Finstere Zeremonien
– Anthologie –

Joseph S. Pulver, Sr.

Impressum

Copyright © Yellow King Productions
Mario Weiß
Neuöd - Gewerbepark 12a
92278 Illschwang
E-Mail: info@yellow-king-productions.de
Web: www.yellow-king-productions.de

Original: Copyright © Joseph S. Pulver, Sr., 2018
Übersetzungen: Katrin J. Krüger, 2018
Realisation und Lektorat: Mario Weiß und Daniel Schenkel, 2018
Cover und Illustrationen: Synod, 2018
E-Book: Axel Weiß, 2018
ISBN: 978-3-946309-18-5

Die Originale der Kurzgeschichten und Novellen wurden auf Englisch veröffentlicht in:

Die Auswahl

für A. V. und R. L. T.

Wir sind ein einfaches, gebrochenes Volk. Wir leben wie verängstigte Tiere in Höhlen und Tunneln. Über uns erheben sich Gebirge aus Geröll die alles sind, was nach dem Sturm blieb: einst eine bedeutende Stadt in der unsere Vorväter lebten; zusammengepfercht, aber im Glauben, dass sie ihre eigenen Herren wären.

Am dritten Tag eines jeden Zyklus kommt der Hohepriester Uhuot aus den Hügeln jenseits der zerstörten Stadt und fordert eine neue Braut für seinen Meister Assatur ein. Und wir, die Besiegten, geben ihm freiwillig eine der unseren – denn was können wir schon tun? Am Tag nach seinem Erscheinen sprachen wir lautlose Flüche gegen ihn und die Furchtbar-Wesen aus, denen er diente; Uagio Tsotho, Shupnikkurat, Kas-Ogthqa und die anderen Titanen von denen gesagt wird, dass sie am Tag an dem die Neue Welt geboren wurde, von den Sternen herabgekommen und aus dem Meer aufgestiegen waren.

* * *

Die Zeit des Gebens war nah und der Rat setzte sich zusammen, um die Auswahl erneut zu beginnen. Die Frauen wurden zusammengerufen. Zahlen wurden auf ihre Stirnen geschrieben. Dann ging jedes Ratsmitglied durch die Reihen und wählte drei von ihnen aus. Im Anschluss saßen alle Ratsmitglieder am Feuer und entschieden, wer Assatur's neue Braut werden sollte.

An diesem Tag wurde meine Lily erwählt. Angst und Wut waren meine einzigen Gedanken. Meine Lily, in die Mitternacht des Schmerzes geworfen. Wäre ich doch, wie mein Vater, ein mutigerer Mann gewesen …

Ich sah für eine Stunde zu, wie die Ratsmänner jede Frau verglichen. Ein oder zwei Mal hörte ich, wie einer von ihnen einen Kommentar über die Frauen machte. Ich wagte zu hoffen. Ich hoffte, sie würden die Blonde – Nummer 14 – wählen, oder den vernarbten Rotschopf mit der Nummer 41 auf der Stirn. Aber in meinem Herzen wusste ich, dass sich keine von ihnen mit meiner Lily vergleichen konnte. Selbst in ihren Lumpen strahlte sie.

Gleich der Jahreszeit des Todes die über uns hing, erhoben sie sich und gingen auf die Frauen zu. Langer, der älteste unter ihnen sprach mit Tränen in den Augen – er weinte immer; er hatte sowohl seine Frau, als auch seine Tochter hingegeben. „Sie, die der Rat mit der Ziffer 12 versehen hat, wird Assatur's Braut werden.“ Niemals ein Name nach der Auswahl, nur „sie“.

Ich hatte Angst. Um sie. Um mich. Mehr um mich. Wieviel Dunkelheit kann ein Mann einatmen, bevor er erstickt? Welches Licht würde ich nun in diesem Verlies finden?

Ich wollte aufschreien, aber Lily sah mich an und ich schwieg. Sie hatte es akzeptiert. Ihre Augen sagten, ich müsste es ebenfalls tun.

Um mich davon abzuhalten sie zu entführen, oder um sie von der Flucht abzuhalten, wurde sie in der Nähe von Langers Lager gefangengehalten – Tag und Nacht unter Bewachung. Ich erklärte Langer, dass ich bei ihr bleiben würde. Er nickte. Ich konnte die Erinnerung in seinen Augen sehen.

Man brachte uns Essen und Wasser. Die Tage des Wartens begannen.

* * *

„Du wirst nicht zur Übergabe kommen. Das musst du mir versprechen … ich könnte es nicht ertragen dich dort zu sehen.“

In ihren dunklen Augen waren Tränen.

„Ich –“

„Versprich es mir.“

„Aber wir könnten fliehen.“

„Wohin?“ fragte sie.

Ich log sie an. „Wir werden einen Ort finden.“

„Wohin? Nach Draußen? Und wie sollen wir in der Wildnis überleben?“

Ich hatte keine Antwort. Sie legte ihre Hand auf meine Wange, als ob ich derjenige wäre, der Trost bräuchte.

„Versprich es mir.“

Und das tat ich. Aber ich wusste, dass ich die Übergabe aus der Ferne beobachten würde. Ich denke, sie wußte es auch.

Unsere Unterhaltung über die Flucht endete.

In unserem Bett aus Lumpen verbrachten wir aneinander geschmiegt die Nacht. Mit geschlossenen Augen genossen wir die Nähe des anderen.

Als die Stimmen des Morgens um mich herum erwachten, wurde ich angewiesen sie zu verlassen. Sie weinte, als wir uns umarmten. Dann war ich fort. Zu ängstlich, um mich noch einmal umzudrehen, sah ich ihren letzten Blick nie.

Eine Stunde oder zwei mussten vergangen sein, aber ich nahm keine Notiz davon. Ich stand im Eingang eines Tunnels. Wartete.

Dann kam die Prozession vorbei. Ich konnte den Priester und seine Männer sehen. So sorgenfrei, wie eine Krankheit unter Kindern umhergeht, bewegten sie sich zwischen den Clans.