Cover

Was die Welt in gold’ne Bücher schreibt
macht nicht wirklich reich,
aber die Liebe bleibt …

In liebevoller Erinnerung an Hans Christian
(19.12.1937 – 10.2.2014)

Ich danke meinem Hans Christian für die Liebe, die er mir geschenkt hat, für die Geduld, die ich durch ihn gelernt und die Kraft, die ich durch ihn gewonnen habe. Die Erinnerungen an die glücklichste Zeit meines Lebens mit meiner großen Liebe werde ich nie vergessen.

Dr. Beate Forsbach
mit Senta

Inhalt

Einleitung

Die Trauer ist ein ungebetener Gast

Traurigkeit

Abschied

Wenn morgen mein letzter Tag wäre – Gedenken an Hans Christian

Hans Christians letzter Tag

Exkurs: Die letzte gemeinsame Zeit

Soll man sich auf den Todesfall vorbereiten?

Das Leben feiern

Dankbarkeit für das Leben – auch ganz am Ende

Emotionaler Ausnahmezustand

Klarheit schaffen

Sachen loslassen

Erste Reaktionen der anderen

Beerdigung

Reaktionen und Nicht-Reaktionen der anderen

Fragen – Schuldgefühle

Trauer und Erinnerung

Emotionale Bedürftigkeit

Brief an eine Freundin

Kochen und Essen für zwei

Immer wieder Dinge loslassen

Die ersten Festtage ohne Dich

Unser 13. Hochzeitstag

Ostern – ohne Dich

Geburtstag mit Rosen

Trösterin Musik

Einmal leben

Wieder glücklich leben

Beethoven – weißt du noch?

Das Konzert – durch Schmerz zum Glück

Weihnachtszeit ohne Dich

Ewigkeitssonntag

Erster Advent – ohne Dich

Hans Christians Geburtstag

Weihnachten – ohne Dich

Hat alles seine Zeit: Ein Jahr ohne Dich

Aber die Liebe bleibt

Friedhofsbesuche

Verloren zu gehen hilft dir, neue Wege zu finden

Ostern – ein Zukunftsfest

Meine Wunschliste

Reisen ohne Dich

Eine kleine Reise nach Bamberg

Perspektivenwechsel

Weihnachten in Seefeld

Mein Hund als Trauerbegleiter

Senta & ich

Eine glückliche Mensch-Hund-Beziehung

Mein Sessel

Willkommen im Leben!

Wie das Meer uns tröstet

Die Unendlichkeit des Meeres

Ein neuer Kraftort

Erinnerungen – Leben ist jetzt und hier

Abschied für immer

Das Meer gibt uns Kraft und Energie

Bühne des Lebens

Die Liebe hört niemals auf

Annäherungsversuche

Verwandte und Freunde

Fehmarnscher Klönschnack

Schmerzhafte Erinnerungen

Neubeginn

Die Kapitänin

Sich auf den Weg machen

Die Magie von Armentarola

Eine Reise zu mir selbst

Dankbarkeit

Mein neues Leben ohne Dich

Mut zum Leben

Immer wieder loslassen

Leichter leben

Dankbarkeit und glückliche Erinnerung

I Can Do It

Ewiges Leben – Ewige Liebe

Gibt es sie, die ewige Liebe?

Die Liebe hört niemals auf. Was ist das, die ewige Liebe?

Was aber ist das ewige Leben?

Epilog

Literatur

Zur Autorin

Danke

Einleitung

Am Abend des 10. Februar 2014 schrieb ich einen kurzen Blogartikel, um unsere Freunde und Bekannten darüber zu informieren, dass mein Mann an diesem Tag verstorben war. Was ich nicht erwartet hatte, war eine Flut von Kommentaren – Menschen aus unserem Umfeld und mir völlig Fremde bekundeten ihre Anteilnahme. Acht Tage später – nach vielen Gesprächen und nach der Beerdigung – schrieb ich einen weiteren Blogartikel Hans Christians letzter Tag. Hierbei erlebte ich noch einmal den schlimmen Tag auf der Intensivstation und empfand tiefe Gefühle. Nach dem Schreiben fühlte ich mich befreit und begann, das Geschehene zu verarbeiten.

Die Reaktionen auf meinen Blogartikel zeigten mir, dass auch viele andere Menschen das Bedürfnis hatten, ihre Gedanken und Gefühle auszudrücken. Und so schrieb ich in der Folgezeit weitere Texte, um meine Gefühle zum Ausdruck zu bringen und mich an unsere gemeinsame Zeit zu erinnern. Einige Monate später schrieb ich an einem doppelten Gedenktag, es war unser 18. Kennenlerntag – gleichzeitig war mein Mann genau acht Monate tot. Wieder glücklich leben nannte ich diesen Text – und ich spürte deutlich, wie meine seelische Gesundheit allmählich wiederhergestellt wurde.

In meinem Umfeld gab es mehrere Frauen, die ebenfalls ihren Mann nach einer längeren Pflegezeit verloren hatten. Durch ihre Reaktionen und Dankesschreiben erfuhr ich, dass ich mit meinem Schreiben nicht nur mir, sondern auch ihnen geholfen hatte. Ich beschloss, ein Buch zu schreiben für Trauernde, die so wie ich ihren Partner nach einer langen Kranken- und Pflegezeit verloren haben. Ich beschreibe darin meinen Weg durch das erste Trauerjahr, in dem ich begann, mein neues Leben zu genießen und wieder glücklich zu sein. Über dieses Jahr hinaus habe ich weitere Blogartikel geschrieben. Am vierten Todestag meines Mannes erschien der vorerst letzte Text in dieser Reihe: Ewiges Leben – ewige Liebe. Und nun ist es endlich an der Zeit, dass ich das Buch publiziere, denn vor wenigen Tagen hat sich der Todestag meines Mannes zum fünften Male gejährt.

Es war nicht ganz einfach für mich, dieses Buch zu schreiben. Denn Heilung braucht Zeit. Heilung ist ein Vorgang, der auf Wohlergehen, Ganzheit und Glück gerichtet ist. Schreiben ist eine gute Möglichkeit der Selbstheilung, wie ich selber in dieser Lebensphase der Trauer erlebt habe. „Schreib es dir von der Seele“ ist eine Redensart, die genau dieses Phänomen trifft. Wenn wir über uns, unser Leben, unsere Gefühle schreiben, dann sorgen wir für unsere seelische Gesundheit.

Bei einem Strandspaziergang im letzten Sommer bekam ich zwei frisch gefangene Schollen geschenkt, habe sie zu Hause gleich gebraten und im Freien genossen mit Gurkensalat und Kartoffeln – es war ein altbekannter Geruch und vertrauter Geschmack sowie ein Gefühl großen Glücks: Denn beim letzten Abendessen mit meinem Mann ganz kurz vor seinem Tod hatte es dieses Gericht gegeben und ich hatte es schon lange nicht mehr zubereitet. An diesem Sommertag jedoch empfand ich nur noch Glück und spürte keine Trauer mehr. Für mich war es auch ein Zeichen, endlich dieses Buch fertigzustellen.

Dieses Buch widme ich Maren W., sie hatte es schon lange bestellt. Und sie hat mehrfach nachgefragt, ob es wohl noch erscheint. Soviel ich weiß, hatte sie ihren Mann verloren, der an Alzheimer erkrankt war.

Ich wollte dieses Buch schon viel früher fertigstellen, denn viele Texte waren ja bereits in meinem Blog veröffentlicht. Dazu bekam ich viel Resonanz, auch waren gerade mehrere Frauen in meinem Bekanntenkreis Witwe geworden. Viele riefen mich an und hofften darauf, dass ich ihnen bei ihrer Trauerbewältigung helfen konnte. Das aber erschien mir kaum möglich, denn ich war ja selber noch mittendrin in der Trauer.

Dann dachte ich, dass ich die Trauer überwunden hätte, und machte mich mutig daran, dieses Buch zu schreiben. Aber es kamen plötzlich ganz andere Phasen, wie aus heiterem Himmel war die Trauer wieder da.

Es erschien mir fast unmöglich, dieses Buch zu schreiben. Wäre Maren W. nicht gewesen, hätte ich das Projekt vielleicht aufgegeben. Doch im November 2017 hatte ich erstmalig das Gefühl, dass ich ganz zu mir selber gekommen war und die Trauer um meinen Mann vollständig überwunden hatte. Na ja, fast vollständig. Nach langer Zeit war ich wieder mal auf dem Friedhof gewesen, mit Senta, meiner Berner Sennenhündin. Zum ersten Mal war ich nicht so tief berührt, als ich am Grab stand, und auch Senta beschnüffelte es wie all die anderen Gräber. Denn unser Ort der Trauer liegt inzwischen ganz woanders: am Strand von Fehmarnsund, wo sich mein Hund und ich fast täglich hinhocken und zum Horizont blicken, dahin, wo mein Mann Hans Christian und Sentas Herrchen jetzt ist. Ich sage immer zu Senta, dass ihr Herrchen zu uns schaut und sich freut, weil es uns so gut geht – und oft scheint dann gerade die Morgensonne auf das Meer.

Inzwischen haben sich schon einige Menschen aus meinem Umfeld dort – hinter dem Horizont – versammelt. Genau an dieser Stelle am Strand erreichte mich am 30. August 2017 die Nachricht, dass die Autorin und Verlegerin Louise Hay, mein Vorbild, verstorben war. Ich konnte es kaum glauben, hatte ich sie doch für fast „unsterblich“ gehalten. Doch nun war sie dort, wo auch Hans Christian und meine Mutter sind: im Land hinter dem Horizont. Und das tröstete mich sehr, denn so würde sie meinen Lieben dort sicher viel Kraft und Zuversicht vermitteln. Immerhin ist sie fast 91 geworden.

Mein ehemaliger Deutsch-, Philosophie- und Englischlehrer und späterer Chef und Schulleiter war im März 2017, kurz nach seinem 95. Geburtstag, verstorben. Auch er würde also jetzt bei meinem Mann sein und bei meiner Mutter, die er sehr gut gekannt hatte. Er war für mich seit fast 50 Jahren wie ein Vater gewesen, und nach seinem Tod traf mich ganz unvermittelt wieder eine heftige Trauerphase. Diese konnte ich aber recht schnell überwinden mit der Vorstellung, dass alle diese geliebten Menschen aus meinem Lebenskreis nunmehr dort, im Land jenseits des Horizontes, versammelt wären. Denn jeder Verstorbene wird ja auch zu einem unserer Schutzengel, und so habe ich inzwischen eine ganze Schar von Schutzengeln. Immer wieder heißt es in den Affirmationen von Louise Hay: Ich bin beschützt. Ja, so fühle ich mich auch: beschützt, in Sicherheit, und überhaupt nicht allein. Ich bin mir selbst am nächsten, und meine Senta ist eine treue Kameradin, die mich auf fast allen Wegen begleitet.

Auch Sentas Mama Susi ist inzwischen über die Regenbogenbrücke gegangen. Sie sah genauso aus wie Senta und kannte meinen Mann. Bei einem Welpentreffen hatte sie neben dem Rollstuhl meines Mannes gesessen, wie um ihn zu behüten. Nun glaube ich, dass sie bei meinem Mann ist, damit er dort, wo er jetzt ist, keine Angst mehr haben muss – und immer ein „Hündchen“ bei sich hat.

Die Zeit heilt alle Wunden, so sagt man. Aber ist es wirklich so? Ich konnte zumindest feststellen, dass im Laufe der Zeit meine Gefühle der Trauer um meinen verstorbenen Mann viele verschiedene Ausprägungen angenommen haben. Unvermittelt spürte ich manchmal eine Phase starker Trauer, wenn ich schon dachte, alles überstanden zu haben. Dann wieder folgten Phasen der Liebe, der Dankbarkeit, und der Erinnerungen.

Ein Freund schickte mir diese Worte eines unbekannten Autors, deren tröstliche Perspektive mir Kraft und Mut gaben:

Die Trauer ist ein ungebetener Gast

Eines schönen Tages klopft sie an Deine Tür

und fragt nicht erst, ob sie hereinkommen darf,

sondern sie setzt sich mitten in Dein Wohnzimmer

und macht es sich bequem und gemütlich.

Am Anfang denkt man sich, nun gut,

irgendwo muss sie ja sein

und bleibt gastfreundlich.

Dann kommt der Punkt, wo man sich denkt,

nun könnte sie aber mal langsam wieder gehen

und versucht, mit allerlei diplomatischen und

weniger diplomatischen Mitteln,

sie dazu zu bringen,

aufzustehen und sich zu verabschieden,

weil man gern mal wieder für sich sein möchte.

Aber nein, sie hockt da, stumm und unversöhnlich

und bewegt sich keinen Fleck.

Man versucht sie rauszuzerren, rauszuekeln –

aber sie sitzt da einfach.

Jeden Tag versucht man es wieder,

doch wie ein Sack nasser Zement thront sie auf Deinem Sofa,
schaut Dir die ganze Zeit über die Schulter.

Du fühlst Dich beobachtet und unwohl – aber sie sitzt da einfach.

Und schweigt.

Und wartet.

Und Du weißt nicht mal worauf, geschweige denn wie lang.

Und noch ein Tag und noch ein Versuch, sie zum Gehen zu bewegen.

Herrgott, in unserer modernen Welt muss es doch möglich sein, der Lage Herr zu werden!

Aber nein, dieses Ding hockt da wie eine Spinne im Netz
und wartet.

O.k., raus will sie nicht.

In Deinem Wohnzimmer ist zu wenig Platz.

Also fängst Du an, Dich an sie zu gewöhnen.

Stellst den Tisch ein bisschen weiter da und

den ein bisschen weiter dort –

und nun sitzt sie zwar noch immer da,

aber nicht mehr in der Mitte.

AHA – denkst Du Dir!

Ich kann sie nicht zum Gehen bewegen –

aber ich kann mich um sie herumbewegen.

Ein bisschen Möbel umstellen, ein bisschen Perspektive wechseln

und schon sieht sie nicht mehr so bedrohlich aus.

Tatsächlich kannst Du sogar um sie herumgehen

und sie von hinten anschauen

unspektakulär …

Weitere Tage vergehen

und sie setzt schon langsam Staub an,

bis sie sich plötzlich wieder mal schüttelt,

eine Trauer-Staubwolke aufsteigt und Dich einhüllt.

Du stellst den Tisch noch ein bisschen mehr dort

und den Stuhl noch ein bisschen mehr da,

und auf einmal ist sie nur noch der Rand Deines Wohnzimmers

und nicht mehr das Zentrum.

Aber sie sitzt noch immer da.

Manchmal wirft sie Dir einen vorwurfsvollen Blick zu und Du fühlst Dich versucht, sie wieder in die Mitte auszurichten.

Manchmal schüttelt sie sich und hüllt Dich in eine Staubwolke …

Aber irgendwann ist sie so eins geworden mit Deinem Wohnzimmer,

dass Du sie nicht mal mehr siehst,

außer wenn sie sich grad schüttelt.

Und so hast Du aus der Not eine Tugend gemacht

und dank dem ungebetenen Gast,

der nicht mehr gehen wollte,

eine ganz neue Perspektive in Dein Leben gebracht.

Und würde man nun die Trauer

aus Deinem Wohnzimmer entfernen –

so würde ein hässlicher, kahler Fleck bleiben,

weil da auf einmal etwas fehlt.

Traurigkeit

Traurig war ich schon lange. Mein Mann war lange krank gewesen und ich hatte ihn gepflegt. Nach und nach hatte er alle seine Fähigkeiten verloren. Nicht nur die besonderen Fähigkeiten – er war ein exzellenter Schachspieler, konnte mehrere Sprachen fließend sprechen und sich in weiteren Sprachen verständigen, er liebte die Philosophie, die Musik und die Literatur, Bücher, Konzerte und Fernsehkrimis, er war Chemie- und Mathematiklehrer am Gymnasium und später leitender Schulaufsichtsbeamter im höchsten Amt.

Der Tag, an dem wir feststellten, dass er nicht mehr lesen und schreiben konnte, war ziemlich schlimm für uns beide. Später ließen auch andere Fähigkeiten nach, er wurde ein Pflegefall in der höchsten Pflegestufe. In der Übergangszeit war er oft sehr deprimiert und wollte nicht mehr leben, aber als er später von netten Pflegekräften, Therapeuten und Ärzten behandelt wurde, kamen sein Humor, seine Freundlichkeit und seine Dankbarkeit wieder zum Tragen; ja, und auch sein Optimismus, denn nun wollte er 100 Jahre alt werden.

Ich war traurig, weil ich Abschied nehmen musste, während mein Mann noch da war. Abschied nehmen von einer großartigen Persönlichkeit, der großen Liebe meines Lebens. Mein Mann hatte es geschafft, mich nach 45 Jahren Leben als Single zu überzeugen, ihn zu heiraten. Er liebte das Leben und hatte eine große Lebensfreude, obwohl er als Kriegskind (Jahrgang 1937) Schlimmes erlebt hatte. Das Schlimmste war für ihn gewesen, dass sein Vater gefallen war, als er gerade sechs Jahre alt war. Seine Liebe zu den Menschen und auch zu den Tieren war unermesslich.

Heute weiß ich, dass sich durch mein Zusammenleben mit Hans Christian mein unerschütterlicher Optimismus, mein Glauben an das Leben und meine Liebe zum Leben ausgeprägt haben.
Diese Anlagen hatte ich schon von meiner Mutter geerbt,
und so konnten sie sich weiter entfalten.

Ich war sehr traurig gewesen, seit wir etwa 14 Monate vor Hans Christians Tod bei einem Psychologen waren, der ihm beibringen wollte, negative Gefühle durch positive zu ersetzen. Mein Mann wollte die Übungen nicht machen, und so machte der Psychologe sie mit mir.

Zuerst sagte ich, dass ich keine negativen Gefühle hätte – ich hatte während der gesamten Pflegezeit das positive Denken trainiert, war immer voller Hoffnung und Zuversicht. Denn mein Mann spürte bis zum Schluss vor allem die Gefühle der anderen Menschen, die Atmosphäre, die um ihn herum herrschte.

Ich sagte also dem Psychologen, dass ich traurig sei, weil ich Abschied von meinem Mann nehmen musste, während er noch da war. Und er zeigte mir eine Technik, um diese Gefühle durch positive Gefühle zu ersetzen.

Mein zweiter negativer Gedanke war, dass meine Lebensperspektive sehr stark eingeschränkt war, denn ich konnte meinen Mann, der ja zu Hause gepflegt wurde, nie länger als ein paar Stunden alleine lassen, schon gar nicht über Nacht. Manchmal hatte ich das Gefühl, mein Leben sei schon zu Ende.

Denn wir hatten ja auch eine junge Berner Sennenhündin. Senta war im ersten Sommer zu uns gekommen, als wir hier in unserem Haus mit Garten in einem Dorf auf Fehmarn wohnten. Mein Mann hatte sich immer ein „Hündchen“ gewünscht, und nun, als wir wegen seiner Erkrankung und Pflegebedürftigkeit ein Haus gekauft hatten, war Senta bei uns eingezogen.

Wir hatten noch nie einen Hund gehabt, und so war die erste Zeit mit dem Welpen eine Zerreißprobe für meine Geduld gewesen – ich pflegte meinen Mann, hatte gerade einen Verlag gegründet und nebenbei all die ungewohnte Arbeit in Haus und Garten erledigt.

Erst später waren private Pflegekräfte zu uns gekommen, aber das machte unser Leben nicht einfacher. Ich fühlte mich noch mehr „angebunden“, der Hund wollte nicht im Auto mitfahren und so konnte ich auch nicht mal eben zum Strand fahren, um neue Energie zu tanken.

Kurz nach dem Besuch bei dem Psychologen entdeckte ich die Bücher von Louise Hay. Ich las fast alle ihre Bücher, und so trainierte ich im letzten Lebensjahr meines Mannes das positive Denken, denn ich brauchte sehr viel innere Kraft, um diese Situation durchzuhalten und immer fröhlich und optimistisch zu bleiben.

Gleichzeitig entdeckte ich, dass Louise Hay mit 58 Jahren ihren Verlag Hay House gegründet hatte, der inzwischen über 30 Jahre besteht und der größte Selbsthilfeverlag Amerikas ist. So nahm ich sie mir zum Vorbild. Ihre Bücher und Affirmationen halfen mir in den kommenden Jahren, mit allem fertig zu werden, was das Leben mir auferlegte.

Es war sicher wichtig, dass mir meine Traurigkeit schon im letzten Lebensjahr meines Mannes bewusst wurde, so konnte ich aktiv damit umgehen.

Die Traurigkeit war ein erster Schritt auf meinem Weg zur Akzeptanz und zum Neuanfang.

Trotzdem hatte ich nicht damit gerechnet, dass mein Mann so bald sterben würde. Noch eine Woche, bevor er ins Krankenhaus kam, wo er dann zwei Tage später verstarb, war ein Vertreter aus einem Rehashop da, der uns ein Laufgerät und einen Lifter vorführte. So gerne wollte ich doch, dass mein Mann aus seiner Hilflosigkeit befreit wurde.

Die Hoffnung, dass es wieder besser werden würde, für ihn und für mich, half mir über diese schwere Zeit hinweg. Aber das Grundgefühl der Traurigkeit war immer da – es war mir völlig klar, dass es nie wieder so werden würde wie in der ersten Zeit unserer Beziehung.

Für meinen Mann war ich die dritte Ehefrau und seine ganz große Liebe – die Liebe seines Lebens. Und er war für mich die Liebe meines Lebens. Mein Leben ist antizyklisch verlaufen zu dem einer „Normal-Frau“. Ich war mit meinem Beruf als Studiendirektorin für Mathematik und Musik erfolgreich gewesen, und gesegnet mit vielen Kindern und Jugendlichen. Nach 45 Jahren hatte ich mein Leben als Single aufgegeben. Ich verließ den Schuldienst und wurde Hausfrau. Vor allem aber wurde ich Ehefrau – und mit unserer Hochzeit im Jahr 2001 hatte die schönste Zeit meines Lebens begonnen.

Nun aber war dieser Lebensabschnitt zu Ende. Schon lange war ich traurig gewesen, obwohl mein Mann noch da war.

Abschied

Es gab einige Anzeichen, dass es ihm nicht gut ging, und so wies unser Hausarzt ihn in die Klinik ein, um ihn untersuchen zu lassen. Ich hatte das nie gewollt, war aber diesmal damit einverstanden. Heute glaube ich, dass meine Intuition mir signalisiert hatte, dass er nicht mehr lange leben würde – ich wollte es nur nicht wahrhaben.

Für das Krankenhaus schrieb ich eine Art „Gebrauchsanleitung“ für meinen Mann. Die Schwestern auf der Privatstation hatten mir versichert, dass ich nicht immer anwesend sein müsste. Also schrieb ich alles auf, was für den täglichen Ablauf und seine Pflege wesentlich war.

Es dauerte lange, bis der Krankenwagen an diesem Samstag kam – mein Mann war ja für einen normalen Krankentransport angemeldet und nicht als Notfall. Die Pflegerin war gekommen an diesem Morgen, um mich zu unterstützen. Mein Mann saß in seinem Rollstuhl vor unserem Flügel, ich daneben und hielt seine Hand. Unsere Berner Sennenhündin Senta saß dabei, bis ich sie in die Küche einsperrte. Ich befürchtete, dass sie aufgeregt wäre, wenn mein Mann in den Krankenwagen gehoben würde.

Wie oft habe ich später ein schlechtes Gewissen gehabt und mir Vorwürfe gemacht – einmal, weil ich den geliebten Hund weggesperrt hatte in der letzten Stunde, die mein Mann in unserem Haus verbrachte. Und auch, weil ich nicht noch einmal mein Lieblingsstück, das Impromptu in As-dur von Franz Schubert auf dem Flügel gespielt hatte. Dabei hatte ich doch ganz deutlich verspürt, dass es offenbar sein letzter Tag sein würde.

Ich hatte daran gedacht, einen Blog zu dem Thema zu schreiben. Aber es war doch gar nicht Hans Christians letzter Tag – dachte ich. Im Krankenhaus erfuhr ich nach der Aufnahmeuntersuchung, dass er sofort auf die Intensivstation musste. Dort verstarb er dann am übernächsten Tag.

An diesem Abend schrieb ich den geplanten Blogartikel, um unsere Freunde und Bekannten zu informieren.

Wenn morgen mein letzter Tag wäre – Gedenken an Hans Christian

Hans Christian ging es schlecht in der letzten Zeit. Letzten Donnerstag hatten unser Hausarzt und ich beschlossen, ihn ins Krankenhaus zu bringen, um ihn untersuchen zu lassen.

Am Freitag schaffte ich es in letzter Minute, im Fischladen am Hafen frischen Fisch einzukaufen. Später weckte ich meinen Mann und wir fuhren hinunter in die Küche. Er mochte heute keinen Sherry, mit dem wir bisher jeden Abend „auf den schönen Tag“ angestoßen hatten. So stießen wir am Freitag mit einem Glas Wasser an.

Dann bereitete ich das Abendessen – lecker gebratenes Dorschfilet, Kartöffelchen und Gurkensalat. Wir hörten Musik und aßen bei Kerzenschein in schöner Atmosphäre. Obwohl er in letzter Zeit kaum noch schlucken konnte, genoss er das leckere Abendessen.

Und mir kam der Titel eines Buches von Ulrike Scheuermann in den Sinn: Wenn morgen mein letzter Tag wär – So finden Sie heraus, was im Leben wirklich zählt

Ich dachte mir, dafür brauche ich kein Buch – denn ich hatte intuitiv das Richtige getan. Schön gekocht und mit ihm in harmonischer Atmosphäre zusammen gesessen. Ich hatte ihn früh ins Bett gebracht, weil er am Samstag ins Krankenhaus sollte.

Dann hatte ich einen gemütlichen Abend bei einem Glas Rotwein und Kerzenschein auf dem Sofa verbracht. Unsere Berner Sennenhündin Senta lag mit auf dem Sofa und schmuste wie noch nie. So ein Hund spürt einfach, was los ist. Ich schaute die NDR-Talkshow an und ging zufrieden ins Bett.

Ich dachte daran, einen Blog zu dem Thema zu schreiben. Aber es war doch gar nicht Hans Christians letzter Tag – dachte ich.

Im Krankenhaus erfuhr ich nach der Aufnahmeuntersuchung, dass er sofort auf die Intensivstation musste.

Dort ist er heute Abend verstorben.

Ich bin so froh, dass wir den letzten Abend zu Hause so schön verbracht haben.

Das Schreiben hat mir gut getan, die zahlreichen Reaktionen von bekannten und unbekannten Menschen brachten mir Trost. Kurz nach der Beerdigung schrieb ich dann einen Blogartikel zu Hans Christians letztem Tag – nicht nur, aber auch, weil ich es schon so oft erzählt hatte. Denn das Schreiben befreit auch. Als ich alles aufgeschrieben hatte, konnte ich mich viel besser auf die eigentliche Trauerarbeit konzentrieren. Ich konnte meine Gedanken vom Immer-Wieder-Vorstellen dieses schlimmen Tages ablenken – auch vom Grübeln, ob es hätte anders laufen können, ob mein Mann dann überlebt hätte.

Hans Christians letzter Tag

So oft habe ich es schon erzählt in den letzten Tagen. Nun sollt Ihr erfahren, wie Hans Christians letzter Tag war. Erst einmal fragt man sich, welches denn der letzte Tag ist? Man versteht darunter den Tag, bevor man – nach Meinung der Ärzte – gestorben ist.

Letzten Montag um 5.44 Uhr klingelte das iPhone auf meinem Nachttisch. Die Ärztin berichtete, dass man um 2 Uhr morgens mit der Dialyse begonnen hätte. Hans Christian hatte schon immer eine Niereninsuffizienz gehabt, nun waren die Nierenwerte bedrohlich. Und sein Herz war so schwach, es hatte Komplikationen gegeben.

Das hatte ich schon am Samstag bei der Aufnahme in die Klinik erfahren. Eigentlich waren wir an diesem Tag hingefahren, weil gerade ein Einzelzimmer frei geworden war. Aber er kam dann sofort auf die Intensivstation – und er war dort schon nicht mehr bei Bewusstsein. Am Sonntag sagte man mir, dass er jeden Moment sterben könnte.

In der Nacht war ich noch einmal mit ihm in Armentarola gewesen, wo wir so viele glückliche Tage erlebt hatten. Ich las unserer Senta die schönen Geschichten aus meinem Armentarola-Buch laut vor. Immer wieder schickte ich ihm eine Nachricht durchs Universum, noch ein wenig durchzuhalten.

Ich wollte doch so gerne noch einmal mit ihm und Senta – mit meiner kleinen Familie – nach Armentarola reisen. Ich hatte die Reise schon geplant, von Neujellingsdorf aus, mit zwei Zwischenstopps in Hotels, die behindertengerecht waren und große Hunde akzeptierten.

In allen Einzelheiten hatte ich überlegt, wie ich zuerst ihn und dann Senta ins Hotel bringen würde. Ich hatte gehofft, dass wir mit dem Schwenksitz fürs Auto alles bewältigen könnten. Der wurde dann aber leider nicht genehmigt.

Anfang März 2013 war unsere Situation so schwierig, dass ich einen Moment daran gedacht hatte, alleine mit Senta nach Armentarola zu reisen. Aber Hans Christian wollte nicht in ein Pflegeheim, und so beschloss ich, dass wir auf jeden Fall zusammen bleiben, alle drei – egal ob wir verreisen oder zu Hause bleiben. Auch wenn manche Leute meinten, ich sei verrückt. Ich stornierte daher die Buchung und hoffte, dass wir später fahren könnten.

In dieser Nacht nun erinnerte ich mich an all die schönen Erlebnisse in Armentarola, dann schlief ich kurz und tief – bis das Telefon klingelte. Ich weiß nicht mehr, was die Ärztin alles gesagt hat, ich fragte sie nur, ob ich kommen sollte. Dieser Anruf dauerte knapp zwei Minuten, dann rief ich die Pflegerin an und unsere Freunde in Dinslaken. Ich duschte, zog mich an und ließ Senta hinaus. Um 6 Uhr stand ich schon am Auto und wartete auf die Pflegerin, die mich an diesem Tag begleiten würde. Sie war mir eine große Stütze, genau wie unsere Freunde und unser Hausarzt, mit denen ich dann telefonischen Kontakt hatte.

Nach einer knappen Stunde Autofahrt erreichten wir Neustadt, wo uns ein heller Stern den Weg zur Klinik am Strand zeigte. In diesem Moment erinnerte ich mich an ein Gedicht, das uns vor ein paar Jahren eine Freundin geschenkt hatte: Rudern zwei ein Boot, der eine schaut nach den Sternen, der andere sorgt dafür, dass der Kurs gehalten würde.

Auf der Intensivstation lag Hans Christian an vielen Geräten angeschlossen. Bei der Morgenvisite berichtete die Ärztin der Nachtschicht dem Professor. Ich dachte, wie kann man nur so pessimistisch sein und sagte: Ein Forsbach gibt nicht so schnell auf, wir sind Optimisten. Die Geräte sind doch dazu da, den Menschen am Leben zu erhalten. Man kann doch nicht einfach abschalten, auch nicht, wenn ein Mensch dement ist. Kurz darauf sagte mir der Oberarzt, dass Hans Christian im Sterben liegt. Wenn wir Kinder hätten, sollte ich die jetzt schnell benachrichtigen.

Draußen war es hell geworden, ein wunderbarer frühlingshafter Tag begann. Der Winter hatte Pause gemacht an Hans Christians letztem Tag. Mir fiel die Affirmationskarte ein, die in den letzten Wochen im Badezimmer hing, jeden Tag hatte ich sie Hans Christian vorgelesen:

„Ich bin dankbar dafür, dass ich heute lebe. Es freut mich und ist ein Genuss, einen weiteren wundervollen Tag zu erleben.“

Die Pflegerin hatte mir gesagt, dass Sterbende noch alles hören, was man ihnen sagt. Und ich erzählte Hans Christian von dem hellen Stern, zu dem er jetzt fahren würde. Ich würde ihm dann jeden Abend zuwinken und lachen, wie es der kleine Prinz bei Antoine de Saint-Exupéry gesagt hatte:

Und deine Freunde werden sich wundern, wenn du zum Himmel schauen und dabei lachen wirst. Dann wirst du ihnen sagen: „Ja, die Sterne bringen mich immer zum Lachen!“ Und sie werden meinen, du bist verrückt.