Denise Reichow
Heitlinger Hof 7b
30419 Hannover

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Pfad des Schicksals - Wille des Orakels 1

Text © Brienne Brahm, 2019

Cover & Umschlaggestaltung: Julia Seitz & Phantasmal Image

Lektorat & Korrektorat: Annett Heidecke

Layout: Phantasmal Image
eBook: Grittany Design
Covergrafiken & Innengrafiken: Shutterstock

(eBook) ISBN 978-3-947147-62-5

© GedankenReich Verlag, 2019

Alle Rechte vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Sie segelten seit Stunden und das Einzige, was sie sahen, waren die Wellen des Meeres und die Sonne, die immer ein Stück weiter Richtung Horizont wanderte.

Iray war von den stetigen Bewegungen des Wassers, welches das Schiff zum Schaukeln brachte, schlecht geworden. Mittlerweile hatte er nichts mehr im Magen, das ihm noch Übelkeit bereiten konnte.

Als Kamitus aufgehört hatte, sich über ihn lustig zu machen, hatte er ihm den Tipp gegeben, sich einen festen Punkt zu suchen und ihn eine Weile im Auge zu behalten. Er hatte sich darangehalten und es ging ihm jetzt deutlich besser.

Saphina hatte sich in ihre Kajüte zurückgezogen, um sich ein wenig auszuruhen. Die Aufregung hatte sie anscheinend erschöpft und sie hielt es für besser, sich etwas hinzulegen.

Tertius und seine Männer waren die ganze Zeit an Deck geblieben und jeder erledigte eifrig die ihm zugewiesenen Aufgaben. Die einen kontrollierten in regelmäßigen Abständen die Befestigungen der Kisten, andere standen an einem großen Tisch, auf dem Karten auslagen und überprüften akribisch die Richtung, in die sie segelten. Im Aussichtskorb, der am mittleren Mast befestigt war, stand Merkius mit einem Fernglas in der Hand und beobachtete die schwankende See ohne Unterlass. Wonach er genau suchte, hatte Iray noch nicht herausfinden können.

Er sah zu Tertius, der wie ein Fels am Steuerrad stand und den Blick ebenfalls fest auf die See gerichtet hielt. Die Furche auf seiner Stirn verriet, dass ihm etwas Sorge bereitete.

Iray ging auf ihn zu, um mit Tertius zu sprechen, als plötzlich eine der Schwingtüren aufflog, die zu den Kajüten führte und ihm beinahe vor den Kopf knallte. Saphina stand vor ihm und schaute ihn mit einem Lächeln auf den Lippen an. „Hallo Iray, wo willst du denn hin?“, fragte sie ihn.

Verdutzt sah er sie an, während er das Türblatt noch mit der Hand festhielt. Den Schreck verdauend, sammelte er seine Gedanken.

„Ach, ich bin nur so herumgelaufen“, log er, nicht gewillt sie zu beunruhigen. Und vielleicht war der Ausdruck auf dem Gesicht von Tertius auch nicht der von Sorge, sondern er war nur konzentriert. Ja, so war es ganz sicher, entschied er für den Moment. „Komm Saphina, lass uns ein paar Schritte gehen“, schlug er ihr vor.

„Gute Idee, wir sollten uns mit dem Schiff vertraut machen, solange es noch hell ist. Sie gingen zum Bug des Segelschiffes und betrachteten, an das raue Holz gelehnt, den Horizont.

„Was denkst du, wie lange wir brauchen, bis wir das Portal zur Insel erreichen?“, fragte Iray nachdenklich.

Saphina zuckte mit den Schultern, während sie weiter das wogende Wasser betrachtete, welches sich an der Schiffswand in weiße Gischt brach. „Ich weiß es leider auch nicht“, antwortete sie schließlich.

„Weißt du denn etwas über das Portal?“, fragte er weiter.

„Ich weiß nur so viel, dass es etwas mit einer magischen Uhr zu tun hat und natürlich mit Wasser“, berichtete Saphina.

„Hmmm ... Wir werden Tertius danach fragen, wenn wir ihn heute Abend treffen“, sagte er bestimmt.

Saphina nickte zustimmend. Sie gingen noch eine Weile an Deck spazieren und bewunderten die solide Bauweise des Segelschiffes, bevor sich jeder von ihnen in seine Kajüte zurückzog, um sich für das Mahl vorzubereiten.

Iray saß auf dem Bett und hatte seinen Reisebeutel geöffnet neben sich gestellt. Er holte den kleinen Leinenbeutel heraus, den Tzara Tarehy ihm bei seiner Abreise gegeben hatte. An dem Lederband ziehend, öffnete er ihn.

Glas klirrte zwischen seinen suchenden Fingern, als er ein paar der Phiolen ertastete und herausnahm. Er legte sie auf seine Oberschenkel, um sie näher in Augenschein nehmen zu können, und reihte sie nebeneinander. Er besah sich aufmerksam die einzelnen Beschriftungen auf dem Glas. Tzara hatte an so ziemlich alles gedacht, wie er feststellte.

In den Phiolen befanden sich Tränke, die bei starken Kopfschmerzen und auch Erbrechen helfen sollten. Hätte ich doch nur früher an die Phiolen gedacht, grummelte er, verärgert über sich selbst. Das hätte ihm einiges erspart. Es war nicht gerade sehr männlich, Stunden damit zu verbringen, kopfüber über der Reling zu verbringen. Das nächste Mal, wenn es ihm nicht gut ging, würde er direkt zu den Glasfläschchen greifen. Es waren auch ein paar dabei, deren Wirkung er nicht kannte und er schaute noch einmal in dem kleinen Beutel nach. Er hatte richtig vermutet, Tzara hatte ihm einen Zettel beigelegt, auf dem jede Tinktur und ihre Wirkung genauestens beschrieben wurde. Eine von ihnen sollte einen Menschen dazu bringen, die Wahrheit zu sprechen, wieder eine andere war ein starkes Schlafmittel. Wofür sollte er solche Tränke wohl brauchen? Tzara wird sich schon etwas dabei gedacht haben, schloss er kopfschüttelnd seine Überlegungen, wobei er sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte.

Die Salbenblätter waren ebenfalls beschriftet. Iray betrachtete ein paar davon genauer. Auf einem stand, „Hilft bei starker Blutung.“ Langsam wurde ihm mulmig. Weshalb hatte Tzara Tarehy ihm Salben zur Behandlung von schweren Verletzungen mit auf den Weg gegeben? Wusste sie von Gefahren, die er nicht erahnte oder wollte sie einfach nur, dass er auf alles Denkbare vorbereitet war?

Stirnrunzelnd verstaute er die kleinen Glasampullen und die gewickelten Blätter in dem Säckchen und knotete es zu. War an Camils Geschichten vielleicht doch mehr dran, als er es zunächst angenommen hatte? Das Grinsen war ihm vergangen. Er konnte nur hoffen, dass er nicht herausfinden musste, wie und ob die Arzneien wirkten.

Es wurde Zeit, zu Tertius zu gehen. Er wollte ihn nicht warten lassen. Als er die Tür zu seiner Kajüte schloss, öffnete sich die Tür neben ihm und Saphina trat ebenfalls in den langen Korridor. „Oh, das passt ja“, sagte sie und strahlte ihn an.

Iray lächelte zurück und bot ihr wie gewohnt seinen Arm an.

Sie hakte sich bei ihm unter und sie gingen gemeinsam den Flur entlang, bis sie vor der letzten Tür zum Anhalten gezwungen wurden. Diese war augenscheinlich schon sehr alt, es hatten sich Risse in dem dunklen Holz gebildet. Es splitterte an den Scharnieren bereits etwas. Dennoch war sie wunderschön und reich verziert mit erhabenen Schnitzereien, die Krieger im Kampf zeigten. Oben war sie halbrund in die Zarge eingepasst worden. Die Klinke war aus Eisen gegossen und passte, klobig anmutend, zu der massiven Tür, die vor ihnen aufragte.

Voller Bewunderung fuhr Iray mit den Fingerspitzen über das Holz. Wie viele Taona sie wohl schon gesehen hatte?, dachte er im Stillen. Er ließ die Hand auf die schwere Klinke gleiten und drückte sie, einfacher als vermutet, herunter.

Die Tür öffnete sich einen spaltbreit und ihnen schlug augenblicklich das Gemurmel von Stimmen entgegen. Der Duft von Speisen drang zu ihnen und ein angenehmes Licht von brennenden Kerzen lud sie zum Eintreten ein. Sie traten über die Schwelle und standen in dem großen Saal.

Saphina schaute sich in dem Raum um und musste sich ermahnen, den Mund geschlossen zu halten, so beeindruckt war sie von der Pracht, die sie erblickte. Die Wände waren mit kunstvoll gewebten Bildern von großen Schlachten geschmückt und an den hölzernen Wänden standen in regelmäßigen Abständen Statuen, aus Holz geschnitzt, die eindeutig Seemonster darstellen. Sie musste bei ihrem Anblick schlucken.

Gab es sie wirklich oder hatten sich ihre Erschaffer nur an Vorgaben aus Legenden gehalten? Sie wirkten in ihrer Darstellung so real, als hätten diese Monster persönlich dafür Modell gestanden. Ihr lief ein Schauer über den Rücken, der sie frösteln ließ. Wenn es sie gab, dann hoffte sie, dass sie niemals eines von ihnen zu Gesicht bekam. Jede Statue war von eisernen Ständern gesäumt, auf denen dicke Kerzen thronten, die dem Raum in ein gemütliches, flackerndes Licht tauchten.

Auf dem Boden darunter hatten sich Seen aus Wachs gebildet, die sich mit jedem Tropfen, der dazukam, zu kleinen Gebirgen auftürmten. Die Füße der Ständer wirkten, als wären sie mit dem Boden verschmolzen. Auch Iray stand wie angewurzelt da und schaute sich um, ohne ein Wort zu sagen.

„Iray, Saphina, da seid ihr ja!“, rief ihnen eine wohlbekannte, tiefe Stimme freundlich entgegen.

Sie zuckten zusammen und sahen, dass Tertius von dem Platz am Kopf des Tisches aufgestanden war, der inmitten des Raumes stand. „Kommt her und setzt euch zu uns“, lud er sie, mit ausgebreiteten Armen, gegen das Stimmengewirr ankämpfend, ein.

Saphina folgte zuerst der Aufforderung, bevor sich auch Iray, der den Blick nur schwer von den Statuen lösen konnte, in Bewegung setzte und ihr folgte.

Tertius hatte die Plätze links und rechts neben sich freigehalten. Der Brauch, dass Gästen immer der Platz neben dem Oberhaupt angeboten wurde, schien in allen Landen gleichermaßen zu gelten, dachte Iray.

Ihm fielen die großen Fenster aus buntem Glas auf, die hinter Tertius in die hölzerne Wand eingelassen wurden. Sie mussten bei Tageslicht atemberaubend aussehen, wenn die Sonne sie durchdrang. Als Saphina und Iray Platz genommen hatten, goss Tertius Saphina etwas Wasser in den Steinbecher, der vor ihr stand, bevor er Iray den Krug reichte.

„Wie geht es euch beiden? Kommt ihr mit dem Schaukeln des Schiffes zurecht?“, fragte Tertius interessiert.

„Mir war ein wenig übel, aber jetzt geht es mir sehr viel besser“, antwortete Iray wahrheitsgemäß, ein wenig verlegen. „Kamitus gab mir einen sehr hilfreichen Tipp“, sprach er weiter.

Saphina musste grinsen, drehte sich ein wenig zur Seite, damit Iray nicht sah, wie sehr sie seine Seekrankheit amüsierte.

„Mir geht es fantastisch, danke der Nachfrage“, antwortete sie gleichmütig. „Ich konnte mich ein wenig ausruhen.“

„Das freut mich zu hören“, sagte Tertius mit zufriedenem Gesichtsausdruck. „Aber nehmt nun erst einmal von dem Essen. Iray, für dich habe ich natürlich auch ein paar Dinge zubereiten lassen, die dir sicher zusagen werden“, sagte er freudig.

„Oh, ich danke dir, das ist sehr aufmerksam.“

„Ich kann ja nicht zulassen, dass du unter meiner Obhut vom Fleisch fällst, mein Freund“, sagte Tertius grinsend und zwinkerte Iray zu.

Der Raum wurde von klapperndem Geschirr und von den tiefen Stimmen der Gespräche der Männer gefüllt. Es herrschte eine ausgelassene und fröhliche Stimmung im Saal. Gelegentlich donnerte das Gelächter von einem der Männer herüber zu ihnen, was Iray immer mal wieder zusammenzucken ließ. Iray ließ den Blick nachdenklich über die zahlreichen hölzernen Statuen und Skulpturen gleiten. Die Art, wie die Schnitzarbeiten gearbeitet wurden, kam ihm seltsam vertraut vor. Aber konnte das sein?

„Ja, mein Freund, diese fantastischen Arbeiten wurden von Asata angefertigt“, sagte Tertius, aus dem Nichts heraus, zu Iray. „Woher weißt du, woran ich gedacht habe?“, entgegnete ihm dieser überrascht.

„Ich konnte es in deinem Gesicht lesen, mein Freund“, antwortete Tertius.

Saphina schaute fragend zwischen den beiden Männern hin und her. „Wie kann das sein? Soweit ich weiß, ist Asata niemals weiter als bis zu den Wüstenlanden gereist“, entfuhr es Iray.

„Nun ja, sagen wir mal so, er hat wohl nicht alle Erfahrungen mit seinem Volk geteilt, fürchte ich“, schloss Tertius und blickte, nicht wissend, was er noch dazu sagen sollte, auf seinen reich gefüllten Teller.

„Es scheint wohl so.“, bestätigte Iray, während er den Blick nicht von den Schnitzereien abwandte.

„Asata ist doch dein Lehrmeister in den Waldlanden gewesen, habe ich recht? Und der Händler, richtig?“, sagte Saphina eher feststellend, als fragend.

„Ja, richtig“, antwortete ihr Iray nickend.

„Weißt du, mein Freund, ich denke, Asata ist ein größerer Mann, als du es für möglich gehalten hast“, sprach Tertius weiter.

„Hmmm ..., es scheint mir, ich weiß weniger über meinen Lehrer, als ich annahm“, stimmte ihm Iray zu.

„Sie sind atemberaubend“, brachte Saphina ein.

„Er ist ein sehr guter Holzbauer und diese Art der Schnitzerei ist seine Leidenschaft, natürlich neben seiner Frau Levitra“, sagte Iray und wackelte verwegen mit den Augenbrauen, wobei er verschmitzt grinste.

Saphina trieb diese Aussage die Röte ins Gesicht. Verlegen schaute sie in die Richtung der schmausenden Männer an der langen Tafel. Sie nahm das Knacken der Stühle und das Knarzen der rauen Kleidung der Seeländer nun um ein Vielfaches stärker wahr. Auch die Schmatzgeräusche der vielen Münder drangen laut an ihr Ohr. Ihre Wahrnehmung hatte sich unerklärlicherweise gesteigert.

Warum nur wurde sie dermaßen verlegen, wenn Iray doch ganz offensichtlich nur einen Spaß machen wollte. Sie war doch kein dummes Mädchen mehr, welchem bei jeder Bemerkung gleich die Röte ins Gesicht stieg. Inständig hoffte sie, dass niemand ihre Verlegenheit wahrnahm. Zu spät, Tertius lachte, während er sie betrachtete, prustend los, wobei es ihm sichtlich schwerfiel, das Essen im Mund zu behalten. Er sah sie an und presste beide Hände gegen den Mund, um nicht auf den Teller zu spucken.

Iray fiel in das Lachen mit ein, ohne zu wissen, warum. Tertius Anblick war einfach zu komisch und sein Lachen ansteckend. Saphinas Röte baute sich zu einem lodernden Feuer in ihrem Gesicht aus. Sie hatte das Gefühl, dass jeder Mann im Saal die Augen auf sie gerichtet hatte. Was natürlich nicht stimmte, denn alle schauten auf den, sich vor Lachen windenden Tertius, dem mittlerweile Tränen in die Augen gestiegen waren.

Iray klopfte Tertius beherzt auf den Rücken, um ihm Linderung zu verschaffen, während dieser ausgelassen hustete. „Ich wollte nicht, dass du erstickst, mein Freund. Hätte ich geahnt, dass ein kleiner Witz solche Folgen hat, hätte ich es mir verkniffen“, neckte ihn Iray, immer noch lachend.

Tertius beruhigte sich allmählich und sah, sich die Tränen aus den Augen wischend, zu Iray herüber.

„Hach, ..., war das schön“, presste Tertius hervor und klopfte sich mit der Hand auf die Brust. „So gut habe ich lange nicht mehr gelacht. Auch, wenn es mich fast das Leben gekostet hätte“, sagte er an Iray gewandt, einen verstohlenen Seitenblick zu Saphina werfend. Er schüttelte den Kopf und nahm einen großen Schluck aus seinem Becher.