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Kapitel 8


Jörn und ich sahen uns achselzuckend an. Wir konnten nicht erkennen, was gerade geschah. Ob überhaupt etwas geschah. Monja kniete neben der ausgestreckt liegenden Michiko und hatte ihre Hände auf Schulter und Hüfte der Japanerin gelegt. Beide Körper verharrten vollkommen ruhig in ihrer Stellung.

„Was sollen wir tun?“, fragte Jörn.

„Wir können nur warten.“

„Das geht jetzt schon seit einer Viertelstunde so.“

„Wir warten“, beharrte ich, weil ich Monja vertraute. Sie würde es schaffen und Michiko retten. Eine andere Möglichkeit wollte ich nicht akzeptieren. Da erst fiel mir auf, dass Monjas Augen offen waren. Sie sah mich an und langsam verformten sich ihre hinreißenden Lippen zu ihrem legendären Lächeln.

„Du hast es geschafft?“

„Ja.“

Michiko öffnete die Augen und sah in unsere Gesichter. Wir alle blickten sie gespannt an, um zu erfahren, mit wem wir es zu tun hatten. Trotz Monjas Versicherung bangten wir bis zuletzt um unsere Freundin.

„Hallo, Shalyn“, sagte Michiko mit schwacher Stimme.

Allein an diesen beiden Worten erkannte ich sie. Trotzdem wandte ich mich noch einmal an Monja. „Können wir sicher sein, dass sich Chiavelli nicht irgendwo in ihrem Inneren versteckt? Wäre das möglich?“

„Er ist weg“, antwortete meine Freundin ohne Zögern. „Ich weiß nicht, wo er jetzt ist, aber er ist nicht mehr in ihr.“

Ich nickte dankbar und strich über Michikos Wange.

Wir begannen sofort, unsere Verletzten in Jörns Gleiter zu verladen, um sie in die Werft zu bringen. Die Krankenstation dort war hervorragend ausgestattet und man konnte dort alles für Michiko und Marinko tun.

Als wir starteten, warf ich noch einen Blick auf ­Chiavellis Helfer, die sauber verschnürt neben ihrem Gleiter lagen. Ich verständigte vom Cockpit aus die World-­Police, damit sie die beiden Vögel einsammelte. Selbst wenn sie sich bis dahin befreien konnten, würden sie mit dem Gleiter nirgendwohin fliegen, dafür hatte Klakk gesorgt.

Während Jörn Richtung Yellowknife flog, saß ich hinten zwischen den beiden Patienten, die beide wieder bei vollem Bewusstsein waren.

Michiko drehte den Kopf und sah Marinko auf der Liege neben sich. „Wo ist dein Rattenfrosch?“, fragte sie mit schwacher Stimme.

„Den habe ich in Pflege gegeben, um dich zu retten“, antwortete er ebenso matt.

„Wer nimmt denn ein solches Pflegekind auf?“

„War nicht leicht zu finden.“

Dann mussten beide lachen und sofort wegen der einsetzenden Schmerzen wieder damit aufhören.

Ich betrachtete das ungleiche Paar und freute mich darüber, dass Michiko und ihr junger Freund alles so gut überstanden hatten. Marinko würde bei unserer Ankunft sofort operiert werden, seine Prognose erschien mir gut.

Jörn meldete sich vom Cockpit aus auf einem der schwenkbaren Monitore, die eigentlich zu Unterhaltungszwecken dienten. „Amos Carter hat sich gemeldet“, meldete er. „Michael Moses möchte dich dringend sprechen.“

Ich seufzte. „Es ist wohl zu spät, um zu behaupten, dass ich nicht da bin?“

„Ja, zu spät“, gestand mein Mann. „Tut mir leid.“

Jemand wie Moses rief nicht einfach nur an, weil er sich nach dem Befinden seiner Mitmenschen erkundigen wollte. Ich nickte und machte eine schicksalsergebene Handbewegung. Sofort wechselte das Gesicht auf dem Monitor. „Mister Moses, was kann ich für Sie tun?“, fragte ich.

Moses brummte eine undefinierbare Begrüßung, hielt sich ansonsten aber mit keiner unnötigen Vorrede auf. „Sie haben sicher von den Problemen mit meiner Tochter gehört?“

„Sie kämpfen mit Zizzi um die Vorherrschaft bei World-Market. Das war eine der ersten Neuigkeiten, die mir bei meiner Rückkehr zugetragen wurde. Der Konflikt hat die ernste Lage auf der Erde noch weiter verschärft.“

Er schnaubte. „Sich irgendwo im All herumzutreiben, würde ich auch nicht gerade als Dienst an der Allgemeinheit beschreiben.“

Ich hätte ihm erklären können, wie sehr er sich in diesem Punkt irrte, aber darum ging es in diesem Gespräch nicht.

Moses schien ähnlich zu denken, denn er schaltete innerlich ein paar Gänge herunter und fuhr mit beherrschter Stimme fort. „Meine Tochter hat sich mit einer Geheimorganisation namens WAVE eingelassen, die vom Grund des Pazifiks aus operiert.“

„Sie haben Sorge, dass WAVE Ihre Tochter im Kampf gegen Sie unterstützt?“

„Anfangs vielleicht, aber inzwischen weiß ich, dass WAVE eine größere Bedrohung ist, als Zizzi und ich angenommen haben. Für die gesamte Welt. Nach allem, was ich bisher weiß, besitzt die Organisation Schläfer in Behörden und Regierungen.“ Sein Gesicht verzog sich schmerzhaft. „Diese Leute haben einen wertvollen Mitarbeiter von mir getötet. Lester Pynch ist einem Bombenattentat zum Opfer gefallen. Ein unersetzbarer Verlust, persönlich wie wirtschaftlich.“

„Tut mir sehr leid“, sagte ich automatisch, da ich noch nie von diesem Pynch gehört hatte. Wie immer bei Gesprächen mit Moses hatte ich das Gefühl, nicht alles erzählt zu bekommen. Der Mann stand nicht in dem Ruf, besonders freigiebig mit Informationen zu sein. Er ­verriet meist nur das, was unbedingt nötig war, damit die Leute zu seinen Gunsten handelten.

„Meine Tochter ist zum Meeresgrund aufgebrochen, um mit einer Gruppe Söldner direkt gegen WAVE zu kämpfen.“

„Sollte das nicht in Ihrem Sinne sein? Ich meine, ich hätte etwas über einen Versuch Ihrerseits gehört, gegen die Organisation zu kämpfen. Von einer gewaltigen Flotte war da die Rede.“

„Nur ein paar Schiffe, die ich auf die Schnelle aufstellen konnte.“ Moses verzog das Gesicht, als habe er gerade einen Tritt in die Weichteile erhalten. „Eine furchtbare Katastrophe, wir hatten schlimme Verluste. Aber es unterstreicht nur das Ausmaß der Bedrohung. Außerdem betrifft diese Angelegenheit auch Ihren Freund Wernher von Witzleben.“

Es lag mir auf der Zunge, diese Bezeichnung zu korrigieren, da ich die Fledermaus für entschieden zu verrückt und unberechenbar hielt, um sie zu meinem engeren Freundeskreis zu zählen. Bekannter war sicher zutreffender.

„Sie haben sicher davon gehört, dass er verhaftet und inhaftiert wurde?“

„Nein!“, stieß ich aus. Die Fledermaus, ein Spezialagent, der wirklich mit allen Wassern gewaschen war. So einen Haudegen setzte man nicht so einfach fest.

„Er sitzt im Luna Asylum ein“, erklärte Moses, um dann zu ergänzen: „Das ist die vorherrschende Annahme.“

„Geht es auch etwas weniger geheimnisvoll?“, fragte ich immer noch sehr irritiert.

„Zizzi hat von Witzleben aus dem Gefängnis befreit, damit er sie bei ihrer Mission unterstützt.“

„Also ist von Witzleben frei?“

„Ja, aber davon weiß niemand etwas“, entgegnete Moses. „Vom Mond auf den Meeresgrund, die Fledermaus flattert ordentlich durch die Gegend.“

„Was soll ich Ihrer Meinung nach tun?“, erkundigte ich mich. „Verhindern, dass von Witzleben Ihre Tochter unterstützt? Sie überschätzen meinen Einfluss auf ihn. Außerdem brauchen Sie seine Flucht nur der Gefängnisleitung zu melden, dann werden die sich schon um Ihr Problem kümmern.“ Ich sprach mit Absicht so gleichgültig über von Witzleben, damit Moses endlich mit der Sprache herausrückte, was er eigentlich von mir wollte.

„Ich denke nicht, dass die ihn bis auf den Grund des Meeres verfolgen möchten, aber das ist auch nicht das Problem.“ Moses fuhr sich mit der Hand über die Augen. „Ich bin wahrscheinlich selbst daran schuld, dass Sie so vorsichtig und misstrauisch sind, Shalyn. In der Vergangenheit war ich sehr auf meinen persönlichen Vorteil bedacht und habe die Menschen möglicherweise ausgenutzt.“

„Sollte ich die Nachricht von Ihrer Läuterung verpasst haben?“ Ich verspürte den Reiz, zu lästern. Wollte er mir tatsächlich erzählen, er habe sich gebessert? Das Märchen von dem Menschenfreund Michael Moses, dem nur noch das Wohl des Planeten und seiner Bewohner am Herzen lag? Ich ließ ihn reden, mehr aus Neugier auf das Schauspiel, als aus Interesse an seiner absurden Geschichte.

„Was ich damit sagen will, Shalyn, wenn Sie diese Aufgabe übernehmen, dann dienen Sie nicht meinen Interessen, sondern helfen allen Menschen auf der Erde. Ich weiß nicht, was Zizzi und von Witzleben dort unten entdeckt haben, aber ich fürchte, es ist viel gefährlicher, als wir alle annehmen. Die bisherigen Kontakte mit einem Unterseeboot von WAVE haben die Überlegenheit unseres Gegners sehr deutlich gemacht, aber ich denke, dabei handelte es sich nur um die Spitze des Eisberges, wie man früher so gerne sagte.“

„Sie bitten mich also, zum Meeresgrund zu reisen und dort nach dem Rechten zu sehen?“

„Ich weiß, dass Sie seit Ihrer Rückkehr noch keine Verschnaufpause hatten, aber die Zeit drängt. Ich möchte nicht erst dann die wahren Absichten von WAVE erfahren, wenn die Bedrohung direkt vor der Tür steht.“

Ich überlegte schweigend. Es lag mir wirklich fern, Michael Moses zu vertrauen, aber in diesem speziellen Fall hatte ich das Gefühl, dass er nicht log. Er schien aufrichtig beunruhigt. Seine Besorgnis war so stark, dass ich sie deutlich am eigenen Leib nachempfinden konnte. Das war von Moses kein Spiel mehr. „Geben Sie mir die Koordinaten und alle Informationen, die Sie haben.“

Moses sah erleichtert aus und verströmte auch dieses Gefühl. Der Geschäftsmann war in diesem Moment wie ein offenes Buch für mich. Dennoch widersetzte sich alles in mir der Absicht, ihm blind zu vertrauen.

„Ich meine wirklich alle Informationen, auch diejenigen, die ein schlechtes Licht auf Sie werfen. Sollte ich böse Überraschungen erleben, die Sie hätten verhindern können, oder feststellen, dass Sie mir etwas verschwiegen haben, breche ich die Mission sofort ab.“

„In Ordnung, aber das würden Sie nicht tun, das wissen wir beide ganz genau.“

Da hat er recht, dachte ich, seufzte und beendete die Verbindung.

Andreas Zwengel & Olaf Kemmler
DAS KOSMISCHE TESTAMENT


In dieser Reihe bisher erschienen:

 

01 Der Virenplanet von E.C. Tubb

02 Die Tochter des Pfauen von Matthias Falke & Y.F. Yenn

03 Welt der Kraken von Matthias Falke & Y.F. Yenn

04 Der Schwarm aus Stahl von Matthias Falke

05 In den Grauzonen von Matthias Falke & S.H.A. Parzzival

06 Der stählerne Krieg von S.H.A. Parzzival

07 Die schwarze Pagode von Matthias Falke & S.H.A. Parzzival

08 Planet der schwarzen Raumer von Matthias Falke & S.H.A. Parzzival

09 Das Orakel von Chron von Achim Mehnert

10 Notruf aus Katai von Achim Mehnert

11 Tod eines Cyborgs von Achim Mehnert

12 Der ewige Feind von Achim Mehnert

13 Welt in Flammen von Achim Mehnert

14 Die letzte Fahrt der Hindenburg II von Andreas Zwengel

15 Unsterbliche Rache von Andreas Zwengel

16 Der Weg der Kriegerin von Andreas Zwengel
17 Die Janus-Attentate von Andreas Zwengel

18 Das Auge des Ra von Andreas Zwengel & Olaf Kemmler

19 Die fremde Macht von Andreas Zwengel & Olaf Kemmler

20 Die Ruinen von Antaran von Andreas Zwengel & Olaf Kemmler

21 Ewige Verdammnis von Andreas Zwengel & Olaf Kemmler

22 Flucht aus Luna Asylum von Andreas Zwengel & Olaf Kemmler

23 Das kosmische Testament von Andreas Zwengel & Olaf Kemmler


Andreas Zwengel & Olaf Kemmler


Das kosmische Testament




RAUMSCHIFF PROMET
Die Abenteuer der Shalyn Shan

Band 23




Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!
Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung
ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.
Infos unter: 
www.BLITZ-Verlag.de

© 2019 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 Windeck
Redaktion: Jörg Kaegelmann
Titelbild: Mario Heyer
Logogestaltung: Mark Freier
Satz: Harald Gehlen
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-95719-473-2

Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!