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Platen • Die Sonette

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Verlagstext

August von Platen ist ein zu Unrecht vergessener Klassiker der deutschen Literaturgeschichte. In nur zehn Jahren schuf er ein facettenreiches Werk an lyrischer und dramatischer Dichtung; in seinen scheinbar mühelos vorgetragenen und doch so komplexen Versen äußert sich ein Naturtalent, das von seinen Zeitgenossen früh gewürdigt wurde. Seine zu Lebzeiten nur verstreut veröffentlichten Sonette werden hier in einer vollständigen Sammlung vorgelegt.

Dabei wird deutlich, dass Platen sich nicht an der blumigen Ausdrucksweise der deutschen Romantik orientierte, sondern an den strengeren Formen Petrarcas und Goethes; der greise Goethe stand dem jungen Dichter sehr wohlwollend gegenüber.

In seinem Nachwort analysiert Werner Heck, wie es Platen gelang, in seinen Sonetten eine Sprache für die Liebe unter Männern zu finden.

Bei Männerschwarm erschienen außerdem

«Die Ghaselen»

und eine Dokumentation seines Streits mit Heinrich Heine:

«‹Schlaffe Ghaselen› und ‹Knoblauchsgeruch›».

Platen, Immermann und heine streiten über freche Juden, warme Brüder und wahre Poesie.

www.maennerschwarm.de

Über den Autor

August Graf von Platen Hallermünde (1796 – 1835) wurde in Ansbach geboren. Die Familie war nicht vermögend, gehörte jedoch zum Hochadel, und der junge Platen durchlief ganz standesgemäß Kadettenanstalt und Pagendienst am königlichen Hof. Im Alter von 18 Jahren nahm er als Leutnant am Feldzug gegen Napoleon teil. Neben seinem lyrischen Werk schuf Platen mehrere Versdramen; seine Tagebücher und Briefe sind wesentlicher Bestandteil seines literarischen Nachlasses.

Platen starb 1835 in Syrakus. Er gilt als erster deutscher Dichter, der seine Liebe zu Männern in Leben und Werk stets offen zum Ausdruck brachte.

AUGUST VON PLATEN

DIE SONETTE

Mit einem Nachwort von Werner Heck

Männerschwarm Verlag

Berlin 2019

O dürft ich, o könnt ich euch hüten

Und jagen mit emsigem Fleiße

Von euch, poetische Blüten,

Politisches Wanzengeschmeiße.

1821

I. Frühe Sonette, Lyrische Blätter

(1819-1822)

Die Welt wird Prosa mehr und mehr,

Der Glaube selbst ist ohne Wehr,

Was hat das Ewige verschuldet,

Daß man’s nur nebenher noch duldet?

Sonett nach Camoens

Was beut die Welt, um noch darnach zu spähn,

Wo ist ein Glück, dem ich mich nicht entschwur?

Verdruß nur kannt ich, Abgunst kannt ich nur,

Dich, Tod, zuletzt, was konnte mehr geschehn?

Dies Leben reizt nicht, Leben zu erflehn;

Daß Gram nicht töte, weiß ich, der’s erfuhr:

Birgst du noch größres Mißgeschick, Natur,

Dann seh ich’s noch, denn alles darf ich sehn!

Der Unlust lange starb ich ab und Lust,

Selbst jenen Schmerz verschmerzt ich, büßt ich ein,

Der längst die Furcht gebannt mir aus der Brust.

Das Leben fühlt ich als verliebte Pein,

Den Tod als unersetzlichen Verlust,

Trat ich nur darum in dies kurze Sein?

Ist das ein Glück, daß du beglückt gewesen,

Wenn du dahinstirbst in unsel’gen Qualen,

Wenn jahrelange Hölle muß bezahlen

Für eine Stunde, mir zum Heil erlesen?

O komm, o komm! du schönstes aller Wesen,

Mit Augen, leuchtend in der Liebe Strahlen,

Mit Lippen, welche Treue mir befahlen,

O komm! Doch nicht, damit ich soll genesen.

Denn bis du nahest dem, der dies geschrieben,

Hat er, der Sehnsucht Raub, bereits genossen

Den Bodensatz im Lebenskelch voll Wermut.

Doch komm und singe denen, die dich lieben,

Die Lieder nur, in welche sich ergossen

Durch lange, bange Nächte seine Schwermut.

Daß ich dich liebe, hast du nie vermutet,

Nie konnten’s Menschen um uns her beachten:

Mein ganzes Sein ist nur ein stilles Trachten,

Und leise pocht das Herz mir, weil es blutet.

Ob’s ruhig in mir, oder ob es flutet,

Teilnehmend wolltest du das nie betrachten,

Und daß die Deinen mich für wenig achten,

Das hat mich oft geschmerzt, doch oft ermutet.

Denn meine Seele strebte warm nach oben,

Und was mir freundlich, feindlich trat entgegen,

Ein Traum erschien mir’s, der mich rings umwoben.

Und also will ich auch der Liebe pflegen,

Mit einer Sinnesart, die nicht zu loben,

Doch, die zu schelten, mich bedünkt verwegen.

Wem Leben Leiden ist und Leiden Leben,

Der mag nach mir, was ich empfand, empfinden;

Wer jedes Glück sah augenblicks verschwinden,

Sobald er nur begann, darnach zu streben;

Wer je sich in ein Labyrinth begeben,

Aus dem der Ausweg nimmermehr zu finden,

Wen Liebe darum nur gesucht zu binden,

Um der Verzweiflung dann ihn hinzugeben;

Wer jeden Blitz beschwor, ihn zu zerstören,

Und jeden Strom, daß er hinweg ihn spüle

Mit allen Qualen, die sein Herz empören;

Und wer den Toten ihre harten Pfühle

Mißgönnt, wo Liebe nicht mehr kann betören:

Der kennt mich ganz und fühlet, was ich fühle.

Entled’ge dich von jenen Ketten allen,

Die gutgemutet du bisher getragen,

Und wolle nicht, mit kindischem Verzagen,

Der schnöden Mittelmäßigkeit gefallen!

Und mag die Bosheit auch die Fäuste ballen,

Noch atmen Seelen, welche keck es wagen,

Lebendig, wie die deinige, zu schlagen,

Drum laß die frischen Lieder nur erschallen!

Geschwätz’gen Krittlern gönne du die Kleinheit

Bald dies und das zu tadeln und zu loben,

Und nie zu fassen eines Geistes Einheit.

Ihr kurzer Groll wird allgemach vertoben,

Du aber schüttelst ab des Tags Gemeinheit,

Wenn dich der heil’ge Rhythmus trägt nach oben.

Sonette dichtete mit edlem Feuer

Ein Mann, der willig trug der Liebe Kette,

Er sang sie der vergötterten Laurette,

Im Leben ihm und nach dem Leben teuer.

Und also sang auch manches Abenteuer,

In schmelzend musikalischem Sonette,

Ein Held, der einst durch wildes Wogenbette

Mit seinem Liede schwamm, als seinem Steuer.

Der Deutsche hat sich beigesellt, ein Dritter,

Dem Florentiner und dem Portugiesen,

Und sang geharnischte für kühne Ritter.

Auf diese folg ich, die sich groß erwiesen,

Nur wie ein Ährenleser folgt dem Schnitter,

Denn nicht als vierter wag ich mich zu diesen.

Das Sonett an Goethe

Dich selbst, Gewalt’ger, den ich noch vor Jahren

Mein tiefes Wesen witzig sah verneinen,

Dich selbst nun zähl ich heute zu den Meinen,

Zu denen, welche meine Gunst erfahren.

Denn wer durchdrungen ist vom innig Wahren,

Dem muß die Form sich unbewußt vereinen

Und was dem Stümper mag gefährlich scheinen,

Das muß den Meister göttlich offenbaren.

Wem Kraft und Fülle tief im Busen keimen,

Das Wort beherrscht er mit gerechtem Stolze,

Bewegt sich leicht, wenn auch in schweren Reimen.

Er schneidet sich des Liedes flücht’ge Bolze

Gewandt und sicher, ohne je zu leimen,

Und was er fertigt, ist aus ganzem Holze.

An F. v. B.

Die schöne Schickung, welcher Lob gebühret

Für dieses Lebens Herrlichstes und Meistes,

Sie hat hieher in unser unbereistes,

Bescheidnes Städtchen dich, o Freund, geführet.

Die schöne Sehnsucht, welche du verspüret,

Ein Höchstes frühe zu verstehn und Freistes,

Hat auf die Spuren jenes großen Geistes

Dich hergeführt, der alle Welt berühret.

Du hassest Alle, die nur Formeln schwätzen,

Du strebst das Innre jedes Dings zu sichten

Und übst den Geist in schroffen Gegensätzen.

Dies hatt ich scheidend noch an dich zu richten;

Du packe nun zu deinen andern Schätzen

Auch diesen Schatz von närrischen Gedichten!

An Schelling [I]

Gebeut nicht auch im Königreich des Schönen,

Wer immer König ist im Reich des Wahren?

Du siehst sie beide sich im Höchsten paaren,

Gleich in einander wie verlornen Tönen.

Du wirst die kleine Gabe nicht verhöhnen,

Wirst diese morgenländisch bunten Scharen

In ihrer Bilderfülle gern gewahren

Und gerne dich an ihren Klang gewöhnen.

Zwar auf den Blüten eines fernen Landes

Schweb ich nur flüchtig, gleich dem Schmetterlinge

Vielleicht genießend eines eitlen Tandes.

Du aber tauchst die heil’ge Bienenschwinge

Herab vom Saum des Weltenblumenrandes

In das geheimnisvolle Wie der Dinge.

Von weiter Ferne werd ich angezogen,

Ich möchte suchend durch die Länder schweifen,

Dich wieder sehn und wieder dich ergreifen

Und nie mehr lassen, bist du mir gewogen.

Durchwandeln möcht ich dürre Meereswogen

Und Erdenfluren, welche schwellend reifen,

Nach dir zu fragen bei den Wolkenstreifen,

Nach dir zu fragen bei dem Regenbogen.

Ob über dir sie schwebten in der Ferne?

Ob er dich sah durch seine Pforten treten?

Dem Liebenden antwortet Jeder gerne.

Nun faß ich erst den Wandel der Kometen,

Sie schweifen hin und fragen alle Sterne:

Wo ist sie? oder: Habt ihr sie betreten?

Das romantische Drama

Ich sehe, Shakespear, deiner Geister viele,

Seh Puck und Ariel im Tanze schweben;

Der reiche Blick ins mystisch tiefe Leben,

Er führte dich, o Calderon, zum Ziele.

Du, Gozzi, scherzend auf fantast’scher Diele,

Du hast uns neu die heitre Kunst gegeben;

Du führst, o Tieck, mit freundlichem Bestreben

Den frommen Ernst in ewig junge Spiele.

Nie seid ihr kühl zur Nüchternheit versunken,

Ihr sprühtet in unendlicher Verschwendung

Der goldnen Flamme lichte, dichte Funken!

An euch erging die heil’ge, große Sendung,

Ihr habt den Rausch der Poesie getrunken

Und schimmert nun in strahlender Vollendung.

An Johann Jakob Wagner

«Die Kunst ist tot, wir haben sie begriffen»

Dies rufend, seh ich dich die Nase rümpfen,

Als ob wir alle stäken nur in Sümpfen,

Statt übers Meer der Poesie zu schiffen.

Das Ew’ge wähnst du auf einmal vergriffen,

Als ob die Rede sei von alten Strümpfen;

Das ist der kräftigste von deinen Trümpfen,

Das ist der pfiffigste von deinen Pfiffen!

Doch hoffe nie, durch eitlen Wahn befangen,

Der Poesie Mysterium zu fassen,

Das kaum dein Witz noch obenhin umgangen;

Allein von uns, die wir den Irrtum hassen,

Dich aber lieben, wirst du nie verlangen,

Daß ihm zu Liebe wir uns selbst verlassen.

Beruf

In alle Räume braust die stolze Welle,

Die ich im dichterischen Übermute

Entspringen lassen aus dem eignen Blute,

Daß sie zum Strome mir, zum Meere schwelle.

Den Afterwitz verschlinge sie, die schnelle,

Daß er sein Liedchen nicht mehr länger dute,

Doch weichmelodisch und gelind umflute

Der blum’ge Schaum des Glaubens heil’ge Schwelle.

Die Fluten, welche die Natur erfrischen,

Gebaren sie nicht alles ird’sche Leben?

Entwand sogar sich nicht dem Schaum Urania?

So möcht ich Perlen aus der Tiefe fischen,

Der unerschöpflichen, und dann sie weben

Zum Diadem der heiligen Germania!

An Schelling [II]

Als ein Jahrhundert müde sank zu Grabe

Und viel des Großen uns zuteil geworden,

Da tratst du auf, und gründetest den Orden

Der neuen Zeit, beinahe schon als Knabe!

Die Kunst vernahm’s und griff zum Pilgerstabe,

Befreit durchzog sie alle Völkerhorden,

Der weiche Süden und der frische Norden

Verliehn ihr willig reiche, goldne Gabe.

Zwar füllt Gebelfer überall die Lüfte,

Die Schnöden, Blöden zerren ihr am Ruhme,

Und Eulen heulen durch die morschen Klüfte;

Doch ruhig flammt die diamantne Blume,

Weihrauchgewölk verschwenden ihre Düfte

Und spenden es dem ew’gen Christentume.

Sophokles

Dir ist’s, o frommer Sophokles, gelungen,

Den Punkt zu schaun, wo Mensch und Gott sich scheidet,

Und was in ird’sche Worte du gekleidet,

Das ward, vom Himmel aus, dir vorgesungen!

Du bist ins Innre dieser Welt gedrungen

Und kennst zugleich, was auf der Fläche weidet:

Was nur ein Menschenbusen hofft und leidet,

Du sprachst es aus mit deinen tausend Zungen!

Nie bist du kühl zur Nüchternheit versunken,

Du sprühtest in erhabener Verschwendung

Der goldnen Flammen lichte, dichte Funken!

An dich erging die heil’ge, große Sendung,

Du hast den Rausch der Poesie getrunken,

Und schimmerst nun in strahlender Vollendung.

II. Sonette an Freunde

An Justus Liebig

Den Freund ersehnend, welcher, treu dem Bunde,

Mich reich ergänzen kann in Sein und Wissen,

Fühlt ich mein Herz durch manchen Wahn zerrissen,

Und eitle Täuschung schlug mir manche Wunde:

Da bringt dein Auge mir die schöne Kunde,

Da find ich dich, um weiter nichts zu missen,

Wir fühlen beide schnell uns hingerissen,

Zu Freunden macht uns eine kurze Stunde.

Und kaum genießen wir des neuen Dranges,

Als schon die Trennung unser Glück vermindert,

Beschieden uns vom prüfenden Geschicke.

Doch ihres innigen Zusammenhanges

Erfreun die Geister sich noch ungehindert;

Es ruhn auf goldner, künft’ger Zeit die Blicke.

Dich oft zu sehen, ist mir nicht beschieden,

Und ganz versagt ist mir, zu dir zu kommen,

Dir selten zu begegnen und beklommen

Dich anzuschaun, das ist mein Los hienieden.

Doch von dir träumen, dichten, Plane schmieden;

Um dir zu nahn, das ist mir unbenommen,

Das soll, so lang es frommen will, mir frommen,

Und mit so Wen’gem stell ich mich zufrieden.

Denn ach! ich habe Schlimmeres ertragen,

Als dieses Schlimme jetzt, und duld ergeben,

Statt heft’ger Qual, ein süßes Mißbehagen.

Mein Wunsch, bei Andern, zeugte Widerstreben:

Du hast ihn nicht erhört, doch abgeschlagen

Hast du ihn auch nicht, o mein süßes Leben!

Was will ich mehr, als flüchtig dich erblicken?

Was wär ich, trüg ich heißeres Verlangen?

In welche Netze würd ich, wenn ich hangen

An deinem Auge bliebe, mich verstricken!

Was will ich mehr noch, als ein eilig Nicken?

Es würden deine Worte mich befangen:

Vom Schützen wird ein Vogel rasch umgangen,

Wenn mehr er will, als an der Kirsche picken.

Wohl mögen Reize, die so ganz dein eigen,

Den Wunsch der Sehnsucht in den Andern wecken,

Sich dir zu nahn und dir ein Herz zu zeigen.

Ich werde nur, wenn Jene sich entdecken,

Vor deiner Schönheit huldigend mich neigen,

Nicht Eine Silbe soll dein Ohr erschrecken!

Wer hätte nie von deiner Macht erfahren?

Wer hätte je dich anzuschaun bereuet?

Wie viele Reize liegen hingestreuet

Auf diesen Wangen, diesen schönen Haaren!

Du bist so zart, du bist so jung an Jahren,

Durch jede Huldigung des Glücks erfreuet;

Doch wer die List in deinem Busen scheuet;

Der mag vor dir sich Tag und Nacht bewahren!

Noch prahlt ein Baum mit manchem frischen Aste,

Die Blätter bilden noch geräum’ ge Lauben,

Da schon Zerstörung wütet unterm Baste.

Doch soll mir frostige Betrachtung rauben

Den süßen Schatten, unter dem ich raste?

Nein, deine Schönheit fordert blinden Glauben!

Wie schwillt das Herz von seligem Genügen,

Sobald ein Blick, der lange trüb umnachtet,

Verächtlich uns und blinzelnd nur betrachtet,

Zuletzt voll Milde ruht auf unsern Zügen!

Wär’s Zufall, oder willst du mich betrügen?

Hast du vielleicht mich deiner wert erachtet?

Wenn, Augen, ihr mir nicktet oder lachtet,

Dann wollt ich stets mich euch als Sklave fügen!

O gib Gewißheit, wo nur Zweifel waltet,

Laß länger nicht mich hin und wieder schwanken,

Weil oft im Zweifel das Gemüt erkaltet!

Nicht schwer zu helfen ist gewissen Kranken:

Ein einz’ger Wink, ein Händedruck entfaltet

Uns Millionen liebende Gedanken.

Was kann die Welt für unser Glück empfinden,

Die kalte Welt mit ihrem falschen Treiben?

Kann sie es fesseln oder es vertreiben?

Kann sie uns trennen oder uns verbinden?

Wir sehn die Dinge rings um uns verschwinden,

Als Dinge, die die Liebe nur umschreiben;

Verborgen muß die wahre Liebe bleiben,

Kein Dritter darf zu dir und mir sich finden.

Sie, die uns wandeln sehn im bunten Schwarme,

Nicht ahnen sollen sie, daß in der Stille

Wir uns verzehren im verliebten Harme.

Vergessen will ich jede fremde Grille,

Wenn dich umschlingen meine frohen Arme,

Und dir allein beugt sich mein Eigenwille.