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Nadine Roux

Süßer Lavendel - Rückkehr in die Provence

Teil 2





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Zuvor

 Immobilienmaklerin Laura soll eigentlich Urlaub machen, meint ihr Chef. Doch Laura hasst Urlaub. Dummerweise hat sie sich im Gespräch mit Kunden einen dicken Schnitzer geleistet, sodass ihr keine andere Wahl bleibt, als ein paar Tage Auszeit zu nehmen. Zum Glück bekommt sie einen Spezialauftrag, der sie ganz nebenbei in die Provence führt. Dort steht ein Lavendelhof kurz vor der Insolvenz. Das perfekte Objekt für ihre Kunden! Doch dann wird sie angefahren und wacht erst auf der Farm eines Landwirten auf, der ebenfalls ziemlich pleite ist. Es stellt sich nicht nur heraus, dass Bauer André derjenige war, der Laura angefahren hat, sondern auch noch, dass ihr Portemonnaie beim Unfall nicht einfach verloren gegangen ist. Zu allem Überfluss macht Lauras Herz, was es will und sie steckt in einer Zwickmühle, die sie gar zurück nach Hamburg führt. Aber man sieht sich immer zweimal im Leben...

Kapitel 1: Sie haben eine neue Nachricht

André fragte sich, ob es einen Scherz-Preis für unbequeme Sitzmöbel gab. Wenn ja, dann hätte Lauras weißes Ledersofa diesen mit weitem Abstand gewonnen. Seit drei Stunden versuchte er ein wenig Schlaf zu finden, doch das Polster hatte den Status eines Bretts. Tat ihm die Hüfte weh, musste er sich geräuschvoll zur Seite drehen. Sein bester Freund Benjamin lag auf der anderen Hälfte des L-Sofas, ihm schien es genauso zu gehen. Trotzdem herrschte zwischen ihnen wortlose Stille in der Dunkelheit, unterbrochen von gelegentlichen Seufzern und dem Horchen, ob Laura nebenan noch schlief. Ihr Fieber war gesunken, in ein paar Tagen würde es ihr besser gehen und André zweifelte nicht daran, dass sie später zurück in die Provence kommen würde. Er hatte es in ihren Augen gesehen, trotz des Fiebers. Ein Glück, dass er und Benjamin gerade jetzt nach Hamburg gekommen waren, um sich zu entschuldigen.

In dieser unruhigen Nacht dachte er zurück an die vergangene Woche. In der Nachbargemeinde hatte ein Waldbrand Landschaft und Orte bedroht, die anhaltende Dürre ließ ahnen, dass es auch bald Saint-Jacques-les-Monts erwischen könnte. Und trotzdem hatte Benjamin nicht locker gelassen.

„Du musst sie zurückholen. Glaub mir, du musst. Für diesen Rat wirst du mir später auf Knien rutschend danken!“ So vehement kannte er Ben gar nicht, aber er schien etwas zu wissen, was André nur geahnt hatte: Laura war nicht irgendwer. Sie war faszinierend, aufregend, anders. Aber dafür tausende von Kilometern fliegen, mitten in der Lavendelernte und mit einem aufziehenden Feuer vor sich? Als André sich wieder einmal von einer Seite auf die andere wälzte, wurde ihm bewusst, dass er vor allem wegen Ben hier war. Er musste sich eingestehen, dass er diese ganzen Strapazen ohne ihn nicht auf sich genommen hätte. Ja, Laura war schon toll. Aber… war sie wirklich so toll? Er dachte an Francine mit den Sommersprossen, Diane mit den seidig schwarzen Haaren, Lucienne mit dem glockenklaren Lachen. Wer garantierte ihm, dass Laura besser war als sie alle zusammen? Die Erfahrung mit Sabine stieß ihm immer noch sauer auf. Seiner Frau. Seiner bald Ex-Frau, die ihn unglücklicherweise mit Laura erwischt hatte.

Laura hustete nebenan. André nahm es als willkommenes Zeichen, sich von dem unmöglichen Designer-Sofa zu lösen und nach ihr zu sehen. Konnte diese bissige Deutsche ihm geben, was er brauchte? Er dachte an Sabine und wie glücklich sie miteinander gewesen waren, bevor all das mit dem Lavendelhof geschah, der ungewollten und doch unverhandelbaren Erbschaft seiner Mutter. Wie sie die Wochenenden durchtanzt und dann den Sonntag im Bett verbracht hatten. Sabines Haar, das am besten aussah, wenn sie gerade aufgewacht war.

Sein Handy leuchtete auf, als er auf halbem Weg zu Laura war. Eine Nachricht.

Liebling, ich sehe gerade unsere alten Fotos durch und muss an dich denken. Hast du nächste Woche Zeit?

Eine Nachricht von Sabine.

 

Kapitel 2: Die zwei Seiten einer Münze

 Laura hatte die Worte ihrer Mutter noch ihm Ohr. „Kind!“, hatte sie mit diesem Unterton gesagt und damit eigentlich gemeint: Du bist wahnsinnig geworden! Aber dann hatte sie ihr doch erlaubt, ihre Kartons auf den Dachboden des elterlichen Hauses zu stellen. Viele waren es nicht, denn Lauras persönliche Dinge beschränkten sich auf einige Fotos und Kitsch, den sie mal geschenkt bekommen hat. Aber geschenkt war geschenkt, sie brachte es nicht übers Herz, die Porzellan-Hunde, Kerzenständer und Briefbeschwerer wegzuwerfen. Nur die Ohne-dich-ist-alles-doof-Tasse hatte sie erst spät hineingeworfen. Die Herzchenkarte mit „Für Laura“ steckte noch darin. Sie hatte ihrem Chef Peter nicht geantwortet. Es war Zeit für einen echten Schlussstrich und es fühlte sich seltsam gut an. Für genau einen Tag.

Vierundzwanzig Stunden, nachdem Laura Hamburgs Nieselregen in Richtung Provence hinter sich gelassen hatte, bereute sie es. Alles.

Kind! Du kannst doch nicht!

Doch, konnte sie. Doch, hatte sie. Leider. Ihre Wohnung verkauft, ihre Möbel gespendet, Klamotten weggeworfen. Mit einem einzigen Koffer stand sie nun auf dem Flughafen von Marseille. Die Sonne schien unerbittlich, als Laura wartete. Eine Stunde, zwei Stunden.

Kind! Du stürzt dich ins Verderben!

Indem sie Hamburg für immer verließ? Nein, das sicher nicht. Aber indem sie Hamburg verließ für den Kerl, der sie nun auf dem Flughafen sitzen ließ. Drei Nachrichten hatte sie ihm bereits geschickt, aber keine Antwort erhalten. Stattdessen versetzten die blauen Lesebestätigungshaken hinter ihren Worten ihr einen Stich nach dem anderen. Dann klingelte das schwarze Ding plötzlich.

„Kind, ist alles in Ordnung bei dir? Bist du schon da?“ Die Stimme ihrer Mutter hallte, Laura sah sie förmlich vor sich in der riesigen Altbauwohnung, in der sie selber aufgewachsen war. Und in die sie nicht gehört hatte, nicht mit dieser Familie. Sie musste sich zusammenreißen, nur kurz. Der Ärger darüber, einfach unbedacht abgehoben zu haben, in der Hoffnung, es sei André, ließ ihre Stimme auch noch zittern.

„Ja, Mama. Alles in Ordnung.“

„Ist das Wetter schön?“

Na toll, ihre Mutter hatte sie glauben lassen, sie fliege in ihr Verderben und würde sich in die Arme eines potentiellen Vergewaltigers werfen, und dann fragte sie einfach nach dem Wetter.

„Das Wetter ist gut. Sonnig.“ Sie lief ein wenig vor dem Flughafengebäude auf und ab, das würde helfen.

„Wie schön, Laura-Schatz. Hast du eigentlich ein eigenes, abschließbares Zimmer da auf der Lavendelfarm?“

Diese Frage war eindeutig zu viel. „Ich muss jetzt Schluss machen, Mama. Funkloch. Sorry!“

Laura konnte zwei Dinge tun. Sie konnte sich ganz einfach ein Ticket zurück nach Hamburg kaufen und mit dem nächsten Flieger aus Frankreich verschwinden, Andrés Nummer löschen, sich einen Job suchen und alles machen wie vorher. Oder sie konnte sich eine Zeitung für die Taxifahrt nach Saint-Jacques-les-Monts kaufen und hoffen, dass ihr Lavendelbauer eine gute Erklärung dafür hatte, sie versetzt zu haben. Sie fischte eine Münze aus ihrer Shorts und konnte selber gar nicht glauben, dass sie, Laura Lindemann, Rationalität in Person, ihre Lebensentscheidung mit einer Münze traf. Sie stand alleine auf dem riesigen Parkplatz, es wurde langsam Abend. Fünfzig Cent. Zahl: Bleiben. Brandenburger Tor: Zurück nach Deutschland. Laura warf die Metallscheibe in die Luft, so hoch sie konnte, dem provenzalischen Himmel entgegen. Sie landete geräuschvoll einen Meter entfernt. Lauras Herz wummerte, als wolle es heraus aus ihrem Körper und sie fand das eine ganz gute Idee und wünschte sich, sie könnte ihren Körper selber einfach verlassen.

Brandenburger Tor.

Heimflug.

Sie blieb wie angewurzelt stehen.

Ein Mann im Anzug zog einen Koffer hinter sich her und kam auf sie zu. Business-Menschen hatte sie in ihrer Karriere genug gesehen und sie selber hatte zu ihnen gehört. Und jetzt hatte diese Münze entschieden, dass sie dorthin zurück sollte? Selten war ihr das Scheitern so banal vor Augen geführt worden.

„Mademoiselle, Sie haben eine Münze verloren!“ Zahnpastalächeln, Falten. Mindestens fünfzig Jahre alt, vermutlich Banken- oder Versicherungsbranche.
„Merci“, sagte sie und steckte das Metallstück ihres Verderbens wieder ein.

Der Mann fühlte sich genötigt, ihr die Schulter zu tätscheln, so als wolle er behaupten, dass alles gut werden würde. Sie musste elend aussehen. Und gut würde nichts werden.

Wieder klingelte ihr Handy. Eindeutig eine französische Nummer. Unbekannt.

„Salut Laura, hier ist Benjamin!“ Er klang gehetzt. „Ich weiß, dass André dich vom Flughafen abholen wollte, aber da ist etwas dazwischen gekommen. Ich kümmere mich darum. Es wird ein bisschen dauern, aber ich beeile mich und bringe dich zur Farm.“

Laura konnte nichts dafür, dass ihr ein Stein vom Herzen fiel. Sie bemühte sich richtig, beleidigt zu klingen, so wie es sich für eine geplatzte Verabredung gehörte. „Dazwischen gekommen?“

Ben schien eine Sekunde zu lang zu überlegen. „Das soll er dir selber erklären. Ich bin in etwa einer Stunde da.“

In einer Stunde wäre Laura selber mit dem Taxi da. „Nicht nötig. Ich nehme ein Taxi, das ist schneller.“

„Aber…“, hörte sie noch, dann hatte sie den roten Knopf gedrückt und das nächste Taxi herangewunken.