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Karen Kunkel 2017

Volker Pesch, Jahrgang 1966, Dr. phil., Studium der Politikwissenschaft, Geschichte und Philosophie in Köln. Selbständiger Texter und dtp-Gestalter, Leiter eines städtischen Eigenbetriebs. Er lebt mit seiner Frau in einem Fünfhäuserdorf nahe Greifswald. Dornen und Disteln soll er dir tragen ist sein zweiter Roman.

Volker Pesch

Dornen und Disteln
soll er dir tragen

Küsten-Krimi

Der zweite Fall für Polizeiseelsorger Tom Schroeder

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten

sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Umschlagfoto (Peak Soil, 2016):

Heck S. Plover, Glasgow

Umschlaggestaltung:

Lina C. Schwerin, Hamburg

978-3-87062-279-4 Paperback

978-3-87062-292-3 epub

978-3-87062-293-0 mobi

eBook-Erstellung:

BookDesigns, Potsdam

20171225

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Handlung und Personen sind frei erfunden.
Das Thema leider nicht: So oder ähnlich könnte
es sich jederzeit und an vielen Orten zutragen.

Inhalt

Märchenwald

Umgeben von Schwachköpfen

Mit dem Spaten ins Moor

Zeit zum Waschen

Homo sapiens insapiens

Alte Geschichten

Hektar besteht

Angebot und Nachfrage

Zeitreise

Präfrontaler Cortex

Das Produkt wird nicht mehr hergestellt

Laufende Ermittlungen

Bauernschläue

Nasale Impulse

Aber sie hat!

Keine tiefen Teller

Endlosschleife

Lass die Toten ruhen

Confessiones

Ein bisschen was bleibt immer kleben

Nun mach dir mal nicht in die Hose, denkt er, während sich die Nervosität des anderen über die Freisprechfunktion im Innenraum seines Wohnmobils verliert. Er hat das Smartphone auf den Klapptisch neben ein Frühstücksbrett gelegt und schaut genervt durch die offene Tür über den Acker. Die Septembersonne verdrängt langsam den Morgennebel. Er lässt den anderen reden, spürt aber eine leichte Verärgerung aufziehen.

Zigtausend Hektar habe ich für die Firma klargemacht, denkt er, und der kaut mir hier ein Ohr ab. Behandelt mich immer noch wie einen Blöden. Er trinkt einen Schluck Kaffee. Der soll sich doch einfach auf mich verlassen!

»Da können Sie ganz ruhig sein«, sagt er, »die wird uns noch mehr Land verkaufen, soviel ist sicher.«

Der andere scheint davon nicht überzeugt zu sein und redet irgendwas von »Druck erhöhen« und »Konsequenzen deutlich machen«.

Er hört gar nicht mehr richtig zu und rollt mit den Augen. »Aber sie hat doch gar keine andere Wahl«, erklärt er dann genervt, »wenn wir wirklich die Pacht anheben, muss die den Insolvenzverwalter bestellen.« Er lässt den anderen ins Leere reden. »Ihr steht das Wasser längst bis zum Hals, und das weiß sie ganz genau.«

Zeit zum Aufbruch, denkt er, als das Telefonat endlich ein Ende gefunden hat, bevor hier wieder irgend so ein Förster kommt und sich künstlich aufregt. Er schaut auf die Uhr und erschrickt. Bis zu seinem ersten Termin des Tages sind es nur noch knapp zwei Stunden.

Etwas überhastet räumt er Kaffeepott und Brett vom Tisch in die kleine Spüle, dabei gerät seine Krawatte in einen Rest Erdbeermarmelade. Ärgerlich steigt er in die enge Nasszelle und versucht, mit einem feuchten Handtuch den Fleck zu entfernen.

Sein Blick fällt in den Spiegel, sofort verfliegt der Ärger, er sieht sich selbst einfach gern.

»Tja, meine Liebe«, sagt er halblaut, als stünde sie ihm gegenüber, »das hättest du einfacher haben können. Aber du hast dich ja immer schon für was Besseres gehalten, wolltest mit einem wie mir nichts zu tun haben. Frau Großgrundbesitzer. Wärst besser nicht so hochnäsig gewesen!«

Er widersteht der Versuchung, sich ein Glas Chablis einzuschenken und darauf zu trinken, endlich am Ziel zu sein. Die halbvolle Flasche vom Abend steht noch im Kühlschrank. Aber dann besinnt er sich auf seinen Termin und prüft mit einem letzten Blick, ob alles für die Fahrt gesichert ist.

Die Fahrerkabine ist erfüllt vom chemischen Geruch eines Duftbäumchens. Typ Latschenkiefer. Wo ist nun wieder dieser verdammte Zündschlüssel?, fragt er sich. Er tastet der Reihe nach sämtliche Taschen ab. Währenddessen bemerkt er einen von Buschwerk und Bäumen halb eingewachsenen Hochsitz, nicht weit vor dem Wagen. Ist da nicht einer drauf? Wohl eine Täuschung. Er beugt sich zur Seite über die Ritze zwischen Beifahrersitz und Mittelkonsole. Während er verrenkt nach dem Schlüssel fingert, fällt sein Blick aus dem Augenwinkel noch einmal nach draußen. Tatsächlich, da bewegt sich doch was, denkt er und richtet sich erstaunt auf.

Den Schuss kann er nicht mehr hören, weil das berstende Geschoss zentrale Teile seines Gehirns in der gesamten Kabine verteilt.

Märchenwald

Dann kamen die Mücken. Zu tausenden schwirrten sie durch die feuchtwarme Luft. Ihre Flügelschläge verdichteten sich zu einem hellen Sirren, einem bedrohlichen Ton, der sich wie ein Tinnitus über alles legte und immer weiter anzuschwellen schien. Natürlich hatte er nicht an Mückenschutz gedacht, als er überstürzt im Kommissariat aufgebrochen war. Dafür hätte er in den Wiecker Hafen fahren müssen. Denn möglicherweise gab es noch einen Rest an Bord seines Bootes. Aber der Abstecher dorthin hätte einen Umweg bedeutet, und er hatte darauf gebrannt, endlich an den Fundort der Leiche zu kommen.

Allerdings fuhr er ohne Navi. »Kein Problem«, hatte Tina Effmert gesagt, »du nimmst einfach die Umgehungsstraße bis hinter Anklam, biegst in Neu Kosenow links ab und folgst immer dem Plattenweg, bis du in Bugewitz bist.« Er war mit dieser Beschreibung sichtlich überfordert gewesen. »Viele Dörfer hier enden auf Witz oder Ohweh«, hatte sie schmunzelnd hinzugefügt, »und das ist alles andere als Zufall. Aber du findest das schon, die Gegend ist ziemlich flach, da kannst du weit sehen, bis zum Achterwasser und bei gutem Wetter sogar bis Usedom. Außerdem gibt es Verkehrsschilder.« Er hatte das Örtchen tatsächlich ohne Probleme erreicht, war an der Dorfgaststätte nach links gefahren und hatte nicht weit hinter dem letzten Haus am Straßenrand geparkt. Von dort aus war er über den nächstgelegenen Weg direkt ins Naturschutzgebiet gegangen, genau wie Tina das beschrieben hatte. »Dann siehst du uns schon«, hatte sie noch gesagt, »wir rücken nämlich mit der kompletten Mannschaft an.«

Er war also auf das vorpommersche Küstenland vorbereitet, aber in keiner Weise darauf, derart tief ins Unterholz vorzudringen. Noch dazu als einziger Warmblüter unter Myriaden von Mücken. Jetzt wedelte er zur Abwehr heftig mit einer Hand vor seinem Gesicht, wahrscheinlich vergebens, das war ihm durchaus klar, aber zu wedeln erschien ihm besser als nichts zu tun. Er bemerkte, wie sich völlig unbeeindruckt eine Mücke auf seinen linken Arm setzte und beinahe im gleichen Moment ihren Stachel durch die Haut bohrte. Beherzt schlug er zu. Die Mücke blieb zerquetscht auf seiner Haut kleben, vielleicht im Schweiß, der mittlerweile aus jeder Pore seine Körpers drang, vielleicht auch in dem kleinen Blutfleck, der vom Stich in Tom Schroeders Arm zeugte.

Noch vom Wagen aus war ihm eine weite Wasserfläche aufgefallen. Enten und Möwen schwammen darauf herum, gründelten oder putzten ihr Gefieder. Bestimmt Hochwasser, hatte er sich das zuerst erklärt, allerdings war ihm sogleich eingefallen, dass die Ostsee kaum Gezeiten hat. Außerdem ließen ihn auch einzelne Stümpfe abgestorbener Bäume an dieser Erklärung zweifeln. Er war dann dem einzigen befestigten Weg gefolgt, offensichtlich dem Hauptweg, der außerdem ein Naturerlebnispfad war, wie er auf einem Schild gelesen hatte. An einer Gabelung hatte er sich für den rechten Abzweig entschieden, obwohl der linke der besser befestigte war. Aber Tina hatte ganz sicher gesagt, er solle nach rechts gehen. Oder nicht?

Mittlerweile war er sich nicht mehr so sicher. Denn der Weg hatte ihn zuerst zwischen Gräben und Dickungen hindurch geführt bis zu einem sumpfigen Wasserloch voller Schilf und Röhricht, war dann nach und nach zu einem Trampelpfad geschrumpft und schließlich in eine Art Brücke über einen trüben Graben gemündet. Oder vielmehr in das, was von dieser Brücke noch übrig war. Deren hölzerne Pfeiler waren stellenweise sichtbar abgesackt, verrottet und verfault, die alten Laufbohlen darüber waren raupenartig verformt. Schroeder hatte an eine gefährliche Echse denken müssen, die in den Wasserlinsen halb verborgen auf Beute lauerte. An den Streben, die einmal das Geländer gewesen sein mochten, war ein beeindruckender fächerförmiger Pilz gewachsen. Das ist ganz sicher nicht der richtige Weg, hatte Schroeder sich gesagt. Aber statt umzukehren und an der Gabelung noch einmal neu anzusetzen, war er mutig über die Brücke balanciert und unter den Zweigen einer Eberesche hindurch ins Halbdunkel des Waldsaumes eingetaucht. Man wird ja die Einsatzfahrzeuge sehen können, hatte er sich gesagt, oder die Kollegen von der Spurensicherung in ihren Schutzanzügen, die leuchten doch immer wie Glühwürmchen in der Nacht.

Er hatte sich weiterhin rechts gehalten und war jetzt von hohen Adlerfarnen umfangen. Im Schatten der Bäume trieften sie noch von Nässe. Schroeder hatte beide Arme über den Kopf gehoben und war sich kurz vorgekommen wie einer der frühen Entdecker im Dschungel Borneos. Auf eine Art hatte ihm das sogar gefallen, schon als kleiner Junge war er gerne durch die Wälder gestromert. Er war über mehrere kleinere Wasserlöcher und Gräben gesprungen, hatte dicht bei den Wurzeln einiger Erlen Halt und festen Tritt gesucht und sich lange Zeit ganz darauf konzentriert, weiter voran zu kommen. Hinter ihm hatten sich die Farne wieder geschlossen.

Schroeder wischte die tote Mücke vom Arm und schaute auf seine Armbanduhr. Sie zeigte kurz vor fünf. Wahrscheinlich sind die Kollegen längst wieder weg, dachte er, deswegen habe ich auch niemanden gesehen. So lange konnte das schließlich nicht dauern, eine Moorleiche zu sichern. Jedenfalls nicht, wenn es eine dieser prähistorischen Leichen war. Dann werden die Beamten das Feld schnell den Archäologen überlassen haben, denn für die war das eine Sensation, so hatte er herausgehört, eine Moorleiche war offensichtlich schon seit Jahrzehnten nicht mehr gefunden worden. Schon deswegen wäre er gerne dabei gewesen. Stattdessen stapfte er hier durch Sumpf und Wald und ärgerte sich. Aber er war einfach nicht früher weggekommen. Den ganzen Vormittag und bis kurz nach drei hatte er mit einem jungen Polizisten gesprochen, der nach der Trennung von seiner Freundin als psychisch labil galt. Kollegen hatten Schroeder darum gebeten. Er hatte nur mit einem Ohr zugehört, das andere war ganz auf die hektische Betriebsamkeit ausgerichtet, die der Leichenfund im ganzen Kommissariat ausgelöst hatte. Polizeiseelsorger hin oder her, hatte sich Schroeder eingestehen müssen, du würdest den Mann am liebsten hier sitzen lassen und einfach losfahren. Das fiel ihm jetzt wieder ein, und er war nicht stolz darauf.

Im gleichen Moment spürte er etwas Nasskaltes am rechten Knöchel. Er hatte in Gedanken nicht auf seine Schritte geachtet und war ins Wasser getreten. Vor ihm lag eine brackige Wasserfläche, aus der die Reste toter Birken und Erlen in den Himmel ragten. Eine Art Waldsee, dachte er, irgendwie märchenhaft. Oder gespenstisch. Oder auch beängstigend, dachte er mit Blick auf seinen nassen Halbschuh aus Segeltuch. Er nahm seine vom Schweiß verschmierte Brille ab und rieb deren Gläser mit dem Hemdzipfel leidlich sauber. Dann suchte er einen toten Ast, fand einen passenden und versuchte, damit die Wassertiefe vor sich zu loten. Der Ast stieß nicht auf Grund, hier konnte er also auf keinen Fall weitergehen. War das am Ende gar kein Menschenweg, dem er bis hierher gefolgt war, sondern ein Wildwechsel? Er drehte sich auf der Stelle und schaute zurück. War er an diesem Baum vorbeigekommen? Oder doch von weiter links, dort drüben vielleicht? Er hatte sich das nicht richtig eingeprägt. Kein Problem, redete er sich gut zu, so groß kann diese Sumpflandschaft ja nicht sein, wenn du nur ein paar hundert Meter in die gleiche Richtung gehst, kommst du mit Sicherheit hier raus.

Er erinnerte sich an ein Sommerlager der Thälmannpioniere, das musste Ende der Siebziger gewesen sein, da hatten sie eine Art Überlebenstraining gemacht. Brot backen aus Buchenrinde, Fährtenlesen, Orientieren nach Sonne, Mond und Sternen. Es ist fünf Uhr, sagte er sich, wo die Sonne steht ist also ungefähr Westen, ich muss einfach Richtung Süden gehen, dann komme ich wieder beim Wagen aus. Schroeder schaute nach oben durch den Wipfel einer halbtoten Esche in ein diffuses Licht. Eine hochnebelartige Schleierbewölkung hatte die Sonne umfangen. Sie schien warm genug, um bis hinunter auf den feuchten Waldboden eine drückende Schwüle zu erzeugen. Aber ihr Stand war nicht zu erkennen. Kein Lüftchen rührte sich. Jetzt fiel ihm auch die seltsame Stille auf. Kein Vogel zwitscherte, keine Blätter rauschten, kein Reh schreckte. Über allen Wipfeln ist Ruh, fiel ihm dazu ein, in allen Gipfeln spürest du ...

Er hielt inne und horchte. Aber er hörte nichts. Nichts außer dem Sirren der Mücken. »Na sowas!«, sagte er halblaut vor sich hin, weniger verärgert als vielmehr überrascht von dieser eigenartigen Situation, in die er so unerwartet geraten war. Sie ließ ihn schmunzeln. Suchend schaute er sich um. Bäume, Baumstümpfe, Schilf, Wasser, Farn, Wasser, Wasser. Woher kommt eigentlich das viele Wasser, fragte er sich, weshalb steht hier alles unter Wasser? Vor allem aber fragte er sich, warum es keine Wege oder Schneisen gab, an denen er sich hätte orientieren können. Wo ist denn nur dieser Naturerlebnispfad? Rauchen, fiel ihm dann ein, rauchen hilft beim Nachdenken. Und gegen die Mücken.

Schroeder nahm einen Tabaksbeutel aus der Brusttasche seines Leinenhemds, öffnete ihn und entnahm dem kleinen Pappstreifen ein Blättchen. Das vorletzte, wie er bemerkte. Die neue Packung lag offensichtlich noch im Auto. Er maß eine hohle Hand voll Tabak ab, klebte einen Filter ein und drehte die Zigarette. Wo ist eigentlich das Feuerzeug?, durchschoss ihn ein erschreckender Gedanke, aber er fand es nach tastendem Suchen in der rechten Hosentasche. Mit einem scheppernden Geräusch klappte er den Deckel des etwas altertümlichen Modells zurück und entzündete zugleich den benzingetränkten Docht. Davon aufgeschreckt stieß unmittelbar neben ihm ein Eichelhäher ab und flog laut rätschend davon. Schroeder erschrak und lies die Zigarette ins Wasser fallen. Mit halb geöffnetem Mund sah er zu, wie sie im Bruchteil einer Sekunde das Wasser aufnahm und ihre Farbe vom reinen Weiß in ein schmutziges Tabakbraun änderte. Er war zu verwundert um sich zu ärgern.

Ein Blättchen hast du noch, sagte er sich und fasste erneut an die Brusttasche. Dabei spürte er sein Smartphone, und im ersten Moment spürte er so etwas wie Erleichterung. Aber sollte er wirklich die Kollegen anrufen und um Hilfe bitten? Was sollte er denen sagen? Hilfe, ich habe mich im Wald verlaufen, holt mich hier raus? Er machte sich ja für alle Zeiten zum Gespött des ganzen Kommissariats! Nein, undenkbar. Er könnte allenfalls Tina anrufen und sie um Verschwiegenheit bitten, die würde das nicht herumtratschen, dessen war er sich sicher. Aber wie sollte die allein ihn hier finden?

Dann fiel ihm aber ein, dass dieses hypermoderne Telefon eine GPS-Funktion haben musste, vielleicht sogar mit Kompass. Daran hättest du auch früher denken können, sagte er sich, das hätte dir diesen ganzen Blindflug hier erspart! Und den nassen Fuß. Er nahm das Gerät aus der Tasche, klappte die Schutzhülle zur Seite und entsperrte den Bildschirm. So, sagte er nachdenklich vor sich hin, wie war das noch? Irgendwo gibt es eine Funktion Datentransfer zulassen. Die musst du aktivieren. Er wischte mit dem Zeigefinger über den Bildschirm, Schritt für Schritt, bis er das richtige Menü gefunden hatte. Er markierte das entsprechende Feld, ein wenig stolz, das Ding auf Anhieb richtig bedient zu haben. Aber zunächst einmal passierte gar nichts. Dann erschien im Display die Anzeige Software wird aktualisiert, gemeinsam mit einem Symbol, in dem sich mit viel gutem Willen eine Sanduhr erkennen ließ. Während er wartete, fiel sein Blick auf die Ladestandsanzeige des Akkus. 14%, las er da, und schlagartig wurde ihm klar, dass sich dieses Telefon in Kürze abschalten würde.

Sofort wischte er über das Display, um die Datenaktualisierung abzubrechen. Aber das gelang nicht, alle Funktionen schienen durch das laufende Update blockiert zu sein. 12%, las er und wurde etwas nervös. Kurzerhand schaltete er das Gerät ganz aus. Eine Mücke stach ihm derweil in die kleine blanke Stelle am Hinterkopf, die er nicht geschützt hatte, weil er deren Existenz gemeinhin leugnete. Eine Mücke auf der Stirn konnte er durch hektisches Wedeln abwehren. Er schaltete das Telefon wieder ein, gab aber in der beginnenden Aufregung eine falsche PIN ein. Noch 8%. Als er endlich die richtige Nummer eingegeben hatte, suchte er Tina in seinen Kontakten und ließ das Gerät wählen. Er wartete auf das Signal, es tutete einmal, fünfmal, schier endlos, dann endlich hörte er ihre Stimme, sie meldete sich mit »Polizeikommissarin Effmert«. Bevor er irgendetwas sagen konnte, brach die Verbindung ab. Der Akku war leer.

Schroeder stak ein paar Schritte am Rand des Wassers entlang und ließ sich auf einen umgestürzten Baumstamm sinken. Er wischte noch einmal seine Brillengläser. Die Situation machte ihm langsam Angst. Er saß mitten in einem sumpfigen Wald, ohne Orientierung und ohne irgendwem gesagt zu haben, was er vorhatte und wohin er wollte. Wenn er hier im Morast verschwinden und nicht wieder auftauchen würde, gäbe es keine große Suchaktion. Zumindest nicht hier. Erst einmal würde ihn niemand vermissen, er meldete sich schließlich nirgends an oder ab. Allenfalls seine Zimmerwirtin könnte sich wundern, allerdings erst Anfang nächsten Monats, wenn keine Überweisung auf ihrem Konto einginge. Er fragte sich, ob er mit den Überlebenskenntnissen eines Thälmannpioniers vierzehn Tage lang inmitten eines wenn nicht feindseligen, so doch mindestens gleichgültigen Sumpfgebietes überleben würde.

Zeit für eine Bestandsaufnahme: Er war bekleidet mit einer Jeans, leichten Halbschuhen ohne Socken, rechts bereits durchnässt, und einem halbärmeligen Leinenhemd. Er hatte ein Smartphone mit leerem Akku, ein Päckchen Tabak, aber nur noch ein Blättchen, ein Feuerzeug und nichts zu essen. Da waren die Thälmannpioniere eindeutig besser ausgerüstet. Er hatte ja nicht einmal ein Messer. An seinen Fingern zählte er halblaut ab: »Bis sechs, bis sieben, bis acht, bis neun, bis – in fünf Stunden ist es hier stockdunkel.« Und er hatte nichts zu trinken. Doch, fiel ihm dann ein, du hast Wasser! Hier ist überall Wasser. Er bückte sich, um mit der hohlen Hand etwas Wasser zu schöpfen, zuckte aber sogleich zurück. Irgendetwas war da, er hatte es nicht erkennen können, vielleicht eine Schlange. Ringelnattern, erinnerte er sich, sind gute Schwimmer. Es könnte auch eine Kröte gewesen sein, oder ein Molch. Jetzt schien ihm sein Gedächtnis jedes einzelne glitschige Tier hervorzuholen, das sie als Pioniere gefangen und in ihrem Aquarium gehalten hatten, bis es mit dem Bauch nach oben trieb. Irgendwie kriegt man doch im Leben alles zurück, musste er unwillkürlich denken, all das Lachen und eben auch alles, was man sich hat zuschulden kommen lassen. Dabei fielen ihm Blutegel ein.

Jetzt musste er doch über sich selbst den Kopf schütteln. Diese Situation war so unwirklich. Und so lächerlich. Aber sie war wie sie war. Er saß auf dem umgestürzten Baum, um ihn herum war Stille, eine geradezu schreiende Stille, es war feuchtwarm, drückend schwül, wie vor einem Gewitter, das nicht kommen will. Er war schweißnass. Die Abwehr der Mücken gab er auf, dieser Kampf war verloren. Schroeder drehte sich die letzte Zigarette, steckte sie an und nahm einen tiefen Zug. Wie ein neugieriger Naturforscher betrachtete er die stechenden Insekten auf seinen Armen. Das machte ihm nichts mehr aus, er hatte sich daran gewöhnt. Oder es spielte in seiner Situation einfach keine Rolle mehr. Vor seinem inneren Auge erschien eine schwarz umrahmte Anzeige: Worte wie tragisches Unglück oder viel zu früh las er darin, aber eigenartigerweise beunruhigte ihn das nicht. Er empfand eher so etwas wie eine Gleichgültigkeit, vielleicht sogar eine gelassene Vorfreude. Er lehnte sich zurück, schloss die Augen, döste vor sich hin und zog nur gelegentlich an seiner Zigarette.

Irgendetwas ließ ihn nach kurzer Zeit aufhorchen. Neben ihm hatte sich eine große braungelbe Libelle niedergelassen und verschlang genüsslich eine Fliege. Sie schien keine Angst vor ihm zu haben, ganz so als wüsste sie, dass sie hier in diesem Lebensraum die Stärkere war. Survival of the fittest, musste er unwillkürlich denken. Das ging ihm dann aber doch zu weit, er rappelte sich auf und warf den Stummel der Zigarette ins Wasser. Du musst in Bewegung bleiben!, ermahnte er sich. Er prägte sich einen besonders skurrilen Baumstamm ein und suchte in der Richtung, die er intuitiv für Osten hielt, einen anderen markanten Baum. So wollte er sich von Punkt zu Punkt hangeln und machte sich mit neuem Elan auf. Allerdings musste er wiederholt ausweichen, mal versperrte ihm ein Graben den Weg, dann dichtes Buschwerk aus Sträuchern und wildem Hopfen. An einer Stelle trat er plötzlich auf einen weichen, schwankenden Boden, der zwar aussah wie eine grüne Wiese, sich aber anfühlte, als schwimme er auf dem Wasser. Eine Art Waldwasserbett, dachte er. Das war ihm nicht geheuer, er ging vorsichtshalber ein paar Schritte zurück und umschlug das Gebiet in weitem Bogen. Nach einiger Zeit kam er irgendwie an dem markanten Baum an, zumindest glaubte er, dass es dieser Baum war, sicher war er sich nicht. Er wollte sich gerade ein neues Ziel aussuchen und die nächste Etappe angehen, als er ein Geräusch zu hören glaubte, zwar nur ein leises Knacken, aber eines, dass in der Stille deutlich hervorstach. Schroeder blieb stehen und horchte. Die Mücken sirrten. Sein Herz schlug von der Anstrengung, aber sonst hörte er nichts. Konzentriert atmete er ein und aus, um seinen Puls zu beruhigen.

Ein paar Sekunden lang blieb es still. Dann knackte es wieder. Schroeder bewegte sich lautlos in die Deckung eines mächtigen Baumes, wie ein Buschmann, der auf Wild pirscht, allerdings ein Buschmann ohne Speer oder Blasrohr. Es knackte. Er beugte sich langsam vor und blieb wie angewurzelt stehen. Direkt vor ihm stand ein grauweißes Tier mit bernsteinfarbenen Augen. Ein Wolf. Ganz ruhig, vielleicht überrascht, hier einen Menschen anzutreffen, aber ohne jede Scheu. Souverän, kam Schroeder in den Sinn. Keine Sekunde lang zweifelte er. Der muskulöse Körper, das Fell, die Augen – das war ein Wolf, und was auch immer neuerdings in den Zeitungen über die Rückkehr des Wolfes geschrieben wurde, ihm machte dieser Wolf Angst. Eine Scheißangst sogar. Von wegen Rotkäppchen lügt! Sie standen sich eine ganze Weile gegenüber. Der Wolf legte den Kopf leicht schräg und äugte ihn an. Was jetzt?, fragte sich Schroeder, aber dann erinnerte er sich, was er an Tipps und guten Ratschlägen für die Begegnung mit Wölfen gelesen hatte. Man solle ruhig bleiben und eventuell mit sonorer Stimme sanft auf das Tier einreden. Also los, sagte er sich, aber ihm fiel im Moment nichts Sanftes ein, was er einem Wolf hätte sagen wollen.

»Ich bin viel zu alt«, sagte er schließlich und merkte dabei, wie seine Stimme zitterte, »weißt du? Ich gehe schon auf die fünfzig zu. Total zäh. Außerdem übersäuert, vom vielen Rotwein. Das hast du doch nicht nötig, so stark wie du bist. Also lauf, zisch ab, such dir irgendwo ein zartes kleines Mädchen!« Das war zwar seelsorgerisch sicher nicht ganz korrekt, schien aber zu funktionieren. Denn der Wolf machte nach einer langen Sekunde kehrt und verschwand genau so überraschend, wie er aufgetaucht war. Schroeder war perplex und schaute ihm geraume Zeit hinterher. Lieber Herr, gib mir einen fröhlichen Mut, Lust und Freude, fiel ihm ein, und er rezitierte das voller Erleichterung laut und vernehmlich. »Lieber Herr, gib mir einen fröhlichen Mut, Lust und Freude!«

»Das mache ich doch gerne!«, hörte er eine kräftige Stimme.

Schroeder erschrak und wäre beinahe gestürzt. Er blickte demütig nach oben. Aber da war nichts. Er schaute umher, sah nur Bäume und Sträucher. Und Wasser.

»Wenn Sie schon mitten durch mein Revier latschen, sollen Sie wenigstens Lust und Freude haben!«, hörte er.

Schroeder konnte immer noch nicht ausmachen, woher die Stimme kam. Aber es war eines Menschen Stimme, und bei aller Verunsicherung überwog die Erleichterung darüber, nicht mutterseelenallein in diesem Sumpf zu sein. Wie selbstverständlich und daher ohne weiter darüber nachzudenken ging er davon aus, dass hier kein zweiter Irrläufer unterwegs war, sondern jemand, der sich auskannte. Jemand, der ihm den Weg hinaus und zurück zu seinem Wagen weisen konnte. Plötzlich spürte er etwas in seinem Rücken und drehte sich vorsichtig um. Ein Mann hatte sich völlig lautlos genähert.

»Können Sie mir mal erklären, was Sie hier zu suchen haben?«, fragte der bestimmt und hörbar verärgert. »Warum nehmen Sie nicht den ausgewiesenen Weg?«

Schroeder sah in stahlgraue Augen, die nicht eben freundlich wirkten. Sondern eher stechend, wie Bajonette. Außerdem hielt der Mann ein Gewehr in den Händen. Dessen Lauf war zwar seitlich auf den Boden gerichtet, aber Gewehre flößten Schroeder immer Respekt ein. Er wich dem Blick aus und bemerkte dabei, was für eine seltsame Kluft der Mann trug. Geschnürte Leinengamaschen über einer uralten Lederhose, dazu eine veraltet wirkende Uniformjacke in zweierlei Grüntönen mit geflochtenen Epauletten. Schroeder fragte sich kurz, aus welchem Jahrhundert die stammte. Den verbeulten Hut, dessen eine Krempe streng nach oben geklappt war und an dem diverse Abzeichen staken, konnte er sich gut in einem Museum für Völkerkunde vorstellen. An den meisten anderen Männern hätte die ganze Kluft äußerst lächerlich gewirkt und ihnen jegliche Autorität genommen. Aber bei diesem Mann waren die Augen die Autorität, unterstützt von einem kräftigen roten Bart. Das Gewehr war da eigentlich nicht nötig. Außerdem musste Schroeder seinen Kopf deutlich heben, um ihm ins Gesicht zu sehen. Der Mann war mindestens einen Kopf größer. Er spürte den Stich einer Mücke in seine rechte Wange, wagte aber keine hektische Bewegung.

»Sie glauben gar nicht, wie viel ich darum geben würde, endlich über ausgewiesene Wege zu gehen«, sagte er freundlich lächelnd und legte auch Erleichterung in seinen Tonfall, »ich hatte schon befürchtet, hier übernachten zu müssen.«

Der Mann zeigte keine Regung, seine Augen blieben stechend auf ihn gerichtet. Schroeder fühlte sich regelrecht durchleuchtet. Oder vielmehr aufgespießt.

»Tom Schroeder mein Name«, sagte er und streckte dem Mann die Hand entgegen.

Der schlug nicht ein.

»Es tut mir leid, wenn ich Ihnen hier irgendwie in die Quere gekommen bin«, versuchte es Schroeder erneut, »das war keine Absicht. Ich hatte wirklich nicht vor, mich hier im Wald zu verlaufen und von den Mücken aussaugen zu lassen. Das können Sie mir glauben!«

Er wartete auf eine Reaktion.

»Ich bin bei der Polizei«, erklärte er dann, »das heißt, eigentlich nicht direkt ... also ich bin ... Seelsorger.«

Der Mann runzelte die Stirn und blickte zweifelnd, vielleicht auch ein wenig mitleidig, da war sich Schroeder nicht sicher. Jedenfalls war das eine erste Regung, und das hielt er für ein gutes Zeichen.

»Genauer gesagt Polizeiseelsorger des Landes Mecklenburg-Vorpommern«, fuhr er fort, »und ich wollte eigentlich zum Fundort der Leiche.«

»Was für eine Leiche?«, fragte der andere.

»Eine Moorleiche«, antwortete Schroeder, »hier ist doch eine gefunden worden, ich wollte dahin und muss irgendwie falsch gegangen sein.«

»Deswegen die vielen Autos«, sagte der Mann nachdenklich und wie zu sich selbst. Er schaute Schroeder noch einmal direkt an, seine Gesichtszüge hatten sich merklich entspannt. Dann griff er in seine Jackentasche, zog eine Flasche Ballistol hervor und reichte sie Schroeder. »Ich dachte schon, Sie sind so ein Geo-Cacher oder wie die sich nennen«, sagte er dabei.

Schroeder nahm die Flasche dankbar an und begann sogleich, seine Unterarme einzureiben. Die kühle Flüssigkeit tat gut und linderte etwas das Jucken der längst unzählbaren Stiche.

»Geo-Cacher?«, fragte er. »Sind das die, die im Wald Tupperdosen verstecken und deren Position dann ins Internet stellen?«

»Genau die.«

»Nee«, sagte Schroeder, »Tupperdosen sind nicht so mein Ding. Aber sagen Sie«, fragte er wie beiläufig, während er sich das Gesicht einrieb, »Sie sehen ja so aus, als kennen Sie sich hier aus. Hatte ich schon Halluzinationen oder kann es tatsächlich sein, dass ich eben einen Wolf gesehen habe?«

Der Mann schaute ihn ein paar Sekunden lang an, als wollte er Schroeders Zurechnungsfähigkeit prüfen. »Möglich ist das«, sagte er dann langsam und nachdenklich, »möglich ist das. Aber nicht sehr wahrscheinlich.«

»Ich war mir aber ziemlich sicher«, hakte Schroeder vorsichtig nach, obwohl er sich jetzt gar nicht mehr so sicher war.

»Oder war es vielleicht ein Golden Retriever?«, fragte der Mann mit einem hämischen Unterton. Dabei schmunzelte er, und sogleich wirkten seine Augen nicht mehr stechend, sondern funkelnd.

»Oder ein Dackel«, gab Schroeder etwas patzig zurück und hob dabei seine rechte Augenbraue an, »oder vielleicht auch ein Kaninchen.«

»Nichts für ungut«, sagte der Mann, »ich meine ja nur. Die meisten Menschen von heute können das ja nicht mehr unterscheiden. Es gibt durchaus wieder Wölfe im Land, insofern ist das nicht unmöglich. Aber die Chance, am helllichten Tag auf einen Wolf zu treffen, ist wirklich nicht sehr groß. Ich habe jedenfalls noch keinen gesehen, leider, obwohl ich fast jeden Tag hier bin.«

»Und weswegen sind Sie jeden Tag hier, wenn ich fragen darf?«

»Das hier ist mein Jagdrevier«, antwortete der Mann. Jetzt reichte er Schroeder die Hand. »Hirschfeld mein Name«, sagte er dabei, »Stefan Hirschfeld.«

Schroeder ließ die Geste eine Sekunde lang ins Nichts laufen, schaute demonstrativ in die Luft und spitzte die Lippen, als wollte er ein Lied pfeifen. Aber dann schlug er fest in die derbe Hand ein und die beiden schauten sich freundlich an.

Hirschfeld schien den Wink verstanden zu haben. »So, dann sind wir jetzt wohl quitt«, sagte er, »aber nochmal zurück zu der Leiche. Was hat es damit auf sich?«

»Ich habe keine Ahnung«, gab Schroeder zu, »bin ja bis jetzt noch nicht am Fundort gewesen.«

»Das muss da drüben sein«, sagte Hirschfeld und zeigte mit dem Gewehr halblinks hinter sich, »Richtung Leopoldshagen. Da sind jedenfalls vorhin jede Menge Autos rumgefahren.«

»Und wie komme ich da hin?«

»Wenn Sie unbedingt durchs Bruch wollen, brauchen Sie ein Kajak.«

Schroeder lachte kurz auf und schaute ihn abwartend an.

»Oder so einen Kanadier, wie der letzte Mohikaner.«

»Habe ich gerade nicht dabei«, sagte Schroeder.

»Dann empfehle ich den befestigten Weg. Aber wissen Sie was? Ich bin ja neugierig, ich bringe Sie fix hin«, sagte Hirschfeld, »das Wild haben Sie mir ohnehin vertrampelt.«

Schroeder machte eine entschuldigende Geste.

»Ist sowieso kaum noch welches da, seit hier alles unter Wasser steht«, fuhr Hirschfeld fort, »wenn überhaupt, dann Sauen. Und demnächst vielleicht Wasserbüffel«, fügte er verächtlich an, »oder Krokodile, oder was sich diese Naturschützer sonst noch so einfallen lassen werden.« Dabei nahm er das Gewehr etwas höher, griff mit der rechten Hand den Verschlusshebel und zog ihn kraftvoll nach hinten.

Das metallische Geräusch ließ Schroeder zusammenzucken. Oha, dachte er, Naturschützer scheint der nicht zu mögen. Irgendwie hätte es ihn nicht gewundert, wenn Hirschfeld die Waffe jetzt durchgeladen und wie ein siegestrunkener Taliban in die Luft geballert hätte. Aber der entnahm mit geübten Griffen eine Patrone aus der Kammer und hängte sich dann die geöffnete Büchse über die Schulter.

»Mir nach!«, sagte er.

Schroeder stapfte hinter ihm her über einen gewundenen Wechsel, den er allein wahrscheinlich kaum erkannt hätte. Gelegentlich sprangen sie über Gräben oder balancierten über umgestürzte Baumstämme. Hirschfeld ging zügig und mit sicheren Schritten, Schroeder hatte Mühe ihm zu folgen. Nach wenigen Minuten war er an beiden Seiten bis hoch zu den Waden triefend nass und voller Matsch.

»Woher kommt eigentlich das ganze Wasser?«, fragte er keuchend.

Hirschfeld blieb abrupt stehen und drehte sich zu ihm um. »Woher das Wasser kommt? Das kann ich Ihnen sagen.« Seine Augen wirkten jetzt wieder stechend, seine Mundwinkel verkniffen. Schroeder war schlagartig klar, dass seine Frage ein heißes Eisen berührt haben musste.

»Das nennt sich Renaturierung«, knurrte Hirschfeld voller Verachtung, »die haben die alten Gräben verschlossen, das ganze Bruch wird nicht mehr entwässert. Also mit anderen Worten: wieder vernässt. Die überlassen das jetzt sich selbst, also säuft das nach und nach alles ab.«

»Wer ist die?«, fragte Schroeder vorsichtig.

»Die Naturschützer.«

»Schon klar. Ich meine, wer genau?«

»Alle möglichen.«

Schroeder ließ sich ansehen, dass er mit dieser Antwort nicht zufrieden war, bekam aber keine genauere.

»Und dann bauen die auch noch Wanderwege rein, damit man dem Wald besser beim Sterben zusehen kann«, fügte Hirschfeld hinzu, »Moorschutzprogramm nennen die das.« Bei dem Wort betonte er jede Silbe einzeln und stieß anschließend verächtlich Luft aus.

»Aber was ich nicht verstehe,« sagte Schroeder nach einer Weile, »ist, wieso die das machen. Ich meine, was bringt das aus Sicht des Naturschutzes?«

»Das kann man auch nicht verstehen«, erwiderte Hirschfeld, »das ist eine Glaubensfrage. Daran muss man einfach fest glauben.«

Er machte eine Pause, Schroeder sah ihn erwartungsvoll an und bemerkte dabei, wie Hirschfelds Wangenmuskeln zuckten. Da habe ich ja offensichtlich sein Lieblingsthema angeschnitten, dachte Schroeder, der ist deswegen stinksauer. Aber warum nur?

»Das war hier ursprünglich mal ein Hochmoor«, setzte Hirschfeld tatsächlich an, »also dauerhaft nass, nicht nutzbar. Irgendwann haben die Leute angefangen, es trocken zu legen. Haben Entwässerungsgräben gebuddelt und Deiche gebaut. Die brauchten einfach die Flächen, meist als Äcker und Viehweiden, oder sie wollten Torf abbauen, so wie hier. Zu Ostzeiten wurden solche Flächen dann oft aufgeforstet, meist mit Fichten. Aber auf den humusreichen Moorböden wachsen auch Birken, Erlen und Eschen gern.« Er deutete mit einer ausholenden Geste auf die Rudimente der Bäume. »Und darin fühlen sich auch das Rotwild und die Sauen wohl.«

Schroeders Blick folgte ihm. »Verstehe«, sagte er dann, »und damit auch die Jäger. Aber jetzt wird das rückgängig gemacht und zum Naturschutzgebiet erklärt.«

»Ach was!«, zischte Hirschfeld. »Naturschutzgebiet ist das schon ewig, seit Adolf Nazi. Aber eben mit Wald, mit Wild, mit Bäumen und Unterholz. Erst Mitte der 90er Jahre gab es hier an der Küste ein Sturmhochwasser, da sind die Deiche gebrochen, und das hat diese Typen auf die Idee gebracht, hier alles dauerhaft absaufen zu lassen.«

Schroeder war irritiert. »Aber ist das so falsch?«, fragte er vorsichtig nach. »Das scheint mir doch nicht die schlechteste Idee zu sein, das wieder zu vernässen, ich meine, wenn es doch früher ein Moor war?«

Hirschfeld musterte ihn. Schroeder kam sich vor wie im Studium. Zuletzt hatte er sich in der Zwischenprüfung zur Kirchengeschichte so klein gefühlt, nachdem er den Reichstag von Worms falsch datiert hatte.

»Stadtlogik«, brummte Hirschfeld.

Schroeder sagte lieber erstmal nichts.

»Eine Schwachsinnsidee ist das.«

Schroeder ergab sich mit einem Schulterzucken.

»Ich meine«, hob Hirschfeld dann etwas versöhnlicher an, »verstehen Sie mich bitte nicht falsch, natürlich sind Moore gut und wichtig, als Kohlendioxidspeicher zum Beispiel, so ein Moor bindet sogar mehr CO2 als Wald. Und viele Vögel leben hier auch oder ziehen durch. Das ist ja klar. Aber man kann doch die Uhr nicht zurückdrehen! Hier ist durch die Entwässerung über Jahre und Jahrzehnte ein neues Biotop entstanden. Mischwald. Unzählige Arten leben darin. Und jetzt ist es nur noch ein sterbender Sumpf, das sehen Sie ja selbst. In der sauerstoffarmen Brühe krepieren die Pflanzen und Tiere, die sich hier über die Jahre angesiedelt haben.« Hirschfeld wirkte traurig, geriet aber sogleich wieder in Rage. »Zuviel Wasser, zu wenig Sauerstoff, genau wie bei diesen Naturschützern im Kopf! Im Ernst: das ist doch keine Renaturierung, wenn man dafür soviel Natur vernichten muss, oder? Zumal kein Mensch sicher sagen kann, ob sich hier überhaupt jemals wieder eine Moorlandschaft wie im achtzehnten Jahrhundert entwickeln wird. Und warum überhaupt achtzehntes Jahrhundert? Warum nicht siebzehntes? Oder gleich fünfhundert vor Christus? Zurück in die Steinzeit! Aber Hauptsache auf Naturerlebnispfaden.«

Hirschfeld hielt inne und schien eine Reaktion zu erwarten. Schroeder war unsicher. Also machte er nur eine etwas verlegene Geste, hob beide Schultern leicht an, öffnete die Arme und Handflächen und nickte zögernd. Man konnte das vielleicht als verhaltene Zustimmung deuten. Was Hirschfeld gesagt hatte, klang irgendwie einleuchtend, fand er. Einerseits. Andererseits wurden solche Naturschutzmaßnahmen immer als gute Nachrichten präsentiert. Dagegen stand jetzt diese Tirade eines verschrobenen Waldläufers, der ihm in seiner eigentümlichen Verkleidung unerklärlich sympathisch war. Schroeder musste sich eingestehen, von diesen Dingen wenig Ahnung zu haben, und das tat er nur höchst ungern. Er nahm sich vor, sich damit zu beschäftigen. Aber dazu musste er erst einmal raus aus dem Sumpf.

»Wollen wir weiter?«, fragte er deswegen, ohne Hirschfeld in die Augen zu sehen.

Der brummelte noch irgendwas, drehte sich schließlich wortlos um und ging voran. Noch schneller als eben, jedenfalls kam es Schroeder so vor.

Wenige Minuten später stiegen sie die Böschung zu einem breiten, massiv befestigten Weg hinauf, ganz offensichtlich hatte Hirschfeld sie auf den Rundweg zurückgeführt.

Voller Freude über das Licht und die Weite streckte Schroeder beide Arme seitwärts aus und atmete tief durch, wie befreit. Er stieß einen wohligen Laut aus. »Und das hier«, fragte er dann aus Verlegenheit, weil Hirschfeld ihn wieder ziemlich abschätzig angesehen hatte, »ist das ein alter Deich?«

»Nein, das ist ein Wanderweg, für Leute wie Sie. Und für die Kranichfreunde, die fallen hier nämlich immer im Frühjahr und Herbst ein. Manchmal mehr als Kraniche. Und alle haben ein ofenrohrgroßes Objektiv auf der Kamera, deswegen muss der Weg auch so befestigt sein.« Hirschfeld schüttelte verständnislos den Kopf. »Aber ganz falsch liegen Sie nicht«, fuhr er dann fort, »ich meine mit dem Deich. Denn der aufgeschüttete Damm unter dem Weg staut das Wasser, sonst würde es ja ablaufen. Das soll es aber nicht. Denn erstens soll ja auf dieser Seite alles absaufen, zweitens ist da drüben Ackerland, seit hundertfünfzig Jahren, und das muss natürlich trocken bleiben. Jedenfalls solange, bis irgendwer dem Bauer genug Geld bietet, dass er das auch unter Wasser setzt.«

Nachdem sie eine ganze Weile über den Weg gegangen waren und Schroeder verstohlen die Tafeln des Naturerlebnispfades gelesen hatte, gelangten sie schließlich an eine riesige offene Fläche, die sich beinahe bis zum Horizont erstreckte. Darauf standen lange kräftige Stoppeln, soweit das Auge reichte. Er war erleichtert, und erstaunt.

»Raps«, erklärte Hirschfeld, der das Erstaunen wohl bemerkt hatte, »den haben die erst letzte Woche gedroschen. Waren spät dran in diesem Jahr, deswegen ist der Acker noch nicht wieder umgebrochen.«

»Gigantisch«, sagte Schroeder sichtbar beeindruckt von der Weite der Fläche.

»Normal«, erwiderte Hirschfeld mit einem Schulterzucken, »jedenfalls hier bei uns.«

Gleichzeitig bemerkten Hirschfeld und Schroeder die Einsatzfahrzeuge der Polizei. Nahe einer Bauminsel, die in einer Senke am Ackerrand gewachsen war, herrschte reger Betrieb. Sie gingen in der ausgefahrenen Spur eines Schleppers durch die Stoppeln bis zu einer behelfsmäßigen Absperrung. Eine Polizistin verwehrte gerade zwei Frauen in Joggingkleidung den Durchgang zum Fundort. Etwas abseits davon sah Schroeder ein schrottreif wirkendes Moped, dessen Fahrer angehalten hatte und jetzt durch das offene Visier seines Helmes die Szenerie betrachtete. Sein dicker Bauch quoll unter der kurzen Fliegerjacke hervor. Schroeder fielen die tarnfarbene Stoffhose auf, und die Gummistiefel. Eigenartiges Outfit, dachte er.

Jetzt erst erkannte er in der Polizistin Tina Effmert. Wie immer beschlich ihn ein Gefühl von Mitleid, wenn er die junge Kommissarin in dieser nachtblauen Uniform sah. Sie erinnerte ihn an ein Mädchen aus seiner Nachbarschaft, dessen ohnehin einfache Kleidung immer zwei Nummern zu groß gekauft worden war, damit es noch hineinwachsen konnte. Was auch immer sich die Designer dabei gedacht hatten, die Polizei mit diesen Uniformen auszustatten, dachte Schroeder immer, an zierliche Menschen wie Tina hatten sie dabei jedenfalls nicht gedacht. Ohne ihre blonden Locken wäre der Anblick einfach nur trostlos.

»Wie siehst du denn aus?«, fragte sie mit Blick auf Schroeders verschmierte und nasse Hose.

»Das ist alles nur deine Schuld!«, gab er scherzhaft zurück, »du hast mich doch in den Sumpf geschickt! Von wegen an der Kneipe links und dann einfach über den Hauptweg. Deinetwegen wäre ich beinahe umgekommen!«

»Rechts, Herr Schroeder, an der Kneipe rechts habe ich gesagt!«

»Links! Aber das ist ja jetzt auch egal«, meinte er. »Kannst du schon was über die Leiche sagen?«

»Du meinst: die Leichen!«

»Wieso? Sind es Mehrere?«

»Bis jetzt drei. Und die Kollegen graben noch weiter.«

Schroeder und Hirschfeld schauten sich an. Dann hob Schroeder kurzerhand das Absperrband an und ging darunter durch, Hirschfeld folgte ihm.

»Sie dürfen da nicht rein«, rief sie ihnen hinterher.

»Der gehört zu mir«, erwiderte Schroeder, ohne sich noch einmal umzudrehen. Dabei zog er Hirschfeld mit sich.

Na super, dachte Tina, dann sind schon zwei am Fundort, die dort nichts zu suchen haben. Und gleich kommt der Chef und ich kriege wieder den Anschiss.

Umgeben von Schwachköpfen

Ihre Halsschlagader war spürbar angeschwollen. Die Finger ihrer rechten Hand lagen darauf und fühlten den Pulsschlag, schnell und pochend. Das ging ihr immer so, wenn sie verärgert war, und diesmal war sie richtig verärgert, gewissermaßen stinksauer. Das kann doch nicht wahr sein, fluchte sie in sich hinein, bin ich denn nur von Schwachköpfen umgeben? Sie wusste ganz genau, dass sich diese Ader jetzt wie ein fetter langer Egel den Hals hinaufzog und blau durch die Haut schimmerte. Das machte sie noch ärgerlicher, obwohl niemand da war, der es hätte sehen können. Ellen Gomolka nahm die Finger weg und strich sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht.

Sie war in ihrem alten Pick-up von der anderen Seite gekommen und hatte schon von weitem den leuchtend weißen Haufen am Ackerrand gesehen. Das ist doch kein Thomaskalk!, war ihr sofort durch den Kopf geschossen, und ohne die Polizeifahrzeuge zu bemerken war sie mit Vollgas über die Rapsstoppeln gerumpelt, dass die Werkzeuge auf der Ladefläche klapperten und tiefe Kratzer in die Innenkotflügel schlugen. Als sie bei dem Haufen angekommen und aus dem Wagen gesprungen war, hatte sich ihr erster Gedanke zur Gewissheit verdichtet. Das war tatsächlich kein Thomaskalk, der war viel dunkler, meistens richtiggehend grau. Eigentlich hätte sie die weißen Granulate also gar nicht mehr zwischen den Fingerkuppen verreiben müssen. Sie hätte weder daran riechen noch die Zungenspitze daran tasten lassen müssen. Sie hatte es trotzdem getan. Das war Branntkalk! Tonnenweise weißer Branntkalk! Den konnte sie unmöglich hier ausbringen, der würde den Acker völlig überkalken.

Welcher von diesen Idioten war das?, fragte sich Ellen. Geradezu wütend sprang sie zurück in den Wagen, drückte gewaltsam den ersten Gang ein, noch bevor sie die Kupplung ganz durchgetreten hatte. Unter der Motorhaube knirschte es metallisch. Sie gab Gas und schleuderte auf den Hauptweg, hinterließ dort eine deutliche Spur aus Erde und Stroh und raste schon wenige Minuten später auf das Betriebsgelände der Agrar GmbH. Die Reifen blockierten im Schotter vor einem flachen Plattenbau, der trotz eierschalenfarbenem Anstrich und moderner Doppelverglasung immer noch aussah wie das Verwaltungsgebäude einer LPG. Die Eingangstür flog unter ihrem Druck auf und schlug mit einem Knall gegen den Türstopper. Dass sich in diesem Moment fünf Köpfe im Gemeinschaftsraum erschrocken zu ihr umdrehten, nahm sie nur aus dem Augenwinkel wahr. Ohne die fünf weiter zu beachten, ging sie mit kräftigem Schritt vorbei, trat dann geräuschvoll ins Vorzimmer ihres Büros und griff einen Ordner aus dem offenen Regal.

Ihre Sekretärin sah sie überrascht an, blickte dann auf die lehmigen Abdrücke der schweren Stiefel im Velourteppich und ließ ein aufgesetztes Seufzen hören.

Aber das war Ellen Gomolka in diesem Moment völlig egal. Sie blätterte wütend, beinahe aggressiv, warf den Ordner zur Seite und nahm einen anderen zur Hand. Darin fand sie die gesuchten Papiere. Sie überflog die Bestellzettel und las NPK Volldünger 15/15/15 ... NMg Stickstoffmagnesiumsulphat ... Alzona 28 flüssig ... Branntkalk 90. Das ist es! Branntkalk!, dachte sie. Also keine Fehllieferung, da hat einer von uns wirklich Branntkalk bestellt. Das konnte doch nicht wahr sein! Ihr Blick fiel auf die Unterschrift. Steve Schwarze, las sie in kinderartiger Handschrift. Steve, ihr Azubi. Das war ja klar. Hatte der nicht eben im Gemeinschaftsraum gesessen? Sie warf den Ordner achtlos auf den Schreibtisch und fegte aus dem Büro Richtung Gemeinschaftsraum.

Im Hineingehen überblickte sie die Situation. Der Azubi saß seitlich am Tisch vor der hellgrauen Einbauküchenzeile, die ihr Vater irgendwann nach der Wende günstig gekauft hatte. Steve schrieb gerade eine SMS und starrte gebannt auf das Display. Vor ihm auf dem Tisch lag in einem aufgeschlagenen Stück Papier eine angebissene Leberwurststulle. Kurt Gomolka saß mit dem Rücken zur Türe und gab einem der Agrartechniker Anweisungen. Kann der nicht endlich aufhören, sich in meinen Betrieb einzumischen?, dachte Ellen unwillkürlich und warf ihm einen unfreundlichen Blick zu. Dabei war sie eigentlich froh, dass ihr Vater noch so fit war und sie unterstützte. Der »Alte«, wie alle hier sagten, jedenfalls hinter vorgehaltener Hand. Denn er selbst wollte es nicht hören, obwohl das nicht abschätzig gemeint war, sondern respektvoll. So wie die Mannschaft eines Zerstörers ihren Kapitän den »Alten« nennt. Er selbst ließ sich lieber mit dem Vornamen anreden, nur sie und ihr Bruder Jan mussten »Papa« sagen. Das hatte er so verfügt, kurz nachdem ihre Mutter gestorben war, da hatte es keine Widerrede gegeben. Sie hatte sich längst daran gewöhnt und nannte ihren Vater weiterhin »Papa«, wie früher, als sie noch das kleine Mädchen auf dem Schoß des LPG-Vorsitzenden war.

Ein Landarbeiter, den sie befristet zur gerade anlaufenden Erntezeit angestellt hatte, blätterte in einer abgegriffenen Ausgabe der Super Illu. Für diesen Typen interessierte sich niemand, und er gab sich auch keine Mühe, das zu ändern. Vor ihm stand ein einfacher weißer Pott mit türkisch aufgebrühtem Kaffee. Auf der Anrichte gab es zwar eine Kaffeemaschine, die hatte irgendwer vor Jahren zuhause ausrangiert und hierher mitgebracht. Aber die hätte nach jeder Benutzung gereinigt werden müssen und blieb deswegen unbenutzt, wie alles außer dem Wasserkocher. Hier wurde einfach keine Küche gebraucht. Jeder brachte sich sein Essen mit, und jeder nahm seinen eigenen Kaffeepott, den er anhand des Aufdrucks zweifelsfrei von den anderen unterscheiden und daher ohne Abwasch stehen lassen konnte. Einmal im Monat erbarmte sich die Sekretärin und wusch alle Becher ab.

Jan Gomolka erkannte seinen Pott am gelben Hirsch auf grünem Grund, dem Logo von John Deere, und dem Slogan Erlebe den Unterschied. Ihr Vater trank seit dem Jahr 2009 aus einem mit Ähren und Pflugsymbolen bedruckten Becher vom 19. Landeserntedankfest. Und auf Steve Schwarzes Pott stand BAYTAN® Flüssigbeize, außerdem war der Henkel abgebrochen. Für die Befristeten und Gäste gab es weiße Pötte ohne Aufdruck, die hatte sie mal im Restpostenhandel gekauft.