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Manuela Schopfer

SÜSSE BEGLEITUNG

Roman

© 2019

édition el!es

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Alle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-95609-296-1

Coverillustration:
iStock.com/isitsharp

1

»Irgendetwas habe ich vergessen.« Jasmin blickte mit gerunzelter Stirn in ihre Reisetasche und sah sich dann wieder in ihrem Schlafzimmer um. »Aber was?«

Sie vergaß immer etwas, und das wollte sie diesmal wenn möglich vermeiden, um Frauke keinen weiteren Angriffspunkt zu bieten. Sie würde schon genug davon finden.

Es war Fraukes Hochzeit, zu der sie fuhr, und ihre Schwester hatte sich schon immer über Jasmin erhaben gefühlt. Schon von klein auf hatte sie sich über Jasmins leichte Tollpatschigkeit lustig gemacht, hatte sie immer wieder ausgelacht deswegen. Dem Ganzen setzte sie jetzt noch den Triumphbogen auf, indem sie vor Jasmin heiratete, obwohl Jasmin die Ältere war. Dass Jasmin ein erfolgreiches Geschäft führte und das schon seit Jahren, war für Frauke unerheblich.

Warum hatte sie sich nur darauf eingelassen? Jasmin seufzte. Sie wusste, warum. Sie wollte ihren Vater wiedersehen, der ebenfalls auf der Insel lebte wie Frauke, und dafür nahm sie einiges in Kauf. Ihr Vater wäre auch sehr enttäuscht gewesen, wenn sie nicht zu Fraukes Hochzeit gekommen wäre, auch wenn er wusste, dass seine beiden Töchter wie Katz und Hund waren, schon immer gewesen, auch wenn er stets hatte vermitteln wollen. Seit ihre Mutter tot war, hatte Frauke sich jedoch immer zur höheren Instanz aufgeschwungen, als ob sie sie ersetzen wollte.

Es klingelte an der Tür, und Jasmin schaute hoch. Dann warf sie einen Blick auf die Uhr und ging hinaus in den Flur, um zu öffnen.

Wow.

Jasmin kämpfte darum, ihren Kiefer daran zu hindern, unschön nach unten zu klappen. Denn ehrlich gesagt, der Anblick der Frau, die vor ihrer Tür stand, warf sie fast um, aber sie versuchte, es nicht zu zeigen.

Während sie ein heimliches Schlucken unterdrückte, gab sie ihrem Gesicht einen recht uninteressierten Ausdruck. »Ach, Sie sind schon da?«

»Bin ich zu früh?« Die Frau vor der Tür warf einen Blick auf die schmale, elegante Uhr an ihrem Handgelenk.

»Nein, nein«, winkte Jasmin ab. »Kommen Sie nur herein. Ich bin gleich fertig mit Packen.«

Sie trat zurück und schaute die Frau noch einmal an, aber fast nur aus den Augenwinkeln, denn ihr direkt ins Gesicht zu sehen traute sie sich nicht, nachdem es sie beim ersten Mal schon so erschlagen hatte. Solch eine Frau hatte sie nicht erwartet. Aber was hatte sie eigentlich erwartet? Wahrscheinlich hatte sie das selbst nicht so genau gewusst.

»Pia war der Name, nicht wahr?«, fragte sie, während sie sich abwandte und ins Schlafzimmer zurückging. »Es ist wohl besser, wir nennen uns von Anfang an beim Vornamen, damit wir uns nachher dann nicht verplappern.«

»Einverstanden, Jasmin«, sagte Pia und folgte ihr durch den Flur, blieb aber dann vor der Schlafzimmertür stehen.

»Nur noch einen kurzen Augenblick«, bat Jasmin. Ein tiefer Atemzug hob ihre Brust an, während sie ihren Blick noch einmal durchs Schlafzimmer schweifen ließ. Was habe ich nur vergessen? Sie fuhr sich über den Nacken. Etwas Wichtiges. Da war sie sich sicher. Etwas Entscheidendes, worüber Frauke sich lustig machen würde.

Mit einer energischen Bewegung schloss sie den Reißverschluss der Reisetasche und beendete damit das Thema. Schnell warf sie sie sich über die Schulter und eilte an Pia vorbei Richtung Haustür.

»Kommen Sie?« Bereits die Hand an der Klinke blickte sie zurück zu Pia, die ihr nur zögernd gefolgt war.

»Keine Schuhe?«, fragte sie.

»Oh«, murmelte Jasmin verlegen. Den Blick auf ihre besockten Füße gesenkt spürte sie, wie sich eine leichte Wärme in ihre Wangen schlich. »Ich bin wohl etwas aufgeregt, verstehen Sie? Die Hochzeit meiner Schwester . . .«

»Verstehst du«, korrigierte Pia. »Wir müssen uns nicht nur beim Vornamen nennen, sondern auch duzen.« Sie lächelte verständnisvoll und auch ein wenig amüsiert.

»Selbstverständlich. Ja.« Jasmin nickte und schlüpfte in ihre Schuhe, die neben der Tür im Flur standen. Na großartig! Musste sie sich immer so lächerlich machen? Gerade in Gegenwart einer so beeindruckenden Frau?

Sie straffte ihre Schultern, bevor sie die Wohnungstür öffnete. Diese Frau war nicht beeindruckend. Oder ja, das war sie, aber Jasmin bezahlte sie schließlich dafür, beeindruckend zu sein. Sie war eine Frau von einem Begleitservice, die Jasmins beste Freundin Doris Jasmin überredet hatte zu bestellen, damit sie nicht allein auf diese Hochzeit gehen musste, sonst nichts. Nur um Frauke wenigstens ein bisschen den Wind aus den Segeln zu nehmen, mit denen sie sonst mit voller Fahrt in den Hafen des Triumphes eingelaufen wäre, wenn Jasmin ohne Begleitung gekommen wäre.

»Dann lass uns mal gehen . . . Pia.« Uh, der Name war noch ungewohnt. »Wir wollen ja nicht zu spät kommen.« Sie öffnete die Tür, trat hinaus und wartete, bis Pia ihr gefolgt war, um die Tür hinter sich zuzuziehen und abzuschließen.

Als sie das tat, stieg ihr Pias dezentes Parfüm in die Nase, und sie fragte sich, ob ihre Entscheidung, Doris’ ›Geschenk‹ – es war ja kein richtiges, denn Doris hatte es Jasmin überlassen, für die Kosten aufzukommen – anzunehmen, die richtige gewesen war. Hätten sie ihr nicht eine etwas unauffälligere Frau schicken können? Das hätte doch wirklich gereicht.

Der Schlüssel fiel ihr herunter, als sie ihn in die Tasche stecken wollte, und Pia hob ihn auf, überreichte ihn ihr mit einer schmunzelnden Geste. »Du bist tatsächlich sehr aufgeregt«, stellte sie fest.

»Ja. Ja, bin ich.« Jasmin ging zur Treppe und sprang die ersten Stufen hinunter. »Auf dem Weg müssen wir uns noch darüber unterhalten, wann wir uns kennengelernt haben und wie«, warf sie über die Schulter zurück. »Das wird Frauke bestimmt fragen.« Sie seufzte. »Und noch andere Sachen.«

»Was zum Beispiel?« Auf einmal war Pia neben ihr, als wäre sie wie ein Geist zu ihr geschwebt. Und genauso schwebte ihr Parfüm wieder zu Jasmin herüber.

»Darüber reden wir im Auto«, erwiderte sie schnell. Sie musste an die frische Luft, um diesem Duft zu entkommen.

Pia sagte nichts mehr, sondern hielt ihr nur zuvorkommend die Haustür auf, als sie nun unten angekommen waren. »Ich kann auch deine Tasche nehmen«, bot sie an. »Die ist doch sicher schwer.«

Macht sie sich etwa über mich lustig? Jasmins Augenbrauen zogen sich zusammen, als sie schnell einen Blick in dieses verboten attraktive Gesicht warf.

Nein, diesmal sah es nicht so aus, als ob Pia sich über sie amüsierte. Sie wirkte ganz ernst. Das war wohl tatsächlich nur ein freundliches Angebot gewesen.

»Nein, danke«, erwiderte Jasmin. »Das ist nicht nötig. Hier ist mein Auto ja schon.« Sie zeigte auf ihren Wagen, der vor dem Haus geparkt war, und steuerte schnellen Schrittes darauf zu.

»Wir können meinen nehmen«, schlug Pia vor und langte bereits in ihre Hosentasche. »Ist im Preis inbegriffen, dass ich dich fahre.« Der Schlüssel in ihrer Hand verlängerte ihren schlanken Finger noch ein Stück, während sie über ihre Schulter zurück zu Jasmin blickte und auf ihr Auto zeigte. »Du sollst das Wochenende genießen und dich entspannen.« Der Wagen piepste dezent auf, und begleitet vom Aufleuchten der Blinker öffnete sich bereits der Kofferraum.

Wow. Jasmin hätte beinahe anerkennend gepfiffen beim Anblick dieses BMW SUVs. »Ein schönes Auto haben Sie . . . hast du da«, korrigierte sie sich.

»Danke.« Pia nahm ihr die Reisetasche aus der Hand und verstaute sie neben einer anderen, die bereits im Kofferraum stand.

So weich. Jasmin senkte den Blick, denn sie konnte die Berührung immer noch spüren. Es war zwar nur ein kurzer Moment gewesen, als Pia nach ihrer Reisetasche gegriffen und sich ihre Hände berührt hatten, aber ihre Wärme verweilte immer noch an der Stelle. Fast wie verbrannt, so kam es ihr vor, als sie mit dem Finger über die Stelle an ihrer Hand strich. Aber angenehm.

»Es wäre doch etwas unpassend, in einem Kleinwagen vorzufahren«, erklärte Pia, während sie den Knopf zum Schließen der Heckklappe drückte. »Und weil ich viel unterwegs bin, habe ich darin auch genug Platz für alles.« Ohne die Heckklappe weiter zu beachten, die sich langsam schloss, ging sie nach vorn und hielt Jasmin die Beifahrertür auf.

»Platz? Wofür?«, schlüpfte es bereits zwischen Jasmins Lippen hervor. Bin ich jetzt zu neugierig? fragte sie sich. Nein, beantwortete sie sich ihre Frage gleich selbst.

Sie zuckte leicht die Schultern und ging vor zu Pia. Sie würden die nächsten Stunden gemeinsam im Auto verbringen, und da konnten sie die Zeit auch nutzen, um sich ein wenig besser kennenzulernen. Schließlich sollte das Arrangement hier glaubwürdig sein. Und ein wenig Small Talk würde sicherlich nicht schaden.

»Ich selbst habe einen Lieferwagen«, sagte sie. »Und dein Duft ist herrlich«, fügte sie noch hinzu, während sie sich in das weiche Polster sinken ließ. Was? Ihr stockte der Atem, als sie Pias Augenbrauen sah, die sich fragend hoben. Habe ich das jetzt etwa laut . . . »Ähm, ich meine, sein Duft ist herrlich«, korrigierte sie sich schnell.

Etwas fahrig griff sie über die Schulter zum Sicherheitsgurt, zog ihn über sich und ließ die Schnalle einrasten. Dennoch war es kurz in ihr Blickfeld geraten, dieses attraktive Gesicht, das sie vorhin schon versucht hatte, nicht allzu aufmerksam zu betrachten. Es war zwar nur so kurz wie ein Wimpernschlag gewesen, aber trotzdem hatte sie dabei Pias Mundwinkel gesehen, die amüsiert gezuckt hatten.

Eigentlich hätte es sie ärgern müssen, erinnerte es sie doch unschön an ihre gehässige Schwester Frauke, und dennoch ärgerte sie sich aus einem unbestimmten Grund nicht.

»Soso, dein Lieferwagen«, wiederholte Pia. Doch bevor Jasmin dazu kam, ihr zu antworten, drückte Pia bereits die Beifahrertür leise zu.

Small Talk, rief Jasmin sich schnell in Erinnerung, während sie Pia dabei zusah, wie sie vorn um die Motorhaube herumging und sich neben sie in den Fahrersitz setzte. Bleib einfach beim Small Talk.

»Also . . .«, nahm Pia das Gespräch wieder auf. »In deinem Lieferwagen riecht es herrlich?« Sie setzte den Blinker und fuhr los. »Das kann ich mir bei all den Köstlichkeiten gut vorstellen.«

»Ja.« Jasmin nickte und ließ derweil ihren Blick über das Armaturenbrett und die Mittelkonsole schweifen. So edel, wie hier drin alles war, konnte sie mit ihrem Lieferwagen nicht mithalten. Sie hätte es sich zwar leisten können, ein normales Auto als Zweitwagen zu fahren, aber wenn sie Auto fuhr, dann war es eh meistens fürs Geschäft, und da war der Lieferwagen einfach praktischer. »Das ist der Nachteil, wenn man jahrelang Süßigkeiten durch die Gegend kutschiert«, sagte sie. »Irgendwann nimmt das Auto regelrecht den Geschmack der Lebensmittel an.«

»Das hört sich so an, als könnte man den Lieferwagen dann auch gleich essen«, schmunzelte Pia. Kurz warf sie einen Blick zu Jasmin herüber, bevor sie wieder nach vorn auf die Straße sah. »Aber das klingt wirklich sehr verführerisch: Der Duft von frischen Torten oder anderen Naschereien, den du da durch die Gegend chauffierst.«

»Dann solltest du mich vielleicht einmal in meiner Konditorei besuchen«, schlug Jasmin vor. Ups. Warum habe ich das jetzt gesagt? Super Small Talk.

»Vielleicht mache ich das mal«, unterbrach Pia ihre Gedanken. »Bei Süßem kann ich nur schwer nein sagen.«

Jasmin schluckte. Da hatte sie sich ja in etwas Schönes hineinmanövriert. Flirtete Pia etwa mit ihr? Sie warf einen Blick zu ihr hinüber. Sie schien ganz auf die Straße konzentriert, achtete gar nicht auf Jasmin.

Jasmin versuchte, ihren Blick wieder abzuwenden, aber obwohl sie sich wirklich darum bemühte, gelang es ihr nicht. Erneut spähte sie aus dem Augenwinkel hinüber zu Pia. Ihr Körper sah ganz und gar nicht danach aus, als würde sie oft Torte oder sonstige Süßigkeiten essen. Ganz im Gegenteil. Die dunkle Bundfaltenhose und die enganliegende Bluse saßen perfekt und verrieten durchaus, dass darunter ein schlanker, durchtrainierter Körper steckte.

»Wo fahren wir eigentlich genau hin?«, fragte Pia. Sie strich sich eine Strähne ihres kurzen Haars aus der Stirn und warf einen Blick zu Jasmin.

»Das weißt du nicht? Stand doch auf dem Auftragsformular«, erwiderte Jasmin erstaunt.

»Da stand nur in der Nähe von Harlesiel«, antwortete Pia. »Nicht der genaue Ort.«

»Wangerooge«, sagte Jasmin. »Da Frauke dort mit ihrem Torsten lebt, findet die Hochzeit auch dort statt.« Und ich hoffe, fügte sie noch in Gedanken hinzu, Torsten schließt sie nach der Hochzeit zuhause ein.

Ihren Blick nach draußen gerichtet spürte sie das leichte Zucken in ihren Mundwinkeln. Sie hätte gelogen, wenn sie behauptet hätte, dass sie es bereute, dass Frauke kaum je von der Insel herunterkam. Es reichte vollkommen, wenn Frauke dort die Luft mit ihren Spitzfindigkeiten verpestete. Jasmin hatte schließlich schon genug um die Ohren mit ihrer Konditorei. Sich noch mit regelmäßigen Triumphbesuchen ihrer Schwester auseinanderzusetzen, das brauchte sie nun wirklich nicht. Wie es Torsten mit Frauke aushielt, das würde ihr ewig ein Rätsel bleiben.

Langsam ließ sie ihren Blick wieder zurück zu Pia schweifen, die mit beiden Händen am Steuer konzentriert das Auto durch den Verkehr lenkte. »Wahrscheinlich ist es ja nicht so ein üblicher Auftrag, jemanden zu einer Hochzeit zu begleiten, oder?«, fragte sie. Auch wenn es sich für sie immer noch ungewöhnlich anfühlte, sich eine Begleitung zu mieten, vielleicht gehörte das durchaus zu den Standardaufträgen einer Escort-Dame.

»Das würde ich nicht unbedingt sagen«, antwortete Pia. »Aber es stimmt.« Sie lächelte kurz zu Jasmin herüber. »Ich habe schon viel Verrückteres getan.«

Dieses Lächeln . . . dachte Jasmin. Aber sie riss sich zusammen. »Tatsächlich?«, fragte sie, und sie musste zugeben, ihre Neugierde war durchaus geweckt. »Was denn zum Beispiel?« Gleich darauf biss sie sich auf die Zunge. »Nein, schon gut«, korrigierte sie sich. Sie hob um Verzeihung bittend die Hände. »Ich weiß, Diskretion.«

Apropos, fiel es ihr gerade wieder ein. Hatte ich mich nicht auf Small Talk geeinigt? Wie kam sie nur auf die Idee, Pia nach anderen Kunden zu fragen? Sie selbst war schließlich auch froh, dass es diese Verschwiegenheitsklausel im Vertrag gab. Nicht auszudenken, wenn in ganz Bremen bekannt würde, dass sie sich eine Freundin mieten musste.

Dass Pia wirklich diskret war, zeigte sich schon daran, dass sie gar nicht auf Jasmins Frage einging. »Möchtest du mich nun einweisen?«, fragte sie stattdessen und durchbrach damit die Stille zwischen ihnen.

»Einweisen? Wohin?« Etwas überrascht hob Jasmin die Augenbrauen. »Ach«, fiel es ihr wieder ein, und sie nickte. »Du meinst, woher wir uns kennen, wie lange und so.«

Nachdenklich strich sie sich mit der Hand übers Kinn. Sie hatte sich im Vorfeld darüber bereits ein paar Gedanken gemacht. Schließlich war sie Geschäftsfrau, und da stützte sie ihre Entscheidungen auf Fakten und griff sie nicht aus der Luft.

»Also«, begann sie, »ich denke, es ist am besten, wenn wir uns in meiner Konditorei kennengelernt haben.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Da ich viel arbeite, besteht dort die größte Chance, dass ich eine Frau kennenlernen könnte.«

»Du arbeitest viel?«, unterbrach Pia sie. »Zu viel?«

Jasmin lockerte ihre Arme. »Ja«, gab sie zu. »Aber anders ist eine Konditorei heutzutage kaum noch gewinnbringend zu führen.« Lächelnd legte sie ihre Hände in den Schoss. »Außerdem liebe ich es, Konditorin zu sein, und die Arbeit macht mir Spaß.«

Wieder warf Pia kurz einen Blick zu ihr herüber. »Also haben wir uns in deiner Konditorei kennengelernt, als ich bei dir einkaufen wollte?«, fasste sie zusammen.

»Ja, genau«, stimmte Jasmin zu. »Du wolltest etwas bei mir kaufen.«

»Und was?«, fragte Pia nach. Sie schmunzelte leicht. »Es ist wichtig, dass wir genau absprechen, was ich gekauft habe und wann.« Sie wandte sich kurz Jasmin zu, immer darauf bedacht, den Verkehr nicht aus dem Blick zu verlieren. »Was sind deine Spezialitäten? Wofür bist du bekannt?«

Unschlüssig knetete Jasmin mit zwei Fingern an ihrer Unterlippe herum. Pia hatte recht, Frauke würde sich nicht mit so einer banalen Erklärung wie etwas einkaufen abgeben. Frauke war eine Bluthündin, und wenn sie erstmal einen Verdacht hatte, dass an Jasmins Geschichte etwas nicht stimmte, dann würde sie ihre neugierige Nase in den tiefsten Dreck stecken, nur um Jasmin der Schummelei überführen zu können.

»Meine saisonalen Kreationen, die sind in ganz Bremen bekannt.« Sie ließ von ihren Lippen ab und wandte sich Pia zu. »Du könntest für Halloween bei mir eingekauft haben.« Ihre Hand schwang unbestimmt durch die Luft. »Schokoladengeister, scheinbar blutverschmierte Kürbisse aus Marzipan oder Spinnennetzmuffins.«

Pia nickte und fasste abermals zusammen: »Also, ich habe bei dir Schokoladengeister gekauft, und so sind wir zusammengekommen.«

Das ist sogar noch besser, musste Jasmin sich eingestehen. Sie hatte sich zwar auch so etwas Ähnliches vorgestellt, aber so detailliert nicht. »Das passt«, stimmte sie zu. »Das heißt, wir sind jetzt schon gute zehn Monate zusammen.«

»Okay, und wie ging es weiter?«, wollte Pia wissen. »Wer hat wen angesprochen?«

Wiederholt tippte Jasmin sich gegen das Kinn. »Du mich. Nein«, korrigierte sie sich. »Ich habe dich auf einen Kaffee eingeladen, weil du immer wiedergekommen bist und beinahe alle meine Kürbisse, Schokoladengespenster und Spinnennetzmuffins aufgekauft hast.« Sie lachte kurz und sah zu Pia hinüber, auf deren Gesicht auch ein kleines Lächeln lag. Süß, die kleinen Grübchen.

»Du hast mich auf einen Kaffee eingeladen?« Pia wirkte immer amüsierter. »Und ich habe mich mit Schokoladengespenstern eingedeckt?«

»Ähm, ja.« Da war es wieder, dieses Gesicht, das sie schon beim ersten Anblick hatte schlucken lassen. Angestrengt riss Jasmin sich von Pias Anblick los und sah wieder nach vorn auf die Straße.

Kurzerhand wischte sie sich mit den Händen übers Gesicht, um den Gedanken zu vertreiben. Konzentrier dich, wies sie sich selbst an. Denn jetzt ging es schließlich darum, sich auf Fraukes eventuelles Verhör vorzubereiten, und nicht um irgendwelche Grübchen.

»Das machen wir so«, bestimmte sie. »Du bist immer wiedergekommen, hast meine Regale leergekauft und während des Kaffeetrinkens mit mir geflirtet. Daraufhin habe ich dich erst auf einen Kaffee und dann zum Abendessen eingeladen, und nach ein paar Spaziergängen im Bürgerpark, wo wir uns dann nähergekommen sind, waren wir ein Paar.«

»Das hört sich gut an.« Pia nickte. »Nicht zu schwierig. Leicht zu merken.«

Gleich darauf kündigte das Navi die bevorstehende Autobahnabfahrt an, und der Blinker klickte leise im Hintergrund. Sie verließen die Autobahn und folgten weiter der Bundesstraße.

Die Landschaft hier war Jasmin schon seit Jahren vertraut. Sie wusste nicht einmal, wie oft sie diese Straße schon entlanggefahren war, um ihren Vater zu besuchen. Aber heute fühlte es sich anders an.

Ihre Augen auf Pia gerichtet wanderte ihre Hand auf ihr Herz, in dem es leicht zog. Das war heute das erste Mal, dass sie den weiten Weg nicht allein fuhr. Ob es nun richtig war, ihrem Vater etwas vorzuspielen, darüber hatte sie sich lange Gedanken gemacht. Aber schlussendlich war es auch egal. Jetzt galt es in erster Linie, ihrer Schwester Einhalt zu gebieten und ihren ständigen Lästereien einen dicken, fetten Maulkorb zu verpassen. Sie würde sich eh schon aufspielen wie eine Königin bei ihrer Krönung.

Leise schmunzelte sie vor sich hin. Sie konnte Fraukes doofen Gesichtsausdruck förmlich vor sich sehen, wenn sie Pia sah. Sie selbst kannte Pia zwar auch erst seit etwas mehr als einer Stunde, trotzdem wusste sie, Frauke würde grün werden vor Neid.

»Was bist du von Beruf?«, fragte Jasmin in die Stille hinein. »Ich denke, das wird Frauke brennend interessieren.« Sie wandte ihren Oberkörper zu Pia hin und lehnte den Kopf an die Kopfstütze. Definitiv, freute sie sich, während sie ihren Blick nochmals über Pias Körper schweifen ließ. Frauke wird Galle spucken.

»Normalerweise bin ich Immobilienmaklerin«, beantwortete Pia ihre Frage. Sie rutschte im Sitz zurück und setzte sich neu auf. »Selbstverständlich nur, wenn das für dich okay ist. Ansonsten bin ich offen, was meinen Beruf betrifft.«

»Nein, nein«, winkte Jasmin ab. »Immobilienmaklerin ist ein guter Beruf.« Ist das immer so? fragte sie sich. Pia musste sich den Wünschen ihrer Kunden wohl in allen Belangen anpassen. Wenn der Kunde wünschte, dass Pia als Tierpflegerin arbeitete, dann musste sie diese Rolle einnehmen, oder wenn sie wollten, dass Pia Reiseleiterin war, dann war sie eben das von Beruf. »Du musst ein großes Allgemeinwissen haben«, rutschte es ihr heraus, bevor sie sich stoppen konnte.

Leise lachte Pia auf und wandte sich ihr zu. »Wie kommst du darauf?«

Jasmin strich sich über den Oberschenkel und nestelte an einer Naht herum. »Ich habe mich gerade gefragt, ob das nicht schwierig ist. Ich meine ja nur, jeder Kunde wird doch von dir erwarten, dass du seinen Vorstellungen entsprichst.« Sie zupfte an einem losen Faden herum, den sie aus der Naht herauspulte, und sah anschließend wieder hoch zu Pia. »Wenn ein Kunde will, dass du bei Aldi an der Kasse sitzt, dann musst du darüber Bescheid wissen. Oder wenn er will, dass du als Sekretärin bei einem großen Pharmakonzern arbeitest, dann musst du dich doch zumindest ein wenig mit Medikamenten auskennen.«

»Das stimmt.« Ein leichtes Nicken begleitete Pias Worte. »Allgemeinwissen ist wichtig, aber ansonsten ist das nicht wirklich schwierig.« Sie strich sich mit einer eleganten Geste eine Strähne hinters Ohr. »Die meisten Menschen sind sehr von sich eingenommen. Sie interessieren sich kaum für andere, und in manchen Kreisen möchten alle im Mittelpunkt stehen.« Sie verstummte, warf einen Blick über ihre Schulter und setzte den Blinker, um von der Bundesstraße auf die 461 zu wechseln. »Wenn man sie nach ihrem Beruf fragt oder nach ihren Hobbys, können sie einem stundenlang von irgendwelchen Wanderungen, ihren Jachten oder Weltreisen erzählen, ohne überhaupt zu merken, dass sie sich nicht einmal an deinen Namen erinnern können.«

»Oh«, entfuhr es Jasmin, bevor sie verstummte. Sie hatte zwar nicht so viel Erfahrung wie Pia in gewissen Kreisen, aber ihre Aussage hatte was. Denn auch bei den Treffen der Konditoreivereinigung und den Gewerbetreibenden von Bremen konnte sie dieses Verhalten schon beobachten.

Nachdenklich setzte sie sich wieder gerade hin und blickte nach draußen.

Die Straße führte sie nun nach Norden, und es würde nicht mehr lange dauern, bis zu ihrer Linken der schmale Fluss Harle erschien, der sie von da an bis zum Hafen Harlesiel begleiten würde.

Ein fast unmerkliches Kribbeln lief durch ihren Körper beim Gedanken daran. In dem kleinen Dorf schien die Zeit auch heute noch stillzustehen. Die rötlichen Backsteinhäuser und die vereinzelten dunklen Dächer, die sich teilweise bis fast zum Boden erstreckten, säumten das linke Ufer des kleinen Jachthafens.

Hier oben war das zum Glück nicht so wie in Pias Erzählung. Hier und auch bei ihrem Vater daheim interessierten sich die Menschen wirklich noch füreinander. Da war eine Frage nach der Gesundheit noch ehrlich gemeint und nicht nur eine Floskel. Man kannte seine Nachbarn, grillte im Sommer gemeinsam in den Gärten, und wenn jemand mal krank war, dann brachte man ihm eine Suppe vorbei.

Ja, auch wenn sie sich in den letzten Jahren mehr um sich selbst und ihr Geschäft gekümmert hatte, hier oben schien alles beim Alten zu bleiben, und das war schön.

Sie biss die Zähne zusammen. Bis auf Ausnahmen war es schön. Dass Frauke die Luft vergiftete, wenn sie nur den Mund auftat, das war so eine Ausnahme.

Auch in dieser Hinsicht würde wohl alles beim Alten bleiben.

2

Tief atmete Jasmin die frische Meeresluft ein, und ein zufriedenes Lächeln strahlte in ihrem Gesicht. Die salzige Luft hier roch schon fast nach Heimat. Aber noch lange nicht so intensiv, wie die Luft auf Wangerooge nach salzigem Meer, Frische und unendlichen Weiten duftete.

Es war herrlich, denn egal, wie lange sie weg war, kaum setzte sie hier einen Fuß auf die Fähre, fühlte sich alles wieder so vertraut an, als wäre sie erst gestern von Wangerooge fortgezogen. Dass damit unweigerlich auch Frauke – wenn auch für kurze Zeit – wieder in ihr Leben zurückkehrte, schob sie jetzt einfach mal zur Seite. Sie würden sich noch früh genug wiedersehen.

Was jetzt jedoch viel mehr Jasmins Aufmerksamkeit fesselte, war Pia und wie sie mit gerunzelter Stirn und ihren Händen tief in den Hosentaschen vergraben vor dem Steg auf und ab ging.

Jasmin war in heller Freude geradezu auf die Fähre gestürmt und hatte gar nicht mitbekommen, dass Pia ihr nicht gefolgt war.

Immer wieder blieb Pia stehen, sah zu Jasmin auf die Fähre hinauf, kaute dabei unruhig auf ihrer Unterlippe herum, nur um dann wieder ein paar Schritte vor dem Steg hin und her zu tigern.

Wenn Jasmin es nicht besser gewusst hätte, hätte sie direkt angenommen, dass Pia irgendwie Angst vor Wasser oder Schiffen hatte. Denn der sehnsuchtsvolle Blick, den Pia dabei hinüber zum Auto und auf den Parkplatz warf, sah irgendwie ganz danach aus, als überlegte sie sich, hier umzukehren und wieder heimzufahren.

»Also los«, trug der leichte Wind Pias gemurmelte Worte leise zu Jasmin auf die Fähre hinauf. Gleich darauf hob ein tiefer Atemzug Pias Brust an, während sie ihre Hand auf das Geländer des Stegs legte und ihn vorsichtig betrat.

»Wirst du etwa seekrank?«, konnte Jasmin es sich nicht verkneifen zu fragen.

»Nein, ich . . .«, stotterte Pia etwas unbeholfen. Es schien, als hätte sie ihre Selbstsicherheit an Land gelassen, während sie die letzten Meter vom Steg hinter sich brachte und die ersten reichlich wackligen Schritte übers Deck auf Jasmin zukam. »Ist einfach nur schon etwas länger her.«

»Nun, was hältst du davon, wenn wir uns jetzt einen schönen Sitzplatz suchen?«, schlug Jasmin vor. Sie wandte sich bereits in Richtung Sonnendeck, doch als sie Pias Zögern bemerkte, fügte sie hinzu: »Wir können auch nach unten gehen. Dort schaukelt es weniger.« In der Hoffnung, Pia würde sich doch noch fürs Sonnendeck entscheiden, blickte sie hinauf und betrachtete die Möwen, wie sie in luftiger Höhe ihre Kreise zogen. Normalerweise saß sie auch da oben zwischen all den Touristen und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen.

Huch! Ihre Mundwinkel zuckten kurz nach oben, als Pia sie aus ihren Gedanken riss und wie eine Möwe, die zielgerichtet ins Meer stach, um einen Fisch zu erbeuten, an Jasmin vorbeizog und mit großen Schritten die Treppe ansteuerte, die in das Innere führte.

Tja. Jasmin zuckte die Schultern und folgte Pia die Treppe hinunter. Die Überfahrt würde sie dennoch genießen, denn es war ihre letzte Frauke-freie Zeit. Sie hätte damals die Gelegenheit nutzen sollen, als sie noch kleine Kinder waren, Frauke – natürlich nur versehentlich – über die Reling zu befördern.

»So eine Überraschung aber auch!«, hörte Jasmin nur Sekunden später eine fremde Stimme und wäre dabei fast in Pia hineingelaufen, da diese abrupt auf der untersten Treppenstufe stehengeblieben war.

»Pia!«, frohlockte die fremde Stimme erneut. »Das ist ja schon ewig her.«

Langsam neigte Jasmin ihren Kopf über Pias Schulter, und ohne es zu wollen wanderte eine Augenbraue verächtlich in die Höhe. Die fremde Frau vor ihr hatte nach Pias Händen gegriffen, sie von der untersten Treppenstufe weg und näher zu sich herangezogen. Fest hielt die Fremde Pias Hände, während ihre Blicke auf und ab über Pia glitten.

»Hallo Louise«, begrüßte Pia die fremde Frau tonlos.

»Was machst du denn hier?« Louise zog Pia in eine feste Umarmung.

Jasmin presste die Zähne aufeinander. Auch wenn sie Pia erst wenige Stunden kannte, fühlte sie ein seltsames Brummeln in ihrer Magengegend. Louise drückte Pia so fest an ihre ausladenden Brüste, dass Jasmin einen Moment befürchtete, sie würden platzen. Auch der leicht französische Akzent ließ das Blut in ihren Adern gefrieren. Allein Louise’ Anblick in ihren hautengen Jeans und dem viel zu knappen Shirt mit dem überdimensionalen Ausschnitt stellte Jasmins Nackenhaare in alle Richtungen auf.

»Oh, du siehst immer noch so umwerfend aus wie eh und je.« Louise nickte anerkennend, während sie ihre Blicke erneut über Pia gleiten ließ.

Jasmin seufzte ergeben, denn da war er seltsamerweise wieder, ihr Wunsch, auch dieses Weib über die Reling zu befördern. Stattdessen schob sie ihre Hände in die Hosentaschen, um sie daran zu hindern, irgendetwas Unüberlegtes zu tun. Sie hatten zwar inzwischen vom Hafen abgelegt und tuckerten übers offene Meer, aber sie waren noch nicht so weit weg, als dass Louise es nicht würde schaffen können, schwimmend den Hafen zu erreichen.

Jasmin konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen bei diesem Gedanken. Klar, Louise würde sich anstrengen müssen, aber ihre prallen Brüste würden ihr sicherlich als Schwimmhilfe dienen.

Jetzt hör aber auf, wies sie sich selbst zurecht. Solche Gedanken gehörten sich doch nicht, auch wenn sie lustig waren. Außerdem hätte Louise das wirklich verdient, denn ihre Augen klebten immer noch an Pia und ihrem Körper. Auch Louise’ Zungenspitze, die leicht hervorkam und genießerisch über ihre Lippen strich, während ihre Augen immer dunkler wurden, half nicht unbedingt dabei, erneute Gedanken an einen alternativen Abgang zu verdrängen und das Rumoren in Jasmins Magengegend zum Schweigen zu bringen.

»Nun sag schon, was führt dich her? Bist du . . .«, Louise sah zum ersten Mal über Pias Schulter hinweg, »beruflich oder privat hier?«

»Privat«, antwortete Pia nur knapp und befreite ihre Hände aus Louise’ festem Griff.

Jasmin schluckte trocken, denn Louise’ Augen bohrten sich direkt in ihre. Am liebsten hätte sie ihren Blick abgewandt und sich hinter Pias Rücken versteckt, aber das süffisante Grinsen, das auf Louise’ Gesicht erschien, hielt sie gefangen. Außerdem hatte sie Pia gebucht, und Louise musste früher oder später weiterziehen. Ob jetzt nur ein Deck nach oben, um sich einen Sonnenbrand auf ihrem wogenden Busen einzufangen, oder schwimmenderweise über die Reling zu den Fischen, war Jasmin in dem Moment völlig egal.

»Oh«, kam es erstaunt von Louise. »Dann darf ich annehmen, dass dies . . .«, sie hielt inne und presste ihre Lippen aufeinander, »die . . . Glückliche ist?«, schob sie noch mit gerümpfter Nase hinterher.

Beinahe hätte Jasmin laut aufgelacht. Die Glückliche. Nein, das war sie wirklich nicht. Wenn diese vermaledeite Hochzeit nicht wäre, dann wäre sie die Glückliche, und das daheim in ihrer Backstube. Zwischen Mehl, ihrem Backofen und vielleicht noch mit Doris, ihrer besten Freundin.

So aber stand sie mit diesem Rumoren in ihrer Magengegend, das immer noch keinen Deut abgenommen hatte, im Rumpf dieser Fähre und schlug sich mit einer prallbrüstigen Louise herum, die ganz offensichtlich mehr Interesse an Pia hatte, als nur mit ihr einen kleinen Schwatz zu halten. Auch dass sie an ihrem eh schon viel zu weiten Ausschnitt herumzupfte und Pia dabei noch mehr von ihrem üppigen Dekolleté präsentierte, half nicht, das aufkommende Knurren zu unterdrücken, das Jasmins Kehle hinaufgrollte.

»Ja,« erwiderte Pia lapidar, nahm Jasmins Hand in ihre und drückte sie fest. »Das ist meine Freundin. Jasmin. Wir sind unterwegs zur Hochzeit ihrer Schwester.«

Wenn nicht bereits Pias Worte das Rumoren in ihrer Magengegend weggewischt hätten wie ein Windstoß das Mehl auf ihrer Arbeitsplatte, spätestens Pias Hand, die sanft und dennoch fest ihre hielt, ließ noch den kümmerlichen Rest davon verschwinden. Sie ist jeden Cent wert, lachte Jasmin in sich hinein. Auch wenn sie im Inneren wusste, dass es nicht so war, sonnte sie sich gerade in dem herrlichen Gefühl, vor Louise Pias feste Freundin zu sein. Das dabei kurz das anzügliche Grinsen aus deren Gesicht fiel, setzte dem Ganzen noch das Sahnehäubchen auf.

»Na sieh einer an, zur Hochzeit ihrer Schwester . . .«, bemerkte Louise vielsagend und tippte sich an die Nase. Ihre Augen funkelten dunkel, während sie abwechselnd zwischen Jasmin und Pia hin und her sah. »Das ist aber ungewöhnlich für dich.« Sie neigte ihren Kopf zur Seite und blinzelte Pia an. »Hast du nicht einmal gesagt, dass du –«

»Lass es!«, fiel Pia ihr lautstark ins Wort. Die Augen zu dünnen Schlitzen geformt trat sie einen bedrohlichen Schritt auf Louise zu. »Ich bin mit meiner Freundin hier«, zischte sie, »und alles andere geht dich nichts mehr an.«

Am liebsten hätte Jasmin die Hände in die Luft geworfen vor Freude. Diese französischen Augen zu sehen, die sich überrascht weiteten, und der dümmliche Gesichtsausdruck dieses Flittchens entschädigten sie schon beinahe für all die Spitzfindigkeiten, die auf der Insel in Form ihrer Schwester noch auf sie warteten.

Der Gedanke an einen netten Schubs, um dieses üppige Dekolleté jetzt endlich aus den Augen, am liebsten aber gleich ganz von Bord zu bekommen, kam zwar kurz noch einmal auf, aber da Pia ihre Hand gerade so schön festhielt, musste sie Prioritäten setzen.

»Mon Dieu«, stammelte Louise. Beschwichtigend hob sie ihre Hände vor sich in die Höhe. »Schon gut, ich habe verstanden.« Mit hochgezogenen Augenbrauen trat sie einen kleinen Schritt zurück. »Ich sehe, du bist immer noch so heißblütig wie damals.« Verträumt strich sie sich übers Dekolleté und biss sich auf die Unterlippe. »Hm«, schnurrte sie wie ein Kätzchen. »Aber falls du mal wieder Lust auf eine richtige Frau hast, dann . . .«

»Es reicht!« Pia stupste ihr den Finger in die Schulter. »Jasmin ist mehr Frau, als du es je warst. Außerdem wird es jetzt Zeit, dass du gehst.«

»Ach . . .« Gespielt überrascht landete Louise’ Hand auf ihrem Mund. »Du meinst das ernst. Ich«, sie nickte, »verstehe.« Arglistig zog sie einen Mundwinkel zur Seite. »Na, dann wünsche ich euch beiden noch eine schöne Hochzeit.« Schwungvoll wandte sie sich ab, nicht aber ohne ihre Blicke ein letztes Mal hungrig über Pia wandern zu lassen.

Pias Brustkorb hob und senkte sich in schneller Folge, während sie ihr mit tief zusammengezogenen Augenbrauen hinterhersah.

»Ist alles in Ordnung mit dir?« Jasmin strich Pia sanft mit dem Daumen über ihren Handrücken und bemerkte nur noch aus dem Augenwinkel, wie Louise sich mit einem letzten eleganten Hüftschwung um die Ecke verabschiedete.

»Ja, ich glaube schon«, krächzte Pia mit undeutlicher Stimme. »Es tut mir sehr leid, bitte entschuldige. Das war vollkommen unprofessionell.« Müde ließ sie ihren Kopf in den Nacken fallen und schloss für einen Augenblick die Augen. »Louise ist«, sie räusperte sich, »ein Ärgernis.« Ihre Hand flog durch die Luft, als ob sie damit ein paar Fliegen verscheuchen wollte. »Ach, vergiss sie einfach, sie ist es nicht wert.«

Wow, staunte Jasmin. Die Zornesfalten, die bis gerade eben noch Pias Stirn durchzogen hatten, waren gemeinsam mit Louise’ Abgang verschwunden, und nun strahlten sie wieder diese klaren, grauen Augen an, die sie schon heute Morgen ein paarmal aus dem Konzept gebracht hatten. Ganz zu schweigen von der Wärme, die sich in ihrer Hand ausbreitete. Pia war wirklich eine erstaunliche Frau und ein absoluter Profi, wenn sie so eine Begegnung einfach so zur Seite schieben konnte.

»Wie lange machst du das schon?«, fragte Jasmin.

»Was meinst du?«, erwiderte Pia sarkastisch. »Aufdringliche Frauen verscheuchen oder mich benehmen wie eine herrische Furie?«

»Ähm . . .« Jasmin stockte. Damit hatte sie nicht gerechnet. Das, was Pia da gesagt hatte, war zwar naheliegend, aber das meinte sie doch gar nicht. »Nein«, erwiderte sie daher. Ihren Blick auf ihre immer noch verbundenen Hände gesenkt ließ sie schnell Pias Hand los. Das Kribbeln, das sich gerade munter weiter ihren Arm entlang hinaufschlängelte, brachte sie doch etwas aus dem Konzept. »Ich meine deinen Beruf. Die Escorts«, erklärte sie, während sie ihren Handrücken rieb.

»Ach das«, winkte Pia wegwerfend ab. Sie zuckte die Schultern. »Mittlerweile schon einige Jahre.« Sie wandte sich von Jasmin ab und lief zwischen den Sitzreihen hindurch. »So was wie gerade eben kommt eher selten vor. Zumindest bei Frauen«, fügte sie noch an.

»Was, wie meinst du das?« Jasmin hob fragend die Augenbrauen und folgte Pia zu den Sitzreihen. Hieß das, dass ihr hin und wieder Männer so eine Szene machten, sie mit Blicken auszogen oder sie blöd bedrängten?

Gott, ich leb hinterm Mond, wurde es Jasmin gerade bewusst. Sie hatte zwar auch immer mal wieder einen anstrengenden Kunden, aber da war nichts, was ein Gratiskaffee oder ein Plunderstückchen nicht aus der Welt schaffen konnten.

»Na, dass manche Männer glauben, nur weil sie eine Escort gebucht haben, dass sie mich gleich besitzen. Aber bei Frauen kommt das kaum vor.« Unschlüssig blieb Pia vor ein paar Sitzen stehen und tippte sich mit dem Finger gegen das Kinn. Schnell warf sie einen Blick nach links und rechts, fast schien es, als versicherte sie sich, genau in der Mitte der Fähre zu sein, bevor sie sich umdrehte und Platz nahm.

»Unglaublich«, meinte Jasmin. Dass sich manche Kunden so benahmen, hätte sie nicht gedacht. Da hatte sie wohl wirklich keine Ahnung, was es bedeutete, eine Escort zu sein.

Nachdenklich ließ sie sich gegenüber von Pia in den Stuhl sinken. Sie hatten ja jetzt noch ein paar Minuten Zeit, bevor sie den Westanleger von Wangerooge erreichten.

Still betrachtete sie Pia einen Moment, die ihre Blicke unruhig durch die Gegend schweifen ließ. Beinahe drängte sich ihr der Gedanke auf, als würde Pia sich versichern, dass sie hier keinen der anderen Fahrgäste mehr kannte.

Kurz warf auch Jasmin einen Blick über ihre Schulter zurück, denn auf ein erneutes Wiedersehen mit Louise hatte sie keine Lust. Auch wenn das gerade eben im Nachhinein betrachtet einer gewissen Komik nicht entbehrte. So viel Action hatte sie schon lange nicht mehr gehabt.

Aber das Beste daran war, dass es sich richtig gut angefühlt hatte, Pias Hand zu halten und vor Louise ihre Freundin zu mimen. Zumindest konnte sie das jetzt schon mal als gelungenen Probelauf für später ansehen.

»Kaffee«, durchbrach Pia die Stille zwischen ihnen. »Ich könnte jetzt einen Kaffee gebrauchen. Möchtest du auch?« Noch bevor Jasmin antworten konnte, klatschte Pia sich entschieden auf die Oberschenkel und erhob sich. »Ich besorge uns einen.« Zielsicher steuerte sie zwischen den Sitzreihen hindurch den kleinen Kiosk an.

Das war eine gute Idee mit dem Kaffee, das fand auch Jasmin. Der Kaffee und auch die kleinen Sandwiches, die der Kiosk hier verkaufte, waren lecker. Sie hatte sich meistens auf ihren früheren Überfahrten eins gegönnt. Schließlich musste sie doch auch mal probieren, was die Konkurrenz so anbot.

Vor sich hinschmunzelnd beobachtete sie Pia, wie die sich in die Schlange einreihte. Es dauerte kaum ein paar Sekunden, da wurde sie auch schon von der älteren Frau, die vor Pia in der Reihe stand, angesprochen, und wenn sie die Gesten der Frau richtig interpretierte, war die gerade voller Eifer dabei, Pia die verschiedenen Waren in der Auslage anzupreisen.

Ein kleines Lächeln legte sich auf Jasmins Lippen, während sie die beiden beobachtete. So, wie die ältere Frau in Plauderlaune schien, würde sie Pia noch ein paar Minuten in Beschlag nehmen.

Der Zwischenfall mit Louise hatte den Grund, warum sie hier unten waren, völlig aus Jasmins Gedächtnis gefegt, und so stand sie auf, um an Deck auf Pia und den Kaffee zu warten. Mit einem Rundumblick vergewisserte sie sich, dass Louise nicht in der Nähe war, dann stieg sie die Treppe hinauf und blickte in den blauen Himmel.

Sofort kam ihr Louise wieder in den Sinn, also warf sie einen Blick in die Runde, sie war jedoch nirgends zu sehen. Erneut begann es in ihrer Magengegend zu grummeln. Wollte sie nicht die Frauke-freie Zeit genießen? Stattdessen musste sie zusehen, die restliche Zeit auf der Fähre Louise-frei zu bleiben.

Seufzend trat sie vor die Reling und legte ihre Hände auf den Handlauf. Es wäre ja auch zu schön gewesen, eine Frau wie Pia – wenn auch nur für kurze Zeit – ganz für sich allein zu haben.

Woher die beiden sich wohl kennen? fragte sie sich, denn eigentlich musste sie sich auch eingestehen, sie wusste nichts von Pia. Vielleicht stand Pia ja auf solche Frauen, die jedem ungefragt ihren prallen Busen ins Gesicht drückten. Jetzt reicht’s aber! wies sie sich selbst zurecht.

Krampfhaft ließ sie ihren Blick weit über das Meer gleiten und schloss ihre Finger immer fester um den Handlauf. Das Festland war schon lange nicht mehr zu sehen, und für das, was jetzt in Form einer überheblichen Schwester auf sie wartete, brauchte sie all ihre Energie.

Ergeben ließ sie ihre Augen zufallen und streckte ihre Nase in den Wind. Das Gekreische der Möwen, die die unmittelbare Nähe zur Insel ankündigten, ließ sie wissen, dass das jetzt die letzten Minuten waren. Langsam drängte sich aber auch das Brummen der Dieselmotoren wieder in ihr Bewusstsein. Sie öffnete die Augen, beugte sich über den Handlauf und betrachtete das Wasser, das unter ihr unaufhörlich dahinsprudelte.

»Jasmin!«, brüllte es so streng von hinten, dass sie beinahe vor Schreck das Gleichgewicht verloren hätte.

Augenblicklich wirbelte sie herum und sah direkt in zwei weit aufgerissene graue Augen.

Pia stand einige Meter entfernt von ihr, sie hatte kaum einen Schritt von der Treppe aufs Deck gemacht. Zu ihren Füßen ergoss sich der braune Inhalt zweier Becher über den Boden. »Komm sofort da weg!«, befahl sie. Dann wurde ihre Stimme weicher. »Bitte, Jasmin, komm her.« Sie trat einen Schritt auf Jasmin zu, blieb dann aber wie angewurzelt stehen. Ihre Hände zu Fäusten geballt bildeten sich auf ihrer Stirn tiefe Falten.

Ein eisiger Schauer rann Jasmin allein bei Pias Anblick den Rücken hinunter. Was war denn nur los? Sie stand doch nur hier. »Ist was passiert?«, fragte sie daher. Kurz ließ sie ihren Blick nach links und rechts schweifen, aber nicht mal Louise und ihr kleiner französischer Hintern waren zu sehen.

»Bitte komm einfach nur von der Reling weg.« Zögernd streckte Pia die Hand nach ihr aus.

Ihren Blick auf Pias Hand gerichtet kam Jasmin einen Schritt näher, und kaum hatten sich ihre Hände berührt, zog Pia sie zu sich heran und schlang fest ihre Arme um sie.

Himmel! Was ist denn jetzt los? Stocksteif und mit angehaltenem Atem stand Jasmin da. Pias Körper, der sich sanft an sie schmiegte, und Pias Hände, die gleichmäßig über ihren Rücken hinauf- und hinunterstreichelten, fühlten sich zwar unglaublich gut an, aber womit hatte sie das denn jetzt verdient?

»Bitte tu das nie wieder«, sagte Pia leise an ihrem Ohr, während ihr Atem warm an Jasmins Hals vorbeistreifte. »Bitte tu mir den Gefallen und bleib von der Reling weg.«

»Okay, mach ich«, stotterte Jasmin etwas unbeholfen. Ihr Herz schien beinahe aus ihrer Brust hüpfen zu wollen, und langsam wich die Überraschung aus ihrem Körper.

Pias Brüste, die sich fest gegen ihre drückten, ließen ein leichtes Ziehen in ihren südlichen Regionen entstehen. Gemächlich fielen Jasmins Augen zu, und sie ließ sich in Pias Umarmung fallen. Das Kribbeln, das sich in ihrem ganzen Körper ausbreitete, war einfach viel zu schön, um es nicht zu genießen.

Sanft glitten ihre Hände um Pias Taille herum und streichelten ihr über den Rücken. Pias Duft, der ihr fein um die Nase wehte, und ihre Wärme fühlten sich gut an. Verdammt gut, musste sie zugeben.

Aber der laute Pfiff der Fähre, der diesen Moment gerade zerstörte, machte Jasmin schmerzlich bewusst, dass sie jetzt gleich anlegen und ihre innige Umarmung damit jeden Augenblick ein Ende haben würde.

Es dauerte zwar noch ein paar Sekunden, aber dann löste sich Pia von ihr, blieb jedoch schweigend und mit leicht verkrampfter Haltung neben ihr stehen. Sie schien in Gedanken versunken und beobachtete gebannt das Anlegemanöver der Fähre am Westanleger.