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Kerstin Fischer

Die Fragen der mutlosen Seidenspinner

Gedichte

© 2018 Kerstin Fischer

1. Auflage 2018

Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359

Hamburg

ISBN:

978-3-7469-5028-0 (Paperback)

978-3-7469-5029-7 (Hardcover)

978-3-7469-5030-3 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Versuch über die Lyrik

Die Lyrik ist die zweite Stimme des Geistes. Als solche hat sie das Ohr an der grenzenlosen Vielschichtigkeit der Welt, denn sie kann fließende Übergänge erspüren, vor denen physikalische Gesetze versagen. Das öffnet Räume für neue Erfahrbarkeiten. Sie sind immer originell und die Möglichkeiten der Variationen, aus denen sie geboren werden, schier unendlich. Und diese Unendlichkeit kann zur Religion werden, da wo diese versagt, weil ihre Dogmen die filigranen Membranen des Geistes betäuben. Deshalb unterwandert die Lyrik auch die Zeit, weil die Zeit Methode hat und als solche infrage zu stellen ist. Die Lyrik stellt sie infrage, in dem sie in der Morgendämmerung den Abend sucht und umgekehrt. Ist der Morgen im Abend? Oder ist das Gestern eine Erfindung auf den Spiegeln des Heute? Und ist der Traum realer als die Wirklichkeit? Die Lyrik gibt dem Atem unserer Träume ihr Wasserzeichen. Und Wasserzeichen kann man am besten lesen, wenn man sie gegen das Licht hält. Und Lyrik kann man am besten lesen, wenn man sie gegen das schrille Einvernehmen zwischen Pragmatismus und Geschäftsgebaren einer derben Unterhaltungskultur liest, die leisen Räume in den lauten Konzerthallen sucht. Und wer genau hin liest, entdeckt dabei seine eigene, unverwechselbare Musik, die sein Gestern, sein Heute und sein Morgen wie weiße Muscheln in zeitlose Meere sinken lässt, die nur ihm gehören.

Gläserne Küsse. Rosa

Menschen treiben durch die Risse in meinem Glück

in der Hektik der Milchstraße.

Ich verrühre die Zeit in meinem Kaffee und lasse Zucker in ihr Ende fallen.

Die Würfel sind sprachlos.

Ich vermisse die Furcht.

Sie hat sich unter der Kirschblüte verkrochen

auf den stummen Wegen im Herzen der Vorgärten,

die nichts versprechen wollen, an diesem Tag,

der über das Leben im Tod entscheidet,

egal ob er lacht oder weint in eigentlich grundlose Fragen.

Endlichkeit sonor

Die alte Frau in dem Café.

Ich schlüpfe in die Verstecke ihres Gesichts,

öffne die Türen ihrer Wohnung und zähle die Gerüche.

Der Staub ist parfümiert. Der Zerfall neurotisch.

Er spiegelt sich in den Böden der Krankenhäuser.

Tasse um Tasse in den Schränken. Sammeltasse.

Kriegstasse angeschlagen.

Ihre Erinnerung bricht wie ein morscher Ast.

Ihre Hände, zitternde Schmetterlinge.