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Evelyne Amara

Arroganter Bastard

Crazy Portland Reihe 2





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Kapitel 1

Kim Lewis

 

Wie ein Einbrecher schleiche ich mich durch den Garten, damit die Nudisten nicht sehen, dass ich Kleidung trage. Schließlich will ich Onkel Joes Kunden nicht empören. Er bietet zusammen mit seinen Lebenspartnern Charles und Edward nämlich die Organisation, die Durchführung und die Örtlichkeit für Hochzeiten in Portland an.

Und nach Hochzeiten ist mir derzeit wirklich nicht zumute. Nicht nach den schlechten Erfahrungen, die ich gemacht habe. Es ist schlimm und deprimierend, am Hochzeitstag am Altar stehengelassen zu werden. So etwas wünsche ich nicht mal meiner schlimmsten Feindin.

Mein Wohnpavillon befindet sich am Rande von Onkel Joes Grundstück. Da dieser Pavillon leider weder über eine Toilette noch eine Küche verfügt, muss ich durch den ganzen großen Garten laufen, um das Badezimmer in Joes Haus zu verwenden. Zwar ist das Nachbarshaus deutlich näher, aber dort klingle ich mit Sicherheit nicht. Bei meinem neuen Nachbarn handelt es sich nämlich um niemand geringeren als meinen Erzfeind Jared Baldwin, dem Fluch meiner Teenagerzeit.

Nach fast vierzehn Jahren ist dieser arrogante Bastard wieder nach Portland gezogen. Was will er hier? Hätte er nicht in Seattle bleiben können? Und warum muss dieser Schurke ausgerechnet direkt neben mir einziehen? Das hat er doch mit Vorsatz gemacht, und leise ist er auch nicht gerade. Er ist der übelste Nachbar, den man sich vorstellen kann. Ständig hat er Leute da, es ist immer eine Party oder was anderes Lautstarkes im Gange. Nie hat man seine Ruhe mit ihm.

Ich schreie erschrocken auf, als ich plötzlich den Boden unter den Füßen verliere und in die Tiefe stürze. Ich lande in einer Grube. Mein Hintern und mein Knöchel tun weh. Auch das noch. Ich hätte mich wirklich auf die verworrene Route konzentrieren sollen, anstatt an meinen Tunichtgut von Nachbar zu denken. Das habe ich nun davon.

Es muss sich wohl um einen der von Onkel Charles ausgehobenen Schützengräben handeln. Der Gute ist nämlich ein Irak-Veteran. Er sollte mal eindeutig etwas gegen sein posttraumatisches Stresssyndrom tun, denn überall Schützengräben auszuheben ist einfach nicht normal. Und für mich ist es, wie man ja merkt, nicht unbedingt gesundheitsfördernd, wenn sich hier solche Todesfallen befinden. Charles sollte zumindest Absperrbänder anbringen.

Vorsichtig taste ich meinen schmerzenden Knöchel ab. Er scheint verstaucht zu sein. Ohne weiteres hätte ich mir auch den Hals brechen können. Verdammt! Das nächste Mal setze ich meinen Bauhelm auf, wenn ich durch den Garten laufe. Das darf doch wohl nicht wahr sein.

Ich erhebe mich, streiche mir das lange, dunkelbraune Haar aus dem Gesicht und klettere aus dem Schützengraben.

Oben angekommen, klopfe ich die Erde von meinen weißen Shorts und dem hellblauen Tanktop. Im nahen Wald sehe ich gerade Bilbo verschwinden. Onkel Joe hatte ihn sich als japanischen Spitzhund andrehen lassen. Später fand meine Cousine Yasmina, die Tierarztassistentin ist, heraus, dass es sich um einen Polarfuchs handelt. Im Wald hat er andere Füchse kennengelernt, mit denen er sich öfters trifft. Hier hat er viel Platz und jede erdenkliche Freiheit.

Als ich Onkel Joes Haus erreiche, suche ich die Toilette auf und nehme anschließend denselben Weg zurück. Diesmal passe ich besser auf und halte Ausschau nach weiteren Schützengräben. Vielleicht legt er ja auch irgendwann noch Schlingfallen aus. Bei Charles weiß man schließlich nie … Ich kann mich wirklich nicht beschweren, dass mein Leben langweilig wäre.

Als ich meinen kleinen Pavillon erreiche, lasse ich mich auf der Bank davor nieder und greife nach meinem Reader, um »Pirate Dave and his randy adventures« von Robyn Peterman weiterzulesen. Gerade war ich an der Stelle, an der Pirate Dave eine Zeitreise durchführen will. Er ist nämlich ein zeitreisender Vampir-Warlock-Pirat mit Läusen im Brusthaar und einer erektilen Dysfunktion. Das ist genau der Stoff, aus dem Weltliteratur gewoben wird.

Es geht nichts über eine schräge Story, um sich an einem Sonntagnachmittag die Zeit zu vertreiben und nicht darüber nachdenken zu müssen, wie es um die Konstruktionsfirma meines Vaters steht. Doch leider kann ich mich nicht richtig auf die Geschichte konzentrieren, denn bei meinem Nachbarn steigt ein lautes Halli-Galli-Drecksau-Fest. Jared und seine höchst fragwürdigen Kumpels nebst weiblicher Begleitung saufen am Pool, bespritzen sich gegenseitig mit Wassergewehren, werfen mit Bällen und jagen einander. Die sind mir eindeutig zu laut.

Ich seufze schwermütig. Da bin ich einem Idioten, meinem Ex entkommen, nur damit gleich nebenan Jared »Asshole« Baldwin einzieht. Diesmal kann er nicht die halbe Nacht durchfeiern und mich wachhalten. Schließlich muss ich morgen früh raus und meine Sinne beisammen haben. Ich habe nämlich gleich am Morgen einen besonders wichtigen Termin. Der ist nicht nur für mich persönlich von großer Bedeutung, sondern auch für die Firma meines Vaters.

Wenn man an den Teufel denkt … dreht er seine Musikanlage noch lauter auf und tanzt zu rockiger Musik knappbekleidet mit mehreren halbnackten Frauen und Männern an seinem Pool. Wassertropfen glitzern auf seinen breiten Schultern, der muskulösen Brust, seinem Sixpack und dem dunklen Haar. Gut sieht er ja aus, dieser Schurke, verdammt gut sogar. Seine dunklen Augen glitzern. Er besitzt eine gerade Nase, ein kräftiges Kinn und ungeheuer sinnliche Lippen. Ich erinnere mich noch allzu gut daran, wie sie sich anfühlen …

Peinlich berührt von mir selbst, dass ich so schwach bin, ausgerechnet Jared Baldwin derart anzustarren, wende ich meinen Blick ab. Doch die Neugierde siegt und ich schaue gleich wieder hin.

Als Jared seine Sonnenbrille abnimmt und auf einen Beistelltisch legt, begegnen sich unsere Blicke. Es ist, als würde mich ein Blitz treffen, so elektrifizierend ist sein dunkler Blick. Ein schurkisches Lächeln umspielt seine Lippen. Grübchen bilden sich dabei auf seinen Wangen. Er hatte schon immer diese irritierende Wirkung auf mich, selbst wenn er mich provozieren will wie gerade eben. Wie gut, dass ich mich von Bad Boys wie ihm fernhalte, denn ich habe meine Lektion gelernt.

Mein Vater würde mich erschießen, wenn er wüsste, dass ich ihn auch nur ansehe, denn er hasst Jared abgrundtief. In seinen Augen ist er ein Draufgänger, Frauenheld und grundsätzlich verantwortungslos. So ganz falsch dürfte er mit seiner Einschätzung nicht liegen. Allerdings ist Jared offensichtlich kein erfolgloser Versager geworden, wie mein Vater es für ihn vorauszusagen pflegte.

Genau genommen begaffe ich ja gar nicht Jared, sondern halte nach dem Auto des thailändischen Lieferservices E-San Aussicht, bei dem ich das Gericht namens Evil Prince bestellt habe. Der müsste jeden Moment aus dieser Richtung der Straße kommen.

Tatsächlich sehe ich kurz darauf, wie ein Fahrzeug des Lieferservice vor Jareds Grundstück parkt, der Fahrer aussteigt und auf meinen Erzfeind zuläuft. Offenbar hat er ebenfalls etwas bestellt. Dann kann es ja nicht mehr lange dauern, bis der Bote auch zu mir kommt. Ich winke ihm zu, doch der Mann bemerkt mich nicht, obwohl ich aufgesprungen bin und wild winkend in seine Richtung laufe. Manche Typen laufen wirklich mit Scheuklappen durch die Gegend.

Nachdem Jared bezahlt hat, macht der Lieferbote kehrt und läuft zurück zu seinem Fahrzeug. Doch anstatt die Straße weiter zu Onkel Joes Haus zu fahren, wendet er das Lieferauto und braust in Richtung Innenstadt davon.

Als mein Blick auf Jared fällt, grinst mich dieser selbstgefällig an und winkt mit der Papiertüte des Lieferservice. Der dreiste Typ hat sich also meine Lieferung unter den Nagel gerissen. Das ist ja nicht zu fassen.

Wütend stapfe zu ihm hinüber und weiche dabei einem Ball aus, der mich beinahe am Kopf getroffen hätte. Können die nicht aufpassen?

»Hi. Ich will meinen Evil Prince«, sage ich mit bissiger Stimme.

Jared grinst unverschämt, während sein dunkler Blick über meine nackten Schultern und Beine wandert. »Hi, Babe. Für dich kann ich alles sein, was du dir wünschst.«

Oh, dieser Schurke. Als würde ich auf seine Masche reinfallen. Da er mir auf der High School das Leben schwer genug gemacht hat mit seinen Schikanen und üblen Scherzen, bin ich die Letzte, die ihm auf den Leim gehen könnte.

Wütend starre ich ihn an. »Du weißt genau, dass ich das Essen meine. Evil Prince heißt das Gericht mit rotem Curry.«

Ein schurkisches Lächeln liegt auf seinem attraktiven Gesicht. »Wirklich? In dem Tonfall, in dem du es gesagt hast, war ich mir sicher, dass du mich damit meinst. Jetzt bin ich aber enttäuscht.«

Dieser Schürzenjäger. Der kann gar nicht anders. Das ist alles nur Gewohnheit und hat nichts zu bedeuten. Schon auf der High School waren fast alle Mädchen hinter ihm her. »Träum weiter.«

Suggestiv wackelt er mit den Augenbrauen. »Du willst das Essen also nicht?«

Genau in dem Augenblick meldet sich mein verräterischer Magen und knurrt wie ein Rudel Wölfe. »Natürlich will ich es. Wie viel hast du ihm gegeben?« Kann ja sein, dass selbst er Trinkgeld gibt …

Er nennt mir den Betrag, den ich ihm auf den Beistelltisch lege.

Als er mir die Tüte überreicht, streifen seine Finger meine. Das ließ sich leider nicht ganz verhindern. Meine Haut prickelt nun dort, auch wenn es nur eine flüchtige Berührung war.

»Könntet ihr bitte die Musik runterdrehen und heute Nacht mal ausnahmsweise leise sein?«, frage ich.

»Wir könnten viel, Babe. Bleib doch hier und feire mit uns. Das ist besser, als allein rumzuhocken. Dabei habt ihr selbst eine Fete im Garten.«

Missmutig schaue ich ihn an. »Was ich tun will oder nicht, musst du schon mir überlassen.«

Jared schenkt mir einen dieser Blicke, die tiefer zu gehen scheinen, als nur bis zur Oberfläche. »Du gehst nicht auf diese Hochzeit bei euch im Garten wegen Luca, habe ich Recht?«

Ich schlucke, denn damit trifft er einen wunden Punkt. Leider bin ich noch nicht so weit über Luca hinweg, wie ich das gerne hätte. Gefühle lassen sich nicht einfach abstellen und zwölf Jahre nicht einfach vergessen oder wegwischen. Fast mein gesamtes erwachsenes Leben habe ich mit diesem einen Mann verbracht und jetzt ist er weg, komplett aus meinem Leben verschwunden. Aber ich werde nicht mehr in dieses dunkle Loch stürzen wie in den ersten Monaten nach der Trennung. Diese ist jetzt beinahe ein Jahr her und es wird für mich Zeit, damit abzuschließen.

»Diese Fete – wie du sie nennst – ist für Onkel Joe ein geschäftliches Arrangement. Das sind nicht meine Bekannten. Es gibt für mich also keinen Grund, anwesend zu sein.«

»Aber niemand hätte etwas dagegen, wenn du dort bist.«

Womit er allerdings Recht hat. Vor allem könnte ich mich dann ein wenig nützlich machen. Ich helfe Onkel Joe und seinen Männern gerne und das nicht nur, weil er mir geholfen hat, als ich ihn am meisten gebraucht habe.

»Was ich tue oder lasse, ist allein meine Sache. Ich bin ungern nackt unter Fremden, was man über dich nicht gerade sagen kann.«

Lässig hebt Jared die Achseln und grinst dabei schief. »Wie du meinst. Falls du also bei unserer Fete dabei sein willst …«

»Du wirst doch nicht etwa schon wieder die halbe Nacht durchfeiern?«, frage ich missmutig.

»Warum sollte ich es nicht tun? Das Leben ist zu kurz, um in Trübsal über eine Ex-Beziehung einsam irgendwo abzuhängen.«

»Ich bin nicht einsam und blase kein Trübsal. Außerdem geht es dich nichts an. Ich will nur meine Ruhe haben. Also, wie sieht es heute Nacht bei dir aus?«

»Ich bin noch frei. Für dich, wenn du willst«, missinterpretiert er meine Worte. Jareds dunkler Blick bohrt sich in meinen.

Er flirtet mit mir! Es ist einfach nicht zu glauben. Mein Erzfeind flirtet mit mir! Dass er keine ehrenwerten Absichten verfolgt, ist natürlich offensichtlich. Der spielt nur mit mir. Das ist seine Art. Von einem Playboy wie ihm halte ich mich lieber fern. Das kann für mich nur böse ausgehen. So etwas ist nichts für mich.

»Ich will wirklich nur meine Ruhe haben. Ihr könnt nicht schon wieder die ganze Nacht über die Nachbarschaft terrorisieren.«

»Das tun wir ja gar nicht.«

»Tut ihr wohl.«

»Deine Onkel haben nichts dagegen. Und ich habe nichts gegen die Nackten in seinem Garten. Das ist eine Win-win-Situation, würde ich sagen«, meint Jared lässig grinsend.

Damit trifft er ins Schwarze, denn meine Onkel sind bekannterweise auch nicht gerade die besten Traumnachbarn, die man sich vorstellen kann. Beispielsweise treibt sich ihr Polarfuchs gerne in Jareds Garten rum und hat dort schon das eine oder andere Loch gegraben. Außerdem fiepen er und seine Fuchsfreunde gerne mal. Mit einem anderen Nachbarn haben meine Onkel deswegen schon Ärger bekommen. Jared ist das ziemlich egal. Er meint, es seien eben Tiere.

Ich seufze. »Ich möchte einfach, dass ihr mal früher Schluss macht mit dem Lärm. Mein Pavillon ist nicht besonders schalldicht und es gibt Schöneres, als die halbe Nacht euer Gegröle und was weiß ich noch mit anhören zu müssen.«

»Wir grölen nicht. Außerdem muss ich dich enttäuschen, denn heute Nacht wird alles ganz mucksmäuschenstill sein. Also brauchst du erst gar keinen Lauschangriff zu machen. Meine Kumpels brechen in Kürze in den veganen Stripclub auf.«

»Ich mache keinen Lauschangriff. Ihr geht also in den veganen Stripclub zur Fleischbeschau. Ist das nicht irgendwie ironisch? Geht ihr in das Casa Diablo oder das Dusk ’til Dawn

Amüsiert betrachtet er mich. »Du kennst also beide Etablissements? Ach, warum sollte mich das überraschen?« Jared lacht leise und rau. »In Seattle hat sich herumgesprochen, was deine Oma während deines Junggesellinnenabschiedes getan hat. Sie ist in den Knast gewandert, nicht wahr?«

»Sie ist eigentlich die Oma meiner Cousine.« Allerdings steht sie mir so nahe, dass sie zusammen mit Yasmina meinen Junggesellinnenabschied organisiert hat. Wobei ich an diesen Abend trotzdem nicht erinnert werden möchte, denn das triggert ganz andere ungewollte Erinnerungen …

Jared misst mich mit seinem Blick von oben bis unten. »Du bist also doch noch nicht ganz in Schnarchzapfen-Town angekommen. Wirft das nicht einen Schandfleck auf deine ach so saubere Familie?«

Ich verschränke die Arme vor der Brust und starre ihn böse an. »Das geht dich nichts an. Außerdem brauchst du mich gar nicht zu beleidigen, nur weil ich keinen Lebensstil wie du führe.«

Zufrieden grinst er, schnappt sich sein Martiniglas und nippt daran. »Also habe ich ins Schwarze getroffen. Möchtest du die Olive, Schätzchen?« Er fischt die sich an einem Zahnstocher befindende Olive aus dem Glas.

»Nein, danke. Und ich bin nicht dein Schätzchen.«

»Bist du dir wirklich sicher?«

»Ich mag keine Oliven, die zuvor in Alkohol ertränkt wurden. Und auch keine Typen, die stinken, als hätten sie in Martini gebadet.«

»Aber Mandy mag sie bestimmt.« Er füttert die Olive der brünetten, vollbusigen Schönheit, die sich dicht neben ihm auf einem Liegestuhl räkelt. Diese streift die Olive langsam mit ihren vollen Lippen unter betont offensichtlichem Zungeneinsatz von dem Zahnstocher. Auch beäugt sie Jared, als wolle sie ihn gleich verschlingen. Nicht, dass ich gar kein Verständnis dafür hätte, denn er ist einfach heiß.

Jareds Blick liegt seltsamerweise auf mir und nicht auf den fast aus dem Triangel-Bikini herausquellenden Brüsten der Frau, die sie ihm ungeniert präsentiert. Wobei sein Blick gelegentlich die Länge meines Leibes herabwandert. »Du verstehst keinen Spaß, oder? Früher warst du lockerer drauf gewesen.«

Irritiert sehe ich ihn an. »Wie meinst du das? Natürlich verstehe ich Spaß.« Nur eben keine üblen Scherze. Irgendwo hört es nämlich auf.

»Luca hat dich runtergezogen. Der war der Oberlangweiler gewesen.«

»Halt dich da raus. Das geht dich gar nichts an!«

»Aber ich schätze mal, er hat deinen Eltern gut gefallen, der alte Schleimer. Und du willst ja deinem Dad immer alles recht machen und das liebe Töchterlein spielen.«

»Natürlich wollte ich die Anerkennung meines Vaters. Wer will das nicht? Nicht jeder will ein Quertreiber wie du sein. Du hast es dir zur Lebensaufgabe gemacht, anderen den letzten Nerv zu rauben und, falls das nicht klappt, dich in ihre persönlichen Angelegenheiten einzumischen. Außerdem brauchst du gar nichts über meine in die Hose gegangene Hochzeit zu sagen. Ich habe es wenigstens versucht. Du bist ja so was von bindungsscheu. Bei dir geht es immer nur ums Spaßhaben«, fahre ich ihn an.

»Zumindest habe ich Spaß – im Gegensatz zu dir.«

Warum muss er nur so ein verdammtes Arschloch sein?

»Das weißt du doch gar nicht.«

Er grinst selbstgefällig. »Das weiß ich eben doch. Ich bin dein Nachbar.«

»Es geht dich nichts an!«

»Wenn sich meine Nachbarin schrittweise langsam umbringt, geht mich das sehr wohl etwas an. Auch wenn dein Herz schlägt und du atmest, lebst du nicht richtig.«

»Und du? Nennst du deine oberflächlichen Feten, deine One-Night-Stands und das ganze Geplänkel das richtige Leben?« Das darf ja wohl nicht wahr sein. Ich lasse es zu, dass er mich wieder mal auf die Palme bringt. Dabei sollte ich längst wissen, dass er einen Heidenspaß daran hat, mich zu provozieren. Das war schon damals so.

Gleichmütig zuckt er mit den Achseln. »Ich arbeite hart und ich feiere hart. Zumindest habe ich was vom Leben. Meist bereut man nicht das, was man getan hat, sondern das, was man nicht getan hat.«

»Ich habe auch was vom Leben. Ich lese anspruchsvolle Bücher … und tue damit etwas für meine Bildung, anstatt mir das Hirn aus dem Kopf zu saufen und …« Dass ich Pirate Dave lese, braucht Jared nicht zu wissen.

Das breite Grinsen weicht nicht aus seinem Gesicht. »Und zu vögeln.«

Ich starre ihn an. »Was?«

»Und dir das Hirn aus dem Leib zu vögeln. Das wolltest du doch sagen?«

»Leg mir nicht irgendwelche Worte in den Mund. Du bist so ein Idiot, warst du damals schon gewesen und bist du immer noch.«

»Ich bin nicht nur schlecht, Kim.«

»Das vielleicht nicht. Niemand ist nur schlecht.«

In der Tat muss ich zugeben, dass er mich während der High-School-Zeit vor den richtigen Bösewichten beschützt hat mit den Worten, dass nur er das Recht hat, mich zu schikanieren. Niemand anderer. Und als ein paar Drogendealer ihren harten Stoff an unserer Schule verkaufen wollten, hat er ein paar seiner Kumpels zusammengetrommelt und mit diesen gemeinsam die Dealer verdroschen. Die hatten sich danach nie mehr bei uns blicken lassen. Die Schule selbst war damit nicht fertiggeworden.

Nachdem Jared Portland verlassen hatte, waren die letzten Monate ohne ihn richtig langweilig. Nicht, dass ich das ihm gegenüber jemals zugeben würde.

»Du solltest wirklich etwas lockerer werden«, meint er.

»Du weißt gar nichts über mich«, sage ich.

Kaum hatte Jared die High School beendet, ist er nach Seattle gezogen, weil er ein Baseball-Stipendium bekommen hat. Nicht, dass ich ihn vermisst hätte …

»Vielleicht doch. Ich habe noch immer Kumpels hier.«

Ungläubig starre ich ihn an. »Das ist nicht dein Ernst. Du hast dich nach mir erkundigt?«

Gleichgültig zuckt er mit den Schultern. »Da wir in derselben High School waren, redet man auch mal über dich, wenn man mit den alten Schulkameraden telefoniert. Da hört man das eine oder andere.«

»Warum bist du nicht in Seattle geblieben?«, frage ich neugierig.

»Warum lenkst du vom Thema ab?«

»Ich möchte das wirklich wissen. Warum bist du nicht in Seattle geblieben?«

Er fährt sich mit der Hand über die muskulöse Brust, was mich für einen Moment ablenkt. Warum muss dieser Idiot so verdammt sexy aussehen mit der gebräunten Haut, all den Muskeln, dem kantigen Kinn und den dunklen, in den Bann ziehenden Augen?

»Ich habe dasselbe Recht, hier zu sein, wie jeder andere auch. Außerdem wurde ich in Portland geboren.«

»Wenn dir so viel an der Stadt liegt, warum bist du dann überhaupt weggezogen?«, frage ich.

»Ich hatte in Seattle damals bessere Entwicklungsmöglichkeiten.«

»Und jetzt hast du hier bessere? Oder willst du uns Konkurrenz machen? Warum bist du überhaupt ins selbe Business eingestiegen wie mein Dad?« Ein gesundes Misstrauen ihm gegenüber ist angebracht.

Er hebt die Achseln. »Warum nicht?«

»Auf welche meiner Fragen bezieht sich deine Antwort?«

Ein träges Grinsen breitet sich auf seinem Gesicht aus. »Auf alle.«

»Du willst uns also Konkurrenz machen?« Hatte ich es mir doch gedacht. Mein Dad und er können einander nicht ausstehen.

Er zuckt mit den Schultern. »Vielleicht.«

»Du spielst nicht mit offenen Karten.«

»Nenn mir einen Grund, warum ich das tun sollte.«

Genervt seufze ich. »Hast du vor, in Portland zu bleiben?«

Er sieht mir tief in die Augen. »Möchtest du denn, dass ich hierbleibe, Kim?« Seine Stimme klingt nun sanft, fast schon verführerisch.

Skeptisch sehe ich ihn an. »Du scheinst nicht wirklich zu wissen, was du willst, wenn du deine Entscheidung von anderen abhängig machst.«

»Oh, Kim, ich weiß sehr genau, was ich will. Und du irrst dich, wenn du denkst, dass ich meine Entscheidungen von anderen abhängig mache.«

Ich runzle die Stirn. »Und was genau willst du?«

»Warum sollte ich das ausgerechnet dir sagen? Schließlich hasst du mich oder etwa nicht?«

»Warum sollte ich? Du bist mir gleichgültig.«

»Damals hast du mir gesagt, dass du mich hasst. Sind deine Gefühle für mich etwa inzwischen erkaltet?« Er klingt enttäuscht.

Das hatte ich damals tatsächlich zu ihm gesagt an jenem verhängnisvollen Samstagnachmittag vor knapp vierzehn Jahren.

»Man muss die Vergangenheit hinter sich lassen.« Mit diesen Worten lasse ich ihn stehen, drehe mich um und gehe davon. Keinesfalls mache ich seine manipulativen Gedankenspielchen mit.

»Hast du sie denn hinter dir gelassen, Kim?«, vernehme ich seine Worte, antworte aber nicht darauf. Dieses Spiel kann ich auch spielen. Wenn er meine Fragen nicht beantworten will, muss ich seine auch nicht beantworten.

»Übrigens, Kim«, ruft er mir hinterher. »Geiler Arsch! Aber deine Hose hat an der Rückseite einen Riss.«

»Arschloch!«, rufe ich zurück, denn das hätte er mir schon früher sagen können, bevor jeder seiner Kumpels meine Unterwäsche gesehen hat.

 

Jared

 

Nachdenklich blicke ich Kim hinterher, wie sie mit ihrem thailändischen Essen mein Grundstück wieder verlässt. Ihre Hüften schwingen leicht und ihr dunkles Haar schimmert wie Seide in der Sonne.

Ich liebe ihr Temperament. Es ist immer wieder schön, mit ihr zu streiten. Das habe ich vermisst, als ich in Seattle war.

Sie hat sich kaum verändert seit damals. Wenn überhaupt, dann ist sie noch schöner geworden. Aber irgendetwas ist jetzt anders an ihr. Ich wette, das hat mit diesem Arsch Luca zu tun. Der Typ hat ihr nicht gutgetan. Er hat irgendwas in ihr zerbrochen. Ich kann es nicht gewesen sein, denn diese Macht hatte ich nie über sie.

Nicht, dass ich ihr wirklich gutgetan hatte … Sie hat was Besseres verdient als Luca oder mich. Und mit einem hat sie Recht: Ich bin kein Mann für eine Beziehung.

Damals war ich das asoziale Kind im Viertel. Wir lebten in einem Trailerpark. Ständig hatte ich das Gefühl, mich beweisen zu müssen. In mir war eine Getriebenheit, eine unruhige Energie. Nur selten konnte ich wirklich stillsitzen. Es hat Jahre gedauert, bis ich gelernt habe, diese Energie zu kanalisieren.

Zwar bin ich in Portland geboren, doch einige Jahre meiner Kindheit und Jugend verbrachte ich in Eugene, bis meine Familie zurück nach Portland zog. Damals war ich fünfzehn Jahre alt.

Da lernte ich Kim kennen und wusste noch nicht viel von der Welt. Dass es unterschiedliche Klassen gibt und ich ganz unten stand, musste ich auf schmerzhafte Weise lernen.

Vom ersten Moment an habe ich mich zu ihr hingezogen gefühlt. Vermutlich war das, weil sie so ganz anders ist als ich. Sie ist rein und leuchtend und nicht dunkel und verdorben wie ich. Nicht, dass ich ein Problem damit hätte, wer ich bin. Ich bin, wer ich bin. Nur manchmal habe ich Angst, wie er zu sein … mein Vater …

In Kim gibt es ein Feuer, ein Licht, das mich angezogen hat wie der Kerzenschein die Motten. Beinahe hätte ich mich daran verbrannt und alles zerstört, was mir wichtig ist.

Dieses Licht brennt noch immer in ihr, aber es scheint nicht mehr so hell zu sein oder sie scheint es zu verbergen.

Ich will, dass es wieder brennt wie zuvor. Aber ich bin nicht die richtige Person, um das zu ändern, denn in mir ist zu viel Dunkelheit.