Weihnachtsanthologie eBook

Weihnachtsanthologie

Weihnachten besitzt viele Gesichter

 

Chris Tewes, Monika Grasl, Michael Kruschina,

Finisia Moschoiano, Elke Steffen, Marlies Hanelt, Rolf Michael

 

Mondschein Corona – Verlag

Bei uns fühlen sich alle Genres zu Hause.

 

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

 

1. Auflage

Erstauflage November 2018

© 2018 für die Ausgabe Mondschein Corona

Verlag, Plochingen

Alle Rechte vorbehalten

Autoren: Diverse

Lektorat/Korrektorat: Eva-Maria Stuckel

Grafikdesigner: Finisia Moschiano

Buchgestaltung: Mike Bold

Umschlaggestaltung: Finisia Moschiano

 

© Die Rechte des Textes liegen bei den

Autoren und Verlag

 

Mondschein Corona Verlag

Finisia Moschiano und Michael Kruschina GbR

Teckstraße 26

73207 Plochingen

www.mondschein-corona.de

 

Inhaltsverzeichnis

Das Weihnachtskätzchen

Die etwas andere Weihnachtsgeschichte

Die Weihnachtsverschwörung

Ist Weihnachten immer schön?

Grausige Vorweihnachtszeit

Fritzy, das Rentier

Höllische Weihnachten

Die Straßenbank

Einsamkeit ist Traurigkeit

 

Das Weihnachtskätzchen

 

von Chris Tewes

 

Gebeugt steht die Frau am Fenster und schaut trübsinnig zu den dunklen Wolken hinauf. Seit Stunden hängen sie nun schon über der Siedlung, doch kein Wind ist da, um sie fortzuschieben. Die kahlen Zweige des Birnbaumes sind zur Bewegungslosigkeit erstarrt. So, als seien sie von der gleichen Schwermut befallen wie sie selber. Dicke Tränen rinnen der Frau über die Wangen. Sie wartet auf den Moment, da die Wolken sich endlich von ihrer Last befreien. Dann wird sie unter einem Vorwand hinausgehen, den Kopf in den Nacken legen und ihre Tränen vom Regen fortschwemmen lassen. Ihr Mann soll nicht sehen, dass sie schon wieder geweint hat. Nach all den Jahren überkommt sie in der Weihnachtszeit noch immer dieser Schmerz.

Morgen ist Heiligabend. In den letzten Wochen hat ihr Mann den Einkauf übernommen. Sie erträgt es einfach nicht, überall Weihnachtsdekoration, Weihnachtsmusik, geschmückte Fenster und – vor allem – die erwartungsfrohen, lachenden Kinderaugen … Am liebsten würde sie sich im Keller verkriechen, bis alles vorüber ist.

Ihr Blick huscht vom Birnbaum zum Zaun hinüber. Ein kleines Kätzchen klettert gerade darüber hinweg. Vorsichtig schleicht es zur Terrasse, wo es sich ausgiebig im raschelnden Laub vergnügt.

Die Frau presst ihre Lippen zusammen. Diese Katze erinnert sie an eine andere mit ähnlicher Färbung. Auch sie war rot getigert, allerdings ist die Struktur des Felles bei dieser Katze weniger ausgeprägt – und sie ist lebendig. Nicht aus Plüsch.

Ihr Mann tritt neben sie. Seine Stirn legt sich in Falten, als er hinausschaut.

»Eine Katze! Sie sieht fast aus wie …«

»Unsinn! Komm jetzt vom Fenster weg. Das Essen ist gleich fertig.« Hastig wischt sich die Frau übers Gesicht, als der lang erwartete Wolkenbruch mit Krachen über Haus und Garten herniederstürzt. Ihr Mann sieht, wie das Kätzchen zusammenzuckt und ängstlich zur Terrassentür flüchtet. »Ach Gott, die arme! Wir müssen sie hereinlassen!« Nein! Möchte die Frau rufen. Nein! Sie erinnert mich zu sehr! Aber sie schweigt. Dieses Kätzchen kann ja nichts dafür.

Kaum wird die Tür einen Spalt weit geöffnet, da zwängt sich das Tier auch schon hindurch und drängt seinen zarten Körper an das Hosenbein des Mannes. Reibt sein nasses Fell daran, wieder und wieder. Das Paar schaut sich überrascht an. Hast du es auch gehört? Der Klang des Glöckchens versetzt die beiden um 23 Jahre zurück in die Vergangenheit. Es ist Heiligabend. Sonjas drittes Weihnachtsfest. Vielleicht das erste, an das sie sich später noch erinnern kann.

Der Weihnachtsbaum erstrahlt im Lichterglanz. Gläserne Vögelchen sitzen in den Zweigen, glitzernde Engelchen und bunte Kugeln ergänzen das bezaubernde Bild und der goldfarbene Stern auf der Spitze krönt das festliche Gehölz vortrefflich.

Sonjas blaue Augen strahlen mit den Kerzen um die Wette. Wie gebannt bestaunt sie die märchenhafte Pracht und kann sich einfach nicht satt sehen. Erst als der Vater dem Mädchen sein Geschenk in die kleinen Hände drückt, wendet sie sich dem geheimnisvollen Päckchen zu.

Erwartungsfroh will sie das bunte Weihnachtspapier herunterreißen, da hält sie plötzlich verzückt inne.

»Ein Glöckchen! Mama, Papa, hört mal! Ein Glöckchen! «

Zwei Augenpaare begegnen sich zärtlich und wandern zum Gesicht des Mädchens. »Oh, tatsächlich! Ein Glöckchen! Schau einmal nach, wozu es gehört!«

Das Bild des Mädchens, wie es die flauschige Stoffkatze liebevoll umschlingt und immer wieder zärtlich ihr Gesicht daran reibt, bleibt den Eltern unvergessen. Ihre blonden Zöpfe hüpfen auf und ab, als sie aufgeregt durch das Wohnzimmer springt und sich am Klang des Glöckchens erfreut, das an einem schwarzen, ledernen Halsband befestigt ist. Der Vater hatte es selber aus einem Streifen seiner alten Lederweste genäht. Zu beiden Seiten des Glöckchens hatte er mit weißem Zwirn eine Schneeflocke darauf gestickt.

Die Katze, Sonja nannte sie Maunzi, wurde ihr ständiger Begleiter.

Das Unfassbare geschah nur wenige Tage später. Die Frau war mit der Kleinen und Maunzi in einem Einkaufscenter unterwegs. Sie war nur kurz abgelenkt, als Sonja plötzlich verschwand …

Was dann folgte, war ein einziger Albtraum, aus dem sie noch immer nicht erwacht war, niemals erwachen würde. Die Furcht, Sonja könnte von einer kinderlosen Frau entführt worden sein, wurde irgendwann zur verzweifelten Hoffnung, es möge tatsächlich genauso gewesen sein. Die Alternative hätte sie zerschmettert.

In all den Jahren, die seitdem vergangen waren, sucht die Frau noch immer in den Gesichtern der Passanten passenden Alters das Antlitz ihrer Tochter zu erkennen.

Das Glöckchen … Die Blicke des Paares schnellen zum Hals der fremden Katze. Das schwarze Halsband hatten sie zunächst gar nicht wahrgenommen. Die Frau erbleicht. Nach Luft ringend stützt sie sich am Sessel ab, bevor sie darauf niedersinkt. Was sind das für weiße Flecken rechts und links des Glöckchens …

Die Hand des Mannes zittert, als er nach dem Halsband greift und es vorsichtig löst. Dieses vertraute Gefühl, als seine Fingerkuppen das Leder berühren, lässt ihn erschauern. Eigentlich braucht er das Halsband gar nicht in Augenschein zu nehmen, er weiß auch so, wie es aussieht.

»Zwei … Schneeflocken?« Die Stimme der Frau ist brüchig, die Frage rhetorisch. Das Herz des Mannes hämmert fast schon schmerzhaft in seiner Brust, als er nach dem Namen auf der Innenseite des Bandes sucht. Da steht er. Die Schrift ist verblasst, doch noch immer deutlich zu erkennen. Maunzi. Doch da steht noch mehr. In blauer Farbe hat jemand eine Nummer hinter den Namen geschrieben. Eine Telefonnummer.

Minutenlang, so scheint es der Frau zumindest, hält ihr Mann den Hörer krampfhaft umklammert, bevor er es endlich wagt, die Ziffern einzugeben. Das Freizeichen dröhnt endlos lange durch die Stille des Wohnzimmers.

»… Baumgartner?« Der Mann räuspert sich mehrmals, bevor er sich vorstellen und stockend sein Anliegen vorbringen kann.

»… Maunzi ist bei Ihnen? Gott sei Dank! Ich komme gleich vorbei und hole sie ab!«

Der Mann drückt auf das rote Telefon und schaut seine Frau entgeistert an. Er muss nichts sagen, sie hat jedes einzelne Wort mit angehört. Die unausgesprochene Frage tanzt zwischen den beiden hin und her, dehnt sich im Wohnzimmer aus und dringt in jede Fuge des eichenen Parketts. Könnte sie es sein? Sonja? Kann das die Stimme unserer Tochter gewesen sein?

»Ich muss Kaffee kochen! Oder ob sie lieber Tee trinkt? Die Stimme. Die Stimme hat so jung geklungen, nicht älter als Mitte zwanzig …!« Aufgeregt eilt die Frau in ihre Küche. »… Gut, dass ich gestern doch noch Plätzchen gebacken habe. Das Blümchenservice! Hol doch mal das Blümchenservice aus dem Schrank!«

Der Mann seufzt. Das Blümchenservice. Sonja hatte es sehr geliebt. Jede einzelne Blume darauf konnte sie beim Namen nennen.

Er hat Angst. Was, wenn sie es nun doch nicht ist?

Es klingelt. Der Mann geht die Tür, öffnet und bittet die junge Frau herein. Sie folgt ihm ins Wohnzimmer, wo eine ältere Dame, offenbar die Frau des Mannes, bewegungslos auf dem Sofa sitzt und sie mit seltsam starrem Blick erwartet. Etwas verwirrt nimmt sie auf dem zugewiesenen Sessel Platz. Warum starren die beiden Alten sie nur so an?

Brünett, sie ist brünett! Nein, die Haare sind gefärbt. Der Haaransatz lässt es deutlich erkennen. Ihre Augen? Tatsächlich blau!

Die Frau springt auf. »Darf ich ihnen etwas anbieten? Kaffee oder vielleicht lieber Tee?« Der Gast nickt lächelnd. »Gern. Kaffee wäre schön. Was für ein hübsches Service sie haben!«

Heimliche Blicke huschen durchs Zimmer. Erkennt sie es? Oder macht sie nur höfliche Konversation?

Bevor die Frau zu einer Erwiderung ansetzen kann, kommt das Kätzchen unter dem Sofa hervorgekrochen und streicht seiner Besitzerin maunzend um die Beine. »Ja, Maunzi, da bist du ja!« Maunzi! Dieser Name, laut ausgesprochen, hat die Wirkung eines elektrischen Schlages. »Wo ist denn dein Halsband?«

Der Mann holt tief Luft, bevor er ihr antwortet, doch dann beginnt er zu erzählen – wie er das Halsband vor 23 Jahren selber genäht hat, von dem Kätzchen und von dem Weihnachtsfest mit Sonja. Und er erzählt von dem Verschwinden der Tochter.

»… und nun taucht dieses Halsband plötzlich wieder auf. «

Das Minenspiel des Gastes ist währenddessen einem bewegenden Wandel unterzogen. Der anfänglichen Verwirrung folgt ein Anflug von Skepsis, bevor sie einer wachsenden Faszination Platz macht. Das Erinnern und Begreifen folgen nun dicht aufeinander und verschmelzen zu einer schier unglaublichen Offenbarung.

Sonja – Sandra. Die junge Frau hatte schon immer das seltsame Gefühl gehabt, mit ihrem Namen stimme etwas nicht.

Für einige Sekunden herrscht absolutes Schweigen.

Dann beginnt sie ihrerseits zu erzählen. Von einem Geständnis am Totenbett, von dem einzigen Gegenstand, der aus ihrem früheren Leben geblieben war, den ihre … den die Frau, die sie jahrelang für ihre Mutter gehalten hatte, aufbewahrt hatte, um es ihr irgendwann in Zusammenhang mit einer Beichte zu überreichen …

Sonja war kurz darauf in die Stadt ihrer Entführung zurückgekehrt, doch zu dem Schritt, Nachforschungen anzustellen, um die Sache aufzuklären, hatte sie sich bislang nicht überwinden können.

Als sie das Haus verlässt, geschieht es mit der Vorfreude auf ein gemeinsames Weihnachtsfest mit ihren wiedergefundenen Eltern.

Am folgenden Morgen ist das Paar bereits früh auf. Die Wohnung muss geputzt, der Baumschmuck aus der hintersten Ecke des Kellers befreit werden und die Einkaufsliste ist auch ziemlich lang; Leckereien und ein Festtagsbraten müssen her, und Geschenke soll es dieses Jahr auch geben, nicht nur für Sonja.

Als der Mann gegen Mittag die Tanne aufstellt, eilt seine Frau aufgeregt aus der Küche und gibt genaue Anweisungen.

Nach dreiundzwanzig Jahren soll erstmals wieder ein Weihnachtsbaum das Zimmer schmücken. Nach dreiundzwanzig Jahren wird endlich wieder Weihnachten gefeiert.

Während die Frau weiter in der Küche hantiert, verschwindet der Mann in seinen Hobbykeller. Er will noch etwas werkeln, es soll ein ganz besonderes Geschenk sein, auch wenn seine Frau den Kopf darüber schüttelt.

Als es klingelt, sind die beiden mit ihren Vorbereitungen gerade fertig geworden. Mit geröteten Wangen und glänzenden Augen nicken sie sich zu. Es ist soweit.

Sonja zögert, als sie eintreten soll. »Ich hatte euch gestern doch eine Überraschung angekündigt. Also … ich bin nicht allein gekommen!« In diesem Moment tritt ein kleines, etwa dreijähriges Mädchen hinter ihrem Rücken hervor und lächelt die beiden schüchtern an. »Das ist Anna, eure Enkeltochter. Anna, das sind deine Großeltern.«

Das Paar glaubt seinen Augen nicht zu trauen, kann seine Freude kaum in Worte fassen. Ihr kleines Mädchen. Die Ähnlichkeit ist frappierend. Rasch hat die Kleine ihre Scheu verloren und will aufgeregt ins Weihnachtszimmer spähen, doch ihre Mutter hält sie noch zurück. »Wir wollen uns doch erst das Krippenspiel in der Kirche anschauen.« Die Frau lächelt. Ja, so haben wir es damals auch gehalten.

Doch die Vorfreude auf das Weihnachtsfest wird von einem Schatten überdeckt. »Wir haben ja gar kein Geschenk für Anna!«, flüstert die Frau ihrem Mann zu, doch der kann sie beruhigen. »Haben wir doch. Überleg doch mal!«

Nach dem Gottesdienst kann es der kleinen Anna gar nicht schnell genug gehen. Als sie endlich das Weihnachtszimmer betreten darf, bleibt sie verzückt vor dem prächtigen Weihnachtsbaum stehen. Wie das Licht der brennenden Kerzen die kleinen Engelchen zum Leuchten bringt … und erst die hübschen Vögel und bunten Kugeln … Annas Blick wandert hinauf, bis er an dem goldenen Stern hoch oben auf der Spitze des Lichterbaumes haften bleibt. Ein weiteres Augenpaar fixiert den Stern bereits seit einer ganzen Weile. Sie erkennt ihn, ist Sonjas Mutter sich sicher. Sie erinnert sich!

Der Mann wippt ungeduldig auf seinen Füßen, hüstelt und drückt der Kleinen dann kurzentschlossen ein Päckchen in die Hände. »Das hat der Weihnachtsmann für dich hierhergebracht. Schau doch einmal nach, was da drin ist.«

Neugierig wendet Anna sich dem geheimnisvollen Päckchen zu.

Erwartungsfroh will sie das bunte Weihnachtspapier herunterreißen, da hält sie plötzlich verzückt inne.

»Ein Glöckchen! Hört mal! Ein Glöckchen!«

Drei Augenpaare suchen einander und wandern zum Gesicht des Mädchens, das nun eifrig das Papier herunterreißt. »Ein Kätzchen! Ein Kätzchen! Es sieht fast so aus wie Maunzi und es hat genau so ein Halsband!« Zärtlich drückt die Kleine das Stofftier an sich und hüpft lachend damit durchs Wohnzimmer, während ihr Großvater bemüht ist, den Kloß in seinem Hals hinunterzuschlucken.

»Sie soll Miezi heißen«, ruft Anna.

»Maunzi und Miezi.«

Während der Mann den Namen der Katze auf die Innenseite des Halsbandes schreibt, schreitet seine Frau leise zum Fenster und wirft einen melancholischen Blick hinaus. Wieder kullern dicke Tränen über ihre Wangen, doch diese braucht kein Regen fortzuspülen. Es wird auch keinen Regen mehr geben, heute. Seit gestern ist es merklich kühler geworden und nun verhüllt die blütenweiße Decke des ersten Schnees den Schlamm und die Tristesse der vergangenen Tage. Eine Hand legt sich zärtlich auf die Schulter der Frau. »Frohe Weihnachten, Mama!« »Oh ja, frohe Weihnachten, mein Kind!«

 

Die etwas andere Weihnachtsgeschichte

 

von Monika Grasl

 

Es war ein bitterkalter Dezembertag, als der Engel der vergangenen Weihnacht sich ein weiteres Glas Punsch genehmigte. Mit fiebrigen Augen dachte er daran zurück, wie er vor langer Zeit einem kaltherzigen Mann sein Leben vor Augen geführt hatte. Heute jedoch benötigte niemand mehr seine Dienste.

Die Tür hinter ihm öffnete sich mit einem Quietschen. Ein Blick über die Schulter genügte, um den stämmigen Engel der gegenwärtigen Weihnacht auszumachen.

»Du hier? Ich dachte, wenigstens einer von uns hat in dem Monat was zu tun«, murmelte der Engel der vergangenen Weihnacht.

»Hast du ne schöne Ahnung. Die Leute mutieren immer mehr zu Idioten. Keiner braucht mich und wenn man’s genau betrachtet, können sie mir auch alle gestohlen bleiben.«

Mit dieser dürftigen Erklärung sank der Engel auf den freien Platz und rief durch den Gastraum: »Ich krieg einen Whisky!«

»Du könntest wenigstens so tun, als wäre bald Weihnachten.«

Der Engel der gegenwärtigen Weihnacht hob gelangweilt die Schultern und nahm einen Schluck von seinem Getränk. Zeitgleich zündete er sich eine Zigarette an. Seine Augen huschten zu dem freien Stuhl. Es war eine Tradition geworden, dass sie sich vor dem Weihnachtsfest hier trafen. Aber bis jetzt waren sie dabei immer zu zweit gewesen. Wobei der stämmige Engel hoffte, dass es dabei blieb.

»Meinst, er wird heute kommen?«, fragte er den schmächtigen Engel.

»Ich wünsch es mir nicht. Aber wer kann das schon sagen.«

In dem Moment öffnete sich erneut die Tür zum Gasthaus. Seufzend stieß der Engel der gegenwärtigen Weihnacht den Atem aus. Eine Handlung, die ihm ein paar hochgezogene Augenbrauen einbrachte, soweit man die unter der Kapuze überhaupt ausmachen konnte.

»Dich braucht dann wohl auch keiner mehr, was?«

»Sieht man das nicht?«, kam es gereizt zurück.

»Und was trinkst du?«, wollte der Engel der vergangenen Weihnacht wissen.

»Absinth.«

Der Stuhl knarzte unter dem Engel der zukünftigen Weihnacht. Zeitgleich richtete er seine Kapuze und hüllte sich in anhaltendes Schweigen.