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Originalcopyright © 2018 Südpol Verlag, Grevenbroich

Autor: Thilo Krapp

Illustrationen: Thilo Krapp

E-Book Umsetzung: Leon H. Böckmann, Bergheim

ISBN: 978-3-943086-82-9

Alle Rechte vorbehalten.

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Für Niklas und Jarle

Die große, weite Welt

Zweibeinersprache für Vierbeiner

Der geheime Raum

Moni

Der Schatz

Othello in Gefahr

Zwei Gauner schmieden Pläne

Wochenende!

Giovannis Sorge

Telefon für den Bürgermeister

Rendezvous am Komposthaufen

Abraham und Gloria

Giovanni, das Sprachtalent

Herr Nagelfest unter Druck

Nachtflug in die Stadt

Lagebesprechung auf der Terrasse

Die Katzenschau

Auf in die Stadt!

Beobachter im Schatten

Die Jury

Katzen in der Straßenbahn

Der letzte Platz

Das Skateboard

Der zweite Platz

Tumult an Tisch Nr. 9

Katzen-Barrikade

Die Taube auf dem Dach

Ein Fall ohne Knall

Kater am Kronleuchter

Nepper und Schlepper im Nassfutter

Katzen und Knaller

Die rechtmäßigen Erben

Reisepläne

Brüder und Freunde

Der kleine Vogel schwitzte unter seinen gelben Federn. Direkt vor ihm hatten sich zwei Katzen aufgebaut. Eine von ihnen, die etwas größere und kräftigere, kniff die Augen zusammen und starrte ihn an. Hatte sich da nicht ein Muskel bewegt? Der stämmige Kater schien sich anzuspannen und zu konzentrieren. Und jetzt zuckte es an seinem rechten Mundwinkel!

»S-sieh ... die... Wiesen, ... w-wie ... sie ... SPRIESSEN!« Nachdem diese ungewohnten Laute über seine Lippen gekommen waren, ließ er sich neben dem anderen Kater erschöpft ins Gras fallen.

»Bravo, Giovanni, mein Bester!« Der Vogel, eigentlich eine Vogeldame, war außer sich vor Freude und klatschte mit den Flügelspitzen. »Gar nicht schlecht, gar nicht schlecht! Ich weiß, die Zweibeinersprache hat es in sich! Aber Sie wissen ja, wie wichtig Fremdsprachen heutzutage sind.« Aufgeregt hüpfte sie über den Holzstapel, der hinter dem Schuppen zum Nachbargrundstück der Löwenbergs stand, und landete mit einem Satz neben den beiden Katzen.

»Können wir nicht eine Pause machen?«, fragte Othello, der andere Kater, und ließ sich ebenfalls ins Gras plumpsen. Othello war Giovannis um eine halbe Minute jüngerer Zwillingsbruder. Er lag auf dem Rücken und sein Kopf schwirrte. Warum in des großen Katzengottes Namen hatten sie sich von Rosella nur zum Unterricht in Zweibeinersprache überreden lassen?

Seit ihrer Rückkehr aus dem Winterurlaub in Übersee hatte ihnen die kleine Goldzeisigdame in den Ohren gelegen, wie wichtig doch die Auslandserfahrung gewesen sei und dass die Brüder unbedingt andere Sprachen lernen müssten. Angefangen mit der Zweibeinersprache, der Sprache der Löwenbergs also, der Familie, bei der Othello und Giovanni wohnten. »Stellen Sie sich vor!«, hatte sie ihnen vorgeschwärmt, »Sie verstehen, worum es am Tisch geht! Ob man zum Beispiel darüber nachdenkt, Ihnen einen neuen Katzenkorb zu kaufen. Wann der nächste Tierarztbesuch ist. Oder wann man gedenkt, Ihnen etwas zu fressen zu geben.«

Vor allem Letzteres hatte Othello und Giovanni dazu bewogen, über Rosellas Worte ernsthaft nachzudenken.

Der Unterricht war zweigeteilt, eine Stunde Übungen im Lesen von geschriebener, die nächste in Übungen von gesprochener Sprache. Für die geschriebene Sprache verwendete Rosella Papierfetzen, die sie in Abfalleimern fand, meist Reklameblättchen oder Zeitungsschnipsel. Natürlich mussten ihre Treffen an einem geheimen Ort stattfinden. Jeden Zweibeiner hätte es wohl zutiefst verstört, wäre er über einen Goldzeisig mit zwei Katern bei Sprachübungen gestolpert. Außerdem legten die Katzen keinen großen Wert darauf, beim Üben von solch komplizierten Wörtern wie Dosenöffner (Wort Nr. 1), Thunfisch (Wort Nr. 2) oder Katzenkeks (Wort Nr. 3) beobachtet zu werden.

Und fürs Erste war es den Katern lieber, dass der Sprach­unterricht ihr kleines Geheimnis blieb. Deswegen übten sie hinter dem Schuppen, wo sie niemand sehen konnte.

Rosella war Ende April zurückgekommen. Nach der dra­matischen Rettung Othellos aus den Händen des ver­rückten Wissenschaftlers Waldemar Wummering im letzten Winter – Giovanni lief jetzt noch ein Schauer über den Rücken, wenn er daran dachte – war sie, die reiselustige Vogeldame, nach Marokko aufgebrochen, um ihr Fernweh zu stillen. Aber dabei war es nicht geblieben: In einem Zoo in Rabat, der Hauptstadt Marok­kos, hatte sie einen Elefanten kennengelernt, der nach Amerika verschifft werden sollte. »Das ist so eine Art Austausch«, hatte er gesagt. »Ich komme nach New York in den Zoo und von dort wird eine Gazelle hierhin gebracht.« Rosella traute ihren Ohren kaum – New York! Sie hatte schon so viel über die Stadt, die niemals schläft, gehört, als sie noch in einem Käfig gefangen gewesen war. Damals hatte sie unentwegt dem Radio gelauscht – wodurch sie mit der Zeit die Zweibeiner- oder, wie sie sagte, Menschensprache erlernt hatte.

New York, das war die Stadt der unbegrenzten Mög­lichkeiten, eine pulsierende Metropole, ein Zen­trum der Kultur – und erst der Broadway, die große Ver­­­gnügungsmeile der Stadt, mit seinen Theatern! Unzählige Gesangskarrieren hatten dort ihren Anfang genommen und sie selbst war schließlich ebenfalls ein großes Gesangstalent. Fand sie.

»Wissen Sie was, ich begleite Sie!«, war es da aus ihr herausgeplatzt. Der Elefant nickte nur, denn er wusste, wenn sich Rosella etwas in den Kopf setzte, hatte es ohnehin keinen Zweck, zu widersprechen – zu dieser Er­kenntnis war er in den zwei Tagen, die sie sich mittlerweile kannten, bereits gekommen.

»So eine Atlantiküberquerung ist eine große Sache«, hatte Rosella Othello und Giovanni erzählt. »Erst reisten wir im Bauch dieses Ungetüms aus Stahl, hundert Meter lang, wurden hin- und hergeworfen – und ich möchte gar nicht darüber sprechen, was Elefanten alles von sich geben, wenn ihnen übel ist! Mein Traum vom Broadway aber ließ mich durchhalten. In Hamburg wurden wir auf ein anderes Schiff gebracht, Gott sei Dank! Man will schließlich mit Stil reisen und sie schifften uns glücklicherweise auf der Atlantic Queen ein, einem echten Passagierschiff. Die Überfahrt war ein voller Erfolg! Schon auf dem Schiff umringten mich meine Fans, ich habe immer auf dem Sonnendeck gesungen, bekannte Schlager aus Film und Fernsehen. Und erst die Ankunft in New York! Man schickte kleine Begleitschiffe, die Wasserfontänen in die Luft sprühten, als wir an der Freiheitsstatue vorbeifuhren. Ich feierte große Erfolge im Central Park ...«

»Und der Elefant?«, hatte Giovanni gefragt.

»Ach ... Wissen Sie, mein Bester, er war immer so trübselig ... Und ehrlich gesagt ziemlich – hm, dickhäutig, wenn Sie verstehen, was ich meine. Er schien sich nicht im Geringsten für meinen Gesang und meine An­­wesenheit zu interessieren. Kaum in New York angekommen, trennten sich daher unsere Wege.«

Giovanni dachte an seine erste Begegnung mit Rosella und musste schmunzeln. Er wusste, dass sie einem manch­­­mal schon ziemlich auf die Nerven gehen konnte – aber sie war mutig und ihr hatten sie es zum großen Teil zu verdanken, dass Dr. Wummering nicht noch Schlimmeres mit ihnen angestellt hatte.

Plötzlich begann es zu tröpfeln. Ein frühsommerlicher Schauer, wie so oft zur Zeit.

»Igitt! Nichts wie rein! Tschüss, Rosella!« Beide Kater sprangen durch das frische grüne Gras hinüber zum Haus der Löwenbergs.

»Vergessen Sie nicht, wir sehen uns morgen wieder zum Unterricht! Und seien Sie pünktlich!«, rief Rosella ihnen hinterher. Dann schlüpfte sie durch ein Loch unter der Dachkante ins Innere des Schuppens, wo sie sich ein gemütliches Nest gebaut hatte.

Othello und Giovanni sprangen durch die Katzen-Klappe in der Kellertür und schüttelten die Nässe aus dem Fell. Dann wanderten sie zielstrebig durchs Haus bis unters Dach, wo Luisa jetzt wohnte. Ihr Vater war im Winter mit dem Ausbau des Dachbodens fertig geworden.

Die beiden Kater liebten es, ganz oben auf den Dachbalken zu dösen, während der Regen nur Zentimeter neben ihnen von außen auf die Dachpfannen trommelte, oder sich auf Luisas Bett unter dem schrägen Fenster zusammenzurollen. Außerdem hatten sie von dort oben einen tollen Ausblick über die Stadt und konnten das Treiben auf der Straße beobachten. In der Ferne war die Spitze eines hohen Kirchturms zu sehen.

Luisa telefonierte gerade mit einer Freundin, als sie die enge Treppe zum Dachboden heraufkletterten.

»Ich weiß auch nicht, warum Esther und du diese Show Laufsteg oder Leben immer so toll fanden. Lavinia Lifting war jedes Mal total fies zu den Teilnehmerinnen!«

Gemurmel am anderen Ende der Leitung.

»Ja, und seitdem diese blöde Model-Show nicht mehr im Fernsehen läuft, sucht sie wahrscheinlich dringend was Neues, womit sie sich wichtig machen kann. Da ist sie sich selbst für komische Katzenfutter-Reklame nicht zu schade.«

Othello und Giovanni horchten auf. Sie konnten noch nicht viel von der Zweibeinersprache, aber das Wort Katzenfutter hatten sie sich gut gemerkt.

»Hanna, du kannst sagen, was du willst, ich finde Lavinia Lifting total doof. Aber egal – ich hol dich morgen um viertel nach sieben zuhause ab, ok?« Die letzten Worte klangen schon wieder versöhnlicher.

Luisa ließ sich mit einem Seufzer auf ein kleines buntes Sofa fallen. Othello und Giovanni gesellten sich sofort dazu und rollten sich neben ihr auf dem gemusterten Überwurf zusammen. Sanft streichelte das Mädchen über das Fell der beiden. »Manchmal habe ich das Gefühl, ihr zwei seid meine einzigen normalen Freunde«, murmelte sie und kraulte Giovanni hinter dem Ohr, der zwar kein Wort verstand, aber laut schnurrte.

Am nächsten Tag fanden sich Othello und Giovanni pünktlich zum Unterricht hinter dem Schuppen ein. Rosella strahlte über das ganze Gesicht. Sie hatte ein großes, an einer Ecke etwas eingerissenes Papier an der alten Holzwand befestigt. Es war schreiend bunt, mit großen Buchstaben und zeigte eine aufgedonnerte Frau, die eine Packung Katzenfutter hochhielt.

»Heute habe ich etwas ganz Besonderes für Sie, meine Herren!«, verkündete die Zeisigdame stolz. »Sehen Sie nur, welches Prachtstück der Plakatkunst ich für unseren Unterricht aufgetrieben habe! Es hängt gerade in der gesamten Stadt, da wird es den Menschen nicht auffallen, dass eines fehlt.« Sie lächelte gewinnend, dann fragte sie: »Nun, sagen Sie mir zuerst, was Sie glauben, worum es bei diesem Plakat geht!«

Othello und Giovanni legten die Köpfe schief und betrachteten das grellbunte Papier. Giovanni wollte etwas sagen, schwieg dann aber.

»Nun?«, fragte Rosella und lächelte ihm aufmunternd zu.

»Also …, ich kann … K-A-T-Z-E-N-F-U-T-T-E-R lesen«, buchstabierte der Kater etwas stockend.

»Bravo, mein Bester!«, lobte ihn Rosella. »Doch das ist ja nun kein Kunststück mehr, oder? Schließlich ist das Unterrichtsstoff von vorgestern! Versuchen Sie es weiter!«

»Also …, man könnte meinen …«, begann Othello.

»Ja?«, spornte ihn Rosella an, sichtlich aufgeregt.

»Dass es … um eine Ausstellung geht. Eine Ausstellung mit Katzen – mit KatzenFUTTER?« Othello sah sie fragend an.

»Genau! Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen. Das gibt eine Eins mit Sternchen!« Sie pickte eine Kerbe auf die obere Holzlatte der Seitenwand. Hier notierte sie Othellos Noten. Auf der unteren Latte waren Giovannis Markierungen zu sehen, weitaus weniger Kerben als bei seinem Bruder.

»Es handelt sich nämlich um eine sogenannte Katzenschau, wie die Menschen es nennen«, fuhr Rosella fort. »Wenn die Zweibeiner ihre Katze besonders hübsch finden, nehmen sie mit ihr an solch einem Wettbewerb teil. Das schönste Exemplar erhält dabei meist einen Preis.« Sie sah sich das Plakat genauer an. »Also ..., veranstaltet wird das Ganze offenbar von einer Katzenfuttermarke namens Happy Cat. Ah, und moderiert wird die Veranstaltung von einer Frau, von der ich mal im Radio gehört habe. Sie hatte so eine Fernsehshow, in der es darum ging, Model zu werden. Wie heißt sie noch gleich …, ah, hier steht es ja: Lavinia Lifting.«

»Was um alles in der Welt ist der Zweck einer Katzenausstellung?«, fragte Othello und sah seinen Bruder stirnrunzelnd an.

»Ganz einfach: Eitelkeit!« Die Bemerkung kam von der anderen Seite des Zauns, an den der Schuppen angrenzte. Ein schwarz-weißer Kater sah sie lachend durch den Maschendraht an.

»Karlchen!«, freute sich Giovanni. »Ihr seid wieder aus den Ferien zurück?«

Karlchen, der Nachbarkater, war mit seinen Zwei­bei­nern über Ostern verreist gewesen. »Ja, endlich!«, sagte der gefleckte Kater und krabbelte durch das Drahtloch am Zaunpfosten. »Die Fahrt dauerte ewig. Da wäre ich lieber auf Abrahams Rücken geritten, als stundenlang eingequetscht im stickigen Auto zu hocken«, meinte er und putzte sein Fell, das er beim Durch­schlüpfen mit Erde beschmutzt hatte.

Der Ackergaul Abraham war ihnen zusammen mit Karlchen im letzten Winter zu Hilfe geeilt, als Dr. Wummering sie gefangen hatte. Dieser hatte aus 100 Katzen das Sieben-Leben-Gen gewinnen wollen – vollkommen verrückt, aber genau das war der Mann auch gewesen: verrückt und unberechenbar. Und verrückte, gefährliche Dinge hatte er auch mit Othello und Giovanni vorgehabt. Gott sei Dank war die Rettung gelungen, wenn auch nur mit knapper Not. Seitdem waren sie mit Karlchen und dem Pferd eng befreundet. Allerdings bekamen sie Abraham im Moment eher selten zu sehen, denn seit der Rettungsaktion, bei der er sein Talent als Rennpferd wiederentdeckt hatte, lief er erfolgreich landesweit Kaltblüter-Rennen und hatte schon mehrere Pokale gewonnen.

»Was meintest du mit Eitelkeit?«, fragte Othello.

»Naja, dass die Menschen eben eitel sind. Sie lieben Komplimente. Und wenn sie selber keine bekommen, dann wollen sie sie halt für etwas anderes haben. Zum Beispiel für ihre Katzen.«

»Kann man ja verstehen«, warf Othello ein und leckte sich über die Vorderpfote.

»Ja, aber es gibt auch Leute, die sind so vernarrt in ihre Katzen, dass sie sie bis zum Umfallen pflegen und betüddeln. Das kann ziemlich nerven«, wandte Karlchen ein. »Wie wäre es denn für dich, wenn ständig jemand nachschauen würde, ob dein Fell lang genug ist oder ob es genug glänzt? Sie bringen dich zu einem Katzen-Friseur und du hockst dort stundenlang, bis sie meinen, dass du schön genug bist.«

»Pfui Teufel! Fellpflege ist meine eigene Angelegen­heit.«

»Eben. Ich meine, ab und zu ein bisschen Durch­käm­men, das können die Zweibeiner ruhig machen. Alles andere ist Schicki-Micki-Kram …« Karlchen stieß ein verächtliches Zischen aus.

»Sagt der, der eine automatische Katzen-Tür hat!«, lachte Giovanni und auch Karlchen musste schmunzeln.

»Meine Herren! Ich bitte um Konzentration!«, mischte Rosella sich nun ein. »Wir befinden uns mitten im Unterricht! Karlchen, setzen Sie sich neben Giovanni.«

»Aber ich will gar ni-«, wollte der protestieren, doch Rosella bestand darauf, dass er Teil der Klasse Zweibeinersprache für Vierbeiner wurde.

»Also, wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, das neue Wort für heute lautet – ganz tagesaktuell – WETTBEWERB. Sprechen Sie mir nach!«