen späteren Manifestationen bekleideten die römischen Kaiser kein »Amt«.

Weil der Interessenausgleich zwischen Augustus und dem Senat Kompromiss- und im Grunde genommen Improvisationscharakter hatte, war die römische Monarchie staatsrechtlich zunächst nur die Häufung disparater Befugnisse in der Hand des Mannes, der sich Princeps nannte. Von einem rechtlich-formalen Standpunkt gesehen, war der Prinzipat als Monarchie ohne Monarchen eine Anomalie. Aber auch herrschaftssoziologisch wich der Prinzipat von allen bekannten Schemata ab. Er entzieht sich, wie noch zu sehen sein wird, sämtlichen Kategorien der bekannten Weber’schen Typologie. Der römische Princeps schöpfte seine Legitimität weder aus dem Recht, noch aus der Tradition, noch aus zugeschriebenem Charisma. Oder besser: Er schöpfte sie aus allem zugleich, zu unterschiedlichen Anteilen, aber aus keinem allein. Wenn ein Princeps sich oben hielt, dann konnte er das nur, wenn er seine Herrschaft legal, traditional und charismatisch begründete.

Das römische Imperium der Kaiserzeit ist aber noch aus einem zweiten Grund eine historische Anomalie. Imperien sind Antipoden zum Nationalstaat, der uns heute – noch – selbstverständich erscheint. Nationen sind imagined communities: soziale Konstrukte, die allein aufgrund des Glaubens an gemeinsam geteilte Kultur und Geschichte durch starke symbolische Bindekräfte zusammengehalten werden. Das Modell der »einen und unteilbaren Nation« (la nation une et individible), wie es die Französische Revolution schuf, setzt maximale kulturelle, sprachliche, ethnische, religiöse und rechtliche Homogenität voraus.

Nichts davon gilt für das Imperium. Es kann mit Heterogenität problemlos umgehen. Imperien besitzen keine gemeinsamen, wenngleich imaginierten Traditionen. Sie kommen gewaltsam zustande, durch Eroberung, und haben weder den Willen noch die Möglichkeiten, den von ihnen beherrschten Raum zu normieren. Kulturell, sprachlich, ethnisch, religiös und rechtlich sind Imperien nicht kompakt, sondern äußerst vielgestaltig – und sie bleiben es auf Dauer. Imperien üben, was Nationalstaaten nicht können, »strukturelle Toleranz«, die nicht mit laissez faire verwechselt werden sollte. Zugleich verzichten sie auf die Gleichverteilung ihrer Herrschaft im Raum: Ihre Herrschaftsintensität ist idealtypisch im Zentrum am höchsten und nimmt zur Peripherie hin immer weiter ab, bis sie – in Klientelkönigreichen, Vasallen- und Satellitenstaaten – kaum noch zu spüren ist. Imperien haben deshalb auch keine klar definierte Grenze im Sinne von englisch border. Ihre Herrschaft läuft an den Rändern in breiten Grenzsäumen – englisch frontier – aus, gestaffelt von direkteren zu immer indirekteren Formen. Nur scheinbar im Widerspruch dazu steht, dass der Herrschaftsanspruch von Imperien in aller Regel global ist: Der Kaiser regiert nicht in diesem oder jenem Land, er ist überall der Kaiser.

Diesen Anspruch erhob auch der erste Princeps. Seine Herrschaft war imperium sine fine, wie Vergil im ersten Gesang der Aeneis formulierte: ein Reich ohne Grenze in Zeit oder Raum. Sonst aber entfernte sich das römische Imperium, das seine Existenz tatsächlich nackter Gewalt verdankte, in rasendem Tempo von dem, was ein Imperium ausmachte: Es ließ, durch großzügige Verleihung seines Bürgerrechts, die Grenze zwischen Herrschern und Beherrschten verschwimmen, es entwickelte eine zivilisatorische Sendung, die attraktiv war auch für Kreise, die nicht den Reichseliten angehörten, und es besaß mit dem Mythos ein universelles Koordinatensystem für Identität. Romanisierung lief, anders als modernes nation-building, nicht auf totale Homogenisierung, sondern auf komplexe Hybridbildungen überall im Reich hinaus. Aber die Bewohner des Imperiums verstanden sich mit jedem Tag mehr als Angehörige einer Schicksalsgemeinschaft, die Rom zu Dank verpflichtet war.

II          Caesar Augustus: Die Wiedergeburt der Republik

 

 

Am Morgen des 15. März war der Diktator unschlüssig. Die ganze Nacht hatten ihn Albträume geplagt. Sollte er der Senatssitzung beiwohnen, die im Theater des Pompeius auf dem Marsfeld anberaumt war – ausgerechnet in dem prachtvollen Marmorbau, den sein großer Gegner Pompeius 55 v. Chr. eingeweiht hatte? Seine Frau Calpurnia riet ihm ab; ein eilig hinzugezogener Augur warnte gar: »Hüte dich vor den Iden des März.«1 Caesar ging dennoch – nachdem Decimus Brutus, einer der Verschwörer, die Bedenken des Augurs als Hokuspokus abgetan hatte. Als er schon die Stufen zum Theater emporschritt, steckte ihm ein Unbekannter eine Schriftrolle mit einer Warnung zu; Caesar reichte sie achtlos an einen Adlatus weiter. Minuten später war der Diktator tot, durchbohrt von 23 Dolchstichen seiner Mörder.

1           Erbe des Diktators

Was war geschehen? Caesar war, seitdem er in der Schlacht bei Munda 45 v. Chr. den letzten Widerstand der zuvor um Pompeius gescharten optimatischen Opposition gebrochen hatte, unangefochtener Herrscher über die römische Welt. Bereits 46 v. Chr. hatte er sich selbst zum Diktator ernannt, im Februar 44 fügte er dem Titel die Ergänzung perpetuo – »auf Dauer« – hinzu. Caesar tat aller Welt kund, dass er zu Lebzeiten von der Allmacht nicht mehr zu lassen gedachte.

In der politischen Tradition der römischen Republik verankert war seine Stellung damit noch nicht. Im Gegenteil: Die Diktatur, ohnehin ein Relikt aus vergangenen Zeiten, war ihrem Wesen nach eine Magistratur mit de-facto-monarchischer Machtvollkommenheit – aber auf Zeit. Die Außerkraftsetzung der zeitlichen Befristung war ein Bruch mit dem Althergebrachten, dem mos maiorum, und somit für traditions- und standesbewusste Senatoren eine Ungeheuerlichkeit. Allmählich dämmerte es auch politischen Weggefährten des Diktators – darunter vielen jüngeren Männern, deren Karriere er selbst eifrig befeuert hatte –, dass die Spitzenposition im republikanischen Machtgefügt auf unabsehbare Zeit ein anderer, Caesar eben, besetzen würde. Deshalb schrieben sich etliche von ihnen im Geheimen die Losung republikanischer Freiheit auf die Fahnen: »Freiheit«, das war die wenigstens theoretische Möglichkeit für den Einzelnen, für einen historischen Moment alle anderen an Ehre zu übertreffen. In diesem Ziel konvergierte das Handeln eigentlich so unterschiedlicher Männer wie Gaius Trebonius, Gaius Cassius Longinus, Marcus Iunius Brutus und Decimus Brutus, die sich alle durch Caesar in ihren aristokratischen Begriffen von Würde, Ehre und Rang – lateinisch dignitas – herausgefordert sahen.

Das Freiheitsprojekt der Caesarmörder war bereits in den Minuten, da Caesar erkaltend auf dem Marmorfußboden des Pompeius-Theaters lag, auf ganzer Linie gescheitert. Hals über Kopf flüchteten sie aus dem Theater, in dem die schicksalhafte Senatssitzung stattgefunden hatte, auf das Kapitol; unterdessen ließ Lepidus, ein alter Gefolgsmann Caesars, auf dem Forum Romanum Soldaten aufmarschieren. Statt selbst das Heft des Handelns an sich zu reißen, überließen Brutus, Cassius, Decimus Brutus und ihre Mitverschworenen dem Konsul Marcus Antonius die Initiative, den sie, ihr schwerster politischer Fehler, am Leben ließen. Gegen die Zusicherung von Straffreiheit handelten sie mit Antonius aus, dass die politischen Maßnahmen des Diktators, die sogenannten acta Caesaris, darunter viele Personalentscheidungen, Bestand haben sollten; außerdem sollte sein Testament verlesen, Caesar ordnungsgemäß bestattet werden. Prompt wurde der verblichene Diktator von der Volksmasse, die aus seinem Erbe großzügige Geldzuwendungen erhielt, frenetisch gefeiert, als sich am 20. März der Trauerzug durch Rom bewegte und sein Leichnam feierlich verbrannt wurde. Für den Plan der Caesarmörder, die alte Republik wiederherzustellen, verhieß das nichts Gutes.2

Antonius war der neue starke Mann Roms, und kein Weg schien an ihm vorbeizuführen, wenn man sich die Frage stellte, wer Caesars Nachfolge antreten solle. Ihm gehorchten die Soldaten, ihm folgten die Veteranen, ihm jubelte die römische Plebs zu, mit ihm konnten sich auch – und vor allem – die im Senat inzwischen zahlreich vertretenen Caesarianer arrangieren, die er mit seinem militärischen Charisma um Haupteslänge überragte und deren Frontmann er folglich war. Geschickt hatte er die – wohl mindestens teilweise von ihm gefälschten – acta Caesaris dazu benutzt, sich die Loyalität einflussreicher Persönlichkeiten zu sichern. 83 v. Chr. geboren, befand sich der noch nicht 40-jährige im Zenit seines politischen Erfolgs, nachdem er die Krise unmittelbar nach Caesars Ermordung gemeistert hatte.

Freilich war da noch Caesars Testament, und mit ihm kam ein Akteur in die römische Politik, mit dem Antonius wohl am wenigsten gerechnet hatte: Per testamentarischer Verfügung hatte der Diktator, der keinen legitimen Sohn besaß, die postume Adoption seines Großneffen Gaius Octavius verfügt, des Sohnes seiner Nichte Atia. Der junge Gaius, gerade 18-jährig, hielt sich im Frühjahr 44 im epirotischen Apollonia auf, wo er sich Caesars Heer anschließen sollte, dessen Aufbruch zum geplanten Partherfeldzug unmittelbar bevorstand, als Caesar im März ermordet wurde. Kaum hatte die Nachricht von Caesars Ermordung Apollonia erreicht, schiffte sich der junge Mann nach Italien ein. Noch auf der Reise kam ihm zu Ohren, dass er der Erbe war und dass Caesar ihn adoptiert hatte. Außer der Tatsache, dass er nun Caesars Sohn war, hatte Gaius nichts vorzuweisen, was ihn für eine führende Rolle in Rom qualifizierte. Wie konnte er das kolossale Erbe des Diktators antreten? Andererseits: Wie konnte er es ausschlagen? Allein seine Berücksichtigung im Testament machte Gaius für die Mächtigen der römischen Politik zu einem Unsicherheitsfaktor. Früher oder später hätte man ihn beseitigt.3

Soviel war auch Gaius klar. Kaum in Italien angekommen, nahm er die Adoption an und nannte sich fortan, wie der Diktator, Gaius Iulius Caesar. Schnell streckte er seine Fühler zu Persönlichkeiten aus, deren Wort in Rom Gewicht hatte: zu Cicero vor allem, den Caesar politisch kaltgestellt hatte und der jetzt die Chance witterte, auf die politische Bühne zurückzukehren. Als unliebsamen Konkurrenten nahm den jungen Caesar hingegen Antonius wahr. Im Herbst spitzte sich der Konflikt zwischen den beiden Exponenten der Caesar-Partei soweit zu, dass Legionen gegeneinander in Marsch gesetzt wurden. Hätten die Soldaten nicht den Gehorsam verweigert, wäre der Bürgerkrieg ausgebrochen. Schon meinte die Senatsmehrheit um Cicero, in dem jungen Caesar über einen willfährigen, leicht lenkbaren Bundesgenossen zu verfügen, da vollführte der eine halsbrecherische Volte und schloss einen Pakt mit Antonius. Formal ratifiziert wurde das Bündnis, das der alte Caesar-Gefolgsmann Lepidus zum Triumvirat erweiterte, Ende Oktober 43 v. Chr. Gestützt auf ein Ermächtigungsgesetz, die lex Titia, konnten die drei Männer in dem Gebilde, das von der Republik noch übrig war, frei schalten und walten. Als erstes rächten sie sich an ihren Gegnern: Die neue Proskriptionswelle kostete 300 Senatoren und über 2 000 Ritter das Leben. Eines der ersten Opfer war der standhafte Republikaner Cicero.

Unterdessen hatten die Caesarmörder einer nach dem anderen die Flucht ergriffen. Brutus und Cassius setzten sich in den Osten ab, wo sie ihre Kräfte neuformierten und Geld für die Kriegskasse sammelten. Im Spätsommer 42 v. Chr. setzten sie mit einer ansehnlichen Armee über den Hellespont, ihr Ziel: Italien. Bei dem makedonischen Ort Philippi trafen sie auf das von Antonius und dem jungen Caesar kommandierte Heer; aus der Doppelschlacht, die im Herbst 42 entbrannte, gingen die Triumvirn als Sieger hervor: Die römische Welt gehörte Antonius und dem jungen Caesar; Lepidus wurde immer mehr an den Rand gedrängt und schließlich 36 v. Chr. ganz entmachtet. Von der Machtfülle aus der Erbmasse des ermordeten Diktators Caesar blieb ihm nur das Amt des Pontifex maximus, als der er dem höchsten Priesterkollegium vorstand. Da hatte Caesars Adoptivsohn schon seinen Vornamen Gaius abgelegt und sich stattdessen »Imperator« genannt.

Auch die Allianz zwischen Antonius, der die Osthälfte des Reiches beherrschte, und dem jungen Caesar, dessen Domäne der Westen war, konnte nur ein Bündnis auf Zeit sein. Eine Machtteilung auf Dauer kam für keinen der beiden Protagonisten in Frage. Schon 40 v. Chr. war ihr Verhältnis soweit zerrüttet, dass es fast zum Krieg gekommen wäre. Das Klima im Triumvirat verschlechterte sich weiter, nachdem Antonius Anfang 35 v. Chr. die Ehe mit Octavia, der Schwester des Imperators, aufgekündigt und eine Partnerschaft mit der ägyptischen Königin Kleopatra eingegangen war, der er politisch weitreichende Zugeständnisse machte. Mit diesem Verhalten lieferte Antonius seinem Widersacher den willkommenen Vorwand, die Kriegsfanfaren zu blasen. Der junge Caesar, dessen Adoptivvater bereits 42 v. Chr. unter die Götter erhoben worden war und der sich seither Divi filius, Sohn des Vergöttlichten, nannte, ließ ganz Italien einen Eid auf seine Person ablegen und sich so das Mandat für die bevorstehende finale Auseinandersetzung mit Antonius geben: Im Spätsommer 31 v. Chr. prallten die Flottenverbände der verfeindeten Ex-Triumvirn vor der nordwestgriechischen Küste bei Actium frontal aufeinander. Die Konfrontation endete für Antonius und Kleopatra mit totaler Niederlage. Beide flohen nach Ägypten, wo sie sich 30 v. Chr. den Tod gaben. Wie anderthalb Jahrzehnte zuvor der Diktator Caesar, so herrschte jetzt sein Adoptivsohn allein über die römische Welt. Und genau wie der ältere stand jetzt der junge Caesar vor dem Problem, seiner Allmacht Legitimität und Dauer zu verleihen – kurz: sie in Herrschaft zu überführen.

2           Erster Mann

Der Sieger von Actium feierte seinen Sieg ausgiebig: Die Römer wurden im August 29 v. Chr. Zeugen eines dreifachen Triumphzugs durch ihre Stadt; zugleich begann der Dichter Vergil sein dem jungen Caesar als neuem Gründer Roms huldigendes Nationalepos Aeneis. Im Jahr darauf bekleidete der junge Caesar, wie schon in den vorangegangenen Jahren, den Konsulat – es war sein sechster. Die – seit den Tagen des alten Marius – präzedenzlose Aneinanderreihung höchster Ämter offenbarte das Dilemma, in dem sich der allein übrig gebliebene Machthaber befand. Von der Macht lassen durfte er nicht, indes: sie demonstrativ nach außen kehren, gegen alle Prinzipien des mos maiorum, das konnte er auch nicht. Soviel immerhin hatte das warnende Beispiel des ermordeten Großonkels gelehrt.

Der junge Caesar fand eine ebenso einfache wie überzeugende Lösung des Problems: Am 13. Januar des Jahres 27 v. Chr. gab er, in einer denkwürdigen Senatssitzung und wieder als Konsul, die außerordentlichen Befugnisse, die er als Triumvir usurpiert hatte, an Senat und Volk von Rom zurück. Zugleich mit dieser prachtvoll inszenierten »Wiederherstellung« der Republik erhielt er, vorerst begrenzt auf zehn Jahre, die Amtsgewalt eines Prokonsuls (imperium proconsulare), die ihm faktisch den Oberbefehl über jegliches Militär im Reich eintrug. Drei Tage später verlieh ihm der dankbare Senat den Ehrennahmen Augustus (der »Erhabene«) und beschloss weitere Ehrungen für den Mann, der sich nun schlicht princeps nannte: der »Erste«. Die beiden Senatssitzungen waren der eigentliche Gründungsakt für die Institution, die wir in Ermangelung eines besseren Begriffs den »Prinzipat« nennen. Augustus selbst schrieb am Ende seines Lebens in seinem Tatenbericht, den Res gestae, ab diesem Tag habe »er alle an Autorität« überragt, »an Amtsgewalt« aber nicht mehr besessen als seine Kollegen in der jeweiligen Magistratur.4

Die Architektur des Prinzipats war damit keineswegs fertig. Im Gegenteil: Augustus und viele seiner Nachfolger bauten weiter an dem Gebäude. Vor allem Rolle des Princeps war stetig im Fluss und wandelte sich nicht zuletzt mit den Persönlichkeiten, die an der Spitze des römischen Imperiums standen. Mit der Rückgabe der usurpierten Befugnisse und der von dem nunmehrigen Augustus proklamierten Rückkehr zur republikanischen Ordnung war ein neuer Anfang gemacht; war eine »Schwelle« überschritten, hinter welche die römische Welt nicht mehr zurückkonnte. Unumkehrbar war die Bewegung auf gleich drei Ebenen: Die zur Herrschaft verfestigte Allmacht eines Einzelnen schuf, erstens, die Stelle des »ersten Mannes«, die zwar rechtlich bewusst vage gehalten war, für die es aber dennoch früher oder später einer Nachfolgerregelung bedurfte. Außerdem bedurfte der Princeps einer, zunächst vollkommen auf ihn persönlich zugeschnittenen und auch nur rudimentären, zentralen Bürokratie, wie sie die Republik nicht gekannt hatte. Zweitens wandelte sich das Verhältnis zwischen Rom und den Provinzen von Grund auf: Aus dem Räuberstaat, der die Republik im Prinzip gewesen war, mit einer faktisch rechtlosen nichtrömischen Bevölkerung in den Provinzen wurde zunehmend ein politisch, rechtlich, sozial, kulturell und auch wirtschaftlich integriertes Gemeinwesen, dem insgesamt die Fürsorge des Princeps zu gelten hatte. Drittens änderte sich radikal und im Lauf weniger Jahre die, wenn man so will, außenpolitische Doktrin Roms. Imperium sine fine dedi, »ich habe ihnen ein Reich ohne Grenzen gegeben«, ließ der Dichter Vergil den Göttervater Jupiter sagen. Der Satz war politisches Programm: In Zeit wie Raum sollte die Herrschaft der Römer ihrem Selbstverständnis nach unendlich sein.5

Selbstverständlich war auch die Republik expansiv gewesen. Doch hatte sie kein expansives »Programm« gekannt, das ihre Politik hätte steuern können. Ob sie sich in militärischen Konflikten engagiert hatte, war von den persönlichen Ambitionen ihres politischen Personals, von der Beutegier der breiten Masse oder vom Sicherheitskalkül des Senats abhängig gewesen. Jetzt, unter Augustus, zielte römische Politik planmäßig auf territoriale Arrondierung. Das bekamen die Nachbarn unverzüglich zu spüren: Nach dem Sieg über Antonius und Kleopatra wurde Ägypten sogleich als neue Provinz annektiert (30 v. Chr.); der Präfekt Ägyptens, Gaius Aelius Gallus, drang auf der Arabischen Halbinsel bis auf das Gebiet des heutigen Jemen vor (25–24 v. Chr.); sein Nachfolger Gaius Petronius führte Krieg gegen das nubische Königreich Kusch mit seiner Hauptstadt Meroë (24–22 v. Chr.); der Prokonsul Lucius Cornelius Balbus besiegte die Garamanten in der Saraha (21–20 v. Chr.); Augustus bereitete einen Eroberungsfeldzug gegen die Parther vor, dem indes ein Verständigungsfriede zuvorkam (20 v. Chr.); Agrippa unterwarf die noch freien Stämme auf der Iberischen Halbinsel (19 v. Chr.); Augustus’ Stiefsöhne Tiberius und Drusus eroberten den Alpenraum (15 v. Chr.), Pannonien (12–11 v. Chr.) und, nach und nach, Germanien rechts des Rheins (12 v. Chr.–9 n. Chr.).

3           Pax Augusta

Das »Programm«, in dessen Namen die Expansionskriege geführt wurden und mit dem Augustus die Lücke zwischen universalem Herrschaftsanspruch und politischer Realität zu schließen bemüht war, hieß Pax Augusta: »augusteischer Friede«. Was mit Friede gemeint war, enthüllt die überlebensgroße Panzerstatue des ersten Princeps, die in dem kleinen Ort Primaporta nördlich von Rom auf dem Gelände der Villa der Livia gefunden wurde. Der reliefierte Brustpanzer zeigt in der Mitte eine Szene der Unterwerfung: Ein bärtiger Mann (rechts) übergibt einer Gestalt in militärischem Ornat (links) ein römisches Feldzeichen. Darüber breitet Caelus das Himmelszelt aus, Aurora und Luna schauen zur Erde herab und der Sonnengott thront auf seinem Wagen; unten ruht Tellus, die Göttin der Erde; zu ihrer Linken und Rechten reiten auf Hirschen die göttlichen Geschwister Apollo (links) und Diana (rechs); über ihnen an den Flanken sind weibliche Personifikationen der tributpflichtigen (links) und der bereits in das Imperium integrierten (rechts) Völker zu sehen.

Als historischer Bezugspunkt des Bildes lässt sich unschwer der Friedensvertrag mit den Parthern 20 v. Chr. ausmachen. Das Abkommen bestimmte unter anderem die Rückgabe der Feldzeichen, die 53 v. Chr. der Triumvir Crassus in der Schlacht von Karrhai an die Parther verloren hatte. Der Friede war ein Friede zwischen Gleichen, zwei antiken Großmächten, die auf Augenhöhe miteinander verhandelt hatten. Die römische Öffentlichkeit bekam eine andere Version der Ereignisse geboten. In den Bildern und Texten wurde, wie auf der Panzerstatue, aus dem Friedensschluss ein Sieg, aus dem Ausgleich ein Triumph. Die Poeten besangen die Niederlage der Parther: Von den Feldzeichen, die man den »hochmütigen Parthern entrissen« habe, schwadronierte etwa der Hofdichter Horaz. Münzen kündeten von den wiedererlangten Feldzeichen und man gelobte einen Tempel für Mars Ultor, den »Rächer«, zu bauen. Horaz hatte sich die Deutung des Princeps zu eigen gemacht. Die Parther hätten »um die Freundschaft des römischen Volkes gebettelt«, notierte der später in den Res gestae.6

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Abb. 2.1: Panzerstatue des Augustus, 20 v. Chr. Marmor. Aus Primaporta bei Rom. Rom, Vatikanische Museen.

Pax Augusta war gleichbedeutend mit Pax Romana: ein Friede, der die Brechung jedes Widerstands von außen bedeutete und mit Waffen erzwungen wurde. Symbolischen Ausdruck gab der pax in der Stadt Rom die Schließung der Türen zum Janustempel. In den Res gestae rühmt sich Augustus, dieser Ritus sei in seiner Zeit als Princeps dreimal vollführt worden, während vor ihm die Türen überhaupt nur zweimal geschlossen worden seien. Indes war Augustus nicht nur Garant für den Frieden nach außen; er gewährleistete auch den inneren Frieden, den die Wirren, Umstürze und Bürgerkriege der Zeit zwischen den Gracchen und Actium so furchtbar erschüttert hatten. Fides, pax, honos, pudor und virtus hätten durch Augustus in die römische Welt zurückgefunden: Vertrauen, Friede, Ehrgefühl, Anstand und Mannhaftigkeit, schmeichelte Horaz im carmen saeculare dem Princeps. Das Gedicht war ein Auftragswerk, das Horaz aus Anlass der Säkularfeiern komponierte, mit denen Augustus 17 v. Chr. das neue, goldene Zeitalter einläuten ließ, das sich mit seinem Namen verbinden sollte.7

»Friede« also war das große Generalthema, unter das Augustus seine Herrschaft gestellt wissen wollte. Dem Leitgedanken gab am sinnfälligsten die Ara Pacis Augustae Ausdruck. Den Auftrag zum Bau dieses Altars für den Augusteischen Frieden erteilte 13 v. Chr. der Senat; eingeweiht wurde das Bauwerk auf dem Marsfeld 9 v. Chr. Die Reliefs der Umfassungsmauer, die in bedeutenden Fragmenten erhalten sind, stellen Symbole der Macht und der Herrlichkeit Roms – den mythischen Stammvater Aeneas ebenso wie die Fruchtbarkeit spendende Tellus – dar und dazwischen, an der Süd- und Nordseite, eine Prozession römischer Würdenträger. Mitten im Zug der Togaträger befinden sich Angehörige der kaiserlichen Familie, die hier buchstäblich den Schulterschluss mit der traditionellen senatorischen Elite demonstrieren. Welches bessere Bild für den inneren Frieden und die Eintracht, die Früchte augusteischer Herrschaft, ließe sich denken?

Friede, pax: War das ein ingeniös ersonnener Propagandatrick, mit dem Augustus, der mit Medien wahrlich virtuos zu operieren wusste, die Bevölkerung und besonders die Senatoren einlullte? War die »Wiederherstellung« der Republik nichts als eine Lüge, auf der, als Fundament, die Gewaltherrschaft eines Despoten ruhen sollte? So sehen es, vor allem in der angelsächsischen Welt in den Fußstapfen von Ronald Syme, viele Forscher, und so beurteilten es auch, wenngleich etwas verklausuliert, einige durchaus hellsichtige Intellektuelle der römischen Kaiserzeit, allen voran der Senator und Geschichtsschreiber Tacitus. Doch so einfach ist es nicht. Nach einem Jahrhundert des Mordens und Brennens, nicht selten im Namen der republikanischen Freiheit, war Caesars Adoptivsohn für viele, auch die große Mehrheit der Senatoren, ihre letzte Hoffnung. Die ganze römische Welt, keineswegs nur die wenigen Juden, sehnte in den Jahrzehnten vor der Zeitenwende das Kommen eines Heilands herbei. Dass dieser Heiland in Gestalt des Caesar Augustus gekommen sein sollte, der ja seit der Vergottung seines Adoptivvaters ohnehin schon in einer göttlichen Sphäre wandelte, war so unplausibel nicht.8

Auch dass Augustus nicht Totengräber, sondern Wiederaufrichter der Republik gewesen sein wollte, konnte seinen Zeitgenossen durchaus einleuchten. Schließlich war er gerade nicht, wie Ronald Syme 1939 unter dem Eindruck seiner eigenen Gegenwart gemeint hat, der skrupellose Parteiführer, der die Republik unter seiner »Revolution« begraben hatte. Im Gegenteil: Die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse, die Exklusivität der senatorischen Elite, der moralische Rigorismus des mos maiorum, die religiöse Ordnung – all das blieb unangetastet. Trotz – oder gerade wegen – der Opfer, welche die Politik des Triumvirn in ihren Reihen gefordert hatte, war es für die Masse der Senatoren eine logische Handlungsoption, sich um des lieben Friedens willen dem Princeps unterzuordnen und auf Dauer seine Führungsrolle zu akzeptieren. Im Gegenzug vermied es Augustus in weiser Zurückhaltung, diese Führungsrolle allzu deutlich zu machen. Im Verzicht auf das Explizitwerden der faktischen Monarchie bestand sein Zugeständnis an die alte Führungsschicht. In diesem sensiblen Punkt hatte er von Caesar gelernt, der den Griff nach dem Diadem, den er zwar nicht symbolisch, wohl aber faktisch gewagt hatte, mit dem Leben bezahlt hatte.

Die »Autorität«, von der Augustus im Tatenbericht spricht, ruhte also auf mehreren Säulen: erstens auf dem Oberbefehl über die Legionen, den bereits die lex Titia den Triumvirn übertragen hatte und der ab 27 v. Chr. im Augustus zunächst befristet, später auf Dauer verliehenen imperium proconsulare eingeschlossen war; zweitens auf dem gemeinsamen Stillschweigen darüber, wer wirklich die Macht in Händen hielt; drittens, damit verknüpft, auf dem glaubhaft versicherten Respekt für die im mos maiorum verkapselte traditionelle Ordnung; und viertens auf der Gewährleistung des Friedens nach innen wie außen. Legt man die Kategorien von Max Webers Herrschaftssoziologie an, dann enthielt der augusteische Prinzipat Elemente jedes der »drei reinen Typen legitimer Herrschaft«: Er beruhte gleichermaßen auf der »legalen Satzung« der Republik, auf dem Herkommen des mos maiorum und auf der besonderen Gnadengabe des Herrschers als Friedensbringer. Der Princeps war legaler, traditionaler und charismatischer Herrscher in einem.9

4           Der lange Schatten

Hierin lag seine besondere Stärke begründet, aber auch eine wesentliche Schwäche: Der Prinzipat war ein politisches System, das Augustus regelrecht auf den Leib geschneidert war. Das Charisma, in das die Pax Augusta ihren Namenspatron tauchte, war so unwiederholbar wie die Situation, aus welcher der augusteische Friede geboren war. Schon bald nach Actium zeichnete sich ab, dass der Tod des Princeps dereinst ein Vakuum hinterlassen würde, das niemand so leicht würde füllen können. 23 v. Chr. wäre die von Augustus so kunstvoll gezimmerte Herrschaftsordnung beinahe zusammengebrochen, als eine Verschwörung gegen das Leben des Princeps öffentlich wurde und in unmittelbarer zeitlicher Nähe dazu Augustus so schwer erkrankte, dass die Nachfolgefrage unmittelbar im Raum stand und er Agrippa, seinem engsten Freund, bereits den Siegelring aushändigte. Den Stein ins Rollen gebracht hatte eine Anzeige gegen den Senator Aulus Terentius Varro Murena, er trachte Augustus nach dem Leben. Murena war nicht irgendwer: Er gehörte zum Kreis der politischen Alliierten des Princeps, hatte den keltischen Stamm der Salasser in einem erfolgreichen Alpenfeldzug unterworfen und war mit Gaius Maecenas verschwägert, einem weiteren engen Freund des ersten Mannes. Vor allem bekleidete er gemeinsam mit Augustus den Konsulat des Jahres 23 v. Chr. Zum Zerwürfnis zwischen den beiden Kollegen im Konsulat kam es, als Murena Augustus in einem Gerichtsverfahren scharf anging, in dem er die Verteidigung des Angeklagten übernommen und in das sich der Princeps unter Überschreitung seiner Kompetenzen eingemischt hatte. Die Denunziation erfolgte also zu einem denkbar günstigen Zeitpunkt – Murena verschwand einfach von der Bildfläche.

Doch die Affäre hatte dem ohnehin gesundheitlich angeschlagenen Princeps schwer zugesetzt. Wer sollte dem vom Tode Gezeichneten nachfolgen? Im Nu sortierte sich der innere Machtzirkel des jungen Prinzipats nach Interessengruppen: hier die alte senatorische Elite, die eine vielleicht letzte Chance witterte, das Regiment eines Einzelnen abzustreifen; dort die alte und neue Verwandtschaft – Augustus’ Schwester Octavia mit dem 19-jährigen Marcellus, seinem Neffen, und seine Gattin Livia mit ihren Söhnen aus erster Ehe, Tiberius und Drusus. Dazwischen Agrippa, den er mit seinem Siegelring zum Erben benannte. Doch das Testament hielt Augustus unter Verschluss, die Frage der Nachfolge blieb offen. Am Ende stellte sie sich auch gar nicht. Der Kranke genas vom Fieber, geheilt durch die wundermächtige Wirkung kalter Bäder, die ihm sein Leibarzt verordnet hatte.

Ungeachtet der von nun an stählernen Gesundheit des Princeps: Die Krise hatte offenbar werden lassen, wie dringend das politisches System einer soliden Nachfolgeregelung bedurfte. Marcellus war Augustus’ nächster männlicher Verwandter, seit 25 v. Chr. mit dessen Tochter Iulia verheiratet und obendrein im Jahr 23 Ädil. Damit befand er sich in der Pole Position für die Nachfolge, doch starb der noch nicht 20-jährige bereits im Herbst 23 an einer Seuche. Die Wahl fiel nunmehr auf Agrippa, dem zwar der Makel nicht standesgemäßer Geburt anhaftete – er stammte aus dem ordo equester –, der aber mit Augustus bereits seit frühester Jugend eng befreundet war und seine Loyalität, seine Tatkraft sowie sein militärisches Können immer wieder unter Beweis gestellt hatte. Agrippa wurde füglich mit Iulia verheiratet. Die Ehe war mit Fruchtbarkeit gesegnet: 20 v. Chr. kam Gaius zur Welt, ein Jahr später die jüngere Iulia, 17 v. Chr. Lucius, 14 v. Chr. Agrippina und 12 v. Chr. Marcus junior, genannt Agrippa Postumus. Dessen Geburt erlebte der Vater schon nicht mehr; Agrippa, der während eines Balkanfeldzugs erkrankt war, starb wohl im März 12 v. Chr.

Für die Augustus-Nachfolge war er inzwischen, dank seines reichlich vorhandenen männlichen Nachwuchses, ohnehin entbehrlich geworden. In die Rolle des Kronprinzen rückte der jetzt 8-jährige Augustus-Enkel Gaius nach. Da der noch zu jung war, um im Falle eines Falles die Herrschaft zu übernehmen, wurde Tiberius, Livias Erstgeborener, als Zwischenlösung aufgebaut – zunächst gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Drusus, der jedoch 9 v. Chr. in Germanien vom Pferd stürzte und wenig später starb. Per Befehl des Familienoberhauptes musste Tiberius sich von seiner geliebten Gattin Vipsania Agrippina, der ältesten Tochter Agrippas aus erster Ehe, scheiden lassen und nun seinerseits mit Iulia eine dynastische Ehe eingehen. Die Konstellation barg erheblichen Zündstoff, denn in der Außendarstellung rückte Gaius Caesar immer weiter in den Vordergrund: Gaius wurde, gemeinsam mit seinem Bruder Lucius, von Augustus adoptiert (17 v. Chr.); er nahm, kaum 7-jährig, am »Trojaspiel«, einem Reiterspiel der Jugend, teil (13 v. Chr.); erhielt den Rang eines comes (»Gefährten«) Augusti (8 v. Chr.); das Volk wählte ihn zum Konsul, aber Augustus annullierte die Wahl und ernannte den 14-jährigen stattdessen zum Pontifex (6 v. Chr.); er legte die toga virilis an und erhielt den Titel princeps iuventutis (5 v. Chr.); im selben Jahr designierte man ihn für das Jahr 1 n. Chr. zum Konsul; schließlich entsandte man ihn, ausgestattet mit einem imperium proconsulare, auf eine diplomatisches Fingerspitzengefühl ebenso wie militärischen Sachverstand erfordernde Mission in den Osten (1 v. Chr.): Dort verhandelte er mit dem Partherkönig Phraates V., trat seinen Konsulat an und führte schließlich Krieg in Armenien, wo er sich am 9. September 3 n. Chr. eine Verletzung zuzog, deren Folgen er im Februar 4 n. Chr. erlag. Gaius’ jüngerer Bruder Lucius Caesar war zu diesem Zeitpunkt bereits tot; er war am 20. August 2 n. Chr. auf dem Weg nach Spanien in Massilia (Marseille) gestorben.

So war Tiberius, der von Augustus wenig geliebte Stiefsohn, der einzige verbliebene Erbe, der dem Princeps in dessen Herrscherrolle nachfolgen konnte. Dennoch ließ der mittlerweile 66-jährige Augustus sich Zeit. Statt dem Jüngeren unmittelbar den Weg zur Nachfolge zu ebnen, brachte er ein kompliziertes Adoptionskarussell zum Rotieren, das Tiberius brüskieren und seine Autorität schwächen musste. Livias Sohn kam nämlich nicht als Einziger in die Gunst, von Augustus adoptiert zu werden. Zum Adoptivsohn rückte auch der erst 15-jährige Agrippa Postumus auf, der jüngste Sohn aus der Ehe Agrippas mit Iulia. Außerdem befahl Augustus Tiberius zuvor noch, seinen Neffen Germanicus zu adoptieren, den 15 v. Chr. zur Welt gekommenen Sohn seines Bruders Drusus. Dabei hatte Tiberius mit dem jüngeren Drusus einen etwa gleichaltrigen Sohn, der ebenfalls für die Nachfolge in Frage gekommen wäre. Eine Herrschaftsordnung, die Augustus für die Zeit nach seinem Tod vorgeschwebt haben mag, wird aus diesem Arrangement nur schwer ersichtlich. Unverkennbar ist allerdings, dass der Princeps seinem designierten Nachfolger nicht allzu viel zutraute und Vorsorge bis in die übernächste Generation treffen wollte.10

Hinter Tiberius lagen Jahre der Demütigungen und des Kummers, als er mit Mitte Vierzig endgültig zum zweiten Mann hinter Augustus avancierte: Das Ehrgefühl eines vornehmen Römers musste angesichts der dauernden und mit den Jahren noch spürbarer werdenden Zurücksetzung hinter Gaius und Lucius Caesar revoltieren; die erzwungene Trennung von Vipsania Agrippina und die ebenfalls unfreiwillige Ehe mit Iulia, der Tochter des Princeps, waren enorme emotionale Hypotheken; und der Rückzug nach Rhodos, den Tiberius 6 v. Chr. aus mehr oder weniger freien Stücken antrat, dürfte ihn kaum mit dem Familienoberhaupt ausgesöhnt haben. 2 v. Chr. schließlich war Iulia des Ehebruchs angeklagt worden – eines Verbrechens, das Augustus selbst mit der 18 v. Chr. erlassenen lex Iulia de adulteriis coercendis mit Verbannung und Vermögenseinzug belegt hatte.

Die lex Iulia war Teil eines umfassenden Gesetzespakets gewesen, mit dem Augustus die nach dem Gefühl vieler auf den Hund gekommenen Moral restaurieren wollte. Neben der gerichtlichen Ahndung von Ehebruch sahen die Bestimmungen eine Pflicht zur Ehe für alle römischen Männer zwischen 25 und 60 bzw. Frauen zwischen 20 und 50 Jahren vor. Worum ging es Augustus? Vordergründig darum, honos, pudor und virtus, getreu den Worten des Dichters Horaz, wieder Geltung zu verschaffen, jenen uralten Säulen der römischen Gesellschaft. Nebenbei auch darum, den Blutzoll von Bürgerkriegen und

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Abb. 2.2: Kameo des Tiberius, 14–37 n. Chr. Sardonyx. Wien, Kunsthistorisches Museum.

Proskriptionen wettzumachen, den vor allem die Oberschicht entrichtet hatte. Ihrem Kern nach aber war die Moralgesetzgebung auch Teil des Pakts, den Augustus mit den alten republikanischen Eliten geschlossen hatte. Der Princeps brauchte die Senatoren, weil es jenseits ihres Standes kein Reservoir gab, aus dem er das Personal für die Spitzenpositionen seines Reiches hätte schöpfen können. Damit die Senatoren diese Funktion erfüllen konnten, hatten sie moralisch integer, ihre Familien intakt zu sein. Mit seiner Ehe- und Sittengesetzgebung appellierte Augustus gezielt an das konservative, einer strengen Auslegung des mos maiorum verpflichtete Wertesystem der alten republikanischen Elite. Dass seine eigene Familie einen hohen Preis für die inszenierte Tugendhaftigkeit zu zahlen hatte, nahm der Princeps billigend in Kauf.11

Des Princeps eigene Tochter wurde also in die Verbannung geschickt – und verbrachte den Rest ihrer Tage unter einfachsten Verhältnissen und strenger Aufsicht erst auf der kargen, vor der Küste Latiums liegenden Insel Pandateria, dann in Rhegion, an der Spitze des italienischen Stiefels. Ihr Mann, der sich von Rhodos aus für Iulia eingesetzt hatte, konnte nichts ausrichten – wie er überhaupt im politischen und gesellschaftlichen Roms keinerlei Rolle mehr spielte. Im Hochsommer des Jahres 2 n. Chr. kehrte ein innerlich verbitterter, politisch perspektivloser Tiberius nach Rom zurück. Kaum zwei Jahre später war derselbe Tiberius Adoptivsohn, Erbe und designierter Nachfolger des Mannes, der Rom erst mit Krieg und Gewalt überzogen und dann dauerhaft Frieden gestiftet hatte.

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Abb. 2.3: