German-Kaiju-eBook

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Markus Heitkamp (Hrsg.)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

GERMAN KAIJU

 

 

ISBN 978-3-945230-39-8

1. Auflage, Allmersbach im Tal 2019

 

 

 

 

 

Cover & Zeichnungen: Christian Günther

Fotografien: Harald Melcker

(Tom Daut) &

(Nolden & Heitkamp)

Satz und Layout: Tanja & Marc Hamacher

Lektorat: Tanja & Marc Hamacher, Markus Heitkamp

 

 

© 2019, Leseratten Verlag, Allmersbach im Tal

 

www. leserattenverlag.de

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

In Gedenken an

 

Eiji Tsuburaya

 

für meine Söhne

 

Manuel, Julian und Birk.

 

Auf das auch sie irgendwann einmal seinem Zauber verfallen.

 

 

 

 

 

 

Vorwort von Detlef Claus

 

 

 

Riesige Monster greifen Deutschland an. Das, was sich sonst nur in Fernost oder vereinzelt in den Vereinigten Staaten zugetragen hat, wird hier von Markus Heitkamp und einigen seiner Kolleginnen und Kollegen als Hommage an die fälschlicher Weise als triviale Trashfilme abgestempelten Meisterwerke der 60er und 70er Jahre buchtechnisch umgesetzt. Sie inszenieren Kurzgeschichten über Angriffe von Riesenmonstern auf deutsche Großstädte.

Schon in Kindheitstagen haben mich die Riesen-Monster-Filme total begeistert. In den 70er und Anfang der 80er Jahre stand ich in endlosen Schlangen in und außerhalb der Kinos, um das jeweils neueste Monsterspektakel auf der großen Leinwand bewundern zu können. Die Eindrücke waren so nachhaltig, dass ich anfing, die Plakate und Aushangbilder von den Filmen zu sammeln. An Figuren oder ähnlichem war zu dieser Zeit in Deutschland noch gar nicht zu denken. Daraus resultierte 1998 mein erstes Buch zusammen mit Rolf Giesen mit dem Titel Godzilla, Gamera, Gappa. Ein inzwischen bereits vergriffener Bildband. Dann erschien 2011 das ultimative Nachschlagewerk für das Kinoaushangmaterial im deutschsprachigen Raum: Asiatische Monster und Science Fiction Filme.

Die fernöstlichen Riesenmonster unter der Führung Godzillas leben in ihren Filmen und in unseren Erinnerungen. Sowie in dem auch hier in Deutschland immer größer werdenden Kult um die Riesenmonster, der durch Ideen, wie diese hier von Markus Heitkamp und seinem Autorenteam weiter befeuert wird.

 

Eine bekennende Fangemeinde, wie sie es schon lange in anderen Filmbereichen wie Star Wars oder Star Trek gibt, gab es für die Anhänger von Godzilla und seinen Freunden und Gegnern in der Vergangenheit allerdings nie. Sicher gibt es einige Fans, die sich sehr für diese fernöstlichen Fabelwesen interessieren, aber wirklich organisiert sind sie nicht. Von den neu aufgelegten DVD der Filme werden alleine in Deutschland über 1200 Exemplare verkauft. Wo sind diese Fans?

Will man sich nicht damit outen, dass man gerne Filme über Riesenmonster mit klar erkennbaren Menschen in Gummikostümen sieht?

 

In der gelebten Nerd-Zeit von heute kann ich nur sagen, dass die Zeit des Versteckens und das Kellerdaseins vorbei ist. Seit 2017 gibt es in Uelzen sogar das GODZILLA-TREFFEN. Hier kommen Fans aus Deutschland und weiten Teilen Europas zusammen, um ihren fernöstlichen Giganten zu huldigen.

Hier werden Filme geschaut, Beiträge vorgetragen, Modelle bestaunt, Figuren und Poster gekauft, verkauft und getauscht. Diskussionen und Vorträgen gelauscht und neue Freundschaften geschlossen.

In den beiden größten deutschen Facebook Gruppen der asiatischen Monster, GODZILLA DEUTSCHLAND und UNITED KAIJU FORCE kannten sich die Fans bisher nur über das Internet, aber kaum real. Auf diesen neuen Treffen wird daraus eine stetig wachsende große Familie.

 

Wenn dieses Buch nun eure Erinnerungen an alte Zeiten belebt und ihr Lust habt, dabei zu sein und euch mit Gleichgesinnten von 7-70 Jahren auszutauschen oder einfach nur tolle Tage mit Riesenmonstern erleben möchtet, dann meldet euch bei mir über meine Webseite (siehe nächste Seite).

Ach ja, das dicke Godzillabuch Asiatische Monster und Science Fiction Filme, könnt ihr über meine Homepage bei mir bekommen. Nun aber erstmal viel Spaß mit der Anthologie und der Zerstörung unserer Großstädte.

 

 

Detlef Claus

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Detlef Claus

 

Detlef Claus ist Jahrgang 1964, Autor, ehemaliger Filmvorführer und Sammler aus Leidenschaft. Er gilt weit über die deutschen Grenzen hinaus als eine Koryphäe in Sachen Kaiju. Neben einer fast vollständigen deutschen Sammlung und eines immensen Konvoluts weiteren europäischen Materials beherbergt er auch noch hunderte Miniaturen, Bausätze und Actionfiguren zu diesem Thema. Des Weiteren organisiert er seit einigen Jahren für die deutschen Fans das GODZILLA-TREFFEN in Uelzen, welches sich Jahr für Jahr wachsender Begeisterung erfreut und mittlerweile auch Anhänger aus dem europäischen Ausland anzieht.

 

Infos unter: www.godzilla-germany.com

 

 

 

 

Vorwort von Markus Heitkamp (Herausgeber)

 

Wenn es eine Bibel für den Monsterfilm geben würde, so würde sie beginnen mit den Worten: Am Anfang schuf Honda Godzilla.

Und das war 1954. Wobei, für manch anderen beginnt das ganze bereits 1933 mit Willis O’Brian und King Kong.

Was hat eine Automarke mit einem Gummimonster zu tun, werden sich nun einige fragen. Und warum ist King Kong ein Kaiju? Und was ist überhaupt ein Kaiju?

 

Wenn man so wie ich, in den 70er Jahren, mit 4 Mark in der Tasche am Wochenende in die Jugendvorstellung der Vorstadtkinos ging, dann sah man sie. Riesige Monster, die alles verwüsteten, gegeneinander kämpften und irgendwie trotzdem die Helden waren. Sie hießen King Kong, Frankenstein, Yongarri und natürlich Godzilla. Die große Ära des Kaiju-Eiga. Diese Filme haben mich geprägt, bis hin zu der Tatsache, dass ich mit 20 Jahren immer wieder vor der Entscheidung stand: cooles Mechamonster ansehen oder kuscheln mit der Freundin.

Ja, auch in den 90ern Jahren gab es diese Filme und auch heute gibt es sie noch. Die Monsterfilme. Cloverfield, Rampage, The Host und das neue Monsterverse mit den alten Helden Godzilla und King Kong ziehen Millionen von Menschen in ihren Bann. Selbst ich, mit meinem fast 50 Jahren, erliege immer noch der Faszination dieser Filme. Zum Glück bin ich inzwischen mit einer Frau verheiratet, die es nicht stört, wenn ich beim Kuscheln mit meinen Monsterfiguren spiele.

Mittlerweile treffen unterschiedliche Generationen aufeinander, moderne CGI-Effekte im Wettstreit mit Stop-Motion und Suitmotion (Männer in Monsterkostümen).

Was bleibt, ist die Faszination für die wirklich großen Monster. Und ist es nicht alleine das, was zählt?

Man muss nicht wissen, wer Ishiro Honda war, um Kaiju zu lieben. Und man muss nicht wissen, wer Tsuburaya, Arnold oder Harryhausen waren, um die Filme zu genießen.

Und man muss nicht wissen, was ein Kaiju ist, um dieses Buch zu lesen. Man sollte sich lediglich darauf einlassen, dass es Aliens von der Venus gibt, riesige Mutanten Großstädte zerstören und gigantische Kampfmaschinen außer Kontrolle geraten.

 

Wer sich jetzt immer noch fragt, was ein japanischer Autokonzern mit Monstern zu tun hat, ist hier richtig.

 

Wer egal in welchem Alter mit seiner Freundin kuschelt und dabei mit Monsterfiguren spielt, ist hier ebenfalls richtig.

 

Streicht den letzten Satz aus eurem Gedächtnis, er könnte missverständlich wirken.

 

Viel Spaß bei GERMAN KAIJU und wenn ihr nach dem Lesen dieses Vorworts vollkommen verwirrt seid und euch fragt, was wollte der Verfasser eigentlich damit sagen, dann könnt ihr hier gar nicht richtiger sein.

 

 

Markus Heitkamp

 

 

 

Vorwort von Marc Hamacher (Verleger)

 

Und es begab sich zu einer Zeit großer Hitze in einem saunigen Saal in Bad Godesberg. Man schrieb das Jahr 2017. Nichts ahnend von den kommenden Ereignissen, offerierte ich dem vorbeiziehenden Volk die Grandiosigkeit meiner Verlagswerke. Und dann kam er … ER!

Ich kannte ihn schon vorher. Wusste, dass er ein engagierter Autor und Mitglied des sagenumwobenen Tintenzirkels ist, der irgendwo mittig der Halle einen eigenen Stand hatte. Äußerlich erfüllte er fast alle Klischees eines Fantastik-Nerds: Grauer Bart, noch wunderlich viele Haare auf dem Kopf, schwarzes Shirt mit der Aufschrift »Nuclear Winter is coming«, die mich hätte warnen sollen. Dazu einen schwarzen Kilt, leicht fanatisch flackernde Augen, zwanghafte Grummeligkeit und eine Aura aus Kirschbierduft – es war Markus Heitkamp.

»Du, Marc … wollen wir was trinken? Ich müsste mal mit dir reden!«, sagte er und zwang sich zu einem imageschädigenden Lächeln.

Ich hatte Zeit. Wir gingen raus in den lauschigen Vorgarten der Halle, in das Büro von Markus (Kirschbierstandbierbank).

»Ich hab da eine Idee … einen Traum.«, begann er. Und ein Hauch von Martin Luther King hing in der Luft. Und dann zückte er eine abgewetzte Kladde mit gefühlt 286 Seiten und einem kompletten Konzept zu diesem Buch. Inklusive Covergestaltung, Aufmachung, Vermarktung, Werbemaßnahmen und möglicher Übersetzerin für die internationale Ausgabe in Englisch. Mir wurde schlecht! Aber es klang alles so abartig krank und trashig, dass meine Neugierde mich davon abhielt, schnell meine Beine in die Hand zu nehmen.

Als neuer Verleger, der sich gerade noch einen Namen machte, torkelte ich danach mit wild kreisenden Gedanken zu einem meiner besten Freunde in der Branche; dem bissigen Meister des humorigen Horrors. Und ich schaute mit dem verzweifelten Blick der Hilflosigkeit tief in die low’schen Augen und fragte ihn: »Sachmal … du kennst doch den Markus, oder? Der hat eben versucht, mich hypnotisch zu einem Projekt zu überreden. Was meinst du? Kennst du den Kerl näher?«

Und die Augen des Übervaters der literarischen Kelly-Family blitzten amüsiert. »Ja … Markus ist voll ok. Sehr engagiert. Und fast so bekloppt wie du. Ihr passt gut zusammen!«

 

So kommt es, dass der Leseratten Verlag hier dieses Werk veröffentlicht. Eigentlich versuche ich eher die Nische der Funtastik, des Witzes und des Klamauks zu besetzen. Aber wieso nicht auch Kaiju? Ich hab zugegebenermaßen keine Ahnung von der Materie, aber Markus sagt, das muss ich auch nicht. Dafür gibt es ja ihn, Markus Heitkamp, einen der irrsten Nerds der Szene in Deutschland. Und ehrlich, nachdem ich die Geschichten alle gelesen habe, muss ich sagen, dass der Schritt von humorigen Fantastik zum gewaltigen, zerstörerischen Trash der Kaiju-Welt nicht wirklich groß ist … obwohl … in dieser Welt ist ALLES groß. So, wie das Fachwissen und das Ego des Herausgebers. Ich hatte meinen Spaß, ihr habt ihn hoffentlich auch.

 

 

Marc Hamacher

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Thomas Heidemann

 

Der Wunsch, Großstädte dem Erdboden gleichzumachen, wurde Thomas Heidemann gewissermaßen in die Wiege gelegt. Aufgewachsen in einer Zeit, in der Kinder noch keine Computer besaßen, dienten ihm Sandkiste und Legosteine vor allem zur Inszenierung epischer Zerstörungsorgien. In seinen ersten Schreibversuchen spielten Vulkanausbrüche und Amok laufende Dinosaurier eine prominente Rolle. Naheliegend, dass er den Beruf des Landschaftsgärtners erwählte, in dem er mit Kettensägen, Walzen und Baggern hantieren durfte.

Trotz dieser destruktiven Tendenzen fand er eine wundervolle Frau, gründete eine Familie, schloss eine Hausratsversicherung ab und schrieb Kurzgeschichten, in denen nicht ständig etwas explodierte. Fortan beschränkte er sich darauf, hin und wieder eine Tasse vom Tisch zu stoßen. Bis heute …

Mehr zum Autor und seinen Werken unter:

www.t-heidemann.de

 Nakama, der Schrecken vom Mond

 

 

 

 

Im nervösen Flackern der Kathodenstrahlröhren hält Wotans Auge seine ewige Wacht. Die stählerne Kugel beobachtet durch einen Kranz hochwertiger Zeiss-Objektive die Nachrichtenprogramme auf allen hundertzwanzig Schwarzweiß-Monitoren gleichzeitig, während ihren empfindlichen Mikrofonen kein Wort der Kommentatoren entgeht.

»… soeben erfahren, hat Armin Strohm vom Balkon des Frankfurter Römers eine Hakenkreuz-Fahne entrollt. Damit tritt die Besetzung des Rathauses in eine kritische Phase …«

Wotans Auge rotiert und fährt eines der Objektive in Richtung des Monitors aus, dessen Lautsprecher diese Nachricht verkündet hat. Auf dem Pol der Kugel beginnt eine kleine rote Lampe zu blinken.

Ein zweiter Bildschirm zeigt das Rathaus aus einer leicht verschobenen Perspektive. Schnitt. Das Hakenkreuz füllt das Bild. »… après la victoire électorale du RDV, Armin Strohm a occupé le Römer …«

Ein Monitor nach dem anderen infiziert sich mit dem Nazi-Symbol. Aus der erregt klingenden Moderation des Al-Jazeera-Sprechers sticht der deutsche Name hervor wie Blut auf einem weißen Laken: »Armin Strohm!«

Die Kugel dreht sich hektisch. Sämtliche Objektive sind ausgefahren.

»… seine Partei, die sich Retter des Deutschen Volkes nennt, hatte bei der gestrigen Bundestagswahl überraschend die meisten Stimmen geholt.«

»But who is this man? Armin Strohm, who turned thirty-one just two weeks ago …«

»… Armin Strohm …«

»… gibt es in Deutschland knapp neunzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wieder eine große Zustimmung für nationalsozialistisches …«

»… Armin Strohm!«

»Armin Strohm.«

»Strohm.«

Die Rotation des Auges stoppt abrupt. Aus dem Blinken der Lampe ist ein permanentes Glühen geworden.

In den Elektronenrechnerbänken, die Wotans Gehirn bilden, läuft das Erweckungsprotokoll an. Ein Regiment von Lochstreifendruckern stanzt Kommandos in Endlosfolien, die sich über Walzen und Umlenkrollen in die angrenzende Kaverne schlängeln und in Lesegeräte einfädeln.

In der Mitte der gewaltigen Höhlung ruht das Produkt, das die menschenleere Fabrik in Jahrzehnten der ständigen Selbstverbesserung gefertigt hat.

Aus dem Boden rund um die titanische Konstruktion wachsen Rohre empor und verbinden sich mit Tankstutzen und Schmiernippeln. Mechanische Greifarme montieren Hitzeschildkacheln und füllen Magazine und Fächer mit Plutoniumbatterien, Nullpunktgeneratoren und panzerbrechender Munition.

Von der Kavernendecke schwebt in einer Halteklammer ein Aggregat von der Größe eines Kohlewaggons herab: ein hochkomprimiertes Elektronenhirn. Behutsam wird es in eine Aussparung im Kopf der Maschine eingepasst. Gefechtsmaske und Sturmhaube senken sich darüber und verkapseln es hermetisch.

Während die Konstruktion auf Rollen in den Schleusentunnel gezogen wird, sendet Wotan Befehlsfolgen im Binärcode.

Die Antwort erfolgt Sekunden später. Sein Kind meldet Einsatzbereitschaft.

Freie Energie flutet den aus exotischen Metallen geschmiedeten Leib. Augenlinsen vom vierfachen Durchmesser eines Flak-Scheinwerfers glimmen in düsterem Rot auf. Ihr Blick brennt sich in die auseinander gleitenden Schotthälften, von denen Mondstaub in die Schleuse herabrieselt. Dahinter leuchtet vor dem Schwarz des Alls die blau-weiße Halbkugel der Erde.

Die Operation Ewiges Reich hat begonnen.

 

Der Zugriff erfolgte schnell und präzise.

Auf allen live übertragenden Sendern war die Erstürmung des Balkons durch eine GSG9-Einheit zu sehen. Strohms Leibwächter beschäftigten die Beamten gerade lange genug, um dem Rechtspopulisten zu einem letzten Aufruf »an alle mit aufrechter, deutscher Gesinnung« zu verhelfen.

»Das, Kameraden, ist das wahre Gesicht der Demokratie! Polizeigewalt gegen gewählte Volksvertreter, finanziert von ausländischen Geheimdiensten und Großkonzernen. Das ist das letzte Aufbäumen des maroden Systems, das euch …«

Ein Beamter entriss Strohm das Megaphon, drehte ihm die Arme auf den Rücken und ließ die Handschellen zuschnappen. Zwei weitere entfernten das Hakenkreuz-Banner. Unter ihnen verwandelte sich der Römerberg in einen Hexenkessel. Aus der Menge heraus feuerte jemand eine Pistole ab; das Projektil schlug oberhalb des Balkons in die Fassade ein.

Die letzten beiden Elite-Polizisten, die nach hinten sichernd vom Balkon abrückten, zogen die Türen zu. Die plötzliche Stille im Kaisersaal währte nur Sekunden.

»Sie verlieren alle ihren Job«, kreischte Strohm. »Das wird ein Nachspiel haben!«

»Armin Strohm«, sagte die Kommandeurin der Einsatztruppe. »Ich verhafte Sie wegen Landfriedensbruch, Volksverhetzung, Anstiftung zur Gewalt, Gründung einer terroristischen Vereinigung und Verwendung nationalsozialistischer Symbole.«

Strohm starrte verblüfft in das schwarze Visier, in dem sich sein Gesicht spiegelte: eingefallene Wangen, große Augen, die lange, schmale Nase.

»Eine Frau?«, gackerte er. »Bei der GSG9? Soll das ein Witz sein? Für wen mussten Sie dafür die Beine breit machen?«

 

Ich sollte ihn gleich hier erschießen, ging Nasrin Akbay durch den Kopf. Was er wohl sagen würde, wenn er wüsste, dass ich Muslima bin? »Möchten Sie diese Bemerkung vor Gericht wiederholen?«

»Welches Gericht? Ich genieße Immunität.«

»Sie hätten warten sollen, bis Sie als Abgeordneter vereidigt sind.« Die Kommandeurin schob Strohm zusammen mit den anderen Verhafteten aus dem Saal.

»Sie wissen genau, dass die linksreaktionären Kräfte eine Koalition der Verlierer verabredet haben. Das Mandat zur Regierungsbildung liegt bei der RDV! Wir müssen den Willen des Volkes … hey! Wo bringen Sie meine Leute hin?«

Die Frage sollte lauten, wo wir dich hinbringen, dachte Nasrin Akbay grimmig. Während der Rest der Einheit über die Treppe nach unten lief, blieb sie mit zwei Mann Flankenschutz im zweiten Obergeschoss. »Paket ist bereit zur Übergabe«, funkte sie die verabredete Meldung. Sie nickte den Kameraden zu. »Weiter!«

Ihr Weg führte sie über die sogenannte Seufzerbrücke in die benachbarte Kämmerei. Strohm wand sich in ihrem Griff. »Meine Anwälte warten nur darauf, Sie fertigzumachen.«

»Wer soll die bezahlen? Ihr nobler Förderer von Heeren?«

An seinem Gesicht sah sie, dass sie ins Schwarze getroffen hatte.

»Wissen Sie was?«, sagte sie in fröhlichem Tonfall. »In diesem Moment findet eine Razzia bei der Teutonischen Bank wegen des Verdachts der illegalen Parteienfinanzierung statt. Vielleicht dürfen Sie und von Heeren sich eine Zelle teilen.«

Strohm presste die Lippen aufeinander.

Auf dem Dach wartete ein Helikopter. Es dauerte keine zehn Sekunden, den schimpfenden und bockenden Strohm an die Beamten in der Maschine zu übergeben. Nicht einmal Nasrin wusste, wohin er gebracht wurde, nur dass dieses Vorgehen gewaltbereite Rechtsextremisten von Befreiungsversuchen abhalten sollte.

Erst als sie wieder alleine auf dem Dach waren und ihre Einheit meldete, das Rathaus unbehelligt verlassen zu haben, fiel die Anspannung von ihr ab.

Sie ließ das Panorama der beleuchteten Skyline auf sich wirken. Frankfurt hatte sie schon immer fasziniert; die Stadt, die sich höher als jede andere aus der Asche erhoben hatte, in die Menschen wie Strohm sie einst geworfen hatten.

»Verdammt! Was ist das denn?«

Nasrin folgte den Blicken ihrer Begleiter Richtung Süden. Eine flammende Spur zog sich über den Himmel und näherte sich rasend schnell dem Boden.

»Allah!«, stieß sie hervor. »Ist das ein Flugzeug?«

Das höhere Dach des Römers verhinderte die weitere Beobachtung.

»Gehen wir«, ordnete Nasrin an. »Wir werden früh genug erfahren, was passiert ist.«

 

Auf der Isenburger Schneise waren an diesem Abend nur wenige Autos unterwegs. Eines davon gehörte Tobias Dankert.

Die Druckwelle erwischte ihn unvorbereitet. Sie knickte Bäume wie Grashalme und jagte eine Wolke aus Staub, Schutt und abgerissenen Ästen über die Straße.

»Scheiße!«

Mit durchgetretener Bremse brachte der junge Gärtner den Toyota schlingernd zum Stehen.

Als der Staub sich setzte, fiel der Lichtkegel des Scheinwerfers auf einen Baumstamm, der einen Meter vor dem Wagen die Fahrbahn versperrte.

»Hab ich ein Schwein«, murmelte Tobias. Er öffnete die Tür.

Der Wind trug den Gestank nach Rauch und heißem Metall durch den zerstörten Wald. Und ein metallisches Geräusch, das ihn an einen anfahrenden Güterzug erinnerte, langgezogen und klagend.

»Alter, was geht denn da ab?«

In dieser Situation tat Tobias das, was jeder Mann mit gesundem Menschenverstand tun würde: Er zückte sein Handy, startete eine Videoaufnahme und marschierte auf die Feuer zu.

 

Ein Gebirge schien aus dem Boden gewachsen zu sein, schrundig wie Hochofenschlacke und heiß wie Lava. Es hatte einen haushohen Wall lockerer Erde aufgeworfen und alles Brennbare entzündet, das nicht von der Druckwelle fortgeschleudert worden war.

»Also, ein Flugzeug ist das schon mal nicht«, kommentierte Tobias, während er sich den Wall hinauf kämpfte. »Hat auf jeden Fall ein bisschen zu lange auf dem Grill gelegen.«

Er versuchte die Maße abzuschätzen. Von einem Ende zum anderen erstreckte sich das rätselhafte Objekt bestimmt über hundert Meter. Die höchste Stelle ragte mindestens vierzig Meter über ihm auf.

Ein lautes Knacken ließ ihn zusammenzucken. In der Wand vor ihm hatte sich ein Spalt aufgetan, aus dem blaues Licht quoll. Kurz darauf ein zweiter. Immer weitere Linien überzogen die Oberfläche und verbanden sich zu einem Wabenmuster. Eine Platte, groß wie die Fassade eines Einfamilienhauses, löste sich daraus und stürzte zehn Meter neben ihm in den Erdwall.

»Oh Scheiße …«

Tobias rannte den Hang hinab. Auf dem lockeren Untergrund verlor er den Halt und überschlug sich mehrmals. Nachrutschende Erde begrub ihn.

Hustend und spuckend wühlte er sich frei und blickte zurück. Eine weitere Platte hatte sich genau dort in den Wall gebohrt, wo er eben noch gestanden hatte. Und noch immer platzten riesige Krustenstücke ab und rutschten mit dem Donnern eines Felssturzes über die Wölbung des gewaltigen Fremdkörpers: ein Massiv aus silbergrauem Stahl, über das grellblaue Lichtbögen wanderten. Tobias schwenkte das Handy nach links.

»Leck mich fett«, hauchte er. »Das sieht aus wie ein Gesicht.«

Das Gesicht lag auf der Seite. Unter zwei swimmingpoolgroßen, roten Glaslinsen erstreckte sich ein rüsselartiger Wulst bis zu einem zylindrischen Vorsatz, dessen Öffnung Lamellen bedeckten. Wie eine halb geöffnete Jalousie, dachte Tobias.

Das Ganze erinnerte frappierend an eine Gasmaske. Dazu passte, dass über die Augen die Krempe eines Wehrmacht-Stahlhelms von der Größe eines Zirkuszelts ragte.

Wieder erklang das Seufzen malträtierten Metalls, vermischt mit einem weit hallenden Klacken. Tobias’ Blick folgte dem Geräusch. Ein Teil des Stahlmassivs zu seiner Rechten geriet in Bewegung.

»Das darf doch nicht Warstein! Ist das ’ne Hand?«

Es war eine Hand. Die Finger, jeder so lang wie ein Reisebus, entfalteten sich in Zeitlupe. Ein Arm winkelte sich nach hinten ab. Die Handfläche presste sich auf den Boden.

Schließlich hatte der Roboter es geschafft, sich auf einem Ellenbogen abzustützen und den Kopf in Tobias’ Richtung zu drehen. Eine Stimme dröhnte aus dem Mundzylinder, knisternd wie eine alte Tonbandaufnahme: »Landung erfolgreich. Zielgebiet: Frankfurt, Großdeutsches Reich.«

Im Zentrum der rot glühenden Augen öffneten sich Irisblenden.

»Männliche Person anwesend«, schnarrte es durch die flatternden Lamellen. »Schwarze Haare, braune Augen. Könnte ein Jud sein.«

»Ne, ne, lass mal jud sein«, brabbelte Tobias, der im selben Moment das leuchtende Hakenkreuzemblem auf der tennisplatzgroßen Brust bemerkte. »Ich bin absolut deutsch! Hier, das steht sogar auf meinem Führerschein.« Er fummelte das Portemonnaie aus der Hosentasche, zog die Karte heraus und hielt sie am ausgestreckten Arm vor sich.

Die Maschine drückte mit überraschender Geschwindigkeit den Oberkörper vom Boden hoch und starrte aus sitzender Position auf Tobias herab. Dieser keuchte vor Schreck und stolperte rückwärts. Der Koloss ragte bestimmt fünfzig Meter über ihm auf!

»Sie sind der Führer?«

»Fahrzeugführer. Also ja, ist schon richtig.« Er steckte die Brieftasche ein und filmte weiter.

Die Maschine salutierte, wobei sich ein letzter Lichtbogen vom Zeigefinger zur Helmkrempe entlud.

»Mein Führer! Vollstreckungseinheit Siegfried erwartet Ihre Befehle.« Seine Augen flackerten sekundenlang wie Stroboskoplampen.

Tobias lachte irre. »Was soll ich denn befehlen? Bring mir Suppe, oder was?« Mann, gleich auf der Party konnte er was erzählen! Gut, dass er alles auf dem Handy hatte. Die Kumpels würden ihn sonst für verrückt halten.

Plötzlich ging ein Ruck durch den gewaltigen Roboter.

»Ihr Name ist Tobias Dankert.«

»Was, echt?« Tobias kicherte nervös. »Ach, deswegen steht das auf dem Führerschein. Sonst könnte ja Jever kommen.«

»Sie sind nicht der Führer«, grollte Siegfried. »Armin Strohm ist der Führer.« Das Glühen der Augen war merklich dunkler geworden. Tobias trat unwillkürlich einen weiteren Schritt zurück.

Die Maschine begann, sich vom Boden zu erheben. Tobias hatte das Gefühl, einer Apollo-Rakete aus nächster Nähe beim Start zuzusehen. In seiner ganzen furchteinflößenden Mächtigkeit konnte Siegfried sich ungeniert in die Frankfurter Skyline einreihen.

»Also, ich geh dann mal. Meine Zimmerlinde macht sich bestimmt schon Sorgen.«

Weit über sich sah Tobias eine ganze Fabrik unterschiedlichster Waffenläufe aus dem linken Arm des Giganten ausklappen. Ihm wurde eiskalt.

»Wer sich als Führer ausgibt«, hallte Siegfrieds Stimme über den Wald, »wird mit dem Tode bestraft.«

 

Der erste Hubschrauber, der den Ort des Geschehens erreichte, gehörte dem Privatsender info planet.

»Wir haben zwei Minuten, bevor Polizei und Luftwaffe hier sind«, schrie Mark Radek gegen den Lärm der Rotoren an. Er hing halb aus der offenen Tür, eine Hand am Einstiegsbügel, die andere am Mikrofon. Im Gegensatz zu ihm hatte sich Pia mitsamt der Kamera eingeschirrt. Seit dieses unglaubliche Monstrum von Roboter in Sicht gekommen war, filmte sie wie im Rausch. Die Aufnahmen würden sie und Mark unsterblich machen und info planet die sprichwörtliche Lizenz zum Gelddrucken verschaffen.

»Grünes Licht von der Aufnahmeleitung. Wir gehen auf Sendung.« Mark räusperte sich. »Was Sie hier sehen, sind keine Ausschnitte aus einem japanischen Monsterfilm, sondern eine Liveübertragung aus dem Süden Frankfurts. Was zunächst nach einem tragischen Unfall aussah, entpuppte sich als die spektakuläre Landung eines Riesenroboters. Wir schätzen seine Größe auf knapp hundert Meter. Zum Vergleich: Eine Boeing 747 ist circa siebzig Meter lang. Noch liegen uns keine Erkenntnisse vor, von wo dieses Ungetüm gestartet ist, aber wir konnten inzwischen eine Amateuraufnahme auswerten, auf der zu erkennen ist, dass es kurz vor dem Aufprall anscheinend Bremsdüsen gezündet hat. Die Leuchtspur, die den Himmel über Frankfurt erhellt hat, erinnert zudem an den Wiedereintritt einer Sojus-Kapsel in die Erdatmosphäre. Welche Schlüsse Sie daraus ziehen, bleibt Ihrer Fantasie überlassen. Oh, wie ich sehe, ist die Maschine gerade dabei, aufzustehen.«

Pia gab hektische Handzeichen. Auf dem Display der Kamera erschien ein wohlbekanntes Symbol in Rot, Weiß und Schwarz.

Für einen Moment war Mark sprachlos. »Unglaublich. Der Roboter trägt ein Hakenkreuz auf dem Rumpf. Ein bloßer Zufall, so kurz nach den Ereignissen im Frankfurter Römer?«

»Ich werde angefunkt«, meldete sich der Pilot. »Es ist, äh, die Luftwaffe. Ich muss abdrehen.«

»Auf keinen Fall!«, schrie Mark. »Fliegen Sie uns näher ran! Ich übernehme die Verantwortung.«

»Wie Sie meinen.«

»Die können uns gar nichts«, fauchte der Journalist. Er wandte sich wieder dem Metallkoloss zu. »Das Erscheinungsbild dieses Roboters ähnelt frappierend einem deutschen Wehrmachtssoldaten zur Zeit des Zweiten Weltkriegs, inklusive Stahlhelm und Gasmaske. Und er scheint bewaffnet zu sein … Ja, es ist deutlich zu erkennen, dass er auf etwas am Boden feuert.«

»Eine Kampfmaschine«, sagte Pia mit zitternder Stimme.

»Eine Nazi-Kampfmaschine. Wir kürzen das mal zu Nakama.« In Marks Stimme schwang Stolz mit, als hätte er Nakama nicht bloß getauft, sondern eigenhändig aus einem Revell-Bausatz zusammengeklebt.

»Drehen Sie ab! Dies ist militärisches Sperrgebiet.« Die Hubschrauber hatten auf Lautsprecher-Reichweiter zu ihnen aufgeschlossen.

Mark schaltete das Mikrofon stumm und wandte sich Pia zu, deren blasse Stirn trotz der kühlen Nachtluft schweißfeucht schimmerte. »Lautsprecher können wir auch. Wir machen ein Interview. Diese Nazis sind immer geil auf Publicity. Ich will mein Gesicht und das von Nakama im Wechsel.«

»Okay, krieg ich hin.«

»Gut, dann los.« Mark stellte eine Kabelverbindung zum Lautsprecher her und fuhr sich durch den windzerzausten Blondschopf. »Hier spricht Mark Radek von info planet. Sind Sie einverstanden, uns einige Fragen zu beantworten?«

Nakama stellte übergangslos das Feuer ein. Pia schrie auf, als das rote Licht der riesigen Augen auf sie fiel.

»Unterstehen Sie dem Befehl des Führers?«, dröhnte die Stimme des Roboters zu ihnen herüber.

»Wir sind neutrale Berichterstatter und …«

»Das Ewige Reich akzeptiert keine neutrale Haltung. Erklären Sie Ihre Loyalität!«

»Mark, lass uns verschwinden«, flehte Pia.

»Wir sind lediglich an einem Interview interessiert«, umging Mark Nakamas Aufforderung. »Sind Sie gekommen, um wegen Armin Strohms Verhaftung zu intervenieren?«

»Der Führer ist in Haft?«

»Wenn Sie mit ›Führer‹ Armin Strohm meinen, ja. Ich biete Ihnen an, exklusiv über Ihre Mission zu … Oh Scheiße, nein! Sofort abdr…«

Pias Kreischen ging in der Explosion des von Kugeln zerfetzten Treibstofftanks unter.

»Diese Idioten!«, schimpfte Leutnant Zimmermann, als der Hubschrauber des Fernsehteams als brennendes Wrack in den Wald stürzte. Immerhin hatte er im Fall feindseliger Handlungen die Befugnis, eigenmächtig zu entscheiden. Er gab den anderen drei Piloten des Geschwaders den Befehl, einen Halbkreis zu bilden und das Feuer zu eröffnen.

»Dann wollen wir mal sehen, was du draufhast«, sagte er zu sich selbst.

Die M134-Maschinengewehre spuckten der Kriegsmaschine ihre tödliche Ladung entgegen. Diese schien den Beschuss nicht einmal wahrzunehmen.

»Feuer einstellen!« Zimmermann kratzte sich an der Nase. »Laser-Zielmarkierung setzen, Raketenbeschuss auf mein Kommando!«

Drei Bereitschaftsmeldungen erreichten den Leutnant.

»Feuer!«

Aus vier Helikoptern schossen die lasergesteuerten Raketen auf den Gegner zu. Die Explosionen raubten Zimmermann für einen Moment die Sicht. Als die Feuerblumen verblühten, trat die monströse Konstruktion ohne sichtbare Schäden aus dem Rauch hervor und hob den Waffenarm, der ihn an die Scheren eines Hummers erinnerte. Er sah die Mündungen der Läufe aufblitzen. Die Scheiben des Helikopters zu seiner Linken barsten. Er hörte die Schreie der Besatzung über das Headset. Die Maschine raste ungesteuert auf den Titanen zu und verging im Mündungsfeuer der großkalibrigen MGs.

»Feindlicher Beschuss!«, schrie er. »Wir brauchen Tornado-Unterstützung! Wir …«

Ein zweiter Helikopter detonierte.

Zimmermann fluchte und riss den Steuerknüppel nach hinten. Er spürte die Erschütterung, als die gepanzerte Hülle seines H145M durchschlagen wurde.

»Motor getroffen!«, rief sein Copilot. »Wir müssen runter!«

Zimmermann drückte die Maschine in einen steilen Sinkflug. Unter ihnen war nichts als Wald. Durch die Nachtsichtbrille erkannte er die Schneise eines Fußwegs. Das würde verdammt eng werden.

Weitere Einschläge. Splitter schlugen ihm gegen die Wange. Von hinten hörte er den gurgelnden Schrei des MG-Schützen.

Die Baumwipfel kamen näher.

Beim nächsten Schlag glaubte er, seine Halswirbel brechen zu hören. Durch das Spinnennetzmuster der Cockpitscheibe sah er eines der Rotorblätter davonsegeln.

Zimmermann schloss mit dem Leben ab.

 

In der mobilen Befehlsstelle auf der gesperrten Berliner Straße saß Nasrin Akbay mit mahlendem Kiefer vor den Bildschirmen. Der Kaffee in ihren Händen war kalt geworden, ohne dass sie auch nur einen Schluck davon getrunken hatte.

»Verdammter Ifrit

»Wie bitte?« Lothar Stocker, der Team-Logistiker, blickte sie fragend an.

»Dieses Ding. So etwas kann doch niemand bauen.«

Lothar runzelte die hohe Stirn. »Es ist zwar riesig, aber eindeutig eine Maschine.«

»Die in einer Feuersäule auf die Erde gekommen ist.« Nasrin beugte sich vor. »Da tut sich etwas.«

Nach dem tragischen Ende der Reporter von info planet stammten die Bilder von Kameradrohnen anderer Sender und einem Hubschrauber der Flughafenpolizei, der einen respektvollen Sicherheitsabstand zu Nakama hielt. Der von Radek geprägte Name hatte sich rasend schnell in den Medien und sozialen Netzwerken verbreitet. Der Roboter trampelte eine Schneise in den Stadtwald. Seine Schrittlänge war ebenso beeindruckend wie seine Trittsicherheit. Innerhalb einer Minute hatte er den Stadtrand von Frankfurt erreicht. Die Villen und Bungalows am Lerchesberg stellten für ihn nicht mehr als Unebenheiten dar, für die es sich nicht lohnte, vom eingeschlagenen Kurs abzuweichen.

»Sind die Evakuierungen abgeschlossen?«

Lothar lachte bitter. »Evakuierungen? Die Leute sind erst vor fünf Minuten aufgefordert worden, ihre Häuser zu verlassen.«

Ein Monitor zeigte eine von Autos verstopfte Straße. Menschen liefen in Panik auseinander, als Nakama sich näherte. Füße, die fünfzehn Meter durchmessenden Schrottpressen glichen, zermalmten Fahrzeuge und ihre Insassen, die das Unheil nicht rechtzeitig hatten kommen sehen.

Es knackte. Kalter Kaffee schwappte über Nasrins Hand. Sie hatte den Henkel der Tasse abgebrochen.

»Der Flugbetrieb ist eingestellt worden«, hörte sie Lothars Stimme wie aus weiter Ferne. »Im Großraum Frankfurt fährt kein Zug mehr. Alle Fernstraßen werden stadteinwärts gesperrt. Das Problem sind die Menschen vor Ort. Jeder versucht, die Stadt zu verlassen. Unsere Kollegen von der Polizei schaffen es nicht … Kommandeurin? Hören Sie mir zu?«

»Ja, ich höre zu.« Nasrin deutete auf den Stadtplan an der Wand. »Dort ist Nakama gelandet. Verlängern wir die Linie, in der er sich bewegt …« Sie erhob sich und presste den Zeigefinger auf einen Punkt nördlich des Mains.

»Mein Gott!«

»Er kommt zu uns.«

Hundertvierzig Meter über der Mainzer Landstraße stand Richard von Heeren auf dem Dach des Frankfurter Büro Centers und blickte hinaus in die Nacht. Seine durchtrainierte Gestalt wirkte wie eine griechische Athletenstatue im Nadelstreifenanzug. Das sonnengebräunte, faltenlose Gesicht strahlte Vitalität aus, die harten Linien und die grauen Haarstoppeln verliehen ihm militärische Strenge. Der linke Mundwinkel zuckte, als am anderen Mainufer ein achtloser Schritt Nakamas das Städel Museum dem Erdboden gleichmachte. Zwei der Exponate waren Leihgaben aus seiner privaten Sammlung. Und irgendwie tat es ihm leid um den Goethe in der Campagna. Mehr als um die Leute, die drüben in Sachsenhausen unter Trümmern begraben oder von den Füßen dieses wahrhaft teutonischen Meisterwerks deutscher Ingenieurskunst zu Brei zerquetscht wurden.

Im Grunde musste er aber dankbar sein. Das Auftauchen der Übermaschine hatte die Razzia in seinen Büroräumen schlagartig beendet, bevor die Beamten auf der Suche nach Hinweisen zu seinen Verstrickungen mit der RDV auf wirklich interessante Unterlagen stoßen konnten. Und nachdem Strohms närrische Aktion die Bemühungen um eine Machtübernahme um Jahre zurückgeworfen hatte, sah es nun so aus, als bräche doch noch die zweite Morgendämmerung des Nationalsozialismus an.

All die Verschwörungstheoretiker, die an eine im Geheimen operierende, mit märchenhafter Technik ausgerüstete Naziloge glaubten, würden sich jetzt bestätigt sehen. Sollten sie. Diese Mythen lenkten hervorragend von der Wahrheit ab, die außer Richard nur eine Handvoll Menschen kannte. Die Forschungen zur Nutzung freier Energie. Die streng geheime Weiterentwicklung der Arbeiten Konrad Zuses, Otto Hahns und anderer schlichter Gemüter. Er kannte die Dossiers und Depeschen, die damals in den bombensicheren Tresoren seines Urgroßvaters vor den neugierigen Blicken der Amerikaner versteckt worden waren.

Auch jene, die von der erfolgreichen Mondlandung berichteten. Während in Peenemünde für feindliche Spione die stümperhafte Zündung besserer Feuerwerksraketen inszeniert worden war, hatte ein Pionierkommando aus den besten Wissenschaftlern und Technikern bereits das Mondgestein ausgehöhlt und mit der Konstruktion der ultimativen Vergeltungswaffe begonnen. Doch weitere Nachrichten vom Mond waren ausgeblieben. Ob ein Unfall oder fehlender Nachschub das Projekt vorzeitig beendet hatte, konnte nie in Erfahrung gebracht werden.

Der Inhaber der Teutonischen Bank beobachtet fasziniert, wie Nakama auf das Mainufer zustampfte. Die dämonisch-roten Kunstaugen schienen die gesamte Skyline zu scannen. Er sieht mich an, durchzuckte es Richard. Nein, Unsinn! Er war bloß ein winziger Punkt auf dem FBC, dessen obere Hälfte die Teutonische Bank komplett gemietet hatte.

Dennoch: Das kurze, erniedrigende Aufwallen der Angst machte ihm klar, dass er das Heft des Handelns in die Hand nehmen musste. Er zog sein vergoldetes Smartphone aus der Anzugtasche und wählte die Nummer seines Haustechnikers, der nach dem ersten Läuten abnahm.

»Ich brauche Sie heute noch einmal«, sagte Richard ohne ein Wort der Begrüßung. »Es geht um die kleine Lichtinstallation, die wir für Strohm vorbereitet hatten. Haben Sie Zugriff darauf?«

»Jederzeit, Herr von Heeren.«

»Gut. Halten Sie sich bereit.«

 

Kevin Uhlig stellte den Golf hinter dem Nizza ab. Die Straße war wie leergefegt. Auf dem Weg hierher waren ihnen einige Autos mit hoher Geschwindigkeit entgegengekommen, und an der Kreuzung vor der Untermainbrücke hatten sie die verlassenen Wracks einer Massenkarambolage auf dem Bürgersteig umfahren müssen. Zwischen den Bäumen ragte Nakamas Gestalt als schwarze Silhouette vor den lodernden Großbränden in Sachsenhausen auf.

»Kevin?« Sandra griff nach seinem Arm. »Ich hab Schiss.«

»Heul nicht rum. Der ist einer von uns.« Kevin stieg aus, umrundete den Wagen und öffnete Sandra die Tür. »Komm schon! Wir haben die Flagge und die RDV-Wimpel.«

Widerstrebend stieg seine Freundin aus.

»Er is’ so groß.«

»Das hört man gerne.« Kevin lachte meckernd, griff sich in den Schritt und vollführte drei Hüftstöße.

Sandra schubste ihn von sich.

»Scheiße, der kommt genau auf uns zu. Können wir uns das nicht von weiter weg angucken?«

»Damit andere meine Idee klauen?« Kevin holte Reichskriegsflagge und Wimpel aus dem Kofferraum und marschierte quer durch den Park auf die Uferpromenade zu. Sandra stöckelte steifbeinig hinter ihm her.

Nakamas rechter Fuß senkte sich auf den Holbeinsteg und bog die Fußgängerbrücke unter die Wasseroberfläche, als bestünde sie aus Draht.

Der nächste Schritt brachte den Giganten in die Mitte des Flusses.

Kevin schwenkte die Flagge.

»Hey! Hier unten! Wir gehören zu Strohm!«

»Vielleicht kann er uns nicht sehen.«

»Spinnst du? Das ist beste deutsche Wertarbeit, Puppe.« Kevin zog seiner Freundin die flache Hand scharf über den blondgelockten Hinterkopf.

»Aua!«

»Erzähl halt nicht so’n Scheiß!«

Sandra wedelte wie betäubt mit den Fähnchen.

Die Bugwelle der durchs Wasser pflügenden Füße spritzte über die Kaimauer und durchtränkte das Neonazi-Pärchen. Kevin schüttelte sich und lachte, aber diesmal klang er wie ein Halbstarker, dem dämmerte, dass er sich mit dem Falschen angelegt hatte.

»Ey Mann! Großer!« Erneut schwenkte er die Flagge, die jedoch so durchnässt war, dass sie bloß um die Stange schlackerte. »Heil Strohm! Es lebe das Deutsche Reich! Mensch, jetzt guck doch mal!«

Nakama machte zwei überraschend große und schnelle Schritte durch den Main, ohne Notiz von ihm zu nehmen.

Kevin taumelte rückwärts, als ihm sowohl die Schrittlänge als auch der Durchmesser der Füße bewusst wurde. Er war mies im Kopfrechnen, aber gut genug im Schätzen, um zu wissen, dass er schleunigst verschwinden sollte. Er warf sich herum und rannte. Sandra sah er weit vor sich kreischend durch den Park flüchten. Manchmal war sie doch nicht so blöd, dachte er.

Stinkender Schlick regnete auf ihn herab. Er beging den Fehler, im Laufen nach oben zu blicken. Dabei trat er auf die Flagge, die er dummerweise mit sich geschleppt hatte.

»Scheiße! Schei…«

Der Boden erzitterte.

Sandra dreht sich um. »Kevin?«

Jetzt endlich senkte der stählerne Soldat den Blick und tauchte die junge Frau in rotes Licht. Die Mundlamellen flatterten.

»Weibliche Person anwesend. Arisch.«

Sandra tat das Einzige, was ihr einfiel: Sie schwenkte ihre Fähnchen.

 

Die GSG9-Einheit harrte nach wie vor auf der Berliner Straße aus. Der Befehl lautete: Abwarten. Im Mannschaftsbus verfolgten Nasrin Akbay und ihre Männer Nakamas Vormarsch über ein Tablet.

Durch die offene Tür drang das Gegröle der auf dem Römerberg feiernden Neonazis ebenso herein wie die Lautsprecherdurchsagen der Evakuierungskommandos. Den meisten Lärm aber verursachten die einstürzenden Gebäude und die donnernden Schritte des Gigantroboters, nur fünfhundert Meter von ihnen entfernt.

Jeder Schritt des Monstrums riss eine Wunde in die Stadt. Das Jüdische Museum fegte er mit einer Gründlichkeit hinweg, als wollte er keinen Zweifel an der Gesinnung seiner Erbauer lassen. Die Oper zermalmte er beiläufig, wie ein unachtsamer Strandspaziergänger eine Sandburg zertrat. Auf dem Willy-Brandt-Platz sank er mehrere Meter tief ein, als der Theatertunnel und der darunter liegende U-Bahn-Schacht unter seinem Gewicht nachgaben. Nakama strauchelte nicht einmal ansatzweise.

Und noch immer waren Menschen auf den Straßen. Immer wieder fingen die Drohnen Bilder von Fliehenden ein, aber auch von lebensmüden Journalisten oder handyschwenkenden Gaffern.

Nasrin ballte die Fäuste. »Ich wünschte, wir könnten etwas tun.«

»Was will er überhaupt?«, fragte einer der Beamten.

»Mit Strohm sprechen, nehme ich an. Sich seinem Befehl unterstellen.«

»Niemals!«, blaffte der Mann. »Wo ist die verdammte Luftwaffe?«

»Ich bin sicher, sie wird bald … Was macht er denn jetzt?«

Über Nakamas rechte Hand schob sich eine silberne Klinge. Immer weiter wuchs sie an, bis sie die Länge des Unterarms erreicht hatte.

»Ein Schwert …«

Mit einem Hieb, schneller als sie dem bisher eher träge agierenden Monstrum zugetraut hatte, trieb Nakama die Klinge tief in die Glasfront des Euro-Towers. Das Hochhaus schwankte. Ein zweiter Streich in dieselbe Kerbe, und es kippte wie ein gefällter Baum.

Nasrin war so gefesselt von den Bildern, dass sie kaum bemerkte, wie die Hälfte ihrer Einheit den Bus verließ und das grausige Spektakel von der Straße aus verfolgte.

Sie gab das Tablet an einen Kollegen weiter und gesellte sich zu den Männern. Das Getöse war unbeschreiblich und weckte tief sitzende Ängste in ihr. Zwischen den Gebäuden stieg eine Staubwolke auf und wälzte sich auf sie zu.

»Helme schließen!«, befahl sie.

Für eine halbe Minute waren sie blind.

Dann schälte sich eine menschenähnliche Silhouette aus dem Staub.

»Gebt mir den Führer!«, grollte eine Stimme über die Dächer der Innenstadt hinweg. »Gebt mir Strohm! Diese Häuser werden fallen, eins nach dem anderen, bis meine Forderung erfüllt ist.« Die Stimme klang abgehackt und schlecht moduliert, als wäre sie aus den Wochenschauen des Dritten Reichs zusammengeschnitten.

Bei den nächsten Worten glaubte Nasrin, sich verhört zu haben.

»Wer zu Verhandlungen befugt ist, wird ersucht, diese per Fernsprechgerät zu führen.« Er spulte eine Reihe von Zahlen ab.

Es war eine zwölfstellige Handynummer.

Nach dieser Verkündung stand der Kampfkoloss zwei Minuten lang starr, in denen die GSG9-Beamten diskutierten, ob tatsächlich gerade ein Verantwortlicher mit ihm telefonierte.

Wenn dem so war, schien der Ausgang des Gesprächs den Roboter nicht befriedigt zu haben. Er holte weit aus und zog das Schwert diagonal durch das untere Viertel des Taunustowers. Der Schnitt war so geschickt geführt, dass der Wolkenkratzer auf das benachbarte Japan Center kippte und es unter sich begrub.

Einige der GSG9-Beamten stöhnten auf. Nasrin spürte ihren Frust, nichts gegen die Zerstörung unternehmen zu können.

»Das Schwert …«, sagte sie. »Habt ihr das gesehen?«

»Was meinst du?«

»Die Schneide hat kurz vor dem Einschlag blau aufgeleuchtet. Fragt mich nicht, was das war, aber mit Sicherheit ist dieser Effekt dafür verantwortlich, dass die Klinge durch den Wolkenkratzer ging wie durch Butter.«

In diesem Moment sprang ihr Funkgerät an. Endlich!

»Kommandeurin Akbay. Ich höre.«

Das Gespräch dauerte keine zwanzig Sekunden. Nasrin blickte in die Runde. »Wir werden abgezogen. Ein Luftangriff steht unmittelbar bevor.« Mit düsterer Stimme fügte sie hinzu: »Ab sofort gelten die Notstandsgesetze. Die GSG9 ist einer vom Militär geführten Task Force unterstellt.«

 

Der Sessel war durchaus bequem. Gut gepolsterte Kopfstützen und Gurte verhinderten, dass Sandra sich bei den abrupten Bewegungen des Roboters verletzte. Gegen die Angst half das leider wenig. Drei große Schwarzweiß-Monitore auf Augenhöhe zeigten ihr, was Nakama - oder Siegfried, wie er sich ihr vorgestellt hatte - durch seine Kunstaugen sah: Tod, Terror und Vernichtung. Dabei hatte er sich für ihre Entführung sogar entschuldigt. Seine Funkantenne sei bei der harten Landung beschädigt worden, so dass er beschlossen habe, eine »fleißige deutsche Frau« als Telefondame zu rekrutieren.

Also hatte sie ihr Handy laut gestellt und den Anruf von General Demmel entgegengenommen.

»General Demmel, Task Force Inländische Bedrohungen. Spreche ich mit dem Roboter?«

»Nein, ich bin Sandra Pietsch«, schrie Sandra. »Ich bin in dem Riesendings … also, in Siegfried. Hier ist so’n Sessel und Hebel und Knöpfe. Bitte helfen Sie …«

An dieser Stelle übertönte Siegfried sie mit seiner Wochenschau-Stimme. »Der Führer ist unverzüglich aus der Haft zu entlassen. Diese Forderung ist nicht verhandelbar.«

»Die Bundesrepublik verhandelt nicht mit Terroristen«, schnauzte Demmel. »Stecken Sie sich Ihre Forderungen sonst wo hin.«

»Legen Sie den Hörer auf die Gabel«, forderte Siegfried beinahe im Flüsterton, und Sandra begriff, dass sie gemeint war.

Auf den Monitoren begann der Albtraum von neuem. Mit einem einzigen Schlag zerstörte Siegfried zwei Hochhäuser. Als der Lärm verklungen war, hielt der Koloss erneut inne. Angstvoll schielte Sandra auf das Handy in ihrer Hand. Doch niemand rief an. Stattdessen blitzten überall auf den Bildschirmen helle Punkte auf, die rasch größer wurden.

Sie schrie auf, als unbeschreiblicher Lärm Siegfrieds Hülle durchdrang. Mehrere brutale Stöße warfen sie im Sessel hin und her. Sie kreischte in Todesangst, klammerte sich an den arretierten Steuerknüppeln fest. Die Bildübertragung schien ausgefallen, bis sich das graue Rauschen klärte und sie begriff, dass sie die verwehenden Rauchwolken von Explosionen sah.

Für einen Übelkeit erregenden Moment hing sie mit dem Gesicht nach unten in den Gurten. Der Blick auf die Monitore zeigte einen Abgrund, in den Trümmer hinab regneten: zerfetzte Raketenhülsen, Glas, Bruchstücke von Fassaden. Ganz rechts erkannte sie Siegfrieds Hand. Der Roboter stützte sich vornübergebeugt an einem Hochhaus ab.

Sandras Magen sackte durch, als Siegfried sich ruckartig aufrichtete und den Kopf drehte. Da war ein Schemen vor dem Nachthimmel, den sie erst als Flugzeug erkannte, als er im massiven Beschuss aus dem Waffenarm verging. Eine Spur aus Feuer hinter sich herziehend, krachte er in einen Wolkenkratzer, der wie ein Viertelring geformt war. Eine gewaltige Feuerlohe brach über mehrere Etagen aus der Glasfassade hervor.

Weitere Kampfbomber schossen ihre Raketen ab. Eine Drehung Siegfrieds brachte ihn in die Deckung des Wolkenkratzers, gegen den er gerade getaumelt war. Weit oben erblickte Sandra das auf dem Kopf stehende Dreieck der Consulbank. Das höchste Gebäude Deutschlands, erinnerte sie sich.

Eine Rakete sprengte das Logo aus der Fassade. Glas regnete glitzernd wie Feenstaub in die Tiefe. Siegfried drehte sich um hundertachtzig Grad und feuerte dabei ohne Unterlass. Er traf etliche der anfliegenden Raketen und holte zwei weitere Jets vom Himmel. Dennoch erhielt er mindestens zwei Treffer, die Sandra in ihrem Sessel durchschüttelten.

Als das Geschwader vor ihm auffächerte, stieß Siegfrieds Schwert gedankenschnell vor, exakt in die Flugbahn eines Angreifers. Die getroffene Maschine trudelte Richtung Innenstadt davon. Sandra war sicher, sie genau im Rathaus einschlagen und detonieren zu sehen. Dort hatte sie vor einer Stunde noch mit Kevin gestanden.

»Vergeltung!«, dröhnte Siegfried.

Das Schwert schnitt in den Consulbank-Tower.

 

Der Platz vor der Goethe-Universität hatte sich in ein taghell beleuchtetes Heerlager verwandelt. Nasrin sah Panzer, Helikopter, mobile Radarstationen, sogar zwei Lkw mit Patriot-Startgeräten. Aus Truppentransportern sprangen Soldaten in voller Kampfausrüstung und machten sofort Platz für die nachrückenden Einheiten.

Ein Offizier nahm Nasrin und ihre Männer in Empfang und lotste ihren Konvoi in die Nähe eines schwer bewachten Komplexes aus Zelten und Containern.

»Warum sind wir hier?«, fragte Nasrin.

»Das wird Ihnen General Demmel selbst erklären«, erwiderte der Offizier schroff. »Richten Sie sich ein und warten Sie auf Anweisungen.«