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»Am Ende wird alles gut!
Und wenn es noch nicht gut ist,
ist es noch nicht das Ende.«

Oscar Wilde

»Meines Erachtens konfrontiert uns Trauma mit dem Besten und dem Schlimmsten: einerseits mit den Abscheulichkeiten, die Menschen einander antun, andererseits aber auch mit Resilienz, mit der Macht der Liebe und Fürsorge, mit Bindung, Engagement, Selbstverpflichtung und dem Wissen, dass es Größeres gibt als unser individuelles Überleben … Wir können die Pracht des Lebens nicht wertschätzen, wenn wir nicht auch die dunkle Seite davon kennen.«

van der Kolk 2017 (Übers.: S. Z.)

Silvia Zanotta

Wieder ganz werden

Traumaheilung mit
Ego-State-Therapie und
Körperwissen

Unter Mitarbeit von Michelle Graf

Zweite Auflage, 2019

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Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:

Prof. Dr. Rolf Arnold (Kaiserslautern)

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Themenreihe »Hypnose und Hypnotherapie«

hrsg. von Bernhard Trenkle

Reihengestaltung: Uwe Göbel

Umschlagmotiv: Daniela Inderbirken

Illustrationen: Karin Hutter

Satz: Drißner-Design u. DTP, Meßstetten

Printed in Germany

Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

Zweite Auflage, 2019

ISBN 978-3-8497-0324-0 (Printausgabe)

ISBN 978-3-8497-8156-9 (ePUB)

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Inhalt

Geleitwort

Vorwort

Einleitung

Der Körper kennt den Weg

Psychotherapie als Bindungswerkstatt

Korrigierende Bindungserfahrungen mit der Ego-State-Therapie

1Hypnosomatische Ego-State-Therapie

Ego-State-Therapie mit dem Körper

Die Lösung geschieht von selbst

Veränderung geschieht über den Körper

Beziehung und Sicherheit

Wenn die Innenwelt gefährlich erscheint

Den Ball flach halten: Selbstregulation des Therapeuten

Die Ego-States des Therapeuten

Die Kunst der Beziehungsgestaltung

Orientierung und Sicherheit durch Psychoedukation

Verankerung in der Gegenwart durch Containment

Sicherheit steht an erster Stelle

2Biologische Grundlagen, theoretische Überlegungen

Die Suche nach Sicherheit

Das soziale Nervensystem

Wenn’s brenzlig wird: biologisch angelegte Reaktionen

Die Hierarchie der Abwehr

Trauma als eingefrorene (Defensiv-)Reaktion

Fehlalarm: Die Nachteile der Neurozeption

Zurück ins Jetzt: Die Auflösung von traumatischem Stress

Sicherheit körperlich erzeugen

Transformation: Von der Immobilität zur Lebendigkeit

Das Medikament (Ver-)Bindung

Berührung in der Psychotherapie

Soziales (Um-)Lernen in der Therapie

Regulieren kommt vor Explorieren

Wissen, wie einem geschieht

Zuerst erleben, dann reden

Von der Verletzung zur (Neu-)Vernetzung

Das »dreieinige« Gehirn

Das Gleichgewicht wiederfinden

Umgang mit Widerstand: Das Toleranzfenster

Sich ins Gleichgewicht pendeln

Der späte Triumph: wer zuletzt lacht

3Die Vorteile der Ego-State-Therapie

Die Beziehungstherapie

Verlässliche Allianzen bilden

Wachstum dank Kooperation

Die korrigierende Erfahrung in der Ego-State-Therapie

Destruktiv agierende Ego-States

4Dissoziation und Erstarrung

Die Angst und Panik traumatisierter Ego-States

Gleichzeitig den Boss beachten

Anzeichen von Ego-States in Angst und Panik

Angstträume

Präverbale Traumata

Anzeichen präverbaler Traumata

Spirituelle Ressourcen nutzen

Sich durch Klopfen wieder verbinden

Aus der Erstarrung zur Beweglichkeit

Andere States um Hilfe bitten

Umgang mit Dissoziation in der Ego-State-Therapie

Verletzte Grenzen wiederherstellen

Trauma und Dissoziation durch Zurückweisung und Vernachlässigung

5Wut als Kraft

Die Wut utilisieren

Unangemessene Wut

Wütende Persönlichkeitsanteile

Von Ohnmacht zu Stärke

Ausdruck von Wut als Ermächtigung

Die Wut aus dem Körper befreien

Die Wut fließen lassen

Grenzen ziehen – loslassen

Konflikt-Ego-States – das innere Dilemma

6Scham und Schuld

Scham, die versteckte Emotion

Gesunde Scham – toxische Scham

Scham versus Schuld – ein Vergleich

Konstruktiv mit Scham umgehen, Scham reparieren

Statt Vernichtung Verbindung erfahren

Krank durch Kränkung und Beschämung

Von der Schuld ins Handeln kommen

Echte und übernommene Schuldgefühle

Schuldgefühle entwirren durch den inneren Dialog

Gedankenkreisen loslassen

7Schmerzen und somatische Symptome

Resilienz aufbauen

10-Schritte-Modell zur Schmerzbehandlung (nach Maggie Phillips, 2013)

Schmerzen und somatische Symptome lindern mit Ego-State-Therapie

8Praktische Anwendungen in der Therapie

Der somatische Fokus in der Therapie

Ganzheitlich: top-down und bottom-up

Klare Strukturen geben Sicherheit

Selbstregulation – eine wichtige Ressource zu Beginn der Therapie

Atem zuerst!

Selbstregulation durch Überenergiekorrektur

Lernen, Empfindungen zu benennen

Focusing – achtsames Erleben im Hier und Jetzt

Pendeln

Grenzen wiederherstellen

Stabilisierung und Stärkung durch Ego-State-Therapie

Die Stärkung der Gesamtpersönlichkeit

Weitere stärkende Ego-State-Interventionen

Hilfreiche Klopftechniken

Allgemeine Richtlinien

Abschluss

Danksagung

Ausbildungsinstitute im deutschsprachigen Raum

Literatur

Über die Autorin

Geleitwort

Ein 10-jähriger Junge wird von zwei Jugendlichen kopfüber in eine Mülltonne gesteckt. Er kann sich nicht aus eigener Kraft befreien und bekommt kaum noch Luft. Neben furchtbarer Ohnmacht, lähmender Angst und Beschämung erlebt er tiefe Hoffnungslosigkeit: Er weiß, das Martyrium ist noch nicht zu Ende.

Eine syrische Mutter hat ihre Eltern, ihre Brüder und ihren Mann im Krieg verloren, ihr Baby ist krank. Sie weiß nicht, wohin. Sie setzt alles daran, ihr Kind zu retten; das gibt ihr die Kraft weiterzukämpfen, obwohl Wellen der Angst und Trauer sie überfluten.

Ein Säugling schreit im Dunkeln, er ist überwältigt von der Furcht, man habe ihn verlassen, vergessen. Wie laut er auch brüllt, niemand kommt. Er gerät in Panik, in eine tiefe existenzielle Angst. Die wohlmeinenden müden Eltern lassen ihn schreien, damit er lernt, dass sie nicht zu jeder Stunde an sein Bettchen rennen.

Traumatische Erfahrungen sind Teil unseres Lebens. Folgen darauf nicht unmittelbar Fürsorge und Verständnis, wird ein Persönlichkeitsanteil abgespalten und verharrt in Panik, Angst und Schrecken. Er kann jederzeit wieder auftauchen, mit den überwältigenden, ungelösten Gefühlen aus der Vergangenheit. Daher ist es für Therapeuten wichtig, über Mittel und Methoden zu verfügen, die den Zugang zu diesen im Trauma gefangenen Zuständen erlauben.

Die Persönlichkeit ist weder eindimensional noch simpel. So hat sich im Laufe des letzten Jahrhunderts allmählich die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine einzige psychotherapeutische Methode nicht ausreicht, um den vielen unterschiedlichen Problemen und Symptomen von Klienten gerecht zu werden. Freud, Jung, Adler und Federn haben Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts mit ihren Schriften grundlegende Elemente der Psychotherapie beigesteuert. Keine dieser frühen Thesen war jedoch ausreichend komplex. Obwohl einige Autoren sehr produktiv waren, blieb ihre Vorstellung von der menschlichen Persönlichkeit im Grunde recht einfach gestrickt. So ging man in der frühen psychodynamischen Therapie davon aus, dass die psychische Verfassung eines Menschen von seinen Erlebnissen von früher geprägt werde und dass man, um seine aktuellen Probleme lösen zu können, die damit zusammenhängenden Ereignisse aus der Vergangenheit kennen müsse.

Humanistische Psychotherapeuten wie Rogers und Perls glaubten, die Faktoren Introspektion, Verständnis und Akzeptanz im therapeutischen Raum bewirkten die erwünschte Veränderung. Kognitive Verhaltenstherapeuten wie Ellis, Skinner und Beck propagierten Verhaltensänderung durch Umdeutung und Hausaufgaben, also durch Verändern kognitiver Prozesse und durch Einüben neuer Muster.

Alle diese Ansätze gehen davon aus, dass eine gewisse Auswahl an Interventionen bei jedem Klienten funktioniert. Am deutlichsten ist dies bei der klassischen Psychoanalyse erkennbar, wo im Prinzip für jeden Klienten die gleichen Techniken eingesetzt werden. In der kognitiven Verhaltenstherapie haben zwar neuere Methoden wie Achtsamkeitstraining Einzug gefunden, doch grundsätzlich finden bei jedem Problem die Umdeutung kognitiver Muster und das Einüben neuer Verhaltensweisen Anwendung. Personenzentrierte (humanistische) Therapeuten setzen bei den meisten Klienten neben einigen Basistechniken nach wie vor aktives Zuhören und Selbsterfahrung durch Introspektion ein.

In Wieder ganz werden – Traumaheilung mit Ego-State-Therapie und Körperwissen informiert Silvia Zanotta den Leser über Trauma betreffende aktuelle theoretische Zusammenhänge und schlägt multiple Interventionsmöglichkeiten vor. Sie schöpft dabei aus einem breiten Wissen und ihrem persönlichen Erfahrungsschatz. Silvia Zanotta fördert einerseits als Organisatorin Fortbildungen zu aktuellen psychotherapeutischen Entwicklungen, andererseits bildet sie sich als Teilnehmerin derselben laufend weiter. Ihre Interventionen bei Traumata und anderen psychischen Problemen entstehen aus einer Kombination von Weisheit und Erfahrung sowie großem Respekt vor den Klienten.

Als Leser erfährt man in diesem Buch nicht nur mehr über Traumaheilung, sondern auch über den Umgang mit Widerstand, Schuld und Scham, Zurückweisung, Wut und anderen Herausforderungen im therapeutischen Prozess. Beispielhafte Transkripte und Fallvignetten illustrieren praxisnah den reichen Schatz an Interventionen und Zugängen.

Ich möchte dieses Buch wärmstens empfehlen. Es verleiht dem Leser ein tieferes und differenzierteres Verständnis der menschlichen Persönlichkeit und zeigt vielfältige neue Methoden zur Förderung der psychischen Gesundheit auf.

Gordon Emmerson, Ph. D.

Vorwort

Meine Freundschaft mit Silvia Zanotta nahm ihren Anfang, als sie mich 2009 in die Schweiz einlud, um dort ein Spezialseminar in Ego-State-Therapie abzuhalten. Schon damals war für mich klar, dass sie jene Voraussetzungen erfüllt, die eine hervorragende Ego-State-Therapeutin ausmachen. Denn ich beobachtete ihre Fähigkeit, sich mit den einzelnen Menschen im Raum zu verbinden und gleichzeitig die ganze Gruppe in einer sich unterstützenden, wohlwollenden Gemeinschaft willkommen zu heißen. Dieser zweischichtige Prozess ist nämlich das Herzstück der Ego-State-Therapie.

Dr. Zanotta ist eine begabte, überaus fürsorgliche und weise Therapeutin. Am meisten beeindruckt mich ihre Fähigkeit, ihren Klienten einen sicheren Raum zu verschaffen, wo sie sich umsorgt und aufgehoben fühlen. Dieser Aspekt wurde bereits in »Healing the Divided Self« (Phillips a. Frederick 1995) betont: Sicherheit, Stabilität und Stärkung als erstes Stadium von Heilung und damit Transformation traumatischer Erfahrungen im SARI-Modell. Diese Sicherheitsperspektive habe ich später zusammen mit Claire Frederick durch das Entwickeln der konfliktfreien Erfahrung vertieft, einer im Selbst vorhandenen Ressource, welche vielen Klienten schneller zu Stabilität und Sicherheit verhilft (vgl. Kap. 2, 4 und 8).

Meine früheren Schriften waren eine Weiterführung der von meinen Lehrern John und Helen Watkins entwickelten Theorie und Praxis der Ego-State-Therapie (Watkins a. Watkins 1997). Diese Therapieform war in der Hypnosegemeinschaft von Anfang an sehr beliebt, denn Hypnose bildete die Basistheorie für das Verständnis von und das Arbeiten mit Persönlichkeitszuständen der Fragmentierung, also dem dissoziativen Aufsplittern des Selbst, welches als automatische Reaktion auf Trauma geschieht. Und Hypnose wird eingesetzt, um Fragmentierung zu erkunden, zu halten und zu integrieren. In jüngerer Zeit wurde die Ego-State-Methodik zu multimodalen Anwendungen wie im vorliegenden Buch weiterentwickelt.

Stephen Porges’ bahnbrechende Arbeit der polyvagalen Theorie hat die Praxis der Traumatherapie revolutioniert; er ermöglichte damit ein neues Verständnis, wie das Nervensystem funktioniert. Porges besteht darauf, dass Sicherheit die Traumabehandlung ist. Sicherheit, die durch das Beachten der im Körper gespeicherten internen und externen Beziehungsdimensionen erreicht werden kann, bildet auch die Basis des von Silvia Zanotta in diesem Buch vorgestellten Ansatzes.

Obwohl viele Traumatherapeuten sich einig sind, dass Sicherheit essenziell wichtig ist, verstehen doch zahlreiche Fachleute und ihre Klienten nicht genau, was Sicherheit bedingt. In seiner 2017 veröffentlichten Schrift »Die Polyvagal-Theorie und die Suche nach Sicherheit« zeigt Porges, dass unsere Konzepte von Sicherheit nicht unbedingt mit denen unseres Körpers übereinstimmen. Er geht sogar davon aus, dass die durch Körperreaktionen definierte Sicherheit sich grundsätzlich von der kognitiv erfahrenen Sicherheit unterscheidet. In anderen Worten: Unsere linkshemisphärischen Einschätzungen von Gefahr spielen im Vergleich zu unseren viszeralen Reaktionen auf Menschen und Orte eine untergeordnete Rolle.

Auch Bessel van der Kolk (2014) hat in den letzten Jahren darauf hingewiesen, dass ungelöstes Trauma Zusammenbruch und Fragmentierung zur Folge hat. Er beobachtete, dass Fragmentierung Teil des Versuchs des Organismus ist, angesichts überwältigenden Stresses die Integrität zu bewahren, indem er nicht tolerierbare Aspekte des Selbst vom Kernselbst abspaltet – physisch, emotional, mental und durch die Sinne. John und Helen Watkins haben den gleichen Abspaltungsprozess mittels Hypnose in ihrem Ego-State-Modell schon Jahre zuvor erforscht. Allerdings legt van der Kolk mehr Gewicht auf die Arbeit mit dem Körper.

Erst in letzter Zeit hat der interpersonelle neurobiologische Ansatz in der Traumatherapie Beachtung gefunden; die Kombination von Bindungstheorie und dem ventral-vagalen sozialen Kontaktsystem von Porges wurde salonfähig. Dadurch ist ein mehr psychobiologisches Verständnis davon entstanden, wie wichtig starke Bindungserfahrungen sind, um durch den Prozess der wechselseitigen Koregulation Sicherheit zu schaffen.

Die in diesem Buch ausgeführte Traumaheilung mit Ego-State-Therapie und Körperwissen ist ein exzellentes Beispiel, wie grundlegende, wesentliche Sicherheitselemente in die Praxis umgesetzt werden können: Durch das Stimulieren und Erweitern von somatischen Prozessen und durch Beziehungsgestaltung kann eine breite Palette von posttraumatischen Problemen gelindert oder geheilt werden. Ganz einfach ausgedrückt: In diesem Buch findet der Leser praktische Anleitungen, wie Trauma durch das Schaffen neuer Beziehungs- und Körpererfahrungen umgewandelt werden kann.

Silvia Zanotta bereitet die Bühne schon am Anfang des Buches: Sie betont den Beziehungsaspekt der Psychotherapie und beschreibt, wie korrigierende Bindungserfahrungen in der Ego-State-Therapie möglich werden, indem der Fokus sowohl auf die Beziehung zwischen Therapeut und Klient als auch auf die inneren Verbindungen zwischen den Persönlichkeitsanteilen gelegt wird.

Des Weiteren betont sie, wie Ego-State-Therapie den Körper einbeziehen kann und sollte, damit Klienten von Immobilität zu Lebendigkeit gelangen und gleichzeitig neue Verbindungen in Gehirnfunktionen und Bindungserfahrungen entstehen. Obwohl der somatische Fokus seit einigen Jahren allgegenwärtig geworden ist (die Wichtigkeit des Körpers wurde nachweislich aufgezeigt von van der Kolk und anderen), bietet die in diesem Buch beschriebene Methode die außergewöhnliche Erkenntnis, dass Transformation, wenn überhaupt, viel langsamer und weniger ganzheitlich geschieht, wenn der Körper nicht in den Prozess des Auffindens und Arbeitens mit Ego-States und mit der gesamten Persönlichkeit inkludiert wird. Seit Längerem kombiniere ich Ego-State-Therapie mit einer der frühesten somatischen Therapien, der von Dr. Peter Levine zur effektiven Traumabehandlung entwickelten Somati-Experiencing®-Traumaheilung: Ich habe daraus die Somatic Ego State Therapy® entwickelt, welche der Entdeckung Rechnung trägt, dass sehr frühe Bindungstraumata, die nur im impliziten, präverbalen Gedächtnis gespeichert sind, mit dieser Methode erreicht und gelöst werden können, genauso wie andere über die ganze Lebenszeit erworbene Traumatypen.

Der Fokus auf den Körper zieht sich gekonnt als roter Faden durch Beschreibungen und Fallbeispiele, welche die Vorteile der Ego-State-Therapie aufzeigen: bei der Behandlung von Dissoziation und Freeze, Wut und Angst, Schmerz und somatischen Symptomen, Schuld und ganz besonders beim Thema Scham. Silvia Zanotta eröffnet im Kapitel VI »Scham und Schuld« einzigartige Perspektiven im Umgang mit dieser »versteckten Emotion«. Zahlreiche kurze Beispiele von Ego-State-Therapie-Interventionen illustrieren die Möglichkeit der nachhaltigen Veränderung und Entwicklung dieser Methode. Darunter finden sich auch detailliertere Beschreibungen, von der Kontaktaufnahme mit sehr jungen, auch präverbalen Ego-States einer an Panikattacken leidenden Klientin in leitender Funktion und ihrer Transformation bis hin zur multimodalen Ego-State-Therapie bei starken Trigeminus-Schmerzen.

Am Ende des Buches findet der Leser das exzellente Kapitel 8, »Praktische Anwendungen in der Therapie«, mit vielen Anleitungen zu Stabilisierungstechniken, somatischen und Ego-State-therapeutischen Vorgehensweisen: Die Methoden stammen aus der klinischen Hypnose nach Erickson, aus der Somatic-Experiencing-Traumatherapie, der energetischen Psychologie sowie aus atem- und achtsamkeitsbasierten Ansätzen. Nur schon deswegen lohnt sich der Kauf dieses Buches, denn darin ist viel Nützliches und Wertvolles für den Werkzeugkasten des Therapeuten enthalten.

Ich empfehle dieses Buch nicht nur Lesern, die in Ego-State-Ansätzen erfahren sind, sondern auch solchen, die diese dynamische, hocheffiziente Methode der Linderung und Heilung posttraumatischer Symptome kennenlernen wollen. Die Autorin lässt teilhaben an ihrer reichen klinischen Erfahrung und nimmt den Leser mit auf eine inspirierende Reise zu Selbstermächtigung und Ganzheit. Möge dieses neue, lohnende Buch in Ihr Bücherregal und ins Herz Ihrer Praxis finden!

Maggie Phillips, Ph. D.

Einleitung

Der Körper kennt den Weg

»Der Schlüssel zur Heilung von Traumasymptomen beim Menschen liegt meines Erachtens darin, dass wir lernen, jene fließende Anpassung wildlebender Tiere nachzuvollziehen, die nach dem Abklingen des akuten Geschehens die Immobilitätsreaktion von sich abschütteln und ihre volle Bewegungs- und Funktionsfähigkeit wiedererlangen« (Levine 1998, S. 27).

Bei der Begegnung mit Menschen in meinem Praxisalltag als Psychotherapeutin, Supervisorin und Ausbilderin habe ich immer wieder die Erfahrung gemacht, dass psychotherapeutische Techniken allein noch keine erfolgreiche Therapie ausmachen. Es gibt zwei zentrale Faktoren, die für seelische Heilung ebenso wichtig sind: die Beziehungsgestaltung und das Körpererleben.

In meiner therapeutischen Arbeit lasse ich mich von folgenden Prinzipien leiten:

a) der im Unbewussten impliziten Lösung von Symptomen (Milton Erickson),

b) der Aktualisierungstendenz im bedingungslos akzeptierenden therapeutischen Rahmen (Carl Rogers),

c) dem ganzheitlichen, achtsamen Erleben in der sicheren Beziehung im Focusing (Eugene Gendlin),

d) dem Teilemodell der Ego-State-Therapie (John und Helen Watkins) und

e) der Möglichkeit der Somatic-Experiencing-Traumalösung auf Körperebene (Peter Levine) bzw. der Kombination von d) und e): der Somatic Ego State Therapy (Maggie Phillips).

Da jeder Mensch in seiner Kombination von Persönlichkeitsanteilen einzigartig ist, ist es nur konsequent, sich auf jeden Klienten mit seinen individuellen Bedürfnissen und seiner ihm eigenen Aktualisierungstendenz neu (und immer wieder) einzustimmen: Jeder Mensch hat eine für ihn zugeschnittene Therapie verdient. Ich gehe davon aus, dass dem menschlichen Organismus eine uralte Weisheit der Selbstheilung innewohnt. Wird diese »innere Weisheit«, die im Körperwissen zum Ausdruck kommt, in die Therapie einbezogen, lassen sich viele Probleme und Symptome leichter lösen.

Als ich vor bald 20 Jahren in meiner Praxis zum ersten Mal einer komplex traumatisierten Klientin gegenübersaß, die mich offensichtlich trotz meiner freundlichen Bemühungen um Beziehungsaufbau als bedrohlich erlebte und immer wieder zu dissoziieren drohte, sodass ich mich genauso hilflos fühlte wie sie, ohnmächtig im verzweifelten Versuch, ihr einen sicheren Rahmen zu bieten, habe ich verstanden, wie wichtig Beziehungsgestaltung und Sicherheit für eine gelingende Psychotherapie sind. Durch enge Begleitung meines damaligen Supervisors Bruno Rutishauser (1994) und dank der Ausbildung in psychoimaginativer Traumatherapie bei Luise Reddemann habe ich dann doch einen Zugang zu besagter Klientin gefunden; ihr Toleranzfenster (Siegel 2007) vergrößerte sich allmählich. Meine Neugier war geweckt: Ich wollte mehr über Traumafolgen in Körper und Seele wissen, psychophysiologische, intra- und interpsychische Prozesse besser verstehen. Es folgten Ausbildungen in klinischer Hypnose, Ego-State-Therapie und Somatic-Experiencing-Traumatherapie. Durch Assistieren in vielen Seminaren bei Maggie Phillips und im Prozess mit zahlreichen Klienten habe ich mich intensiv mit Ego-State-Therapie und Körpererleben befasst, um auch komplex traumatisierten Menschen in einem sicheren therapeutischen Raum Hoffnung auf Kontrolle und Stabilität geben zu können und Veränderung in Richtung Heilung zu ermöglichen. Weil traumatische Erfahrungen immer auch im somatischen Gedächtnis gespeichert werden, spielt neben der Ego-State-Therapie eben auch der Einbezug des Körpers eine zentrale Rolle.

Diese vorhandene, aber oft brachliegende Ressource könnte von Psychotherapeuten mithilfe der in meinem hier vorliegenden Buch dargestellten hypnosomatischen, multimodalen Ego-State-Therapie, der Kombination von Ego-State-Therapie mit Körperverfahren, vermehrt genutzt werden. Durch Einbezug des Körpers lernen Klienten nicht nur, sich selber besser zu regulieren, sondern der Zugang zu unbewussten oder präverbalen, im impliziten Körpergedächtnis abgelegten Traumata und somatischen Ego-States wird möglich. Voraussetzungen dafür sind eine sichere therapeutische Beziehung und angemessenes Timing und Pacen im Rhythmus des Klienten.

Im Laufe meiner psychotherapeutischen Tätigkeit habe ich immer mehr erfahren, wie wichtig es ist, Körpersignale als Ressource vermehrt in die Psychotherapie einzubeziehen, sowohl bei mir in der Therapeutenrolle, wie ich mit meinen Reaktionen auf den Klienten und mit meinen Körperempfindungen umgehe, als auch beim Klienten, dessen Körper die Lösung oft präsentiert und wie von selbst zulässt, wenn der Therapeut offen ist dafür.

»Es geht mir so viel besser. Ich fühle mich viel stärker, die Anrufe meiner Mutter nehmen mich nicht mehr so mit. Ich staune nach jeder Therapiestunde, dass es so viel nützt, und bin unendlich dankbar« (46-jährige Klientin nach einer Abgrenzungsübung mit Haltungsveränderung, vgl. in Kap. 8 die Übung »Grenzen reparieren«).

»Ich habe mehr Platz im Körper bekommen. Die Schultern sind offener, es verändert sich etwas. Ich darf mir meinen Raum nehmen.«

»Das Schlussbild ist wunderschön und sinnlich. Der Körperprozess hat mich sehr berührt. Endlich konnte ich mich wehren!« (40-jährige Klientin).

»Durch die Ego-State-Therapie konnten schmerzhafte kindliche Zustände tröstend beeinflusst werden, sodass in mir Wärme und positive Gefühle entstanden sind. Durch die körperliche Verankerung dieser positiven Gefühle kann ich sie auch nach einiger Zeit immer noch abrufen, wenn ich sie brauche« (53-jährige Klientin).

Das Fokussieren auf somatische Empfindungen und Reaktionen hat meine Wahrnehmung für feinste Veränderungen und Zeichen in Gesicht und Körper des Gegenübers geschärft und erweitert. Veränderung ist meiner Erfahrung nach erst möglich, wenn der Klient ganzheitlich zu erfahren und zu begreifen vermag. Wenn er eine neue Erfahrung macht bzw. Veränderung erlebt, zeigt sich das unmittelbar anhand der Körperempfindungen. Klienten berichten dann: »Es beginnt sich etwas zu lösen«, »es entspannt sich«, »jetzt ist es ruhig« oder »es wird leichter«.

In der psychotherapeutischen Arbeit mit traumabetroffenen Menschen sind neben dissoziativen Phänomenen häufig Bindungstraumata anzutreffen. Diese beeinflussen die Beziehungsgestaltung und den psychotherapeutischen Prozess maßgeblich. Frühe Bindungserfahrungen sind delikat. Sie hängen vom feinen Zusammenspiel zwischen Bezugsperson und Säugling ab; dessen Bedürfnisse sollen feinfühlig erkannt und beantwortet werden, damit in den ersten Lebensjahren eine sichere Bindung entstehen kann. Diese wiederum ist Grundlage für das psychische Wohlbefinden und Vertrauen in andere Menschen und somit entscheidend für die psychische Gesundheit eines Menschen und für seine spätere Beziehungsgestaltung. In der Schweiz entwickeln laut dem Zürcher Psychologieprofessor und Bindungsexperten Guy Bodenmann rund die Hälfte der Kinder ein unsicheres Bindungsmuster. Seine Aussage in einem 2017 veröffentlichten Zeitungsartikel weist auf die aktuelle Relevanz des Themas in Bezug auf das Betreuungsmodell von Kleinkindern in den ersten drei Lebensjahren hin1.

Gemäß Frederick (2012) bildet sich bei Kindern im Alter von 2 Jahren eine innere Bindungsrepräsentanz, d. h. eine Art innere Landkarte von neuronalen Vernetzungen im Gehirn, die fortan Selbstregulation, Selbstwahrnehmung und das Verhalten des Individuums beeinflusst. Diese Bindungslandkarte bzw. dieses Bindungsmuster scheint die wichtigste Prägung nicht nur für Affekt- und Selbstregulation (Schore 2003), sondern auch für die weitere Entwicklung des Gehirns zu sein (Frederick 2012). Eine unsichere innere Bindungsrepräsentanz bzw. frühe Bindungsstörungen bilden also die direkte Ursache von komplexen Traumafolgestörungen und Dissoziation. Kommen im Laufe der Entwicklung weitere traumatische Erfahrungen hinzu, wird die Psychopathologie dadurch noch verstärkt. Viele psychotherapeutische Versuche, sichere Bindung herzustellen, haben nur ungenügende Resultate hervorgebracht oder gehen mit langer Therapiedauer einher. Beispiele dafür sind die direkte Psychoanalyse von Rosen (1983) oder das Konzept der symbolischen Realisierung von Sechehaye (1955), wo das Erfahren einer stabilen sicheren Beziehung über längere Zeit betont wird. Mit dem nachträglichen Nähren und der Stärkung des Selbst und der ganzen Persönlichkeit, aber auch durch das Schaffen von sicheren Bindungen mit ressourcevollen Ego-States oder mit »idealen Eltern« auf der inneren Bühne eröffnet die Ego-State-Therapie die Möglichkeit, diese im Alter von zwei Jahren geprägten Verbindungen im Gehirn nachhaltig zu verändern in Richtung Stabilisierung, Selbstregulation und Selbstwertstärkung, was sich zusätzlich auf das Verhalten und die zwischenmenschlichen Beziehungen auf der äußeren Bühne auswirkt. Außerdem verfügt der menschliche Organismus über ein reiches Potenzial an Selbstheilungskräften, das nicht nur auf der psychischen, sondern auch auf der körperlichen Ebene angeregt werden kann und analog zur Hypnotherapie zu überraschenden Lösungen führt. Durch die Kontaktaufnahme mit präverbalen Ego-States, die sich diffus auf der somatischen Ebene manifestieren, eröffnet zudem die Kombination mit körperpsychotherapeutischen Ansätzen wie Somatic-Experiencing-Traumatherapie nicht nur das Auflösen von Erstarrung und Dissoziation, sondern auch das Heilen von prä-, peri- und postnatalen Traumata.

Im ersten Kapitel dieses Buches unter »Hypnosomatische Ego-State-Therapie – Ego-State-Therapie mit dem Körper« wird vor dem Hintergrund aktueller neurobiologischer und psychologischer Erkenntnisse eine Synthese von Ego-State-Therapie und Hypnose sowie körperorientierter Psychotherapie vorgestellt. Auf dem sicheren Boden einer stabilen und klar strukturierten Beziehung zwischen Klient und Therapeut kann es für das Gelingen einer Psychotherapie entscheidend sein, den Körper einzubeziehen, gerade bei unbewussten, abgespaltenen Traumatisierungen oder Bindungsabbrüchen vor dem Spracherwerb, welche sensomotorisch im Körpergedächtnis gespeichert sind.

Im zweiten Kapitel werden wichtige Prinzipien der Ego-State-Therapie beleuchtet, die aufgrund ihrer Komplexität Therapeuten herausfordern und denen ich als Supervisorin und Ausbilderin begegne: der Umgang mit Widerstand und Blockaden, mit den destruktiv agierenden Ego-States, die das Herzstück der Ego-State-Therapie ausmachen, und die vielen Facetten der korrigierenden Beziehungserfahrungen auf der inneren Bühne. Es handelt sich hierbei um fortgeschrittene Themen der Ego-State-Therapie. Für das Kennenlernen und ein intensiveres Studium der Ego-State-therapeutischen Grundlagen sei auf die ebenfalls in dieser Reihe erschienenen Bücher von Fritzsche und Hartman (2010) und Fritzsche (2013) verwiesen.

In den weiteren Kapiteln wird mein mit Körperansätzen kombinierter Behandlungsstil vertieft, indem bewährte Techniken bei den spezifischen Herausforderungen aufgezeigt werden, die im therapeutischen Alltag mit traumatisierten Menschen immer wieder auftauchen. Dabei wird eine integrative Herangehensweise skizziert und mit Fallbeispielen untermalt.

Nicht nur Phänomene wie präverbale Traumata, Dissoziation, Schmerzen, Angst und Wut werden berücksichtigt, sondern auch die Wiederherstellung und das Wahren von Grenzen. Besonderes Augenmerk habe ich auf das Thema Scham und deren Behandlung gerichtet. Zu dieser versteckten und oft unerkannten, aber gerade bei Traumabehandlungen allgegenwärtigen Emotion gibt es interessanterweise nur wenig Literatur. Den von Peter Levine vorgeschlagenen, äußerst hilfreichen therapeutischen Zugang zu Scham habe ich in meine Arbeit integriert. Im sechsten Kapitel wird diese Vorgehensweise vorgestellt und anhand von konkreten Prozessbeschreibungen illustriert.

Neben diversen konkreten, gut praktikablen Anleitungen, Übungen und Interventionen findet der Leser im letzten Kapitel Informationen zu Ausbildungsinstituten, die Fortbildungen in Ego-State-Therapie, Somatic-Experiencing-Traumatherapie, Somatischer Ego-State-Therapie und sowie Prozess- und Embodimentfokussierter Therapie (PEP®) anbieten.

Der Einfachheit halber und um das Lesen des Buches angenehmer zu gestalten, werde ich – von den Fallbeispielen abgesehen – nur die männliche Form verwenden. Es sind jedoch stets Personen weiblichen und männlichen Geschlechts gleichermaßen gemeint, wenn von »Klienten« und »Therapeuten« die Rede ist.

Psychotherapie als Bindungswerkstatt

Wirksamkeitsstudien weisen darauf hin, dass die Qualität der therapeutischen Beziehungsgestaltung eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen der Therapie ist – neben der adäquaten Behandlung von Beschwerden (Grawe, Donati u. Bernauer 1994; Pfammatter 2012).

Wenn sich zwei Menschen in einer Begegnung aufeinander einlassen, begeben sich deren Körper unwillkürlich in ein psychophysiologisches Zusammenspiel, indem sich Rhythmen aufeinander einpendeln (Feldman 2017). Durch diese Synchronisierung entsteht eine Qualität des sich aufeinander Einstimmens, auch Attunement genannt. Diese Fähigkeit zu rhythmischer Einstimmung mit einer nahen Bezugsperson ist die Grundlage dafür, dass der Mensch lernt, seine emotionalen Zustände zu regulieren (Trevarthen 1999). Sowohl Gestik und Mimik als auch hormonelle Prozesse und autonome Vorgänge im Nervensystem und Gehirn beider Interaktionspartner gleichen sich einander an. Hingegen wirkt sich dysreguliertes Verhalten entfremdend auf Beziehungen aus und beeinträchtigt die Fähigkeit, sich zu erholen und Resilienz zu entwickeln (van der Kolk 2010). Ein Kind, das mit seiner Bezugsperson mangelnde Einstimmung erlebt, befindet sich in einem Zustand übermäßiger Erregung und vermag auf Belastungen nicht adäquat zu reagieren. Weil es sich nicht emotional regulieren kann, ist die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass es habituell mit Kampf oder Flucht reagiert (Scaer 2005). Nicht erst seit Ainsworth et al. (1978) wird untersucht, welche Rolle diese Übereinstimmungen im nonverbalen Verhalten zwischen Mutter und Kind für die Entstehung einer sicheren Bindung spielen. Physiologische Synchronisierung wird mit Phasen von gemeinsam erlebter, positiver Gestimmtheit in Verbindung gebracht (Feldman 2007; Woltering et al. 2015).

Hierfür ist das Konzept der »Reparatur« (Tronick 1989) zentral, das für die Fähigkeit einer Bindungsdyade steht, Irrtümer und konflikthafte Interaktionen wieder in koordinierte Kommunikations- und Verhaltensmuster umzuwandeln und somit wieder Harmonie herzustellen. Existiert eine sichere Bindung zwischen zwei Menschen, führen auch Brüche nicht zur Zerrissenheit oder Pathologie. Kinder, die im Laufe der Entwicklung viele »Reparaturen« erleben, zeigen eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung, »verletzte Bindungen« mit primären Bezugspersonen effektiv reparieren zu können. Gianino und Tronick (1988) folgern daraus, dass solche Kinder mit externalen Stressoren zurechtkommen und darum in Phasen zwischenmenschlicher Anspannung sozial engagiert bleiben. Diese Fähigkeit, in dyadischen Interaktionen eingestimmt zu bleiben, auch wenn es stressig wird, geht mit einer effektiven Selbstregulation einher (Feldman, Greenbaum a. Yirmiya 1999). Bindungen reparieren zu können und Frieden zu machen, setzt also emotionale Selbstregulation voraus und umgekehrt. Im Sinne eines zirkulären Prozesses festigt sich der Zusammenhalt in Beziehungen, womit sichere Bindungen geschaffen werden. Sichere Bindungserfahrungen manifestieren sich ganzkörperlich, denn sie wirken sich tiefgehend auf das körperliche und seelische Wohlbefinden aus. Das zeigt die neurobiologische Bindungsforschung (beispielsweise Feldman 2017, 2012 und Porges 2017a).

Diese Erkenntnisse könnten auch für die dyadische Arbeitsbeziehung in einer Psychotherapie interessant sein. Damit therapeutische Interventionen auf fruchtbaren Boden fallen können, muss zuerst die Beziehungsebene etabliert und geklärt sein. Insbesondere für Menschen, die aufgrund früherer Verletzungen Mühe haben zu vertrauen, ist es heilsam, wiederholt zu erfahren, dass die menschliche Verbindung in einer therapeutischen Beziehung trotz einer Irritation bestehen bleibt oder wiederhergestellt werden kann. Oft erleben diese Klienten in der Resonanz des Therapeuten zum ersten Mal, dass sie gesehen, gehört, gewürdigt und verstanden werden.

»Resonanz ist mehr als Empathie. Sie ist der Punkt, an dem wir zum Klienten in seinem Erleben auf der Energieebene in Beziehung treten, ohne uns selbst zu verlieren« (Paulsen 2014, S. 85).

Wenn beim Klienten in der Interaktion mit seinem Therapeuten bewusste oder unbewusste Erinnerungen an prägende verletzende oder traumatische Erfahrungen in zwischenmenschlichen Beziehungen wach werden, reagiert das autonome Nervensystem blitzschnell: die Umwelt und das Gegenüber oder auch eigene überwältigende Affekte oder Körperempfindungen werden nicht als sicher, sondern als gefährlich eingestuft, was eine Kaskade von Verteidigungsmechanismen auslöst. Diese Prozesse bleiben meist unbewusst. Stephen Porges nennt dieses unwillkürliche, nach Sicherheit strebende Wahrnehmungssystem Neurozeption. Meldet die Neurozeption Gefahr, verändert sich die Körperphysiologie jäh – und nicht nur die des Klienten. Die traumatische Erfahrung des Klienten aktualisiert sich im Hier und Jetzt der therapeutischen Interaktion und in seinem Körper. Die Irritation wird körperlich auch für den Therapeuten mittels seiner Neurozeption spürbar, welche die Umgebung oder eigene wachgerufene autonome Prozesse nun auch als gefährlich einstuft. Es kommt zu Gegenübertragungsgefühlen. Umso wichtiger scheint es, dass Therapeuten sich im Kontakt mit Klienten regulieren lernen, denn die Unfähigkeit, emotionale Erregungszustände zu beeinflussen, erschwert es Letzteren, von der Therapie zu profitieren (Jaycox, Foa a. Morral 1998). Stephen Porges weist in seiner 1995 veröffentlichten Polyvagal-Theorie darauf hin, dass akuter Stress das soziale Verhalten sichtbar beeinflusst und zuallererst im Gesicht und in der Prosodie der Stimme seinen Ausdruck findet.

Wie blitzschnell und unbewusst diese Neurozeptionsprozesse ablaufen, zeigen Untersuchungen zur Veränderung der Pupillengröße in sozialen Kontexten.

Einer Gruppe von Männern wurden Frauenporträts gezeigt, und die Männer wurden gebeten, diese nach dem Grad der Attraktivität einzuordnen. Die Hälfte der auf den Porträts abgebildeten Frauen hatten vor dem Fotoshooting Augentropfen verabreicht bekommen, welche die Pupillen vergrößern. Fast alle Männer bewerteten die Frauen mit vergrößerten Pupillen als attraktiver, ohne dass ihnen dieser Unterschied bewusst war (Hess 1975). Spätere bildgebende Verfahren zeigten, dass unabhängig von der Einschätzung der Attraktivität des Gegenübers der Anblick von Augenpaaren mit größeren Pupillen eine stärkere Aktivierung der Amygdala im Gehirn des Betrachters von Porträts hervorrief (Demos et. al. 2008). Kret (2017) wies darauf hin, dass Kleinkinder unbewusst die Pupillengröße von ihnen zugewandten Augenpaaren nachahmen, und zeigte, dass über soziales Lernen größere Pupillen mit Liebe, Fürsorge und Interesse des Gegenübers in Verbindung gebracht werden (Kret 2017). Größere Pupillen lassen das Gegenüber sympathischer wirken, aber nur, wenn sich die eigenen Pupillen dabei auch weiten. Die unwillkürliche Nachahmung der Pupillengröße scheint außerdem eine Bedingung für Empathie zu sein. Beim Anblick trauriger Gesichter mit kleineren Pupillen kontrahierten sich die Pupillen der Versuchspersonen ebenfalls (Harrison et al. 2006).

Tritt im Interaktionsfluss einer laufenden Psychotherapie beim Klienten ein regressiver Zustand auf in dem Sinne, dass sich ein verletzter oder ein schützender Ego-State im Bewusstsein des Klienten manifestiert, kann es zu mehr oder weniger subtilen Brüchen im Kontakt kommen, die mit Abwehrmechanismen zum Zwecke des Selbstschutzes einhergehen (Scaer 2005). Gelingt es, diese Irritationen im Hier und Jetzt anzusprechen – und auch nonverbal darauf einzugehen, indem der Klient unterstützt wird, sein Nervensystem in einen Sicherheit verheißenden Tonus zu bringen, kann die Verbindung zum Therapeuten eher aufrechterhalten oder wiederhergestellt werden, was mit einem Zuwachs an Vertrauen verbunden ist.

Der Prozess, in dem die Nervensysteme beider Beteiligter wechselseitig aufeinander einwirken, sodass sie sich in einen optimal ausbalancierten Tonus hineinpendeln, wird Koregulation (Levine, Porges a. Phillips 2015) genannt. Wenn eine therapeutische Beziehung dem Klienten eine korrigierende Beziehungserfahrung ermöglicht, in der es gelingt, sich im Kontakt zum Therapeuten zu »koregulieren«, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der Klient sich auch außerhalb der Sitzungen selbst zu regulieren vermag.

Diese Entwicklung trägt indirekt zur psychischen Widerstandskraft bei, denn je besser Selbstregulation gelingt, desto selbstwirksamer erlebt sich ein Mensch. Er wird mutiger und stellt sich eher den alltäglichen Herausforderungen. Dadurch wächst sein Gefühl, Kontrolle zu haben. Mit der wachsenden Resilienz erweitert sich das Toleranzfenster für eine größere Bandbreite an Erregung (Siegel 2010) und damit die Fähigkeit, schwierige Gefühle eher zu tolerieren, auszuhalten und sich dabei handlungsfähig zu fühlen – und damit verstörende Lebensereignisse möglichst unbeschadet zu überstehen oder sich davon erholen zu können.

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Abb. 1: Sicherheit und Selbstregulation ermöglichen Resilienz

Korrigierende Bindungserfahrungen mit der Ego-State-Therapie

Die Ego-State-Therapie bietet für korrigierende Erfahrungen überaus nützliche Instrumente an. Sie ermöglicht neue Beziehungserfahrungen nicht nur zwischenmenschlich, sondern auch intrapsychisch – womit indirekt die Selbstregulationsfähigkeit gestärkt wird. Der Klient lernt nicht nur, sich neu auf seine Anteile zu beziehen, sondern auch die Anteile untereinander können gesunde Beziehungen eingehen, was die Integration und Flexibilität der gesamten Persönlichkeit fördert.

Der Therapeut hat hier eine Vorbildfunktion. Er ist Modell für einen respektvollen Umgang mit dem Klienten und allen Ego-States und lebt vor, wie eine sichere Beziehung zu den Ego-States und zum Klienten gestaltet werden kann. Auch beim Therapeuten können unbewusste oder sehr junge Ego-States angetriggert werden, was Gefühle der Ohnmacht, Wut oder Angst auslösen kann (vgl. Kap. 1 und 3).

So bietet die Ego-State-Therapie mannigfaltige Möglichkeiten, in der Kindheit und Jugend Verpasstes nachzuholen, zu verändern oder neu zu erschaffen, was in der Entwicklung fehlte. Dadurch werden neue neuronale Verbindungen geschaffen, die Gedanken, Empfindungen und Verhalten verändern. Bindungstraumata zum Beispiel können geheilt werden, indem Allianzen auf der inneren Bühne aufgebaut werden, die Sicherheit verleihen und Stabilität ermöglichen.

Da unser Organismus mittels Neurozeption stets nach Sicherheit sucht, kann der Klient diese korrigierenden Erfahrungen nur machen, wenn er innerhalb der therapeutischen Beziehung durch Koregulation darin unterstützt wird, sein Nervensystem zu regulieren und so seine Selbstregulationsfähigkeit ständig zu verbessern. Dieser Prozess ist per se schon eine korrigierende Erfahrung. Wenn ein Klient sich im Kontakt mit dem Therapeuten erlauben kann, sich sicher zu fühlen und sich zu entspannen, wirkt sich diese Erfahrung auch auf die Beziehungen im Umfeld des Klienten positiv aus. Neben der Selbstregulationsfähigkeit ermöglicht ein entspanntes Nervensystem kreatives Problemlösen.

1Aussage in einem Interview des Tages-Anzeigers vom 24.10.2017: »Fast jedes zweite Kind leidet an Bindungsstörung – welche Betreuungsformen können hier helfen?«

1Hypnosomatische Ego-State-Therapie

Ego-State-Therapie mit dem Körper

Zwei Beispiele aus der Praxis sollen zum Einstieg in dieses Kapitel veranschaulichen, wie hilfreich es sein kann, den Körper in die Psychotherapie miteinzubeziehen, und wie Ego-State-Therapie auf ganz natürliche Art und Weise mit Körperzugängen wie Somatic-Experiencing-Traumatherapie kombiniert werden kann.