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In liebevoller Dankbarkeit für H., E. und R.

Nadine Stegelmeier

Rauhnächte

Die schönsten Rituale

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1. Auflage 2018

Ein camino.-Buch aus der

@ Verlag Katholisches Bibelwerk GmbH, Stuttgart, 2018

Alle Rechte vorbehalten

Gesamtgestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart

Umschlagmotiv: © Nadine Stegelmeier

Foto Rückseite: © Nadine Stegelmeier

Druck und Bindung: Druckerei C. H. Beck, Bergstraße 3, 86720 Nördlingen

Verlag: Verlag Katholisches Bibelwerk GmbH, Silberburgstraße 121, 70176 Stuttgart

www.caminobuch.de

ISBN 978-3-96157-027-0

eISBN 978-3-96157-974-7

Inhalt

Bräuche im Wandel der Zeit

Einstimmung und Vorbereitung auf die Rauhnächte

Das Ritual des Räucherns

Verschiedene Orakelmöglichkeiten

Altbekannte religiöse Glücksamulette und Schutzzauber

Die Rauhnächte

Schritt für Schritt durch die Rauhnächte

Schlussgedanken und Ausblick

Danksagung

Bildnachweis

Literatur

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Der Abend kommt von weit gegangen

durch den verschneiten, leisen Tann.

Dann presst er seine Winterwangen

an alle Fenster lauschend an.

Und stille wird ein jedes Haus;

die Alten in den Sesseln sinnen,

die Mütter sind wie Königinnen,

die Kinder wollen nicht beginnen

mit ihrem Spiel. Die Mägde spinnen

nicht mehr. Der Abend horcht nach innen,

und innen horchen sie hinaus.

RAINER MARIA RILKE

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Bräuche im Wandel der Zeit

»Die Vergangenheit ist unsere Wiege,

nicht unser Gefängnis.

Sie dient nicht der Imitation,

sondern der Inspiration.

Nicht wiederholen sollen wir sie,

sondern fortsetzen.«

ISRAEL ZANGWILL

HINFÜHRUNG

imageMögen die Zeiten auch spürbar lauter und schnelllebiger geworden sein, wenn man genau hinsieht und hinhorcht, manchmal auch in sich selbst hinein, ist in unserem Alltag und im Jahreslauf noch sehr viel Magie und Geheimnisvolles aus alten Tagen verborgen, das uns immer wieder berührt. Wenngleich viele Bräuche oder das Wissen um manch alte Mythen fast gänzlich aus unserem Leben verschwunden sind, gibt es dennoch manche Worte, die, selbst wenn keine näheren Verknüpfungen mehr mit ihnen verbunden sind, in uns etwas zum Klingen bringen und uns zum Nachsinnen anregen. Ähnlich einer vertrauten Melodie, die uns an glückliche Kindheitserinnerungen zurückdenken lässt.

»Rauhnächte« ist eines dieser Worte … hört man bei seinem Klang nicht unmerklich ein Flüstern im uralten Gebälk, ein Knarzen auf abgetretenen Dielenbrettern, und sieht man nicht vor seinem inneren Auge eine verschneite Winterlandschaft mit schemenhaften Gestalten vor Nebelschwaden?

In dieser Zeit »zwischen den Jahren«, in der die Nächte länger als die Tage sind und die Natur sich gänzlich zurückgezogen hat, zieht sich auch der Mensch verstärkt zurück in sein schützendes Heim. Denn draußen lauern noch immer die Schatten vergangener Erinnerungen und die alten Sagen und Mythen werden wieder lebendig und greifbar. Eine unheimliche Zeit, die aber zugleich auch eine heilsame und heilige Zeit ist. Wenn die Nacht am dunkelsten ist, wird das Licht wiedergeboren und gewinnt mehr und mehr an Kraft. So vereint die Zeit der Rauhnächte also seit jeher diese Gegensatzpaare in sich: Dunkelheit und Helligkeit – Vergehen und Entstehen – Furcht und Freude. Diese Gegensätze spiegeln sich auch in den alten Mythen wider. Stets sind neben den Lichtwesen, gleichbedeutend mit Hoffnung und Glauben, auch die dunklen Gestalten der Mythenwelt der Rauhnächte präsent. Oftmals gelingt dem Dämonischen sogar der Zutritt in das eigene Haus und verschiedene Schutzzauber und Amulette sind nötig, um den Zugriff des Bösen abzuwehren. Genauso oft finden sich aber auch Geschichten voller Hoffnung, die zuversichtlich in das neue Jahr blicken lassen.

Noch vor wenigen Generationen, in den vorangegangenen Jahrhunderten, markierte die Rauhnachtszeit für die Menschen einen der Höhepunkte des Traditionsjahres. Die früh einkehrende Dunkelheit und die langen Abende bei Kerzenschein boten reichlich Gelegenheit, sich im Kreise der Familie Geschichten zu erzählen, vergangenen Sagen und Erzählungen zu lauschen, mit den Ahnen in Kontakt zu treten und einen Blick in die Zukunft zu werfen, um die Weichen für das anstehende Jahr neu auszurichten.

In unserer heutigen, dauerhaft von künstlichem Licht erhellten Zeit, die im wahrsten Sinne des Wortes voller Blendwerk ist, vergessen wir nur allzu oft, dass auch die Schatten und die düsteren Seiten zu unserer Existenz gehören. Aus dem Wechselspiel des Schattens mit dem Licht entsteht ja erst die Vielschichtigkeit des Lebens. Lassen wir also diese Zeit der Gegensätze auch auf uns wirken und neue Erkenntnisse daraus gewinnen. Unsere Wahrnehmung wird in der Dunkelheit verstärkt und eine Zeit des Erkennens und der Wandlung kann beginnen. Auf diese Weise kann der Grundstein für positive Veränderungen im neuen Jahr gelegt werden, ganz wie damals in den alten Zeiten.

Gern möchte ich Sie einladen, mich auf diesem leisen Eintauchen in die Vergangenheit zu begleiten. Wir wollen gemeinsam den rauen Wesen und wilden Geschöpfen der Dunkelheit begegnen, alten, noch immer bekannten oder längst vergessenen Bräuchen nachspüren – weit zurück bis in die Zeit unserer Urahnen. Wir entdecken im Alltag leicht zu praktizierende Rituale, lassen den uralten Brauch des Räucherns aufleben und erfahren, warum für unsere Ahnen dieser Brauchtumsschatz eine so große Bedeutung hatte.

Schritt für Schritt ergibt sich ein ganz persönlicher Begleiter durch die einzelnen Rauhnächte, voller Sagen, Märchen und individueller Anregungen, untermalt mit liebevollen Bildern. Allerdings beschäftigt sich unsere nostalgische Reise nicht nur mit der Vergangenheit, sondern sie möchte uns auch aufzeigen, wie Rituale und Brauchtümer die unmittelbare Gegenwart, unser jetziges Leben und unseren gelebten Glauben bereichern können. Dem alten Volksglauben und dem ländlichen Brauchtum wird bei diesen Betrachtungen durchweg eine wichtige Rolle zukommen. In gewisser Weise will dieses Buch dabei helfen, die Sprache der alten Bräuche wieder verstehen zu lernen, sie in unsere moderne Welt einfließen zu lassen und das alte Wissen auch in unseren hektischen Tagen zu bewahren und zu nutzen. Dabei verbindet sich das Alte mit dem Neuen, fließt ineinander, gleichsam dem steten Wechselspiel zwischen Licht und Schatten.

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DAS BRAUCHTUM UNSERER AHNEN

imageDie Kontraste zwischen Licht und Schatten, Helligkeit und Dunkelheit, Gut und Böse berührten immer schon das Leben unserer Ahnen. Ihre Alltagserfahrungen waren geprägt vom Wandel der Natur durch die Jahreszeiten, vom Sonnenstand und von den Witterungen. Aus dieser engen Bindung allen Lebens an die Natur erwuchs ein geschärfter Blick für die umgebende Lebenswelt und eine sensible Wahrnehmung für die unterschiedlichen Phänomene des Universums.

DAS WELTBILD UND DER GLAUBE UNSERER URAHNEN

Bereits die alten Kulturen beobachteten die Gestirne und deren Verlauf. Sie gestalteten mit Hilfe dieser Erkenntnisse ihr Alltagsleben und ihre Feierlichkeiten. So hat die Zeit um die Wintersonnwende die Menschen schon immer beschäftigt und bewegt und viele alte Sagen, Bräuche und Rituale entstehen lassen.

Schon tief in vorchristlicher Zeit, als im europäischen Raum zwei große Kulturen, die der Germanen und die der Kelten, eine Rolle spielten, waren die Tage der Sonnwenden die bedeutsamsten des gesamten Jahreslaufes. Seit jeher feierte man in der dunkelsten Zeit des Jahres, wenn im Zuge der Wintersonnwende der kürzeste Tag und die längste Nacht überwunden waren, die Wiedergeburt der Sonne und die Rückkehr des Lichtes auf die Erde.

Unsere heutige Kultur ist stark geprägt vom christlichen Glauben und dessen Feierlichkeiten und Festtagen. Das ist allerdings erst seit knapp 1500 Jahren der Fall. So begann im ausgehenden Frühmittelalter die Christianisierung der Völker und Stämme Mitteleuropas. Jedoch schon viele hundert Jahre vor diesen Geschehnissen, etwa seit der jüngeren Bronzezeit, verfügten die Kelten und Germanen bereits über ausgeprägte Glaubensvorstellungen, einen großen Götterreichtum und viele dazugehörige Feierrituale.

Da es nur sehr wenige Originalquellen und schriftliche Überlieferungen aus dieser Zeit gibt, ist es schwierig, exakte Aussagen über den Glauben unserer Vorfahren und deren Lebenswelt zu treffen. Unser bestehendes Wissen beruft sich meist auf Außendarstellungen antiker Autoren, vor allem römischer Schriftsteller, welche mit unserem heutigen Wissensstand nicht immer als bedingungslos glaubwürdig angesehen werden dürfen. Andere Aufzeichnungen basieren auf mündlichen Überlieferungen aus der Zeit der Christianisierung, wurden allerdings erst zu späterer Zeit verschriftlicht. Ein umfassender polytheistischer Glaube mit vielen Kultriten lässt sich durch archäologische Quellen vermuten. Das sind zum Beispiel ausgegrabene Kultorte, wie Opferplätze oder Tempelbauten, sowie diverse Kultobjekte, Amulette, Schmuck- oder Schnitzarbeiten.

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Zweifelsfrei erwiesen ist jedoch, dass sowohl Germanen als auch Kelten viele Götter, welchen jeweils ausführliche und differenzierte Merkmale und Aufgaben zugeschrieben waren, verehrten und eine ausgeprägte Vorstellung ihrer unmittelbaren Lebenswelt, der Unterwelt und der Jenseitswelt hatten.

Hinweise auf praktiziertes Brauchtum finden wir vor allem in Gesetzen, die ihren Ursprung während der Christianisierung hatten und sich gegen bestimmte alte Bräuche und Rituale richteten. Ein Beispiel lässt sich aus einem Erlass Karls des Großen von 782 anführen, welcher festlegte: »Wer Gelübde nach heidnischem Brauch an Quellen, Bäumen oder Hainen darbringt oder nach heidnischem Brauch opfert und ein Gemeinschaftsmahl zu Ehren der Götzen veranstaltet, zahlt als Edeling (Anm. als Edler) 60, als Friling (Anm. als Freier) 30, als Late (Anm. als Halbfreier) 15 sol. Und wenn er das Geld nicht hat, soll er es im Dienste der Kirche abarbeiten

Daraus lässt sich entnehmen, dass Quellen, Haine und Bäume bei den Germanen offenbar als Kultplätze eine wichtige Rolle spielten und dass Festmahle und Opferungen zu Ehren der vielschichtigen Götterwelt abgehalten wurden. Als charakteristischer Unterschied zu unserem heutigen Glauben, dem relativ jungen Christentum, wird bereits aus diesen wenigen Zeilen deutlich, dass für unsere Ahnen die Natur eine sehr bedeutsame Rolle bei der Ausübung ihres Glaubens und ihrer Rituale gespielt haben muss. Die Natur war nicht einfach nur von Gott geschaffen, sondern diente als Platz, um mit den Göttern selbst in Kontakt zu treten. Sie hatte ihre eigenen Funktionen, eine eigenständige Bedeutung und eine ureigene Kraft.

So war ein Baum nicht nur eine einzelne Pflanze, sondern ein von einem Geist beseeltes Wesen, welcher in Vereinigung mit anderen Bäumen in einem Hain zu einem mächtigen Kraftort wachsen konnte.

Eine Quelle war nicht nur Wasserspender, sondern ein kraftvoller, oft von einem Gott bewohnter Ort, an dem man mit der ganzen überirdischen Welt in Verbindung treten konnte. Meteorologische Erscheinungen wie Wind, Gewitter oder Regen waren keine Launen der Natur, sondern hingen unmittelbar mit dem Wirken oder den Gemütslagen der Götter zusammen. Sie wurden von den Menschen als Kontaktzeichen der Götter- zur Menschenwelt gewertet.

Und auch die Gestirne, allen voran Sonne und Mond, waren mächtige Wesenheiten, über deren Verlauf man ausführlich Bescheid wusste und deren Auftreten untrennbar miteinander in einem größeren Gesamtzusammenhang stand.

In unserer heutigen, weitestgehend entzauberten Zeit mag man diesen Vorstellungen mit einiger Skepsis entgegentreten. Betrachtet man die alten Überlieferungen allerdings mit etwas Feingefühl, wird schnell deutlich, dass es sich nicht nur um einen sinnlosen Aberglauben handelt. Vielmehr ging es um das Empfinden, eine Einheit mit der Natur und allen damit verbundenen Erscheinungen darzustellen und im Einklang mit den geheimnisvollen Kräften der Natur zu stehen. Unmittelbar mit dieser Erkenntnis verbunden war jedoch die Akzeptanz, dass man nicht alles verstehen oder gar beherrschen, aber mit dem nötigen Glauben stets für sich zum Guten wenden konnte.

Diese Gedankengänge liegen allen Bräuchen und Ritualen zu Grunde und sollten auch von uns in ihren Grundzügen nachempfunden werden können, wenn wir uns mit dem alten Brauchtumsschatz befassen.

Es sollte uns nicht darum gehen, einen Glauben zu verurteilen oder als unsinnig darzustellen. Vielmehr muss es von Bedeutung sein, das Bewusstsein wiederzuerlangen, dass alle alten Bräuche, welcher Religion oder welchem Kulturkreis sie auch entspringen mögen, tiefe Wurzeln haben. Diese Wurzeln verbinden uns immer mit der Natur, mit dem Unerklärlichen und mit unserer eigenen Vergangenheit. Es geht weniger darum, alles mit Kopf und Verstand nachvollziehen zu können, sondern vielmehr um ein Einlassen auf das Mythische und Spirituelle, das tief aus unserer Seele entspringt und uns alle mit unseren Ahnen und Urahnen verbindet. Vielleicht beruht das wiedererwachende Interesse an alten Bräuchen und Ritualen auf dem unbewussten Sehnen nach dem alten Wissen und Empfinden, von dem uns viel in unserer modernen Zeit verlorengegangen ist.

ALTES WISSEN, ALTE BRÄUCHE, ALTE FEIERLICHKEITEN

Die meisten unserer heutigen christlichen Feste sind datumsbezogen fast deckungsgleich mit den großen heidnischen Festen der Germanen und Kelten. Dies ist ein Überbleibsel aus der Zeit der Christianisierung, in welcher die Missionare den Menschen den »Übertritt« durch bereits Bekanntes und Vertrautes erleichtern wollten. Sie knüpften an altbekannte Festtage an, teilweise wurden gar die Grundgedanken beibehalten und nur der Name des entsprechenden Festtages geändert. Es erfolgte also vielmehr eine Uminterpretation der alten Feste als eine komplette Neuerfindung. Zeugen davon können wir auch noch in unserer heutigen Zeit finden. So sind zum Beispiel der Baum zu Weihnachten, Hase und Ei zu Ostern oder Verkleidungen zu Fasnacht nur stimmig zu erklären, wenn man sich dabei auf die heidnischen Rituale und Symbolik beruft.

Auf eindrückliche Weise lässt sich anhand der keltischen Feste im Jahreskreis nachverfolgen, wie sehr diese in unseren heutigen christlichen Feiertagen immer noch spürbar sind.

Die Unterteilung des Sonnenjahres erfolgte in acht »Hochfeste« und begann mit »Samhain«, welches in die Nacht vom 31. Oktober auf den 1. November fiel. »Samhain« stand gleichbedeutend für das keltische Neujahrsfest und war zugleich die Schwelle zur dunklen Jahreszeit. »Samhain« galt auch als einer der Zeitpunkte im Jahr, an dem die Tore »der anderen Welt« geöffnet waren und man mit deren Wesen in Kontakt treten konnte. Besonders wurde an diesem Festtag den Ahnen gedacht. Für sie wurde ein Platz an der Tafel mitgedeckt und sie waren eingeladen, einmal im Jahr am Mahl der Lebenden teilzuhaben.

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Es herrschte aber nicht nur besinnliche Eintracht, auch böse Geister trieben in dieser Nacht ihr Unwesen. Aus diesen Gedanken entstand der Brauch, vor die Häuser ausgehöhlte und mit einer Kerze bestückte Rüben oder Kürbisse zu stellen. Schauerliche Fratzen waren in sie geschnitzt, um ungebetene, übernatürliche Gäste abzuschrecken. Dieser Brauch ist auch heutzutage noch weit verbreitet. Wir finden ihn gehäuft an »Halloween« vor, einer Feierlichkeit, die ursprünglich von irischen Einwanderern in den USA als Pflege ihrer Traditionen und als Andenken an »Samhain« gefeiert wurde und seit den 1990er Jahren zunehmend auch in Europa bekannt wird. Das Christentum legte die beiden Feiertage Allerheiligen und Allerseelen um dieses Datum herum fest und übernahm ebenfalls die mythologischen Grundgedanken. So wird auch heute noch an diesen Tagen den Ahnen gedacht und die Gräber werden besonders schön geschmückt. Die enge Verknüpfung wird zudem deutlich, wenn man sich mit dem alten Volksglauben beschäftigt: An Allerseelen entstiegen die Toten dem Fegefeuer und hielten kurz auf der Erde inne, um alles Liebgewonnene noch einmal zu besuchen. Der Grundgedanke, dass diese Nacht gewissermaßen als ein Tor zur Anderswelt fungiert und eine seltene Gelegenheit darstellt, mit allerlei Übersinnlichem in Berührung zu kommen, hat sich also viele Jahre hindurch erhalten.

Als weiteres bedeutsames Fest im keltischen Jahreslauf lässt sich die Wintersonnwende, »Alban Arthan« genannt, ausmachen. Ihr Datum lag zwischen dem 20. und 23. Dezember. Damals schon wurde mit vielerlei Ritualen und unterschiedlichstem Zeremoniell das Ende der Dunkelheit und der Beginn der hellen und lichten Zeit durch die Wiedergeburt der Sonne gefeiert. Die länger werdenden Tage standen gleichbedeutend für die Entstehung neuen Lebens. Diese Symbolik wurde fast übergangslos im christlichen Glauben übernommen. Zwar ist unser heutiges Weihnachtsfest kurz nach den eigentlichen Tagen der Wintersonnwende, aber wir feiern ebenfalls die Rückkehr des Lichtes und der Hoffnung durch Christi Geburt.

Auf das heute gültige Datum der Wintersonnwende, den 21. Dezember, wurde übrigens der Tag des Apostels Thomas, der ebenfalls von einem reichen Brauchtumsschatz umgeben ist, gelegt. Dies geschah, da Thomas am längsten an der Auferstehung Jesu zweifelte und symbolisch in Nacht und Dunkelheit des Unglaubens verharrte, ehe auch er vom Glauben erleuchtet wurde.

Das Fest namens »Imbolc« war ebenfalls ein Licht- und Fruchtbarkeitsfest und fiel damals auf den 1. und 2. Februar.

Am 2. Februar feiert auch das Christentum »Mariä Lichtmess«. Dieser Tag markiert das endgültige Ende der Weihnachtszeit. Viele Bräuche, die zu Ehren des wiedererwachenden Lichtes ins Leben gerufen wurden, wurden bis in die jüngste Vergangenheit zelebriert. So zündete man früher in Haus und Hof Kerzen, Öllampen oder Talglichter an, um das zunehmende Licht zu begrüßen. Heute kennen wir zu Mariä Lichtmess noch die Weihe der Kerzen oder Lichterumzüge durch die Dörfer.

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An vierter Stelle der Feste im Jahreslauf wurde bei den Kelten »Alban Eiler« zwischen dem 20. und dem 23. März gefeiert. Dieser Zeitpunkt wurde gewählt, da er die Tag- und Nachtgleiche im Frühling markiert und somit endgültig der Beginn der Jahreszeit gefeiert werden konnte, in der die Helligkeit länger währt als die Dunkelheit. Die Göttin, der diese Feierlichkeiten gewidmet wurden, hieß Eostra oder auch Ostara und lässt somit leicht auf das Fest, welches im christlichen Kalender eine sehr bedeutende Rolle spielt, überleiten: Unser heutiges Osterfest fällt zwar nicht (immer) auf das gleiche Datum wie das damalige »Alban Eiler«, greift aber im Kern den Sinn sowie die Symbolik des ursprünglichen Ostara-Festes auf. Ostara stand für die Auferstehung der Natur und des neuen Ackerjahres und vor allem für die Fruchtbarkeit. Im Christentum feiern wir die Auferstehung Jesu und damit verbunden die Geburt der Hoffnung für die Erlösung der Menschen und die Überwindung des Todes durch das ewige Leben.

Als Symbolik für Fruchtbarkeit, welche auch bei verschiedenen Ritualen eine tragende Rolle spielten, galten seit jeher Eier. Schon der Göttin Ostara war ein Ei als Attribut zugeordnet, stellvertretend für das neu entstehende Leben, und Hasen, welche immer schon durch ihre hohe Paarungsfreudigkeit als Tiere des Lebens angesehen wurden. Bereits vor über tausend Jahren wurden zu Ehren der Göttin an ihrem Festtag Feuer entzündet und brennende Holzscheiben von den Bergen gerollt. In vielen Gemeinden ist es noch üblich, in der Nacht vor Ostern ein Feuer zu entzünden und dieses die Nacht hindurch brennen zu lassen. Davon entzündet der Priester in der Osternacht eine Kerze und trägt diese durch die Dunkelheit in die Kirche, um gemeinsam mit den Gläubigen die frohe Botschaft »Christus ist das Licht der Welt« zu feiern.

Chronologisch im Festtagskalendarium der Kelten weiter fortschreitend, treffen wir auf das Fest »Beltane«, welches in der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai gefeiert wurde. Dieser Feiertag war vermutlich dem Lichtergott »Bel« gewidmet und wurde erneut mit Fruchtbarkeitsriten und Freudenfeuern begangen. Vergleichbare Feierlichkeiten sind auch uns noch in der Nacht zum 1. Mai bekannt, allerdings unter dem Namen »Walpurgisnacht«, in Andenken an die heilige Walpurga. Ein reicher Volksbrauchtumsschatz rankt sich bis heute um diese Nacht.

An sechster Stelle im Kreise der Jahresfeste stoßen wir auf die Sommersonnwende, bei den Kelten »Alban Heffyn« oder auch »Litha Fest« benannt, welche einst zwischen dem 20. und 23. Juni gefeiert wurde. Dieser Festtag markierte den längsten Tag und die kürzeste Nacht im Jahr. Feierlichkeiten und Freudenfeuer wurden abgehalten, um die Fülle der Natur zu feiern, die zu dieser Zeit reiche Gaben zu bieten hat. Allerlei Mythen und Brauchtümer ranken sich seit jeher um diesen Tag. So sagt man, dass die Kräuter, die am längsten Tag des Jahres geerntet werden, über die größten Heilkräfte verfügen sollen. Das Ritual des Feuers hat sich bis in unsere heutige Zeit erhalten, wenn auch der Tag während der Christianisierung dem heiligen Johannes gewidmet wurde. Johannes der Täufer gilt als kraftvoller und bedeutender Heiliger, ihm zu Ehren entzünden wir in unseren Tagen nun die weit verbreiteten Johannifeuer.

Als ein weiteres Fest, welches nicht datumsgleich einem christlichen Hochfest zuzuordnen ist, dennoch aber einige Gemeinsamkeiten mit einem etwas später angesiedelten christlichen Fest aufweist, ist »Lammas« oder auch »Lughnasadh«. Dieser Feiertag wurde in der Nacht vom 1. auf den 2. August gefeiert, zu einer Zeit also, als die Natur zwar noch in voller Blüte stand und all ihren Reichtum darbot, aber dennoch schon der leise Hauch des nahenden Herbstes in der Luft lag. Noch einmal wurde der ganzen Pflanzenwelt gedacht, die Erntephase begann und man wurde für die Mühen der Saat im Frühjahr belohnt.

Zwei Wochen später, am 15. August, feiern wir in unserem christlichen Jahreslauf mit »Mariä Himmelfahrt« die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel. An diesem Tag werden in der katholischen Kirche Kräuterbüschel gebunden und in der Messe geweiht, welche das ganze Jahr über in den Stuben oder im Stall Glück und Gesundheit bringen sollen.

Als letztes Fest im keltischen Jahreslauf wurde »Alban Elved« zwischen dem 20. und dem 23. September als die Herbst-Tagundnachtgleiche gefeiert. Nun neigte sich die Waagschale wieder in Richtung der dunklen Zeit, die Tage wurden erneut kürzer und die Nächte länger und unheimlicher. Noch einmal wurde ausgelassen in großer Gemeinschaft gefeiert und der reichen und glücklich verlaufenen Ernte gedacht. Nach der Zeit der Arbeit konnte nun der Rückzug in das häusliche Leben erfolgen und man bereitete sich auf die langen, dunklen Nächte voller mystischer Wesen und Gestalten vor.

Unser heutiges Erntedankfest erfuhr lange keine Festlegung auf ein einheitliches Datum, erst seit Anfang der 1970er Jahre wird es am ersten Sonntag im Oktober gefeiert. Allerdings entspricht es in seinen Grundzügen und -gedanken sehr dem Fest unserer keltischen Ahnen. So gilt es auch bei uns als Abschluss des Bauernjahres und als Möglichkeit der Danksagung für die Früchte der Erde und für die menschliche Arbeitskraft.

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Nicht nur in unseren Feiertagen, auch in den Monats- und Wochentagsbezeichnungen ist die enge Verbindung zu Religion und Kult unserer Vorfahren anschaulich nachzuvollziehen.

Heutiger Monatsname

Monatsname nach alter Benennung

Erklärung

Januar

Hartung (Hartmond)

Zeit des hartgefrorenen Schnees, »hart« kommt hier aus dem Althochdeutschen und bedeutet so viel wie »viel«, »sehr«, d.h. viel Schnee, viel Kälte

Februar

Hornung

Zeit des »Horens« und der Fasnacht, »horen« = »sich paaren«

März

Lenzing

Zeit der länger werdenden Tage, Frühlingsmonat

April

Ostermond

Monat der Osterzeit/Ostara, Göttin des Lichtes

Mai

Wonnemond (Mai)

Zeit der Freude und Lust, Eintritt der Sommerwonne

Juni

Brachet (Pranget)

Zeit des Umbrechens der Brache, Äcker werden geschont; liegen brach, die Natur prangt, vor allem Blumen und Kräuter

Juli

Heuert (Heumond)

Zeit der Heuernte, die Wiesen werden gemäht, das Bauernjahr ist auf seinem Höhepunkt

August

Ernting

Zeit zum Einbringen der Getreideernte

September

Scheiding

Zeit des Scheidens, die Hochzeit im Bauernjahr

Oktober

Gilbhard (Herbstmond)

herbstliche Zeit des Welkens und Vergilbens in der Natur, Laubfall

November

Nebelung

Zeit des nebel- und windreichen Monats, Winterbeginn

Dezember

Julmond

Weihnachtszeit, Zeit des Julfestes und der heiligen Weiheoder Rauhnächte

Heutiger Wochentag

Wochentag nach alter Benennnung

Erklärung

Montag

Mondtag

dem Mond geweiht

Dienstag

Tiestag

leitet sich von Ties, Tiu, Tyr ab, dem Kriegsgott der Germanen

Mittwoch

Wotanstag

für Odin/Wotan

Donnerstag

Donarstag

für Thor, den mächtigen Donnergott

Freitag

Frijatag

ist Freya, Frija, Frigga, der Göttin für Schönheit und Liebe (Wotans Gemahlin) gewidmet; ihre Gestalt im Winter verschwimmt mit Frau Berchta oder Frau Holle

Samstag (Sonnabend)

Sambeth

Tag für Ambeth, eine der drei Bethen/(vgl. auch die drei Nornen) Ambeth, Wilbeth und Borbeth

Sonntag

Sonnentag

der Sonne geweiht

Brauchtum: Bei den drei Nornen handelt es sich in der nordischen Mythologie um die drei »Schicksalsschwestern, eine Entsprechung der »drei heiligen Frauen«, die in vielerlei Varianten zu finden ist und im Glauben und Aberglauben stets eine große Rolle spielen. Die Notwendigkeit ihrer Dreizahl spiegelt ihre drei wichtigen Aufgabenbereiche wider: Leben geben, Geschick zuteilen und beides zerschneiden, also zunichtemachen. Im deutschen Volksglauben wurden die drei Nornen zumeist umgewandelt in die drei Bethen. Sie werden bei schweren Geburten angerufen und stehen eng mit dem Lauf des »Schicksalrades« in Verbindung. So ist ein ihnen oft zugeordnetes Attribut das Spinnrad. In dem Gespinst der durch die Lüfte fliegenden Spinnennetze des Altweibersommers sieht man ihre langen, grauen Haare. Das Spinnverbot in den Rauhnächten wird oft mit der Arbeit der Nornen begründet: Nur ihre Schicksalsräder dürfen sich während dieser heiligen Nächte drehen, andere Räder würden Chaos in die neugesponnene Ordnung bringen.

Die enge Verbindung zwischen der Natur und unseren heutigen Feiertagen liegt also tief in den alten, mystischen Glaubenslehren unserer Vorfahren begründet. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass unsere Urahnen »Kinder des Waldes« waren und ein tiefes Empfinden für die ganze belebte Natur, für die Gestirne, für Berge, Wälder und Wasser hatten. So waren sie von Belangen bewegt, die auf die Vorgänge in der Natur, auf Sonne, Mond und Wind, Bäume, Felder und Feldfrüchte Bezug nahmen. Oder die sich an die Haustiere, an Hof, Stall und Feld knüpften sowie bestimmend für das Schicksal der Menschen und ihres Wirkungskreises waren. Haine und Lichtungen waren ihre Gotteshäuser, Quellen und markante Felsen ihre Kultstätten.

Eine erste Kunde des Christentums kam schon relativ früh, ungefähr gegen Ende des 2. Jahrhunderts nach Christus, mit den römischen Kaufleuten, Beamten, Söldnern und Soldaten über die Alpen in unsere Gegenden. Die eigentlichen ersten Missionierungsversuche gingen aber erstaunlicherweise nicht vom Süden, von Rom aus, sondern kamen aus dem Norden, nämlich aus Britannien, Irland und Schottland. Sie sind im 5. und 6. Jahrhundert nach Christus anzusiedeln.

Als die Christianisierung in den germanischen und keltischen Gebieten Europas zunehmend an Bedeutung gewann, konnten die Missionare die tief verwurzelten Bräuche, die das Leben der Menschen bisher geprägt hatten, nicht vollständig unterdrücken. Man versuchte deshalb, die alten Sitten und Gebräuche mit dem christlichen Glaubensgut anzureichern und zu ergänzen. Zudem wurden teilweise auf den alten Kultplätzen christliche Kapellen, Kirchen und Kathedralen errichtet.

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Lange nach dem Erlöschen der Kultur der Germanen und Kelten, noch bis ins letzte Jahrhundert hinein, spielten für unsere Vorfahren die alten Brauchtümer, Riten und Traditionen eine sehr bedeutende Rolle in ihrem Alltagsgeschehen, dem Jahresablauf und ihrem Lebenskreis. Zu einer Zeit, als die Verbindung zur Natur noch immer viel enger, selbstverständlicher und lebensnotwendiger war als in unseren heutigen Tagen, dienten sie oft zur Erklärung oder zum Schutz vor den unterschiedlichsten Naturgewalten und -phänomenen. Sie halfen, gefestigt im Glauben, den harten Arbeitsalltag zu überstehen, unbewusste Ängste und Sorgen zu überwinden, oder sich unerklärliche Schicksalsschläge und Erkrankungen begreifbar zu machen. Eingebunden in den Kreislauf der Natur und ohne die steten, teilweise belastenden Einflüsse unserer heutigen Zerstreuungsmedien und der dauerhaften Lichtüberflutung, war auch die Wahrnehmung und Empfindung noch ganz anders ausgeprägt. Die Witterung wurde genauestens beobachtet, die Gaben der Natur, Pilze, Beeren und Feldfrüchte, wurden dankbar gesammelt und in den täglichen Speiseplan eingebunden. Bei vielen Menschen war im Bereich der Pflanzen- und Kräuterkunde ein großer Wissensschatz vorhanden. Man kannte noch uralte Hausrezepte für allerlei Säfte und Tinkturen, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden und oftmals den Gang zum Arzt ersparten. Ebenso verstand man sich auf die Gesunderhaltung und Heilung des Viehs, selbst wenn damals vermeintlich noch nicht so viele Möglichkeiten zur Verfügung standen, wie in der heutigen Tiermedizin. Der Umgang mit den Tieren im Haus und Hof war ein ganz anderer als wir ihn heutzutage in Zeiten der Massentierhaltung leider vielerorts kennenlernen müssen. Man hatte noch einen Bezug zu seinen Tieren und war sich dem Wert eines jeden einzelnen bewusst. So ist es leicht verständlich, dass Natur und Tierwelt oftmals eine bedeutsame Rolle in den alten Sagen und Mythen, im Brauchtum und den Ritualen spielten. Es gab einzelne Rituale, die sich nur mit der Gesunderhaltung des Viehs beschäftigten. Auch der Bezug der Menschen zueinander war ein ganz anderer und ist in unserer heutigen Zeit, die oft geprägt ist von Egoismus und Einzelkämpfertum, nicht mehr so leicht nachvollziehbar. Zu Zeiten, als es noch eine starke Verbindung in den Dorfgemeinschaften gab, als man auf die Hilfe der anderen angewiesen war und im Gegenzug ebenso selbstlos half, wenn es erforderlich war, waren gemeinschaftliche Zusammenkünfte des ganzen Dorfes, von Jung und Alt, selbstverständlich. Vor allem an den dunklen Winterabenden, wenn die anstrengende Feldarbeit zum Stillstand kam, traf man sich in den holzbeheizten Stuben, musizierte oder handarbeitete zusammen und lauschte den alten Geschichten. Wenn draußen der hohe Schnee lag und der Wind durch die Bretterritzen der Holzhäuser pfiff, war die beste Gelegenheit, zur Ruhe zu kommen, das Geschehene zu verarbeiten und die Weichen für das neue Jahr zu stellen. Es boten sich Ruhestunden zur Besinnung, zum Hineinlauschen in sich selbst, aber auch zur Kontaktaufnahme mit der Welt der Geister- und Naturwesen. Die langen, dunklen Abende am Ende des Jahres luden geradezu dazu ein, im Kreise der Familie verschiedene Rituale und Orakelmöglichkeiten auszuprobieren und gestärkt in das neue Jahr zu blicken.

Und so waren die Winternächte, insbesondere die Zeit zwischen den Jahren, die Rauhnächte, seit jeher erfüllt von allerlei Zauber und Hoffnung, aber auch von wilden Gestalten, düsteren Sagen und einem allgemeinen Gefühl der besonderen Aufmerksamkeit und Spannung. Es mag uns heute schwer fallen, nachzuvollziehen, wie die langen, düsteren und nebelerfüllten Nächte auf die Seelengestimmtheit der Menschen einwirkten. Dennoch ist noch immer spürbar, dass die Tage rund um die Wintersonnwende auch eine Wende im allgemeinen Empfinden markieren.

Vieles hat sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert. Manche alten Bräuche, die noch bis ins 20. Jahrhundert hinein eine große Bedeutung hatten, sind heute zum Teil nur noch aus der Literatur bekannt oder ganz in Vergessenheit geraten. Vor allem in der bäuerlichen Lebenswelt sind viele grundlegende Veränderungen eingetreten. Durch den Einzug der Modernisierung auf den Höfen verloren viele der alten, eng mit dem Jahreslauf verbundenen Traditionen ihren Sinn und wurden abgeschafft. Religion und Glaube nehmen in unserem heutigen Alltagsleben zumeist keinen so hohen Stellenwert mehr ein, wie es noch vor wenigen Jahrzehnten der Fall war. Auch der alte Aberglaube hat sich grundlegend gewandelt, da das meiste in unserer modernen Welt wissenschaftlich erklärbar geworden ist und dem Übersinnlichen nur noch wenig Bedeutung zukommt. Bis zu einem gewissen Grad ist es auch heute noch ein nachvollziehbarer Wunsch, durch verschiedene Orakelbräuche einen Einblick in die eigene Zukunft zu erhalten oder durch unterschiedliche Rituale den Alltag zu bereichern.

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Natürlich kann diese kleine historische Zusammenfassung nur einen rudimentären Einblick in die alten Kulte und Feierlichkeiten, Riten und Rituale bieten. Dennoch wird bereits durch diese kurze Betrachtung nachvollziehbar, dass Brauchtum immer etwas ist, das sich über viele Generationen hindurchzieht und dabei manchmal im Laufe der Jahre ergänzt oder »weiterentwickelt«, nie aber völlig verändert wurde. Hinter dem Brauchtum und den Traditionen steckt immer ein uralter Gedanke und eine tiefe Verbindung zur Natur, zur Tierwelt und zum Leben, sowohl zu dem eigenen als auch zu dem der Ahnen.

Lassen wir also kurz den Gedanken auf uns wirken, dass in vielen unserer heutigen Feste, welche für uns unverzichtbar zum Glauben und zum Jahreslauf gehören, alte Wurzeln und Rituale stecken. Diese haben sich über viele Jahrhunderte hindurch erhalten und bereits vor mehr als 2000 Jahren die Herzen der Menschen erfüllt. Gleichermaßen handelt es sich bei den überlieferten Ritualen und Brauchtümern nicht nur um einen leichtfertigen Aberglauben oder erdachte Fantasiegebilde. Hinter jedem einzelnen steckt eine tief verwurzelte Bedeutung, verbunden mit einem starken Glauben und einer Ehrfurcht vor dem Leben und der ganzen Natur. Die alten Bräuche, Riten und Traditionen können also als Teil eines universellen Gedankengutes gewertet werden, welches in uns allen ruht und aus welchem wir Seelenruhe, Lebensmut und ein tiefgreifendes Verständnis für die gesamte Lebenswelt schöpfen können. Besonders hoch konzentriert spürbar werden diese Erkenntnisse in der Zeit um die Rauhnachtstage. Wir werden uns nach und nach auf die Fährte begeben und das leise, geheimnisvolle Raunen des Unerklärlichen gemeinsam ein wenig deutlicher werden lassen.

Mit diesem Hintergrundwissen können wir dem Themenkreis rund um die Rauhnächte mit noch größerer Vorfreude, vielleicht gepaart mit etwas Ehrfurcht, entgegentreten.

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ORAKEL, RITUALE UND MYTHEN DER VERGANGENHEIT

Auch bei den unterschiedlichen Ritualen und Orakelmöglichkeiten lässt sich eine weit zurückreichende Geschichte ausmachen. Seit jeher waren die Menschen davon bewegt, die Zukunft zu ergründen und somit das eigene Schicksal aktiv mitzugestalten. Egal ob es darum ging, dem künftigen Liebsten zu begegnen oder die Ernte des nächsten Jahres abschätzen zu können.

In den uralten Kulturen waren Priester oder andere religiöse Kultpersonen für die öffentliche Ausübung magischer Rituale verantwortlich. Dennoch existierte auch zu diesen Zeiten schon eine Art »Volksmagie«. So glaubte man vielfach an Schutzzauber und Amulette, unterschiedliche Zaubersprüche wurden genauso hoch gehandelt wie greifbare Kräuter und Heilmittel. Allgemein herrschte ein großer Glaube an vielfältige magische Handlungen, anhand derer etwas Gutes herbeigeholt, etwas Schlechtes abgewehrt oder ein kurzer Blick in die Zukunft geworfen werden konnte.

Orakelstätten sind uns aus vielen der alten Kulturen geläufig, am bekanntesten ist hierbei sicherlich das Orakel von Delphi im antiken Griechenland. Der Begriff »Orakel« leitet sich von (lat.) »orare« = »sprechen, beten« ab. Somit ist ein »Oraculum« also ein »Ausspruch« (von einer höheren Instanz) oder ein »Götterspruch«. Dies lässt sich auch auf das Orakel von Delphi übertragen. An dieser bekannten Weissagungsstätte wirkte die Hohepriesterin Pythia und empfing dort Feldherren und Herrscher, welche sich mit strategischen Fragen an sie wandten. Der Ablauf des Orakels folgte immer einem gleichbleibenden Ritual: Zuerst nahm die Priesterin nackt ein Bad in der Quelle Kastalia, um kultisch rein zu sein, und trank dann einen Schluck heiligen Wassers aus der Quelle Kassotis. Daraufhin versetzte sie sich in einen Trancezustand und beantwortete die Fragen der Klienten mit, teils rätselhaften, Entgegnungen.