Freimund Pankow

 

ZOPF ODER KAHL

 


Bibliografische Information der Nationalbibliotheken: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Die Österreichische Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Österreichischen Nationalbibliothek.

Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags, Herausgebers und der Autoren unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Personen und Handlungen in dieser Geschichte sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

 

Impressum:

1. Auflage 2019

Karina-Verlag, Vienna

http://www.karinaverlag.at/

karina.bookoffice@gmail.com

 

 

© Text: Freimund Pankow

© Illustrationen (inkl. Coverbild): Ursula Limbacher

Lektorat, Layout, Cover, Design: Renate Zawrel

Herausgeber: Karina-Verlag, Wien

 

ISBN: 9783966103732

 

 

 

 

 

Für

Zoë und Alexander, Patricia und Victoria

 

 

 


Königin Gans

 

Es war einmal ein armes Bauernpaar, das lebte recht und schlecht mit seinem Vieh inmitten kargen Ackerlandes vor den Toren der Stadt und fristete sein Leben rechtschaffen mit harter Arbeit auf dem Felde.

Lieselotte, das einzige Töchterlein ging den Eltern dabei zur Hand, so gut es konnte. Es hütete tagaus tagein die kleine Herde Gänsevieh auf der Wiese vor dem Hof, in der sich ein schmaler Bach zu einem kleinen Weiher staute. Die Tiere folgten dem Kind auf Schritt und Tritt. Es war immer gut zu ihnen und vergaß niemals, Futter oder Wasser hinzustellen, mochten auch Blitz und Donner, Eis oder Schnee den Weg über den Hof zum Stall beschwerlich werden lassen und der Sturm noch so wild um die Mauern heulen.

 

Das Mädchen war jedes Jahr schöner anzusehen und von solchem Liebreiz und solcher Reinheit, dass selbst der Königssohn, als er mit Junkern und Dienern auf dem Wege zur Jagd an ihrer Wiese vorüber kam, halten ließ und sie ansprach. Bald plauderten die beiden so unbefangen und fröhlich miteinander, wie nur Geschwister es tun oder junge Leute, die schon lange Zeit einander vertraut sind. Seit diesem Tage hielt der Prinz stets bei ihr an, wenn er vorüber ritt. Und nach einiger Zeit führten alle seine Wege zuerst an dem kleinen Hof vorbei, um zu sehen, ob es Lieselotte gut ginge, um mit ihr zu lachen und zu scherzen.

 

Bald machte man sich bei Hofe lustig über den Prinzen und seine „Gänsemaid“. Und sogar der alte König wiegte bedenklich den Kopf, wenn er daran dachte, dass er selber nun in Ehren grau geworden und das schwere Amt des Regierens lieber heute als morgen abgeben würde.

„Sollte der Prinz nicht besser auf Brautschau gehen als seine Zeit mit einem Gänsemädchen zu vertändeln?“, fragte er die Königin besorgt.

Doch den jungen Prinzen kümmerten die Zweifel seiner Eltern nicht. Und als er schließlich gefragt wurde, wen er denn dereinst als Königin neben sich auf dem Throne sehen wollte, da antwortete er unumwunden: „Keine andere als Lieselotte soll meine Frau werden, sie allein und niemand sonst! Ich wüsste auch gar niemanden, der es mit ihr aufnehmen könnte an Fröhlichkeit und Anmut, an Güte und Verstand!“

Da mochten nun König und Königin noch so sehr auf ihn eindringen, all ihre Vorbehalte, alle Wenn und Aber der Minister und Höflinge fielen von ihm ab wie überreife Früchte.

 

Und während der alte König mit seinen Räten angestrengt darüber grübelte, wie der Prinz doch noch standesgemäß zu verheiraten wäre, da ließ dieser sich beim Goldschmied in der Stadt melden. Er hieß ihn, über Nacht einen goldenen Ring zu fertigen, schöner noch als alle Schmuckstücke aus der Schatzkammer des Königs. Der Goldschmied bot seine ganze Kunst auf und überreichte anderentags dem Prinzen einen Ring, der war so fein, als sei er aus goldenem Haar gesponnen. In seiner Krone aber funkelte ein blauer Stein von feinstem Schliff. Der Prinz war mit der Arbeit zufrieden, zahlte gut und machte sich gleich auf den Weg zu Lieselotte, die ihn wie gewöhnlich auf der Wiese am Weiher inmitten ihrer Gänse erwartete.

 

Wie leuchteten ihre Augen, als er ihr den Ring an den Finger steckte! Und während sie ihn betrachtete, sah ihr vom Grunde des Steins das Antlitz des Prinzen entgegen.

„Was macht mein Prinz, mein lieber Freund?“, fragte sie leise, und das Antlitz lächelte sie an: „Es geht ihm gut.“

Ach, hättest du nur das arme Mädchen sehen können, wie seine Augen nun mit dem Steine um die Wette strahlten! Es vermied es aber, seinem Blick zu begegnen, denn es spürte, wie sich seine Wangen röteten. Hastig umarmte es den Prinzen und lief fort, den Eltern seinen Ring zu zeigen – und wohl auch, damit der Prinz nicht seine Freudentränen bemerkte.

Der alte Bauer zog die Stirn in tiefe Falten, sah kopfschüttelnd zuerst die Bäuerin an, dann seine Tochter und ging hinaus auf den Hof, wo der Königssohn auf Lieselottes Rückkehr wartete. Artig verneigte er sich und sagte mit fester Stimme: „Hoher Herr, verehrter Prinz, mein Gebieter, Ihr mögt es mir nicht verübeln, aber meine Lieselotte ist in der freien Natur und mit ihren Tieren aufgewachsen, sie eignet sich nicht für Eure höfischen Spiele. Um Vergebung, Herr: Geht Eurer Wege und setzt ihr keinen Floh ins Ohr!“

Der Prinz erwiderte den festen Blick des Alten mit großem Ernst. „Höfische Spiele?“, fragte er bitter. „Ja, glaubt Ihr denn, ich wolle Scherz mit Euch treiben?! Ich scherze nicht, bei meiner Seele! Wahrlich, mir ist Liesel das Liebste auf der Welt, sie allein soll einmal meine Braut sein. Wenn Ihr wollt, so ist es mir nur recht, wenn wir umgehend die Hochzeit vorbereiten lassen.“

Nun allerdings blieb dem Bauern der Mund offen stehen und er suchte Halt am Arme seiner Frau.

„Wenn Ihr es denn wirklich gut mit ihr meint … Doch tut ihr nicht weh, Herr, sie ist ein gar so liebes Kind und Argwohn ist ihr gänzlich fremd. Wie denkst du darüber, Frau?“

Und als auch diese nickte, sprang der Prinz freudig in den Sattel und rief ihnen zu: „So soll es sein! Ihr werdet sehen, wie ernst es mir ist. Gleich werde ich den Eltern meinen Entschluss mitteilen und bitten, unverzüglich mit den Vorbereitungen für die Hochzeit zu beginnen. Und über wenige Wochen hole ich Lieselotte heim. Seht Ihr nur zu, dass Ihr Euch rechtzeitig Festtagskleider fertigen lasst, für alles weitere wird gesorgt werden.“ Sprach’s und sprengte eilig davon.

 

Von Stund an war großes Treiben auf dem Schlosse, damit alles zum Besten hergerichtet würde. Auch die Bürger der Stadt hatten plötzlich viel zu tun. Sie ließen ihre Perücken und Röcke ausbessern und ihre Häuser anstreichen, sie pflanzten eifrig Blumen, putzten die Fenster und holten ihre Fahnen aus den Truhen. Es sollte doch eine prachtvolle Hochzeit werden! Und es war nicht einer, der noch gewagt hätte, darüber zu lächeln, dass der Prinz eine Gänsemaid ehelichen wollte. Dieser kehrte indes jeden Tag bei Lieselottes Eltern ein, um die junge Braut zu begrüßen und nach dem Rechten zu sehen. War er aber fern, so schaute das Mädchen lange tief hinunter in den blauen Stein ihres Ringes, bis es des Prinzen Antlitz gewahr wurde. „Was macht mein Prinz, mein lieber Freund?“, fragte es dann. Und stets lächelte das Antlitz ihm zu: „Es geht ihm gut.“

 

Nun lebte aber in einer trutzigen Burg auf steilem Berg hoch über der Stadt ein wilder Ritter mit seiner Tochter, die war hässlich wie die Nacht, kalt wie ein Fisch und gefühllos wie ein Stein.

Der Ritter war grob, gewalttätig und grausam gegen jedermann und wurde gefürchtet im ganzen Land. Wann immer Wanderer oder Jäger ihm im Walde begegnet waren, erschraken sie zu Tode und mussten um ihr Hab und Gut, nicht selten um ihr Leben bangen. Wer irgend es vermochte, mied den finsteren Wald, der die Burg umgab und erreichte sein Ziel über einen Umweg.

Am meisten fürchteten die Menschen aber seine zauberischen Kräfte. Von der höchsten Zinne des Bergfrieds schaute er täglich durch ein großes Fernrohr in die Weite. Dieses zeigte ihm nicht nur, was in der Welt geschah, sondern auch, was alsbald geschehen werde. Es offenbarte die Gedanken und Pläne der Menschen, sodass er ihnen schon begegnen und sie zunichtemachen konnte, bevor sie gar ausgeführt waren. Das verlieh ihm jene Furcht erregende Macht über jedermann.

Dem Fernrohr war nun keineswegs entgangen, warum der Prinz so häufig die Stadt durch dasselbe Tor verließ und stets denselben Weg bis zu der Bauernkate ritt, um dort zu halten und Lieselotte einen Besuch abzustatten. Mürrisch strich der Ritter seinen Bart. Die eilige Hochzeit mit dem Bauernmädchen durchkreuzte seine Pläne. Denn lange schon sann er darauf, seine Macht zu vergrößern und das Königreich an sich zu bringen durch Vermählung seiner eigenen Tochter mit dem Prinzen, den er zuvor einem Zauber unterwerfen wollte. Er verbrachte die Nacht grübelnd und voller Unruhe auf dem Turm und überlegte, was zu tun sei. Am Morgen suchte er die Tochter auf, hieß sie, sich in ihr schönstes Gewand zu kleiden und machte sich mit ihr auf den Weg.

 

Diesmal fiel es Lieselotte schwer, des Prinzen Antlitz im Stein ihres Ringes zu finden. Und als sie es endlich gewahr wurde, blickte es ernster drein als sonst. „Was macht mein Prinz, mein lieber Bräutigam?“, fragte sie ängstlich und es war ihr, als käme die Antwort nur mühsam hervor.

Bald darauf aber sah sie den Prinzen auf das Haus zu galoppieren; und als sie in seine lachenden Augen schaute, wurde sie getrost und vergaß schließlich das traurige Gesicht aus dem blauen Stein.

„Wenige Tage nur noch bis zum Hochzeitsfeste!“, rief der Prinz freudig. „Ich kann es kaum erwarten, dich zum Altar zu führen.“

Sie strich ihm über die Wangen und sagte leise: „Bist du nur ganz gewiss, die Gänsemaid hernach an deinen Tisch und in dein Schlafgemach zu führen, so wollen wir mit Freuden getraut sein.“ Der Königssohn lachte und nahm sie behutsam in den Arm: „Wie kannst du zweifeln, Liebes? Nie ist mir etwas derart ernst gewesen!“ Und als Lieselotte die tiefe Zuneigung in seinen Augen sah, schwieg sie still und lehnte voll Vertrauen ihren Kopf an seine Schulter.

 

Kaum aber hatte er sie wieder verlassen, spross um das ganze Anwesen eine Hecke, die wuchs in Windeseile hoch und höher, dicht und dichter. So sehr Lieselotte und ihre Eltern auch rupften und zupften, mit Scheren und Hacken die Ranken auszuroden oder wenigstens zu kürzen trachteten, die Hecke rankte nur um so kräftiger und dichter und hörte erst auf zu wachsen, als die Wiese mit dem Weiher und das kleine Häuschen bis weit über das Dach hinaus vollständig überwuchert waren.

 

Anderentags kam der Prinz wie stets zum kleinen Bauernhof geritten. Doch so sehr er sich auch mühte, er konnte ihn nicht finden. Stattdessen ritt er wieder und wieder an der hohen Rankenhecke entlang. Die hatte über Nacht große hellblaue Blüten getrieben, welche er nie zuvor gesehen hatte. Sie öffneten sich just in diesem Augenblicke und verströmten einen betörenden Duft.

Benommen hielt er sein Pferd an, als aus all den Blüten ein wunderschönes Mädchen hervortrat und ihm so verführerisch zulächelte, dass ihm fast die Sinne schwanden. Auf dem Burgturm sah alsbald der zauberische Ritter hoch zufrieden durch sein Fernrohr, wie der Königssohn vom Pferde sprang, die falsche Tochter in die Arme schloss und mit ihr in die Stadt ritt. Unverzüglich begann er daraufhin mit eigenen Vorbereitungen für die Hochzeit.

 

Das arme Mädchen aber war mit seinen Eltern und den Tieren in der Rankenhecke gefangen. Als Lieselotte in ihrer Verzweiflung tief in den Stein hinunterschaute, um des Prinzen Antlitz zu betrachten, musste sie sehr lange suchen, bis sie es endlich fand. Doch es erschien ihr kühl und abweisend, hatte tiefe Furchen auf der Stirn und lächelte ihr nicht zu wie sonst. „Was macht mein Prinz, mein lieber Bräutigam?“, fragte sie zaghaft das bleiche Gesicht. Dieses aber gab keine Antwort und sah durch sie hindurch, als kennte es sie nicht. Das arme Kind erschrak zutiefst, denn nun wusste es, dass der Liebste es vergessen hatte.

Wie aber sollte Lieselotte zu dem Geliebten sprechen, wie ihn an seine Braut, an seinen Ring erinnern? Die Rankenhecke war doch viel zu dicht und viel zu hoch, um eine Nachricht hinausschicken zu können. Auch die Eltern wussten keinen Rat und so verging ein Tag über den anderen, ohne dass des Prinzen Antlitz im blauen Stein ihr jemals wieder zugelächelt hätte. Manchmal hörte sie den geschäftigen Lärm der Stadt herüber dringen. Doch das Klirren der Waffen, rasches Hufgetrappel und Fanfarenklänge, wenn Staatsgäste zur Hochzeit eintrafen, das lange, volle Glockenläuten der Kirchen quälten das arme Mädchen nur, so dass es bald nicht mehr aus dem Hause gehen mochte. Am Morgen der Hochzeit erschien des Prinzen Antlitz gar nicht mehr im Stein. „Nun hat er sich ganz von mir gewendet“, sagte sie und zog weinend den Ring vom Finger.

Stumm nahm ihn der Vater, trat aus dem Haus auf die Wiese und warf den Ring unter Tränen weit hinaus in den Weiher, dort, wo er am tiefsten war. Von dem Tage an aber wollte Lieselotte weder essen noch trinken.

 

Eine ihrer Gänse war dem Mädchen besonders ans Herz gewachsen. Die Gans blieb stets in ihrer Nähe, wenn Lieselotte die Tiere hütete, und achtete darauf, dass keines der Küken sich verliefe, nicht gar der Fuchs oder ein Raubvogel sich eins von ihnen holte. Und sobald Liesel sich zum Ruhen ins Gras gelegt hatte, lagerte sie immer dicht bei ihrem Kopf, um über allem zu wachen.

Die treue Gans hatte bemerkt, wie unglücklich das Mädchen war, ohne ihm doch helfen zu können. Sie stand seitdem vor der Haustür und wartete darauf, dass das Mädchen wieder zu ihren Tieren herauskäme. Sie hatte so auch gesehen, wie der alte Bauer den Ring im Weiher versenkte. Nachdem er wieder im Haus verschwunden war, lief sie flugs zum Wasser, tauchte auf den Grund hinab, fand das Kleinod und verschluckte es. Dann nahm sie all ihre Kraft zusammen, flatterte in die Höhe und flog über die Hecke. Immer wieder versuchten die dornigen Ranken, sie zu erreichen und ihre Schwingen zu umschlingen; doch sie war auf der Hut und ließ sich nicht greifen. Als sie die Rankenhecke endlich überwunden hatte, flog sie alsdann mitten hinein in den königlichen Garten. Und als der Koch aus der Küche kam, um eine fette Gans für den Hochzeitsbraten auszusuchen, trippelte sie geradewegs auf ihn zu und ließ sich fangen. Der Koch freute sich, ein so prachtvolles Tier auftischen zu können und mühte sich ganz besonders bei der Zubereitung. Während er aber die Gans rupfte, war es ihm, als hörte er ein Wispern: „Dem Prinzen gebührt der Magen, den Magen nur dem Prinzen.“

 

Wie nun die ganze Hochzeitsgesellschaft bei Tische saß, wurde auch die knusprig gebratene Gans aufgetragen und der Koch wusste es so einzurichten, dass dem Prinzen der Gänsemagen zugeteilt wurde. Kaum aber hatte dieser den Magen aufgeschnitten, fiel ihm der Ring entgegen. Und als der Prinz ihn betrachtete, weil er ihm seltsam bekannt erschien, erblickte er auf dem Grunde des blauen Steines Lieselottes gramvolles und verstörtes Antlitz. Da fiel der Zauber von seinen Augen ab und er erkannte, wer neben ihm am Tische saß.

In hellem Zorn zog er das Schwert; doch noch ehe er dem Ritter und seiner Tochter den Kopf abschlagen konnte, flogen beide als Eulen durchs Fenster davon.

Die Zauberkraft aber hatte der Ritter von Stund an verloren und seine Macht über das Königreich war gebrochen.

Image

 

Der Königssohn bat nun die Gäste, mit dem Mahl noch zu warten, hieß den Priester, alle Glocken der Stadt zu läuten und ritt im Galopp hinaus, um Lieselotte mit ihren Eltern auf das Schloss zu holen.

Als er durch das Stadttor kam und in der Ferne schon die Rankenhecke sehen konnte, die den kleinen Bauernhof umgab, da schwand diese so schnell, wie sie gewachsen war. Nur noch ein kleiner Streifen rankenden Krauts umgab den Hof an der Stelle, wo sie einmal gestanden hatte.

Der Prinz sprang behände darüber hinweg, stürmte über die Wiese, sodass das Federvieh aufgeschreckt auseinander flatterte und traf Lieselotte mit den beiden Alten wohlbehalten in der Stube an.

Du kannst dir die Freude nicht vorstellen und nicht die Bäche von Freudentränen, die das arme Mädchen in seinem Arm vergoss!

 

So schlicht wie das Mädchen und die Bauersleute gekleidet waren, nahm der Prinz sie mit in die Stadt. Das Volk säumte die Straßen und jubelte ihnen zu, als sie durch das Tor ritten, denn längst hatte jedermann das Mädchen liebgewonnen und pries sich glücklich, eine solche Königin zu bekommen. Mit der Braut vor sich im Sattel bahnte sich der Prinz durch die Singenden und Tanzenden hindurch den Weg zur Kirche, wo der Pfarrer alsbald die Trauung mit der wahren Braut vornahm. Es wunderte niemanden weiter, dass bei Hofe und im ganzen Land die Feierlichkeiten gar kein Ende nahmen.

Der König ließ bald darauf das Fernrohr des finsteren Ritters zerstören und seine Burg bis auf die Grundmauern schleifen.

Von dem Ritter und seiner hässlichen Tochter hat man im ganzen Reich nie wieder gehört. Landauf landab sind die Menschen allerdings noch heute auf der Hut, wenn über ihnen eine Eule fliegt. Nach dem Tod des alten Königs regierte der Prinz das Reich mit Weisheit und Großmut und die junge Königin war fröhlich und gütig gegen ihre Untertanen.

 

Die Bauersleute indes waren nicht zu bewegen, mit auf das Schloss zu ziehen, sondern blieben in der kleinen Kate wohnen. Der schmale Streifen von Rankgewächsen um den Hof ließ sich auch unter Aufbietung aller Kräfte nicht roden, sondern wuchs immer wieder nach und wächst auch sicher dort noch heute. Die junge Königin ließ es sich nicht nehmen, allmorgendlich nach ihren Eltern und den Gänsen auf der Wiese am Weiher zu sehen. Deswegen wurde sie in liebevoller Verehrung vom ganzen Volk Zeit ihres Lebens nur ‚Königin Gans’ genannt. Der König liebte und achtete sie sein Leben lang. Und er grollte auch nicht, wenn sie gelegentlich einige Tränen vergoss, weil sie an ihre liebste Gans denken musste, deren Treue sie gerettet hatte. Den Ring mit dem blauen Stein aber verschloss der König gut in seiner Schatzkammer. Dort wird er wohl verwahrt bis zum heutigen Tag. Das Volk behielt seine Königin im Gedächtnis und der Rat der Stadt ließ viele Jahrhunderte später, als es längst keine Könige mehr gab, mitten auf dem Rathausplatz einen Brunnen errichten zu ihren Ehren. Dort kannst du die Königin Gans noch heute inmitten ihrer Gänse sehen.


Die Nixe im Born

 

 

Es war einmal ein Förster, der lebte mit seiner Frau in einem alten Forsthaus am Waldrand einer Bergkette hoch über der Stadt. Hermann und Hedwig hatten alles, was sie zum Leben brauchten. Jede Woche buk Hedwig frisches Brot und Hermann brachte das erlegte Wild aus den Wäldern des Gebirgszuges nach Hause. Frisches Wasser holten sie aus einem Born oben im Wald. Das Bächlein lief munter sprudelnd von der Quelle in die Stadt hinunter. Hinter dem Haus hatte der Förster es zu einem kleinen Weiher gestaut, in dem sie baden und ihre Wäsche waschen konnten. Tagtäglich gingen beide frohgemut ihrer gewohnten Arbeit nach und hatten ihr Auskommen. Abends saßen sie gemeinsam in der Stube, Hermann über den Amtsbüchern und Hedwig mit ihrem Strickzeug am Kachelofen. Dann seufzten sie manchmal tief, weil sie noch immer allein waren, obwohl sie sich doch so sehr ein Kind wünschten.

 

Einmal, als der Förster im Walde zu tun hatte, ging die Frau zu der kleinen Quelle, um frisches Wasser zu schöpfen. Sie stellte den Krug ab, setzte sich auf einen großen Stein und sah lange traurig in das Wasser hinunter. „Ach, wie viel hätte ich darum gegeben, dass uns ein Kind geschenkt worden wäre“, sagte sie zu ihrem Spiegelbild im klaren Wasser und begann zu weinen. Als sie sich die Tränen aus dem Gesicht wischte, fiel eine von ihnen in das Quellbecken hinein und kleine Wellenringe kräuselten sich zum Rand.

 

Da erblickte sie in den Wellen ein blasses Antlitz und aus der Quelle tauchte eine Nixe herauf. „Warum hast du mich gerufen?“, fragte diese und lächelte ihr zu.

Hedwig erschrak und wich zurück. Wohl hatte sie davon gehört, dass in diesem Born ein Wasserwesen hause, doch weil sie niemals zuvor etwas zu Gesicht bekommen hatte, wenn sie ihre Krüge an der Quelle füllte, mochte sie nie recht daran glauben.

„Du irrst, ich habe dich nicht gerufen“, antwortete sie vorsichtig. „Du hast mich sehr wohl gerufen“, antwortete die Nixe, „denn jede Träne, die in meine Quelle fällt, zwingt mich aufzusteigen, um zu schauen, wer sie vergoss.“ Und dabei schaute sie so mitleidvoll, dass Hedwig alle Scheu verlor und ihr erzählte, was sie bedrückte.

„Reich mir deine Hand“, bat die Nixe und streckte die Arme aus dem Wasser.

Als Hedwig die kühlen schmalen Hände der Nymphe spürte, beruhigte sich ihr Gemüt und alle Furcht verflog. Sie ließ es auch geschehen, dass die Nixe sie tiefer ins Wasser zog. Und während das klare Quellwasser ihre Arme überspülte, wich aller Kummer von ihr und sie empfand eine große Seligkeit. Erquickt schloss sie die Augen, atmete tief ein und genoss den Augenblick. Als sie nach einer Weile die Augen wieder öffnete, war die Nixe verschwunden. Freudig nahm Hedwig ihren Krug, füllte ihn mit dem frischen Quellwasser und machte sich auf den Heimweg. Das Erlebte verschloss sie fest in ihrer Seele und erzählte Hermann nichts davon. Dem Förster schien Hedwig abends weniger bedrückt und schweigsam zu sein. Er glaubte, seine Frau habe sich damit abgefunden, dass sie keine Nachkommen haben würden, und war darüber sehr froh.