VVorwort

Der Smart Contract ist dort angekommen, wo er – nach Ansicht vieler seiner Geburtshelfer – gar nicht hin sollte: in der Rechtsordnung. Manche Beteiligte sahen und sehen in den Smart Contracts eine grundlegende Alternative zu dem in eine Privatrechtsordnung eingebetteten Vertrag. Der störunanfällige Automatismus der Durchführung soll eine Durchsetzung im Rechtswesen entbehrlich machen. Die Beiligten erhalten automatisch das Resultat eines Programmablaufs, an dem sie sich beteiligt haben. Die derart „smart“ aufgegleisten Transaktionen sollen regulierungsfrei, staatsfern und ohne Intermediäre ablaufen.

Es hat nicht lange gedauert, bis diese Erwartungen sich als das herausgestellt haben, was sie von Anfang an waren: eine Illusion. Das Vertragsrecht, gleich welcher Rechtsordnung, wird durch das Aufkommen von Smart Contracts nicht gegenstandslos. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Ohne ein begleitendes Vertragsrecht sind bestandskräftige Wertbewegungen mittels Smart Contract nicht erwartungssicher durchführbar. Für Unregelmässigkeiten aller Art schafft erst die Möglichkeit eines Rückgriffs auf Ansprüche und Rechtsbehelfe, die ein positives Vertragsrecht anerkennt, Sicherheit gegen Enttäuschungen von Erwartungen sowie Ausgleichsansprüche für unrechtmässig erlittene Schädigungen. Beteiligte können einander, trotz ihrer eventuellen Absicht sich ganz „rechtsfrei“ zu verständigen, sehr wohl auf vielfältige Weise zivilrechtlich haftbar werden, was von einem staatlichen Gericht erkannt und mit Mitteln der Zwangsvollstreckung durchgesetzt werden mag. Die Welt der Smart Contracts bildet nicht eine hermetische Parallelwelt, die neben die Vertragsordnungen treten würde und ohne Berührung mit dieser ‚in splendid isolation‘ ablaufen würde. Vielmehr stehen Geschehnisse, bei denen sich Beteiligte eines Smart Contract bedienen, der rechtlichen Beurteilung offen, ebenso wie alle anderen Vorkommnisse des Geschäftsverkehrs.

Erste Versuche einer rechtlichen Erfassung haben schnell die Vielschichtigkeit des juristischen Problematik deutlich werden lassen. Es gibt zunächst nicht den „einen“ Smart Contract. Vielmehr kommen Beteiligte in unterschiedlichen Konstellationen und Rollen zusammen. Die Zusammenarbeit in einer „Decentralized autonomous organisation“ (DAO) ist anders zu erfassen als die Nutzung einer Blockchain-basierten Transaktion synallagmatischer Art.

Sodann wurde deutlich, wie vielschichtig der Vorgang ist, in dem ein „smart“ ablaufender Vorgang zu einem herkömmlichen Vertrag in Beziehung gesetzt wird. Hiermit sind Fragen verbunden wie die nach dem anwendbares Recht und – zuvor – dem Gerichtsstand, den Verpflichtungsinhalten, den möglichen Pflichtverletzungen und deren Folgen. Verbraucherbeteiligung kann unter die Geltung von Schutzbestimmungen führen. Klärungsbedürftig ist aber auch der Status der aus dem „smart contract“ hervorgegangenen Programmposition im Hinblich auf die Einzelvollstreckung und den Konkurs. Zwanglos wandert man weiter auf das Gebiet des Erb- und des Ehegüterrechts. Für das Deliktsrecht müssen die geschützten Positionen und die Eingriffsvorfälle, vorab schon das Deliktsstatut bestimmt werden.

Noch bevor die Zivilrechtswissenschaft mit wenigstens vorläufigen Anworten aufwarten konnte, sind verschiedenste Regulierungsbehörden auf den Plan getreten. VINamentlich die Möglichkeit von Instrumenten, deren herkömmliche Gegenstücke finanzmarktrechtlich reguliert und überwacht werden, hat die Sorge vor einer Regulierungslücke entstehen lassen. Die Anwendbarkeit von Geldwäschereigesetzgebung muss zu einem weiteren Thema werden. Vermögenswerte und deren Verschiebungen finden das Interesse der Steuerbehörden und der Steuergesetzgeber.

Diese Bemerkungen sollen nicht den Eindruck erwecken, es sei Aufgabe der Rechtsordnung und der Rechtswissenschaft, die Entwicklung der Smart Contracts „abzuwürgen“. Der Jurist tritt hier nicht als Spielverderber ein. Er hat die Rolle eines „Enabler“. Für eine stark arbeitsteilige Wirtschaft, in der die Produktionsschritte schnell getaktet sind, ist die Verlässlichkeit der Leistungserbringung von ausserordentlich hohem Wert. Die Prognose fällt nicht schwer, dass Smart Contracts sich noch einer enormen Beliebtheit erfreuen werden. Wenn es gelingt, Transaktionen so verlässlich zu gestalten, dass sich die Beanspruchung der im Gerichtswesen organisierten Durchsetzungsmechanismen reduzieren lässt, ist dies ein Fortschritt. Abwehrbewegungen seitens des Juristenstandes sind nicht angebracht. Es ist eine mögliche Entwicklung, dass über Smart Contracts laufende Transaktionen einen grossen Anteil am gesamten Transaktionsaufkommen ausmachen werden, und dass die Beanspruchung des Rechtswesens zur Vertragsdurchsetzung spürbar zurückgeht. Ein Absterben des Gerichtssystems, weil niemand mehr (über Transaktionen) in Streit kommen kann, erscheint aus jetziger Sicht nicht sehr wahrscheinlich. Es ist aber gut denkbar, dass sich gesamtgesellschaftlich der Schwerpunkt intellektueller Tätigkeit verschiebt, indem weniger Juristen sich um die Aufarbeitung gescheiterter Vertragsbeziehungen kümmern müssen, während mehr Informatiker/Programmierer die Qualitäten der Selbstvollzugsmechanismen perfektionieren. Ob es in dieser Entwicklung einen Punkt geben könnte, in dem dann doch das informatikgetragene Austauchgeschehen sich vollständig von dem herkömmlichen Rechtswesen emanzipiert? Es wäre vermessen, wenn der Jurist hier ein sicheres „Nein“ sprechen wollte.

Die Autoren, die zu diesem Band beigetragen haben, leisten Pionierarbeit. Sie nehmen das Risiko auf sich, dass sich ihre Vorschläge, die notwendig vorläufiger Natur sind, in der juristischen Evolution nicht selektiert werden, angesichts technischer Weiterentwicklung gegenstandslos oder unpassend werden. Es ist zu begrüssen, dass dieses Risiko keinen der Autoren abgeschreckt hat, sich mit seinen Thesen zu exponieren.

Oxford im April 2019

Dr. Dres. hc Wolfgang Ernst, Regius Professor of Civil Law, Universität Oxford, Professor ad Personam, Universität Zürich

IXIm Einzelnen haben bearbeitet

Kapitel 1: Einleitung

Braegelmann/Kaulartz

Kapitel 2: Smart Contracts, Blockchains und automatisch ausführbare Protokolle

Voshmgir

Kapitel 3: Die Tokenisierung mittels Smart Contracts aus technischer Sicht

Sandner/Braunberger/Gabriel

Kapitel 4: Smart Contracts: Eine Standortbestimmung aus Sicht der Informatik

Matthes

Kapitel 5: Technische Interpretation von Smart Contracts

Koch/Reitwiessner

Kapitel 6: Code-Beispiel eines Smart Contracts

Jentzsch

Kapitel 7: Smart Contracts in der Praxis

Spitz/Lehnert/Heizmann

Kapitel 8: Rechtsgeschäftslehre und Smart Contracts

Möslein

Kapitel 9: Smart Contracts und AGB-Recht

Riehm

Kapitel 10: Fehlerhafte Smart Contracts

Blocher

Kapitel 11: Smart Contracts und Verbraucherschutz

Spindler/Wöbbeking

Kapitel 12: Smart Contracts und anwendbares Recht

Rühl

Kapitel 13: Smart Contracts und Geistiges Eigentum

Hauck

Kapitel 14: Smart Contracts und die Tokenisierung

Matzke/Kaulartz

Kapitel 15: Smart Contracts und Art. 22 DSGVO (Automatisierte Entscheidungen im Einzelfall)

Finck

Kapitel 16: Regulierung von Smart Contracts

Fries

Kapitel 17: Komplexe Smart Contracts: Die Decentralized Autonomous Organization

Mann

Kapitel 18: Smart Contracts im Krisenfall

Paulus/Braegelmann

Kapitel 19: Smart Contract Dispute Resolution

Kaulartz/Kreis

1Kapitel 1
Einleitung

A. Einleitung

„The charm of the idea and concept of smart contracts is that anyone (…) can now much easier than ever automatize the performance and enforcement of many of their legal obligations, thereby ensuring much better compliance with contracts and laws, while remaining in control. (…) The tools of digital rights management and of digitally operating and deploying contracts will be available to all, big and small, filling the digital justice gap and improv[ing] access to justice for everyone. This is the vision of what smart contracts should be able to do.“1

„Die gefährlichen Raubtiere, die in die Reviere des Zivilrechts eindringen, sind nichtkontrollierbare Algorithmen aus der digitalen Welt, Roboter, allgemeine Softwareagenten, die über hohe Intelligenz und Lernfähigkeit verfügen und für die Menschen neuartige ungeahnte Gefahren erzeugen.2 (…) Für die Geschäftspraxis bedeutet es buchstäblich eine revolutionäre Umwälzung, dass Menschen an Algorithmen die Aufgabe delegieren, selbständig Verträge abzuschließen und durchzuführen. Zugleich aber ist das Vertragsrecht in seinen dogmatischen Fundamenten berührt, denn seine selbstverständliche Voraussetzung war bisher, dass ausschließlich Menschen – und das gilt auch für die Rechtsakte juristischer Personen – Willenserklärungen abgeben, besonders Verträge abschließen können.“3

1

Die Digitalität4 des Vertragswesens ist schon Realität: Beim Online-Banking und -Shopping, beim Umgang mit Plattformen zum Download und Streaming von Filmen und Musik, bei Online-Spielen usw. Voraussetzung ist immer noch eine massive IT-Infrastruktur der Anbieter.

2

Im Gegensatz dazu sind enttäuschenderweise in der alltäglichen Praxis fast alle wirtschaftlichen oder privaten Vertragswerke zwischen Unternehmen und Menschen undurchsuchbar in Papierakten begraben oder als PDFs fragmentarisch verstreut über 2viele E-Mail-Postfächer oder miteinander inkompatible Cloud-Plattformen. Sie können also nur aktiviert werden, wenn ein Mensch sie heraussucht, durchblättert oder durchklickt, und dann geduldig von vorne nach hinten in Gänze liest, in sein Bewusstsein aufnimmt und zu verstehen sucht. Bei mehrmals verwendeten AGB-Dokumenten geschieht dies obendrein noch in entsprechender Häufigkeit und ermüdender Wiederholung.

3

All das dauert, ist anstrengend, kostet Geld und ist fehlerträchtig. Von selbst tun diese Verträge nichts; sie merken es nicht einmal von selbst und sagen nicht Bescheid, wenn eine ihrer Vertragsbedingungen erfüllt oder verletzt wurde. Die Folge ist, dass viele Verträge in der Wirklichkeit nur halb durchgeführt oder nicht konsequent durchgesetzt werden oder in Vergessenheit geraten. Das mag ganz normal im menschlichen Leben oder auch von Vorteil sein, denn nichts ist ewig, die Zeit heilt alle Vertragsbrüche, etc – aber oft entsteht dadurch einfach nur ein vermeidbarer Schaden oder schwächeren Vertragsparteien entgehen Vorteile, weil stärkere Parteien sich nicht an Verträge oder Gesetze halten wollen und eine gerichtliche Durchsetzung gegen sie zu schwierig, langwierig und teuer ist (siehe das Beispiel der Fluggastrechte und dazugehörigen Entschädigungsansprüche,5 welche von den Fluggesellschaften regelmäßig nur schleppend oder gar nicht erfüllt werden).

4

Die meisten Menschen und Unternehmen haben auch weitaus Wichtigeres zu tun, als andauernd aktiv auf die Erfüllung ihrer vertraglichen oder gesetzlichen Ansprüche und Pflichten zu achten (wer läuft schon den ganzen Tag mit seinem Arbeits-/Mietvertrag, seiner Auftragsdatenverarbeitungsvereinbarung oder seinem Licensing Agreement unter dem Arm herum?). Anwälte dafür einzusetzen ist dauerhaft den meisten zu teuer, außerdem gibt es dafür gar nicht genügend Anwälte. Es kann auch nicht das Ideal einer Gesellschaft sein, das Leben nach permanentem anwaltlichen Rechtsrat auszurichten, sei es als Geschäftsführer oder als Privatmensch. Können die Computer da nicht endlich mehr tun? Ebenso beim grundlegenden, sperrigen und ewigem Problem der strukturellen Unvollständigkeit und Lückenhaftigkeit der Verträge („contract incompleteness“), da Vertragsparteien nie alle Eventualitäten regeln und auch nicht in die Zukunft schauen können, was erhebliche Transaktionskosten mit sich bringt, und für dessen Erforschung Oliver Hart 2016 den Wirtschaftsnobelpreis erhielt: Auch insoweit gibt es die Hoffnung, dass dieses Problem mittels Blockchains und Smart Contracts minimiert werden kann.6 Ist das alles nur Wunschdenken? Oder ist das doch eher eine Dystopie? Sollen jetzt selbst die Juristen das Lesen von Verträgen verlernen, weil die Verträge in Programmcode geschrieben sind?

5

Jedenfalls gerade als Anwalt- und Richterschaft noch meinen konnten, die Ausbreitung der Digitalität streife ihre Berufswelten höchstens, transformiere sie aber nicht, kommen nun also Smart Contracts mit dem Versprechen daher, dass es dank des technischen Fortschritts bald sehr einfach für alle (!) sein könnte, vertraglich oder gesetzlich geschuldete Leistungen mittels Software zu erbringen.

36

Auch das Europäische Parlament hat sich dem bereits 2016 angeschlossen, indem es in einer Entschließung konstatierte bezüglich Smart Contracts und der Blockchain-Technologie (auch „Distributed-Ledger-Technology“, „DLT“ – „Technologie der dezentralen Transaktionsnetzwerke“):

„Das europäische Parlament (…) erkennt an, dass sich das Potenzial der DLT noch entfaltet und weit über den Finanzsektor hinausreicht, etwa in Bereiche wie ‚Crypto-equity Crowdfunding‘ (Schwarmfinanzierung mit ‚Krypto-Kapital‘), Streitschlichtungsdienste, insbesondere im Finanzsektor und im Justizwesen, intelligente Verträge7 in Verbindung mit digitalen Unterschriften, Anwendungen, die einen erhöhten Datenschutz und Synergien mit der Entwicklung des Internets der Dinge ermöglichen“.8

7

Solch eine Digitalität von Verträgen verspricht „großes Potenzial für die Senkung von Transaktionskosten, die Schaffung von Rechtsklarheit und die Minimierung von Vertragsverstößen“.9 Verträge sollen sich endlich selbst: ausführen, vollziehen, durchsetzen, und gar vollstrecken, einfach so, ohne Anwälte, ohne Streit, ohne Gerichte und Gerichtsentscheidungen, und ohne Gerichtsvollzieher – z.B. als sogenannte autonome Softwareagenten10. So etwas in der Art liest man häufig. Was zunächst simpel klingt, ist rechtswissenschaftlich anregend und eine Herausforderung für die Rechtsordnung und das juristische Denken in Rechtsordnungen. Werden Smart Contracts als rechtspolitischer Begriff benutzt, so zeigt sich manchmal in Ansätzen der Wunsch des Zeitgeistes und einiger Digitalpropheten, das Recht, die Anwälte und den „Kampf ums Recht“11 ganz abzuschaffen oder wenigstens weitgehend zu verdrängen, weil das alles nur stören würde und unnötig wäre in einer perfekten Softwarewelt, denn, wie jedes Kind weiß: „Software is eating the World“12 und „Code is Law“.13 Well, we will see.

48

Ob Verträge nun immer „schlau“ sind, wenn sie mit Software ausgeführt werden, oder ob auf Papier oder in graphischen PDFs dokumentierte Verträge „dumm“ sind, ist dabei gar nicht die Frage, sondern: Ist der Begriff „Smart Contract“ als Metapher nützlich, um über moderne softwarebasierte Vertragsdurchführung nachdenken zu können? Die Tatsache, dass hier ein ganzes Buch zum Thema vorgelegt wird, legt nahe, dass dies zu bejahen ist, jedenfalls von der Autorschaft für naheliegend gehalten wird. In dieser Einleitung und im gesamten Buch wird nun die Leserschaft eingeladen, sich auf diese Überlegungen und Gedanken zu Smart Contracts einzulassen. Wir hoffen, dass diese Einladung für alle fruchtbar ist, ganz gleich ob man nun Smart Contracts gut findet oder ablehnt, für Science Fiction, Hype oder Teufelszeug hält, für einen rechtlich bedenklichen Systemwechsel, oder eben – auf Gedeih und Verderb – für die Zukunft der Digitalität des Vertragswesens in einer modernen Gesellschaft. Dabei ist klar und die Juristen können aufatmen: „Trotz großer Fortschritte der künstlichen Intelligenz/des machine learnings, haben Computer keinen ausreichenden Grad an kontext- und domänen-spezifischen Wissen oder an subtilem Verständnis, welches nötig ist, um vertragliche Zweifels-/Auslegungsfragen zu lösen.“14 Es geht also nicht darum in diesem Handbuch einer baldigen Zukunft das Wort zu reden, in der die Computer (anstelle von uns Menschen) bereits denken und kontrahieren können, ganz ohne uns, denn das ist Science Fiction, sicherlich sehr interessant, aber nicht Gegenstand dieses Buches. Wenn aber Smart Contracts die Zukunft der digitalen Vertragsdurchführung sein sollen, dann werden sich alle dazu eine Meinung bilden müssen und sich dazu verhalten, ob nun Unternehmen, Verbraucher, Rechtswissenschaft, Behörden, Rechtspolitik und so weiter.

B. Definitionsversuche

9

„Die Juristen grübeln, ob Smart Contracts nun selber Verträge sind oder nur Programmiercode; ob Smart Contracts für Verbraucher, die ja keinen Code lesen können, jemals bindend sein können; und ob man zwischen Smart Contracts und Smart Legal Contracts und Smart Templates differenzieren muss. Das lässt sich nicht eindeutig sagen: Es kommt eben darauf an, wo und wie man diese Technik einsetzt. Grund der begrifflichen Mühen sind die Softwareingenieure, denn diese haben sich den Begriff ‚Contract‘ – ohne die Juristen zu fragen! – einfach als Metapher genommen.“15 Jetzt holt sich die Rechtswissenschaft diese Metapher zurück, wobei die Metapher wiederum einem Bedeutungswandel unterliegt,16 wie im gesamten Handbuch deutlich wird.

1. Smart Contracts im Sinne von Szabo

10

Anfang der 90er Jahr des vergangenen Jahrhunderts, als das Internet flächendeckend verfügbar wurde, erkannte und propagierte Nicholas „Nick“ Szabo, ein bekannter 5Computerwissenschaftler, Kryptografie-Forscher, Jurist und Gesellschaftstheoretiker17, als einer der ersten, dass in einer Welt, „in der sehr viele Informationen digitalisiert sind und das Internet sowohl ein Ort signifikanten wirtschaftlichen Handels darstellt sowie viele andere Arten der privaten und geschäftlichen Kommunikation vermittelt, der Bedarf für einen ‚nativ digitalen‘ Vertrag besteht“.18

11

Szabo schlug dafür den Begriff „smart contract“ vor:

„I call these new contracts ‚smart‘, because they are far more functional than their inanimate paper-based ancestors. No use of artificial intelligence is implied. A smart contract is a set of promises, specified in digital form, including protocols within which the parties perform on these promises.“19

12

Andernorts definierte Szabos dies kürzer, wonach ein Smart Contract „a computerized transaction protocol that executes the terms of a contract“20 sei. So gesehen handelt es sich „aus Sicht der Softwareentwickler bei Smart Contracts also lediglich um automatisierte geschäftliche Abläufe (‚business logic‘) auf einer Plattform in einer digitalen Umgebung oder ‚Cloud‘ (dh auf einem fremden Computer, vielleicht auf einer Blockchain oder auch nicht).“21

13

Im Kontrast dazu beschrieb Szabo „legal contracts“ wie folgt: „Ein rechtlicher Vertrag ist Programmcode, der auf dem Gehirn eines Anwaltes ausgeführt wird.“22 Und kürzlich umschrieb Szabo den rechtstatsächlichen Charakter von Smart Contracts mit folgendem Bonmot, unter eine Anspielung auf ein US-amerikanisches Rechtssprichwort: „If ‚possession is 90 % of the law‘, then a good smart [contract] may be ‚99 % of the law‘“.23 Übersetzt ins deutsche Zivilrecht: Wenn Besitz 90 % des Privatrechts ausmacht, dann könnten Smart Contracts 99 % des Privatrechts sein. Damit ist gemeint: Entscheidet bisher oft (ob nun in 90 % der Fälle oder weniger) die Tatsache, wer eine Sache besitzt, auch darüber, wer sich im Ergebnis bei einem Streit um eine Sache faktisch durchsetzt (in Wirklichkeit, dh auch entgegen der Rechtslage), so werden in Zukunft Smart Contracts die meisten Rechte determinieren und zunächst einmal so durchsetzen, wie im Smart Contract programmiert, ob nun die Rechtslage entgegensteht oder nicht. Smart Contracts können digitale Faustpfänder sein.

614

Mit Nick Szabo begann also 1996 der Versuch, Vertragsbeziehungen und die Vertragsabwicklung aus der digitalen Perspektive neu zu denken. Das Konzept der Smart Contracts wurde demnach viel früher als die Blockchain-Technologie24 entwickelt und es ist grundsätzlich unabhängig davon, auch wenn zutrifft, dass Blockchains die Nutzung von Smart Contract besonders begünstigen, da die Smart Contracts dann auch über „digitale Assets“ verfügen können.25

15

Seit den ersten Erwähnungen des Begriffs durch Szabo sind nun mehr als 20 Jahre verstrichen,26 trotzdem herrscht bis heute keine Klarheit darüber, wie der Begriff einheitlich verwendet werden sollte. Klar ist aber auch, dass erst die letzten Jahre zur stärkeren Diskussion über Smart Contracts geführt haben, sicherlich auch begünstigt durch den Hype um die Blockchain-Technologie.

16

Tatsächlich kommt es immer auf die digitale Umgebung an, in welcher ein Smart Contract eingesetzt wird. „Läuft ein Smart Contract auf einer öffentlichen Blockchain, so hat dieser, ohne die Unterstützung eines Rechtssystems, seine eigene Art von unerbittlicher Kraft der Selbstdurchsetzung im Rahmen der jeweiligen Blockchain. Insofern ist ein Smart Contract ‚faktisch bindend‘, da seine digitale Kausalitätskette (innerhalb seiner digitalen Umgebung) nicht unterbrochen werden kann; er hat eine eigene, digital erzeugte und unerbittliche Kausalität, als digitaler Zwilling der ‚natürlichen‘ Kausalität. Solcherlei Smart Contracts benötigen theoretisch also kein Rechtssystem, um zu funktionieren,“27 also um sich durchzusetzen28 und selbst zu vollstrecken: sie machen alles von alleine. Das folgende Beispiel veranschaulicht das:

„Stellen Sie sich vor, ich sage:Ich treffe Sie am Fuße des Berges, versprochen.‘ Das ist eine Möglichkeit, eine Verpflichtung einzugehen, und sie bindet mich mit der Schaffung einer bestimmten Art von Verpflichtung. Eine andere Art ist es, wenn ich sage: ‚Ich treffe Sie am Fuße des Berges‘ und werfe mich dann einfach vom Berg hinunter und rolle tatsächlich ins Tal. Das bedeutet auch, dass ich mich verpflichte, Sie unten zu sehen, aber es ist eine andere Art, dies zu tun, und es ist ein wenig stumpfer. Es mag effizienter sein, aber es ist genau genommen gerade kein Versprechen, und es erfüllt eine ganz andere Funktion. Das 7ist eine grobe Analogie, aber ich denke, dass die Leistungszusage in Smart Contracts ist eher so und weniger so wie ein Versprechen.“29

2. Andere wesentliche Definitionsversuche

17

Eine extreme Positionen beschreibt die Wirkung von Smart Contracts wie folgt:

„Ein Smart Contract entfernt, zumindest in der Theorie, die Rechtsordnung vollständig. Es gibt dann nichts anderes mehr als diese digitale Vereinbarung. Das ist die Gesamtheit der Beziehung, und alles, von der Aushandlung der Vereinbarung bis hin zur vollständigen Durchsetzung und Abrechnung der Vereinbarung, geschieht digital.“30 „Bei Smart Contracts gibt es keine Richter.“31

18

Andere argumentieren, dass der Begriff „Smart Contract“ irreführend und irritierend ist für Juristen, da der Begriff weder Intelligenz noch rechtlich bindende Verträge benötige oder bezeichne.32 Dass kann durchaus ein hilfreicher Einwand sein, der zumindest zum Nachdenken zwingt, vor allem weil es sich in diesem Zusammenhang sowieso für Juristen empfiehlt, genau zwischen datenorientierten Verträgen („data-oriented contracts“), berechenbaren Verträgen („computable contracts“) und eben Smart Contracts zu unterscheiden.33 Ein datenorientierter Vertrag ist nicht nur ein gewöhnlicher Vertrag, den Menschen lesen können, sondern seine Bedingungen sind bereits maschinenlesbar, also für die automatische Datenextraktion in XML oÄ codiert (wie zB Datumseinträge, Geldbeträge, einfache Anweisungen): Es ist im Prinzip eine Mischung aus einer Excel-Tabelle und einem Vertrag in menchenlesbarer Sprache. Ein 8„computable contract“ ist mehr, denn er ermöglicht es Computern, Rechtsbegriffe anzuwenden und Transaktionen auszuführen, bereits in einem digitalen Umfeld, aber noch unter der Aufsicht einer zentralen Stelle und der Rechtsordnung, wie zum Beispiel an der Börse oder im Online-Banking.34

19

Auch die Rechtswissenschaft hat sich in Deutschland in den letzten Jahren schon mehrfach um eine Definition hierum bemüht. So versteht Blocher unter einem Smart Contract

„Programmcode, der auf einer Blockchain läuft und dort digitale Assets oder Repräsentationen körperlicher Gegenstände auf der Grundlage von anderen (externen) Daten, die zum Zeitpunkt der Programmierung des Codes noch nicht feststanden, zwischen zwei oder mehreren Parteien in Form von Transaktionen neu zuordnet.“35

20

Nach Kaulartz/Heckmann ist ein Smart Contract

„eine Software, die rechtlich relevante Handlungen (insbesondere einen tatsächlichen Leistungsaustausch) in Abhängigkeit von digital prüfbaren Ereignissen steuert, kontrolliert und/oder dokumentiert, mit dessen Hilfe aber unter Umständen auch dingliche und/oder schuldrechtliche Verträge geschlossen werden können.“36

21

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) verfolgt schon seit 2012 aus finanzaufsichtsrechtlicher Sicht die Thematik der Blockchains und seit 2015 auch die der Smart Contracts. Wegen der großen Bedeutung für die Finanzwirtschaft, das Finanzsystem und dessen Stabilität, hat die BaFin sich frühzeitig bemüht, alles in die ihr zugewiesenen aufsichtsrechtlichen Fachgebiete sachlich und rechtlich einzuordnen. Um dies zu erreichen und um zunächst Rechtssicherheit für Antragsteller und regulierte Unternehmen im Umgang mit der BaFin zu gewähren, hat sich die BaFin zudem eigene Definitionen erarbeitet und veröffentlicht, woran zu sehen ist, dass Smart Contracts schon seit Jahren ein Thema für Bundesbehörden sind. Die offizielle Definition der BaFin für Smart Contracts lautet demgemäß derzeit:

„Smart Contracts ermöglichen die Abbildung einer vertraglichen Logik durch Computer-Algorithmen. Es handelt sich um programmierbare Verträge, die durch den Programmcode definiert werden und dann automatisch auf Blockchains ausgeführt und durchgesetzt werden können. Zu bestimmten Zeitpunkten überprüfen Smart Contracts automatisch zuvor festgelegte Bedingungen. Sie bestimmen also automatisch, ob zB eine Transaktion ausgeführt oder rückabgewickelt wird. Smart Contracts ermöglichen es dadurch, Verträge direkt durchzusetzen. Das Ziel ist die Reduktion von Transaktionskosten und eine Erhöhung der Vertragssicherheit. Nur der programmierte Code eines Smart Contracts entfaltet vertragliche Wirkung. Smart Contracts stellen eine Kontroll- oder Geschäftsregel innerhalb des technischen Protokolls dar. (…) Smart Contracts ermöglichen ein hohen Grad an Unabhängigkeit, da die Beteiligten einer Vereinbarung sich nicht auf einen Intermediär verlassen müssen. Hierbei werden auch potenzielle Gefahren der Manipulation durch Dritte verringert, da die 9Durchführung automatisiert durch die Blockchain-Mechanismen verwaltet wird und nicht durch eine oder mehrere Instanzen, die Fehler begehen oder voreingenommen sein könnten. Smart Contracts ermöglichen auch eine Erhöhung der Abwicklungsgeschwindigkeit, da Softwarecode genutzt wird, um Aufgaben zu automatisieren. So können Geschäftsprozesse vereinfacht werden, wobei menschliche Fehler, Schnittstellen oder Medienbrüche minimiert werden. (…) Derzeit ist noch unklar, ob Entscheidungen, die der Programmcode trifft, auch von Gerichten als verbindlich anerkannt werden. Fraglich ist auch insgesamt, ob die Marktteilnehmer solch ein Verfahren akzeptieren werden, oder ob Gerichte nicht doch bei illegitimen oder ineffizienten Entscheidungen eingreifen können sollten. Außerdem stellt sich die Frage, inwiefern die in Programmcode niedergelegten Vertragsbedingungen für Verbraucher oder Privatanleger verständlich sind.“37

22

Die BaFin-Definition von Smart Contracts ist zwar sicherlich lang, etwas unhandlich und vielleicht nicht auf Anhieb leicht verständlich, sie zeigt aber, dass man es hier mit etwas zu tun hat, was wirtschaftlich bereits relevant ist und auf dem etliche Zukunftshoffnungen fußen oder lasten. Wenn Bundesbehörden Begriffe definieren, werden Juristen jedenfalls hellhörig.

3. Stellungnahme und Vorschlag

23

Insbesondere seit der zusätzlichen Popularisierung des Begriffs „Smart Contract“ mit der Live-Schaltung der Ethereum-Blockchain im Sommer 2015 wird der Begriff wieder in die Welt der Wirtschaft und die Rechtswissenschaft übernommen. Eine Metapher ging um die Welt und kam verändert zurück nach Hause. Was fängt die Rechtswissenschaft nun damit am? Es geht bei Smart Contracts aus Sicht der Rechtswissenschaft nicht immer einfach um Software, die bei der Vertragsdurchführung teilweise zum Einsatz kommt, soviel sollte klar geworden sein, auch wenn der charismatische Mitgründer von Ethereum, Vitalik Buterin, kürzlich meinte, dass der Begriff Smart Contract zweideutig sein könnte.38

24

Die Metapher „Smart Contracts“ leistet mehr: Sie verdichtet die Erfahrungen mit dem (große Akteure wie zB Banken, Computerhersteller und Social-Media-Plattformen bevorteilenden) Stand der bisherigen Digitalität des Vertragswesens mit einem nunmehr als erfüllbar scheinenden Wunsch bzw. Desiderat: Die Verträge sollen leben, nicht totes Papier (oder totes PDF) sein. Sie sollen nicht mehr stumm ihr Dasein in Akten oder in Mailboxen fristen, bis sie mal ein Mensch durchliest. Es zeichnet sich ab, dass Smart Contracts tatsächlich technisch möglich sind, weswegen die Erwartung steigt, dass sie bald massenhaft eingesetzt werden, sowohl freiwillig in der Privatwirtschaft als auch auf Anordnung des Gesetzgebers oder von Behörden. Für diese Melange aus jahrzehntelanger Erfahrung mit digitalen Verträgen und aus der wohlbegründeten Erwartung, dass die Technik die Vertragsdurchführung gerade revolutioniert, kommt 10eine Metapher wie Smart Contract wie gelegen. Es reicht, sie einmal zu definieren, dann taugt der Begriff als Gedankenbaustein und Argumentationshilfe.

25

Angesichts des derzeitigen offenen Forschungsstandes und da obergerichtliche oder gesetzliche Definitionen noch fehlen, gibt es selbstverständlich noch keine falsche oder richtige rechtswissenschaftliche Definition von Smart Contracts als Rechtsbegriff. In Frage steht alleine, wie ein Smart Contract zu anderen Erscheinungen, insbesondere herkömmlichen Computerprogrammen, abgegrenzt werden soll. Den Verfassern dieses Handbuches ist es zunächst wichtig, den Begriff technologieneutral zu verstehen, also insbesondere ohne starren Bezug auf die Blockchain-Technologie. Auch, wenn diese Technologie für Smart Contracts sehr gute Voraussetzungen schaffen würde und derzeit häufig im selben Atemzug genannt wird, so ist doch auch klar, dass es einer verteilten Datenbank (Blockchains sind eine Untermenge der Distributed Ledger Technologien) nicht zwingend bedarf, um eine rechtlich wie auch immer relevante Handlung mittels Code in einer digitalen Umgebung durchzuführen.

26

Neben der Technologieneutralität ist wichtig, Smart Contracts nicht nur im Vertragskontext zu verankern. Ob die rechtliche Pflicht oder die rechtlich relevante Handlung im Zusammenhang mit einem Vertrag steht oder der Code etwa auch eine gesetzlich angeordnete Pflicht erfüllen kann, sollte keine Rolle spielen. Wichtig ist nur, dass der Smart Contract stets im Kontext irgendeiner rechtlich indizierten Rechtspflicht steht, was ihn abgrenzt von komplexen Computerprogrammen wie etwa Microsoft Office. Er muss wiederum aber nicht zwingend so eng sein, dass er Transaktionen und Zuordnungen verlangt. Zwar mag das häufig der Fall sein, insbesondere im Blockchain-Kontext, allerdings sollte ein Smart Contract auch dann vorliegen, wenn der Programmcode die Werte in einer Datenbank ändert, ohne dabei zugleich eine Transaktion durchzuführen.

27

Es ist außerdem sinnvoll, unter einen Smart Contract auch die Kontrolle oder Dokumentation eines Leistungsaustausches zu fassen, denn dies hat insbesondere dort Relevanz, wo der Leistungsaustausch rechtlich außerhalb des Smart Contracts stattfindet, zum Beispiel möglicherweise bei der Abtretung einer Forderung.

28

Die Definition sollte sich schließlich neutral zur Frage verhalten, ob der Code selbst den Vertragstext darstellt, ob die Parteien also ihre Willenserklärungen durch Code ausdrücken dürfen.39 Dies ist immer noch in der Diskussion, wie insbesondere in diesem Handbuch ersichtlich.

29

Dies vorausgeschickt schlagen wir als Grundlage für die weitere Diskussion die Definition von Kaulartz/Heckmann vor. Auch die Definition von Blocher – entfernt man aus ihr den Blockchain-Kontext, hält sie also für allgemeiner – wird meist zum selben Ergebnis führen, wenngleich sie an Transaktionen und Zuordnungen anknüpft und damit etwas enger ist. Dieses Handbuch soll weiter zur Klärung und Konkretisierung beitragen und lädt alle interessierten Kreise ein, dies ebenso zu tun. Die Kapitel in diesem Buch machen kenntlich, wenn sie andere Definitionen zugrunde legen – das ist eben Teil der nicht abschließenden Diskussion.

11C. Ausblick

30

Smart Contracts fordern verschiedene Disziplinen heraus. Zuvorderst sind dies Juristen und Entwickler, denn irgendwer muss das rechtlich Vereinbarte ja interpretieren und anschließend in Code schreiben. Juristen und Softwareentwickler können sich darauf einstellen, in Zukunft sehr oft zusammenzuarbeiten, sie müssen also lernen, einander zu verstehen. Die Hintergründe von Smart Contracts zu verstehen ist aber nicht trivial, sie zu lesen oder zu schreiben erst recht nicht. Die Herausforderung liegt darin, dass hier zwei verschiedene Disziplinen am Hochreck geturnt werden: Zum einen die Programmierung von Smart Contracts (evtl. auf einer Blockchain), zum andern die rechtliche Qualifikation von Smart Contracts. Das Handbuch wurde mit dem Anspruch entworfen, hier eine Brücke zu schlagen und Betroffene dieser Disziplinen in ihrem Spielfeld abzuholen. Das Buch hat primär Juristen als Zielgruppe und setzt daher einen Schwerpunkt in der rechtswissenschaftlichen Diskussion. Aber auch die Informatik und die Wirtschaftswissenschaften sind (teils aus der Praxis) vertreten und beleuchten Smart Contracts aus unterschiedlichen Blickwinkeln.

31

Die Herausgeber dieses Buches sind davon überzeugt, dass es sich bei dem, was mit Smart Contracts gemeint ist, nicht um einen Hype handelt. Zwar ist nicht auszuschließen, dass der Begriff selbst über die Jahre wieder an Relevanz verliert: So wie künstliche Intelligenz immer wieder, wenn sie sich einmal in einem Bereich durchgesetzt hat, nur noch als gewöhnliche Software gilt (bei Spracherkennung zB), kann dies auch für Smart Contracts gelten. Haben sich Smart Contracts erst einmal breit durchgesetzt, nimmt man sie vielleicht als selbstverständlich hin, so wie das Internet, als Hintergrundtechnologie, und konzentriert sich wieder auf die Rechtsdogmatik des Vertragsrechts an sich. Berücksichtigt man jedoch den anhaltenden Gang der Digitalisierung und ist man davon überzeugt, dass alles, was digitalisierbar ist, irgendwann digitalisiert werden wird, so steht außer Frage, dass bald fast alle Verträge zum Beispiel dergestalt verfasst sein werden, dass ein Computer sie oder zumindest Teile davon selbständig überwachen, ausführen und durchsetzen kann.40 Die Vorteile liegen auf der Hand und es fehlt im Moment „nur“ die Infrastruktur, welche den Boden hierfür bereithält, bzw. es gibt diese Infrastruktur (ua Ethereum), sie muss nur noch von viel mehr Akteuren genutzt werden und vor allen Dingen leichter zu benutzen sein, die User Experience (UX) muss noch besser werden. Es ist zu erwarten, dass dies so kommt – analog zum Aufkommen des Internets in der Allgemeinheit seit Anfang der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts: denn ab dann waren Dienste wie E-Commerce, Social Media, Video-Plattformen, Cloud-Lösungen und Software as a Service („SaaS“) im Masseneinsatz bereits gut denkbar, es haperte aber noch lange an ausreichender Softwareentwicklung, Internet-Bandbreite, Inhalten, Logistik und vor allem Akzeptanz. Doch diese Probleme wurden gelöst. Nicht unbedingt gelöst wurde, ob diese Dinge immer gute Auswirkungen haben.

32

Zu bedenken ist deswegen auch immer: Wird mit Smart Contracts einem System Vorschub geleistet, mit dem „willkürlich private Macht ausgeübt werden kann?“41 12Das kann keiner wollen. Kann es also akzeptabel sein, wenn durch Smart Contracts bald massenhaft (Rechts-)Realität neben dem staatlichen Recht bzw. neben der staatlichen Rechtsdurchsetzung mittels Gerichten und Gerichtsvollziehern geschaffen wird? Vollzieht sich auch hiermit eine „grundlegende Veränderung im System der Rechtsverwirklichung“?42 Wir werden sehen. Somit wird sich auch beim Einsatz von Smart Contracts der Rechtspolitik die Frage stellen: „Wo bleibt das Recht in der Digitalität?“43 Es gilt nicht nur: „Alles Recht ist Menschenwerk, und als solches nie besser als die Menschen, die mit seiner Produktion befasst sind“.44 Sondern das gilt auch für Software und die Digitalität der modernen Gesellschaft im Verhältnis zum Recht. Ob durch den Einsatz von Smart Contracts also Recht, Rechtsdurchsetzung und Gerechtigkeit verbessert werden (und für wen?), muss sich also noch zeigen und ausdiskutiert werden. Bei dieser Diskussion soll dieses Handbuch Hilfe leisten.

Wir wünschen Ihnen eine angenehme, anregende (und manchmal auch notwendiger- oder überraschenderweise anstrengende, anfeuernde oder einem manchmal auch ganz gegen den Strich gehende) Lektüre.

Tom Braegelmann und Markus Kaulartz

Berlin und München, April 2019

1 Braegelmann/Kaulartz in Hartung/Bues/Halbleib, Legal Tech – How Technology is Changing the Legal World – A Practitioner’s Guide, 2018, S. 283, Rn. 1.

2 Gunther Teubner, Digitale Rechtssubjekte? Zum privatrechtlichen Status autonomer Softwareagenten, Ancilla Iuris, 2018, 35 (37), https://www.anci.ch/articles/Ancilla2018_Teubner_35.pdf.

3 Gunther Teubner, Digitale Rechtssubjekte? Zum privatrechtlichen Status autonomer Softwareagenten, Ancilla Iuris, 2018, 35 (58 ff.), https://www.anci.ch/articles/Ancilla2018_Teubner_35.pdf (über „Digitale Verträge“).

4 Vgl. grundlegend Felix Stalder, Kultur der Digitalität, Suhrkamp, 2016, S. 17 f.: „‚Digitalität‘ bezeichnet damit jenes Set von Relationen, das heute auf Basis der Infrastruktur digitaler Netzwerke in Produktion, Nutzung und Transformation materieller und immaterieller Güter sowie in der Konstitution und Koordination persönlichen und kollektiven Handelns realisiert wird. (…) ‚Digitalität‘ verweist also auf historisch neue Möglichkeiten der Konstitution und der Verknüpfung der unterschiedlichsten menschlichen und nichtmenschlichen Akteure.“

5 Siehe dazu insbesondere Bundesrat, BR-Drs. 571/18, https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2018/0501-0600/571-18(B).pdf?__blob=publicationFile, (zuletzt abgerufen am 4.1.2019), auf Seite 2: „Viel effektiver und gerechter wäre es, das System umzukehren und ein automatisiertes Entschädigungsverfahren gesetzlich verpflichtend zu machen“.

6 Vgl. Braegelmann, Incomplete Contracts, in: Rethinking Law 1/2018, 26, wonach Oliver Hart nun selbst bei einem Blockchain-Unternehmen angeheuert hat, um dieses Problem nun praktisch anzugehen.

7 In der engl. Fassung steht dort „smart contracts“; Französisch: „contrats ‚intelligents‘“, Niederländisch: „slimme contracten“, Italienisch: „contratti intelligenti“.

8 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 26.5.2016 zu virtuellen Währungen, (2016/2007(INI)), unter C.9.: http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P8-TA-2016-0228+0+DOC+XML+V0//DE (zuletzt abgerufen am 4.1.2019).

9 Siehe auch Glatz in Breidenbach/Glatz, Rechtshandbuch Legal Tech, 2018, 109, 111 ff.

10 „Softwareagenten sind – ebenso wie Unternehmen und andere formale Organisationen – nichts anderes als bloße Informationsströme, die dann zu „Personen“ (oder Teilpersonen) werden, wenn sie im Kommunikationsprozess eine soziale Identität aufbauen und wenn ihnen zusammen mit den notwendigen organisatorischen Vorkehrungen, z. B. Vertretungsregeln, eigene Handlungsfähigkeit effektiv zugerechnet wird.“ (Gunther Teubner, Digitale Rechtssubjekte? Zum privatrechtlichen Status autonomer Softwareagenten, Ancilla Iuris, 2018, 35 (49), https://www.anci.ch/articles/Ancilla2018_Teubner_35.pdf).

11 Zu dieser Tendenz im Bereich der Online-Streitbeilegung (Online-Dispute-Resolution, ODR), siehe Hirsch NJW 2013, 2088 (2094), unter Verweis auf Rudolf von Jhering, Der Kampf ums Recht, 1872: „Bei der Online-Streitbeilegung steht „nicht, wie in einem Zivilprozess, der ‚Kampf ums Recht‘ im Vordergrund, sondern die Schlichtung und Befriedung.“ Vgl. auch ausführlich hierzu Braegelmann, Online-Streitbeilegung (Online Dispute Resolution – ODR), in Hartung/Bues/Halbleib, Legal Tech, 2018, S. 215, insbesondere S. 226, Rn. 957 ff.

12 Marc Andreessen, The Wall Street Journal, 20.8.2011, https://www.wsj.com/articles/SB100014 24053111903480904576512250915629460 (zuletzt abgerufen am 4.1.2019).

13 So Lawrence Lessig in seinem Werk Code and Other Laws of Cyberspace, 1999. Lessig wird in diesem Zusammenhang zwar häufig zitiert, aber stets falsch verstanden, denn sein Postulat meint keinesfalls, dass Code unsere in natürlicher Sprache geschriebenen Gesetze ersetzen soll, sondern etwas ganz anderes, nämlich dass Code die Freiräume im Cyberspace bestimme.

14 Kevin Werbach, The Blockchain and the New Architecture of Trust, 2018, 125.

15 Vgl. Braegelmann Rethinking Law 0/2018, 34 (35).

16 Vgl. Fries, Smart Contracts, Pacta sunt servanda, in: Rethinking Law 1/2018, 46, der aus der Perspektive der Rechtswissenschaft fordert: „reclaim the term lautet also die Devise“.

17 Ausführlich zu Nick Szabo und seiner Bedeutung im Kontext von Smart Contract: Kevin Werbach, The Blockchain and the New Architecture of Trust, 2018, 203 ff., in einem Unterkapitel namens „The Education of Nicholas Szabo“, wonach Szabo, als er bereits ein erfolgreicher Wissenschaftler war, Anfang 2000 Jura studierte, um die Implikationen von Smart Contracts besser verstehen zu können.

18 Glatz in Breidenbach/Glatz – Rechtshandbuch Legal Tech, 2018, 109, 112 ff.

19 Nick Szabo, Smart Contracts: Building Blocks for Digital Markets, 1996, http://www.fon.hum.uva.nl/rob/Courses/InformationInSpeech/CDROM/Literature/LOTwinterschool2006/szabo.best.vwh.net/smart_contracts_2.html (zuletzt abgerufen am 4.1.2019); siehe auch Nick Szabo, Formalizing and Securing Relationships on Public Networks, 1997, http://firstmonday.org/ojs/index.php/fm/article/view/548/469 (zuletzt abgerufen am 4.1.2019); zu den historischen Hintergründen siehe außerdem Glatz in Breidenbach/Glatz – Rechtshandbuch Legal Tech, 2018, 109, 111 ff.

20 Nick Szabo, Smart Contracts, 1994, http://www.fon.hum.uva.nl/rob/Courses/InformationInSpeech/CDROM/Literature/LOTwinterschool2006/szabo.best.vwh.net/smart.contracts.html (zuletzt abgerufen am 4.1.2019).

21 Vgl. Braegelmann, Der klügere Vertrag vollstreckt sich selbst, in: Rethinking Law 0/2018, 34 (35).

22 Kevin Werbach, The Blockchain and the New Architecture of Trust, 2018, 203.

23 Nick Szabo, 14.10.2018, https://twitter.com/NickSzabo4/status/1051606530108190720 (zuletzt abgerufen am 4.1.2019).

24 Zur Blockchain-Technologie → Kap. 2 und → Kap. 4.

25 Siehe den Diskussionsstand bei Braegelmann/Kaulartz in Hartung/Bues/Halbleib, Legal Tech – How Technology is Changing the Legal World – A Practitioner’s Guide, 2018, S. 283, Rn. 4. Siehe auch die Darstellung der Historie und Funktionalitäten von Smart Contracts bei Kevin Werbach, The Blockchain and the New Architecture of Trust, 2018, 63 ff.

26 Zur Geschichte der Smart Contracts als rechtsverbindliche Verträge, siehe den breiten Überblick bei Primavera De Filippi/Aaron Wright, Blockchain and the Law, 2018, S. 72 ff., welche die Ursprünge von digitalen Verträgen bis zur Berliner Luftbrücke 1948 zurückverfolgen, als die USA, um die riesigen Frachtlieferungen zu organisieren und zu tracken, ein „manifest system that could be transmitted by telext, readi-teletype, or telephone“ einführten.

27 Vgl. Braegelmann Rethinking Law 0/2018, 34 (35); siehe auch Braegelmann/Kaulartz in Hartung/Bues/Halbleib, Legal Tech – How Technology is Changing the Legal World A Practitioner’s Guide. 2018, S. 283, Rn. 5: „A smart contract has, even without the support of a legal system, its own kind of inexorable force of self-execution“. Siehe auch Glatz in Breidenbach/Glatz – Rechtshandbuch Legal Tech, 2018, 109, 112, Rn. 12: „Im Gegensatz zum Konzept eines Computable Contract dient ein digitaler Vertrag aber nicht lediglich der Modellierung und Planung betrieblicher Ressourcen innerhalb eines Contract Life Cycle Management Systems, sondern übernimmt vielmehr die tatsächliche Vertragsausführung. Ein Smart Contract ist deshalb in einem faktischen Sinne verbindlich, denn er vermittels den realen Leistungsaustausch zwischen den Vertragsparteien.“

28 Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom 7.2.2018 spricht in Rn. 5842 ff. von „Rechtsdurchsetzung durch Digitalisierung“.

29 Übersetztes Beispiel von Werbach/Cornell, The Promise – and Perils – of „Smart“ Contracts, May 18, 2017, http://knowledge.wharton.upenn.edu/article/what-are-smart-contracts/ (zuletzt abgerufen am 4.1.2019) – „Imagine I say, ‚I’ll meet you at the bottom of the hill, I promise.‘ That’s one way of making a commitment, and it binds me by creating a certain kind of obligation. A different way is I might say, ‚I’ll meet you at the bottom of the hill‘ and then just throw myself tumbling down the hill. That is also committing myself to seeing you at the bottom, but it is a different way of doing so, and it is a little blunter. It may be more efficient, but it is not exactly a promise, and it serves a very different function. That’s a rough analogy, but I think the commitment in smart contracts is more like that, and less like the promise.“

30 „[A] smart contract, in theory at least, takes away the legal system entirely. Now there is nothing but that digital agreement. That is the entirety of the relationship, and everything from the negotiating of the agreement, all the way to the full enforcement and clearing of the agreement, happens digitally.“ Werbach/Cornell, The Promise – and Perils – of „Smart“ Contracts, May 18, 2017, http://knowledge.wharton.upenn.edu/article/what-are-smart-contracts/ (zuletzt abgerufen am 4.1.2019); Vgl. Braegelmann/Kaulartz in Hartung/Bues/Halbleib, Legal Tech – How Technology is Changing the Legal World – A Practitioner’s Guide, 2018, S. 283, Rn. 4.

31 Kevin Werbach, The Blockchain and the New Architecture of Trust, 2018, 126.

32 Paulus/Matzke CR 2017, 769 (772); Otto Ri 2017, 86 (87).

33 Vgl. Braegelmann/Kaulartz in Hartung/Bues/Halbleib, Legal Tech – How Technology is Changing the Legal World – A Practitioner’s Guide, 2018, S. 283, Rn. 4 und die eingehende Diskussion bei Werbach/Cornell, The Promise – and Perils – of „Smart“ Contracts, May 18, 2017, http://knowledge.wharton.upenn.edu/article/what-are-smart-contracts/ (zuletzt abgerufen am 4.1.2019); diese wiederum beziehen sich auf Harry Surden, Computable Contracts, UC Davis Law Review, Vol. 46, No. 629, 2012, https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2216866 (zuletzt abgerufen am 4.1.2019); Siehe auch Glatz in Breidenbach/Glatz, Rechtshandbuch Legal Tech, 2018, 109, 112, Rn. 12 ff.

34 Vgl. Braegelmann/Kaulartz in Hartung/Bues/Halbleib, Legal Tech – How Technology is Changing the Legal World A Practitioner’s Guide. 2018, S. 283, Rn. 4.

35 Blocher, Vortrag auf der Freiburger Legal Tech-Tagung 2018, 6.7.2018, ähnlich in Blocher AnwBl 2016, 612 (618).

36 Kaulartz/Heckmann CR 2016, 618 (618).

37 BaFin, 19.6.2017, https://www.bafin.de/DE/Aufsicht/FinTech/Blockchain/blockchain_node. html (zuletzt abgerufen am 4.1.2019).

38 https://twitter.com/VitalikButerin/status/1051160932699770882 (zuletzt abgerufen am 4.1.2019): „To be clear, at this point I quite regret adopting the term ‚smart contracts‘. I should have called them something more boring and technical, perhaps something like ‚persistent scripts‘.“

39 → Kap. 8; vgl. Fries, Smart Contracts, Pacta sunt servanda, in: Rethinking Law 1/2018, 46.

40 Die Bundesregierung sieht in Smart Contracts ebenfalls einen „möglichen nächsten Schritt in einem fortlaufenden Digitalisierungsprozess“, siehe die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/058/1905868.pdf (zuletzt abgerufen am 4.1.2019).

41 „[A] tool for the arbitrary exercise of power“, Kevin Werbach, The Blockchain and the New Architecture of Trust, 2018, 63.

42 Gaier NJW 2016, 1367 (1371); vgl. auch Braegelmann, Online-Streitbeilegung (Online Dispute Resolution – ODR), in Hartung/Bues/Halbleib, Legal Tech, 2018, S. 215, S. 226, Rn. 961.

43 Vgl. auch Braegelmann, Online-Streitbeilegung (Online Dispute Resolution – ODR), in Hartung/Bues/Halbleib, Legal Tech, 2018, S. 215, S. 226, Rn. 957; Meller-Hannich/Höland/Krausbeck ZEuP 2014, 8 (35).

44 Lahusen, Rechtspositivismus und juristische Methode, 2011, S. 191. Das Zitat geht weiter: „Der Mensch aber trinkt Wein, wo er Wasser wählen müßte, wähnt sich im Recht, wo das Unrecht laut aufschreit, hält sich für aufgeklärt, wo er selbst sein größter blinder Fleck ist.“

13Kapitel 2
Smart Contracts, Blockchains und automatisch ausführbare Protokolle

A. Einleitung

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