Über Georges Simenon

Georges Simenon, geboren am 13. Februar 1903 im belgischen Lüttich, gestorben 1989 in Lausanne, gilt als der »meistgelesene, meistübersetzte, meistverfilmte, mit einem Wort: der erfolgreichste Schriftsteller des 20. Jahrhunderts« (Die Zeit). Seine erstaunliche literarische Produktivität (75 Maigret-Romane, 117 weitere Romane und über 150 Erzählungen), viele Ortswechsel und unzählige Frauen betimmten sein Leben. Rastlos bereiste er die Welt, immer auf der Suche nach dem, »was bei allen Menschen gleich ist«. Das macht seine Bücher bis heute so zeitlos.

 

Fußnoten

Boscot ist die Bezeichnung für den Mannschaftschef auf einem Schiff, ähnlich dem Steuermannsmaat.

Unter der Rubrik »Schiffsmeldungen« stand im Journal de Rouen die folgende Notiz:

»Ausgelaufen: Die Donnerwetter, unter Kapitän Lannec, in Richtung Hamburg, Ladung 500 Tonnen Verschiedenes …«

Die Lotsenstation Rouen gab der Lotsenstation Villequier telefonisch durch:

»In zwei Stunden kommt bei euch die Donnerwetter vorbei, beladen auf drei Meter fünfzig. Sagen Sie dem Boscot1, dass eben sein Cousin aus Paimpol eingetroffen ist und ihn herzlich grüßen lässt …«

»Hallo! Die Picardie, die wir euch als flussaufwärts gemeldet hatten, ist in La Vacquerie vor Anker gegangen …«

»Kühlt es sich bei euch ab?«

»Ja, es wird ganz schön kalt! Gute Nacht …«

 

Zum dritten Mal führte Madame Lannec die Hand zum Mund und legte dann ein kleines grünliches Knäuel auf den Tellerrand, die Fäden von grünen Bohnen, die sie ausgekaut hatte.

Sie saßen zu viert bei Tisch in der Offiziersmesse: Émile Lannec und seine Frau, Mathias und schließlich noch Paul, der Bordfunker mit dem Glasauge, der kaum gesprächiger war als sein Nachbar.

Der Zweite Offizier, Moinard, hatte Wache auf der Kommandobrücke, und wegen des undurchdringlichen Regengrau hatte man den Kapitänleutnant zum Ausschauhalten auf der Back postiert.

»Wir brauchen hellere Lampen«, hatte Mathilde geäußert, als das Rindsragout aufgetragen wurde.

Tatsächlich war die Messe nicht sehr hell erleuchtet, und man konnte direkt in den gelblichen Glühfaden der Birnen blicken, ohne geblendet zu werden. Lannec hatte seinen Bordingenieur angeschaut. Der hatte sich am Kopf gekratzt.

»Liegt dran, dass wir keine anderen Lampen an Bord haben!«

»Denk dran, in Hamburg welche zu besorgen.«

»Liegt dran, fürchte ich, dass die Leitungen zu schwach sind!«

Madame Lannec hatte nichts weiter gesagt, aber sie hatte die Augen zusammengekniffen in dem Bemühen, sich einen genaueren Eindruck zu verschaffen. Machten sie sich über sie lustig? Nicht direkt. Aber etwas davon lag doch in der Luft.

Die Stimmung ihres Mannes befremdete sie. Selten hatte

So hatte Lannec, als sie ein Glas mit Fingertappen gegen das Licht hielt, den Steward gerufen:

»Campois!«

So nannten sie den Steward, eine Abkürzung von Fécampois, der Junge aus Fécamp.

»In Zukunft achtest du darauf, dass die Gläser blank gerieben sind, nicht wahr?«

Aber er sagte das so sanft und mit feiner Ironie, dass die Zurechtweisung Züge eines Lobes annahm.

Der Heizstrahler war glühend heiß. Von Zeit zu Zeit horchte der Bordingenieur nach dem Klopfen aus dem Maschinenraum, das die Verkleidungen zittern ließ.

Lannec wiederum blickte auf, wenn er die Ketten des Rudergestänges rasseln hörte.

»Wir kommen in die Biegung bei Heurteauville«, sagte er dann.

Oder:

»Jetzt kommen wir am Leuchtfeuer von Les Méheu vorbei …«

Das konnte er nicht sehen. Die Vorhänge waren zugezogen vor den Bullaugen, an denen der Regen hinablief, und die Luft war dermaßen feucht, dass von den lackierten Wandverkleidungen das Kondenswasser wie Schweißtropfen rann.

Der einäugige Funker und der Bordingenieur hatten sich mit Anknöpfkragen und Krawatte fein gemacht, für Madame Lannec, aber Monsieur hatte sich nicht dazu durchringen können. Unter der Matrosenbluse aus schwerem blauen Tuch trug er direkt das Hemd, das über dem runden

Es roch vertraut, nach Küchendüften, nach den Ausdünstungen des Maschinenraums und auch nach den vier Männern, deren Kabinen direkt auf die Offiziersmesse gingen.

»In fünf Minuten bin ich wieder da«, verlautbarte Lannec, stand auf und griff sich im Vorbeigehen seine Öljacke.

Sie kamen nach Villequier. Der Frachter hatte das Tempo verringert, damit der Lotse wechseln konnte. Trotz seines Südwesters triefte der Kapitän von Eiswasser, bevor er die Kommandobrücke erreicht hatte.

Moinard, der Zweite Offizier, stand ungerührt im Halbdunkel neben dem Rudergänger. Der Lotse knöpfte seine Öljacke zu.

»Einen Calvados?«

Lannec kam auf die Kommandobrücke und schenkte zwei Gläser ein.

»Wer übernimmt uns?«

»Der dicke Pérault.«

»Ist der immer noch nicht pensioniert?«

Von der Seine, die sie flussabwärts fuhren, war nichts zu sehen. Hinter dem peitschenden Regen war nur noch mehr Regen, Nässe, und irgendwo in der Nässe, zwei oder drei Leuchtfeuer, trübe wie verweinte Augen.

»Zum Wohl! Noch einen Absacker …«

Ein Kahn kam aus dem Dunkel und dockte an. Der Lotse stieg die Leiter hinab, eine andere, hellere Gestalt schwang sich über die Reling und ging zur Kommandobrücke.

»Kalt draußen?«, fragte Lannec den neuen Lotsen, der gerade ein Schiff aufs offene Meer begleitet hatte.

»Es plätschert.«

Er mochte es, den ungerührten Mann am Ruder zu beobachten, Moinard, aufmerksam, die Stirn gegen die Scheibe gedrückt, und den Lotsen, der sich die Pfeife stopfte und murmelte:

»Hart Backbord! Achte auf das Fischerboot, das da irgendwo sein müsste …«

Lannec beugte sich zu Moinard und seufzte:

»Weißt du, unten ist es nicht gerade toll!«

Moinard sagte natürlich nichts. Nie sagte er etwas. Er blickte weiter geradeaus vor sich hin, aber das hieß nicht, dass er es nicht gehört hätte.

»Hat jemand mein Feuerzeug gesehen?«

Er ging zur Wache zurück, die mit einem schmalen Sofa und einem Tisch möbliert war, auf dem Landkarten ausgebreitet waren, machte Licht, fand sein Feuerzeug, nahm ein Blatt Karopapier in die Hand und hielt es in die Nähe der Lampe, dann rief er:

»Moinard!«

»Ja.«

»Bist du hier gewesen?«

»Nein.«

»Hast du jemanden vorbeikommen sehen?«

»Nein, niemanden.«

Lannec knurrte, steckte das Blatt Papier ein und ging hinunter in die Messe.

»Du solltest bald schlafen gehen,« sagte er zu seiner Frau, »ich muss meine Wache übernehmen.«

»Bekommen wir etwas vom Meer zu sehen?«, fragte Mathilde, als sie mit ihrem Mann allein war.

»Kaum. Aber später im Ärmelkanal sehen wir etwas mehr davon.«

»Es scheint dir Spaß zu machen.«

»Mir? Kein bisschen.«

»Gib zu, dass es dich nervt, mich dabeizuhaben.«

»Aber nein …«

Er verneinte es halbherzig, stieß die Tür zu einer Kabine auf und gab seiner Frau einen Kuss auf die Stirn.

»Wenn du etwas brauchst, musst du nur klingeln.«

»Kommt dann der Junge mit den schmutzigen Händen?«

»Ich sag ihm, dass er sich die Hände waschen soll.«

»Ich habe mich kaum essen getraut.«

»Natürlich!«

»Natürlich was?«

»Natürlich nichts!«

Oder natürlich alles! Es war eine lächerliche Idee, an Bord leben zu wollen. In zwei Ehejahren hatte Mathilde Zeit gehabt, sich an die Abwesenheiten ihres Mannes zu gewöhnen, denn er war pausenlos auf See.

Aber jetzt! Jetzt hatte er ein eigenes Schiff! Er war nicht nur Kapitän, sondern zugleich auch Reeder, und sie hatte ihn gedrängt, mitfahren zu dürfen.

»Gute Nacht.«

»Gute Nacht.«

Es war ein altes englisches Dampfschiff, das bereits sechzig Jahre auf See war, unter dem Namen Busiris.

»Wie sollen wir es nennen?«, hatte sich Lannec gefragt, als er es gekauft hatte. Zum Donnerwetter! Ich will einen Namen dafür finden, der aus dem Einerlei heraussticht!«

Zum Donnerwetter! Das war sein Lieblingsfluch.

»Nenn es doch Donnerwetter!«

Auch das war ein Abend, wo sie schon ganz schön einen in der Krone hatten, und Lannec schlug mit der Faust auf den Tisch.

»Was gilt die Wette!«

»Wetten, dass du dich nicht traust!«

»Wetten, dass ich mich traue!«

Er hat sich getraut, den Tränen von Frau und Schwiegermutter zum Trotz.

»Ich habe ja doch wohl ein Wörtchen mitzureden«, meinte Letztere aufmüpfig.

Ja, leider! Hundertmal leider! Lannec und Moinard hatten sich zusammengetan, um das Schiff zu kaufen, aber sie hatten nicht genug Geld aufgebracht, um den ganzen Preis bar zu begleichen. Die Bank, die den Rest vorstreckte, hatte die Bürgschaft einer hinlänglich kreditwürdigen Person verlangt.

Nun besaß Pitards Schwiegermutter, die schon verwitwet war, zwei große Mietshäuser in Caen und eine Villa in Riva-Bella.

Wer weiß, vielleicht hatte sie ihrer Tochter den Rat, an Bord einzuziehen, nur deshalb gegeben, damit sie die beiden Männer überwachte?

Lannec gurgelte gerade und hatte dazu die Öljacke angelassen, als er den Kapitänleutnant kommen sah, den alle Monsieur Gilles nannten, ein junger Pariser mit Schnauzbart.

»Hellt es auf?«

»Kaum. Ich mache jetzt mein Bett.«

Noch eine Verwicklung! Mathilde Lannec wollte eine Kabine für sich, und deshalb hatte man alles über den Haufen werfen müssen; sie bekam die Kabine von Moinard, Moinard die von Monsieur Gilles, und Monsieur Gilles eine Bank in der Messe.

Da kam er mit Matratze und Bettlaken und begann, sein Lager aufzuschlagen.

»Na gut, dann geh ich jetzt nach oben«, seufzte Lannec.

Die Donnerwetter war ein gutes Schiff, da waren sich gestern alle einig, so gute Schiffe werden heute nicht mehr gebaut, aus Gründen der Materialersparnis. Selbst ihren altmodischen dünnen Schornstein mochte Lannec, er hatte etwas Ausgefallenes.

Auf der Treppe begegnete er Campois und zwinkerte ihm zu; erst als er vorbei war, fiel es ihm ein, und er rief ihm nach:

»Hör mal! Du musst dir in Zukunft öfter die Hände waschen.«

Lannec war klein gewachsen, hatte den breiten Unterkiefer der Bretonen und kleine, pfiffige Augen. Auf Deck

Man begegnete sich also über Backbord.

»Wer kann das geschrieben haben?«, brummelte Lannec und knitterte das Karopapier in seiner Jackentasche.

Er überlegte, wer von seinen Freunden gestern es gewesen sein konnte. Freunde? Nicht so ganz. Aber doch Leute, mit denen man gern einen trinkt, darunter Bernheim, der Schiffsmakler, der sich um die Ladung gekümmert hatte, der Stellvertretende Hafenmeister, ein Schlepperunternehmer, ein Zollbeamter …

»Man fängt an mit einem alten Pott, zum Donnerwetter! Und am Ende hat man eine ganze Flotte, wie Fabre oder Worms!«

Es war nicht so sehr das Feuchtfröhliche, sondern insgesamt die Atmosphäre in dem hellerleuchteten Café, die Kameraderie, das Geschirrklirren, das verständnisinnige Lächeln des Stewards. Lannec fühlte, wie er bald ganz groß herauskommen würde. In jeder Ecke des Saals war er zu hören, und je länger er redete, desto mehr wuchs seine Begeisterung.

»Stellt euch vor! Mein Vater war ein einfacher Kabeljaufischer. Mit fünfzehn fuhr ich zum ersten Mal raus, und jetzt …«

Er zuckte die Achseln. Es ist immer ein wenig peinlich, daran zu denken, was man bei solchen Gelegenheiten so redet. Der Regen im Gesicht tat ihm gut. Bevor er auf die

»Läuft’s?«

»Läuft!«

Wer hätte auch eine Sabotage seiner Maschine gewagt? Er kam ganz oben an, beim Lotsen, der nur noch eine Viertelstunde an Bord sein würde.

»Einen Calvados?«

Ein Ritual, dem man folgt, ohne größer nachzudenken. Er schenkte zwei Gläser ein, wie schon beim ersten Mal. Moinard warf ihm einen Blick zu, der heißen sollte:

»Kann ich jetzt runtergehen?«

Tapfer, wie Moinard seine Rolle als Zweiter Offizier durchhielt, ganz so, als gehörte ihm nicht das halbe Schiff.

»Warte noch einen Augenblick.«

Die Seine wurde breiter. Trotz des Regenvorhangs ahnte man über Le Havre eine etwas hellere Wolke, und es waren immer mehr Fischerboote zu sehen, die die Schwärme von Sprotten einkreisten.

»Was hört man in Rouen reden, seit ich Schiffseigner geworden bin?«

»Dass Sie Glück gehabt haben!«, erwiderte der Lotse und legte mit einer Vierteldrehung selber Hand ans Ruder.

»Ist jemand neidisch?«

»Solche gibt es immer.«

»Wer zum Beispiel?«

»Ach wissen Sie, ich bekomme davon nicht viel mit …«

»Noch einen Absacker?«

»Sieht so aus, als hätten Sie Ihre Frau dabei? Manche Engländer machen das. Hat vielleicht sein Gutes …«

Versonnen blickten sie den wenigen Lichtern im Dunst über dem Wasser nach.

»Da sind meine Leute. Setzen Sie ein wenig zurück.«

Moinard drehte am Maschinentelegraphen. Das Schiff verlangsamte die Fahrt in der Strömung, und man hörte im Dunkeln Stimmen, dann einen leichten Stoß gegen den Schiffsrumpf.

»Bis bald!«, sagte der Lotse und reichte ihm die Hand.

»Bis bald!«

Nach ein paar Minuten des Manövrierens war die Donnerwetter endlich frei, und Lannec gab die Order »Volle Kraft voraus«.

Nun stach er ernsthaft in See, im eigenen Schiff! Er zwinkerte dem Leuchtfeuer vom Cap de la Hève zu, nach dem er so oft Ausschau gehalten hatte, und ein wenig von seiner gestrigen Begeisterung kam wieder.

»Georges!«

Selten nur sprach er Moinard mit dem Vornamen an.

»Irgendein Scheißkerl will mir einen Streich spielen.«

Er reichte seinem Zweiten Offizier das Blatt Papier, das er am Vorabend in der Wache gefunden hatte.

»Lies mal.«

Wieder erhellte die kleine Lampe die Karten. Lannec vergewisserte sich, dass sie sich auf dem richtigen Kurs befanden, dass kein Hindernis vor ihnen war außer einem Transatlantikschiff, dessen Befeuerung man in großer Entfernung ahnen konnte.

Moinard drehte es nervös zwischen den Fingern, dieses Blatt Papier, auf dem mit Tintenstift die folgenden Sätze geschrieben standen:

»Spiel Dich bloß nicht so auf. Jemand, der weiß, was er sagt, kündigt Dir an, dass die Donnerwetter nicht heil ankommen wird. Dieser Jemand hat die Ehre, Dir seine Grüße zu übersenden, und lässt Mathilde schön grüßen.«

»Er kennt meine Frau«, bemerkte Lannec, dem dieses Detail erst jetzt aufgefallen war.

Dabei wohnte sie gar nicht in Rouen, sondern in Caen, wo seine Mutter dem jungen Paar in einem ihrer Häuser eine Wohnung gegeben hatte.

»Sicher ein Scherz.«

»Man kann nie wissen«, seufzte Moinard, der nicht allzu beunruhigt schien.

»Was könnten sie tun? Sabotage an der Maschine?«

Auf einmal überkam ihn ein Gefühl von Zärtlichkeit für sein altes Schiff, das er nun plötzlich bedroht sah. Er sprach von seinen verschiedenen Teilen wie von den Vorzügen eines lebendigen Menschen.

»Das Ruder? Da hätten wir schon etwas gemerkt. Und der Rumpf ist stabil …«

Da schreckte er plötzlich zusammen und bekam gleich danach einen Lachanfall. Er hatte ganz nah an der vorderen Ladeluke einen so befremdlichen Laut gehört, dass er zuerst gar nicht dahintergekommen war, was er bedeutete.

»Das hatte ich ganz vergessen …«

Zwei davon hatten sie an Bord, man hatte sie kurzerhand an Deck festgebunden, zwei Normandiekühe mit prachtvollen Eutern, die nach Hamburg geliefert werden sollten. Ein Matrose hatte mehr schlecht als recht eine Zeltbahn über den Tieren aufgespannt, aber trotzdem zeichneten sich Rinnsale von Regenwasser auf ihren schwarz-weißen Flanken ab.

Und da muhten sie nun, vielleicht weil sie der unbekannte Anblick der See in Angst versetzte.

»Ein Streich, meinst du?«

Das Schiff hatte die Flussmündung verlassen und geriet in die vertraute Dünung des offenen Meers, man hörte die Wellen am Bug brechen.

»Ich wette, gleich steht meine Frau auf.«

Er hatte sich nicht getäuscht. Unten hatte Mathilde im Nachthemd die Tür einen Spalt breit geöffnet, und auf der Suche nach jemandem entdeckte sie im Dunkel der Messe die helle Stelle der Laken von Monsieur Gilles, der es sich auf seiner Bank bequem gemacht hatte.

»Sind wir auf dem offenen Meer?«

Monsieur Gilles schlief schon und gab nur einen Seufzer von sich, als er sich umdrehte.

»Émile!«, rief Mathilde halblaut.

Sie spitzte die Ohren, hörte nichts; sie ging wieder in ihre Kabine, konnte aber eine Stunde lang nicht einschlafen. Das Licht hatte sie angelassen. Ihr Blick fiel auf die lackierten Wandverkleidungen, sie entdeckte jede Menge Schmutz.

»Da braucht es eine starke Seifenlauge …«

»Würde es dir etwas ausmachen, noch ein bisschen länger Wache zu halten?«, meinte Lannec zu Moinard.

Es war ihm unangenehm, das zu tun, was er jetzt tat, aber er konnte nicht anders. Als Erstes stieg er in den Maschinenraum hinab, wo er nur einen Mechaniker fand, denn Mathias hatte sich schlafen gelegt.

»Ist dir irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen?«

»Nichts, Chef. Außer dass das Öl, das sie uns in Rouen geliefert haben, zu dünnflüssig ist. Das wird den Verbrauch erhöhen …«

Lannec inspizierte den Motorblock, die Lichtmaschine, schlüpfte in den Heizraum, wo zwei Mann auf der Kohle saßen.

»Wie geht’s?«

»Gut, Chef.«

Eisigkalte Luft mit Regentropfen fiel durch den Luftschacht; beim Vorbeigehen geriet man unvermittelt von höllisch brütender Hitze in eine überraschende Kälte.

Lannec wäre fast umgekehrt, ließ sich dann aber doch durch ein enges Mannloch gleiten und fand sich in dem langen Eisentunnel wieder, in dem die Antriebswelle entlanglief.

Nicht einen Tropfen Wasser gab es dort. Die Welle lief rund. Nichts sickerte durch die Stopfbuchse.

Bevor er wieder auf die Brücke ging, öffnete Lannec

»Ein Witzbold!«, sagte er wieder.

Er lächelte den beiden Kühen zu, die ihn mit verängstigten Augen ansahen, und schüttelte seine Öljacke aus, bevor er wieder bei Moinard eintrat.

»Ein Witzbold!«, sagte er noch einmal, an ihn gerichtet.

»Kann ich jetzt runtergehen?«

»Gute Nacht! Und versuche, meine Frau nicht zu wecken. Sie ist wohl eingeschlafen und hat das Licht nicht ausgemacht.«

Dann stopfte er seine Pfeife und blickte um sich. Das Leuchtfeuer vom Cap de la Hève lag nun seitlich, und man sah bereits den Schein des Leuchtturms vom Cap d’Antifer.

Danach käme Fécamp, dann Saint-Valéry, Dieppe, Boulogne … Die Glasenuhr schlug Mitternacht, und ein Schatten huschte lautlos über die Brücke, nahm den Platz des Rudergängers ein, der im Weggehen noch wie schlaftrunken murmelte:

»Nord zu Ost.«

»Nord zu Ost«, wiederholte der eben Eingetretene.

Lannecs Pfeife knisterte. Er drückte die Stirn gegen die nasse Fensterscheibe und spürte hinter sich den reglosen Rudergänger.

Dann polterte etwas an Deck: Eine der Kühe hatte sich schicksalsergeben hingelegt.

Es war kurz vor elf am Vormittag, als Dungeness zu sehen war, die erste Nase der englischen Küste. Der Himmel war vom Regen wie blank geputzt, von zartem Blau, und seit dem Morgen fuhr man an den weißen Felsküsten der Normandie entlang.

Lannec, der sich erst um sechs Uhr schlafen gelegt hatte, kam wieder an Deck, barfuß in seinen Latschen, Hosenträger überm Bauch, unrasiert, die Augen noch trübe vom Schlaf.

Campois hatte ihn nicht wecken müssen und ihm auch nicht sagen müssen, wo sie sich befanden. Ein Blick zur englischen, ein zweiter zur französischen Küste, und er gab müde ein Zeichen, das Ruder weiter nach links zu setzen.

Die Donnerwetter geriet in die Gegend der Untiefen und Riffe, des Colbart, des Bullock, des Ridens, des Vergoyer und noch anderer, die, von oben unsichtbar, den größten Teil der Meerenge von Calais blockieren.

Monsieur Gilles war seit heute früh frisch gewaschen und gut gekleidet auf Wache.

»Was war denn das für ein Durcheinander?«, fragte Lannec, als er sich über die Karte beugte.

»Keine Ahnung. Ich habe nichts gehört.«

Der Kapitän ging an die Reling und rief:

»Campois! Wo bleibt mein Kaffee, zum Donnerwetter!«

Die Luft war kühl. Lannec ging auf und ab, um sich

»Sind die Kühe versorgt?«

Das Deck war immer noch nass, nass war auch alles, was man anfasste, und auch wenn der Himmel klar war, wirkte es doch, als hätte die Luft noch keine Zeit gehabt zu trocknen.

»Was für Schiffen sind wir begegnet?«

»Zwei deutschen, und englischen Kohlefrachtern.«

Lannec wurde ungeduldig. So lange hatte der Junge aus Fécamp noch nie gebraucht, ihm den Kaffee zu bringen, und als er kam, war seine Miene düsterer als gewohnt.

Er war ein dürrer junger Mann, alterslos, er wirkte, als hätte er kein Privatleben, tat mit ungerührter Miene seinen Dienst, nahm Schicksalsschläge klaglos hin, versuchte nicht einmal, ihnen auszuweichen – als gehörte es zum natürlichen Lauf der Dinge, Prügel einzustecken.

»Wo kommst du her?«

»Aus der Küche, Chef.«

Unwillkürlich fiel Lannecs Blick auf die geröteten Hände des Stewards, die offensichtlich geschrubbt worden waren.

»Was für ein Poltern habe ich da heute Morgen gehört?«

»Keine Ahnung.«

»Ist meine Frau auf?«