image

MALTE HEMMERICH

MIT EINEM VORWORT
VON HELGA RABL-STADLER

100
JAHRE

Salzburger
FESTSPIELE

EINE
UNGLAUBLICHE
GESCHICHTE
IN FÜNF AKTEN

image

Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr. Eine Haftung der Autoren bzw. Herausgeber und des Verlages ist ausgeschlossen.

1. Auflage

© 2019 Ecowin Verlag bei Benevento Publishing Salzburg – München, eine

Marke der Red Bull Media House GmbH, Wals bei Salzburg

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Gesetzt aus der Minion Pro, Futura Condensed ExtraBold,

GaramondCondensedBQ, Cera Compact Pro

Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:

Red Bull Media House GmbH

Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15

5071 Wals bei Salzburg, Österreich

Satz: MEDIA DESIGN: RIZNER.AT

Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie, Werbeagentur

ISBN 978-3-7110-0155-9

eISBN 978-3-7110-5222-3

Inhalt

Vorwort von Helga Rabl-Stadler

Prolog

ERSTER AKT

ZWEITER AKT

DRITTER AKT

VIERTER AKT

FÜNFTER AKT

Dank

Literatur

Bildnachweis

Diese kurze Geschichte der Salzburger Festspiele legt das Augenmerk auf fünf wichtige Episoden der hundert Jahre, in denen der Sommer in Salzburg nun bereits zum kulturellen Großereignis wird. Klar, dass da einiges unter den Tisch fällt. Deutlich werden soll in den Betrachtungen die einzigartige Symbiose dieser Sommerwochen zwischen Kunstanspruch und Wirtschaftlichkeit und der jahrelange Kampf zwischen Erneuerern und Traditionalisten, ein Konflikt, der auch heute noch immer aktuell ist. Sie machen einen Streifzug durch die Geschichte dieses Weltereignisses, zu dem gleichermaßen Kulturinteressierte, Großunternehmer und Prominente pilgern, auch für eine heutige Leserschaft interessant.

Die Szenen, die die jeweiligen Kapitel und Zeitabschnitte einleiten und Querbezüge durch die Jahrzehnte darstellen, haben sich bei den Festspielen 2017 zugetragen, die wiederum den Beginn einer neuen Ära, die des Intendanten Markus Hinterhäuser, markierten.

Vorwort von Helga Rabl-Stadler

Festspiele in Salzburg als erstes Friedensprojekt – das war die erklärte Absicht der Gründerväter, des Theatermagiers Max Reinhardt, des Poeten Hugo von Hofmannsthal, des damals schon weltberühmten Komponisten Richard Strauss, des anerkannten Direktors der Wiener Staatsoper Franz Schalk und des erfolgreichen Bühnenbildners Alfred Roller.

Weil Salzburg wegen »seiner wundervollen zentralen Lage und seiner landschaftlichen und architektonischen Pracht« das Zeug dazu hätte »Wallfahrtsort zu werden für die zahllosen Menschen, die sich aus dem blutigen Gräuel dieser Zeit nach den Erlösungen der Kunst sehnen«. (Max Reinhardt)

Weil Salzburg das »Herz vom Herzen Europas« (Hugo von Hofmannsthal) sei mit einer besonderen Aufgabe, einer geradezu historischen Sendung.

Und weil nur die Kunst, ausgedrückt durch ein Festspiel, die vom Krieg gegeneinander gehetzten Völker wieder friedlich zueinander bringen könnte.

Mir als geborene und immer noch begeisterte Salzburgerin gefällt diese Verehrung für die schöne Stadt natürlich sehr! Und ich schäme mich angesichts der Tatkraft dieser Gründerväter manchmal für den Kleinmut, das Selbstmitleid von uns Heutigen.

Ihrem Glauben an die Kraft der Kunst und den Kraftort Salzburg verdanken die Festspiele ihre Existenz.

Sie ließen sich nicht beirren von ständigen Geldnöten.

Sie ließen sich nicht abhalten von der Idee »einer Weltkunstzentrale auf österreichischem Boden«, obwohl Österreich 1918 vom Europa umspannenden Habsburgerreich zum vergleichsweise winzigen Rest geschrumpft war.

Sie ließen sich nicht entmutigen von der – verständlichen – Mutlosigkeit der Mehrheit. Diese drückte sich schon in der Namensgebung der Ersten Republik aus: Weil man nicht an die Überlebensfähigkeit des Mini-Österreichs glaubte, nannte man sie Deutschösterreich. Es ist daher kein Wunder, dass den meisten Festspiele als künstlerischer und wirtschaftlicher Motor einer Region, so wie sie Max Reinhardt schon 1917 prophezeite, eine Fata Morgana mitten in den Nachkriegsnöten zu sein schien. Sie sahen nicht die ferne Chance, dass der Tourismus dem Land einst Brot bringen würde. Sie sahen nur die nahe Gefahr, dass das Brot durch ausländische Gäste noch weniger würde. Und tatsächlich mussten für die ersten Festspiele 1920 außertourlich 54 000 Kilo Mehl in Salzburg ausgegeben werden, um die ärgste Not zu lindern.

Die Aufrufe der Festspielgründer strotzten trotzdem vor Optimismus.

»Möge das Festspielhaus ein Feiertagshaus künstlerischer Kultur Europas zu Gast in Österreich werden«, schwärmte der Festredner Rudolf Holzer bei der ersten ordentlichen Generalversammlung der Salzburger Festspielhausgemeinde am 15. August 1918, also noch im Krieg.

Für Hugo von Hofmannsthal war das Salzburger Festspielhaus gar »ein Symbol. Keine Theatergründung, nicht das Projekt einiger träumerischen Phantasten und nicht die lokale Angelegenheit einer Provinzstadt. Es ist eine Angelegenheit der europäischen Kultur und von eminenter politischer, wirtschaftlicher und sozialer Bedeutung«.

Und Max Reinhardt erklärte 1917 in seiner Denkschrift zur Errichtung eines Festspielhauses in Hellbrunn: »Neben vielen höchst bedeutungsvollen Erscheinungen, die unsere Zeit uns offenbart, ist auch die bemerkenswerte Tatsache zu verzeichnen, dass die Kunst, insbesondere die Kunst des Theaters sich in den Stürmen dieses Krieges nicht nur behauptet, sondern ihr Bestehen und ihre Pflege geradezu als unumgängliche Notwendigkeit erwiesen hat. Die Welt des Scheines, die man sich durch die furchtbare Wirklichkeit dieser Tage ursprünglich aus allen Angeln gehoben dachte, ist völlig unversehrt geblieben, sie ist eine Zuflucht geworden für die Daheimgebliebenen, aber ebenso für viele, die von draußen kommen und auch für ihre Seele Heilstätten suchten. Es hat sich gezeigt, dass sie nicht nur ein Luxusmittel für die Reichen und Saturierten, sondern ein Lebensmittel für die Bedürftigen ist.«

Liest man all die glühenden Bekenntnisse zu Festspielen in Salzburg, dann versteht man sehr bald, dass sie nicht trotz der düsteren Zeiten, sondern gerade deshalb so vehement, so berührend ausfielen.

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg, dessen Ende sich 2020 zum 75. Mal jährt, erfüllten die Festspiele eine eminent politische Funktion. Eine der ersten Taten von US-General Mark Clark (1945 bis 1947 US-Hochkommissar für Österreich) war es, den von den Nazis abgesetzten Festspielpräsidenten Heinrich Puthon zurückzuholen und bereits für den August 1945 wieder Festspiele in Salzburg einzufordern – obwohl Salzburg damals noch in Schutt und Asche lag. Clark wählte für seinen ersten öffentlichen Auftritt in Österreich am 12. August 1945 absichtsvoll die Eröffnung der Festspiele: »Ich bin mir sicher bewusst, dass diese frühe Einführung ihrer Festspiele ein Beweis dafür ist, dass die gemeinsame Arbeit des österreichischen Volkes und der Vereinten Nationen, ein freies unabhängiges Österreich wiederherzustellen, bald glücken wird.«

Und auch die europäische Gründungsmission der Festspiele wird in der jungen Zweiten Republik wieder in den Mittelpunkt gerückt:

So gab Bundeskanzler Leopold Figl in seiner Rede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele 1949 – wenige Tage vor der ersten Sitzung des im Mai 1949 gegründeten Europarates in Straßburg – den Festspielen erstmals offiziell eine europäische Dimension: »Die Festspiele, hier in der Mitte Europas, gleich nach dem romanischen Süden wie dem germanischen Norden und dem slawischen Osten, hier im Schnittpunkt der verschiedensten Geistesrichtungen und politischen Interessen sind sie Manifestation nicht nur des österreichischen, sondern auch des gesamteuropäischen Kulturwillens. […] Nicht mehr vereinzelt erklingt der Ruf nach einem engeren Zusammenschluss der europäischen Staaten und nach einer ernsten Rückbesinnung auf die gemeinsamen Kulturwerte, sondern er ist Wunsch und Hoffnung jedem, der für uns alle eine bessere Zukunft ersehnt.«

Der Bau des Großen Festspielhauses und dessen Einweihung vor 60 Jahren waren daher so wie die Gründung der Festspiele einmal mehr nicht die bloße Gründung eines weiteren Theaters: Es war ein Leuchtturmprojekt des 1945 befreiten Österreichs.

Wirtschaftlich ist Salzburg ohne Festspiele heute undenkbar. Es war Landeshauptmann Franz Rehrl, der bereits in den 1920er-Jahren das ökonomische Potential einer großen Kulturveranstaltung erkannte. Er rettete die Festspielhausgemeinde mehrfach vor dem Konkurs. Mit der Bildung eines Fonds zur Förderung des Fremdenverkehrs im Land Salzburg am 27. Dezember 1926, dessen Aufgabe laut Protokoll expressis verbis die dauerhafte Finanzierung der Festspiele sein sollte, setzte er eine echte Pioniertat. Dies wusste Max Reinhardt aufs Rührendste zu würdigen. 1930 ließ er dem landesherrlichen Schutzpatron der Festspiele eine Büste anfertigen und schrieb, »dass es zumindest ebenso viel bedeutet, künstlerische Dinge zu verwirklichen, wie sie zu ersinnen.«

Die kühne Prophezeiung Max Reinhardts hat sich glücklicherweise bewahrheitet. Die Salzburger Festspiele sind künstlerischer und ökonomischer Motor einer ganzen Region.

Die Salzburger Festspiele sind eine Weltmarke.

Die Salzburger Festspiele sind ohne Übertreibung das wichtigste und größte Klassikfestival der Welt. Menschen aus über 85 Ländern, davon 45 außereuropäischen, kommen alljährlich zu Pfingsten und im Sommer, kaufen über 260 000 Karten und besuchen mehr als 200 Veranstaltungen.

Mein erster Festspielbesuch fand am 17. August 1961 bei Schnee (!) in der Felsenreitschule statt: Der Bauer als Millionär von Ferdinand Raimund mit Christiane Hörbiger als Lottchen. »Ich kann meine Eindrücke und die Schönheit nicht mit Worten beschreiben«, vertraute ich als 13-Jährige meinem Tagebuch an.

Die Eindrücke wunderbarer Festspielaufführungen, welche weit in den Alltag hineinreichen, sind heute oft das Thema von Briefen, die ich als Festspielpräsidentin erhalte.

»Festspiele müssen ein Epizentrum des Besonderen sein«, postulierte unser jetziger Intendant Markus Hinterhäuser bei seinem Amtsantritt. Keine bloße Aneinanderreihung von Events, keine beliebige Starparade, aber eine große Erzählung über die Kraft der Kunst. Mit den besten Künstlerinnen und Künstlern, damit das eintritt, was der unvergessliche Dirigent Nikolaus Harnoncourt sich immer gewünscht hat und was ihm so oft auch gelungen ist: »Wenn wir, die Künstler, gut gewesen sind, dann kommen die Menschen verändert aus einer Aufführung heraus.«

Die Geschichte der Salzburger Festspiele ist denn auch eine Geschichte der großen Künstlerpersönlichkeiten von der Gründung bis zum heutigen Tag. Hier einzelne Namen aus den ersten 100 Jahren zu nennen, würde den Rahmen dieses Vorworts sprengen.

Daher nur ein dreifacher sehr persönlicher Dank:

Ich danke Max Reinhardt und Hugo von Hofmannsthal für ihren unerschütterlichen Glauben an die Kraft der Kunst und den Kraftort Salzburg.

Ich danke Herbert von Karajan, dass er Salzburg stets als Mittelpunkt seines künstlerischen Wirkens sah, das Große Festspielhaus für uns erkämpfte, vor allem aber dass er den Gründungsauftrag so ernst nahm, der da lautete, »Oper und Theater, von beidem das Beste«. Die Qualität als immerwährend gültiges Programm.

Und ich danke den Wiener Philharmonikern. Sie begleiten uns von Anfang an durch gute und durch schlechte Zeiten. Ohne die Wiener Philharmoniker gäbe es zwar Festspiele in Salzburg, aber es wären nicht die Salzburger Festspiele.

Salzburger Festspiele, welche Hochschaubahn der Gefühle. Atemberaubende Aufführungen, aber auch Skandale, mitreißende Theaterabende, aber auch Streitigkeiten, außerirdisch schöne Konzerte, aber auch allzu menschliche Eifersüchteleien. Und immer wieder die lebhafte Reaktion unseres Publikums, Jubelstürme, Standing Ovations, aber auch Buhrufe. Und dann die Begleitung der Medien, Lobeshymnen, scharfe Kritik, blanker Hohn. Großes Welttheater eben, auf der Bühne, hinter der Bühne und neben der Bühne.

Von all dem handelt dieses Buch.

Viel Vergnügen beim Lesen.

Helga Rabl-Stadler

Präsidentin der Salzburger Festspiele

Prolog

Gut situiert brutzelt das Fleisch in der Hitze. Manch ein polemischer Kritiker mag so das Salzburger Festspielpublikum bei einer nachmittäglichen Open-Air-Aufführung des Jedermann beschreiben, hier ist aber etwas weniger Metaphorisches gemeint.

In diesem Spätjuli zeigt die schmucke Stadt an der Salzach erstens wenig Sonne und dafür wieder ihr berüchtigtes Regengesicht, und zum anderen befinden wir uns gut einen halben Kilometer von Festspielhaus und Domplatz entfernt. Dort, wo sich weniger Festspielpublikum hin verirrt, stattdessen einheimische Mittzwanziger Schlange stehen. Ein Ort, an dem man vermutlich vom sonstigen Festspielkollaps und Trubel verschont bleiben sollte. Hier, in einem hellen, mittelklassigen Burgerrestaurant wendet gerade Burgerbrater Manuel das knisternde Rind.

Die Wände des Lokals zieren hübsche Bilder von glücklichen Kühen und Rezensionen zufriedener Kunden. Es ist einer dieser neuen Burgerläden, die besser sein wollen als die herkömmlichen Fast-Food-Ketten. Überall springen einem die Versprechen der handgemachten Qualität ins Auge. Hier kümmert man sich angeblich noch mit Liebe ums Produkt, schafft Exklusives und sättigt trotzdem Tausende Menschen am Tag. Die Rolle dieses Burgerladens ist also, will man den seltsamen Vergleich ziehen, ähnlich der der Salzburger Festspiele unter all den Sommerfestivals und Klassikevents im ganzen Land. Mit den besten Zutaten und dem immer besseren Geschmackserlebnis will man hier mit höchstem Niveau überzeugen, ist allerdings auch teurer als der Durchschnitt.

Manuel und die jungen Menschen, die sich hier ihre mittelpreisigen handgemachten Burger genehmigen, leben recht abgekoppelt von den großen Festspielen, die nebenan das Stadtbild bestimmen. Könnte man meinen. Schließlich werden die wenigsten hier Vorstellungen des Festivals besuchen, trotz der ganzen ausgeklügelten Angebote für diese Altersklasse. Niemandem fällt hier auf, dass vor dem Laden zwei Mitglieder der Berliner Philharmoniker entlangspazieren, die schon mit Herbert von Karajan und einer musik- und festspielgeschichtsschreibenden Aufführung des Don Carlo in der Stadt für Furore sorgten, oder dass Dirigent Teodor Currentzis im Hoodie rockstargleich durch die Getreidegasse ein paar Meter weiter streift.