Mischke, Susanne Die Eisheilige

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© deutsche Erstausgabe Piper Verlag GmbH, München 1998
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1

NIE WIEDER ziehe ich dieses Kleid aus, schwört Frau Weinzierl. Der seidige Stoff fließt in einem kühlen, blassen Grün an ihr herab und betont ihre heufarbenen Augen. Aber das ist es nicht allein. Etwas Außergewöhnliches passiert mit ihrer Anatomie, seit sie es angezogen hat. Eben fühlte sie sich noch zu vollbusig, breithüftig und dickschenklig, doch je länger sie sich vor dem großen Kippspiegel hin- und herwiegt, desto mehr Gefallen findet sie an ihren barocken Formen.

Sie muss an ihren geschiedenen Mann denken, der wiederholt festgestellt hatte, sie wäre gar nicht so dick, ihre Proportionen würden bloß nicht stimmen. Was für ein Schwachsinn, denkt sie trotzig. Woher nimmt er das Recht, die Maßstäbe für weibliche Proportionen zu setzen? Ach, wenn Paul mich jetzt sehen könnnte. Dieser kokette Schwung der Taille, und ihre Hüften, die gar nicht mehr plump wirken, sondern weich, rund, ja geradezu sinnlich. Es muss am Schnitt liegen.

Mit wachsendem Wohlwollen betrachtet Frau Weinzierl ihr Spiegelbild und kommt zu dem Ergebnis, dass das Kleid sie um zehn Jahre jünger und um ebenso viele Kilo schlanker macht. Mindestens.

»Ist Ihnen die Länge so recht?« will Sophie wissen. Gebückt umkreist sie Frau Weinzierls Waden.

»M-hm.«

Das Kleid ist noch nicht ganz fertig. Es muss noch gesäumt werden und im Rücken klafft ein langer Spalt, durch den ein Stück von Frau Weinzierls rosigem, von einem weißen Büstenhalter eingeschnürtem Fleisch schimmert. Ein Reißverschluss wird solche Einblicke in Zukunft verhindern.

Frau Weinzierl ist froh, Sophie bei der Wahl von Schnitt und Stoff freie Hand gelassen zu haben. So wortkarg und schüchtern diese junge Frau sonst wirkt, mit der Nähnadel kann sie offenbar zaubern. Sie dreht sich zu Sophie um, die jetzt hinter ihr steht und in scheuer Haltung auf das Urteil zu warten scheint.

»Es ist hübsch geworden.«

Sophie lächelt. »Soll ich uns eine Tasse Kaffee machen, bis Sie sich umgezogen haben?«

Frau Weinzierl ist unschlüssig. »Ich muss eigentlich gleich wieder rüber. Die Handwerker, Sie wissen ja.« Sie zeigt aus dem Fenster auf ihr Haus, das von einem Gerüst umrankt wird.

»Wir könnten uns auf den Balkon setzen. Von da sehen Sie Ihre Handwerker.«

›Die Handwerker‹ bestehen aus einem einzigen Maler, den Frau Weinzierl in Schwarzarbeit beschäftigt. Eben erst, bei der Anprobe, hat sie sich über den Mann beschwert: über den Dreck, den hohen Stundenlohn, die leeren Bierflaschen in den Beeten, das nervenaufreibende Gepfeife und ganz besonders über gewisse Verdauungsgeräusche, welche er jeden Mittag nach dem Genuss von zwei Exportbier und einem Ring Fleischwurst von sich gibt.

Aber Frau Weinzierl muss ihr Geld zusammenhalten, seit sie von Paul geschieden ist. Er hat sich vor drei Jahren einer hochbeinigen Blonden zugewandt, deren Proportionen keine Männerwünsche offen lassen.

»Es ist noch so schön draußen«, fügt Sophie hinzu.

»Ja, ein richtig milder Herbsttag«, pflichtet ihr Frau Weinzierl bei.

»Es gibt in diesem Jahr einen frühen und harten Winter.«

»Ach ja? Steht das in den Bauernregeln?« Der herablassende Unterton schwingt unüberhörbar mit. »Wenn das so ist, dann sollten wir die Sonne noch ausnutzen. Aber nur ein paar Minuten«, willigt Frau Weinzierl gnädig ein.

Sophie strahlt. Ihr ist, als hätte sie eine unsichtbare Grenze überschritten.

»Haben Sie auch Koffeinfreien?«

Sophie, die schon auf dem Weg in die Küche war, bleibt stehen. »Nein. Oh, das tut mir leid.«

Aus der Traum. Sie beißt sich auf die Lippen. Wieder einmal hat sie versagt.

»Dann trinke ich eben Normalen«, ächzt Frau Weinzierl, die sich gerade aus dem neuen Kleid windet. »Aber höchstens eine Tasse, und nicht zu stark, hören Sie?«

Sophie eilt beschwingt in die Küche. »Ja, natürlich.«

Ach, wenn Rudolf mich jetzt sehen könnte, wünscht sie sich wenig später. Hoffentlich sieht mich wenigstens irgendwer.

Aber es ist absolut ruhig in der Straße des gediegenen Stadtviertels mit den gepflegten Häusern, die von alten Bäumen und hohen Sträucherhecken umgeben sind. Der einzige Mensch, der sie beide sehen kann, ist der Maler, der gegenüber auf dem schlampig zusammengezimmerten Holzgerüst steht und sich gerade am Giebelfenster zu schaffen macht. Ein junger Mann ist vor einigen Wochen dort oben eingezogen.

Sophie deutet auf das Fenster. »Wie sind Sie denn mit Ihrem neuen Untermieter zufrieden?«

»Zufrieden? Dieser junge Mann ist ein absoluter Glückstreffer. Sind Sie ihm noch nicht begegnet?«

Sophie beobachtet ihn manchmal von ihrem Nähzimmer aus. Jetzt, Ende Oktober, wird es früh dunkel, und der Junge nimmt es mit dem Herunterlassen der Jalousien nicht so genau.

»Nein.«

»Ach«, seufzt Frau Weinzierl aus der Tiefe ihrer fülligen Brust, »dieser Mensch hat eine Aura – leuchtend wie die Sonne!«

»Ist er Student?«

»Ja, sicher«, bestätigt Frau Weinzierl. Das Streben nach einem akademischen Grad ist offenbar die Mindestanforderung, die sie an ihre Untermieter stellt.

Frau Weinzierl sticht das zweite Stück Apfelkuchen an, nachdem sie soeben beschlossen hat, ihre Quinoa-Diät für eine halbe Stunde zu unterbrechen. »Wirklich, Sophie, Sie sind eine Künstlerin.«

»Das Rezept stammt von meiner Oma«, erklärt Sophie stolz. Die Erinnerung an sie hinterlässt ein warmes Gefühl, irgendwo in ihrem Inneren.

»Wie? Ach doch nicht deswegen. Obwohl der Kuchen auch ganz ausgezeichnet ist. Könnten Sie mir vielleicht das Rezept aufschreiben?«

»Aufschreiben«, echot Sophie, und für Sekunden wird ihr heiß. Aber dann hat sie sich wieder im Griff. »Ja, nachher«, verspricht sie. »Wenn ich noch alles zusammenkriege. Ich mache das mehr so nach Gefühl.«

»Ich dachte nach dem Rezept Ihrer Großmutter?«

»Das schon, aber …«

Frau Weinzierl wedelt ungeduldig mit der Hand. »Ich meinte nicht den Kuchen, sondern Ihre Nähkunst. Wo haben Sie nur diesen Geschmack her, wo Sie doch …« Nun gerät Frau Weinzierl ins Stocken, und Sophie vollendet den Satz im stillen: Wo ich doch sonst so ein Trampel bin.

»Ich weiß es nicht«, gesteht sie. »Ich sehe mir die Person an, und dann habe ich meistens eine Idee, was zu ihr passen könnte.«

»Ein echtes Naturtalent also.«

Sophie ist Lob nicht gewohnt, es macht sie verlegen. Sie fühlt sich genötigt, ihrer Nachbarin ebenfalls etwas Nettes zu sagen und weist auf Frau Weinzierls Vorgarten, in dem zwei Dutzend Beetrosen in vier geraden Reihen vor dem Wohnzimmerfenster paradieren. »Ihre Rosen sind herrlich. Ich bewundere sie jeden Tag.«

»Ach ja«, lächelt Frau Weinzierl stolz. Die hochgewachsenen Black Lady sind ihr Heiligtum. »Ein bisschen Arbeit machen sie schon, aber man kann seinen Garten ja nicht völlig verkommen lassen.« Sie spielt auf das stark eingewachsene Grundstück von Sophies rechtem Nachbarn, des Ehepaars Sauer, an.

Sophie verschweigt, dass sie den Wildwuchs ihrer Nachbarn schöner findet als die aufgeräumte Behnke-Weinzierl-Fabian Front gegenüber. Links neben Sophies Haus herrscht ebenfalls Wildnis, das schmale Grundstück ist unbebaut und findet seit Jahren keinen Käufer.

Frau Weinzierl plappert unermüdlich und akzeptiert eine weitere Tasse Kaffee. »… und dann sagte ich zu Frau Behnke, dass es zwecklos ist mit der Sauer zu reden, denn die Sauer ist Skorpion, und Skorpione sind bekanntlich stur und streitsüchtig, nicht wahr?«

»Ja«, sagt Sophie. Auch Rudolf hat im November Geburtstag.

»NEIN!« schreit Frau Weinzierl und springt auf, dass die Tassen klirren. Ihr Hals färbt sich von unten herauf rot und sie kreischt: »Auf meine Rosen!«

Dorothea Weinzierl schätzt es überhaupt nicht, wenn ihre Schützlinge von fremder Hand gegossen werden, wobei man in diesem Fall nur indirekt von Hand sprechen kann, denn der Maler steht mit aufgeknöpftem Hosenladen auf dem Gerüst und uriniert in Schlangenlinien auf die Köpfe der Black Lady.

»So ein Dreckskerl!« Ein Pfeifen mischt sich in Frau Weinzierls Atemzüge. Sie ringt nach Luft, aber anscheinend gibt es selbst hier im Freien nicht so viel davon, dass es für Frau Weinzierl reicht.

»Meine Tasche. Mein Fläschchen. Drinnen.« Die Worte kommen abgehackt, von Pfeiflauten unterbrochen aus ihrem Mund, der karpfenartig auf und zu schnappt.

Sophie hastet ins Nähzimmer und reißt die Handtasche vom Hals ihrer Schneiderpuppe, einem Torso auf einem hölzernen Dreifuß. Frau Weinzierls Gesicht hat die Farbe der Hibiskusblüten angenommen, die unter dem Balkon verblühen. Sie krallt sich ihre Tasche, auf dem Klapptisch beginnen sich Utensilien zu häufeln, aus Frau Weinzierls Kehle klingt es, als quetsche man eine leere Shampooflasche. Endlich findet sie das kleine Sprühfläschchen mit dem Aerosol, und es zischt vier-, fünfmal hintereinander.

Sophie schaut zum Gerüst hinüber. Der Maler knöpft sich die Hose unterhalb der ausgeprägten Wölbung seines Bauches zu und sieht Sophie dabei an. Über das feiste Gesicht spannt sich ein widerwärtiges Grinsen. Voller Bosheit und Verachtung, als wüsste er alles über sie. Eine diffuse Empfindung von etwas Ekelhaftem erfüllt Sophie in diesem Augenblick, und sie starrt aus schmalen Augen zurück. Das ermuntert den Mann zu einer obszönen Geste, und mitten in das nachlassende Pfeifen von Frau Weinzierl hinein hört sich Sophie bedächtig sagen: »Der Teufel soll ihn holen.«

Dann dreht sie sich um zu Frau Weinzierl. »Geht’s wieder?«

Frau Weinzierl hört auf, mit der Serviette vor ihrem Gesicht herumzuwedeln, nickt, packt Sophie am Arm und deutet mit der anderen Hand auf ihr Haus.

»Da!«

Im Giebelfenster, das zur Hälfte offen steht, erscheint kurz der Umriss einer Person.

»Ihr Untermieter.«

»Nein«, röchelt Frau Weinzierl, und jetzt erkennt Sophie, was sie meint. Der Maler vollführt ein paar ungelenke Tanzschritte auf dem Gerüst. Er krümmt sich und bäumt sich auf, wie ein fetter Fisch an einer unsichtbaren Angel. Ein Eimer scheppert, ein Brett klappt in die Höhe, er fällt.

Mitten im Rosenbeet bleibt der Körper liegen. Der weiße Anzug kontrastiert mit der schwarzen Erde und den blutroten Rosen, als hätte jemand ein Stillleben nach Schneewittchens Vorbild arrangiert. Der Kopf hat sich in spitzem Winkel zum Hals in den Grund gebohrt. Kein Arm, kein Bein bewegt sich, kein Laut kommt über die sepiafarbenen Lippen. Eine umgeknickte Rose senkt sich anmutig, als wolle sie sich verneigen, auf das Gesicht, und Sophie lächelt, denn ihr ist gerade der Gedanke gekommen, dass Frau Weinzierl nun garantiert nicht mehr an das Aufschreiben des Apfelkuchenrezepts denken wird.

 

Die Kanzlei liegt in einem vierstöckigen Fünfziger-Jahre-Bau im Zentrum, und die Tafel glänzt wie ein neuer Pfennig:

Karin Mohr – Rechtsanwältin

Kein Hinweis auf eine Spezialisierung, jeder Streitfall scheint hier willkommen zu sein. Es ist das unterste Schild. Vielleicht, weil die Kanzlei im Erdgeschoß liegt, wahrscheinlich aber, weil es als letztes dazugekommen ist. Die anderen Tafeln weisen auf Arztpraxen – Urologie und Psychotherapie – und ein Notariatsbüro hin. Ähnliche Hinweise finden sich auch an den umliegenden Häusern, die sich um einen Platz mit hohen Bäumen, einem überdimensionierten Springbrunnen und einem dürftigen, von Hundekot durchsetzten Rasen gruppieren. Am nördlichen Ende des Platzes erhebt sich das massige Gebäude des Landgerichts.

Die schwere Eingangstür lässt sich nur mit Kraft aufdrücken, und im Flur riecht es nach Putzmittel. An der Wand hängt, etwas deplatziert, ein goldgerahmter Spiegel, in dem Axel sich ganz sehen kann. Er stellt seine Aktenmappe ab und nimmt Haltung an. Der Boss-Anzug sitzt noch immer perfekt und nahezu faltenfrei. Die Rüstung der Helden von heute. Axel lächelt sich aufmunternd zu. Dabei inspiziert er seine Zähne, ob sich nicht ein Rest von Mutters Mettbrötchen, das er im Zug gegessen hat, verfangen hat. Er zermalmt den Rest des Fisherman’s extra stark, das den Zwiebelgeruch vertreiben sollte, und fährt sich mit den Fingern ordnend durch das glatte, dunkelblonde Haar. An den kurzen Stufenschnitt hat er sich noch immer nicht gewöhnt.

Dies wird sein fünftes Bewerbungsgespräch sein. Von den vorausgegangenen vieren ist nur noch eine Großkanzlei in Leverkusen in der engeren Wahl. Bei einer Stelle bot man ihm mit deutlichem Hinweis auf die Juristenschwemme ein Gehalt, das jede Putzfrau abgelehnt hätte, über der zweiten Kanzlei zog der Pleitegeier erste Kreise, und der letzte Anwalt hat ihm einen Tag nach dem Vorstellungsgespräch abgesagt. Mit einem Dreier-Examen wird man als Jurist nicht unbedingt mit offenen Armen empfangen.

Er fischt ein gebügeltes Stofftaschentuch aus der Hosentasche, spuckt darauf und poliert seine Schuhe. Frauen achten auf solche Kleinigkeiten. Noch einmal atmet er tief durch und klingelt. Eine dralle blonde Frau, er schätzt sie auf ungefähr fünfzig, öffnet ihm.

»Ja, bidde?« Es ist die Schreibkraft, Frau Kohlrabi, Axel kennt ihre helle Stimme bereits vom Telefon, ebenso den südhessischen Dialekt, bei dem alle Wörter irgendwie weichgespült klingen. Eine knallbunte Brille dominiert das runde Gesicht.

»Guten Tag. Mein Name ist Kölsch. Axel Kölsch. Ich habe einen Termin um eins mit Frau Mohr.«

»Ah, der Herr Kölsch. Komme Sie aus Köln?«

»Aus Hürth.«

»Sie sind siwwe Minude zu frieh. Sind Sie ohne Mandel?«

»Ja. Es ist warm draußen.« Zum Glück. Für einen Wintermantel von Qualität, und nur ein solcher kommt in Frage, reicht es momentan nicht. Die Heldenrüstung war trotz Sommerschlussverkauf sauteuer gewesen, die Armani-Krawatte auch nicht gerade ein Schnäppchen, von der neuen Aktenmappe und den italienischen Schuhen gar nicht zu reden.

Die Frau zieht hinter der unsäglichen Brille eine dünngezupfte Augenbraue hoch. Axel stöhnt innerlich. Ihre Mimik erinnert ihn an Mutter, heute morgen: »Junge, du gehst mir auf gar keinen Fall ohne Mantel!« Folgsam, wie sie es von ihm gewohnt ist, hat er seinen schäbigen Trenchcoat angezogen. Morgens, auf dem zugigen Bahnsteig, konnte er ihn tatsächlich gut gebrauchen. Als bei der Ankunft in Darmstadt die Sonne schien, ließ er das gute Stück in einem rebellischen Akt der Befreiung im Intercity hängen. Er wäre seiner Karriere ganz sicher nicht förderlich gewesen.

Frau Kohlrabi schließt die Tür hinter ihm. »Moment bidde, isch meld …« Am Ende des Flurs springt eine Tür auf. Anscheinend wurde sie per Knopfdruck von irgendwoher geöffnet, denn es ist niemand zu sehen, aber eine volltönende Frauenstimme ruft: »Es ist in Ordnung. Ich bin soweit.« Die Sekretärin dirigiert ihn den Gang entlang. Rechts befindet sich ihr Zimmer, Axel wirft einen prüfenden Blick hinein. Vor dem Fenster die üblichen Topfpflanzen und ein schöner alter Schreibtisch, den ein großer Bildschirm verschandelt, an der Wand daneben ein niedriger Tisch mit Faxgerät, Kopierer und Kaffeemaschine. Alle Geräte sehen noch ziemlich neu aus. Technisch scheint man hier auf der Höhe zu sein.

Große, ungerahmte Bilder in kräftigen Blautönen zieren die apricotfarbenen Wände des Flurs. Frau Kohlrabis Absätze klackern auf dem Eichenparkett.

»Bidde«, sagt sie und ruft nach drinnen. »Isch geh dann in die Middagspaus.«

Schade, denkt Axel, der Kohlrabi hätte uns wenigstens noch einen Kaffee machen können. Er betritt das Zimmer. An einem massigen Schreibtisch lehnt eine Frau in einem Hosenanzug. Er ist elfenbeinfarben und aus schwerer Seide. Für so etwas hat Axel einen Blick. Ihr langes, kastanienfarbenes Haar wird von einer Perlmuttspange zusammengehalten. Ein paar Locken fallen ihr in die hohe Stirn, was dem Gesicht etwas die Strenge nimmt, die durch die schmale, leicht hakenförmige Nase, das kräftige Kinn und den schmalen, geraden Mund entsteht. Huskyblaue Augen beobachten ihn aufmerksam, als er rasch auf sie zugeht, nachdem er einmal trocken geschluckt hat. Was für ein unvergessliches Blau! Ihr Lippenstift glänzt wie frisch aufgelegt und jetzt, wo sie ihm ihre Hand reicht, die die seine unerwartet fest drückt, lächelt sie.

Nach der Begrüßung lässt sie sich auf einem orthopädisch aussehenden Bürostuhl nieder, der nicht so ganz zum Rest der Einrichtung passen will. Axel nimmt vor dem Schreibtisch, auf einem antiken, brokatbezogenen Sitzmöbel mit unbequemer Holzlehne Platz. Karin Mohr hat seine Bewerbungsmappe vor sich liegen, und vergleicht mit unverhohlenem Amüsement sein Passbild, auf dem er noch seine Prinz-Eisenherz-Frisur trägt, mit seiner leibhaftigen Erscheinung.

»Der neue Haarschnitt steht Ihnen besser.«

Axel antwortet mit einem verlegenen Räuspern. Bis auf die Mappe ist der Schreibtisch leergeräumt. Dafür stapeln sich die Akten auf einem Nebentisch. Offenbar legt sie Wert auf Ellbogenfreiheit. An der Wand hinter ihr hängt ein ausladendes Gemälde in so düsteren Farbtönen, dass es von einem Strahler ausgeleuchtet werden muss.

»Gefällt’s Ihnen?« fragt sie. Er zögert.

»Seien Sie ruhig ehrlich.«

Das Bild zeigt die Schemen zweier Menschen. Die größere Gestalt, ein kahlköpfiger, stiernackiger Mann, presst eine viel kleinere Frau an sich. Es lässt sich schwer sagen, ob er sie erwürgen, vergewaltigen, ihr die Kehle durchbeißen oder sie küssen will. Jedenfalls geht eine intensive Gewalttätigkeit von ihm aus, gleichzeitig wirkt er aber auch verzweifelt. Ein brauner Hund springt mit hochgezogenen Lefzen an den beiden hoch.

»Gefallen würde ich es nicht nennen. Es berührt einen«, sagt er schließlich.

»Es heißt Der Faschist. Sehen Sie, wie sich der Täter an das Opfer klammert? Er braucht das Opfer ganz offensichtlich.«

Was muss die Frau für eine Psyche haben, sich tagtäglich diesem Bild auszusetzen? Ob sie depressiv ist? Den Eindruck hat er eigentlich nicht, so wie sie jetzt spricht, lebhaft und mit viel Einsatz ihrer feinnervigen Hände. Eher scheint sie ihm stark genug, dieses Bild überhaupt ertragen zu können. Wie das Motiv wohl auf die Mandanten wirkt?

Axel ist verlegen, wie häufig in Gegenwart sehr selbstsicherer Frauen, aber gottseidank ist sie es, die zuerst redet.

»Die Kanzlei ist alteingesessen, der Name ihres Gründers, Dr. Scheppach, ist in der Stadt noch immer ein Begriff. Er ist vor zwei Jahren in den Ruhestand gegangen, und ich habe diese Kanzlei übernommen. Sie verfügt über einen soliden Kundenstamm, der mir im großen und ganzen erhalten geblieben ist.«

Aha. Man schafft sich mal so eben eine Kanzlei an. Sicher kommt sie aus einem reichen Stall. Der Kleidung nach auf jeden Fall.

»Um die Kanzlei zu erwerben, musste ich mein Elternhaus verkaufen und einen beachtlichen Kredit aufnehmen. Aber das ist es mir wert. Mein eigener Herr zu sein, meine ich. Vorher war ich vier Jahre in einer größeren Kanzlei in Marburg.« Ihr Gesichtsausdruck verhärtet sich, als sie das sagt. Anscheinend ist man nicht im Frieden auseinander gegangen.

»Ich wollte mich nicht unbedingt in dieser Stadt niederlassen, aber die Bedingungen des Kaufs waren hier am günstigsten für mich.« Das muss ja ein fürchterlicher Ort sein, denkt Axel, wenn sie sich jetzt schon dafür entschuldigt. So ausführlich, wie sie von sich erzählt, hat Axel beinahe den Eindruck, als wolle sie sich bei ihm bewerben.

Andererseits, was gibt es umgekehrt über ihn zu berichten, was nicht bereits in seinem Lebenslauf steht? Soll er ihr erzählen, dass sein Vater vor drei Jahren gestorben ist und sich seine Mutter seitdem mit sanfter Hartnäckigkeit in sein Leben drängt? Dass sie noch nicht einmal weiß, dass er heute hier ist, sondern glaubt, er wäre nur zum zweiten Vorstellungsgespräch nach Leverkusen gereist? Sicher wird sein Gegenüber nun gleich die üblichen Fragen stellen, warum er Jura studiert hat, warum er Anwalt werden will. Er hat Jura studiert, weil sein Notendurchschnitt für Medizin nicht ausreichte. Er will Anwalt werden, weil er hofft, dadurch einmal viel Geld zu verdienen. Er will nie mehr billige Kleidung tragen müssen. Vielleicht sollte er lieber nicht allzu ehrlich sein.

Statt ihn auszufragen erklärt sie ihm, dass ihre Mandantschaft stetig zunehme und ihr die Arbeit mehr und mehr über den Kopf wachse, weshalb sie nun einen zweiten Anwalt oder eine Anwältin einstellen möchte.

»Entschuldigen Sie«, unterbricht sie sich selbst, »ich habe Sie noch gar nicht gefragt, ob Sie etwas trinken möchten. Ein Mineralwasser vielleicht? Espresso? Cappuccino?«

»Ein Espresso wäre schön.« Jetzt erst bemerkt er das chromblitzende Monstrum, das in einer Zimmerecke schräg hinter ihm steht. Man könnte ein Café damit eröffnen.

»Sie stammt aus einer Pizzeria.«

»Ein Prachtstück«, lobt er.

»Statt Honorar.«

Als sie aufsteht und zu der Maschine geht, sieht er es. Sie hinkt. Mit ihrem linken Bein stimmt etwas nicht. Er zwingt sich, nicht hinzustarren, aber sie dreht ihm ohnehin den Rücken zu. Instinktiv weiß er, dass dies keine vorübergehende Verletzung ist, und obwohl er sich dagegen wehrt, drängen sich ihm albtraumhafte Bilder auf, was sich unter dem elfenbeinfarbenen Seidenstoff verbergen könnte. Bilder von missgestalteten, vernarbten Gliedern und fleischfarbenen Prothesen, für die er sich im selben Moment schämt.

Die Maschine brummt und röchelt, als wäre sie lebendig, und Axel springt auf, als der Kaffee in die erste Tasse tröpfelt. Er nimmt sie in Empfang und trägt sie zum Schreibtisch. Seine zitternden Hände lassen die Tasse auf dem Unterteller tanzen. Er will auch die zweite Tasse holen, aber Karin kommt ihm bereits entgegen. Ihre Tasse steht ruhig.

»Es war ein Fahrradunfall, als ich dreizehn war. Das Knie ist seither steif. Das ist auch ein Grund, warum ich einen Sozius suche.«

»Sie brauchen aber schon einen Anwalt«, fragt Axel, »nicht etwa einen Laufburschen?«

Für ein paar Augenblicke ist es drückend still im Raum. Nur Axel hört noch immer erschrocken den Nachhall seiner eigenen Worte. Was ist bloß in mich gefahren? Wieso sage ich so was Blödes, Gemeines? Das war’s dann wohl. Leverkusen, ich komme. Mutter wird frohlocken.

Plötzlich fängt sie an zu lachen. Axel rutscht auf dem Stuhl hin und her.

»Sind Sie immer so direkt?« fragt sie, das Lachen noch in den Augenwinkeln. Die feinen Fältchen, die dabei um Augen und Mund entstehen, machen ihr Gesicht sehr anziehend.

»Eigentlich nicht«, murmelt Axel mit glühenden Ohren und entschuldigt sich.

Sie leert ihre Tasse in einem Zug und steht auf. »Kommen Sie. Ich werden Ihnen beweisen, dass ich kein hilf-loser Krüppel bin.«

Axel fährt wie gestochen von seinem Stuhl hoch.

»Nur die Ruhe, es wird kein Wettrennen. Wir gehen bloß was essen. Zwei Straßen weiter ist mein Lieblingsitaliener. Da gibt es Kölsch vom Fass.« Sie presst ihre Hand auf die Lippen, wobei ihr das Kunststück gelingt, den Lippenstift kein bisschen zu verschmieren. »Oh, Verzeihung. Wie plump von mir.«

Was für ein grandioses Theater, bemerkt Axel. Somit wären wir jetzt quitt.

 

Montags kommt Rudolf meistens erst gegen acht Uhr nach Hause, weil er an diesem Abend mit einem Kollegen Tennis spielt.

Danach wünscht Rudolf nur noch eine leichte, kalorienarme Mahlzeit. Heute gibt es gemischten Salat mit Putenbruststreifen und Sojasprossen. Rudolf hat Sophie gezeigt, wie der Salat angerichtet werden muss, welcher Essig und welche Kräuter in die Soße gehören und wie sie das Fleisch zu würzen und zu braten hat. Auch kompliziertere Gerichte kann sie auswendig kochen, meist genügt ihr ein einmaliges Vorlesen des Rezeptes.

Um halb acht scharren seine Schritte auf der Treppe, der Schlüsselbund rasselt, es knackt im Schloss, Sophie fährt zusammen. Der Tisch ist noch nicht gedeckt, das Fleisch im Rohzustand, der Weißwein schwitzt im Kühlschrank, und sie trägt ihren ausgeleierten Hausanzug.

Sie geht ihm entgegen und nimmt ihm mit den servilen Gesten eines österreichischen Kellners seinen Lodenmantel ab.

»Das Essen ist gleich soweit.«

»Wollen wir uns nicht erst einmal einen guten Abend wünschen?« Sein Tonfall ist neutral, noch ist nicht abzuschätzen, wie er gelaunt ist. Vielleicht hat er sich selbst noch nicht entschieden. Sie wagt nicht zu fragen, warum er heute schon zu Hause ist.

»Guten Abend«, sagt sie und ihr Lächeln verschwindet in einem nervösen Mundwinkelzucken.

»Habe ich dir nicht gesagt, dass es heute etwas früher wird?«

Nein, das hat er ganz bestimmt nicht. »Vielleicht habe ich es überhört. Entschuldige bitte. Es dauert nur noch zehn Minuten. Ich ziehe mich schnell um.«

»Das brauchst du nicht.« Er setzt sich in den Wohnzimmersessel und greift sich eine Zeitschrift, deren Titelblatt einen Hirsch, umringt von einem Rudel Hirschkühen, zeigt. Der Platzhirsch.

Zögernd betritt Sophie das Wohnzimmer. Rudolf schätzt es nicht, wenn von einem Zimmer ins andere gebrüllt wird. »Der Weißwein muss noch etwas kälter werden. Möchtest du ein Bier?«

»Nein, danke«, sagt er, ohne sie hinter seiner Zeitschrift anzusehen.

Jetzt weiß Sophie Bescheid. »Du gehst noch mal weg?« Sie bemüht sich, ihrer Stimme einen neutralen Klang zu geben. Auf keinen Fall darf er die Erleichterung dahinter heraushören.

»Allerdings«, tönt die Zeitschrift. »Zur Jagd. Was dagegen?«

Sprich in ganzen Sätzen, denkt Sophie. So pflegt Rudolf sie bei solchen Gelegenheiten zurechtzuweisen.

»Nein«, sagt Sophie. Von ihr aus könnte er gerne jeden Tag zur Jagd gehen.

Durch die Jagd haben sich Rudolf und Sophie kennengelernt. Vor knapp drei Jahren fand Rudolf Kamprath während eines Pirschganges einen erfrorenen jungen Rauhfußkauz, worauf sein Jagdherr Ferdinand Pratt ihm die Adresse eines Präparators in dem Dorf, das an das Jagdrevier grenzt, nannte. Dort, zwischen schlaffen Fell- und Federbälgen und steifen Tierleichen, begegnete ihm Sophie; groß, fast einsachtzig, kräftige Statur, ohne dabei dick zu sein, runde, hellbraune Augen und bedächtige Bewegungen. Sie sprach wenig. Das gefiel ihm sehr, und auch, wie sie ihn von unten herauf schüchtern musterte und dabei dem toten Kauz liebevoll durch die weichen Federn strich. Eine Frau wie eine Hirschkuh. Sanft, still, unterwürfig. Ganz anders, als seine streitlustigen Kolleginnen.

Sophie arbeitete nur aushilfsweise in der Werkstatt. Sie mochte die Arbeit und bewies mehr Geschick als ihr Bruder. Manchmal gab sie sich der Vorstellung hin, dass sie dem Tod eins auswischte, indem sie Verfall und Verwesung der Tierkörper verhinderte und ihre Schönheit für immer bewahrte. Sie hätte die Werkstatt des Vaters am liebsten übernommen. »Aber«, hatte ihr Vater seinerzeit entschieden, »es sind ja nicht nur die Tiere. Da ist auch jede Menge Schreibkram zu erledigen, und außerdem ist das kein Beruf für eine Frau.« Ihre Mutter hatte zugestimmt, so wie sie immer allem zustimmt, was der Vater sagt.

Rudolf steht auf, folgt Sophie in die Küche und legt seine Hand um ihren Nacken. Sie fühlt sich an wie ein toter Fisch.

»Hast du was Bestimmtes vor, heute abend?«

Als ob sie jemals etwas vorgehabt hätte. »Nein«, versichert Sophie seiner dunkelblauen Krawatte, denn die feuchtkalte Klammer in ihrem Nacken drückt ihr Gesicht gegen seine Brust. Er lässt sie los, Sophie tritt zurück und verbrennt sich beinahe an der heißen Pfanne.

»Warum hast du blöde Kuh deine Verwandtschaftsgeschichte im ganzen Viertel rumerzählt?«

Frau Weinzierl. Frau Weinzierl muss es der Frau Fabian erzählt haben, und die der Frau Sauer, und Gertrud Sauer ist Musiklehrerin an Rudolfs Schule. Oder Frau Weinzierl hat es Frau Behnke berichtet, und die ihrem Mann, der oft morgens mit Rudolf dieselbe Straßenbahn nimmt. Es könnte aber auch…

»Was glotzt du so? Ich erwarte eine Antwort auf eine ganz normale Frage!«

»Ich … ich weiß es nicht. Es muss mir so rausgerutscht sein.«

Sophie erinnert sich genau: Es war nach der Anprobe, auf dem Balkon. »Liegt das Kreative in Ihrer Familie?« hatte Frau Weinzierl sie gefragt.

»Wie bitte?«

»Stammen sie aus einer Künstler…« Frau Weinzierl unterbrach sich. Das Wort schien ihr wohl zu hoch gegriffen, »… aus einer Handwerkerfamilie?«

»Ja«, antwortete Sophie, »mein Vater war Tierpräparator, und mein Bruder hat…«

»Ihr Vater stopft Tiere aus?« fiel ihr Frau Weinzierl ins Wort, und Sophie sprudelte ohne zu überlegen heraus: »Er nicht mehr. Aber mein Bruder. Ich helfe auch ab und zu aus.« Zu spät bemerkte sie Frau Weinzierls Gesichtsausdruck: als würde sie von akut auftretenden Zahnschmerzen gepeinigt.

Rudolfs Ärger ist berechtigt, sieht Sophie reumütig ein. Wie oft schon hat er ihr befohlen, Stillschweigen über diese Angelegenheit zu bewahren, weil sich die meisten Leute recht abstruse Vorstellungen von dem Beruf des Präparators machen würden.

»So. Rausgerutscht.« Er kommt näher und windet sich Sophies Haar um die Faust. Diesmal biegt er ihren Kopf nach hinten, an Einfallsreichtum mangelt es ihm in solchen Dingen nicht. Sophie geht in die Knie. Sein Gesicht ist dem ihren jetzt ganz nah. Es ist ein Männergesicht ohne feste Konturen und besondere Merkmale. Die Geheimratsecken haben sich bis auf wenige Fransen zur Stirnglatze gemausert. Das dunkle Resthaar zeigt graue Linien. Rudolf ist achtundvierzig. Von Beruf ist er Oberstudienrat für Geographie und Deutsch am Gymnasium, in seiner Freizeit geht er zur Jagd. Sophie ist zweiunddreißig. Sie hat keinen Beruf mehr, somit auch keine Freizeit, und deshalb geht sie auch nirgendwohin.

Sein Atem riecht säuerlich. Früher, denkt Sophie, hat er sich immer gleich die Zähne geputzt, wenn er nach Hause kam. Aber es ist ja kein Wunder, dass er das nicht mehr tut, und so vieles andere auch nicht. Es ist meine Schuld, dass alles so gekommen ist. Rudolf hat lange Geduld mit mir gehabt.

»Nun rede schon. Seit wann stehst du mit der Nachbarschaft auf so vertrautem Fuß?«

»Es war nur Frau Weinzierl. Sie war hier, vor zwei Tagen.«

»Weshalb?«

»Wegen einem Kleid. Es war ihre Idee, sie hat mich angesprochen.« Das stimmt. Kürzlich, beim Bäcker, fragte Frau Weinzierl Sophie ganz unvermittelt: »Sagen Sie mal, Frau Kamprath, wo kaufen Sie eigentlich Ihre Kleidung?« So einfach war das. Einfach für Frau Weinzierl. Sophie würde es nie fertigbringen, eine ihrer Nachbarinnen so unbefangen anzusprechen.

Für einen Moment sieht es so aus, als wolle er ihren Kopf gegen die Dunsthaube stoßen, aber dann gibt er ihr Haar frei. Rudolf Kamprath ist ein zivilisierter Mensch. Bis jetzt hat er sich immer unter Kontrolle gehabt.

»Habe ich dir nicht gesagt, dass ich das nicht will? Meine Frau näht keine Kleider für die Nachbarschaft! Willst du mich mit allen Mitteln blamieren?« Seine Stimme ist laut geworden.

»Was ist daran so schlimm? Ich bin nun einmal Näherin, das hast du von Anfang an gewusst!«

Vor ihrer Heirat arbeitete Sophie in einer Textilfabrik. Als Hilfsnäherin, denn sie besitzt keinen Gesellenbrief. Ihr Blick begegnet dem seinen mit einem Funken Trotz in ihren Augen.

»Aber ja«, höhnt er, »alle dürfen das wissen. Wir haben ja auch sonst nichts zu verbergen, nicht wahr?«

Sophie zuckt zusammen. Rudolf grinst hinterhältig.

»Ich nehme ja kein Geld dafür«, beschwichtigt Sophie. »Ich habe gesagt, es ist mein Hobby. Sie hat nur den Stoff gekauft.« Dabei würde sie gerne ein wenig eigenes Geld verdienen, so wie früher. Obwohl sie den größten Teil ihres dürftigen Lohns ihren Eltern abgeliefert hatte, war ihr doch ein Rest zur freien Verfügung geblieben. Zusätzlich nähte sie Kleider für einige Frauen aus dem Odenwalddorf, deren Figuren nicht für Kleidung von der Stange geschaffen waren. In letzter Zeit ertappt sie sich manchmal bei dem Wunsch, sie wäre noch ledig und in der Fabrik beschäftigt.

Rudolf stößt ein kurzes Lachen aus. Lustig klingt es nicht. »Von mir aus, dann näh für die alte Scharteke…«

Sophie verschluckt die Bemerkung, dass Frau Weinzierl jünger als Rudolf ist.

»… sonst muss ich dir womöglich noch einen Töpferkurs bezahlen, damit du ausgelastet bist.« Er verlässt die Küche, aber unter der Tür dreht er sich noch einmal um. »Andere Frauen in deinem Alter haben Kinder.«

Sophie wendet sich ab. Manchmal wäre ihr lieber, er würde sie schlagen.

 

Karin Mohr steigt aus dem Taxi und schleppt sich die zwei Treppen zu ihrer Altbauwohnung hoch. Es liegt nicht an ihrem Bein, dass es heute so langsam geht. Sie ist müde. Müde und deprimiert. Diesmal war es wieder besonders schlimm. Aber empfindet sie das nicht jedesmal? Sie wirft ihre Schlüssel in die Tonschale auf dem Garderobenschrank. Es klirrt, und Karin verzieht das Gesicht. Hoffentlich hat sie jetzt nicht Maria geweckt. Sie hängt ihren Mantel auf, gießt sich einen Kognak ein und lässt sich auf das Ledersofa fallen, wobei sie Schuhe und Socken abstreift. Die Geschichten wollen sie nicht loslassen. Sie gleichen sich auf fatale Weise, immer wieder.

Vor einem halben Jahr fing Karin Mohr an, einmal im Monat eine kostenlose Rechtsberatung für die Bewohnerinnen des Frauenhauses anzubieten. Von Mal zu Mal wuchs der Andrang, und inzwischen kommen immer öfter Frauen, die gar nicht im Frauenhaus leben. Karin bringt es nicht fertig, sie wegzuschicken. Von etlichen männlichen Kollegen wird sie wegen dieses Engagements schief angesehen und mit zynischen Spitznamen bedacht. Man unterstellt ihr, dass sie auf diese Weise Mandanten ködert. Natürlich kommen die Frauen später oft mit ihren Scheidungsklagen und Sorgerechtsstreitigkeiten zu ihr, aber der Neid der Kollegen ist unangebracht. Die Fälle kosten viel Zeit bei wenig Streitwert, sprich wenig Verdienst.

Warum mache ich das überhaupt, wenn es meinem Ruf schadet und mich immer wieder so mitnimmt, fragt sich Karin an Abenden wie heute. Die Antwort liegt in dem kleinen Schimmer der Hoffnung, den sie manchen Frauen geben kann, indem sie ihnen die Hilfen und die Hürden aufzeigt, mit denen sie auf dem Weg in ein neues Leben rechnen müssen. Nicht alle gehen den Weg. Viele schwören sich und ihr zum dritten oder vierten Mal, dass sie es diesmal endgültig schaffen werden. Und dann verweigern sie im Gerichtssaal die Aussage gegen ihren der schweren Körperverletzung angeklagten Ehemann, weil sie zum dritten oder vierten Mal von ihm schwanger sind oder weil sie seinen Nie-wieder-Schwüren glauben und ihm eine allerletzte Chance einräumen wollen. Ein paar Wochen später sitzen sie dann wieder vor ihr, jammernd und schwörend. Das sind die Fälle, die Karin wütend machen. Wütend auf die Frauen.

Der Kognak gräbt sich wärmend seinen Weg bis in den Magen und füllt einen trügerischen Moment lang die Leere in ihrem Inneren.

Wie ein Gespenst steht auf einmal Maria vor ihr. Sie hat die Angewohnheit, sich lautlos zu bewegen, was Karin in den ersten Wochen ihres Zusammenlebens oft erschreckt hat. Sie ist barfuß, das schwere, dunkle Haar hängt in einem locker geschlungenen Zopf bis zum Gürtel ihres nachtblauen Seidenkimonos hinab, auf dem sich goldene Drachen mit Feuer bespeien. Sie lächelt.

»Habe ich dich geweckt?«

»Nein, ich habe gelesen. Ich dachte, du brauchst vielleicht noch jemand zum Reden, wenn du zurückkommst.« Maria schiebt sich den Sessel heran und lässt sich im Schneidersitz darauf nieder. Sie schraubt eine kleine Flasche auf, die sie aus einer Tasche ihres Gewands zaubert. Ein zitroniger Duft breitet sich aus und Karin seufzt: »Du bist ein Engel, weißt du das?«

Maria nickt und lässt das Öl durch ihre Handflächen rinnen. »Klar weiß ich das«, antwortet sie und bettet Karins nackte Füße in ihren Schoß.

Karin schließt die Augen und gibt sich dem Spiel von Marias Händen hin.

»Und jetzt erzähl.«

 

Kurz vor Mitternacht kommt Rudolf nach Hause. Er bemüht sich nicht, leise zu sein, aber wenigstens knipst er im Schlafzimmer kein Licht an, sondern nur im Flur. Sophie versucht, regelmäßig und ruhig zu atmen und vermeidet jede Bewegung. Sie hört, wie er seine Kleidungsstücke auf den Sessel wirft. Die Gürtelschnalle klirrt. Sophie presst die Knie gegen ihre Brust und hält die Augen fest geschlossen. Er geht ins Bad und wenig später kracht er neben sie in das Ehebett, wie ein gefällter Baum. Sein Atem bläst ihr in den Nacken. Sie bewegt sich nicht. Es dauert eine Ewigkeit, während der Sophie reglos daliegt. Die toten Fische. Gleich wird er ihr ins Ohr schnaufen, ihr Haar zerwühlen, ihre Brüste kneten und zwischen ihren Schenkeln herumrubbeln. Sie liegt still. Ihre Muskeln verkrampfen sich. Er fängt an, leise zu schnarchen. Der angehaltene Atem weicht aus ihrem Brustkorb, sie wagt eine Bewegung, er schnarcht weiter, Sophie entspannt sich. Sie zieht die Knie an die Brust und die Decke über den Kopf und schläft endlich ein.

 

Am Morgen frühstücken sie schweigend, Rudolf den Kopf über der Zeitung. Früher hat er ihr manchmal einen Artikel vorgelesen, aber das geschieht nun immer seltener. Es macht ihr nichts aus. Im Laufe des Tages wird sie das, was die Menschen an diesem Tag für wichtig halten, aus dem Radio erfahren.

Rudolf verlässt die Wohnung mit Mantel und Aktentasche und Sophie räumt den Tisch ab. Sie mag die frühen Morgenstunden, wenn der ganze Tag vor ihr und die Unwägbarkeiten des Abends noch in weiter Ferne liegen. Das war nicht immer so. Am Anfang ihrer Ehe langweilte sie sich in der fremden Wohnung und war froh, wenn Rudolf abends nach Hause kam. Sie gingen hin und wieder zum Essen, ein paarmal sogar ins Theater. Manchmal brachte er einen Film aus der Videothek mit, den sie sich zusammen ansahen. Die Filme, die er jetzt mitbringt, gefallen Sophie nicht mehr.

Inzwischen hat sich Sophie ans Alleinsein gewöhnt und ihre stundenweise Freiheit schätzen gelernt. Die Vormittage verbringt Sie meistens in ihrem Nähzimmer. Aber heute gibt es dort drinnen absolut nichts mehr zu tun. Für neuen Stoff hat sie noch nicht genug Geld beisammen und Rudolf hat sich geweigert, ihr welches zu geben. Sie habe schon genug Fetzen im Schrank, wann will sie die denn überhaupt jemals anziehen? Natürlich hat er recht.

»Steck deine Nase lieber in ein Übungsheft«, hat er gesagt. »Oder tu mal was für deine Figur.« Auch damit hat er recht.

Sophie schlüpft in das kirschrote Kleid mit den weiten, tief angesetzten Ärmeln, zieht den leichten Sommermantel über und verlässt die Wohnung. Sie schließt das eiserne Gartentor, dessen Spitzen wie Schwerter in den Himmel ragen. Um diese Zeit ist die Gegend wie ausgestorben. Nur einige wenige Patienten von Dr. Mayer, dessen Praxis sich im Erdgeschoß ihres Hauses befindet, parken auf dem Gehweg. Die Praxis ist selten überlaufen.

Die Häuser in diesem Viertel sind zum größten Teil gepflegte Altbauten aus der Jahrhundertwende, so wie das schmale, hohe Haus von Frau Weinzierl, das verschnörkelte Giebelbalken hat. Daneben protzt die aufwendig renovierte Villa der Behnkes mit ihrer hellen Schindelfassade und konkurriert mit dem verträumten und etwas heruntergekommenen Haus der Sauers gegenüber. Sophie nennt es ein Schlösschen, weil es einen kleinen Turm hat. Es gibt auch ein paar Bauten, die in den fünfziger und sechziger Jahren entstanden sind, als die Besitzer der alten Villen Teile ihrer riesigen Grundstücke verkauften. Einer davon ist der geräumige Bungalow der Fabians. Frau Weinzierl lässt nahe der Grundstücksgrenze hohe Zypressen wachsen, damit sie »diesen Klotz« nicht ständig vor Augen hat. Dieselbe Bezeichnung trifft auf das Haus zu, in dem Sophie lebt. Es ist das einfachste und nüchternste in der Straße, ein Würfel mit einem flachen Dach und einem zu großen Balkon, der wie nachträglich angeklebt wirkt. Weiße Glasbausteine markieren das Treppenhaus. Sophie hat eine blaue Clematis gepflanzt, die diese Scheußlichkeit kaschieren und dann am hölzernen Geländer ihres Balkons weiterranken soll. In diesem Sommer hat die Pflanze erst den Boden des Balkons erreicht, und Sophie hat Dr. Mayer im Verdacht, ein paar Triebe abgeschnitten zu haben. Der Garten besteht aus Rasen und Sträuchern, ist einfach zu pflegen und wirkt steril. Gerne hätte ihn Sophie phantasievoller gestaltet, aber Rudolf hält eine solche Maßnahme für Zeit- und Geldverschwendung. Lediglich ein Kräuterbeet hat sie an der Grenze zu dem unbebauten Nachbargrundstück angelegt, denn auf frische Küchenkräuter legt Rudolf großen Wert.

Sophie geht rasch die Straße entlang. Sie ist froh, niemandem zu begegnen. Im Supermarkt gibt es eine Sondertheke mit Joghurt. Sophie erkennt das Symbol, es ist die Marke, die Rudolf bevorzugt. Nachdenklich blickt sie auf das Schild darüber. Ist das ein Sonderangebot? Einmal hat sie aus Versehen Frischkäse mit abgelaufenem Haltbarkeitsdatum nach Hause gebracht und Rudolf hat sie eine Idiotin genannt. Zu Recht, findet Sophie, was ist sie für eine Frau, die ihrem Mann halbverdorbene Speisen vorsetzt?

Ein junger Mann in einem schwarzen Mantel stellt seinen Einkaufswagen neben den ihren und mustert ebenfalls das Schild, das an dünnen Fäden von der Decke baumelt. Sophie sieht ihre Chance. »Verseihunk«, wendet sie sich an den Mann, »das sein billiges Angebot oder altes Ware?« Mit der Ausländermasche hat sie noch immer Auskunft bekommen, auch wenn sie dabei nicht immer freundlich angesehen wird.

Der Angesprochene will eben antworten, da mischt sich Überraschung in sein hilfsbereites Lächeln. Plötzlich ist Sophie, als würden die hellen Steinfliesen unter ihren Füßen schwanken. Sie spürt, wie sie knallrot anläuft. Das ist das Ende. Irgendwann musste die Katastrophe passieren.

»Sie sind doch die Frau, die mir gegenüber wohnt. Sie sitzen oft auf dem Balkon.«

Sophie ist übel. Jetzt weiß er Bescheid. Bald werden es alle wissen. Schon fängt der junge Mann an zu lachen und mit Sophie geschieht etwas, was schon lange nicht mehr geschehen ist: Sie wird wütend. Sie ist drauf und dran, ihn am Kragen zu packen und zu schütteln oder laut zu schreien, nur damit er endlich aufhört zu lachen.

Aufmerksam linst eine Verkäuferin hinter einem Regal hervor. Noch immer lachend sagt er: »Also wirklich! Das ist die schärfste Anmache, die mir seit langem begegnet ist! Kompliment.«

Offenbar wird er öfter angemacht. Kein Wunder. Er hat ein feines, fast mädchenhaftes Gesicht mit einer klassischen Nase und großen Augen, so blaugrau wie ein See vor einem Gewitter. Sein sandfarbenes Haar reicht ihm bis auf die Schultern. Er ist ein paar Zentimeter kleiner als Sophie und gut zehn Jahre jünger.

Sophies Wut macht augenblicklich einer großen Erleichterung Platz. Sie lächelt. »Ich heiße Sophie Kamprath.«

»Sophie«, wiederholt er, und auf einmal hat ihr gewöhnlicher Name einen exotischen Klang. Er ergreift ihre Hand und seine Lippen berühren ihre Finger, flüchtig und sanft, wie mit einer Feder. »Mark.«

Sophie zieht ihre Hand so schnell zurück, als hätte sie sich verbrannt. Sie ist unschlüssig. Soll sie jetzt einfach weitergehen oder eine Unterhaltung beginnen? Und wenn ja, worüber? Sie ist es nicht gewohnt, Handküsse entgegenzunehmen und mit gutaussehenden jungen Männern zu plaudern. Aber da sagt dieser Mark: »Die Weinzierl ist ganz schön von der Rolle, seit der Sache mit dem Maler.«

»Ja, es war ganz schrecklich.« Schon wieder eine kleine Lüge. Der Anblick des Todes bereitet Sophie kein Entsetzen, und sie hat auch kein Mitleid mit dem Mann. Er war ein Widerling, daran ändert auch sein Tod nichts. Vielleicht ist seine Frau, falls er eine hatte, erleichtert, ihn los zu sein? Lebt jetzt in Ruhe und Frieden mit seiner Rente und der Lebensversicherung. Sophie erschrickt über ihre Gedanken und konzentriert sich rasch wieder auf den jungen Mann.

Der macht eine wegwerfende Handbewegung. Seine Bewegungen sind elegant, vielleicht eine Spur affektiert.

»Wegen des Kerls regt die sich nicht auf. Höchstens, weil sie noch niemanden hat, der ihr Haus zu Ende streicht. Nein, es ist wegen ihrer Rosen. Dreizehn Stück davon sind hinüber. Sie glaubt nun, dass das Unglück bringen wird.«

»Ich verstehe nicht ganz.«

»Die Weinzierl ist abergläubisch. Vielmehr, sie hat den totalen Esoterik-Tick, quer durch alle Sparten: geht nur bei Vollmond zum Friseur, glaubt an Hexen und Flüche und natürlich an diesen ganzen Astrologiekram. In einem ihrer früheren Leben war sie die erste Kurtisane eines Maharadschas, hat sie Ihnen das noch nie erzählt?«

»Nein«, antwortet Sophie und muss unwillkürlich lächeln. »Aber dem Maler hat die Zahl dreizehn tatsächlich Unglück gebracht.«

»Unglück ist nicht ganz richtig.« Mark tritt einen Schritt näher an sie heran, ungehörig nahe für einen Beinahe-Fremden, und fällt in einen Flüsterton. »Es war gar kein Unfall.«

Sophie sieht ihn abwartend an. Sie weicht nicht zurück.

»Ich hab’s getan.«

»Was getan?« Unbewusst hat sie sich seinem Flüsterton angepasst.

»Ich habe ein Brett am Gerüst gelockert, und bums …« Zur Demonstration nimmt er eine pralle Aubergine von der Gemüsetheke und lässt sie auf den Steinboden klatschen. Es entsteht ein hässliches Geräusch und ein tiefer Riss, aus dem helles Fruchtfleisch quillt. Sophie sieht sich verstohlen um, ob jemand diesen Frevel gesehen hat.

»Ich konnte natürlich nicht damit rechnen, dass er sich auf Anhieb das Genick bricht. Manchmal gelingen die Dinge besser, als man hofft.«

Sophie forscht in seinem Gesicht vergeblich nach etwas, das den Inhalt seiner Worte widerlegt. »Der Arzt vermutet, dass es ein Herzanfall war«, gibt sie mit ruhiger Stimme zu bedenken.

»Ganz richtig«, nickt Mark mit einem hintergründigen Lächeln. Er hat einen wunderschönen Mund, groß, mit feingezeichneten, tiefroten Lippen. »Der Arzt vermutet.«

»Warum sollten Sie so etwas tun?«

Mark stützt den Unterarm auf den Einkaufswagen und nimmt eine lässige Pose ein. »Er war ein widerlicher Prolet. Er ging mir auf die Nerven, mit seinem ständigen Gepfeife und Gefurze. Und was für Bemerkungen er über Frauen gemacht hat…«

Sophie ist verwirrt. Wahrscheinlich macht er sich über mich lustig. Ja, ganz bestimmt. »Ich muss jetzt weiter.«

»Natürlich«, grinst Mark, »die Pflichten einer Hausfrau.«

Eingebildeter Kerl, denkt Sophie und schiebt ihren Wagen schnell in den nächsten Gang, wo er sie nicht mehr sehen kann.

 

»Gudde Morsche.« Frau Konradi muss kurz vor ihm angekommen sein, ihre Parfumwolke steht noch draußen im Flur.

»Auch Ihnen einen wunderschönen guten Morgen.«

»Möschte Se Kaffee? En rischtische Kaffee, nedd des idalienische Zeusch.«

»In diesem Fall sage ich natürlich nicht nein.« Axel ist von Frau Mohr aufgeklärt worden, dass sich hier jeder seinen Kaffee selbst macht und sich nicht etwa von Frau Konradi bedienen lässt. Ausgenommen, man ist in einer Besprechung mit Mandanten.

Frau Konradi strahlt ihn an, frisch, rotwangig und blond wie Äppelwoi.

Es ist acht Uhr. Dass Karin Mohr an seinem ersten Arbeitstag nicht da ist, um ihn zu begrüßen, enttäuscht ihn ein bisschen. Zögernd betritt er sein Büro. Es liegt gegenüber von Frau Konradis und bietet einen Blick auf den Mathildenplatz. Auch hier stehen die alten Möbel von Dr. Scheppach, aber die Wände sind noch kahl. Auf dem Schreibtisch steht eine Flasche Bordeaux, Jahrgang 1985, und eine Karte, »Herzlich Willkommen« in einer disziplinierten Handschrift. Frau Konradi kommt herein und die Schreibtischplatte füllt sich mit einer Tasse Kaffee, einem fettglänzenden Croissant und etwas Flachem, das in Geschenkpapier verpackt ist.

»Zum Einschdand.«