Cover

Kurzbeschreibung:

Sínead sitzt in Galway plötzlich auf der Straße, als sie ihre Verlobung mit dem Manager Thomas Dillon löst. Niemand, auch sie selbst nicht, versteht wirklich, warum sie in der Beziehung so unglücklich war. Sie muss wieder bei ihrer chaotischen Familie einziehen und wird abrupt mit ihrem alten Leben konfrontiert. Ihr bester Freund Ethan ist da ein Lichtblick in all den Veränderungen und sie willigt spontan ein, ihn auf eine abenteuerliche Reise zu begleiten, die beide durch halb Irland führt. Langsam findet Sínead wieder zu sich selbst und erkennt den wahren Grund für das Ende ihrer Beziehung mit Thomas.


Über die Autorin:

Tanja Bern ist dem Ruhrgebiet immer treu geblieben, obwohl sie seit vielen Jahren eine besondere Liebe für Irland hegt. Auf der Grünen Insel wurde damals etwas in ihr erweckt, das immer noch eine Quelle der Inspiration für die Autorin ist. Heute lebt sie mit ihrer Familie und zwei Katzen in einem Stadtteil Gelsenkirchens. Tanja Bern ist ein sehr intuitiver Mensch, der gerne mystische Bücher liest, sich um Tiere kümmert oder ihre Ruhe im Yoga sucht. Schreiben ist ihre große Leidenschaft, und wenn sich ihre Figuren dann noch verlieben, versinkt sie nur zu gerne in ihren Geschichten.



Tanja Bern

Winterreise 


Galway Girl 1


Edel Elements

- 13 -

Die letzten Tage vergingen wie im Flug.

Ich gieße die Blumen und höre, wie Ethan telefoniert. Er beendet das Gespräch, kommt grinsend in die Wohnküche.

„In zwei Stunden geht es los zur Silvesterfeier. Schaffst du das?“

Ich liebe Silvester! „Was machen wir?“, frage ich begeistert.

„Das ist eine Überraschung.“

Also beende ich meine Hausarbeit und hübsche mich ein bisschen auf. Vor dem Spiegel schweift mein Blick aus dem Fenster. Die Sonne geht über den Hügeln unter und färbt die Federwolken in ein sattes Rotgold. Der Himmel leuchtet. Die Wimperntusche ist für den Moment vergessen, und ich beobachte, wie der Feuerball langsam verschwindet und alles in Schatten getaucht wird.

Ethan schaut zu mir herein. „Können wir?“

„Einen Moment.“ Ich schminke mich schnell zu Ende, schlüpfe in meine Schuhe und schnappe mir eine Jacke. Es tut gut, wieder etwas anderes zu tragen als Parka und Turnschuhe.

Ethan fährt uns mit dem Land Rover aus der Stadt. Wir parken vor einer hell erleuchteten, riesigen Scheune, die reich geschmückt ist. In den umliegenden Bäumen hängen Laternen, kleine LED-Lichter markieren den Weg. Arm in Arm schlendern wir zu der Party. Laute Musik strömt uns entgegen, und ich staune über die Aufmachung des riesigen Raumes. Er ist zweistöckig, oben sind sogar Dachfenster eingelassen. Die Stühle und Tische wirken wie aus Baumstämmen geschnitzt und von Kobolden verziert. Am anderen Ende steht eine lange Bar. Einige Mädchen tanzen mit wehenden Kleidern und fliegenden Haaren einen Céilí. Sie sehen aus wie verzauberte Feen. Ich kann nicht anders, als zu lächeln und verspüre Lust, selbst mitzumachen.

Ethan ermutigt mich mit einem Wink, aber ich schüttle den Kopf. Später vielleicht.

Es wird eine gesellige Party, die das Ende des Jahres gebührend feiert. Die Veranstalter haben sich selbst übertroffen. Ich habe selten etwas so Außergewöhnliches an Silvester erlebt. Die Atmosphäre ist modern und trotzdem verwunschen. Die Stimmung schwankt zwischen völlig verrückt und nostalgisch, aber vor allem ist es irisch. Ich tanze, bis mir die Füße wehtun, trinke, bis sich der Raum um mich dreht, und wir singen lautstark mit.

Kurz vor Mitternacht nimmt Ethan meine Hand und bringt mich nach oben in den zweiten Stock. Die Dachfenster sind geöffnet worden, und wir ergattern noch einen guten Platz.

„Hast du eigentlich einen Vorsatz fürs neue Jahr?“, fragt Ethan fast beiläufig.

„Ja, ich möchte auch in fünfzig Jahren mit dir Silvester feiern, wenn ich alt und klapprig bin und du an einem Rollator gehst.“

Ethan sieht mich verdutzt an und lacht leise auf. Sein Gesichtsausdruck wandelt sich, als er sich meiner Worte wirklich bewusst wird. Ich finde mich in seinen Armen wieder, und sein euphorischer Kuss berauscht mich.

„10 …“

Der Silvester-Countdown lässt uns wieder zu Sinnen kommen.

„… 9 … 8 … 7 …“

„Und dein Vorsatz?“, flüstere ich ihm ins Ohr.

„6 … 5 … 4 …“

„Ich möchte der sein, der in fünfzig Jahren an deiner Seite ist, um dir den Rollator auszuleihen.“

Ich kichere verhalten.

„3 … 2 … 1 …“

Das Feuerwerk über Galway beginnt mit einem Funkenregen, der den Nachthimmel erleuchtet. Wunderschöne Raketen vertreiben die Dunkelheit über uns.

Mit Herzklopfen schmiege ich mich in Ethans Arme. „Wenn wir zusammen sind, ist alles gut.“

Ich raube mir erneut einen Kuss, genieße seine Nähe so sehr. „Frohes, neues Jahr, Ethan.“

Er will mir gerade antworten, als unter uns auf einmal Unruhe entsteht. In unserer unmittelbaren Nähe zischt eine Rakete in die Luft. Ich weiche erschrocken zurück.

„Was machen die da, verdammt?“, schimpft Ethan und beugt sich vor.

In Irland ist privates Feuerwerk verboten! Woher haben sie das Zeug?

Noch eine Rakete steigt auf, es knallt mehrmals wie Gewehrschüsse. Am Boden prasseln Funken umher.

Ich höre aufgeregte Stimmen, Lachen hallt zu uns herauf. „Die sind verrückt geworden“, sage ich kopfschüttelnd.

„Wer ist bloß auf diese bescheuerte Idee gekommen?“, grollt Ethan.

Die nächste Rakete fliegt direkt über uns hinweg, ich höre einen dumpfen Aufschlag im Reetdach. Der Knall ist ohrenbetäubend. Ethan schaut fassungslos nach oben ins Gebälk. Ich folge seinem Blick … und sehe Feuer! Funken regnen auf mich nieder, es knackt und knistert überall.

„Sínead, komm mit!“

Wir eilen zur Treppe, ich rufe den Gästen, an denen wir vorbeilaufen, eine Warnung zu. Sie schauen immer noch aus den Fenstern und bemerken die Gefahr nicht. Ein Tumult entsteht, als endlich alle begreifen, dass das Dach der Scheune brennt.

„Lauf raus!“, sagt Ethan mit aufgeregter Stimme. „Ruf die Feuerwehr. Ich habe einen Feuerlöscher gesehen. Vielleicht kann ich es eindämmen.“

„Ethan, lass das sein! Das ist zu gefährlich.“

„Geh, Sínead. Da sind noch Leute, die kommen nicht mehr raus, wenn das hier einstürzt.“

Unwillig bleibe ich an den Stufen stehen und beobachte, wie Ethan in eine Ecke rennt und den Feuerlöscher nimmt. Ich kann nichts gegen die Angst in meinem Inneren tun, sie lähmt mich komplett. Weißer Schaum spritzt gegen das Feuer, das sich immer weiter durch das Dach frisst. Endlich hat es auch der Letzte verstanden, dass eine Flucht vonnöten ist. Alle strömen in meine Richtung. Rasch wende ich mich um und will die Treppe heruntersteigen, da überholen mich zwei Männer. Sie riechen streng nach Whiskey und nehmen mich gar nicht wahr. Der eine stößt mich zur Seite, sodass ich ins Stolpern gerate. Ich verspüre einen schmerzhaften Stoß an dem Knie, das ich mir schon in den Bergen verletzt habe, und die Welt dreht sich um mich. Ich versuche mich noch am Geländer festzuhalten, aber dann falle ich zu Boden, und es wird schwarz um mich.

Das Geschrei der panischen Menschen höre ich wie durch Watte. Etwas Heißes fällt auf meinen Fuß. Geschockt schreie ich auf und schüttle es ab.

Ein Deckenbalken bricht und landet mitten auf der Treppe.

„Ethan!“

Ich rapple mich auf, versuche, durch den aufquellenden Rauch etwas zu sehen.

„ETHAN!“

Das Feuer verschlingt jede Zuversicht, jeden Hoffnungsfunken, den ich in den letzten Tagen errungen habe. Zurück bleibt die pure Angst, Ethan zu verlieren.

Schaum spritzt mir plötzlich entgegen. Jemand löscht die Stufen, bis nichts mehr aus dem Feuerlöscher kommt. Mit einem metallischen, lauten Geräusch kommt das Gerät auf, als es in die Ecke geworfen wird, und Ethan stürmt die Treppe herunter. Er fasst mich an beiden Armen. „Warum bist du noch hier?“

„Ich bin hingefallen.“

„Los, raus hier!“

Ich hinke leicht, und er nimmt mich einfach auf den Arm, trägt mich aus der Scheune. Draußen wird mir das Ausmaß des Brandes bewusst. Die Scheune brennt lichterloh. Ethan flucht leise.

„Hast du gesehen, ob der alte Bram rausgegangen ist?“

„Nein, was ist denn mit ihm?“

„Als wir nach oben gegangen sind, lag er stockbesoffen auf der Theke. Ruf die Feuerwehr, falls es noch niemand getan hat. Und halte Abstand, damit dich kein Funke erwischt.“

Ohne ein weiteres Wort lässt Ethan mich stehen und rennt zurück in das brennende Gebäude, um Abraham Dooley zu suchen.

Sirenen ertönen von Weitem, nähern sich.

„Ethan …“, flüstere ich. Ich weigere mich, auch nur einen Schritt zurückzugehen.

Oh Gott, wo bleibt er?

Es kracht, als ein weiterer Holzbalken ein Opfer der Flammen wird. Ich kann das Husten nicht mehr unterdrücken, Tränen laufen unkontrolliert über meine Wangen.

Die Feuerwehr fährt auf den Platz, und ich haste zu ihnen hin, greife einen der Männer am Arm.

„Mein Freund ist noch da drin! Er wollte jemandem helfen!“

Der Mann schaut zur Scheune, bellt seinen Kollegen etwas zu. Schläuche werden ausgerollt, einige betreten mit Schutzkleidung die Scheune. Im gleichen Moment kommen drei Personen heraus, einer wird schwer gestützt. Die Feuerwehr nimmt die Männer in Empfang. Einer bricht vor Ort zusammen, ihm wird aufgeholfen, aber ich kann nicht sehen, wer es ist.

Die drei werden zu den Rettungswagen begleitet. Ich renne dorthin, werde jedoch aufgehalten.

„Ich muss wissen, ob mein Freund dabei ist! Er war noch in der Scheune.“

Um mich herum ist Chaos, ich schluchze auf. Mein Blick hetzt von den Flammen zum Rettungswagen. Endlich hat der Feuerwehrmann Mitleid mit mir und lässt mich durch.

Ich sehe den alten Abraham auf einer Pritsche liegen. Wo sind die anderen beiden?

Da höre ich eine mir wohlvertraute Stimme. „Lasst mich los, ich muss meine Freundin suchen!“

„Ethan?“

„Sínead? Ich bin hier!“

„Oh, Gott sei Dank!“

Ich gehe den Stimmen nach und finde Ethan und den anderen Mann neben einem weiteren Rettungswagen. Sie bieten ihm eine Sauerstoffmaske an, die er ablehnt. Mich durchflutet pure Erleichterung. Sein Haar ist schwarz wie Kohle, und er sieht aus, als käme er vom Bergbau. Trotzdem umfasse ich sein Gesicht und küsse ihn.

Ich nehme dem Sanitäter die Sauerstoffmaske ab und lege sie Ethan um.

„Nimm sie bitte,“ flüstere ich. „Mir geht es gut.“

Er atmet tief durch, greift nach mir und zieht mich in seine Arme.

Die Feuerwehrleute haben uns hinter eine Absperrung gebracht, sie sind immer noch mit den Löscharbeiten beschäftigt. Wir schauen fassungslos auf die abbrennende Scheune, die für diese Veranstaltung so liebevoll hergerichtet war. Ethan hat zum Glück keine Rauchvergiftung, weil er den Atem so lange wie möglich angehalten hat. Wahrscheinlich ist er kaum zwei Minuten nach mir herausgekommen. Mir erschien diese Zeit endlos.

Das alles lässt die Furcht in mir aufkeimen, ihn zu verlieren. Ich klammere mich förmlich an Ethans Arm.

„Wie schnell ein so schöner Abend umschlagen kann, und das nur wegen ein oder zwei bescheuerter Typen“, sagt er leise.

„Ich bin nur froh, dass niemandem etwas passiert ist. Obwohl, hast du was vom alten Bram gehört?“

„Ich glaube, sein Alkoholspiegel ist das größere Problem. Er hat es maßlos übertrieben.“

Wir wissen, dass seine Trinkerei einen Grund hat. Seine Frau ist letztes Jahr verstorben, und seitdem hat er es nicht mehr im Griff.

Ich schmiege mich in Ethans Arme, und er küsst mich sachte aufs Haar. „Lass uns nach Hause gehen.“

*

Ich stehe schon mit einem unguten Gefühl auf.

Heute wird Ethan aufbrechen, um seine Tour zu Ende auszutüfteln. Ohne mich. Ich habe beschlossen, zu Hause zu bleiben und Fergus beizustehen. Doch als ich sehe, wie Ethan seinen Wanderrucksack packt, überkommt mich eine furchtbare Unruhe. Ich möchte ihn nicht allein gehen lassen!

Er scheint mein Dilemma zu spüren, schaut auf und begegnet meinem Blick.

„Es ist höchstens eine Woche, Sínead. Ich melde mich täglich und schicke dir Fotos.“

Ich seufze tief auf. „Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist. Vorher waren wir doch auch oft tagelang getrennt.“

Ethan stellt den Rucksack zur Seite und nimmt mich in den Arm. Ich hebe den Kopf, und er kommt mir entgegen, um mich zu küssen.

„Da waren wir aber noch nicht zusammen“, flüstert er.

Ich ordne sein Haar, streiche sanft über seine unrasierte Wange. „Es ist wirklich ein riesiger Unterschied, ich verstehe bloß nicht, wieso.“

„Weil du vorher so Vieles verdrängt hast. Glaub mir, ich mache mich schon seit Jahren verrückt, weil ich mich ständig um dich sorge.“ Ethan lacht leise auf. „Bei mir ist es jetzt irgendwie besser.“

„Es ist nur … Ich habe einfach Angst, dich wieder zu verlieren.“ Ich schüttle unwillig den Kopf. „Vielleicht ist es wegen des Feuers. Du hast mir einen gehörigen Schrecken eingejagt, als du einfach zurück in die Scheune gerannt bist.“

„Ich konnte Bram nicht dort lassen.“

„Das weiß ich doch. Versprich mir, dass du auf dich achtest und nicht wieder den Superhelden spielst.“

„Was ist eigentlich mit meinem Adventure Man-Kostüm? Feuerfest wäre gut.“

Ich gebe ihm einen Klaps gegen den Arm. „Ich meine es ernst, Ethan!“

Seine warmen Hände umfassen mein Gesicht. Seine Lippen berühren unendlich sanft die meinen. „Das weiß ich, und ich verspreche dir, heil zurückzukommen.“

Wir lösen uns voneinander, und er hievt sich den Rucksack auf den Rücken.

„Wo wirst du zuerst hinfahren?“

„Ich muss erst wieder in den Osten. Sylvie möchte jetzt doch unbedingt in Dublin einen Zwischenstopp einlegen. Ich suche dort nach etwas ausgefalleneren Unterkünften. Mal sehen, was ich so finde. Danach geht es nach Norden weiter.“

„Ich bin auf die Fotos gespannt“, sage ich mit einem Lächeln.

Ich helfe Ethan, seine Habseligkeiten runterzutragen. Erneut verlange ich einen Abschiedskuss, dann lasse ich ihn ziehen.

Als der Land Rover außer Sichtweite ist, fühle ich mich allein und für den Augenblick auf seltsame Weise hilflos. Gegen diese Empfindung kämpfe ich gnadenlos an. Ich darf so etwas gar nicht erst zulassen.

Um mich abzulenken, nehme ich mein Rad und fahre in Richtung Klinik. Außer Atem erreiche ich den Parkplatz, befestige mein Rad an einer Metallstange und laufe die Treppen in das obere Stockwerk hinauf. Ich fühle mich so ruhelos, habe nicht einmal Geduld, auf den Fahrstuhl zu warten.

Erst als ich vor dem Zimmer meines Bruders stehe, beruhigt sich mein Gemüt ein wenig.

Fergus schaut überrascht auf, weil er mich nicht erwartet hat. „Hey, musst du nicht deinen Loverboy verabschieden?“

„Ethan ist schon fort. Deshalb muss ich dir jetzt auf die Nerven gehen.“

„Willst du Schokolade? Dean hat mir was mitgebracht.“

„Ja, bitte!“

„Und soll ich dir was richtig Cooles erzählen?“

„Sie entlassen dich endlich?“

„Ja, morgen! Ich darf endlich hier raus. Guck, die blöden Schläuche sind schon alle weg.“

„Das ist wirklich eine verdammt gute Nachricht. Holt Dad dich dann ab?“

Fergus runzelt die Stirn. „Das weiß ich noch gar nicht.“

„Ich kann dich auch hinten auf meinen Gepäckträger nehmen.“

Wir lachen vergnügt auf. Fergus hält sich dabei den Bauch, weil seine OP-Wunde noch recht empfindlich ist.

„Wann musst du eigentlich wieder arbeiten?“

„Ach, erst nächste Woche. Ich werde morgen trotzdem in den Laden gehen. Mum hat ein paar Tassenbestellungen mit Wunschgravur.“

„Ah, du bist wieder kreativ. Kannst du mir vielleicht auch eine machen? Für Deans Geburtstag?“

„Mit Fergus plus Dean in einem großen Herz?“, foppe ich ihn.

Mein Bruder rollt mit den Augen. „Und am besten noch furzende Einhörner, die Regenbögen hinter sich herziehen.“ Er haut spielerisch nach mir, ich weiche ihm mit einem Grinsen aus. „Nein, ich habe eine viel bessere Idee!“

Fergus erzählt mir, wie er sich die Tasse für Dean vorstellt, und wir überlegen den halben Tag, wie ich das umsetzen könnte. Wir kritzeln kleine Zeichnungen auf Servietten und entscheiden uns für ein recht hochwertiges Motiv, das ich lieber zu Hause gravieren werde, denn dafür brauche ich Ruhe und Konzentration.

Der Besuch bei meinem Bruder vertreibt die Furcht in mir. Wir albern so sehr herum, dass sich sein neuer Zimmergenosse Kopfhörer aufsetzt, um ungestört zu sein.

Ich schaue auf die Uhr. Es ist schon Nachmittag, und mit einem Blick aus dem Fenster sehe ich, dass Regen aufzieht.

„Fergus, ich werde jetzt mal nach Hause fahren, vielleicht schaffe ich es noch, trocken heim zu kommen.“

Ich küsse ihn auf die Wange und freue mich, dass er morgen endlich nach Hause darf.

Als ich nach draußen komme, verschwindet die Sonne hinter dunkelgrauen Wolken. Feuchtigkeit liegt in der Luft. Ich beeile mich, zu meinem Rad zu kommen.

Der Weg zu unserer kleinen Wohnung ist angenehm, denn ein gutes Stück der Strecke führt bergab. Ich brause durch die Straßen, fahre dem aufkommenden Regen davon. Zu Hause stutze ich, weil jemand in der Einfahrt unseres Wohnhauses sitzt.

Ist das Megan? Ethans Ex-Freundin?

Sie steht umständlich auf, weil sie mich erspäht hat. Sie wirkt verändert auf mich.

„Hallo Sínead“, begrüßt sie mich mit leiser Stimme.

Ihr hübsches Gesicht ist ungeschminkt, das dunkelblonde Haar vom Wind zerzaust.

„Hallo Megan, was machst du denn hier?“

„Ich bin auf der Suche nach Ethan.“

„Er ist nicht hier. Tut mir leid. Ethan ist heute Vormittag weggefahren, er ist bestimmt eine Woche weg, weil er für Sylvie eine Tour ausarbeiten muss. Was ist denn los?“

„Ich … ich muss ihm was sagen.“

„Kein Problem, ich kann es ihm ja ausrichten.“

„Das wäre nicht so gut, denke ich.“

Warum druckst sie so herum? Was ist denn bloß vorgefallen, dass sie ihn nach Wochen aufsucht?

Es beginnt heftig zu regnen, und wir flüchten beide unter das Vordach. Megan sieht mich von der Seite an, als wolle sie abwägen, was sie tun soll. Schließlich öffnet sie ihre Jacke und legt die Hand auf ihren Bauch, der leicht angeschwollen ist.

Mir rutscht das Herz in die Hose.

„Megan!“

„Ich bekomme ein Kind, Sínead. Von Ethan“, flüstert sie.

Fassungslos starre ich sie an, ich kann keinen klaren Gedanken fassen. Ich bin völlig sprachlos, und Megan senkt den Kopf. Weiß sie, wie sehr sich unsere Beziehung verändert hat?

Die Angst von heute Morgen krallt sich in meinen Magen. Mir wird furchtbar übel. Für einen Moment ist mir schwindelig, weil mein Herz nahezu stolpert und gleichzeitig mein Verstand gegen diese Nachricht rebelliert.

Das ist nicht wahr! Du lügst!, möchte ich Megan entgegenschreien, aber ich bringe nicht ein Wort hervor. Alles in mir scheint blockiert zu sein. Nur eine Frage dröhnt durch meine Gedanken.

Was wird diese Nachricht für Ethan und mich bedeuten? Wird es das Ende sein?

- 1 -

Wir rennen über die Wildblumenwiese, die Blüten und Gräser streichen uns um die Beine. Unser Lachen hallt über die sonnige Lichtung, und die Luft riecht nach Sommer. Meine Welt scheint völlig in Ordnung zu sein. Intakt. Als könne mich nichts erschüttern.

Mit geschlossenen Augen stehe ich in der Küche, träume vor mich hin und flüchte für einen Augenblick vor …

Ja, vor was eigentlich?

Dieser eine Tag meiner Kindheit ist so wunderschön gewesen. Wenn ich mich an solche Momente erinnere, wird alles ein bisschen leichter für mich.

„Sínead, hörst du mir überhaupt zu?“

Ich blinzle und bin abrupt wieder in der Wirklichkeit. Thomas steht mit genervtem Gesichtsausdruck vor mir.

„Ehrlich gesagt ...“

„Hast du nicht zugehört, schon klar. Ist ja nichts Neues.“ Er seufzt, dreht sich weg und verlässt die Küche wieder.

Irritiert folge ich ihm ins Wohnzimmer. „Ich war kurz in Gedanken. Was wolltest du denn?“

„Du hast also wirklich gar nichts mitbekommen? In welchen Sphären hast du geschwebt?“ Sein Tonfall ist hart. Ich spüre, dass er seine Wut mühsam unterdrückt.

„Tut mir leid.“

„Was? Dass du mir nicht zugehört hast? Oder dass du mich seit Wochen wie einen nervigen Bruder behandelst?“

„Bitte was?“

„Schon gut“, murmelt er und wendet sich ab.

Ich bin für einen Moment sprachlos, fange mich aber rasch wieder und gehe ihm nach. „Du machst es dir zu leicht, Thomas.“

„Ach ja?“

Wieder einmal wird mir bewusst, wie unglücklich ich mich in seiner Gegenwart fühle. Ich kann nicht sagen, warum sich dieser Schatten jedes Mal auf mich legt, wenn eine Beziehung ernst wird. Aber diese Dunkelheit ist immer da. Auch jetzt.

Thomas nähert sich mir, fährt sich durch sein kurzes Haar. „Wir sollten nicht streiten“, beschwichtigt er und nimmt meine Hand. Sachte schüttelt er den Kopf, als verstehe er uns nicht mehr. „Es war heute ein ziemlich übler Arbeitstag in der Firma. Tut mir leid, ich habe überreagiert.“

„Nein, hast du nicht“, widerspreche ich leise.

Er gibt sich zufrieden mit meiner Antwort, haucht mir einen Kuss auf den Mund und geht zurück in die Küche. Ich höre, wie er sich einen Kaffee macht, die Geräusche sind mir wohlvertraut.

Ich gehe ihm nach, beobachte ihn und fühle – nichts. So sollte es nicht sein! Wir sind verlobt, seit über einem Jahr, wir wollen den Rest unseres Lebens miteinander verbringen.

Aber Thomas scheint unseren Zwist vergessen zu haben, oder er verdrängt ihn. Ich glaube, er will es nicht sehen. Denn nun redet er von seinem Arbeitstag und beschwert sich über einen vorlauten Kunden.

„Thomas“, unterbreche ich ihn. Er verstummt. Langsam gehe ich auf ihn zu. „Etwas stimmt nicht.“

Kaffeeduft breitet sich aus und erfüllt den Raum.

„Was meinst du, Sínead?“

„Wir … wir sind beide nicht glücklich.“

Thomas stellt seine volle Tasse auf die Anrichte. „Wie meinst du das? Und sprich nicht für mich!“

Betroffen senke ich den Kopf. Mein Schweigen sagt ihm mehr als tausend Worte.

„Sínead, wir sind verlobt!“

„Aber wie soll es noch werden, wenn schon der Beginn nur aus Streitigkeiten besteht?“

„Was willst du mir sagen, Sínead?“

Mir wird die Tragweite dieser Unterhaltung bewusst, und ich bekomme Angst. Bin ich dabei, unser Leben zu zerstören?

Thomas baut sich vor mir auf. Er überragt mich um eine Kopflänge. „Willst du mich noch heiraten oder nicht?“

Ich zögere. Mein Herz klopft auf einmal so heftig, dass es mir unangenehm ist. In meinen Magen bohrt sich ein Gefühl, und mir wird übel.

Nein, ich will Thomas nicht heiraten.

Die Erkenntnis treibt mir die Tränen in die Augen. Ich kann ihn nicht mehr ansehen und senke den Blick. Wie soll ich ihm das erklären?

„Dann geh, Sínead.“

„Was?“, frage ich heiser.

„Ich gehe davon aus, dass dein Schweigen ein Nein bedeutet. Deshalb: geh.“

„Das ist nicht dein Ernst.“

Sein Gesicht bleibt unbewegt, jegliche Regung unterdrückt er. „Sínead, wenn du der Meinung bist, wir beide verplempern hier unsere Zeit, dann pack bitte deine Sachen und geh.“ Thomas atmet tief durch. „Oder bleibe, aber dann liebe und heirate mich aus tiefstem Herzen.“

Fassungslos sehe ich ihn an. Er wendet sich von mir ab, zieht sich seine Jacke an.

„Ich gehe jetzt in Jeffs Bar. Mach, was du für richtig hältst. Ich werde ja sehen, ob du noch da bist oder nicht, wenn ich wiederkomme.“

Seine letzten Worte versetzen mich in Wut. „Das ist es also? So einfach lässt du mich gehen? Du startest noch nicht einmal den Versuch, um mich zu kämpfen?“

„Kämpfst du denn um mich?“

Ich antworte nicht, starre ihn nur betroffen an.

Er nimmt seinen Wohnungsschlüssel vom Haken, geht aus der Haustür und zieht sie hinter sich zu.

*

Ich beuge mich zurück, um der Schaukel Schwung zu geben. Obwohl die rostigen Metallstreben knarren, erfüllt mich das Wiegen mit einem Zauber, der mich für den Moment in die Vergangenheit zurückkatapultiert.

Ich bin auf dem alten Spielplatz, an den sich kaum jemand erinnert, da er schon lange verfallen ist. Ich bin wieder acht Jahre alt und schaukle mit Ethan um die Wette. Meine Locken werden vom Wind zerzaust, und ich versuche, den Zipfel des Flusses zu sehen. Ich muss nur hoch genug kommen …

Feine Schneeflocken tanzen mir um die Nase, und eine eisige Bö trifft mich. Dieses Jahr ist der Winter in Irland alles andere als mild.

Seufzend halte ich die Schaukel an und knöpfe mir den Kragen meiner Jacke zu. Schritte lassen mich aufmerksam werden. Rasch wische ich mir die Tränenspuren fort und schaue hinter mich. Ethan kommt die Anhöhe hinauf.

Natürlich. Ethan kennt diesen geheimen Ort genauso gut wie ich – unseren Ort.

„War klar, dass du mich findest.“ Ich gebe der Schaukel wieder einen Schubs und lehne mich zurück. Vor und zurück.

„Deine Mum sagte mir, dass du bei Thomas ausgezogen bist.“ Ethan wirft mir einen ernsten Blick zu. „Mit all deinem Hab und Gut.“

„Was nicht besonders viel ist, wie ich jetzt weiß.“

Er setzt sich, wie so oft, auf den flachen Felsen vor mir. Die zweite Schaukel gibt es leider nicht mehr. Sein braunes Haar ist kurz und doch vom Wind zerzaust, der Dreitagebart, der so typisch für ihn ist, kommt mir ungewöhnlich lang vor.

„Was ist los, Sínead?“

Abrupt stoppe ich die Schaukel. „Ich bin wieder Single“, sage ich leise.

Ich versuche, in seinem Gesicht eine Regung zu lesen, aber Ethan ist ein Meister darin, seine wahren Gedanken nicht preiszugeben.

Mein Smartphone klingelt, wie schon fünfmal zuvor. Dazu gesellen sich in kurzen Abständen mehrere Kurznachrichten.

„Willst du nicht rangehen?“

Ich schüttle den Kopf, nehme einen tiefen Atemzug. „Ich habe unsere Beziehung angezweifelt, und er stellte mich vor die Wahl.“ Ich stocke, mir sitzt ein Kloß im Hals, der mich am Weiterreden hindert.

„Vor welche Wahl?“, fragt Ethan schlicht.

Ich blinzle die aufkeimenden Tränen fort und begegne seinem Blick. „Heiraten oder gehen.“

Nun zeigt sich Überraschung in seinem Gesicht.

„Deshalb bin ich … na ja …“

„Gegangen.“

„Ja.“

Erneut ertönt mein Handyklingelton, den ich ignoriere.

„Trotzdem ruft er immer wieder an?“

„Telefonterror trifft es wohl eher. Thomas hat geschrieben, er hätte das nicht ernst gemeint. Angeblich wollte er mich nur aufrütteln. Ich glaube, er sucht mich.“ Mir huscht ein Lächeln übers Gesicht. „Aber unseren alten Spielplatz kennt er nicht.“

Ethan antwortet nicht, betrachtet nur still die Umgebung. Auch ich sehe mich um.

Himbeersträucher überwuchern den Weg zu den Häusern. Um das Dickicht zu überwinden, müssen wir auf die Eiche klettern, deren Eichel Ethan und ich eingepflanzt haben, als wir sechs waren. Der Baum ist über zwanzig Jahre alt. Auf den kahlen, knorrigen Ästen verfangen sich feine Schneeflocken.

Ich stehe auf und geh die Anhöhe hinauf. Ethan folgt mir wortlos.

Die Wolken hängen so tief, sie scheinen den Boden berühren zu wollen. Dunst schleicht über die Wiese, die nur von einer Trockenmauer begrenzt ist. Ansonsten sehe ich die Häuser Galways, die sich eng aneinanderschmiegen. Von hier oben kann ich ein Stück weit dem Lauf des Flusses folgen, der vom Lough Corrib bis in die Galway Bay mündet. Der See und das Meer sind untrennbar durch den kürzesten Fluss Europas miteinander verbunden.

Als Ethan meine Hand nimmt, spüre ich unsere Verbindung. Er ist mein bester Freund und etwas Besonderes. Egal, wer an meiner Seite ist, wen ich küsse, neben wem ich aufwache. Die Welt wird ein bisschen heller, wenn Ethan anruft, auf mich zukommt, mit mir lacht. Ich kann einfach nichts dafür, es war schon immer so.

„Warum bist du gegangen, Sínead?“, fragt Ethan leise, ohne mich anzusehen.