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Erscheinungsjahr dieser E-Book-Ausgabe: 2020

ISBN der Printausgabe: 978-3-95571-905-0

ISBN dieses E-Books: 978-3-95571-920-3 (EPUB), 978-3-95571-922-7 (PDF),  978-3-95571-921-0 (MOBI).

Einleitung

In den letzten Jahren hat die Anwendung hypnotherapeutischer Methoden in therapeutischen und Beratungskontexten stetig zugenommen. Verschiedene Therapierichtungen wie beispielsweise die Verhaltenstherapie, die Schematherapie oder die Familientherapie nutzen hypnotherapeutische Methoden als „Tools“, also Werkzeuge, zur Intensivierung ihrer Vorgehensweisen. Unser Anliegen mit diesem Buch ist, neben der Vermittlung hypnotherapeutischer Herangehensweisen, deutlich zu machen, dass Hypnotherapie mit Kindern und Jugendlichen oder auch ihren Familien nicht nur ein „Tool“ ist, sondern ein Konzept mit einer klienten- und entwicklungsorientierten Grundhaltung und den damit verbundenen Prämissen, die unter anderem von Milton Ericksons Ansatz der modernen Hypnose und Hypnotherapie geprägt sind:

Entwicklungsorientierung

Zu diesen Prämissen gehört die Idee, dass die Entwicklungsmotivation und die ursprüngliche Lust an „Wachstum und Meisterschaft“ (wie Daniel Kohen es in seinen Workshops nennt) in jedem Menschen grundsätzlich angelegt sind.

Ressourcenorientierung

Des Weiteren wird davon ausgegangen, dass der Organismus über unbewusste Fähigkeiten und Ressourcen zur Selbstorganisation verfügt, die durch die hypnotherapeutische Arbeit aktiviert werden können.

Bedürfnisorientierung

Um diese Methodik anwenden zu können, bedarf es daher einer guten therapeutischen Arbeitsallianz (Rapport), einer klaren Orientierung an den Bedürfnissen der Betroffenen sowie die Wahrnehmung des Patienten in seinem Weltbild, mit seinen Erklärungsmodellen und nicht zuletzt den damit zusammenhängenden Lösungsmustern und Bewältigungsstrategien.

Lösungsorientierung

Diese Strategien zu erkennen, zu würdigen und Entwicklungsziele zu formulieren ist ein wesentlicher Teil des prozessorientierten Vorgehens.

Prozessorientierung

In der Hypnose und Hypnotherapie liegt der Ablauf und das, was passiert, vor allem beim Klienten oder Patienten1 und dessen inneren Prozessen, die therapeutisch aufgegriffen und „angestoßen“ werden. Da die Hypnotherapie mit Trancezuständen arbeitet, ist auch die Sprache und Kommunikation eine, die sich von der Alltagskommunikation abhebt. Die Wirkung von Sprache auf den Patienten in Trance ist oftmals eine wortwörtliche. So werden z. B. negative Formulierungen („Stell dir keinen rosa Elefanten vor“) oder Konjunktive („Stell dir vor, die Angst hätte dich nicht blockiert“) nicht als solche verarbeitet, innere Bilder oft direkt assoziiert und mit dem entsprechenden Erleben verknüpft. Dies zu beobachten und auf z. T. minimale Reaktionen zu achten oder unwillkürliche Bewegungen aufzugreifen, intensiviert die Kooperation wie auch die Ausrichtung der Aufmerksamkeit und Wahrnehmung auf die inneren Prozesse.

Selbstregulation und Selbstheilungspotentiale fördern

Die therapeutische Intention besteht oft eher darin, innere Suchprozesse auszulösen, als Antworten vom Kind oder den Eltern zu erhalten, und die Entwicklung sowie den Prozess in Gang zu halten. Eine kleine Geschichte von Milton Erickson illustriert dies treffend (Rosen, 2009): Er beschreibt darin, wie er als Kind ein einsames freilaufendes Pferd in der offenen Landschaft fand, von dem er nicht wusste, wem es gehörte. Er setzte sich auf das Pferd, trieb es an und ritt mit ihm mit, bis sie an einer Farm ankamen. Der Farmer bedankte sich und fragte den Jungen, woher er denn gewusst habe, wohin das Pferd gehöre. Das habe er gar nicht gewusst, antwortete Erickson daraufhin, er habe das Pferd einfach nur zurück auf die Straße gelenkt und dort in Bewegung gehalten.

Es kommt also nicht nur darauf an, die „Werkzeuge“ zu kennen, sondern vor allem, deren Nutzen für den Patienten in seinem Kontext und im therapeutischen Prozess zu erfassen. Besonders bedeutsam wird dies, wenn bezüglich formulierter Ziele ein Ambivalenzkonflikt besteht und zunächst eher eine Haltungsänderung als eine Verhaltensänderung die Entwicklung ermöglicht. Das gilt sowohl für die Haltung der Eltern gegenüber den Kindern als auch für die Haltung innerhalb einer Person.

Systemische Orientierung

Somit kann sich das hypnotherapeutische Herangehen sowohl auf das interpersonelle System, das heißt die unterschiedlichen bedürfnisorientierten Anteile oder auch Ich-Zustände (oder Ego-States) einer Person beziehen, wie auch auf das intrapersonelle System, also die Familie, Gruppe etc., in der der Klient sich bewegt. Dies spiegelt der von Gunther Schmidt geprägte Begriff der hypnosystemischen Therapie wider.

Das vorliegende Buch soll vor allem einen Einblick in die Grundlagen der Klinischen Hypnose mit Kindern, hypnotherapeutische und systemische Settings sowie die direkten und indirekten Anwendungsmöglichkeiten geben. Ausgehend von diesen Grundlagen, dem Herstellen einer Arbeitsallianz, Fördern der Motivation, Erarbeiten von maßgeschneiderten Zielen, Nutzen hypnotischer Sprachmuster, werden zunächst direkte, klassische Tranceinduktionen anhand von Fallbeispielen und die Anwendung bei spezifischen Störungsbildern vorgestellt. Dann geht es über die Arbeit mit Teilen zu komplexeren indirekten Verfahren wie dem hypnotherapeutischen Spiel und hypnosystemischen Herangehensweisen mit Familien sowie Hypnose mit Familien und dem Kind in der Familie.2


1  Die Bezeichnungen „Patient“ und „Klient“ werden in diesem Buch nebeneinander bzw. im losen Wechsel verwendet.

2  Die dargestellten Fälle wurden anonymisiert und geben Ausschnitte der Behandlungen wieder.

1. Klärung von Erwartungen und Erklärung von Hypnose

„Hypnosis is Daydreaming with a Purpose.“

(Daniel P. Kohen)

Die Erwartungen, die an eine Behandlung mit Hypnose herangetragen werden, sind oft geprägt von Bühnenhypnose oder anderen effektstarken Darstellungen, „Wunderheilungen“ oder auch Heilungsversprechen durch Therapeuten oder Hypnotiseuren. Sendungen im Fernsehen und YouTube-Videos von Hypnotiseuren, die teilweise pseudowissenschaftliche „Fakten“ vermitteln, tragen dazu bei, dass Hypnose vor allem seitens des Patienten als passive Methode eingestuft wird: Die Macht liegt in der mysteriösen Energie des Therapeuten, der den Patienten willenlos manipulieren kann. Die Idee, dass dadurch Symptome, Gedanken oder Schmerz beseitigt werden, ist oft vorhanden. Ebenfalls gibt es mitunter die Hoffnung, dass durch Hypnose Erinnerungen oder verborgene Wahrheiten über die Vergangenheit oder vergessene, verdrängte Traumata ins Bewusstsein geholt werden können.

Ein elfjähriger Junge, der als Findelkind aus Südamerika von deutschen Eltern adoptiert worden war, meldete sich selbstständig bei uns, um zu erfahren, wie seine echten Eltern wohl aussähen und wie sie wohl wären: Er hatte im Fernsehen und auf YouTube gesehen, dass durch Hypnose Erinnerungen wieder präsent gemacht werden könnten und man so die Wahrheit über sein Leben erfahre.

Solche Versprechungen sind irreführend und mit großer Vorsicht zu genießen, da Erinnerungen durch Suggestionen manipuliert oder erst erschaffen werden können. Dazu gibt es inzwischen klare Erkenntnisse aus der neuropsychologischen Forschung. Klinische Hypnose vermittelt hingegen vor allem Selbsthilfestrategien, die dem Patienten Möglichkeiten eröffnen, seinen Einfluss auf körperliche und mentale Zustände durch die eigene Vorstellungskraft zu erfahren.

1.1 Trance als Alltagserleben und heilsamer Prozess

Trancen sind in erster Linie Alltagszustände, die jeder kennt – und herstellen kann! Um Eltern und Kindern Hypnose als Methode näherzubringen, kann man im Rückgriff auf Erkenntnisse der Hypnoseforschung den Wechsel von einem normalen Wachzustand in einen Trancezustand als normales Phänomen beschreiben. Trancezustände im Alltag finden sich wieder in Tagträumen, im entspannten Dösen, beim Erleben automatisierter Tätigkeiten mit geteilter Aufmerksamkeit (wie beim Busfahren und Joggen), im gelöst konzentrierten Hören von Musik, beim absorbierenden Betrachten eines spannenden Films, während des Anhörens einer spannenden Schilderung oder dem gebannten Lauschen von Märchen und Geschichten, beim dissoziierten Erleben im Spiel oder auch durch ein intensives erotisches Erlebnis.

Neben diesen Zuständen gibt es allerdings auch die, die eine andere Qualität haben. Unangenehme Erlebnisse oder bevorstehende belastende Situationen und Nachrichten, die uns existenziell berühren, wie eine ungünstige medizinische Diagnose, Zwangserleben, eine Trennung, ein Verlust, ein heftiger Streit, eine bevorstehende Prüfung oder Operation, können uns ebenfalls in besondere Zustände mit allen psychophysiologischen Merkmalen von Trance befördern. Wir sprechen dann, je nach den Umständen bzw. den Ursachen, von Angst- oder Problemtrancen (Schmidt, 2018).

Ein Beispiel aus der Spieltherapie:

Ein neunjähriges Mädchen sitzt am Rand des Sandkastens im Therapiezimmer und malt mit einem Zauberstab aus Plastik langsam die Namen seiner Familienangehörigen in den Sand. Seine Lippen bewegen sich, zu hören ist jedoch nichts. Die Therapeutin schaut aus geringer Entfernung zu, bewegt ihren Kopf leicht im Rhythmus der Schreibbewegung des Mädchens und sagt etwas wie: „Du denkst jetzt an zu Hause …?“ Das Kind schaut nicht auf und reagiert auch sonst nicht unmittelbar auf die Erwachsene, fährt eine Weile mit dem Schreiben im Sand fort und beendet seine Tätigkeit nach einigen Minuten, indem es das Geschriebene mit Schlangenlinien langsam unleserlich macht. Es legt den Stab auf den Holzrand des Sandkastens, fokussiert die Therapeutin für einen Augenblick und sagt dann: „Papa hat eine neue Wohnung …“

Je nach eingenommener Perspektive könnte das Verhalten des Kindes beschrieben werden als „[d]etachment from one’s physical surroundings, as in contemplation or daydreaming“ (Thompson, 1993) oder als eine spezifische Wachheit und Konzentration auf einen begrenzten Teilbereich der Aufmerksamkeit. Für Außenstehende sieht es so aus, als sei die Aufmerksamkeit (nach außen) reduziert, d. h., man kann nicht unbedingt erkennen, auf welches innere Geschehen die Aufmerksamkeit dessen gerichtet ist, der sich in einem solchen Zustand befindet. Im Erleben solcher Zustände gibt es individuelle Unterschiede. So können sich Atem- und Pulsfrequenz bei den Betroffenen unterschiedlich entwickeln. Bei der einen Person sinken sie zu Beginn einer Trance deutlich ab, bei der anderen steigen sie an, erkennbar am Pulsieren der Halsschlagader. Oft kommt es in Zusammenhang mit Trancen zu einer deutlichen Reduzierung des Schluckreflexes, zu einer Veränderung der Pupillengröße, des Lidschlags und des REM-Reflexes. Wir registrieren Veränderung der Hautfarbe und des Muskeltonus im Gesicht. Seltener sind passager auftretende Starrezustände und Levitationen (z. B. einer Hand). Für die Betroffenen sind fast alle der oben genannten Veränderungen, einschließlich veränderter Temperatur- und Gewichtsempfindungen, wahr- bzw. spürbar. Darüber hinaus erleben wir in Trancen psychologisch bedeutsame Unterschiede, z. B. in der sinnlichen Wahrnehmung. Die Außenwahrnehmung wird diffuser, die Innenwahrnehmung fokussierter. Die Richtung der Wahrnehmung ändert sich von außen nach innen. Viele Menschen tendieren in Trancen zu einer literalen Wahrnehmung von Außen- und Innenreizen. Sie nehmen das, was zu ihnen gesagt wird oder was sie zufällig hören, oft ganz wortwörtlich und haben darüber hinaus die verstärkte Tendenz, das Gesagte unmittelbarer auf sich zu beziehen als in einem klaren und wachen Zustand. Daher sind Kinder in lernoffener Haltung oder auch Krisen und ähnlichen Zuständen hochsuggestibel. Das heißt, sie glauben, was sie hören, sodass manchmal unbedacht geäußerte Bemerkungen von Lehrern oder Eltern eine dauerhaft tiefe Wirkung auf das Selbstkonzept und ihr Weltbild haben können. Von außen über das EEG messbar sind verstärkt auftretende Alphamuster in den Gehirnwellen.

Psychophysiologische Merkmale von Trancen

Folgende Anzeichen (minimal cues) sind von außen zu beobachten:

Wirkungstheoretische Überlegungen gehen davon aus, dass die Zustandsveränderung bei den intendierten bzw. zufällig stattfindenden inneren Prozessen eine erhebliche Rolle spielt und wahrscheinlich die Voraussetzung dafür ist, dass inhaltliche Aspekte eine klarere bzw. größere Bedeutung gewinnen (Halsband, 2004). Es geht also um Zustände des Bewusstseins und der Aufmerksamkeit – noch genauer: um veränderte oder unterschiedliche Zustände und Befindlichkeiten. Diese Veränderungen spiegeln sich als Vorgänge in der Körperchemie und in den Nervenzellen des Gehirns wider.

Roth (2003) und andere haben überzeugend nachgewiesen, dass „gute“ und „schlechte“ Zustände signifikante Einflüsse auf die Speicher- und Reproduktionsprozesse im Gehirn haben. Belastende Inhalte bewirkten deutliche Aktivierungen in den Mandelkernbereichen mit reduzierten Austauschmöglichkeiten zu potentiell korrespondierenden Gehirnspeichern. Erfreuliche und positiv anrührende Inhalte wurden in Zwischenhirnarealen abgelegt, wo sie mehr Möglichkeiten hatten, sich mit anderen bereits gespeicherten positiven Inhalten zu verbinden. Diese Erkenntnis ist insofern wichtig, als dass wir mit ihr zusätzliche neuropsychologische Parameter erhalten, um die Existenz und Bedeutung unterschiedlicher Zustände und Befindlichkeiten besser verstehen und nutzen zu können.

1.2 Imaginationen und Fantasie – die Inhalte von Tranceprozessen

Erzieher, Lehrer und Therapeuten machen diese Erfahrung täglich: Es gibt Situationen, Kontexte, Stimmungen und Aktivitäten, durch die Kinder und Jugendliche animiert werden, „nach innen“ zu gehen und ihre Aufmerksamkeit auf eine besondere Weise zu fokussieren. Stefan Schmidtchen hat dieses Phänomen für die von ihm vertretene Kindertherapie einmal als „Spieltrance“ (Schmidtchen, 2001) bezeichnet.

Neben dem „dissoziierten Erleben im Spiel“ (Borg-Laufs, 2007) fallen uns zudem tagträumende Kinder ein, neben solchen, die lesen und von dieser Tätigkeit in starkem Maße absorbiert werden. In solchen und ähnlichen Fällen können wir ebenfalls von veränderten Zuständen der Aufmerksamkeit und des Bewusstseins ausgehen. Veränderungen, die sich beim Aufzeichnen des elektrischen Hautwiderstandes ebenso zeigen wie im EEG oder in den Ergebnissen bildgebender Verfahren.

Die verbindenden Mechanismen zwischen Tranceprozessen und Fantasien sind also neuronale Aktivitäten, die mit inneren Bildern einhergehen.

Unter entwicklungspsychologischen Gesichtspunkten gelten die Grenzen zwischen fantasiertem und realem Erleben bei Kindern bis ca. 12 Jahren ohnehin als fließend, bei jüngeren Kindern freilich stärker als bei älteren (Olness & Kohen, 2006).

Kindliche Imagination und Fantasie – Funktion und Bedeutung wissenschaftlich betrachtet

Nach Hüther und Bonney sind Imagination und Fantasie ein Ergebnis von Gehirnaktivität, Bindungssicherheit und individueller Entwicklung (Hüther & Bonney, 2002). Anna Freud nahm an, dass Fantasien sich aus Deprivationserfahrungen des Kindes heraus entwickeln und die Reaktion auf unbefriedigte Bedürfnisse und unerfüllte Wünsche darstellen (Freud, 1964). Für Bettelheim wirkte Fantasie sowohl bei der Entstehung als auch bei der Bewältigung kritischer Entwicklungsaufgaben mit: Inmitten erlebter Ohnmacht und Abhängigkeit wecke Fantasie Hoffnungen und rette das Kind vor Verzweiflung über sein Versagen. Aber auch subjektiv erlebte Abhängigkeit und Ohnmacht würden durch Fantasien befördert und fokussiert. Im Übrigen sei Fantasie an Entwicklungsstufen gebunden und hilfreich dafür, mit den charakteristischen emotionalen und psychologischen Problemen umzugehen, die während dieser Phasen aufträten (Bettelheim, 1976). Maria Montessori hingegen hielt Fantasie für eine unglückliche pathologische Tendenz der frühen Kindheit, durch welche spätere Charakterschwächen gefördert würden (Montessori, 1914).

Piaget weist der Fantasie eine wichtige Aufgabe bei der kognitiven und sensomotorischen Entwicklung zu: Fantasie sei die Grundlage des symbolischen Spiels, mit dem das Kind seine elementaren motorischen, sensorischen und kognitiven Fähigkeiten entwickele. Aus Salzstreuern werden Autos, im Sandkasten entstehen Burgen und im Vollzug dieser Aktivitäten würden – gebunden an Entwicklungsphasen – die kindlichen Imaginationen zu Vorlagen für die kognitiv-räumliche Wahrnehmung (Piaget, 1992, 2009).

Axeline fordert den Therapeuten auf, offen zu sein für den freien Fluss des Fantasiespiels, ohne ihm dabei eine eingegrenzte Bedeutung zuzuweisen. Richtig und beachtenswert ist ihr Hinweis, dass Fantasien und ihre spielerischen Umsetzungen, die für das Kind eine kreative und korrigierende Bedeutung haben, von Erwachsenen häufig gar nicht in dieser Bedeutung erkannt werden (Axline, 1955).

Nach Hilgard (1970) können die Kinder Fantasie einmal als Vehikel benutzen, um sich unbefriedigte Bedürfnisse zu erfüllen und unangenehme Situationen zu wenden. Zum anderen diene die Fantasie zur Entwicklung des kreativen Potentials. Karen Olness (Olness & Garner, 1988) stellt fest, das eigentliche Problem sei die Abwesenheit von Fantasie. Olness und Gardner vermuten, dass die Geringschätzung der Fantasie in westlichen Kulturen zur Entstehung und Verlängerung von Pubertätskonflikten beitrage, und für Olness und Kohen (2001) liefern die Fähigkeiten des Kindes zu imaginieren und zu fantasieren die eigentliche Voraussetzung dafür, in der von ihnen beschriebenen Mischung aus Verhaltenstherapie und Trance mit ihren Klienten zu arbeiten.

Für Violet Oaklander (2016) spielt Fantasie eine überragende Rolle. Sie stellt das eigentliche Arbeitsmaterial für therapeutisches Arbeiten mit Kindern dar. Fantasie sei eine Quelle der Freude und ein Spiegel der inneren Lebensprozesse des Kindes. Verborgene Ängste können ebenso ausgedrückt wie unausgesprochene Ängste dargestellt und Probleme ausagiert werden; alles mithilfe der Fantasie. Und zuletzt soll Milton H. Erickson erwähnt werden. Er trifft (1980) die Unterscheidung zwischen bewusster und unbewusster Fantasie. Die bewusste Fantasie sei eine einfache Form der (vorgestellten) Wunscherfüllung: Wir sehen uns selbst Taten vollbringen und Meisterwerke schaffen, für deren Umsetzung wir wahrscheinlich kaum gerüstet sind. Unbewusste Fantasien jedoch, so Erikson, seien Mitteilungen unbewusster Wünsche und Kräfte über tatsächliche, aber noch verborgene Möglichkeiten. Sie weisen darauf hin, was möglicherweise erreichbar wäre, wenn die inneren Umstände für eine Realisierung günstig sind. Unbewusste Fantasien sind psychologische Konstrukte in unterschiedlicher Ausformung, für die das Unbewusste bereit ist oder tatsächlich auf eine gute Gelegenheit wartet, um sie zu einem Teil der Wirklichkeit zu machen (Erickson, 1980).

Kinder leben in fantastischen Welten: Tagsüber kämpfen sie gegen Drachen und Monster und spielen ihre Allmachtsfantasien aus. Dieselben Helden, die am Tag ihre abenteuerlichen Taten vollbringen, geraten, wenn es dunkel wird, in Nöte. Tagsüber können wir offenbar leichter von der Fantasie zur Realität hinüberwechseln und umgekehrt. Nachts jedoch, wenn alles undeutlicher, konturloser und schattenhafter ist, fällt eine Realitätsprüfung schwerer. Wir sehen schlechter, und was wir nicht sehen, füllen wir mit unseren inneren Bildern, mit der Fantasie aus. Die Bilder oder Vorstellungen entscheiden wiederum neuropsychologisch gesehen über unser Erleben und über unsere Körperreaktionen – nicht unbedingt die Realität. Das ist schnell zu erkennen, wenn wir einem Kind ein Monster unter dem Bett ausreden wollen oder erklären, dass eine Spinne ungefährlich ist.

Demnach sind auch Angst- und Katastrophenfantasien, Versagens- und Suizidfantasien Fantasien, mit denen wir arbeiten müssen im Sinne einer „Dehypnose“ oder Veränderung der damit einhergehenden Vorstellungen. Die Erfahrung von Fachleuten mit Kindern, die sich in Krisen befinden, zeigt oftmals, wie hartnäckig sich das Erleben von Verletzungen der Grundbedürfnisse in Form von Vermeidungszielen (Grawe, 2004) in inneren Überzeugungen manifestiert. Soziale Phobien z. B. führen durch die Fokussierung auf die „vermutete negative Sicht der anderen auf sich selbst“ zu permanent eingeschränktem Selbsterleben. Anorektische oder auch depressive Jugendliche wenden ihr Wissen, ihre Intelligenz und letztlich auch ihre Interessen gegen sich und nutzen weitgehend unbewusst ihre Fantasie und Vorstellungskraft dazu, sich immer tiefer in den Sumpf ihrer negativen Befindlichkeiten zu manövrieren. Das heißt, dass solcherlei Erleben immer wieder reproduziert wird.

Traumatische Erfahrungen, Verletzungen und abwertende Selbstbildaspekte sorgen kognitiv und emotional dafür, dass innere Bilder, erinnerte Situationen, Gefühle, Vermutungen und Missverständnisse in einer Art Problemtrance (siehe Abschnitt 1.1) kombiniert und verschmolzen werden, die auch aus einer vernunftgeleiteten Erwachsenenperspektive nicht oder nur schwer aufgelöst werden kann, zumindest solange sie erkennbar in diesem Ich-Zustand verharren (siehe hierzu Kapitel 7 „Teilearbeit mit Kindern“).

Der „Klebstoff“ liegt im veränderten Zustand. Ein Trancezustand sorgt im Gehirn für eine Verschmelzung von Inhalten (gleichgültig, ob positiv oder negativ), die eigentlich logisch nichts oder nur wenig miteinander zu tun haben müssen. Das passiert ähnlich wie ein Konditionierungsgeschehen oft unbewusst, sodass ein Auslösereiz, der nicht immer gleich identifizierbar ist, eine komplexe Problemtrance auslösen kann. In der Traumatherapie spricht man hier von Triggern.

Insbesondere gestresste Kinder verbinden in ihrer Fantasie Sachverhalte miteinander, die gar nicht zusammengehören: etwa den Streit der Eltern mit einem vermeintlichen, bis dahin unentdeckten eigenen Vergehen. Kinderpsychotherapeuten erleben immer wieder, dass besonders jüngere Kinder aus Trennungsfamilien die Verantwortung übernehmen für das Scheitern der elterlichen Beziehung und sich (nicht nur in der Fantasie) „Buße“ auferlegen für ihre empfundene Schuld. Im Grunde verbirgt sich hinter diesem Schuldgefühl eine Art Kontrollillusion, die in gewisser Hinsicht ein selbsthypnotischer Zustand ist. Das Kind hat die Idee, dass es etwas hätte richtig oder besser machen können und dann die Eltern zusammengeblieben wären. Das Schuldgefühl korrespondiert also mit der Idee von „Einfluss / Spielräume haben“, denn für etwas, auf das ich keinen Einfluss habe, kann ich schließlich auch keine Verantwortung (Schuld) tragen (vgl. Abbildung 1.1).

Abbildung 1.1: Kindliche Kontrollillusion: Die Illusion, „schuld zu sein“, ist besser zu ertragen als völlige Hilflosigkeit.

Offenbar ist aber die Illusion, „schuld zu sein“ an der Trennung der Eltern, besser zu ertragen als die völlige Hilflosigkeit, dem Geschehen ausgeliefert zu sein. Um diese Kontrollillusion aufrechtzuerhalten, werden magische Zusammenhänge („Wenn ich X tue, passiert die Katastrophe Y nicht“) hergestellt. Diese Konstruktion ist der Nährboden für Zwänge. Die Fantasien, Imaginationen und Emotionen verbinden sich in assoziativen Trancezuständen zu einer brisanten Mischung von Bekanntheit (durch Erfahrung) und Intensität, die bisweilen auch Suchtcharakter annehmen kann.

Traumatische Erfahrungen sind gekennzeichnet von dem gleichzeitigen Verlust an Kontrolle und Bindung. Wenn das Kind in der Klasse gehänselt, traktiert oder gemobbt wird, muss es die Möglichkeit haben, sich verbal abzugrenzen, in der Fantasie für Gerechtigkeit zu sorgen und sich körperlich zu wehren, wenn es angegriffen wird. Geschieht dies nicht durch entsprechende Unterstützung, führt es dazu, dass Kinder und Jugendliche sich auf unterschiedliche Weise, nicht zuletzt mithilfe der neuen Medien, fantasierte Realitäten und dauerhafte Trancen schaffen, die je nach Qualität und Richtung günstig (Ressourcenförderung) oder ungünstig (Suchtentwicklung) für Wohlbefinden, Verhalten und erwünschte Veränderungen sind. Gelingt keine „Versöhnung“ oder Wiedergutmachung der erlebten Verletzungen, Akzeptanz und Würdigung des Geschehenen, kann ein solcher Zustand dauerhaft in eine Verbitterungsstörung (Linden, 2017) übergehen. Die Betroffenen sind dann nur noch schwer zu erreichen, verbleiben in destruktiven, negativ konservierten Zuständen und kognitiven Mustern, die im schlimmsten Fall zu Menschenhass und Amokläufen führen können.

1.3 Von Hopeless Helpless Attitude (HHA) zu Control Commitment Challenge (CCC)

Im Grunde geht es bei jeder hypnotherapeutischen Intervention um die Entwicklungsrichtung, die aus der gegenüber der Symptomatik erlebten hilflosen hoffnungslosen Haltung (HHA) herausführt, um die Erfahrung von Gestaltungsmöglichkeiten und Selbstwirksamkeit (Control) zu initiieren. Dazu gehören auch Selbstverantwortung und ein Sich-zuständig-Fühlen auch in sozialer Hinsicht, sich etwas zuzumuten (Commitment) und Herausforderungen als etwas Interessantes und zu Erforschendes zu erleben, mit Neugier an Neues heranzugehen. Sich also nicht zu fragen, ob ich etwas schaffe oder löse, sondern wie. Die Formulierung „wie“ löst andere Suchprozesse aus als das „ob“.

Neugierig sein

Ein guter Kontakt oder das Anregen von Suchprozessen durch maßgeschneiderte Interventionen ist nicht nur ein Resultat therapeutischer Erfahrung. Das Einfließenlassen von interessanten Impulsen oder hypnotisch wirksamen Formulierungen entsteht vor allem durch genaues Beobachten sowie Wahrnehmen des Wertesystems und der Weltsicht des oder der Betroffenen.

Das aufmerksame interessierte Zuhören, was die Eltern oder Kinder verbal oder nonverbal ausdrücken, liefert die Hinweise und Informationen, die später in die Tranceprozesse eingewoben werden. Dazu dienen die Vorbereitung und der Rapport (Beziehungsaufbau und Resonanz) in der Eingangsphase und im Verlauf der Behandlung. Rapport und das Herausarbeiten von Zielen sowie das Formulieren der Entwicklungsrichtung sind dabei eng miteinander verzahnt und überspannen den gesamten gemeinsamen Prozess.

Die Perspektive der Betroffenen auf das Problem verstehen und einbeziehen

Émil Coué, ein Vertreter der Schule von Nancy, prägte bereits im 19. Jahrhundert den Satz: „Entgegen dem, was gemeinhin angenommen wird, ist nicht etwa der Wille des Menschen oberstes Vermögen, sondern vielmehr die Vorstellungskraft. Wenn diese beiden Kräfte in Widerstreit geraten, ist es die Vorstellungskraft, die den Sieg davonträgt“ (vgl. Künzel, 2018).

Diese erfahrungsgeleitete Idee hat sich in der Praxis der klinischen Hypnose und ebenso in anderen therapeutischen Kontexten wie z. B. in Raucherentwöhnungstrainings oder bei der Behandlung von Zwängen und Ängsten immer wieder bestätigt. Einem Kind, das einnässt und das keine Vorstellung davon entwickelt hat, dass und wie es in der Lage ist, die Vorgänge in Blase und Schließmuskel zu beeinflussen, wird es nicht gelingen, allein mithilfe von Willensanstrengungen trocken zu werden. In einem hypnotischen Zustand hingegen öffnet sich unser Gehirn den Vorstellungen vom Gelingen, was Motivation und Optimismus in Richtung des gewünschten Verhaltens fördert. Wir haben darüber hinaus vielfach in der Praxis die Beobachtung gemacht, dass auch die Zuversicht oder Resignation der Eltern bezüglich der Symptomatik suggestiven Einfluss auf die Fortschritte des Kindes hat. Ist die fehlende Zuversicht offensichtlich, tut man daher gut daran, auch die Einstellung und den Hoffnungspegel der Eltern zu verändern.

Wenn Paulchen (neun Jahre) gefragt wird, ob er sich vorstellen könne, in Zukunft in seinem warmen, trockenen Bett aufzuwachen, und der Blick geht zuerst fragend zum Vater oder zur Mutter, kann das ein Hinweis darauf sein, dass er wenig Zutrauen zur eigenen Selbstwahrnehmung hat und sich eher am Ausdruck – auch dem nonverbalen – der Eltern orientiert.

Die Idee von Veränderbarkeit ist eine wichtige Grundlage des Therapieerfolges und Teil des gesamten zu eruierenden Störungskonstruktes. Kanfer (Kanfer, Reinecker & Schmelzer, 2012) nennt diesen Prozess: das HBM (Health-Belief-Modell) erfragen und verstehen. Die Bedeutung des eigenen Störungsverständnisses für die Compliance und den Verlauf der Zusammenarbeit wird in seiner Bedeutung oft unterschätzt, wenn nicht sogar übersehen. Scott Miller, der seit Jahren Wirksamkeitsforschung von Psychotherapie betreibt, hat eine starke Bedeutung der „Client’s Theory of Change“ festgestellt und diese in Form eines dreibeinigen Hockers (siehe Abbildung 1.2) anschaulich gemacht, bei dem die therapeutische Bindung, gemeinsame Ziele und das Einverständnis bezüglich der Methodik die drei Standbeine darstellen (Miller, Duncan & Hubble, 2004). Fehlt eine der drei Komponenten, kippt der Hocker um – ebenso wie der Glaube des Klienten an den Therapieerfolg stark einbüßt.

Abbildung 1.2

Diese Metapher kommt der hypnotherapeutischen Herangehensweise sehr entgegen, weil sie Ressourcen, Klientenzentriertheit, gemeinsames Erarbeiten des Vorgehens und das Gelingen eines Arbeitsbündnisses (Rapport) miteinander verbindet. Zudem enthält sie die Idee, den Prozess durch gemeinsames Feedback möglichst hilfreich zu gestalten.

Es ist also unbedingt sinnvoll, bei einer Einführung in oder Information von Eltern über die Möglichkeiten einer hypnotischen Behandlung, auf die Bedeutung von Vorstellungen, Widerständen und damit verbundenem Glauben an die Möglichkeit von Veränderung hinzuweisen bzw. diese zu erfragen oder gegebenenfalls zu fördern. Das kann zum einen durch das Verfassen von Briefen an den Therapeuten vor Beginn der Behandlung erfolgen, wozu Eltern und betroffene Kinder / Jugendliche gleichermaßen eingeladen werden: Die Aufforderung lautet, eine Art Entwicklungsbericht zu erstellen (siehe ausführlicher Leitfaden im Anhang), ein eigenes Erklärungsmodell für den als problematisch erlebten Zustand und die erwünschte Zielvorstellung kurz zu beschreiben. Aus diesen Briefen, manchmal auch Zeichnungen von Kindern, ergeben sich in der Regel wichtige Informationen über die biopsychosoziale Entwicklung aus Sicht der Betroffenen, die Einstellung zum Problem und angenommene Entstehungsbedingungen (Attribuierungen), manchmal auch direkte Schuldzuweisungen, die unterschiedlich starr oder veränderbar sein können, sowie Wunschvorstellungen, die als Entstehungsbedingungen gewertet werden können. Wenn eine Mutter schreibt: „Ich hatte mir sehr gewünscht, dass mein Sohn im Sternzeichen des Löwen geboren wird, doch er ist eine Jungfrau geworden, und mit Jungfrauen hatte ich schon immer Probleme …“, ist das eine ziemlich grundlegende Einstellung zum Kind, die erst einmal wenig Spielraum für Vorstellungen von der Veränderbarkeit der Beziehungsqualität vermuten lässt.

Eine Jugendliche schreibt: „Ich habe Angst, dass ich mich in Luft auflöse, wie totale Resignation, wenn ich die Angst vor Spritzen hinter mir lasse …“

Dies ist eventuell ein Hinweis auf eine identitätsstiftende Funktionalität (z. B. das Kontrollbedürfnis) der Symptomatik.

Ein Jugendlicher, der stark adipös ist, schreibt, er habe das Gefühl, dass sein Kopf und seine „Psyche“ nicht zusammenarbeiten und etwas in ihm immer dann, wenn er grade nicht aufpasse, Pommes mit Majo und Cola kaufe, worüber er dann immer sehr verzweifelt und sauer auf sich sei. Er habe schon mehrere Kuren hinter sich, was nichts genutzt habe. Er müsse eben seinen inneren Schweinehund in den Griff bekommen, wobei er sich Unterstützung wünsche. Hier deutet sich ein „Teilemodell“ an, dass der Patient selbst schon erfasst hat und welches eine grundlegende Vorgehensweise der hypnosystemischen Therapie repräsentiert, die ausführlicher in Kapitel 7 beschrieben wird.

Besonders hilfreich ist es, wenn alle Familienmitglieder etwas zum erlebten Problemzustand schreiben oder malen, manchmal auch basteln.

Nelly (5) ist sehr eingeschränkt durch viele Allergien und Unverträglichkeiten sowie Asthma. Durch das starke Asthma hat sie Angst, nachts einzuschlafen und zu ersticken. Sie versucht daher, wach zu bleiben. Sie stellt sich in der Zeichnung im erlebten Ist-Zustand und mit ihrer Angst dar (Abbildung 1.3, links). Sie malt Lungen und Darm sehr dominant und insgesamt „wie durchsichtig“ wegen der vielen Arztbesuche und Untersuchungen. Ihr Wunschbild (rechts) ist eine stabile, normale und geschützte Nelly.

Abbildung 1.3: Ist- und Soll-Zustand von Nelly: links, wie es ist, und rechts, wie sie es sich wünscht

Im folgenden Beispiel wird deutlich, wie überraschend unterschiedlich Einschätzungen bezüglich der Problematik sein können:

Sabine (11) kam wegen einer Enuresis zur Therapie. Ihre Eltern schrieben zur Idee, wie es komme, dass das Problem immer noch bestehe: „… mit unserer Trennung kann es eigentlich nichts zu tun haben, denn wir haben alles sehr einvernehmlich und für Sabine optimal geregelt, wir sind noch immer befreundet, also denken wir, es hat eher was mit Stress in der Schule zu tun.“

Sabine schrieb zum gleichen Thema „… ich glaube, es hat mit der Trennung meiner Eltern zu tun, sie haben alles ganz gut geregelt, aber es fühlt sich trotzdem bis heute schlecht und falsch für mich an.“

In einer später durchgeführten Arbeit mit dem „Teil“, der für das nächtliche Einnässen stand, wurde eine große Wut darüber deutlich, dass die Eltern wenig Raum für den Zorn von Sabine über die Trennung der Eltern gelassen hatten.

Die Briefe dienen somit sowohl der Vorbereitung des Therapeuten und als Grundlage für die Erstgespräche als auch der Aktivierung der Beteiligten zu Beginn der Behandlung. Vor allem soll deutlich werden, dass die eigenen Ideen über die Entstehung und Aufrechterhaltung der Problematik in die Vorgehensweise einbezogen werden sollen. In der Therapie der 80er-Jahre wurde dies mit der Einstellung „den Klienten dort abholen, wo er steht“ beschrieben. In der Hypnose greift hier das Utilisations- und Pacingprinzip (Abschnitt 2.5), also die Idee, mit dem Vorhandenen und nicht gegen das, was vermeintlich fehlt, zu arbeiten. Anders ausgedrückt: nicht gegen den vermeintlichen Widerstand zu arbeiten, der oft ein Hinweis darauf ist, dass Glaubenssysteme, persönliche Werte oder Erfahrungen übergangen werden, sondern diese auch als Ressource zu erkennen, eventuell zu reframen (umzudeuten) und zu nutzen.

Ein sehr kritischer Vater, dessen Sohn mit elf Jahren noch häufig nachts einnässte, wurde nach seinem Beruf gefragt und gab an, Materialprüfer für Hochdrucktanks zu sein. Insofern war Genauigkeit in seinem beruflichen Kontext unbedingt erforderlich und sinnvoll. Bezogen auf die Erziehung eines Kindes ist diese perfektionistische Haltung jedoch nicht entwicklungsfördernd. Er wurde zunächst mit humorvoller Haltung gefragt, was der Unterschied zwischen einem Tank und seinem Sohn sei. Er antwortete, dass sein Sohn beweglich und lebendig sein, aber auch doch viel Druck aushalten müsse im Leben. Weiter wurde er gefragt, ob er auch manchmal gefordert sei, gutes Material oder Brauchbarkeit im positiven Sinne zu prüfen, was der Vater bejahte. Dann wurde er angeregt zu überlegen, was sich verändern würde, wenn er auf diese Weise auf seinen Sohn blicken würde. Der Vater wurde nachdenklich und sagte schließlich: „Da würde ich mich ganz schön umstellen müssen, aber ich glaube, da ist auch eine Menge zu finden …“

Je nachdem, wie umfassend die Problematik ist, erfordert jede Veränderung die mehr oder weniger aufwendige Integration in die gesamte Persönlichkeit des Patienten, manchmal auch in das gesamte System, wenn durch eine Symptomatik wie z. B. Zwänge, Bauch- oder Kopfschmerzen die Eltern oder Geschwister in die symptomatischen Muster einbezogen sind oder diese befüttern. Die Zielvorstellungen müssen letztlich kompatibel und erweiternd für die Person oder auch das familiäre System sein. Das schließt eine altersgerechte und situationsspezifische Kompatibilität ein, oder einfacher ausgedrückt: Die so formulierten Zielvorstellungen können z. B. dahingehend überprüft werden, ob das, was gewünscht wird, auch entwicklungs- und kontextbedingt machbar und attraktiv erscheint. Eine Mutter schreibt nach einem Suizidversuch der Tochter, den sie als „Vorfall“ bezeichnet: „Ich möchte 1000-prozentiges Vertrauen und eine dicke Freundschaft mit meinem Kind, dass sie wieder fröhlich und neugierig ist und alles mit der Familie teilt – schwere wie schöne Dinge.“ Diese Erwartung an eine 17-jährige Tochter, die mit der Mutter zeitweise alleine lebt, ist in Hinblick auf die Autonomieentwicklung der jugendlichen Tochter kaum angemessen und realistisch. Gleichzeitig lässt diese Äußerung Hypothesen über das familiäre Bindungsgeschehen zu, die dann im direkten Kontakt angeboten oder überprüft werden können.

Die Informationen dienen darüber hinaus dazu, auf dem Hintergrund des Störungsverständnisses der Patienten und ggf. zusätzlicher Informationen kongruente differenzierte Zielformulierungen gemeinsam zu erarbeiten. Das ist ein wesentlicher Baustein der hypnotischen Herangehensweise (Interview + Information = Intervention), da Zielformulierungen bereits suggestiven Charakter haben. Es macht einen Unterschied, ob der gewünschte Zustand im Konjunktiv („Wenn du es schaffen würdest, gelassen an einem friedlichen Hund vorbeizugehen …“), im Futur („Wie wird es sein, wenn du es schaffen wirst …“) oder in der Gegenwartsform („Wie fühlt es sich an, wenn du gelassen an dem friedlichen Hund vorbeigehst?“) imaginiert wird. Das kann man die Betroffenen auch selbst erfahren lassen, indem man alle drei Versionen anbietet und sich Unterschiede beschreiben lässt. Dabei löst die Aufforderung je nach Formulierung – „Sag mir dann, welche Unterschiede du bemerkst“ anstelle von „Sag mir dann, ob du Unterschiede bemerkst“ – einen anderen Suchprozess aus.

Bei hochmotivierten und zur Veränderung entschlossenen Kindern, die auch eindeutige positive somatische Resonanz wie Freude, Neugier und Begeisterung bei der Benennung des Zieles zeigen (vgl. Abbildung 1.4), kann die Behandlung direkt erfolgen. Sie reagieren positiv und interessiert. Wenn man sie fragt, warum sie gekommen sind, schildern sie in der Regel ein Anliegen. Imsoo Kim Berg vergleicht diese Haltung mit der eines Kunden, der neugierig und zielstrebig etwas für ihn Interessantes lernen möchte. Seine Ziele werden als Ziele erster Ordnung eingestuft:

Im Gegensatz hierzu gibt es den „Besuchertypus“, der uns in der Kindertherapie oftmals begegnet. Da die Motivation von Kindern und Jugendlichen durch die negative Erwartung und Erfahrung, „nicht okay zu sein“, oft sehr „durchwachsen“ ist, kommen sie zwar in die Therapiestunde, verweigern aber – manchmal offen , manchmal durch passives Demonstrieren von Desinteresse oder „Unwissenheit“ – die Mitarbeit, sind quasi nur als unbeteiligte Zuschauer (Besucher) dabei. Veränderung in Richtung Normalität und erwünschten Verhaltens wird gerade von älteren, problem- und krisenbehafteten Kindern oft als diffuses Risiko oder „Angriff“ auf die Autonomie wahrgenommen. Daher werden hier eher Ziele zweiter Ordnung (Schmidt, 2018) formuliert, also: „Dein Ziel ist nicht, mit dem Kiffen aufzuhören, aber du möchtest, dass deine Eltern dich mit ihren Sorgen nicht länger nerven. Was kannst du möglicherweise dafür tun, dass sie damit aufhören?“

Somit erfolgt ein Perspektivwechsel in Richtung auf die Lösung. Der Fokus verlagert sich weg von dem geschilderten Problem auf für den Jugendlichen interessantere Motive. So kann man die „Problemhypnose“ schon zu Beginn durchbrechen, indem man durch etwas andere Fragen, auch durch zirkuläres Fragen, Überraschung und nach Möglichkeit lösungsorientierte Suchprozesse anregt. Fragen wie: Was könnte bei dem Gespräch jetzt – heute – herauskommen, sodass du denkst: „War ganz okay … oder nicht ganz umsonst, dass ich hier war“? Oder: „Auf einer Skala von 0–10, wie gerne bist du heute hergekommen? Wie wichtig ist es dir? Wem ist es am wichtigsten aus deiner Familie?“ Und: „Was deine Eltern wollen, wissen wir / kann ich mir schon denken. Mich interessiert, ob, und wenn ja, was du an deinem Verhalten oder in deinem Erleben verändern oder lernen möchtest.“

Dabei ist es mitunter hilfreich, durch Vorschläge den Suchprozess anzustoßen: „Ich kann mir vorstellen, dass du Lust hast, wieder mehr Kontakt mit deinen Freunden / mehr Ruhe zu Hause / weniger Ärger in der Schule etc. zu haben.“

Letztlich ist das Kriterium, wie bereits angedeutet, eine kongruente Zustimmungsphysiologie des Klienten. Das bedeutet, dass Therapeuten die somatischen Markierungen beobachten, die mit einer Formulierung einhergehen. Wenn ein Kind mit ADHS-Diagnose vorgestellt wird, antwortet es in der Regel auf die Zielfrage: „Ich muss mich besser konzentrieren, ruhig sitzen bleiben, keine Schimpfwörter sagen, mich benehmen, nicht ausrasten etc.“ Beobachtet man die Begleitreaktionen, sieht man hier selten eine begeisterte Zustimmungsphysiologie. Das Kind schaut sogar häufig dabei auf den Boden oder wirkt angespannt und resigniert, windet sich und weicht dem Kontakt aus. Solche Zielformulierungen eignen sich kaum für hypnotherapeutische Interventionen. Auch negativ formulierte Zielaussagen wie „nicht ausrasten“ werden nicht akzeptiert bzw. geduldig bearbeitet und in sogenannte Annäherungsziele umgewandelt (vgl. Grawe, 2004). Da unser Gehirn keine negativen Formulierungen umsetzen kann, brauchen wir Zielvorstellungen, die den gewünschten oder ersehnten Zustand repräsentieren. Auf Formulierungen wie „nicht ausrasten“ sollte also die Suche nach akzeptablen und vorstellbaren alternativen Verhaltensweisen folgen: