Die Autorin

Kate Dakota – Foto © Privat

Kate Dakota wurde 1968 in Rheine/Nordrhein-Westfalen geboren. Aufgewachsen ist die unter einem Pseudonym schreibende Autorin in einem kleinen Ort im südlichen Emsland in Niedersachsen, als jüngstes von sieben Kindern. Dort lebt sie noch heute. Mit dreiundzwanzig Jahren entdeckte sie ihre Leidenschaft für Genealogie sowie für die orts- und regionalgeschichtliche Forschung. Fast zeitgleich regte sich auch eine andere Passion, nämlich die des Schreibens. Von 1995 bis 1997 absolvierte sie ein Autorenstudium an der Fernuniversität Hamburg. 1998 erfolgte unter ihrem richtigen Namen ihre erste Buchveröffentlichung zu einem regionalhistorischen Thema, der weitere Publikationen folgten. Daraufhin wurde auch ihr Wunsch, fiktive Geschichten zu schreiben, immer größer. Im Februar 2014 schließlich veröffentlichte sie ihren ersten Roman.

Das Buch

Über Verlust, Liebe und den Versuch, noch einmal neu anzufangen

Nach vielen Jahren kehrt Britt nach Irland zurück. Seit ihr Vater dort ums Leben kam, hat sie die Halbinsel Fanad im Norden des Landes, auf der sie als Kind mit ihren Eltern Urlaub machte, nicht mehr besucht. Doch nun will sie endlich wissen, wie es zu seinem angeblichen Unfalltod kam. Ihre einzige Spur ist ein Tagebucheintrag über das berühmte Book of Kells, ein Nationalheiligtum der Iren. Bei ihrer Suche nach Antworten lernt Britt den gutaussehenden Declan kennen, und obwohl sie zunächst aneinandergeraten, fühlt sie sich auf unerklärliche Weise zu ihm hingezogen. Kurz darauf erfährt sie, wer er wirklich ist und erkennt, dass sie ihn unbedingt wiedersehen muss ...

Von Kate Dakota sind bei Forever by Ullstein erschienen:
Tage mit dir
Für dich bis ans Ende der Welt
Weil mein Herz sich nach dir sehnt
Der Klang eines Augenblicks

Kate Dakota

Der Klang eines Augenblicks

Ein Irland-Roman

Forever by Ullstein
forever.ullstein.de

Originalausgabe bei Forever
Forever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
September 2018 (1)

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2018
Umschlaggestaltung:
zero-media.net, München
Titelabbildung: © FinePic®
Autorenfoto: © privat
E-Book powered by pepyrus.com

ISBN 978-3-95818-358-2

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Prolog

»Ní hé lá na gaoithe lá na scolb.«
– Der Tag des Sturms ist nicht der Tag, das Dach zu decken. –

Das Leuchtfeuer von Fanad Head Lighthouse sendet unermüdlich sein Signal hinaus auf die stürmische See. Beinahe im Sekundentakt bohren sich die Lichtblitze penetrant in die tiefschwarze Dunkelheit, trotzen dem peitschenden Regen, der ihre Kraft brechen will, es aber nicht fertigbringt, so sehr er sich auch müht. Wir befinden uns auf dem Asphaltweg, der zum Leuchtturm hinaufführt, und immer wieder schaue ich nach oben. Zähle im Geiste die Blitze mit, während sich zwischen uns eine quälende Stille breitmacht, nachdem alles gesagt wurde, was gesagt werden musste.

Gedanken schießen mir durch den Kopf. Zum Beispiel, dass ich mir einmal geschworen habe, niemals meine Heiterkeit zu verlieren, egal, was mir das Leben an Stolpersteinen in den Weg legt. Dass ich immer ein positiver Mensch bleiben würde. Im Moment fällt es mir jedoch schwer, mich an meinen Grundsatz zu halten. Seit Blarney Castle weiß ich, wie weh es tut, wenn einem das Lachen buchstäblich im Halse steckenbleibt, und wie es ist, wenn man gerade noch überglücklich war und dann plötzlich wie aus dem Nichts ins Bodenlose stürzt. Wie leicht es ist, daran zu verzweifeln, wenn man sich nicht mit aller Kraft dagegen wehrt. Wie schnell sich doch alles ändern kann.

Wieder richte ich meinen Blick nach oben. Es ist völlig absurd, aber plötzlich sehne ich mich danach, dass das Leuchtfeuer auch mir ein Zeichen gibt und mich in die richtige Richtung lenkt. Absurd auch deswegen, weil es dafür sowieso zu spät wäre. Denn letztendlich habe ich ihn doch gefunden, den Ausweg aus meinem Problem. Den einzig möglichen, jedenfalls für mich. Ich habe eine Entscheidung getroffen, und sie ist endgültig, so sehr ich mir auch wünsche, dass sie es nicht wäre.

Das Licht der Straßenlaterne, unter der wir stehengeblieben sind, taucht unsere Gesichter in ein fahles Licht, das noch immer kräftig genug ist, um zu offenbaren, was ich doch viel lieber verheimlichen würde. Mir ist bewusst, dass meine Augen etwas anderes sagen als die Worte, die gerade eben monoton und wie fremdgesteuert meinen Mund verlassen haben. Mein Herz krampft sich schmerzhaft im gleichen Rhythmus wie mein Magen zusammen, und mir ist so übel, dass ich mich am liebsten übergeben würde. Aber nein, das darf nicht sein. Ich muss das hier in Würde zu Ende bringen.

Welch eine Ironie! Ist es wirklich erst etwas über vierzehn Tage her, dass ich aus einem ähnlichen Grund nach Irland kam? Um etwas zu Ende zu bringen? Besser gesagt, um endlich eine Antwort auf die große Frage meines Lebens zu bekommen und etwas abzuschließen, das mich so viele Jahre gequält hat? Ja, es ist tatsächlich noch nicht lange her, aber es kommt mir wie eine Ewigkeit vor. Und obwohl ich nicht damit gerechnet habe, ist es gelungen. Das Rätsel ist gelöst, ich konnte Licht ins Dunkle bringen.

Als wenn mein letzter Gedanke verspottet werden soll, trifft mich genau in diesem Augenblick der Scheinwerferstrahl eines Transporters, der auf der schmalen Straße zum Leuchtturm unterwegs ist, und gibt meine Qualen für einige Sekunden vollends preis. Das gleißende Licht macht es mir gänzlich unmöglich, meine Gefühle zu verbergen. Ich bin plötzlich genauso schwach und verletzlich wie damals, als ich schon einmal an diesem Ort einen geliebten Menschen verlor.

Das Auto passiert uns, und ängstlich suche ich Declans Blick. Er wirkt ruhig und gefasst, was mich nicht nur irritiert, sondern meinen Schmerz noch weiter verstärkt. Sollte er nicht genauso aufgewühlt sein, wie ich es bin? Sollte sich in seinen Augen nicht die gleiche Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung spiegeln, wie ich sie empfinde? Und wenn nicht das, dann sollte er doch zumindest wütend auf mich sein, oder? Er hätte alles Recht der Welt dazu, nach dem, was gerade geschehen ist.

Gestern noch habe ich ihm meine Liebe gestanden. Habe ihm gesagt, dass ich immer für ihn da sein und ihn unterstützen werde. Und das habe ich auch so gemeint. Jedes einzelne Wort. Nur ahnte ich da noch nicht, dass meine Wahrheit nicht seine ist. Dass ich nicht wusste, was er und alle anderen wussten. Und so stürzte ich aus einem Himmel, der voller Geigen hing, auf den steinharten Boden der Realität. Größer hätte der Schock nicht sein können, auch wenn ich anfangs noch die Hoffnung hatte, dass wir das hinbekommen würden. Irgendwie. Aber das war ein Irrtum. Unter diesen Umständen hat unsere Liebe keine Chance. Obwohl mich diese Einsicht fast umbringt, ist sie doch richtig. Und je eher wir wieder getrennte Wege gehen, desto besser für uns beide.

Dass ich mich in seiner Nähe nicht im Griff haben würde, hätte mir klar sein sollen, zu groß ist die Verbundenheit mit diesem Mann bereits, zu tief meine Zuneigung zu ihm. Gerade, da oben am Leuchtturm, da wären all meine Vorsätze fast ins Wanken geraten, und ich hätte mich fast umentschieden. Zum Glück kam ich rechtzeitig wieder zur Besinnung. Und ich sagte ihm, dass ich gehen muss. Weil wir so auf Dauer nicht glücklich werden könnten. Ich weiß es einfach.

Noch immer schaue ich ihn an, ohne den Hauch einer Ahnung, was in seinem Kopf vorgeht. Ich sollte wirklich dankbar dafür sein, dass er meine Entscheidung so gefasst aufnimmt. Ja, das sollte ich, seltsamerweise verstärkt es jedoch das Krampfen meiner Eingeweide.

Egal! Das sprichwörtlich letzte Wort ist gefallen. Nun bleibt mir nur noch zu gehen. So schnell wie möglich! Ich hebe meine zitternde Hand und lege sie an seine raue Wange. Versuche zu lächeln, aber schaffe es nicht. Im Gegenteil, Tränen laufen erneut über meine Wangen und vermengen sich mit den Regentropfen, deren erbarmungslose Kälte ich gar nicht mehr spüre.

»Mach’s gut, Declan!«, hauche ich, doch der stürmische Wind und die tosende Brandung des Meeres verschlucken jede einzelne Silbe meines Abschiedes.

Ich drehe mich um, und meine Füße setzen sich wie auf Kommando in Bewegung. Ich will nur noch weg hier. Weg von diesem Ort, der mir nur Unglück zu bringen scheint. An dem ich meinen Vater verlor und an dem ich nun auch meine Liebe zu Declan Connolly, meine Zukunft mit ihm begraben muss. Diese traurige Gewissheit beschleunigt meine Schritte. Kurz überlege ich, mich noch einmal umzudrehen. Ihm ein letztes Mal zuzuwinken. Ich tue es nicht. Ich richte meinen Blick nach vorne und laufe mit zusammengebissenen Zähnen weiter. Weil ich nicht sehen will, was ich zurücklasse. Weil ich mich stattdessen darauf konzentrieren möchte, was ich von hier mitnehme. Wundervolle Augenblicke, in denen ich diesem starken und doch so zerbrechlichen Mann nahe sein konnte und in denen ich hoffen durfte, dass das Schicksal es gut mit uns meint. Die Erinnerung an diese innigen Momente mit ihm, ob auf Fanad, in Dublin oder besonders auf Great Blasket Island, werden für immer in meinem Gedächtnis und in meinem Herzen sein und nichts und niemand wird sie mir jemals entreißen können. Dieser Gedanke gibt mir die Kraft weiterzugehen. Heißt es nicht, dass die Zeit alle Wunden heilt? Nun, die Vergangenheit lehrte mich, dass das nicht immer so ist. Aber vielleicht diesmal. Ja, vielleicht diesmal …

1

Zwölf Tage zuvor …


»Hey, Connolly! Wohin so schnell des Weges?«

Declan zuckte zusammen und sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse, während er widerwillig stehenblieb. Mist, dabei hatte er gehofft, unbemerkt über die schmale Dorfstraße zum Bootssteg zu gelangen. Aber Calum hatte vermutlich wieder gelangweilt aus dem Fenster seines Pubs gestarrt, wie er es so oft tat, wenn die Gäste noch auf sich warten ließen. Es war sogar sehr wahrscheinlich, dass er das getan hatte, denn es war noch nicht mal fünfzehn Uhr durch. Viel zu früh für die Bewohner von Rathmullan, um den Tag bei einem kühlen Guinness ausklingen zu lassen. Und Touristen waren derzeit nicht allzu viele unterwegs, was sich aber spätestens in ein paar Tagen ändern würde. Zum St. Patrick’s Day am 17. März fanden sich in aller Regelmäßigkeit Scharen von Fremden ein. Auch hier auf dem Land in der Grafschaft Donegal, fernab der großen Städte. Leider!

Langsam drehte er sich um und schaute den Mann an, den er sein ganzes Leben lang kannte, und den er einst seinen besten Freund genannt hatte. Damals, als er das noch hatte zulassen können. War das wirklich erst zwei Jahre her?

Calum O’Brien stand mit verschränkten Armen nur etwa drei Meter von ihm entfernt und sah ihn missbilligend an. »Gehst du mir etwa aus dem Weg?«, brummte der Blondschopf mit der schlaksigen Figur ungehalten.

»Was? Wieso das denn?«, fragte Declan mit unschuldiger Miene, obwohl Calum mit seiner Annahme goldrichtig lag.

»Erzähl’ mir nichts! Früher wäre es dir niemals in den Sinn gekommen, am Beachcomber einfach so vorbeizulaufen, wenn du im Dorf warst.«

Declans Gesichtszüge verhärteten sich. »Früher war vieles anders, Cal. Die Zeiten sind vergangen und werden niemals zurückkommen.«

»Das mag sein, es ist trotzdem nicht in Ordnung, dass du meinen Pub meidest, als würdest du dir dort eine ansteckende Krankheit holen.«

»Nun mach doch nicht so einen Wind!«, knurrte Declan und hob den kleinen Plastiktiegel, den er in der linken Hand hielt, nach oben. »Ich war nur kurz bei Doreen, um die Kräutersalbe für meinen Vater abzuholen. Er hat es wieder in den Knochen. Ein sicheres Zeichen dafür, dass das Wetter umschlagen wird.« Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, zeigte er in die Ferne, wo sich jenseits des Lough Swilly über Inishowen erste Wolken zeigten, die sich schon bald vor die Sonne schieben würden.

»Ja, ich denke auch, dass es bald regnen wird«, erwiderte Calum nickend. »Grenzt ja sowieso schon an ein Wunder, dass es seit beinahe drei Wochen keinen einzigen Tropfen gegeben hat. Fast ein bisschen unheimlich ist das, findest du nicht?«

Declan zuckte mit den Schultern. »Ich würde mir da keine Sorgen machen. Wenn eines in Irland so sicher wie das Amen in der Kirche ist, dann dass es früher oder später regnen wird. Und eher früher als später, mein Freund.«

Calum schaute ihn überrascht, aber auch nachdenklich an. »Mein Freund, sagst du? So hast du mich schon lange nicht mehr genannt.«

»Cal, bitte!«, stöhnte Declan auf. »Nicht schon wieder diese Diskussion. Können wir nicht einfach ganz normal miteinander umgehen?«

»Das würde ich ja gern, aber du lässt es nicht zu.«

Declan fasste sich aufgebracht an die Stirn. »Zum hundertsten Mal, O’Brien: Ich brauche keinen Seelenklempner, bei dem ich mich auskotzen kann. Es geht mir gut.«

Calum schüttelte den Kopf, und es war ihm anzusehen, dass er mindestens genauso wütend war wie sein Gegenüber. »Es geht dir eben nicht gut, verdammt noch mal. Und wenn du glaubst, ich würde das jemals einfach so hinnehmen, dann kennst du mich schlecht. Ich werde nicht aufhören, bis du dir endlich helfen lässt, hörst du?«

Declans Kehle entfuhr ein zorniges Grollen. Er warf dem anderen Mann einen bitterbösen Blick zu, dann drehte er sich um und stapfte in Richtung Bootssteg davon.

»Jetzt warte doch mal!«, rief Calum ihm nach und holte ihn mit langen Schritten ein.

»Es reicht, Cal!«, blaffte Declan, während er seinen Weg unverdrossen fortsetzte.

»Schon gut, schon gut! Ich sag ja schon nichts mehr – dürfte ich dich trotzdem um etwas bitten?«

»Wenn’s sein muss. Was gibt es denn?«

»Fährst du nach Hause? Ich meine jetzt sofort?«

Declan runzelte die Stirn. »Nein, ich wollte hoch zu den Lachskäfigen. Und auf dem Rückweg habe ich noch einen Termin im Golfclub von Portsalon, um die Bestellungen für den nächsten Monat aufzunehmen. Warum fragst du?«

»Könntest du vielleicht nach meinem Boot Ausschau halten? Ich habe es heute Mittag einer jungen Frau aus Kanada geliehen, die seit einigen Tagen in Rathmullan Urlaub macht.«

»Du hast dein Boot verliehen?«, fragte Declan verblüfft und blieb stehen. »Du willst mich auf den Arm nehmen, oder?«

Calum schüttelte verlegen den Kopf. »Nein, es ist die Wahrheit. Sie war ein paar Mal im Pub, und gestern wollte sie wissen, wo sie ein Motorboot mieten könnte. Na ja, Benjamin Quinn eröffnet seinen Verleih erst nächste Woche wieder, und weil sie so nett gefragt hat, habe ich ihr eben meins gegeben.«

Declan zog eine Augenbraue hoch. »Weil sie so nett gefragt hat? Sorry, Cal, aber du willst mich doch auf den Arm nehmen. Deine Boote waren dir immer heilig, und dieses ist noch neu, oder? Das verleihst du nicht eben mal so. Schon gar nicht an eine Touristin.«

»Es war nicht mal eben so. Sie hat mir ihren Bootsführerschein gezeigt, und außerdem hat sie mir zweihundert Euro gegeben, die ich in der Vorsaison sehr gut gebrauchen kann, wie du dir vielleicht denken kannst. Da habe ich nicht lange überlegt.«

»Hm! Aber jetzt machst du dir doch Sorgen?«

»Ein wenig schon, wenn ich ehrlich bin. Sie wollte den Lough hochfahren zum Fanad Head. Eigentlich kein großes Ding, aber wer weiß das schon? Sie ist ja fremd hier.«

»Das fällt dir ja ziemlich früh ein, mein Lieber.«

»Kann schon sein. Also was ist nun? Schaust du mal nach ihr? Sie müsste dir eigentlich entgegenkommen.«

»Ja. Es sei denn, sie ist aufs offene Meer abgetrieben worden.«

Calum riss entsetzt die Augen auf, worauf Declan sich ein Schmunzeln nicht verkneifen konnte.

»Hey, mach dich mal locker! Das war ein Scherz. Es wird schon nichts sein. Soll ich dich anfunken, wenn ich die Lady entdeckt habe?«

»Das wäre super, danke. Dafür spendiere ich dir demnächst ein Bier. Wozu du allerdings mal wieder einen Fuß ins Beachcomber setzen müsstest.«

»Jaja, schon gut!« Declan winkte ab und setzte sich wieder in Bewegung.

»Und noch eins, Connolly! Rasier dir endlich den Bart ab oder stutz ihn zumindest! Du siehst furchtbar aus.«

»Du mich auch, O’Brien!«, brummte Declan und steuerte zielstrebig den Bootssteg an.

Calum lachte. » Féach tú go luath, mo chara!«, rief er dem Davoneilenden nach.


Die gälischen Worte hallten Declan noch Sekunden später in den Ohren, als er sein Boot losmachte und mit einem eleganten Satz hineinsprang. Féach tú go luath, mo chara – Bis bald, mein Freund. Da war es wieder, dieses »mein Freund«. So oft benutzte man es lediglich als Floskel, bei Calum und ihm war das jedoch nie der Fall gewesen. Darum wusste Declan, dass sein Kumpel es völlig ernst meinte. Calum würde sich nicht einfach so zurückziehen. Er würde nicht aufhören, ihm auf die Pelle zu rücken, und er würde weiterhin versuchen, ihm beizustehen. Genau das hatte Declan nicht verdient. Er allein war für die große Katastrophe seines Lebens verantwortlich, und er allein hatte die Zeche dafür zu zahlen.

Declan ballte die Fäuste. Möglicherweise war es ein Fehler gewesen, in die Heimat zurückzukehren. Doch er hatte Dublin nicht mehr ertragen können. Zu glücklich war er dort gewesen, zu sehr erinnerte ihn diese Stadt an eine Zeit, die nie wiederkehren würde. Außerdem hatte sein Vater Hilfe benötigt, auch wenn er das niemals zugegeben hätte.

Der Motor des Bootes sprang beim ersten Versuch an – längst keine Selbstverständlichkeit mehr. Genau wie das Boot von Calum war Declans zwar ein Modell der Firma Sea Ray, allerdings wesentlich kleiner und es hatte bereits etliche Jahre auf dem Buckel. Declan legte einen Gang ein, gab ein wenig Gas und lenkte die Sea Ray geschickt vom hölzernen Anlegesteg weg. Schon bald glitt das Boot gemächlich durch das ruhige Wasser des Lough Swilly, der sich vor ihm erstreckte. Jener Meeresarm, der die Halbinseln Fanad und Inishowen im äußersten Norden Irlands voneinander trennte. Declan atmete tief ein, und die würzige Luft, die die unmittelbare Nähe des Atlantiks erahnen ließ und die gleichzeitig nach grünem Gras, frischer Erde und dem nahenden Frühling roch, half ihm, zur Ruhe zu kommen. Als er den Gashebel weiter durchdrückte und die Sea Ray rasch an Fahrt gewann, kehrten seine Gedanken zu seinem Vater zurück. Diesem unbelehrbaren Sturkopf, der es noch nie hatte verheimlichen können, dass er durch und durch Ire war.

Shane Connolly hatte in den siebenundsechzig Jahren, die er mittlerweile alt war, Fanad und die Grafschaft Donegal so gut wie nie verlassen. Er war diesem Fleckchen Erde so eng verbunden, dass er sich seinerzeit strikt geweigert hatte, die Flitterwochen mit seiner Frau an einem anderen Ort zu verbringen als in dem kleinen Fischerhäuschen nördlich von Rathmullan, das seit Generationen und noch bis heute im Besitz der Familie Connolly war.

Declan grinste, als er daran dachte, wie seine Mutter ihn schließlich doch hatte umstimmen können. Oft genug hatte sie die Geschichte erzählt. Sie hatte ihrem zukünftigen Mann angedroht, die Hochzeit platzen zu lassen. Was sie nie getan hätte, doch das Messer auf Shanes Brust hatte geholfen, und sie hatte ihre heißersehnten Flitterwochen in Italien bekommen.

Nachdenklich zupfte Declan an seinem Bart, der genauso schwarz wie sein streichholzkurzes Haar war, im Gegensatz zu diesem allerdings schon eine beträchtliche Länge aufwies, wie Calum ganz richtig bemerkt hatte.

Vielleicht sollte er seinem Erzeuger ebenfalls mal das Messer auf die Brust setzen. Zum Beispiel, indem er vorgab, wieder weggehen zu wollen. Unmerklich schüttelte Declan den Kopf. Das würde nichts bringen, denn bevor er vor inzwischen sechs Monaten nach Fanad zurückgekehrt war, war sein Vater ohne ihn ausgekommen. Und zwar über Jahre, wenn auch eher schlecht als recht. Doch das würde sein alter Herr niemals zugeben. Im Gegenteil, er behauptete stets, dass er keine Hilfe benötigte. Ein angekündigter Rückzug seines Sohnes würde ihn kaum beeindrucken. Declan würde sich also etwas anderes einfallen müssen, um seinen Vater davon zu überzeugen, dass es nur von Vorteil sein konnte, auf die Züchtung von Bio-Lachs umzustellen. Selbst wenn man dafür zunächst investieren müsste und durch diese Umstellung die Aufzuchtquote deutlich sank. Aber Bio-Lachs war nun mal die Zukunft, und viele Probleme würden sich in Luft auflösen, wenn Shane Connolly endlich begriff, dass Massentierhaltung letztendlich immer kontraproduktiv war.

Genau in diesem Moment passierte Declan sein Elternhaus, das auf der linken Seite des Loughs auf einer kleinen Anhöhe lag. Suchend sah er zu dem weißverputzen Backsteinbauwerk hinauf, konnte jedoch weder seine Eltern noch seine Schwester entdecken, obwohl sie alle daheim sein mussten. Trotzdem betätigte er zum Gruß die Hupe seines Bootes, vielleicht hörten sie es ja. Als er seinen Blick wieder nach vorne richtete, sah er plötzlich Calums Sea Ray, die in hoher Geschwindigkeit auf ihn zusteuerte. Declan erschrak und hupte gleich noch mal, während er zeitgleich das Steuer herumriss. Was allerdings nicht nötig gewesen wäre, denn die Frau, die das Boot seines Kumpels steuerte, hatte im letzten Moment abgedreht und rauschte nun an ihm vorbei, während sie, wohl um sich für ihre Unaufmerksamkeit zu entschuldigen, die rechte Hand hob.

»Soso, Calum O’Brien!«, brummte Declan. »Sie hat also nett gefragt, und das Geld hast du auch gebrauchen können? Dass ich nicht lache.« Er hatte nur einen kurzen Blick auf die junge Frau mit den zu einem Zopf geflochtenen blonden Haaren werfen können, der jedoch hatte gereicht, um zu erkennen, wie hübsch sie war. Auch wenn sie ein wenig angespannt gewirkt hatte, was nach der Beinahe-Kollision der beiden Boote wenig verwunderlich war. Doch selbst mit dieser ernsten Miene war sie überaus ansehnlich, ohne Zweifel. Die Frage war nur, ob sie lediglich ein Flirt für seinen Kumpel war oder ob mehr dahintersteckte. Aber das würde er schon herausfinden, nichts leichter als das. Declan griff zum Funkgerät. »Cal, kannst du mich hören?«

Es rauschte in der Leitung, und mehrere Sekunden vergingen, bevor er eine Antwort bekam. »Ja, Declan, ich kann dich hören.«

»Wollte nur eben Bescheid geben, dass es deinem Baby gutgeht.«

»Oh, Gott sei Dank!«, stieß Calum erleichtert aus.

»Und deinem Boot übrigens auch.«

»Bitte?«, hörte er die entrüstete Stimme des anderen Mannes aus dem Lautsprecher. »Was soll das denn heißen? Sprichst du etwa von Britt? Sie … sie ist nicht mein Baby. Wie kommst du überhaupt darauf? Sie ist lediglich eine Bekannte …«

Declan schmunzelte, weil er an dem einsetzenden Gezeter seines Freundes erkannte, dass er den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. Calum stand auf die Kanadierin. Das war sowas von klar. Dumm nur, dass es Lauren, Declans jüngerer Schwester, wahrscheinlich übel aufstoßen würde, denn sie war schon seit Ewigkeiten in seinen Kumpel verliebt.

»Jaja«, unterbrach er den immer noch anhaltenden Wortschwall des Anderen. »Erzähl das deiner Großmutter! Over and out!« Hastig drückte er den Knopf, der die Verbindung abbrach, und freute sich, dass danach nichts mehr zu hören war als das rauschende Wasser unter dem Kiel des Bootes und das Geschrei der Möwen, die über ihm kreisten und ihn auf seiner Fahrt begleiteten.


Etwa eine Stunde später hatte Declan seine Kontrollfahrt der Lachskäfige seines Vaters, die am nördlichen Ende des Lough Swilly oberhalb von Fanad Head im offenen Meer schwammen, absolviert und befand sich auf dem Weg nach Hause. Seinen Termin im Golfclub von Portsalon hatte er kurzerhand über Funk abgesagt. Weil das, was er bei seiner Inspektion entdeckt hatte, ihm große Sorgen bereitete. Darum musste er dringend mit seinem Vater sprechen. Er hatte den Anlegesteg seiner Familie fast erreicht, als er aus dem Augenwinkel etwas wahrnahm. Er blickte sich um und wurde blass. Einige hundert Meter weiter südwestlich, etwa auf der Höhe von Buncrana, der größten Stadt Inishowens, sichtete er in der Mitte des Loughs Calum O’Briens Boot. Es war leer.

Declan erschrak bis ins Mark. Er lenkte seine Sea Ray so schnell es ging hinüber. In Bruchteilen von Sekunden registrierte er, dass das Boot verankert worden war, und auch, dass die Taucherausrüstung, die Calum genau wie er selbst immer an Bord hatte, fehlte. Das konnte nicht sein, oder? Diese Frau würde doch wohl nicht allein …

Seine Augen huschten hektisch über die Wasseroberfläche, aber er konnte nichts entdecken. Der Lough Swilly lag ruhig und friedlich vor ihm.

Pures Adrenalin schoss durch seine Adern, und plötzlich war alles wieder da. Der Kummer, die Angst und die Hilflosigkeit, alles, was er vor zwei Jahren in den Alpen hatte durchmachen müssen, kehrte in seiner ganzen Grausamkeit zurück. Es traf ihn wie ein Keulenschlag. Für einen kurzen Moment verharrte er wie gelähmt. Doch dann vertäute er die beiden Boote miteinander und griff entschlossen zu seinem Neoprenanzug.

2


»Das war ja wohl eine bodenlose Frechheit! Ich meine, was glaubt dieser Kerl eigentlich, wer er ist? Kanzelt mich ab, als wäre ich ein unmündiges Schulmädchen. Unverschämtheit! Dabei habe ich vermutlich mindestens genauso viel Erfahrung wie dieser … dieser arrogante Höhlenmensch. Und was der mir alles an den Kopf geworfen hat, unglaublich. Das regt mich echt auf, Mann!«

Calum O’Brien stand mit verschränkten Armen etwas abseits des Anlegesteges von Rathmullan und amüsierte sich köstlich über die lauthals schimpfende Blondine in den engen Jeans und der schillernd gelben Öljacke, die gerade sein Boot vertäute. Offensichtlich bemerkte sie ihn nicht! Es wurde Zeit, das zu ändern, denn eigentlich hätte er längst wieder im Pub sein sollen.

»Du weißt schon, dass es ziemlich verrückt wirkt, was du da gerade tust, Brittany Baxter, oder?«, fragte er.

Britt erschrak und schnellte herum. »Ah, Cal, du … bist es«, stammelte sie verlegen.

»Ja, ich bin es. Und du siehst mich sehr erfreut, dass nicht nur du, sondern auch mein Boot in einem Stück zurückgekehrt sind. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht.«

»Das war völlig unnötig. Ich wäre auch schon längst wieder da gewesen, wenn ich nicht …, wenn ich nicht diesem …«

»… wenn du nicht diesem arroganten Höhlenmenschen begegnet wärst?«, schlussfolgerte Calum schmunzelnd.

Britt nickte und ihre hellblauen Augen funkelten wütend. »Ich sage dir, wenn die Welt eines nicht braucht, dann sind es Typen wie diesen Jack Sparrow.«

»Wen?«

»Na, den personifizierten Fluch der Karibik, der mich gerade ereilt hat. Ich kann dir seinen richtigen Namen leider nicht sagen, er hat sich nämlich nicht vorgestellt, …dieser …, dieser …«

Calum lachte laut auf. »Wenn überhaupt, dann doch wohl eher Irlands personifizierte Antwort auf den Fluch der Karibik, oder? Du solltest dich beruhigen, Britt! Ich hätte nie gedacht, dass du so viel Temperament hast, aber es gefällt mir. Was nun deine Bekanntschaft mit dem dunklen Piraten angeht: Ich kann mir schon denken, wer da deinen Weg gekreuzt hat.«

»Was?«, erwiderte Britt überrascht. »Du kennst diesen unmöglichen Mann?«

»Ich denke ja. Hör zu, geh doch schon mal vor zum Pub. Ich habe vergessen, Wechselgeld zu holen, und wollte im Zeitungskiosk am Ende der Straße nachfragen, ob sie aushelfen können. Aber dann sah ich dich ankommen und musste einfach schauen, ob alles in Ordnung ist. Charly, meine Kellnerin, wird sich schon fragen, wo ich bleibe, ich hatte ihr gesagt, dass ich nur ein paar Minuten brauche. Wenn ich zurück bin, können wir uns weiter über deine seltsame Begegnung unterhalten, und vielleicht erklärst du mir dann auch, warum dein Haar nass ist.«


Ertappt zuckte Britt zusammen und setzte zögerlich zu einer Erklärung an, aber Calum hatte sich bereits abgewandt und war losgelaufen. Na gut, dann würde sie die Beichte eben später ablegen. Es würde schon nicht so schlimm werden. In den paar Tagen, in denen sie sich nun in Rathmullan aufhielt, hatte sie Calum O’Brien bei ihren Besuchen im Beachcomber als einen sehr besonnenen Mann kennengelernt, den nichts so schnell aus der Ruhe brachte. Und er hatte sich als angenehmer Gesprächspartner erwiesen, der ihr von Anfang an sympathisch gewesen war. Nichtsdestotrotz hätte sie seine Sachen nicht einfach so nehmen dürfen. Das gehörte sich einfach nicht. Aber sie hatte Ablenkung gebraucht, nachdem sie an diesem Ort gewesen war. Jenem Ort, der so schicksalshaft für ihr Leben war. Fanad Head.

Britt hatte gewusst, dass das Wiedersehen mit der nördlichsten Spitze der Halbinsel und mit dem Leuchtturm, der sie zierte, emotional sein würde. Aber das hatte es letztendlich nicht mal im Ansatz getroffen. Es hatte sie völlig umgehauen. Sie hatte sogar Calums Boot, mit dem sie die steilen Klippen unterhalb des Leuchtturms umrundet hatte, anhalten müssen. Weil die vielen Tränen, die sie jahrelang zurückgehalten hatte, explosionsartig an die Oberfläche gedrängt waren und ihr die Sicht genommen hatten. Und weil sie am ganzen Körper gezittert hatte und befürchten musste, dass sie am Ende womöglich kollabierte. Was zum Glück nicht geschehen war.

So lange war sie stark gewesen. Für ihre Mutter, die so viel Unglück hatte aushalten müssen und trotzdem nie geklagt hatte. Nicht, als sie ihren Mann auf tragische Weise verlor, und auch nicht, als sie so schwer erkrankte. Jetzt, wo sie ebenfalls gegangen war, gab es keinen Grund mehr, den eigenen Schmerz zu bekämpfen oder gar zu verdrängen. Endlich konnte sie die Trauer um den Vater zulassen, den sie nur so kurze Zeit an ihrer Seite gehabt, der sie aber für ihr ganzes Leben geprägt hatte. Auch deswegen sah sie es, entgegen dem Willen ihrer Mutter, als ihre Pflicht an, herauszufinden, warum er hatte sterben müssen. Damals am Fanad Head. Darum war sie nach Irland gekommen, und sie würde diese Aufgabe schon bald in Angriff nehmen. Aber noch war sie nicht so weit. Noch traute sie sich nicht, den Mann zu treffen, der ihr vielleicht helfen konnte. Sie hoffte so sehr, dass er es konnte.

Irgendwann waren die Tränen versiegt, und sie hatte wieder Fahrt aufgenommen. Ihr Herz hatte allerdings tonnenschwer in der Brust gelegen, als sie das Boot wieder in Richtung Rathmullan lenkte, und in ihrem Kopf hatte sich durch die dunklen Erinnerungen eine erschreckende Leere breitgemacht, die sie gelähmt und ihr die Konzentration genommen hatte. Sodass sie am Ende beinahe mit einem anderen Boot zusammengestoßen wäre.

Britts Miene versteinerte, denn der Fahrer dieses Bootes war er gewesen. Der Höhlenmensch, der sie eine Stunde später zur Minna gemacht hatte. Jedenfalls hatte er das versucht.

Ohne dass sie es wollte, schlichen sich die Bilder dieser Begegnung wieder in ihren Kopf, und die feinen Härchen auf ihren Armen richteten sich auf, als sie sich an seine dunkle Stimme erinnerte. Sie war aus dem Lough aufgetaucht, und da hatte er in seinem Boot vor ihr gestanden. Mit einem zur Hälfte übergestreiften Taucheranzug, den Oberkörper noch nackt. Einem wohlgebauten und kräftigen Oberkörper, auf dessen Brust ein paar dunkle Haare in der Sonne geglitzert hatten. Ein wahres Prachtexemplar von Mann. Als er die ersten Worte an sie richtete, hatte sie sich sogar ein bisschen schockverliebt.

»Geht es Ihnen gut?«, hatte er besorgt gerufen, und sie hatte schon erwidern wollen, dass es ihr nie besser gegangen wäre, doch wie aus dem Nichts hatte sich der Gesichtsausdruck des Mannes, vor allem aber seine Stimmlage geändert. »Wie blöd kann man eigentlich sein?«, hatte er sie plötzlich wutschnaubend gefragt, und sie hatte gar nicht gewusst, wie ihr geschah.

Als sie daran dachte, stieg Britts Wutpegel prompt wieder in astronomische Höhen und eine weitere Schimpftirade lag ihr auf der Zunge. Doch bevor es soweit kam und noch weitere Bewohner Rathmullans auf ihr seltsames Verhalten aufmerksam wurden, nahm sie ihre Tasche aus dem Boot und machte sich auf den Weg ins Pub.


»Also?«, fragte zehn Minuten später ein noch etwas atemloser Calum, der ungefragt ein Ginger Ale vor sie auf die Theke stellte. »Womit hat mein Kumpel dich so geärgert?«

»Oh bitte, Cal!«, zischte Britt genervt. »Ich habe echt keine Lust, mir von diesem Typen weiter die Laune verderben zu lassen. Können wir bitte das Thema wechseln?«

Calum sah sie halb belustigt, halb nachdenklich an. »Ich dachte nur, es würde dir helfen, wenn du deinen Frust mit jemandem teilst. Aber gut, wie du meinst. Dann reden wir über das andere.«

»Über das andere?«, fragte Britt irritiert. »Ich weiß nicht, was du meinst.«

»Na, die nassen Haare. Bist du etwa über Bord gegangen?«

Britt errötete leicht. »Nein. … Äh, das heißt ja. Aber nicht so, wie du denkst.«

Calum verschränkte die Arme vor der Brust. »Ehrlich gesagt habe ich gar keine bestimmte Vorstellung, doch ich bin sehr gespannt auf deine Erklärung.«

Britt griff nach dem Glas und nippte nervös an dem eisgekühlten Ginger Ale. Es war ihr Lieblingsgetränk, momentan wäre ihr allerdings eher nach einem doppelten Whiskey zumute gewesen. Sie atmete tief durch.

»Okay, ich sag es dir, aber versprich mir, dass du dich nicht aufregst.«

»Das ist einer dieser Sätze, bei dem von vornherein sehr wahrscheinlich ist, dass man anders reagiert, als erwünscht. Also gut, heraus mit der Sprache! Was hast du ausgefressen?«

»Nichts Schlimmes. Denke ich jedenfalls. Okay, ich hätte dich fragen müssen, aber als ich sie gesehen habe, konnte ich nicht anders, ich musste sie einfach nehmen.«

»Was, Britt? Was musstest du nehmen?«

»Ähm, … na, deine Taucherausrüstung.«

Die Kinnlade des schlaksigen Iren fiel nach unten. »Du hast bitte was getan?«

»Also gut, bevor du völlig ausflippst, kann ich dir versichern, dass sie genauso wie dein Boot heil geblieben ist. Sicher hätte ich dich vorher um Erlaubnis bitten müssen. Doch als ich gegen Mittag losfuhr, hatte ich noch gar nicht vor zu tauchen. Ich wollte lediglich hoch zum Fanad Head fahren, was ich auch getan habe. Als ich auf dem Rückweg jedoch diese Stelle im Lough passierte, musste ich einfach halten. Und als ich dann unter einer der Bänke im Boot die Taucherausrüstung entdeckte, erschien mir das wie ein Wink des Schicksals – umso mehr, als der Neopren-Anzug dann noch halbwegs passte und auch die Sauerstoffflasche gefüllt war. Da musste ich es einfach tun.«

Calum hatte ihr vermeintlich ruhig zugehört, als Britt ihn nun jedoch näher musterte, erkannte sie an seinem eisigen Blick und an seinen geballten Fäusten, dass er wütend war. Richtig wütend. Nervös ließ sie ihren Blick durch die noch kaum besuchte Kneipe schweifen, aber niemand schien von ihrer Unterhaltung Notiz zu nehmen. Weder einer der wenigen Gäste noch Charly, die am anderen Ende der Theke stand und gedankenverloren ein Glas polierte.

»Bitte sei nicht sauer, Cal!«, beeilte Britt sich zu sagen. »Ich sagte doch, deiner Ausrüstung ist nichts geschehen.«

Calum winkte ab. »Darum geht es nicht. Sag mir, wo! Wo ist diese Stelle, an der du unbedingt tauchen musstest?«

Britt senkte den Kopf. »Etwa auf der Höhe von Buncrana.«

Calum gab einen Laut des Unwillens von sich, der Britt veranlasste, wieder aufzusehen. Und was sie in seinem Gesicht las, erschreckte sie zutiefst. Denn was ihr da entgegenschlug, war Abscheu und eine beinahe greifbare Verachtung.

»Cal, bitte …«, raunte sie hilflos und versuchte über die Theke nach seiner Hand zu greifen. Doch Calum wich zurück.

»Du bist zur Laurentic getaucht?«, stieß er mit bebender Stimme aus. »Von wegen Touristin. Ich hätte nie gedacht, dass du zu diesen elenden Schatzsuchern gehörst. Wie man sich doch täuschen kann.« Angewidert drehte er sich um.

Britt setzte zu einer Rechtfertigung an, doch genau in diesem Moment betrat eine Gruppe lärmender junger Männer den Pub, die lautstark nach einer Runde Bier verlangten.

Ungeduldig sah Britt dabei zu, wie Calum und Charly ihre neuen Gäste und auch jene, die in den Minuten danach ins Beachcomber strömten, umgehend versorgten. Vielleicht würde sie nicht so bald eine Gelegenheit bekommen, noch mal mit Calum zu sprechen. Wenn nötig, würde sie jedoch den ganzen Abend und die halbe Nacht hier warten. Denn das konnte und wollte sie so nicht stehen lassen. Sie war keine Schatzsucherin. Und schon gar nicht war sie eine elende Schatzsucherin. Was hatte sie eigentlich verbrochen, dass sie heute von jedermann so übel angegangen wurde? Ja, sie war zur Laurentic getaucht. Aber dafür gab es einen guten Grund. Und den wollte sie Calum gern nennen. Vielleicht würde er dann das Urteil zurücknehmen, das er gerade über sie gefällt hatte.

Eine ganze Weile später sah sie, dass Calum durch eine Tür in den hinteren Teil des Pubs verschwand. Britt zögerte nicht, glitt von ihrem Barhocker und folgte ihm. Energisch knallte sie die Tür, die zu einer Vorratskammer führte, hinter sich zu. Calum, der gerade ein paar Tüten Brotchips aus einem Schrank geholt hatte, erschrak und fuhr herum.

»Können wir noch mal reden?«, fragte Britt ihn mit herausforderndem Blick.

»Nein, können wir nicht!«, brummte der blonde Mann und versuchte an ihr vorbeizugehen, aber Britt stellte sich ihm in den Weg.

»Du hast wirklich Nerven, Cal. Wirfst mir da irgendwelche Dinge an den Kopf, und ich darf mich nicht mal verteidigen? So läuft das nicht. Denn lass dir gesagt sein: Ich bin keine Schatzsucherin. Und ich habe auch niemals behauptet, als Touristin hier zu sein, das hast du dir nur selbst so zusammengereimt.« Britt brach prompt ab. Sollte sie ihm das wahre Motiv nennen, das sie nach Fanad geführt hatte? So schnell sich diese Frage in ihren Kopf geschlichen hatte, so schnell verneinte sie sie im Stillen. Das ging Calum nichts an. Hastig sprach sie weiter: »Ich habe diesen Tauchgang unternommen, um zu recherchieren. Aus diesem Grund und aus keinem anderen!« Das mit dem Recherchieren stimmte sogar, wenn ihr auch die Idee, für eine Story nach der Laurentic zu tauchen, erst gekommen war, als sie das Ticket nach Irland schon längst gebucht hatte. Aber das musste sie dem Mann ja nicht stecken.

Calum sah sie verblüfft und gleichzeitig misstrauisch an. »Du hast gesagt, du bist hier, um dir die Grafschaft Donegal anzusehen. Da musste ich doch wohl annehmen, dass du eine Touristin bist, nicht wahr? Und was meinst du mit recherchieren? Bist du etwa Journalistin?«

Britt schüttelte den Kopf. »Nein, ich schreibe Bücher. Krimis genauer gesagt. Und in meiner nächsten Geschichte soll die Laurentic eine Rolle spielen. Nur deshalb war ich dort unten und nicht etwa, weil ich hoffte, die noch vermissten Goldbarren zu finden.«

Calum sah sie zerknirscht an. »Ähm, also gut. Dann muss ich mich wohl entschuldigen. Aber das konnte ich schließlich nicht riechen.«

»Du hättest nur zu fragen brauchen, anstatt mir gleich solche Anschuldigungen um die Ohren zu hauen.«

»Ja sorry, vielleicht hätte ich genauer nachhaken sollen. Aber ich dachte halt, du bist wie all die anderen, die hierherkommen und auf die Barren aus sind. Weißt du, als die Laurentic damals versenkt wurde, starben viele Menschen. Für uns Einheimische ist diese Stelle im Lough Swilly vor Buncrana ein Friedhof, und jeder, der sich ihr aus Habgier nähert, ist in unseren Augen nichts weiter als ein Grabschänder. Kein Wunder, dass mein Kumpel sich aufgeregt hat, als er dich dort entdeckte. Er wird das gleiche gedacht haben wie ich.«

Britt schüttelte energisch den Kopf. »Nein. Das war eindeutig nicht sein Problem. Als ich auftauchte, war er gerade dabei, sich selbst einen Neoprenanzug überzuziehen. Er wirkte zunächst überhaupt nicht wütend auf mich, im Gegenteil, er machte sogar einen erleichterten Eindruck und fragte mich, ob es mir gut gehe. Ich dachte noch, wie bemerkenswert es ist, dass er mich anscheinend ohne zu zögern aus einer vermeintlichen Notsituation retten wollte. Doch auf einmal hat er sich furchtbar aufgeregt und machte mir schwere Vorwürfe, dass ich allein getaucht bin. Weil der Lough Swilly schließlich ein Meeresarm mit unberechenbaren Strömungen sei und für mich ein unbekanntes Gewässer. Regelrecht ausgerastet ist er. Na ja, ganz Unrecht hatte er mit seinen Vorwürfen vielleicht nicht, aber das kann man auch höflicher ausdrücken, als er es getan hat. Schließlich bin ich kein kleines Kind mehr. Ich habe ihm ganz schön Kontra gegeben, das kann ich dir sagen.«

Calum war während ihrer Worte noch blasser geworden. »Ach herrje!«, raunte er betroffen. »Natürlich ist er ausgeflippt.«

Britt sah ihn verwirrt an. »Natürlich? Wovon redest du?«

Calum legte die Tüten, die er noch immer in der Hand hielt, auf einem Tisch ab und fuhr sich durch die Haare. »Ich rede davon, dass Declan vor zwei Jahren durch einen Unfall seine Frau verloren hat.«

Britts Augen weiteten sich entsetzt. »Oh nein, wie schrecklich!«, hauchte sie. »Und es ist beim Tauchen passiert?«

»Nein, das nicht. Aber seit dieser Geschichte ist er bei manchen Dingen sehr sensibel.«

»Was unter diesen Umständen nicht verwunderlich ist. Und es erklärt sein Verhalten natürlich. Verdammt, und ich habe ihn so wüst beschimpft …«

Calum winkte ab. »Mach dir darüber keine Gedanken. Du konntest es ja nicht wissen. Hör mal, können wir vielleicht später weiterreden? Ich muss zurück an den Zapfhahn, bevor Charly mich noch auf die Vermisstenliste setzt.«

Britt nickte, trat zur Seite und ließ ihn vorbei. Plötzlich fiel ihr etwas ein. »Warte! Sagtest du gerade, dein Freund heißt Declan?«

»Ja«, erwiderte Calum verwundert. »Declan Connolly. Warum?«

»Declan Connolly?«, wiederholte Britt schockiert. »Das ist jetzt nicht wahr, oder?«