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Lukas Sustala

Zu spät zur Party

Warum eine ganze Generation
den Anschluss verpasst

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Zitat S. 9: Wolfgang Gründinger, Alte-Säcke-Politik.

© 2016, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Zitat S.107: Peter Brimelow, Milton Friedman: Interview »Milton Friedman, Soothsayer.« In: Hoover Digest, 1998, 2.

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1. Auflage

© 2020 Ecowin Verlag bei Benevento Publishing Salzburg – München, eine Marke der Red Bull Media House GmbH, Wals bei Salzburg

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Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:

Red Bull Media House GmbH

Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15

5071 Wals bei Salzburg, Österreich

Satz: MEDIA DEISGN: RIZNER.AT

Gesetzt aus der Minion Pro, Avenir, Prata

Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich

ISBN: 978-3-7110-0235-8

eISBN:978-3-7110-5257-5

Inhalt

Einleitung: Das Pech

Warum wir zu spät zur Party gekommen sind

Kapitel 1: Der Crash

Rezessionen, Arbeitslosigkeit und anderes, was man so gar nicht braucht mit Mitte zwanzig

Kapitel 2: Die Mehrheit

Warum wir über Generationen reden müssen und so alt geworden sind

Kapitel 3: Die Umverteilung

Mittlerweile muss man sich um die Jungen mehr Sorgen machen als um die Alten

Kapital 4: Der Wohnalbtraum

Millennials zwischen Häuserboom, geschützten Mietmärkten und Hotel Mama

Kapitel 5: Die prekäre Elite

Warum mehr Bildung notwendig, aber nicht immer ausreichend ist

Kapitel 6: Migration heißt »Mit den Füßen abstimmen«

Junge Menschen müssen aus der Herausforderung Migration wieder eine Chance machen

Kapitel 7: Das Klima

Es wird heiß im Generationenkonflikt

Kapitel 8: Rushhour und Rezession

Die Formel für die junge Generation lautet: Mehr Stress und weniger Kinder

Kapitel 9: Fazit:

Wie wir wieder was zu feiern haben

Danksagung

Anmerkungen

Einleitung

Das Pech

Warum wir zu spät zur Party gekommen sind

Der Jugend gehört die Zukunft,
den Alten alles andere
.

Wolfgang Gründinger

Timing is everything.

Sprichwort

Es ist ja so: Manchmal hat man gerade kein Glück, und dann kommt das Pech auch noch dazu. Und es scheint, als würde viele Menschen in Kontinentaleuropa, Großbritannien und den USA – was man gemeinhin als den »Westen« bezeichnet – genau so ein Gefühl beschleichen.

Denn ein zentrales Versprechen scheint nicht mehr eingelöst zu werden: »Meine Kinder werden es einmal besser haben als ich.« Jede Elterngeneration will diesen Satz unterschreiben. Müssten Soziologen das Lebensgefühl der Aufschwungsgeneration der Nachkriegsära in einem Satz zusammenfassen, so würde er genau so lauten. Und tatsächlich hätte es bis vor Kurzem niemand gewagt an dieser These zu rütteln. Doch nachdem mit dem Kollaps der US-Investmentbank Lehman Brothers und der größten Staatspleite der jüngeren Vergangenheit in Griechenland die Wirtschaftssysteme des Westens doch massiv wankten, scheint dieser Satz fast schon zynisch zu klingen: Sozialer Aufstieg ist alles andere als gewiss. Denn Wachstum scheint in den Industrienationen mittlerweile so etwas wie ein Fremdwort zu sein – zumindest für die jungen Generationen. Erlebten die Babyboomer, also jene Menschen, die zumeist zwischen 1946 und 1964 auf die Welt gekommen sind, in ihren ersten Jahren auf dem Arbeitsmarkt noch einen Boom und im Schnitt ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von drei Prozent pro Kopf, so war das bei den Mitgliedern der »Millennials«, also jener Generation, die zwischen 1982 und 2000 auf die Welt gekommen ist, ganz anders. Die große Finanzkrise des Jahres 2008 hat ihnen einen gehörigen Strich durch die Karriererechnung gemacht. Die erste »große Krise« des 21. Jahrhunderts hat tiefe Spuren auf den Erwerbsbiografien vieler junger Menschen hinterlassen. Vom Einkommenszuwachs der Vergangenheit ist nichts mehr zu sehen: Im Gegensatz zu früheren Generationen sind für die jungen Menschen stagnierende oder sinkende Einkommen der Normalfall geworden.1

Zu spät zur Party

Es fühlt sich für meine Generation, ich bin selbst im Jahr 1986 geboren, also nicht ohne Grund so an, als wären wir ein bisschen spät zu einer Party gekommen. Es ist ganz so wie bei einem privaten Fest, zu dem man zu spät auftaucht. Dann nämlich, wenn die ersten Gäste schon verschwunden sind, einige wenige volltrunken die Tanzfläche in Beschlag genommen haben und von den Vorräten kaum noch etwas vorhanden ist. Denn es wurde ausgelassen gefeiert, doch die Feier war ganz offenbar etwas knapp kalkuliert. Die guten Biere sind schon ausgetrunken, jetzt stehen nur noch einige lauwarme Dosen herum. Von den Snacks ist sowieso schon alles bis auf die Salzstangen aufgegessen, und auch die Musik war wohl am Anfang besser. Timing ist nun mal alles. Und bei Partys wie im echten Leben gilt: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Aus »Unsere Kinder sollen es einmal besser haben« wurde »Unseren Kindern soll einmal etwas übrig bleiben«. Gefeiert haben die Babyboomer, den später gekommenen Generationen bleibt das Aufräumen.

Diese Erkenntnis hat sich bereits in die gesellschaftliche Mentalität eingebrannt. Die Meinungsforscher des Pew Research Center haben weltweit dieselbe Frage gestellt: Wenn die heutigen Kinder erwachsen werden, wird es ihnen dann wirtschaftlich besser gehen als ihren Eltern? In der westlichen Welt wird diese Frage mittlerweile offenbar überwiegend mit Nein beantwortet. Nur 15 Prozent der Franzosen, 18 Prozent der Griechen, 19 Prozent der Italiener und 23 Prozent der Briten haben einen optimistischen Ausblick. In den Schwellenländern hingegen sieht es anders aus. In China bejahen mehr als 80 Prozent den positiven Ausblick, auch in Polen gibt es viel Aufschwungseuphorie. Es ist unübersehbar: Die große Krise des Jahres 2008 hat einen Schock ausgelöst und zu einem Umdenken geführt. Die Zukunft für die Kinder muss nicht besser werden. Ja, man glaubt nicht mehr, dass es immer besser wird.

Zukunftspessimismus

Wie wird die Frage beantwortet: Wenn die heutigen Kinder aufwachsen, werden sie es dann wirtschaftlich besser haben als ihre Eltern?

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Quelle: Pew Research Global Indicators Database. * Daten aus 2016, sonst 2018. Link: http://bit.ly/PewBetter.

Die Welt ist ein besserer Ort als früher, aber nicht für alle

Dabei zeigen die Daten, dass wir in einer schizophrenen Welt zu leben scheinen. Einerseits geht es der Menschheit so gut wie noch nie. Weniger Menschen leiden Hunger; Einkommen und Lebenserwartung sind nicht nur in Europa und den USA im langfristigen Vergleich gestiegen, sondern vor allem auch in Asien, Teilen Lateinamerikas und zuletzt auch in Afrika. Die statistisch nachweisbaren Entwicklungen zum Guten überwiegen die zum Schlechten, wie etwa der Ökonom Max Roser mit seinem großartigen Projekt OurWorld-InData2 immer wieder zeigt.

Und zugleich haben viele junge Menschen in Italien, Deutschland, Großbritannien oder den USA das Gefühl, dass die Karriereleiter keine Sprossen mehr hat. Zum ersten Mal seit 1945 beklagt man etwa in Großbritannien, dass die Einkommen für junge Menschen nicht mehr steigen. Das Versprechen der besseren wirtschaftlichen Zukunft hat sich nicht nur als leer herausgestellt, sondern vielerorts als zynisch, denn in Ländern wie den USA, Frankreich, Italien und Deutschland sind die realen Einkommen junger Menschen sogar gesunken.3 Von einem »Verrat« an der jungen Generation hat die britische Tageszeitung The Guardian berichtet, nachdem Journalisten dort Daten aus den letzten 40 Jahren zum Einkommen der verschiedenen Generationen ausgewertet hatten.

Tatsächlich lässt die nüchterne Analyse keine Zweifel zu: Der materielle Wohlstand junger Berufstätiger stagniert in vielen Industrienationen. In den USA sind die unter 30-Jährigen nun einkommensschwächer als Menschen im Rentenalter. Auch in sehr gut ausgebauten Sozialstaaten wie Österreich hat ein junger Mensch ein größeres Armutsrisiko als ein Pensionist. Und mit Blick auf die vergangenen 50 Jahre sind die Einkommen von Pensionisten und Älteren um ein Vielfaches schneller gewachsen als die von jungen Menschen. Die Party ist auf den Konten der Älteren zu sehen, bei den Jüngeren hingegen nur zu erahnen.

Schlechtes Timing, ganz schlechtes Timing

Die Millennials (Jahrgänge 1982 bis 1996), also diejenigen, die man heute auf dem Arbeitsmarkt wohl junge Menschen nennen würde, weil sie ungefähr 20 bis 38 Jahre alt sind, haben zum einen schlicht Pech gehabt. Sie sind rund um die große Krise von 2008 auf den Arbeitsmarkt gekommen, als es alles andere als gewiss war, welche Banken nach dem Wochenende noch ihre Filialen öffnen würden und welche Staaten wieder mit Hunderten Milliarden das Finanzsystem vor dem Kollaps retten würden. Sie haben nichts von der Phase miterlebt, als das Wachstum ungebrochen hoch war, aber die Inflation und die Arbeitslosigkeit angenehm niedrig blieben.4 Die gute Lage ermöglichte vielen Menschen erfolgreiche Karrieren, regelmäßige Jobwechsel und laufend steigende Löhne.

Doch zum anderen dämmerte es längst, dass die Vorgänger der Millennials ihre Party etwas exzessiv gestaltet hatten. Bereits vor dem großen Crash war offensichtlich, dass sich die älteren Generationen massiv zusätzlich verschuldeten, um noch mehr möglichst schnell zu konsumieren. In Europa hat man, beseelt vom Friedensprojekt der Europäischen Union, vergessen sich zu überlegen, wie man aus dem Euroraum auch wirklich einen funktionierenden gemeinsamen Wirtschaftsraum machen könnte. Im angelsächsischen Raum hat man auf die gestiegene Ungleichheit zwischen den »Anywheres« und den »Somewheres«, also jenen Menschen, die dank ihrer guten Ausbildung und Weltgewandtheit überall leben und Geld verdienen können, und jenen, die eng mit ihrer Region verwurzelt sind, nur kurzsichtig reagiert.5 Und darüber hinaus wurden die kleinen Erfolge der Umweltpolitik im Westen von den großen Verschmutzern in den aufstrebenden Volkswirtschaften in den Schatten gestellt. Kurzum: Man kümmerte sich weder um finanzielle noch um ökologische Nachhaltigkeit.

Ein schwerer Rucksack

Nicht nur wenn es um die Umwelt geht, haben die Älteren der jüngeren Generation einen schweren Rucksack hinterlassen. Es ist klar, dass die Umweltverschmutzung, die eine Konsequenz des schnellen wirtschaftlichen Wachstums war, nicht mehr ohne Weiteres fortgesetzt werden kann. Statt »immer mehr«, wie es vor allem in China zu sehen war, werden die Strategien also entweder Verzicht oder Weiterentwicklung von schädlichen Technologien lauten müssen.

Auch die Staatsschulden, die ja nichts anderes sind als ein Transfer von den Jungen zu den Älteren, sind in der westlichen Welt explodiert. Standen die Industrienationen 1960 noch nur mit einem Drittel ihrer Wirtschaftsleistung in der Kreide, waren es 2015 bereits 92 Prozent.6 Und die Schulden wurden nicht nur gemacht, um in gute Kindergärten und Schulen zu investieren, sondern um kurzfristig die Wirtschaft zu stützen, Reformen aufzuschieben oder Wahlgeschenke zu machen.

Großzügige Regelungen haben in vielen Bereichen vor 2008 für die eine oder andere Party gesorgt, ob es nun Banker gewesen sind, die von einem zum nächsten Bonusscheck gedacht haben, Politiker, die Reformen aufschoben und lieber neue Schulden machten, oder Pensionisten, die sich ohne gesundheitlichen Grund auf Kosten der jungen Beitragszahler in die finanziell lukrativere Frühpension verabschiedeten. Der ehemalige Chef der US-Bank Citigroup Charles Prince (Jahrgang 1950) brachte das Motto »seiner Generation«, die zwar vieles, aber nie eine tiefe Rezession erlebt hatte, mitten in der großen Finanzkrise unfreiwillig auf den Punkt. Auf die kritische Frage, ob nicht nach Jahren des schuldenfinanzierten Kapitalmarktbooms die Gefahr bestehe, dass es zu einer Krise kommt, sagte er die längst legendären Sätze: »When the music stops, in terms of liquidity, things will be complicated. But as long as the music is playing, you’ve got to get up and dance. We’re still dancing.«7 Das Motto also: Bloß nicht innehalten. Bloß nicht stoppen. Solange die Party läuft, einfach feiern. Vier Monate nach seinem Zitat war Prince seinen Job los. Die US-Steuerzahler mussten die Citigroup mit 476 Milliarden Dollar an Cash und Garantien retten.8

Nach mir die Sintflut

Tatsächlich ist es nicht unbedingt etwas Neues, wenn am Ende eines derart beeindruckenden Wachstumsprozesses einige ihren Kopf verlieren. Warren Buffett, einer der reichsten Menschen der Welt und ein von vielen Investoren vergötterter Guru, wenn es ums Geld geht und darum, wie man es behält, hat einmal gesagt: »Erst wenn die Ebbe kommt, sieht man, wer die ganze Zeit über nackt geschwommen ist.« Und ganz ähnlich verhält es sich mit dem Wirtschaften allgemein. Wer sich nicht um Nachhaltigkeit geschert hat, bekommt das zumeist erst dann zu spüren, wenn plötzlich Krise herrscht.

Gleichzeitig ist jede Anpassung natürlich sehr schmerzhaft. Sinkende Einkommen und Produktion wirken aus gutem Grund wie eine Anomalie für uns. Wachstum ist der wesentliche Treiber des Wirtschaftsmodells. Höhere Produktivität drückt sich in höheren Löhnen und Gewinnen aus, und damit lassen sich die sozialen Errungenschaften finanzieren, die westliche Wohlfahrtsstaaten und ihren Wohlstand auszeichnen: Öffentliche Pensions-, Bildungs- und Sozialsysteme etwa. Großzügigere Freizeitregelungen. Teilzeitjobs, von denen man nicht so schlecht leben kann. Alle haben etwas von einer produktiveren Wirtschaft, selbst in jenen Berufen, die selten produktiver werden, kommt der Wohlstand an.

Wenn aber nun plötzlich die Schultern, auf denen die Errungenschaften und Institutionen stehen, immer schmaler werden, dann gerät viel ins Wanken. Daher wird es in den kommenden Kapiteln auch darum gehen, den Ursachen und Symptomen auf die Spur zu kommen, wenn es darum geht, warum die Jungen zu spät zur Party gekommen sind: Das heißt zunächst, sich in Kapitel 1 den Folgen der Krise für den Arbeitsmarkt und die Einkommen zu widmen. In Kapitel 2 wird es um das Machtverhältnis zwischen den Generationen gehen, bevor in Kapitel 3 betrachtet wird, warum Sozialstaaten manchmal Ungerechtigkeiten zwischen den Generationen eher verstärken als bekämpfen. In Kapitel 4 wird es um den wichtigsten Markt gehen, auf dem wir als Menschen unser Einkommen ausgeben und gegebenenfalls unser Vermögen aufbauen: Dem Häuser- und Wohnungsmarkt, der insbesondere in den großen Städten längst durch eine große Kluft zwischen Insidern, die schon lange da, und Outsidern, die gerade neu ankommen sind, gekennzeichnet ist. Von dem Höllentrip, in einer neuen Stadt eine leistbare Wohnung zu finden, bis zum mittlerweile weit entfernten Ziel für viele, selbst Immobilien-Eigentum zu schaffen. Dann wird es in Kapitel 5 um die relative Entwertung von Bildungsabschlüssen und das Prekariat im Bildungsbereich gehen. Weiters um die Notwendigkeit, aus der Herausforderung Migration die Chance zu machen, die sie ist (Kapitel 6). Und zuletzt auch noch um die allgegenwärtige Umweltfrage in Kapitel 7, die im Kern auch ein Kräftemessen zwischen jungen und älteren Generationen ist. Was das alles damit zu tun hat, um aus der »Fertilitätsfalle« zu kommen, darum geht es in Kapitel 8. Und wie die junge Generation das Beste aus der Situation machen kann, darum geht es im Schlusskapitel.

Nach der Party: Den Kater haben die anderen

Viele junge Menschen sind auch zehn Jahre nach dem Höhepunkt, dem Jahr der »Großen Rezession« 2008 noch mit den Folgen der schwersten Krise seit den 1930er-Jahren konfrontiert. Die Jugendarbeitslosigkeit hat sich erst langsam normalisiert und die schwere Schuldenkrise in Europa, als nicht gewiss war, ob die Staaten der Eurozone nicht in die Staatspleite schlittern werden, schwelt noch immer unter der Oberfläche. Und man hört immer öfter die Floskel: »Meine Kinder sollen es einmal zumindest nicht schlechter haben als ich.« Das ist vielleicht immer noch nicht schlecht im historischen Vergleich oder angesichts von Regionen auf der Welt mit weitaus niedrigerem Wohlstand als Kontinentaleuropa. Und doch ist es ein Downgrade. Die westliche Gesellschaft hat einen Kater, und diejenigen, die noch nicht einmal zum Feiern gekommen sind, müssen nun für die Entgiftung sorgen.

Kapitel 1

Der Crash

Rezessionen, Arbeitslosigkeit und anderes, was man so gar nicht braucht mit Mitte zwanzig

Geschehenes kann nicht
ungeschehen gemacht werden
.

Publius Terentius Afer (ca. 190–159 v. Chr.)

Florian hat es immer schon gewusst. »Wir sind einfach zu spät gekommen«, sagte er bei einem Treffen vor mittlerweile fast einem Jahrzehnt, im Jahr 2009. Es sei eine »crazy party« gewesen, was er von Vorgesetzten und Vorgängern so höre. Er hatte gerade wenige Wochen zuvor in London bei einer Bank zu arbeiten begonnen. Doch nicht bei irgendeiner Bank. Sein Arbeitgeber war Nomura Holdings. Wenn Sie sich nicht für japanische Großbanken interessieren, wird Ihnen der Name dieses Geldhauses wenig sagen. Besser bekannt war die Europa-Tochter des Instituts unter ihrem Namen von vor der Krise: Lehman Brothers Europe.

Florian war ein kluger Kopf. In unserem Jahrgang hat es zwar mathematisch Versiertere als ihn gegeben, doch er war in der Lage, seine finanzmathematische Ausbildung mit einer kräftigen Portion Witz und Souveränität an den Mann und die Frau zu bringen. Seine Programmierkenntnisse wären zudem auch in vielen anderen Branchen höchst willkommen gewesen. Aber es hatte ihn zur Nachfolgerin der Pleite gegangenen US-Investmentbank in London verschlagen.

Als Florian bei den Überbleibseln des Instituts in Europa aufschlug, waren die neuen Eigentümer gerade damit beschäftigt, jeden Stein umzudrehen. Die Japaner versuchten, erfahrene Mitarbeiter mit großzügigen Boni zu halten. Dafür haben die jungen Analysten durch die Finger geschaut. Die gingen mit einem Drittel weniger nach Hause als noch vor der Krise, dafür wurden sie sogar in regelmäßigen Abständen für ein paar Wochen vor die Tür gesetzt, damit das Unternehmen nicht verpflichtet war, sie fest anzustellen. Florian schrieb immer wieder Emails mit dem Betreff »Nach der goldenen Ära«, wenn er etwa wieder eine Anekdote der Altvorderen zu den sprichwörtlichen Champagner-Partys gehört hatte. Die goldene Ära war für ihn jedenfalls dort nicht zu finden. Nach einem Jahr wechselte er den Job – und nach drei Jahren die Branche.

Das Ende des »Immer Mehr«

Die Rede vom Ende einer goldenen Ära haben viele junge Menschen in Europa schon gehört: Ob nun am Bankenstandort London oder in Berlin oder Wien, aber genauso in den Hauptstädten der europäischen Krisenländer. Zu der goldenen Ära zählten stetig steigende Löhne, auch Aufstiegschancen und spätere Führungsverantwortung, mehr Geld für höheres Bildungsniveau und stabile Karriereleitern.

Früher, das hatte nicht nur Florian gehört, war der Einstieg im Londoner Investmentbanking ungefähr mit einem Ticket in den allerschnellsten Aufzug für den sozialen Aufstieg zu vergleichen. Der Deal war einfach: Einige Jahre für eine der großen Investmentbanken buckeln, eine um die andere Nachtschicht schieben, dafür kann man sich am Ende, wenn man in der Zwischenzeit keine über die Maßen teuren Hobbys aufgerissen hat, in der Heimat ein paar Eigentumswohnungen kaufen. »Wohlstand schaffen« im Schnelldurchlauf, hätte das die Elterngeneration wohl genannt. Die Finanzkrise hat dieses Spiel weitgehend beendet. Keine Frage: Es gibt auch heute noch genügend Banker, die gut verdienen. Dazu reicht ein Blick in die nationalen Lohnsteuerstatistiken. Die Finanzbranche ist auch heute noch für viele Angestellte ein lukrativer Sektor. Und es hat sein Gutes, dass die teils extrem hohen Bonuszahlungen der Vergangenheit ebenjener angehören. Schließlich war der Finanzsektor hauptverantwortlich für viele finanzielle Exzesse.

Aber das mit der rauschenden Party ist für unsere Generation jedenfalls vorbei. Darauf weisen die immer wiederkehrenden Meldungen von den Zehntausenden Entlassungen bei der einen oder der anderen Bank hin. Heute beschäftigen die Banken in der Eurozone rund 17 Prozent oder 383 000 Menschen weniger als noch vor der Krise. 120 000 Jobs sind in Großbritannien weggefallen, ebenso viele in Deutschland.9