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Carmen-Francesca Banciu

Lebt Wohl, Ihr Genossen und Geliebten!

Tod eines Patrioten

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.de abrufbar.

ISBN: 978-3-96258-003-2 (Print)

ISBN: 978-3-96258-023-0 (E-Book)

www.palmartpress.com

1. Auflage, 2018, PalmArtPress, Berlin

Alle Rechte vorbehalten

Hergestellt in Deutschland

Für Nori-Eleonora
Der Schmerz ist über sich hinausgewachsen
Der Schmerz hat sich in eine Blume verwandelt
Aus dem Herzen der Blume sind Flügel gewachsen
Mein Herz ist ein singender Vogel
Ich kann fliegen.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Nachwort

Danksagung

1.

Für Vater waren drei Dinge wichtig

In der festgefügten Reihenfolge

Das Vaterland

Die Partei

Die Ehre der Familie

So hat Vater mir das erklärt

Schon in meiner Kinderzeit

So hat Vater das immer wieder gesagt

So hat Vater das in seinen Reden geschrieben

So hat Vater das in seiner Abschiedsrede betont

Vaters letzte Worte kenne ich nicht

Mit dem Sterben hat sich Vater Zeit genommen

Er hat sich Zeit gelassen

So viel Zeit, dass ich nicht mehr warten konnte

Die Nachricht von Vaters Tod

Erreichte mich in der schönsten Stadt der Welt

Und ich eilte zu meinem Vater

Zu seinem Begräbnis

Wollte Vater keinen Priester

Er hatte seine Wünsche aufgeschrieben

Er hat seine Trauerrede selbst verfasst

Selbst unsere Reden für sein Begräbnis

Hat Vater geschrieben

Vater hat seine Trauerrede selbst geschrieben

Er hat die Zeremonie bestimmt

Er hat seine Kleidung ausgesucht

Vater hat alles genau festgelegt

Er hat alles aufgeschrieben

Jedes Jahr aufs neue

Und doch hat der Tod

Vater überrascht

Zu seinem Begräbnis

Wollte Vater keinen Priester

An Mutters Grab gab es drei Priester

Einen katholischen

Einen orthodoxen

Und Vater

Der Rabbi wurde nicht eingeladen

Vater liebt es, Reden zu halten

Vater liebt es zu predigen

Vater liebt es, sich reden zu hören

Vater will keinen Priester

Aber bei seinem Begräbnis

Wird er nicht selbst predigen können

Die Kirche sagt

Wer ein Begräbnis mit Priester haben will

Der muss Kirchensteuer zahlen

Vater wollte keinen Priester

Er hat niemals Kirchensteuer gezahlt

Vater will wie ein Hund begraben werden

So sagen die Nachbarn

Und die Verwandten

Und die Bekannten

Ich will keinen Priester für Vater

Ich will nicht nachzahlen

Vaters Kirchensteuer

Vater hat alles aufgeschrieben

An seinem Sarg soll die rote Fahne wehen

Seine Orden und Ehrenzeichen will Vater tragen

Und das Alphorn soll tönen

Aus unserer Stadt

Bis in sein Bergdorf

Und die Geliebten sollen kommen

Seine unzähligen Geliebten

Seine ewig treue Kette

Von Geliebten

2.

Der Todesengel erschien drei Tage nach Ostern

Er kam als junger Mann in einem Blechkarren

Vater war Kartoffeln kaufen

Vater hat den Engel überhört

Vater hat den Engel übersehen

Der Engel rollte auf ihn zu in seinem Karren

Ließ Blitz und Donner über ihn fallen

Und spuckte Wut aus seinen sieben Köpfen

Vater hat den Engel überhört

Vater hat den Engel übersehen

Vater hielt die Kartoffeltüte fest

Vater flog empor

Dann fiel er zu Boden

Die Finger um die Henkel der Tüte gekrampft

Die weiße Tüte zerfetzt

Verletzte Kartoffeln bluteten am Straßenrand

Eines Tages ist Vater Kartoffeln kaufen gegangen

Und kam nie wieder zurück in sein Zuhause

Kartoffeln und Brot

Kartoffeln und Brot am Straßenrand

Mehr hat man mir nicht erzählt

Ich habe Vater nur zwei Mal weinen gesehen

Als der Präsident unserer jungen Republik gestorben ist

Und an Mutters Grab

Vater weiß, zu welcher Zeit man weinen muss

Zu welcher Zeit Ohnmacht das richtige Handeln ist

Seit Vater im Krankenhaus liegt

Weint Vater jeden Tag

Ich möchte gern wissen

Was Vater denkt, wenn er weint

Aber Vater sagt es mir nicht

Er erzählt von dem Patrioten Avram Iancu

Und von der rumänischen Revolution von 1848

Von den Märtyrern dieser Revolution

Er spricht nicht

Über die Revolution von 1989

Nicht über ihre Märtyrer

Und nicht über mich

Über meine Revolution

Über unsere Revolution

Vater spricht nicht über mich

Und meine Familie

Die wir alle dabei waren

Die wir unser Leben aufs Spiel gesetzt haben

Vater übersieht diese Revolution

Er ignoriert sie

Blendet sie aus

Vater erzählt von den Märtyrern Horia, Closca und Crisan

Und von dem Patrioten Avram Iancu

Und er weint, als wäre das gestern geschehen

Als wäre Avram Iancu sein Sohn

Vater hat keinen Sohn

Das hat er immer bedauert

Vater hat bedauert, dass er eine Tochter hat

Eine Tochter, die an einer Revolution teilgenommen hat

An einer Revolution, die er übersehen, ausklammern will

Vater hat keinen Sohn

Damit musste er sich abfinden

Ich musste mich auch damit abfinden

Aber hier im Krankenhaus weiß ich es

Keiner von uns hat sich damit abgefunden

Vater sucht nach seinem Sohn

Und ich suche nach Vater

Ich beobachte

Ich horche

Ich spüre meinem Vater nach

Und warte

Warte, dass Vater mir etwas Wichtiges sagt

Jeden Tag besuche ich Vater

Jeden Tag höre ich genau hin

Ich verfolge Vaters Blicke

Versuche, seine Wünsche zu erahnen

Seinen Bedürfnissen vorauszueilen

Will Vater Mühe ersparen

Jede Mühe

Ich gebe ihm Wasser

Aber Vater will kein Wasser

Ich gebe ihm Essen

Aber Vater will nicht essen

Ich öffne das Fenster

Ich schließe das Fenster

Vater will keine frische Luft

Vater friert

Ich besorge ihm eine zweite Decke

Ich massiere seine Hände

Ich massiere seine Füße

Ich versuche es wieder mit dem Trinken

Ich versuche es wieder mit dem Essen

Vater nimmt einen Schluck

Schüttelt sich

Verzieht sein Gesicht

Die Bissen sind zu groß

Die Schlucke sind zu kalt

Auch das Essen ist zu kalt

Ich wärme das Essen

Das Essen ist zu warm

Ich lasse es abkühlen

Mein Hals friert ein, schimpft Vater

Merkst du nicht, wie kalt das ist

Wie kannst du mir nur so etwas geben

Schon immer hab ich es gewusst

Nichts kannst du richtig

Ich verfolge Vaters Blicke

Versuche seine Wünsche abzulesen

Seinen Bedürfnissen vorauszueilen

Will Vater die Mühe ersparen

Jede Mühe

Ich schaue auf seinen Mund

Beobachte jede Bewegung

Ich führe ihm den Löffel zum Mund

Ich wische seinen Mund ab

Ich säubere seine Prothese

Vater hat Schmerzen

Ich drücke auf die Klingel und rufe die Schwester

Was tut dir weh, frage ich

Vater sagt

Alles

Vater sagt

Der Stolz und die Würde

Ich stecke ihm die Prothese in den Mund

Vaters Windeln wechsele ich nicht

Vater spricht leise

Ich muss mich zu seinem Ohr hinneigen

Er schließt die Augen

Sein Mund zittert

Die Wange bebt

Ich nähere mich seinem Mund und warte

Warte, dass Vater mir sagt

Etwas

Auf das ich seit Jahren warte

Seit Jahren warte ich darauf

Seit ich mich kenne, warte ich darauf

Seit ich mich kenne, warte ich auf Vater

Vater öffnet den Mund und sagt

Ich muss dir was sagen

Seit Jahren warte ich darauf

Darauf, dass Vater mir etwas zu sagen hat

Es pocht in meinen Schläfen

Das Herz schlägt

In meinen Adern

In meinem Hals

Ich warte

Hochgespannt

Vater sagt

Hör mir zu

Sei endlich vernünftig

Mach, was ich dir sage

Ich kann es nicht mehr selbst tun

Gib gut acht, sagt Vater

Im Schlafzimmer

Hinten im schwarzen Schrank

Da liegen zwei gute Pullover

Lass sie nicht vergammeln

Lüfte sie

Sonst fressen die Motten sich durch

Lass die Motten sie nicht fressen

3.

Jeden Tag nähert sich Vater dem Tod

Jeden Tag flieht Vater den Tod

Jeden Tag nähert sich ihm der Tod

Dann weicht der Tod einen Schritt zurück

Und wieder gewinnt Vater

Einen Tag

Und so spielen sie Verstecken

Ein blutrünstiges Spiel

4.

Das Sterben geht langsam voran

Manchmal stockt es

Wie beim Verkehr

Beim Straßenverkehr

Vater hat im Straßenverkehr nicht aufgepasst

Wohin wolltest du so eilig

Vater sagte

Ich bin immer in Eile

Jetzt muss Vater langsam sein

Viel langsamer

Immer langsamer

Bis die Uhren

Alle seine Uhren stehen bleiben

Vaters Hauptuhr hält noch Schritt

Gleichmäßigen Schritt

Sie ist funkgesteuert

Die Batterie wird mindestens fünf Jahre halten

Vater sagt

So viel Schmerz

Warum muss ich so viel Schmerz erdulden

Ich will das nicht

Ich will nichts mehr

Aber die Uhr

Die Hauptuhr läuft weiter

Noch fünf Jahre

Könnte Vater im Bett liegen

Noch fünf Jahre

Könnte Vater jeden Tag mit dem Tod ringen

Noch ganze fünf Jahre

Könnte Vater schimpfen und fluchen

Und mit dem Leben kämpfen

Noch fünf Jahre

Könnte Vater im Bett liegen

Auf dem Rücken liegen

Ausgeliefert, wie ein Käfer

Noch fünf Jahre lang könnte sich Vater wund liegen

Am Rücken und am Hintern

Vater hat keinen Hintern mehr

Er ist nur noch ein Sack voll Knochen

Ein Sack

In dem die Hoden verloren herumrollen

Da sind Vaters Hoden

Da ist Vaters Samen, aus dem ich stamme

Vaters Samen

Wen hat er sonst noch befruchtet

Außer Mutter

Vater liegt im Bett und sagt

Ich esse nicht

Das Essen bringt mein ganzes System durcheinander

Jeden Tag spricht Vater von seinem System

Sein System ist blockiert

Vater kann sich nicht entleeren

Vater liegt im Bett und wird klistiert

Mit Mühe kommt heraus

Was ohne Hilfe stockt

Die Pflegerin beachtet mich nicht

Sie beachtet auch Vater nicht

Sie achtet auf seinen Stuhlgang

Vaters Stuhl ist hart wie Stein

Die Pflegerin erledigt alles

Mit kurzen, schnellen Bewegungen

Vater liegt auf dem Rücken

Er kann nichts weiter tun

Das Fleisch wackelt

Die Haut hängt

Die Hoden wanken

Wie verschreckt

Verloren im baumelnden Hodensack

Vaters Gesäß nur Haut und Knochen

Vaters Schamhaar spärlich

Reste nur

Weiß und dünn

Diese Schamhaare

Haben seine Geliebten gesehen

Diese Schamhaare

Haben seine Geliebten liebkost

Geküsst

Seine unzähligen Geliebten

Eine Kette von ewig treuen Geliebten

Eine Kette von ewig treuen Geliebten

Männer sollen viele Geliebte haben

Dann erst sind sie richtige Männer

So geht die Mär in meines Vaters Land

Und Frauen sollen keine Geliebten haben

Keinen einzigen

Dann

Dann erst sind sie die richtigen Frauen

Mutter hatte nie einen Geliebten

Mutter hatte einen Verlobten

Und dann einen Ehemann

Für immer

Bis der Tod -

Bis sie sich ihm

Durch den Tod

Entzogen hat

Mutter hat sich uns allen entzogen

Oder war es anders

Und wir haben uns ihr entzogen

Wir waren immer weg

Wir waren immer beschäftigt

Mutter war auch beschäftigt

Und dennoch

Mutter war allein

Denn Mutter hatte keinen Geliebten

Und keine Freundin

Nur einen Ehemann

Aber den hatte sie auch nicht

Sie hatte einen Ehemann

Auf den sie immer warten musste

Und wenn er kam

War er müde

Und satt

Vater liegt auf dem Rücken

Die Pflegerin arbeitet geschickt an ihm

Ihre Bewegungen sind geübt

Fließend

Sie wischt, wäscht, wechselt, wickelt

Für den Moment hat sie Vaters System gerettet

Ich stehe versteinert vor dem Bett

Die Pflegerin erledigt alles geschickt und geschwind

Sie beachtet mich nicht

Sie beachtet auch Vater nicht

Sie achtet auf sein Gesäß

Den Sitz der Windeln

Und den Zehner

Denn ich ihr in die Kitteltasche stecke

Vater liegt nackt auf dem Rücken

Seit Tagen liegt Vater nur auf dem Rücken

Mit verletztem Kopf

Mit gebrochenem Schlüsselbein

Mit wunder Schulter

Vater braucht Hilfe

Vater braucht Hilfe für die einfachsten Bedürfnisse

Bei den einfachsten Verrichtungen

Vater ist entmutigt

Noch vor wenigen Tagen

War er voller Vertrauen

In das Leben

In sein weiteres

Sein zukünftiges Leben

Noch vor wenigen Tagen

War er ganz bei Kräften

Besuchte noch seine Geliebten

Hundert würde er werden

Hundert und noch älter

Sagten die Nachbarn

Hundert wäre er geworden

Hundert und noch mehr

Wir konnten mit ihm nicht Schritt halten

Warum musste er übermütig werden

Vater liegt auf dem Rücken

Wie ein hilfloser Käfer

Vor wenigen Tagen hat Vater sich wie immer beeilt

Vater ging aus dem Haus Kartoffeln kaufen

Und ist nie wieder zurückgekehrt in sein Zuhause

Vater war flink und schnell

Zu schnell

Jetzt liegt er auf dem Rücken

Und sagt, füttert mich nicht

Ich will nichts essen

Das Essen bringt mein System durcheinander

Vaters System kann nur sammeln und einschließen

Horten

Nichts abgeben

Außer Flüssigkeit

Vater bekommt Spritzen

Vater hängt am Tropf

Um die Flüssigkeit zu ersetzten

Vater ist nackt

Vater strampelt die Decke weg

Vater wird klistiert

Was tut dir weh, frage ich

Vater sagt

Alles

Vater sagt

Der Stolz und die Würde

Vater schläft die meiste Zeit

Vater wollte nach der Operation nicht wach werden

Immer wieder ist er eingeschlafen

Immer wieder hat er sich uns entzogen

Uns und dem Leben

Die Assistentin zwickte ihm in die Brustwarze

Vater wachte auf

So müssen Sie das machen, meinte sie

Dem Opa in die Brustwarzen zwicken

Dann macht er schon die Äuglein auf

Die Assistentin nimmt Vaters Nase zwischen zwei Finger

Sie schüttelt und rüttelt daran

Ich zucke zusammen

Ich zucke zusammen, bin still

Ich lasse es zu

Ich lasse es geschehen

Ich lasse ihn im Stich

Die Nase ist phallisch

Die Nase ist ein Symbol

Vater nährt sich nur noch von Symbolen

Die Assistentin nimmt Vaters Nase zwischen zwei Finger

Sie schüttelt und rüttelt daran

Erst im Ärztezimmer protestiere ich

Gegen diese Respektlosigkeit

Gegen diese Verletzung der Würde

Von wegen, sagt die Ärztin

Wir sind freundlich zu unseren Patienten

Wir pflegen einen herzlichen Umgang

Ein familiäres Verhältnis

Vater hat sich aufgegeben

Seine Prothese bleibt in der Schublade

Ohne Zähne sieht Vater alt aus

Und gebrechlich

Onkelchen

Väterchen

Opa

Opa sagen Frauen zu ihm

Opa, sagt eine junge Assistentin

Und die Ärztin

Und die Putzfrau

Väterchen, Onkelchen, Opa

Sagen Frauen zu ihm

Vater wird immer kleiner

Vater zieht sich zusammen

In Fötusstellung

Vater nähert sich dem Anfang

Dem Ursprung

Wie weit wird Vater gehen

Onkelchen

Väterchen

Opa

Sagen Frauen zu ihm

Was tut dir weh, frage ich Vater

Vater wird immer kleiner

Ein Fötus

Die Geliebten können ihn nicht erreichen

Vater nähert sich dem Anfang

Dem Ursprung

Dem Samen

Dem Ei

5.

Eines Tages klingelte das Telefon

Das Telefon klingelte lange

Ich hatte einen eingegipsten Fuß

Ich hatte mir vorher noch nie etwas gebrochen

Und wollte es auch nie wieder tun

Das Telefon klingelte lange

Ich war ungeübt auf Krücken

Bewegte mich langsam

Zu langsam

Hatte ich eine Ahnung

Eine Vorahnung

Ich stöbere in meiner Erinnerung

Ich finde nichts

Dabei glaube ich an Gedankenübertragung

An unterbewusste Verbindungen mit vertrauten Menschen

Geraume Zeit hatte ich nicht mehr an Vater gedacht

Dann rief ich an

Am zweiten Ostertag

Ich hatte es lange hinausgeschoben

Diesmal klang Vaters Stimme ungewöhnlich munter

Das erste Mal seit Jahren klang seine Stimme fröhlich

Hoffnungsvoll

Seine Stimme war klar

Als hätte Vater ein neues Leben begonnen

Eine neue Liebe gefunden

Oder das Geheimnis des Lebens entdeckt

Das erste Mal seit Jahrzehnten klagte Vater nicht

Über korrupte Politiker

Über reale oder eingebildete Katastrophen im Land

Über die schlechten TV-Programme

Die er trotzdem täglich verfolgte

Über den Zerfall

Des Bildungssystems

Des Gesundheitswesens

Der Sitten

Das erste Mal seit der Revolution sagte Vater nicht

Alles im Land sei schlecht geworden

Vater lachte am Telefon und war zufrieden

Und diesmal freute ich mich, mit ihm gesprochen zu haben

Ich hatte es lange vermieden, Vater anzurufen

Aber zu Ostern

Wenigstens zu Ostern und zu Weihnachten

Und zu den Geburtstagen

Sollte man möglichst anrufen

Sollte man sich bei den engsten Verwandten melden

Wenigstens dann

Wenn man sich sonst nichts zu sagen hat

Wir hatten uns nicht viel zu sagen

Es gab ein paar Versuche, das zu ändern

Ich will nicht behaupten, sie seien fehlgeschlagen

Sie sind eingeschlafen

Aus Mangel an

An was

Es gab ein paar Annäherungsversuche

Vater hat mich sogar besucht

Vater hat mich ein einziges Mal besucht

In meinem neuen Zuhause

In meinem neuen Land

Obwohl ich für ihn eine Vaterlandsverräterin war

Jahrelang hatte Vater meine Einladungen ignoriert

Er dürfe nicht fliegen

Wegen seines Herzhilfegerätes

Es heißt Herzschrittmacher

Jahrelang klagte er

Er könne nicht so weit reisen

Weil er sich nicht kräftig genug fühle

Weil ich so weit weg wohne

Im Ausland

Und weil er nicht allein reisen möchte

Denn sie, die Ersatzehefrau, wolle ihn nicht begleiten

Und ihr, der Geliebten, sei es verboten ihn zu begleiten

Die Ersatzehefrau erlaube es nicht

Natürlich sagte Vater das nicht genau so

Mit diesen Worten

Vielleicht wollte Vater eigentlich

Dass wir ihn abholen

Aber darauf bin ich nie gekommen

Ist das wahr

Vielleicht

Wollte ich, dass Vater uns besucht

Wollte ich es wirklich

Ich hatte Angst vor Vaters Besuch

Ich hatte Angst

Vor all dem noch nie Ausgesprochenen

Das zwischen mir und Vater stand

Ich hatte Angst vor Vaters Besuch

Wie ich Angst hatte

Vor all dem, was mit ihm zu tun hatte

Wollte ich

Wollte ich mit all meiner Kraft

Dass er kommt

Wollte ich

Wollte ich aus vollstem Herzen

Dass er kommt

Ich wollte

Und ich wollte nicht

Aber Vater

Wollte er uns besuchen

Ich glaubte nicht

Vater würde kommen wollen

Ich dachte nicht

Vater könnte Angst haben

Hatte auch Vater Angst

Kann man vor seinem eigenen Kind Angst haben

Kind, sage ich

Wenn ich an Vater denke, bin ich erwachsen

Wenn Vater an mich denkt, denkt er an ein Kind

Ist es so

Denkt Vater überhaupt an mich

Oder erinnern ihn die anderen erst daran

Ich weiß es nicht

Und ich werde es nie erfahren

Erinnern die Erinnerungen an Mutter ihn an mich

Vater hält die Erinnerung an Mutter wach

Die Erinnerungen an die täglichen Streitereien

Wenn er auch mal zu Hause war

Die Streitereien, die meistens meinetwegen ausbrachen

Erinnert ihn an mich das tägliche Leben

Mit all den Dingen, die auch mich und Mutter umgaben

Woran denkt Vater, wenn er an mich denkt

Denkt Vater an mich, wenn er an mich denkt

Woran denkt Vater wirklich

Vater hat eine eigene Art, sich zu erinnern

Je länger die Erinnerung an Mutter zurückliegt

Je weiter die Erinnerung an Mutter wegrutscht

Desto deutlicher schafft er ihr Bild

In den letzten Jahren hat er Mutters Bilder vergrößert

Hinter Glas weggesperrt

In große Rahmen gezwängt

Gereiht an die Wand gehängt

Gestaffelt auf den Flügel gestellt

Dazu schreibt Vater Worte, die Mutter nie gesagt hat

Weil es Vater passen würde

Wenn Mutter sie gesagt hätte

Oder einfach

Weil Vater gewohnt war

Beruflich

In der Politik

Für die anderen zu sprechen

Oder etwa

Weil Väter es so in sich tragen

Andere zu entmündigen

Nein, so stimmt das nicht

Vater war ein Dichter

Er verdichtete die Realität

Die Realität, die Vater erfunden hat

Vater hat eine romantische Liebe erfunden

Zu Mutter

Mutter konnte sich nicht mehr wehren

Vater hatte sich immer die romantische Liebe erträumt

So wie Dichter sie haben

So wie die Liebe des Nationaldichters zu seinen Geliebten

Besonders zu einer seiner Geliebten

Die zum Glück verheiratet war

Und so konnte die Liebe immer romantischer werden

Auch Vaters Liebe konnte romantisch sein

Mutter war nicht mehr verheiratet

Mutter war tot

Vater hat eine eigene Art sich zu erinnern

Je länger die Erinnerung an Mutter zurückliegt

Je weiter die Erinnerung an Mutter wegrutscht

Desto deutlicher schafft er ihr Bild

In den letzten Jahren ließ Vater Mutters Grabstein entfernen

Und an der Stelle eine Statue errichten

Mutter mit Tüten voll bepackt

Mit den unverzichtbaren

Mit den von ihr unzertrennlichen

Mit den von ihr untrennbaren

Mit den von Mutter unvorstellbar fehlenden Tüten

Die Tüten befüllt mit alldem, was sie brauchte

Um die köstlichsten Kostbarkeiten für uns zu zaubern

Ihre Art, ihr Verlangen nach Vater zu verwandeln

Ihr einziger Weg, uns ihre Liebe zu zeigen

Mutter

Mit den schweren Tüten

Die Vater für sie nie getragen hat

Mutter ist zur Heldin der Familien geworden

Zur Ernährerin der Gesellschaft

Zur göttlichen Zubereiterin

Zur Göttin

Zum Symbol

Vater hat eine Vorliebe für Symbole

Wäre ich gestorben

Auch für mich hätte Vater ein Symbol gefunden

Dann hätte er meine Bilder eingerahmt

Und mich zur Heldin der Revolution erhoben

Und sich vorgenommen

Sich täglich an mich zu erinnern

Die Familie war für Vater wichtig

Nach dem Vaterland

Nach der Partei

Die Familie war ein Symbol

Die Familie ist die Zelle der Gesellschaft

Die Zelle ist die kleinste lebende Einheit aller Organismen

Und was sagt Vater zum Individuum

Und was sagte die Partei dazu

Vater ist in der Partei geblieben

In der Partei, die es nicht mehr gibt

Nicht mehr so gibt, wie sie einmal war

Doch Vater glaubt an die Zelle

An die kleinste Einheit

Und hält an Erinnerungen fest

Er baut ein Mausoleum für Mutter

Weil sie ein Teil der Familie ist

Weil er mit ihr zusammen eine Zelle bildet

Und auch mit mir

Obwohl Vater nicht glaubte

Dass es mich dazu unbedingt braucht

Aber Mutter glaubte das

Und damit war der Streit entflammt

Der Streit, der ein Leben lang währte

Mutters Leben lang

Es gab einige Versuche der Annäherung

Zwischen Vater und mir

Vielleicht brauchte Vater jemanden

Um die Zelle am Leben zu erhalten

Da Mutter geflohen war

Oder vielleicht brauchte er das eher

Um die schwindende Erinnerung an mich neu zu beleben

Hat Vater wirklich an mich gedacht

Es gab einige Versuche der Annäherung

Vater kam mit seiner Begleitung

Vater kam mit seiner lebenslangen Begleitung

Vater kam mit seiner Sekretärin

Vater kam mit seiner Geliebten

Vater kam mit Rebeca

Vater kam mit seinem Koffer

Mit seinem alten Koffer

Vater kam mit dem Bus

Quer durch Europa

Vater kam mit seinem alten Koffer

Überwand Grenzen

Vater kam zu mir nach Berlin

Es gab einige Versuche der Annäherung

Der Bus hatte Verspätung

Dies hatte Vaters Ankunft verschoben

Oder war es Vater, der die Verspätung verursacht hat

Um mehr Zeit vor dem Wiedersehen zu gewinnen

Wir warteten auf dem Busbahnhof

Für mehrere Stunden

Es war Winter

Und es war kalt

Ob es wohl kalt in dem Bus war, hatte ich mich gefragt

Ob es kalt im Bus gewesen ist, fragte ich Vater

Nein, sagte er, die Technik heutzutage

Nein, sagte Vater, das war ein westlicher Bus

Nein, sagte Vater, das ist wohl anders bei euch

Bei euch friert man nicht

Es gab einige Versuche der Annäherung

Vater stieg aus dem Bus, den alten Koffer in der Hand

Die kirgisische Astrachanmütze auf dem Haupt

Immer noch war Vater ein König, der seine Krone trug

Vater, ein kleiner Mann mit Glaskugeln in den Augenhöhlen

Und glänzend das Silber in seinem Haar

Wir hatten lange gewartet

Meine Kinder und ich

Wir haben lange gewartet

Alle zusammen

Eine Familie

Eine Zelle

Waren wir auch mit Vater zusammen eine Zelle

Wir waren zwei Zellen nebeneinander

Eine Zelle, die sich geteilt hatte

Und die sich weiter teilen,vermehren wird

Vater stieg aus dem Bus

Hinter ihm die Begleitung

Rebeca

Vater machte einen verschlafenen Eindruck

Vater machte einen verwirrten Eindruck

Oder war Vater mit seinem Eindruck beschäftigt

Den er auf uns machen wollte

Den er auf uns machen würde

Oder war Vater so beschäftigt

Dass er gar nicht an den Eindruck dachte

Den er machen würde

Ich weiß nicht, welchen Eindruck ich auf Vater machte

Ich hatte Angst

Hatte auch Vater Angst

Man soll sich umarmen

Wenn man sich lange nicht gesehen hat

Man soll sich auch küssen

Vater zu küssen, das war mir fremd

Auch Mutter küsste mich nicht

Ich kann mich nicht daran erinnern

Und doch hat mich Mutter auch mal geküsst

Sicher hat Mutter mich geküsst

Und sicher auch Vater

Aber wann

Und wieso erinnere ich mich nicht daran

Oder warum will ich mich nicht daran erinnern

Sicher hat Vater mich auch mal geküsst

Ich kann mich nur an etwas erinnern

Das ich vielleicht erfunden habe

Vielleicht war es ein Traum

Und im Traum leckte Vater mein Gesicht

Ich war drei Jahre alt, oder so

Vater leckte mit der Zunge über mein Gesicht

Wie über einen abgegessenen

Wie über einen benutzten Teller

Und ich ekelte mich

Jetzt stand Vater vor mir

Ich sollte ihn umarmen

Vater schaute auf unsere Kleidung

Wie lauft ihr nur so angezogen herum

Wie lauft ihr nur herum

Wie kommt ihr denn nur zum Bahnhof

Habt ihr nichts anderes anzuziehen

Mein Sohn trug zerschlissene Jeans

Meine Tochter Rastalocken

Die Jüngste wie immer Turnschuhe

Auch im Winter

Ich zuckte zusammen

Zum Angriff bereit

Seine Begleitung zog ihn am Ärmel

Unser Gepäck, sagte sie, es ist noch im Laderaum

Rebeca, sagte ich

Wie schön, dich wiederzusehen

Wir haben uns alle umarmt

Und geküsst

Weil man das so macht

Und weil Vater unser Gast war

Und wir wollten ihn nicht beleidigen

Wir haben uns alle umarmt

Und geküsst, auf die Wangen

Auf die rechte

Und auf die linke

Vater streichelte die Köpfe der Kinder

Wir taten alles

Was man zu solchen Anlässen tut

Nur meine ältere Tochter sagte, ich will nicht

Wenn er so zu mir spricht

Nur meine ältere Tochter sagte

Ich mag meine Rastalocken

Ich werde sie nicht seinetwegen abschneiden

Sch, sagte die Begleitung

Sch-sch-sch! Schaut mal nach dem restlichen Gepäck

Wir fuhren mit der U-Bahn nach Hause

Der Zug war voll

Für Vater gab es einen freien Platz

Auch für Rebeca, ihm gegenüber

Die Kinder drängelten ins Wageninnere

Ich blieb neben der Tür stehen

Ich schaute hinüber

Unter den gestreckten Armen der Mitfahrer hindurch

Ob bei Vater alles stimmte

Rebeca gestikulierte aufgeregt

Blickte ihn wütend an

Was sie ihm sagte

Hörte ich nicht

Stadtmitte stiegen wir aus

Die Kinder trugen die Koffer

Ich trug Vaters unvermeidliche Aktentasche

Immer noch hatte Vater eine Aktentasche bei sich

Eine Aktentasche ohne Akten

Jedenfalls weiß ich von keinen Akten

Eine Aktentasche mit Gedichten vielleicht

Denn Vater schrieb ja weiterhin Gedichte

Sieben Jahre hatten wir uns nicht mehr gesehen

Sieben Jahre sind eine gute Zeit

Eine Zeit der Erneuerung

Wieder waren sieben Jahre vergangen

Seit ich mit meinem Sohn Vater besucht hatte

Von Mädchen hielt Vater nicht viel

Die Mädchen hatte Vater nicht mehr gesehen

Seit ihrer Abreise in den Westen

Und das war doppelt so lange her

Für Vater waren drei Dinge wichtig

In der festgefügten Reihenfolge

Das Vaterland. Die Partei. Die Ehre der Familie

Das hat mir Vater beibringen wollen

Für Vater waren drei Dinge wichtig

Dafür war Vater bereit, Opfer zu bringen

Jedes Opfer

Das hatte Vater mir beibringen wollen

Vater hatte keine Gelegenheit

Meinen Kindern all dies beizubringen

Vater wurde keine Gelegenheit gegeben

Vater hat keine Gelegenheit genutzt

Vater sagte, ihr seid nicht bereit, Opfer zu bringen

Vater glaubte

Dass uns Opferbringen zu besseren Menschen mache

Weil man zu verzichten lernt

Vater hat auf seine Familie verzichtet

Und hat sie selten gesehen

Vater hat auf Mutter verzichtet

Da er immer unterwegs war

Für die Partei

Vater hat nicht auf Rebeca verzichtet

Mit ihr zusammen hat er am Kommunismus gebaut

Vor allem mit ihr

Und sie haben sich beide geopfert

Wegen der Familienehre

Wegen der Partei, und wegen Mutter

Wir pfeifen drauf, sagen meine Kinder

Wir pfeifen auf diese Ehre

Andere Dinge sind uns wichtig

Für meine Kinder sind andere Dinge wichtig

Was kann wichtiger sein, fragt Vater

Für meine Kinder ist es wichtig

Dass sie das tun, was sie sagen

Dass sie das sagen, was sie denken

Sie denken, was sie wollen

Dass sie wollen, was sie denken, dass für sie gut ist

Woher soll ein Mensch wissen, was für ihn gut ist

Sagte Vater an dem Abend

Manchmal muss man Menschen zu ihrem Glück zwingen

Wenn man so jung ist, weiß man nicht, was gut ist

Ich war anderer Meinung

Und erst recht meine Kinder

Was Rebeca glaubte, konnten wir nicht erfahren

Ein anderes Mal, sagte Rebeca

Es ist doch egal, was ich denke

Ich kann doch verzichten

Wenn es den anderen so wichtig ist

Es gibt nichts Großartigeres

Nichts Bedeutungsvolleres

Als den anderen zu dienen

Das sagte Rebeca nicht

So lebte sie

An dem Abend wollte Vater nichts mehr essen

Außer dem Brötchen, das er von der Reise übrig hatte

Sonst verdirbt es, sagte er

Es ist schon nach Mitternacht, sagte er

Und ich kann auch nicht mehr sitzen

Für alle war das die richtige Entscheidung

Wir alle brauchten Zeit

Was immer Vater brauchte

Was immer Vater wissen wollte

Was immer Vater mitteilen wollte

Er wandte sich an Rebeca

Rebeca wollte die Geschenke auspacken

Aber nein, Großvater, sagten die Kinder

Das machen wir morgen, wenn du dich ausgeruht hast

Sie übten Verzicht

Die Nacht war lang

Ich konnte nicht schlafen

Vielleicht hat in der Nacht keiner von uns geschlafen

Die Kinder erzählten nichts davon

Vater sagte später, er könne immer weniger schlafen

Aber Rebeca sagte

Ich drehe mich im Schlaf nicht einmal um

Ein paar Versuche der Annäherung hat es gegeben.

Am nächsten Morgen waren die Kinder in der Schule

Vater wachte spät auf und war wackelig auf den Beinen

Vater schaute sich um und sagte

Es muss für dich nicht einfach gewesen sein

In all den Jahren

Ich glaubte, in Vaters Augen eine Röte zu erkennen

Aber vielleicht war es eine Täuschung

Denn er wandte sich an Rebeca und sagte

Diese Kinder haben gar keine Manieren

Man sieht, dass kein Mann im Haus ist

Ich biss mir auf die Zunge

Übte Verzicht

Ein paar Versuche der Annäherung hat es gegeben

Vater blieb den ganzen Winter über

Wir gingen zum Arzt

Und der Arzt untersuchte ihn mit großer Sorgfalt

Wir besuchten Freunde, die ihn mit dem Auto abholten

Wir bekamen viel Besuch

Vater war eine Romanfigur geworden

Aus einem Roman, den sie bereits gelesen hatten

Und alle wollten ihm begegnen

Vater liebte

Vater ersehnte diese Aufmerksamkeit

Vater war überwältigt von allem, was er sah und erlebte

Vater bereute, nicht jünger zu sein, um alles auszukosten

Ich hatte nicht geglaubt, was die mir immer erzählten

Über all das, was es hier gibt

Ich hatte zuvor nicht geglaubt

Dass es so etwas gibt

Wiederholte er immer wieder

Vielleicht war ich doch ein Esel

Weil ich nicht früher kommen wollte

Rebeca sagte, alles zu seiner Zeit

Rebeca hatte für Vater immer ein passendes Wort

Rebeca sagte nicht

Siehst du, was hab ich dir immer gesagt

Rebeca sagte nicht

Du und deine Sturheit

Rebeca hatte für Vater immer ein passendes Wort

Immer die richtige Hilfe

Und Vater vertraute auf sie

Vater vertraute auf sie

Und auf keinen von uns

Nur Rebeca konnte zwischen uns vermitteln

Ohne sie wäre Vater vollkommen verloren gewesen

Ohne sie wären wir verloren gewesen

Und der Besuch hätte in einer Katastrophe geendet

Ein Leben lang hat Vater auf Rebeca vertraut

Eine Goldene Hochzeit hätten sie feiern können

Wären sie vermählt gewesen

Vater blieb über den ganzen Winter

Es wurde ein langer und schwieriger Winter

Gleichzeitig leicht und befreiend

Abends am Tisch saß Vater wie vor Gericht

Und es sah so aus

Als ob er Rebecas Hand halten würde

Um nicht vom Stuhl zu fallen

Wenn ich ihm Fragen stellte

Wenn ich ihm Ereignisse aus der Vergangenheit vorhielt

Vater schien sich an Rebecas Hand festzuhalten

Sich von Rebeca halten zu lassen

Vater

Verunsichert

Verletzlich

Sprachlos

Beim Abendessen saß Rebeca neben ihm am Tisch

Sprang jedes Mal auf, wenn Vater nach etwas suchte

Sprang jedes Mal ein, wenn Vater sie brauchte.

Und Vater brauchte sie unentwegt

In Gedanken hielt sich Vater an Rebeca fest

Vater hielt Rebecas Hand