Wien - Stadt der Vampire

Wien – Stadt der Vampire

Fay Winterberg

 

Information zur New-Steampunk-Age-Reihe

 

Teil 1

Wien – Stadt der Vampire

 

Teil 2

Das Amulett in der Wüste

 

Teil 3

Kain – Der erste Vampir

 

Teil 4

Erscheint bald im Art Skript Phantastik Verlag

 

 

Impressum

 

Copyright © 2012 Art Skript Phantastik Verlag

Copyright © 2012 Fay Winterberg

 

Lektorat/Korrektorat » Sabine Dreyer

» www.tat-worte.de

 

Layout, Satz & Cover » Grit Richter

 

Der Verlag im Internet

» www.artskriptphantastik.de

» art-skript-phantastik.blogspot.com

 

 

Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit realen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

Über die Autorin

 

Fay ist ein Kind der späten 80er Jahre und diesem Jahrzehnt in allem außer dem Kleidungsstil treu geblieben. Schon früh entdeckte sie die Liebe zum Unheimlichen, so war ihr Lieblingsmärchen »Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen«. Später faszinierten Sie Filme wie »The Addams Family«, »Nightmare before Christmas« und »Beetlejuce«. Der erste Vampir, in den sie sich verknallte und der auch gleichsam Ursprung ihrer Vernarrtheit zu Vampiren wurde, war Lestat und diese Liebe dauert bis heute an. Durch Pop-Musicals wie »Tanz der Vampire«, Animes wie »Vampire Hunter D« und Mangas wie »Trinity Blood« vertiefte und erweiterte sie ihr Wissen um die dünster-schönen Wesen der Nacht. Kein Wunder, dass bald der Wunsch in ihr erwachte, selbst Vampir-Geschichten zu schreiben.

 

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Zeitstrahl

 

Dieses Buch spielt im 23. Jahrhundert. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Sie – werter Leser – mit der einen oder anderen historischen Tatsache nicht vertraut sind. Um Ihnen einen kleinen Einblick in die Ereignisse der bald bevorstehenden Zukunft zu geben, wurde für Sie dieser Zeitstrahl angelegt. Ich hoffe, Sie empfinden ihn als nützlich.

 

Technikum | 1989 bis 2033

Mit dem Fall der Berliner Mauer wurde das Technikum Zeitalter begründet. Diese Jahrzehnte sind geprägt von technischen Fortschritt und dem Streben nach immer leistungsstärkeren Gerätschaften.

 

Interstellar-Ära | 2033 bis 2090

Auch bekannt als Das neue Raumfahrtzeitalter. Eine kurze Zeitspanne geprägt von mehreren bemannten Flügen ins Weltall. Nach dem Scheitern der letzten großen Mission und dem Absturz des Raumschiffes Asgard 7 nahm die Interstellar-Ära ein rasches Ende und wich sogleich den Jahren der Jagd.

 

Die Jahre der Jagd | 2090 bis 2100

Mit der Offenbarung von Arcadiel DeBohéme, das Vampire und andere mystische Wessen wahrhaftig existieren, begann auch die weltweite Jagd auf sie.

 

Das New Steampunk Age | 2100 bis heute

Der Erlass der Neuen Europäischen Gesetzte sicherte den Frieden zwischen menschlichen und übernatürlichen Wesen. Der Krieg hat die Ressourcen der Erde aufgebraucht und so besinnen sie sich auf die alte Technik der Viktorianischen Ära zurück und verbinden diese mit den Errungenschaften des Technikum-Zeitalters.

1

 

Arcadiel DeBohème erschien auf der großen Leinwand. Im ersten Moment konnte man nur sein Gesicht sehen, dessen einzig wirklich vampirisches Element die eisblauen Augen waren. Die Tonspur dieser alten Aufnahme musste manuell hinzugeschaltet werden, schließlich gingen im Saal die Lichter aus und es wurde ruhig.

»Vampire existieren!«, verkündete Arcadiel DeBohème den Studenten, die dem Vortrag folgten. »Die Menschen glauben nicht an uns, aber die Vorkommnisse der letzten Monate stellen ihren Glauben auf die Probe. Sie wollen nicht wahrhaben, dass es uns gibt, aber wir bevölkern diese Welt schon seit Jahrtausenden.« Die Augen des Sprechers auf der Leinwand blickten durch den Raum, als stünde er leibhaftig vor den Zuhörern und spräche sie direkt an. »Vampire, die Wesen, die Sie aus Märchen und Sagen kennen, gibt es wahrhaftig, und die Beweise dafür liegen vor Ihnen. Sie sind nur zu blind, um sie zu erkennen, und zu arrogant, um sich einzugestehen, dass der Mensch weder die einzige noch die intelligenteste Lebensform auf diesem Planeten ist!«

Lilith stoppte die Ausstrahlung an dieser Stelle. Sie hatte sich im Hintergrund gehalten und betrat nun die kleine Bühne. Der Vorlesungssaal war voll, selbst auf den steilen Treppen saßen Studenten mit Schreibblöcken auf den Knien und kritzelten hastig Notizen nieder.

»Vampire existieren!«, zitierte die Rednerin ebenso direkt zu ihrem Publikum gewandt wie der Vampir auf der gestoppten Aufnahme. »Heute, hundertsiebzehn Jahre nach der Verkündung dieser Tatsache, ist der Spruch so bekannt wie Kennedys Isch bin ein Börliner. Er wird auf T-Shirts gedruckt, für Werbekampagnen verwendet, und einige Songschreiber haben ihn sogar in ihre Texte eingebaut. Damals jedoch war er nicht nur Auslöser eines Skandals, sondern auch eines Krieges. Um seinen Worten Gewicht zu verleihen, biss Arcadiel DeBohème anschließend einer der Reporterinnen vor laufenden Kameras in den Hals.«

Lilith betätigte die kleine Fernbedienung, der Film auf der Leinwand verschwand, die Fotografie eines staatlichen Dokuments nahm seinen Platz ein.

»Die Erkenntnis, dass es Vampire wirklich gibt, versetzte ganze Nationen in Panik und führte schließlich zur Legalisierung der Vampir-Jagd. Hier sehen Sie eines dieser Dokumente, das 2090 vom deutschen Bundeskanzler unterschrieben wurde. Aber zur Abwechslung waren wir Deutschen nicht die einzigen, die sich an der Jagd beteiligt haben. Dokumente wie dieses wurden damals von fast allen Ländern der Welt aufgesetzt. Diese Zeit betitelte man sehr passend als Jahre der Jagd; sie überdauerten die gesamten 2090er Jahre. Mit der Offenlegung der Existenz von Vampiren wurden gleichzeitig auch andere nichtmenschliche Wesen zwangsgeoutet. Das führte schließlich auch zur Jagd auf zahlreiche andere magische Wesen, die mit dem ursprünglichen Disput rein gar nichts mehr zu tun hatten.«

Ein weiterer Klick auf die Fernbedienung projizierte ein Bild der brennenden Innenstadt von Wien auf die Leinwand.

»Der Krieg zwischen Jägern und Vampiren fand im Frühjahr 2099 seinen Höhepunkt in der Schlacht von Wien. Zu dieser Zeit waren die Jäger so rücksichtslos geworden, dass sie jeden umbrachten, der ihnen auch nur halbwegs verdächtig erschien. Dabei war es ihnen egal, ob es sich um Männer, Frauen oder Kinder handelte. Die Pro-Vampir-Allianzen, die sich aus dieser Situation gebildet hatten, bestanden aus Personen, die sich gegen die Jäger aufbäumten und sich auf die Seite der Vampire schlugen. Ihr Ziel war das Ende des Krieges und eine Akzeptanz der Vampire und aller anderen nichtmenschlichen Wesen, sprich: eine Co-Existenz aller Spezies. Tatsächlich setzten sich nach der Schlacht von Wien die Regierungen zusammen und dachten nach fast zehn Jahren Krieg über eine friedliche Lösung nach. Aber noch während der Verhandlungen ereignete sich der folgende Vorfall.«

Lilith startete ein weiteres Video. Es waren Aufnahmen aus Lancaster, England, im Winter des Jahres 2099, wie die Schrift am unteren Bildrand verkündete. Im Vorlesungssaal hielt jeder den Atem an, eine fast schon bedrückende Stille senkte sich über die Sitzreihen. Jeder kannte diese Aufnahmen, trotzdem war es beunruhigend und aufregend zugleich, sie nun zu sehen. Der Film, aufgenommen von einer öffentlichen Kamera, zeigte den Innenhof der Lancaster University. Studenten und Dozenten hatten sich auf dem Schulhof versammelt oder starrten aus den Fenstern nach unten auf das Geschehen. Eine Gruppe Jäger hatte sich im Kreis um ein junges Mädchen aufgestellt, das vor Angst schrie und flehte. Eine Halb-Vampirin, wie sich später herausgestellt hatte, ein Volltreffer für die Jäger. Die Szene war nicht vertont, doch ihre Schreie hallten stumm durch den Vorlesungssaal.

Ein Mann, ein Professor der Universität, wie der Untertitel verriet, eilte zu ihr und versuchte, ihr zu helfen. Dann traf ihn ein gezielter Schuss, und er ging zu Boden. Das Gesicht des Mädchens verzerrte sich vor Todesangst. Sie suchte verzweifelt nach einem Ausweg, um ihr Leben zu retten. Plötzlich wurde der Kreis der Jäger durchbrochen; drei von ihnen stürzten zu Boden und rührten sich nicht mehr. Ein Vampir baute sich schützend vor dem Mädchen auf und wurde sofort von den verbliebenen vier Jägern attackiert, doch er blieb standhaft und wehrte die Angriffe ab. Ein zweiter jüngerer Mann mischte sich in den Kampf ein und versuchte, das Mädchen in Sicherheit zu bringen. In diesem Moment flog ein Schwert durch die Luft und köpfte den Vampir. Der andere Mann war fassungslos und starrte auf den Kopf seines Gefährten. Nun wurden auch die Studenten aktiv. Sie fielen über die Jäger her und machten sie binnen Sekunden kampfunfähig.

Das Bild blieb stehen.

Lilith gab jemandem am Bühnenrand ein Zeichen. Licht flutete den Saal, die Leinwand wurde nach oben gezogen und die Studenten sahen nun gespannt auf die Bühne.

»Der Mann«, begann die Rednerin, »den wir hier so tragisch haben sterben sehen, war Leonidas Andrássy, ein sehr alter Vampir, der sich der Widerstandsgruppe Crimson angeschlossen hatte, um seinesgleichen und die Halblinge zu retten. Diese Aufnahmen gingen um die ganze Welt, sie ermutigten die Leute dazu, Farbe zu bekennen und sich gegen die Jäger zu wehren. Schließlich sorgten sie auch dafür, dass den Jägern ihre Macht entzogen und der Krieg beendet wurde.«

Sie stellte sich an den Bühnenrand. Ihre Füße schmerzten in den wunderschönen, aber engen High Heels. Der knielange, graue Rock spannte sich, als sie ihr Gewicht vom linken auf das rechte Bein verlagerte. Ihr langes, braunes Haar war zu einem festen Zopf gebunden, der ihr weit in den Rücken fiel, und die hellbraunen Augen glänzten im Licht der großen Lampen. In ihrer grauen Weste schwitzte sie. Wie gut, dass dieser Vortrag bald beendet sein würde.

»Seit dem ersten Februar 2100 gibt es die Neuen Europäischen Gesetze, die die Jagd auf Vampire verbieten und in denen festgelegt ist, dass sowohl magische als auch nicht-magische Wesen, ebenso wie Teilwesen, die gleichen Rechte haben.

In den etwas mehr als hundert Jahren, in denen die Menschen nun offiziell Tür an Tür mit den Vampiren leben, konnten beide Seiten aus dieser Co-Existenz Vorteile gewinnen. Vorteile, die man schon viel früher hätte nutzen können, hätte man nicht diesen sinnlosen Krieg begonnen, in dem etliche Menschen und Vampire geopfert wurden.«

Lilith dachte kurz nach, räusperte sich dann und blickte wieder auf. »Fragen?«, warf sie in die Runde und schaute die Stuhlreihen hinauf.

Ein junger Mann meldete sich. »Sind Sie nicht selbst ein Halb-Vampir?«

»Das stimmt, und ich bin sehr dankbar, dass es Vampire wie Leonidas Andrássy und Widerstandsbewegungen wie Crimson oder auch Eden gegeben hat, die dafür kämpften, dass Wesen wie ich heute ganz normal zur Schule gehen und studieren können. Dass Vampire heute als Ärzte in Krankenhäusern praktizieren und als Lehrer an Schulen Wissen weitergeben können, denn wer könnte besser Geschichtsunterricht geben, als ein Vampir, der selbst Teil der Geschichte ist? Durch Blutersatzpräparate und synthetisches Blut sind die Vampire nicht mehr darauf angewiesen, Menschen auszusaugen oder sie sogar zu töten.«

Ein zustimmendes Murmeln ging durch die Menge. Natürlich war die Akzeptanz von Vampiren, Werwölfen und anderen nicht-menschlichen Wesen noch nicht ganz so weit fortgeschritten, wie man es sich wünschte, aber der richtige Weg war eingeschlagen.

»Hieß es nicht mal, dass Halb-Vampire super Vampir-Jäger sein?«, wollte ein Mädchen aus der vorderen Reihe wissen.

»Durchaus. Halb-Vampire, sogenannte Dhampire, gelten als ideale Vampir-Jäger. Einige von ihnen haben sich in den Jahren der Jagd auch auf die Seite der Jäger gestellt. Der Hintergrund ist, dass Dhampire meist von Frauen geboren werden, die vorher von einem Vampir vergewaltigt wurden. Die Kinder, die aus solchen Verbindungen entstanden sind, haben daher einen großen Hass auf ihren Vater, worin auch das Motiv für die Bekämpfung seiner Art liegt. Heutzutage hat natürlich jede Frau das Recht, ihren Vergewaltiger anzuzeigen, egal ob er Mensch, Vampir oder sonst was ist. Auf der anderen Seite sind auch Beziehungen zwischen Menschen und Vampiren keine Seltenheit mehr, sie werden akzeptiert und anerkannt ... zumindest offiziell.«

»Wie bei den Homosexuellen!«, meldete sich ein junger Student aus den hinteren Reihen.

Lilith nickte ihm zu. »Genau so. Oberflächlich und vor dem Gesetz werden sie akzeptiert, was aber gewisse Leute trotzdem nicht davon abhält, sie zu hassen und für alles verantwortlich zu machen, was in der Welt schief läuft.«

Erneut erfüllte zustimmendes Gemurmel den Saal, dann erhob sich eine Studentin, warf ihre langen Dreadlocks zurück und fragte: »Wie genau funktioniert das eigentlich mit der vampirischen Herrschaftsstruktur? Ich meine, die mischen sich ja nicht in die Regierungsgeschäfte der Menschen ein und die Menschen sich nicht in die der Vampire. Wie halten die Vampire das alles unter Kontrolle, also, wie kann man sichergehen, dass wirklich keine Menschen getötet werden?«

Lilith überlegte einen Moment und verlagerte ihr Gewicht dabei wieder auf das andere Bein, bevor sie antwortete. »Vor rund zweitausend Jahren sind die Vampire von Ort zu Ort gewandert, entweder allein oder in Gruppen – in sogenannten Clans. Sie hinterließen ein Blutbad, wo immer sie auch waren, unfähig, ihren Durst zu zügeln. Schließlich setzten sich die Menschen zur Wehr und schickten Jäger aus, die dem Treiben dieser Monster Einhalt gebieten sollten. Einige Vampire besannen sich darauf, ihren Durst zu beherrschen und nur noch wenig Blut zu trinken, allerdings von mehreren Personen. So konnten die Jäger sie schwerer ausfindig machen. Die Vampire, die sich diesen neuen Lebensstil nicht aneignen konnten oder wollten, wurden zwangsläufig Opfer der Jäger, die anderen verschwanden im Untergrund und lernten, sich geschickt zu verbergen.

Die Geheimhaltung ihrer Existenz wurde schließlich zur höchsten Priorität der Vampire. Sie ließen sich nieder, wurden sesshaft und sorgten dafür, dass niemand von ihrem Dasein erfuhr. Manche erschufen sich Scheinexistenzen als Menschen, gliederten sich in die Gesellschaft ein und täuschten dann ihren Tod vor, um ein paar Jahre später als ihr eigener Nachkomme wieder aufzutreten. Um solche Geheimnisse zu wahren, mussten die Vampire dafür sorgen, dass andere ihrer Art nicht versehendlich oder absichtlich alles ausplauderten. Also entwarfen sie eine Herrschaftsstruktur, deren oberste Instanz der sogenannte Prinz ist. Der stärkste Vampir einer Stadt oder eines weitläufigen Areals bekam die Rechte und Pflichten des Prinzen zugesprochen. Das heißt, er sorgte dafür, dass in seinem Herrschaftsbereich keine Menschen getötet wurden und dass keiner der ihm unterstellen Vampire auch nur ein Wort über seinesgleichen verlor. Im Übrigen wurde das Wort Prinz schon immer sowohl für die männlichen als auch für die weiblichen Inhaber dieses Amtes verwendet. Im Zuge der Emanzipation stellte man schnell fest, dass man eine Frau nicht als Prinzessin bezeichnen und gleichzeitig ernst nehmen konnte.

Diese Struktur hat sich mittlerweile über ganz Europa ausgebreitet, auch in Teilen Asiens und Afrikas wird sie angewendet. Die Herrschaftsbereiche teilen sich bei den Vampiren ähnlich ein wie bei den Menschen. Der Prinz hat also ungefähr die Funktion eines Bürgermeisters. Jede Stadt, jedes Dorf hat einen Prinzen, der über die Region wacht und an die nächsthöhere Instanz Bericht abgeben muss. Es ist also nicht so, dass jeder Prinz machen kann, was er will. Herrscht man über eine Kleinstadt, gibt man an die nächst größere Stadt Bericht ab, die größere Stadt an die Landeshauptstadt, die Landeshauptstadt an die Bundeshauptstadt. Der Prinz, der seinen Herrschaftsbereich in der Hauptstadt hat, ist somit die höchste Instanz im Land und auch für selbiges verantwortlich. Er oder sie muss sich demnach nur noch vor den gleichrangigen Kollegen der anderen Länder rechtfertigen. Wird ein Prinz seiner Aufgabe nicht gerecht, kann er durchaus von seinen Amtsgenossen abgewählt werden.

Mit diesem System versuchten die Vampire also, ihre Existenz so geheim wie möglich zu halten, bis ein gewisser Arcadiel DeBohème, seines Zeichens Prinz von Den Haag, des Weges kam und meinte, er müsse seine Art outen und die Welt für gut ein Jahrzehnt ins Chaos stürzen.«

»Gibt’s den Typen immer noch?«, fragte einer der Studenten.

»Unglaublicherweise ja«, bestätige Lilith. »Er ist noch immer Prinz von Den Haag, wahrscheinlich der am besten bewachte Prinz der Welt, denn nicht nur Menschen, sondern auch Vampire würden ihn nur zu gerne vernichtet sehen. Der Grund, weshalb er trotz dieser Aktion so lange überlebt hat, ist wahrscheinlich die Tatsache, dass viele Vampire ihr Schatten-Dasein statt hatten. Sie wollten wieder ins Licht des Lebens treten und das mühselige Versteckspiel hinter sich lassen. Arcadiel hat mindestens so viele Feinde wie Befürworter, das hat ihm den Hintern gerettet.«

»Warum nennen sich die Obervampire Prinzen?«, kam es aus einer anderen Ecke des Raumes. »Warum nicht Könige oder Götter?«

Lilith lächelte. »Die Bezeichnung König ist dem ersten Vampir vorbehalten, dem Urvampir also, dessen Blut durch die Adern seiner Nachkommen fließt.«

Wieder ging ein Gemurmel durch die Reihen der Studenten. Lilith hatte mehr Fragen zu diesem Thema erwartet, doch die nächste Frage schwenkte vom Hauptthema ab.

»Ich hab gehört, es gibt so was wie eine Spezialeinheit, die sich in die Häuser der Vampire einschleicht, um zu erkunden, ob auch alles mit rechten Dingen zugeht.«

»Das gehört ins Reich der Mythen und Sagen«, meinte Lilith lächelnd. »Ich kann es nicht bestätigen, aber auch nicht konsequent verneinen. Die Idee hat durchaus etwas Beruhigendes an sich.«

Das Mädchen mit den Dreadlocks meldete sich noch einmal. »Das ist jetzt vielleicht ein bisschen Off-Topic, aber ich hab letztens von der Vampir-Jägerin Vallfallia gehört. Wissen Sie, was aus der geworden ist? Hat sie auch in diesen Schlachten gekämpft?«

»Wer?«, rief ein Student aus der anderen Ecke des Saales.

Lilith lächelte. »Die Geschichte der Jägerin Vallfallia ist mittlerweile zu einer Legende geworden, die sich unter Menschen und Vampiren weit verbreitet hat. Sie war der letzte Spross einer Jäger-Familie, die über Jahrhunderte Vampire gejagt hat. Nach allem, was die Geschichte belegen kann, wurde sie 1780 geboren. Ihre Spur verliert sich zwischen 1800 und 1810, und bis heute hat sie sich nicht mehr in der Öffentlichkeit gezeigt. Die Legenden um sie sind vielseitig, am verbreitetsten ist aber die Variante, dass sie sich in den Vampir, den sie jagen sollte, verliebte und dann selbst zu einem wurde«, klärte Lilith die Studenten auf.

»Und gibt es Belege, dass dieser Vampir Dracula war?«, frage das Mädchen, doch in diesem Moment erklang der Pausengong. Die Studenten erhoben sich widerwillig von ihren Sitzen.

Lilith konnte nur mit einem Schulterzucken reagieren, denn sie wusste keine Antwort auf diese Frage.

Sie ging zu dem kleinen Rednerpult, nahm ihren Rucksack vom Boden, öffnete ihn und holte ihr Multifunktionshandy heraus, an dem eine grüne Lampe leuchtete.

Sie rief die neu eingegangene Nachricht ab. Es war eine E-Mail ohne Absender, und sie war vor zwanzig Minuten eingetroffen: Ich warte bei Deinem Auto – B.

»Frau Avant-Garde, vielen Dank für Ihren Vortrag.«

Lilith blickte fragend von der Nachricht auf und erkannte den Professor, der ihr bei der Planung und Durchführung der Vorlesung geholfen hatte. »Gerne, es war sehr interessant.«

»Die Studenten sind immer ganz begeistert, wenn sie Vorträge dieser Art hören können, vor allem, wenn sie nicht von den üblichen Professoren gehalten werden«, fuhr der Professor fort.

Lilith lächelte, ließ das Handy wieder in ihrem kleinen Rucksack verschwinden und folgte ihm von der Bühne.

»Wissen Sie, es gibt noch immer bedauerlich wenig Vampire, die bereit sind, ihr historisches Wissen mit den Studenten zu teilen. Solche Zeitzeugenberichte sind derart von Bedeutung und Wichtigkeit, dass wir nicht darauf verzichten wollen.«

»Nun, die Jahre der Jagd haben eine sehr wichtige Vampir-Generation nahezu ausgelöscht«, sagte Lilith nachdenklich. »Die jungen Vampire hatten nicht die nötige Kampferfahrung, um sich im Krieg zu schützen. Und eben diese Generation wäre sicher bereit gewesen, ihr Wissen zu teilen. Die alten Vampire sind zu argwöhnisch und zu sehr vom Versteckspiel gezeichnet, als dass sie sich den Menschen anvertrauen würden. Der Krieg ist seit über hundert Jahren vorbei, aber die Spuren sind noch immer vorhanden.«

»Ja, da haben Sie recht. Darum ist es auch umso erfreulicher, wenn ein solcher Vortrag zustande kommt.«

Lilith nickte, verabschiedete sich mit einem Handschlag vom Professor und verließ das Gebäude. An einer Leuchttafel über der Tür zum Pausenhof stand 15.02 Uhr und darunter 11.02.2207 – bald hatte sie Geburtstag.